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1.  Einleitung

Die Autopsie von Feten spielte lange Zeit lediglich eine untergeordnete Rolle. Eine Ursache dafür war die nur marginale medizinische Betreuung während Schwangerschaft und Geburt, so dass die überwiegende Zahl an Aborten und Totgeburten pathologisch-anatomisch nicht begutachtet werden konnte. Da man Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen vorgeburtlich nicht präzise diagnostizieren konnte, waren detaillierte pathologische Erkenntnisse darüber allenfalls von akademischem Interesse.

Die enorme Entwicklung der pränatalen Ultraschalltechnik in den letzten Jahren und der damit möglichen diagnostischen und therapeutischen Verfahren hat die klinische Sicht auf die Autopsie von Feten stark verändert. D.h. pränatal werden Fehlbildungen und pathologische Befunde detaillierter und zu einem früheren Zeitpunkt der Schwangerschaft erkannt. Zusätzlich hat die zytogenetische und molekularzytogenetische Diagnostik eine erhebliche Bedeutung für die mögliche Zuordnung autoptischer Befunde zu einem Fehlbildungssyndrom bekommen, was die Grundlage für Aussagen zum Wiederholungsrisiko der Erkrankung darstellt.

Ausgehend von der aktuellen interdisziplinären Zusammenarbeit in der Prä- und Perinatalmedizin, an der pränatale Diagnostik, Geburtshilfe, Genetik, Neonatologie, Kinderchirurgie, Radiologie und Pathologie beteiligt sind (Abschnitt 1.1), sollen die veränderten klinischen Forderungen an die Autopsie von Feten abgