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5.  Diskussion

5.1. Relevanz der Aufgabenstellung

Die Rahmenbedingungen für die Autopsie von Feten haben sich in den letzten Jahren radikal verändert. Zwei Entwicklungen sind dabei von entscheidender Bedeutung:

  1. Die rasante technische Entwicklung auf dem Gebiet der pränatalen Diagnostik und hier insbesondere die Verfeinerung der Ultraschalltechniken, die dem Pränataldiagnostiker eine morphologische Diagnostik erlaubt, die zuvor eine unbestrittene Domäne der Pathologie war.
  2. Die ebenfalls außerordentlich schnelle Entwicklung der Genetik, in deren Verlauf für immer mehr Fehlbildungen genetische Ursachen gefunden werden.

Diese Entwicklungen sind unstrittig und werden in der Literatur entsprechend dargestellt (Chaoui et al. 1994a, Sohn und Holzgreve 1995, Bollmann et al. 1997, Frommelt 1999, Neilson und Alfirevic 2000). Auch die eigenen Untersuchungen zeigen, dass dies zu einem erheblichen Wandel der klinischen Forderungen an den Pathologen geführt hat. Dieser manifestiert sich in immer kleineren Feten aus früheren Schwangerschaftswochen, im Ultraschall wohldokumentierten Herzfehlern bereits ab der 12. Schwangerschaftswoche, und immer häufiger vorliegenden genetischen Befunden. Durch die Dopplersonographie sind die Pränataldiagnostiker darüber hinaus in die Lage versetzt, eine funktionelle Diagnostik zu betreiben, die dem Pathologen so nicht möglich ist.

Diese Entwicklung kann potentiell zu der Auffassung von Pränataldiagnostikern und Genetikern führen, dass eine Autopsie gewissermaßen nur die pränatalen Befunde bestätigen bzw. wiederholen kann und nach vollständiger genetischer Klärung der Fehlbildungsursachen sozusagen überflüssig würde.

Blickt man nun von Seiten der Pathologie auf diese Entwicklung, so muss man feststellen, dass sich die Autopsie im gleichen Zeitabschnitt so gut wie nicht verändert hat. Die Auswertung der Autopsieprotokolle deutscher Universitätsinstitute zeigt dies deutlich (s. 4.3.2). Dies führt zu folgenden Fragen:

Dabei werden auch heute viele Befunde ausschließlich autoptisch gesichert (Berufsverband Deutscher Pathologen e.V., 1. Bundeskongress Pathologie, Berlin 2001; Friemann und Pickartz 2001; Wegener 2001). Briner (2001) betonte in seinem Festvortrag anlässlich des 65. Geburtstages von Prof. Harms (Kiel), dass eine gute morphologische Diagnostik bei Embryonen, Feten, Neugeborenen und Kindern nur durch den Pathologen garantiert werden kann „Die Entwicklung der Neonatologie und Geburtshilfe hat die Bedeutung der Kinderpathologie nochmals verstärkt: Aus der Pädopathologie ist eine Embryo­Feto­Pädopathologie geworden, eine Pathologie der Entwicklung. Dadurch ist eine noch stärkere dynamische Komponente dazugekommen: Die Pathologie des sich entwickelnden Embryos und Feten erfordert nochmals ganz andere Kenntnisse als diejenigen der doch eher statischen Erwachsenenpathologie“.

In der Konsequenz müssen folgende Fragen beantwortet werden:

Damit wird klar, dass eine Standortbestimmung der Autopsie von Feten, wie in der vorliegenden Arbeit vorgelegt, dringend notwendig ist.

5.2. Realisierbarkeit des Anforderungskatalogs

Der Anforderungskatalog an eine moderne Autopsie von Feten stellt die Zusammenfassung der zentralen Aussagen der Arbeit dar. Mit der Realisierbarkeit des Anforderungskatalogs in der Routine könnte ein Standard etabliert werden, der es dem Pathologen ermöglicht, den klinischen Forderungen [Seite 63↓]gerecht zu werden. Nachfolgend werden die einzelnen Forderungen aus dem Blickwinkel der Routine heraus betrachtet.

Voraussetzungen

Die Forderung nach einem speziellen Arbeitsplatz wird vielfach erhoben (14. Arbeitsgespräch der Arbeitsgemeinschaft Kinderpathologie, Berlin 2000) und ist nur unter großen Qualitätseinbußen zu umgehen.

Einen derartigen Arbeitsplatz einzurichten, lohnt sich nur, wenn regelmäßig Autopsien von Feten durchgeführt werden. Es ist auch deshalb sinnvoll, Sektionen von Feten an bestimmten Instituten zusammenzufassen, an denen sich Pathologen mit speziellen Kenntnissen der Fetal­ bzw. Kinderpathologie befinden, d.h. die Entwicklungspathologie zu regionalisieren (Briner 2001).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung von speziellen Arbeitsplätzen zur Autopsie von Feten, mit denen sich die aktuellen klinischen Forderungen erfüllen lassen, eigentlich nur an Hochschuleinrichtungen und großen Instituten gegeben sind, die sich in Nachbarschaft von Prä­ und Perinatalmedizin befinden.

Autopsieplanung entsprechend pränataler Befunde

Zur Durchführung einer Autopsie sind die pränatalen Befunde (wenn vorhanden) einzubeziehen.

Es wird vorgeschlagen, dass alle sonographischen Befunde auch in Form der Ultraschallbilder vorliegen sollen. Dies erfordert auf der einen Seite, dass die Ultraschallbilder in einer Datenbank abgelegt und dem Pathologen zugänglich gemacht werden können und auf der anderen Seite, dass der Pathologe die Ultraschallbilder interpretieren kann, um sie im Rahmen seiner Autopsieplanung berücksichtigen zu können.

Prinzipiell ist diese Forderung insbesondere an Hochschuleinrichtungen eher realisierbar, da dort im Rahmen der Facharztausbildung ein klinisches Jahr gefordert wird und dieses in einem pränataldiagnostischen Funktionsbereich durchgeführt werden kann.

Die Forderung nach Festlegung der Autopsiestrategie in einer Weise, dass zu allen pränatalen Befunden Stellung bezogen werden kann, ist vornehmlich eine Frage von Ausbildung und Erfahrung. Im Fall einer vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigung steht schon aus juristischen Gründen die Sicherung der Abbruchdiagnose oder deren Korrektur im Mittelpunkt der Autopsieplanung (Rehder 1983).

Müntefering, Dallenbach­Hellweg und Ratschek 1988 hielten die Einteilung des Abortmaterials nach pathologisch­deskriptiven Kriterien für überholt, da klinisch­anamnestische Angaben und zytogenetische Untersuchungsergebnisse für die Klärung der Abortursache und die Beurteilung der pränatal­diagnostischen Entscheidungen von großer Bedeutung sind (Müntefering et al. 1988).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine Autopsie ohne die Kenntnis der pränatal­sonographischen und zytogenetischen Befunde ggf. nicht adäquat durchgeführt werden kann.

Durchführung einer gezielten Autopsie des Feten

Wir haben uns in den letzten Jahren beschäftigt, wie eine Standardautopsie, entsprechend den klinischen Befunden modifiziert werden muss (Tennstedt und Vogel 2000d).

Grundsätzlich wurde dies bereits 1982 von Födisch gefordert, der die Bedeutung der Teratologie für die klinische Orientierung einer Autopsie hervorhob und sie mit der morphologischen Onkologie verglich. Er fordert für jegliche klinische Diagnose, gleich zu welchem Zeitpunkt und mit welcher Methodik gestellt, ein pathologisch­anatomisches Korrelat. 1984 wird von Böhm darauf hingewiesen, dass bei der Sektion von Feten bei Vorliegen von Fehlbildungen und komplexen Entwicklungsstörungen, die sonst üblichen Regeln der Obduktionstechnik für eine Erwachsenensektion nicht eingehalten werden können, ohne wesentliche Befunde zu zerstören.

Dass die bildliche Dokumentation als wesentlich erachtet wird, zeigt sich allein schon daran, dass in 15 von 21 Autopsieprotokollen deutscher Hochschulinsitute eine Bilddokumentation vorgesehen ist. Die hier erhobene Forderung nach obligater Bilddokumentation während der Sektion in einer für den Kliniker zugänglichen Datenbank ermöglicht eine qualitativ hochwertige Diskussion der Fälle, auch wenn der Kliniker zur Demonstration des Falles im Sektionssaal nicht anwesend sein konnte. Darüber hinaus bietet dies die Möglichkeit, diese Bilder im Rahmen einer telepathologischen Konsultation zu nutzen (Wehrstedt et al. 2000a, b). Die sich damit öffnenden Möglichkeiten werden im Abschnitt 5.6 diskutiert. Messungen müssen während der Autopsie vorgenommen werden. Spätere Messungen an Bildern sind wegen der Reduktion von 3D auf 2D nur in Ausnahmefällen nicht verfälscht. Die Messungen sollten auf relevante Sachverhalte und durch den Ultraschall vorgelegte [Seite 64↓]Vergleichsmessungen konzentriert werden (Tennstedt et al. 1997, 2000b). So ist z.B. eine pathomorphologische Korrelation von pränatal sonographisch darstellbaren echogenen Herden in fetalen Herzen nur möglich, wenn gezielt die betroffenen Papillarmuskeln oder das ventrikuläre Myokard eingebettet und in Serienschnitten mikroskopisch aufgearbeitet werden (Roberts und Genest 1992, Brown et al. 1994, Tennstedt et al. 2000c). Der Einsatz adäquater Technik (Stereomikroskop, Organ bzw. ­segmenteinbettung mit Aufarbeitung in Serienschnitten und Mikroskopie) in Abhängigkeit vom Alter des Fetus scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein (Tennstedt et al. 2000a). Ein Stereomikroskop muss zur Grundausstattung obligat gefordert werden.

Elektronische Dokumentation im abschließenden Autopsiebericht

Durch den Einzug von Abteilungsinformationssystemen in mehr oder weniger allen Kliniken ist die elektronische Dokumentation zum Standard geworden. Dazu gehört auch die elektronische Speicherung relevanter prä­ und perinataler interdisziplinärer Befunde (Ultraschallbilder, Radiogramme, Karyogramme), (Tennstedt et al. 1997). Über das Krankenhausinformationssystem sind die vielen Einzelbefunde der Abteilungen konkreten Patienten zuordenbar. Auf dieser Grundlage können Befunde zwischen verschiedenen Abteilungen ausgetauscht werden, z.B. über HL­7 Schnittstellen (Nguyen­Dobinsky und Hufnagl 1997).

Im einfachsten Fall können die abteilungseigenen Datenbanken der Beteiligten für externe Nutzer über das Netzwerk freigegeben werden. So kann sich der Pathologe etwa in die Datenbank des Funktionsbereiches „Pränatale Diagnostik und Therapie“ einwählen, wobei sein „Login“ immer nur Leserrechte zuordnet. Um Pränatalbefunde als Pathologe verstehen zu können, sind Vorkenntnisse auf dem Gebiet der Pränatalmedizin notwendig. Im zweiten Schritt bedeutet dies, dass die Befunde des Pathologen sehr schnell von den am konkreten Fall beteiligten Kollegen gelesen und auch elektronisch genutzt werden können. Neben der Nutzung im Rahmen der Routinediagnostik, ist dies beispielsweise auch hilfreich bei der Suche nach Referenzfällen in der eigenen Datenbank. Um dies zu ermöglichen, muss eine standardisierte Technologie Verwendung finden (Tietz, Dissertation 2000).

Die kommerziell verfügbaren Datenbanken dienen entweder der einfachen Verwaltung klinischer Daten oder stellen in enzyklopädischer Art und Weise Wissen in Bild und Text bereit (A comupter based handbook and atlas of pathology (Jansen et al. 1989), Computer systems in dysmorphology (Evans 1995), Construction of the diagnostic encyclopedia workstation (Jansen et al. 1989), and A knowledge acquisition tool in analytic pathology based on multimedia relational database (Datta und Rodenacker 1994). Beide Ansätze lösen jedoch die Probleme der modernen Fetalautopsie nicht.

Aus Sicht des Pathologen ist die elektronische Dokumentation vor allem deshalb wichtig, weil sie einerseits die Basis zur Formulierung telepathologischer Anfragen darstellt (Tennstedt et al. 2000b) und andererseits die Recherche in den eigenen Fällen derart beschleunigt, dass sie im Rahmen der Autopsie realisiert werden kann.

Die bildliche Dokumentation hat eine längere Tradition. In erster Linie dienten die Bilder der Dokumentation im Autopsiebericht, das Interesse der Kliniker war eher gering. Der Pathologe stellt die auffälligen Organbefunde durch die Präparation dar, die direkt am Objekt präsentiert werden konnten oder später anhand der Fotographien zu rekonstruieren waren. Die fotographisch dokumentierten pathologischen Befunde konnten dem Kliniker jeder Zeit präsentiert werden.

Bereitstellung des Autopsieberichtes/ Falldiskussion mit den Klinikern

Ein kurzes Zeitintervall zwischen dem Eintreffen des Feten in der Pathologie und der Fertigstellung des Autopsieprotokolls ist die Voraussetzung zur interdisziplinären Falldiskussion mit positivem Effekt für beide Seiten (Tennstedt et al. 1997). Wegen der großen Zahl an Ultraschalluntersuchungen gerät ein Fall beim Kliniker schneller in Vergessenheit als beim Pathologen.

Gerade die elektronische Dokumentation kann einen Geschwindigkeits­ und damit Qualitätsgewinn bringen. Falls sich kaum Diskrepanzen zwischen den Befunden der einzelnen Disziplinen ergeben, so kann auf eine Fallvorstellung durchaus verzichtet werden, wenn ein wohldokumentierter bebildeter Autopsiebericht elektronisch vorliegt.

Ins Zentrum der Diskussion mit den Klinikern kann dann die Fehleranalyse bei diskrepanten Befunden rücken, denn hier geht es um den Prozess der Qualitätssicherung. Eine gemeinsame Kategorisierung der Fehler (s. 3.3) kann bei der systematischen Verbesserung des perinatalen Managements von entscheidender Bedeutung sein. Dies wird sich mit der Einführung der Diagnosis Related Groups (DRG’s), (Arnold et al. 2000, Keil 2001, Stein 2001) noch entscheidend verstärken.

Der vorgeschlagene Anforderungskatalog an die Autopsie von Feten (s. 4.4) lässt sich nur unter den Bedingungen einer Regionalisierung der Entwicklungspathologie an größeren medizinischen Einrichtungen mit einer Perinatalmedizin realisieren. Genau in diese Hände gehören die Sektionen [Seite 65↓]von Feten, um eine Qualitätskontrolle, die dieses Prädikat verdient, realisieren zu können. In der Konsequenz wird insbesondere die DRG­Einführung genau diese Zentralisierung erzwingen.

5.3. Strategien bei der Sektion von Feten

Strategie­Konzept

Im Anforderungskatalog (s. 4.4) wurde besonderes Gewicht auf die Autopsieplanung entsprechend pränataler Befunde gelegt. Soll zu den entscheidenden pränatalen Befunden fundiert Stellung bezogen werden, ohne die übrigen pränatalen Befunde außer Acht zu lassen und gleichzeitig systematisch zu vergleichen, um keine entscheidenden, nicht pränatal diagnostizierten Befunde zu übersehen, kommt man ohne eine Strategie für die Autopsie nicht aus (Tennstedt und Vogel 2000d). Die Autopsiestrategie ist damit entscheidend für die Umsetzung des Anforderungskatalogs.

Logische Struktur der Autopsiestrategie

Die vorgeschlagene Autopsiestrategie geht von einem standardisierten Vorgehen aus, welches in Abhängigkeit von pränatalen Befunden und während der Autopsie gesicherten Befunden zu modifizieren ist. Diese Form der Strategie lässt sich in einem einfachen hierarchischen Entscheidungsbaum darstellen, der aus immer gleichen Elementen zusammengesetzt ist (Abb. 36).

Abb. 36: Hierarchischer Entscheidungsbaum der Autopsiestrategie

Sehr erfahrene Pathologen verfahren intuitiv entsprechend einer derartigen Strategie. Wegen der Komplexität der dahinter verborgenen embryologischen, ätiologischen, genetischen, morphologischen und autopsie­praktischen Sachverhalte, erschließt sich diese Strategie dem selten Feten sezierenden Pathologen bzw. dem Ausbildungsassistenten nicht. Es ergibt sich daraus die Forderung, die Autopsiestrategie so zu dokumentieren, dass sie anwendungsbereit vorliegt (Tennstedt und Vogel 2000d).

Die Autopsie lässt sich nach inhaltlich­methodischen Gesichtspunkten unterteilen (Abb. 37).

Abb. 37: Unterteilung der Autopsie eines Fetus

In analoger Weise lässt sich die Autopsiestrategie in Teilstrategien zerlegen (s. hierzu 4.5.2 Strategie bei Herzfehlbildungen). Ohne explizit auf dieses Konzept einzugehen, bedienen sich die Autoren dieser Vorgehensweise (s. 4.3.1 internationale Richtlinien z.B. Sheaff und Hopster 2001).


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Genetischer Kontext

Neben den oben diskutierten Auswirkungen der Weiterentwicklung der pränatalen Diagnostik und Therapie auf die Autopsiestrategie, kommt der größere Anpassungsdruck durch die Genetik im Rahmen der Erkennung der genetischen Ursachen von Syndromen und Fehlbildungen (Wiedemann und Kunze 1995, Adler et al. 1997, Buselmaier und Tariverdian 1999, Witkowski et al. 1999). Infolgedessen muss für die Zukunft eine kontinuierliche Anpassung der Autopsiestrategien an die aktuelle klinische Entwicklung gefordert werden.

Einführung der DRG’s

Bei der Einführung der DRG’s (Arnold et al. 2000, Keil 2001, Stein 2001) liegt ein Schwerpunkt auf der Qualitätskontrolle. Genau für diese Qualitätskontrolle bieten der Anforderungskatalog und die Autopsiestrategie eine mögliche Messlatte für die Einschätzung der Qualität der Sektionen von Feten.

Teilstrategien

Auf die im Rahmen des Ergebnisteils angegebenen bzw. vorgestellten aktuellen Teilstrategien (kardiovaskuläres System, zentrales Nervensystem, Respirationstrakt etc., s. 4.5.1), soll in der Diskussion nicht explizit eingegangen werden, da sich diese in Abhängigkeit von Einzelergebnissen in einer ständigen Fortentwicklung befinden, die zu der oben geforderten schnelleren Anpassung der Richtlinien Anlass gibt.

5.4. Vergleich pränataler und autoptischer Untersuchungsergebnisse

Sowohl für den Pathologen als auch für den Pränataldiagnostiker ist dies eine zentrale Frage, deren Beantwortung Form und Inhalt der interdisziplinären Arbeit entscheidend beeinflusst. Infolgedessen finden sich in der Literatur zahlreiche Veröffentlichungen, die sich retrospektiv mit der fetalpathologischen Validierung pränatal­sonographisch erhobener Befunde beschäftigen. Sie spiegeln das Interesse des Klinikers nach Validierung insbesondere bei unklarer Befundlage oder seltenen Krankheitsbildern wider (Rutledge et al. 1986; Hill et al. 1989; Fox 1998; Vuljanik et al. 1998, Wright et al. 1998, Sun et al. 1999, Isaksen et al. 2000b).

Die Zusammenhänge und Korrelationen pränataler und fetalpathologischer Diagnosen wurden anhand von Falldemonstrationen oder in größeren Evaluationsstudien untersucht. Evaluationsstudien publizierten u.a. Shen­Schwartz et al. 1989; Chescheir und Reitnauer 1994; Keeling 1989, Manchester et al. 1988; Weston et al. 1993; Medeira et al. 1994. Sie beschäftigen sich in erster Linie mit der Überprüfung der Indikationen
zum vorzeitigen Schwangerschaftsabbruch (Isaksen et al. 1998, 1999 und 2000a; Carroll et al. 2000) und der Epidemiologie pränataler Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen (Empfehlung der Bundesärztekammer 1993; Queißer­Luft et al. 1994).

In einer retrospektiven Vergleichsstudie zwischen pränatal­sonographischen und postmortalen Befunden (Tennstedt et al. 1998) konnte gezeigt werden, dass in 144 Fällen (78%) die pränatalen Diagnosen komplett postmortal bestätigt werden konnten. Das korreliert mit anderen Studien (Vogel 1997, Sun et al. 1999, Isaksen et al. 2000b). Die Untersuchungen von Shen­Schwartz et al. (1989) zeigten, dass durch die Autopsie zusätzliche signifikante Anomalien in 46% der Fälle gefunden wurden. Es ist allgemein bekannt, dass die Qualität der pränatalen Diagnosen von der technischen Ausstattung und den Erfahrungen der Pränataldiagnostiker abhängen. Bisher hat keine Studie den Einfluss der Qualität der technischen Geräte und des Erfahrungswertes der Pränataldiagnostiker auf die pränatal­sonographische Befundung untersucht.

Kategorisierung von Fehlerursachen

So ist keine Arbeit bekannt, die sich gezielt mit einer Kategorisierung der Fehlerursachen in fachspezifische, technische, zeit­ und ablaufabhängige, fallspezifische und subjektive Faktoren beschäftigt. Dies ist jedoch eine Voraussetzung, um Verbesserungen vorzuschlagen. Leider sind sich in der Regel weder die Pathologen noch die Pränataldiagnostiker darüber vollständig im Klaren, welche Mittel und Möglichkeiten dem jeweiligen Partner zur Verfügung stehen und wie sich der fallspezifische Kontext auf die Diagnostik auswirkt. Eine unkritische Zählung falsch­negativer pränataler Befunde etwa unterschlägt das differente Ziel des Pränataldiagnostikers zur maximalen Sicherung des Abbruchbefundes bei gleichzeitiger Unterlassung weiterer Diagnostik.

Die teilweise erheblichen Unterschiede zwischen den o.g. Studien haben ihre Ursache nicht nur in den unterschiedlichen Fallspektren, technischen Ausrüstungen und Erfahrungen der Untersucher, sondern auch in einer mangelhaften methodischen Qualität der Studien selbst. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb Wert darauf gelegt, den Kontext der Studie klar zu bestimmen (s. Hypothesen zur retrospektiven Studie in Abschnitt 3.3), um mögliche Fehlinterpretationen zu vermeiden (s. Tab. 17 Ergebnisse des Vergleichs der Diagnosen).


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Fehlerursachen und die Vermeidung von Fehlern

Bei der Analyse der Fehlerursachen liegt der Schwerpunkt in der Vermeidung zukünftiger Fehler. Dies kann etwa durch interdisziplinäre Weiterbildung/ Wissensaustausch/ Konsultation (fachspezifische Faktoren), Verbesserung der Technik (technische Faktoren), organisatorische Verbesserungen (zeit­ und ablaufabhängige Faktoren) oder Weiterbildung in Pathologie (subjektive Faktoren) erfolgen.

In der vorgestellten Studie spielten eine Reihe von Faktoren überhaupt keine Rolle. Dies lag insbesondere an dem universitären Umfeld, welches einen hohen Ausbildungsstand und Einsatz modernster Technik sicherte.

Falsch­positive pränatale Diagnosen

Betrachtet man die besonders relevanten falsch­positiven Diagnosen, so lag deren Anteil bei 12% (42 von 338). Es waren keine Abbruchdiagnosen darunter. Erwartungsgemäß lag dieser Anteil bei den Verdachtsdiagnosen höher (30%, 14 von 47). Die falsch­positiven Diagnosen haben fast ausschließlich Probleme bei Erkennbarkeit und Darstellbarkeit zur Ursache. Diese Probleme lassen sich nur durch weitere technische Innovationen lösen, die die Erkennbarkeitsgrenzen in noch frühere Schwangerschaftswochen verschieben lassen bzw. für die Fruchtwassermangel oder Adipositas keine Rolle spielen.

Falsch­negative pränatale Diagnosen

Für den Pathologen ist der Anteil falsch­negativer Diagnosen besonders deshalb ausgesprochen wichtig, weil er trotz negativer pränataler Befunde hier besonders aufmerksam vorgehen muss. Der Anteil an falsch­negativen Diagnosen betrug 22% und lag damit höher als der Anteil der falsch­positiven Diagnosen, der 12% betrug. Die Ursachen falsch­negativer Diagnosen sind mit den falsch­positiven Diagnosen so gut wie identisch (Erkennbarkeitsgrenzen und schwangerschaftsabhängige Befunddarstellbarkeit, s. 4.2).

Anhand der retrospektiven Studien war festzustellen, dass die häufigsten falsch­negativen pränatalen Diagnosen in abnehmender Häufigkeit das Urogenitalsystems (22 von 75 Diagnosen), das Skelettsystems (17 von 22 Diagnosen) und das respiratorischen Systems (9 von 22 Diagnosen) betreffen.

Im Gegensatz dazu, betrafen die häufigsten falsch­positiven pränatalen Diagnosen das kardiovaskuläre System (14 von 42 Diagnosen).

Zusätzliche Diagnosen

Bei einem Fünftel der Diagnosen handelte es sich um zusätzliche Diagnosen. In 36 Fällen (20%) wurden postmortal zusätzliche Fehlbildungen nachgewiesen, die pränatal fehlinterpretiert oder nicht diagnostiziert wurden, z.B. lumbale Neuralrohrdefekte, Holoprosenzephalie, Aortenklappenatresie, multizystische Nierendysplasie, Hydronephrose, Lungenhypoplasie u.a.. In einigen Fällen konnten die Ursachen dafür eindeutig nachgewiesen werden, z.B. wegen maternaler Adipositas, eines Poly­ oder Oligohydramnions.

Nicht verifizierbare Diagnosen

Im Gegensatz zu den physikalischen und entwicklungsbedingten Gründen der falsch­positiven und falsch­negativen Diagnosen, waren die Fehlerursachen der nicht verifizierbaren Diagnosen hauptsächlich ablauf­ und lagerungsbedingt (geburtstraumatisch, transportbedingt, Autolyse, Mazeration).

Im Ergebnis der vorliegenden Studie wurde im Rahmen einer interdisziplinären Diskussion eine Straffung des organisatorischen Ablaufes beschlossen, um den Anteil nicht verifizierbarer Diagnosen an der Charité zu senken.

Schweregrade von Fehlbildungen

Eine Einteilung der Fehlbildungen in Schweregrade (Signifikanzbewertung) ist leider nicht so einfach möglich. Parameter zur Graduierung der Schweregrade von Fehlbildungen liegen in der Literatur nicht vor. Aus pathomorphologischer Sicht wäre eine Einteilung in die folgenden drei Schweregrade denkbar:

Dieser Vorschlag einer pathomorphologischen Einteilung der Schweregrade von Fehlbildungen aus autoptischer Sicht lässt sich aber nicht ohne weiteres auf die Pränatalmedizin übertragen, da hier z.B. [Seite 68↓]ethische, psychische, individuelle und gesellschaftliche Aspekte erheblichen Einfluss auf die Indikation der jeweiligen Schwangerschaftsbeendigung haben. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob es sich um eine einzelne Fehlbildung oder multiple Fehlbildungen handelt und ob eine chromosomale Aberration unterschiedlicher Prognose vorliegt.

Qualitätskontrolle

Eine fundierte Qualitätskontrolle kommt ohne eine Kategorisierung der Fehlerursachen nicht aus. In der vorgestellten retrospektiven Studie an einer Hochschule spielen viele Fehlerursachen keine Rolle. Dies sieht in der Praxis peripherer Krankenhäuser und niedergelassener Spezialisten schon anders aus. Genau unter diesen Bedingungen führt eine Evaluierung unter Berücksichtigung der in der vorliegenden Arbeit eingeführten Kategorien von Fehlerursachen zu einer klaren Aufdeckung der Verbesserungsmöglichkeiten der Zusammenarbeit von Pränataldiagnostikern und Pathologen.

5.5. Stand der Autopsie von Feten in der Bundesrepublik

Mit der Veröffentlichung der Monographie von Essbach 1961 („Paidopathologie; Kyematopathien, Neogonopathien, Thelamonopathien“) erfolgte erstmalig seit den Publikationen von Birnbaum (1909) und Schwalbe (1906) auch eine zeitgemäße Darstellung vorgeburtlicher Entwicklungspathologien. Auch international wurde nur wenig auf diesem Gebiet veröffentlicht: von der Amerikanerin Potter „Pathology of the Fetus and the Newborn” (1952), die „Études de Pathologie foetale et néonatale“ des Franzosen Sorba (1948), “Fetal and Neonatal Pathology” von Morrison (1952) und die “Pathology of the fetus and placenta“ des Japaners Mizuno (1961).

Gegenüber der rasanten Entwicklung und Verbreitung der pränatalen Diagnostik seit den 60er Jahren (Saling 1988, Chambers 1992, Chaoui et al. 1994a) erfolgte eine konkordante Entwicklung der Fetalpathologie nur in wenigen Zentren (Kloos und Vogel 1974, Födisch 1982, Rehder 1983). Dies spiegelt sich auch in der gegenwärtigen Dokumentation der Autopsien in Pathologischen Instituten deutscher Universitäten wieder.

Zur Zeit ist es noch an ca. 25% der Pathologischen Institute deutscher Universitäten üblich, an einem Fetus mit Fehlbildungen eine „Standardobduktion“ analog der Erwachsenenautopsie einschließlich einer entsprechenden Protokollierung vorzunehmen. Diese Vorgehensweise genügt den heutigen klinischen Forderungen nicht mehr.

Die Erfüllung der klinischen Forderung nach Gegenüberstellung von klinischen und autoptischen Befunden ist grundsätzlich möglich, wurde jedoch leider nur in drei Protokollen (14%) realisiert. Durch die Verwendung einer Datenbank kann dies gut realisiert werden. Darüber hinaus kann der Befundausdruck an den aktuellen Fall angepasst werden. Bilder lassen sich in Datenbanken sehr gut verwalten und recherchieren.

Bilder zur Verdeutlichung morphologischer Auffälligkeiten finden sich in zwei Dritteln aller Protokolle, wobei nur in 2 Fällen eine gemeinsame Darstellung mit dem schriftlichen Befund erfolgte.

Auch in den untersuchten Musterprotokollen (s. 4.3.2) erfolgt keine direkte Gegenüberstellung von pränatalen und pathologischen Befunden. Der Schwerpunkt liegt dort auf der ausführlichen Integration der klinischen Befunde und der besonderen Berücksichtigung klinischer Fragestellungen und folgt dabei der „problemorientierten Autopsie“ (Becker 1981, Lefer 1981, Kjaer und Graem 1990). Die klinischen Forderungen sollen durch das „Abarbeiten“ einer klinischen „Problemliste“ in der Autopsie erfüllt werden. Die Notwendigkeit für die besondere Herausstellung des klinischen Bezuges wurde aus der damaligen Kritik an einer unzureichenden Berücksichtigung der vitalen Ätiopathogenese in der pathologisch­morphologischen Diagnose abgeleitet. Deren Berechtigung zeigt sich in der vielfach immer noch unzureichenden Integration klinischer Informationen (Befunde, Fragen) in die fetalautoptische Dokumentation.

Die Strukturierung, Standardisierung und Archivierung der Autopsieprotokolle orientiert sich zur Zeit in den meisten Fällen nicht an einer weiteren interdisziplinären Nutzung der Befunddaten. So besteht zur Zeit der paradoxe Zustand, dass in den großen internationalen Fehlbildungsdatenbanken Fälle mit einer geringen, zweistelligen Fallzahl dokumentiert sind, die im Obduktionsgut eines Universitätsklinikums viel häufiger auftreten, jedoch nicht zentral erfasst und ausgewertet werden. Die Häufigkeit von Fehlbildungen wird deshalb anhand von für Deutschland nicht repräsentativen Untersuchungen eingeschätzt (z.B. basiert POSSUM auf der australischen Population).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die derzeitige Autopsiedokumentation in der Fetalpathologie den klinischen Forderungen nicht gerecht wird. Gleiches gilt mit einigen Abstrichen auch für die verfügbaren Standards. Ohne eine Standardisierung der Autopsiemethodik sowie die Nutzung moderner Datenbanken ist die Erfüllung der klinischen Forderungen jedoch kaum realisierbar.


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Trotz zunehmender Bedeutung der Zytogenetik und Molekularzytogenetik bleibt die Autopsie der „Goldstandard“ für die Qualitätskontrolle der pränatalen Diagnostik. Die Bedeutung der Fetalpathologie für die Klinik hängt wesentlich von der Berücksichtigung der klinischen Forderungen ab (Hickey et al. 1995, Keen 1995, Waldron 1995).

Es müssen Formen der Dokumentation und des Informationsaustausches etabliert werden, die den Informationsfluss zwischen Klinik und Fetalpathologie in beiden Richtungen dynamisieren und eine flexible Anpassung der fallbezogenen Methodik ermöglichen (s. 4.3).

5.6. Nutzung der Telepathologie

Die Telepathologie auf dem Weg in die Routine

Die Telepathologie hat in den letzten Jahren zunehmend Eingang in die Routine gefunden. An einer großen Serie (2000 Fälle), konnten Dunn et al. (1999) die Routinetauglichkeit unter Beweis stellen. In einer Reihe von Übersichtsarbeiten wurden die verschiedenen Aspekte der Telepathologie beleuchtet (Kayser et al. 1995a, Weinstein et al. 1997, Kayser et al. 1999, Dietel et al. 2000a­c, Hufnagl et al. 2000b).

Vorreiter bei der Einführung telepathologischer Arbeitsweisen in die Routine sind die skandinavischen Länder (Nordrum et al. 1991, Nordrum und Eide 1995, Elford 1997). Aber auch in Deutschland hat die anfangs eher ablehnende Haltung einer Aufbruchstimmung Platz gemacht., die u.a. zur Ausarbeitung einer gemeinsamen Richtlinie des Berufsverbandes, der Deutschen Gesellschaft für Pathologie und der IAP (Deutsche Sektion) geführt haben (Arbeitspapier zur Telepathologie, Berufsverband Deutscher Pathologen, 2000).

An der Charité wurden mehrere Telepathologiesysteme entwickelt. Nach intensiven Studien werden diese für die Schnellschnittdiagnostik und das Einholen einer zweiten Meinung eingesetzt (Hufnagl et al. 2000c).

Anforderungen an die Bildqualität

Für die Anwendung telepathologischer Techniken in der Routine muss ein hinreichend schneller Datentransfer erfolgen und die Daten müssen in akzeptabler Qualität übertragen werden (Kayser et al. 1995, Bittorf 1997, Della Mea 1998, Kayser et al. 1999, Marcelo 2000 u.a.). Für eine schnelle Bildübertragung und eine für die Diagnostik akzeptable Bildqualität müssen die Auflösung der Bilder und die Bildkompression optimiert werden (Bittorf et al. 1997). Doolittle et al. (1997) verminderten die Dateigröße durch Reduktion des Farbumfanges.

Eikelboom et al. (2001) untersuchten den Einfluss von JPEG­ und WAVELET­Kompression auf die Bildqualität von Augenhintergrundbildern in der Ophthalmologie. Dabei untersuchten sie die komprimierten Bilder auf objektive und subjektive Unterschiede. Als objektives Kriterium diente der Route Mean Square Error. Sie stellten fest, dass der RMS ein guter Parameter für die objektive Messung der Bildqualität nach vorangegangener Kompression ist. Es gibt jedoch keine Richtlinien hinsichtlich eines akzeptablen RMS­Wertes. Allerdings existiert eine Studie, in welcher der Zusammenhang zwischen RMS und dem Grad der diagnostischen Qualität von Bildern untersucht wird (Lattner et al. 1996). Die Ergebnisse offenbaren die Korrelation zwischen RMS und diagnostischer Sicherheit.

Eikelboom et al. (2001) ermittelten, dass JPEG­Kompression eines 1,5 MB großen Ausgangsbildes bis zu einer Kompressionsrate von 1:52 ohne sichtbaren Qualitätsverlust möglich war. Die WAVELET­Kompression erreichte bei dem gleichen Ausgangsbild eine Kompressionsrate von 1:68 ohne sichtbaren Qualitätsverlust.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen sich relativ gut mit denen von Eikelboom et al. vergleichen, da ebenfalls mit JPEG­ und WAVELET­Verfahren komprimiert wurde. Allerdings konnte nicht festgestellt werden, welchen WAVELET­Filter Eikelboom et al. verwendeten. Das JPEG­Verfahren erlaubt bei dem vorliegenden 4,6 MB großen Ausgangsbild eine maximale Kompressionsrate von 1:170, jedoch mit sichtbaren Qualitätsverlusten (s. Abb. 34.a). Erst bei einer Kompressionsrate von 1:100 sind für die meisten Versuchsteilnehmer keine subjektiven Unterschiede wahrnehmbar. Das WAVELET­Verfahren komprimiert dasselbe Ausgangsbild bis zu einer maximalen Kompressionsrate von 1:5750, aber ebenfalls mit subjektiv sichtbaren Qualitätseinbußen. Bei einer Kompressionsrate von 1:140 in der 0,5­fachen Vergrößerung und bei einer Kompressionsrate von 1:100 in der 3,5­fachen Vergrößerung können die meisten Teilnehmer keinen subjektiven Bildverlust im direkten Vergleich zum Original erkennen. Als objektive Qualitätskriterium der vorliegenden Arbeit fand der PSNR­Wert Verwendung. Dieser Wert lag bei der 50­Prozent­Schwelle für die JPEG­Kompression bei 38 dB und für WAVELET bei 40 dB (s. Tab. 25). Komprimierte Bilder mit einem PSNR­Wert kleiner 35 dB wurden von den meisten Teilnehmern als schlecht bewertet (JPEG und WAVELET). Insgesamt darf der [Seite 70↓]Qualitätsverlust nicht zu groß werden, d.h. die PSNR darf nicht unter 35 dB sinken. Beim Einhalten der angegebenen Werte (z.B. durch Voreinstellung innerhalb eines Telepathologiesystems) können Qualitätseinbußen durch Bildkompression verhindert werden.

Einsatz in der Fetalpathologie

Die zentrale Frage beim Einsatz der Telepathologie ist die nach ihrem konkreten Nutzen für den Sekanten. Eignet sich die Technik überhaupt für den Einsatz im Rahmen einer Sektion und welche Probleme können telepathologisch gelöst werden?

Im Zentrum der Anwendung der Telepathologie steht heute meist die Histologie. Die Makroskopie ist nur im Rahmen des Zuschnitts für die Schnellschnittdiagnostik von Bedeutung (Oberholzer et al. 1995, Kayser et al. 1995a, Schwarzmann et al. 1998, Dietel et al. 2000, Hufnagl et al. 2000c). In der Fetalpathologie spielt jedoch die Makroskopie die entscheidende Rolle.

Eine wesentliche Schwierigkeit bei der Darstellung makroskopischer Sachverhalte ist die anatomische Identität von Strukturen bei Detailaufnahmen. Wichtig ist deshalb eine effektive und verständliche Falldarstellung, so dass keine Missverständnisse bei der Befundinterpretation entstehen. Vergleichbare Probleme hat man im Rahmen des Einholens einer zweiten Meinung in der Histologie nicht.

Außer den eigenen Arbeiten (Wehrstedt et al. 2000a, b; Tennstedt et al. 2000b) sind bisher keine weiteren Anwendungen der Telepathologie in der Fetalpathologie bekannt geworden.

Konsultation während der Autopsie (online)

Die Ergebnisse der Studie an 10 Fällen unterschiedlicher Schweregrade (s. 4.6.2) zeigen, dass alle Fragen im Zusammenhang mit einer Sektion telepathologisch (online, Videokonferenz) genauso gut geklärt werden könnten, wie es konventionell (erfahrener Pathologe wird in den Sektionssaal gerufen) der Fall gewesen wäre. Da gerade in kleinen Einrichtungen kein entsprechend erfahrener Pathologe verfügbar ist, bleibt nur das Einschicken der Organe bzw. des Feten, wie dies in der Tabelle 30 dargestellt ist. Einer Zeit von 1­2 Stunden für die telepathologische Konsultation, stehen Tage für die konventionelle Konsultation über den Postweg gegenüber. Die Qualität der Bilder wurde als völlig ausreichend empfunden (Auflösung 762 x 508 Pixel). Durch Abspeicherung entsprechender Bilder konnte auch die Dokumentation der Konsultationen mit wenig Aufwand gesichert werden. Als besonders wichtig für die telepathologische Konsultation wurden folgende Faktoren empfunden:

Konsultation nach der Autopsie (offline)

Im Rahmen der Herzstudie (s. 4.6.3) konnte gezeigt werden, dass eine effektive und sichere Diagnostik am Beispiel angeborener Herzfehler unter Einsatz der Telepathologie prinzipiell möglich ist. Der hohe zeitliche Aufwand für Präparation, Präsentation und Falldarstellung wird relativiert, da die Anzahl der komplexen Herzfehler begrenzt ist (ca. 30 Fälle pro Jahr). Dieser zeitliche Mehraufwand von im Mittel 1­2 h pro Fall kann noch reduziert werden, wenn die eingesetzte Powerpoint­Präsentation durch ein HTML­File ersetzt wird, welches direkt aus dem am Arbeitsplatz für Fetalpathologie seit 1995 eingesetzten elektronischen Befundverwaltungssystem PIA (Professional Image Archivierung, Viewpoint Bildverarbeitung GMBH, Gilching, Germany) erzeugt wird.

Ein Problem bei der Aufnahme makroskopischer Bilder ist die Tiefenschärfe in Anhängigkeit vom eingesetzten Objektiv. Im Gegensatz zum Mikroskopbild, welches bei einem ordnungsgemäß angefertigten histologischen Präparat immer in Gänze scharf fokussiert werden kann, hat man bei ausgedehnten makroskopischen Objekten auch unscharfe Bereiche in den Bildern. Unter anderem führte auch dieser Fakt trotz erheblichen Aufwandes bei der Strukturierung der Anfrage einschließlich des Anbringens ausführlicher anatomischer/pathomorphologischer Beschriftungen zu Rückfragen bei ca. 1/3 der Fälle. Alle Rückfragen konnten jedoch problemlos in der Regel durch Zusendung weiterer Bilder und Befundangaben beantwortet werden. Im Gegensatz zur oben dargestellten dynamischen Bildübertragung während der Autopsie sind die „Standbilder“ der Herzstudie schwerer interpretierbar. Hier könnte die Aufnahme kleiner Videosequenzen, einschließlich verbaler Präsentation eine erhebliche Verbesserung bringen. Diese Technik wird beispielsweise von Siemens erfolgreich für die Erstellung von so genannten „Multimedia­Befunden“ zum Augenhintergrund eingesetzt (Schmidt et al. 2001).


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Als besonders wichtig für diese Form der Konsultation wurden die folgenden Punkte angesehen:

Durch das Einholen einer zweiten Meinung bei einem Experten kann die Qualität der Diagnostik der Herzfehler erhöht werden, weil Obduzenten mit wenig Erfahrung auf diesem Spezialgebiet sich der Gefahr aussetzen, pathologische Befunde zu übersehen oder diese nicht richtig zu diagnostizieren. Die Zuordnung eines Befundes zu einem komplexen Herzfehler kann ebenfalls große Probleme bereiten.

Effekt des Einsatzes der Telepathologie

Durch den Einsatz der Telepathologie ist es möglich, mit verschiedenen Experten unabhängig von ihrer geographischen Entfernung, in Kontakt zu treten. Dies kann auch parallel erfolgen. Dies ist eine Möglichkeit, um in der Zukunft die wachsenden qualitativen Anforderungen an die Fetal­ und Kinderpathologie mit Blick auf die kleine Anzahl von Experten auf diesem Gebiet zu erfüllen.

Durch das Entstehen von Telepathologie ­ Konsultationszentren im Internet (AFIP, UICC­TPCC; Dietel, Nguyen­Dobinsky und Hufnagl 2000) eröffnet sich eine weitere Möglichkeit, schnell und sicher zu einer zweiten Meinung zu gelangen.

5.7. Zukünftige Bedeutung einer klinisch orientierten Autopsie

Die Umsetzung einer klinisch orientierten Autopsie im Rahmen der aktuellen und weiter wachsenden Forderungen seitens der Klinik, kann nicht losgelöst von der nationalen Entwicklung der Kinderpathologie betrachtet werden.

Zum Vergleich zunächst eine kurze Charakterisierung der Situation in den angelsächsischen Ländern.

Die Entwicklung bzw. Struktur der Kinderpathologie in den USA und Großbritanien unterscheidet sich deutlich von der in Deutschland. Das betrifft sowohl die Aus­ und Weiterbildung auf dem Gebiet der Kinderpathologie, als auch die Einbindung der Kinderpathologen in die Struktur des Klinikums.

An den Universitäten der USA existieren „Departments of Pathology“, die dem jeweiligen „Children hospital“ zugeordnet sind. Derzeit umfasst die Ausbildung: 4 Jahre anatomische Pathologie, 1 klinisches Jahr und 1 Jahr Kinderpathologie nach einem zugelassenen Programm durch das “American Board of Pathology” (Prof. E.S. Suarez, AFIP, persönliche Mitteilungen 2001).

Jährlich werden auf internationaler Ebene (in den USA und im englischsprachigen Raum) Weiterbildungen auf dem Gebiet der Kinderpathologie organisiert (z.B. International Paediatric Pathology Association). Im Hintergrund solcher Veranstaltungen stehen verschiedene Organisationen, wie z.B. die „Study Group for Complications of Perinatal Care“ und die „Society for Pediatric Pathology“. Wie in den USA werden im UK regelmäßig Weiterbildungen organisiert und Richtlinien für die fetal­ bzw. kinderpathologische Diagnostik erarbeitet (s. 4.3.1 internationale Richtlinien).

In Großbritanien gibt es an den Universitäten „Departments of Pediatric Pathology“, die mit dem jeweiligen „Hospital for Sick Children“ zusammenarbeiten. In diesen kinderpathologischen Instituten arbeiten Referenzpathologen auf dem Gebiet der Kinderpathologie, die sich während ihrer gesamten Arbeitszeit mit Kinderpathologie beschäftigen. Daneben gibt es Pathologen mit speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Kinderpathologie, die einen bestimmten prozentualen Anteil ihrer Arbeitszeit in der paidopathologischen Diagnostik tätig sind (Royal College of Pathologists, persönliche Mitteilungen 1990).

Demgegenüber existieren eigenständige kinderpathologische Abteilungen an deutschen Universitäten nur noch in Berlin und in Mainz. Kinderpathologische Funktionsbereiche sind in wenigen pathologischen Instituten deutschsprachiger Universitäten (Freiburg, Magdeburg, Hamburg, Halle, Basel, Graz, Zürich) vorhanden.

In Deutschland gibt es bisher keine anerkannte Subspezialisierung auf dem Gebiet der Kinderpathologie. Bereits 1992 lag von Böhm ein Entwurf zu Richtlinien über den Inhalt der Weiterbildung mit dem Schwerpunkt der Kinder­ und Entwicklungspathologie vor.

Seit 1986 existiert die Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Kinderpathologen unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (Prof. N. Böhm, persönliche Mitteilung).

Im Rahmen der speziellen diagnostischen Aus­ und Weiterbildung für Fachärzte werden lediglich [Seite 72↓]wenige Schnittseminare von der Deutschen Abteilung der Internationalen Akademie für Pathologie angeboten: Differentialdiagnosen in der Kinderpathologie (Müntefering et al., Mainz), solide Tumoren des Kindesalters (Harms, Kiel und Schmidt, Mannheim), Plazenta in der Frühschwangerschaft (Müntefering, Mainz und Vogel, Berlin).

Wie bereits Briner (2001) hervorgehoben hat, ist aus der Pädopathologie eine Embryo­Feto­Pädopathologie geworden, eine Pathologie der Entwicklung, was sich aus dem Wandel in Geburtsmedizin und Neonatologie heraus erklärt.

Aus den klinischen Forderungen an die Autopsie von Feten lassen sich im Wesentlichen folgende Anforderungen an die Autopsiemethodik und deren Dokumentation ableiten:

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Entwicklung der Kinderpathologie in Deutschland in den letzten Jahren nicht so verlaufen ist, wie es angesichts der in der vorliegenden Arbeit dargelegten klinischen Forderungen notwendig wäre. So ist die Kinderpathologie auch nicht auf die Einführung der DRG´s und die damit einhergehende Qualitätskontrolle der pränatalen Diagnostik vorbereitet. Die Umsetzung einer klinisch orientierten Autopsie ist dringend zu fordern, um die Autopsie als essentiellen Bestandteil perinataler Medizin weiter zu entwickeln. Andernfalls kann die Qualitätssicherung der pränatalen Diagnostik, insbesondere im Kontext von vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen von der Pathologie nicht geleistet werden.


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22.06.2005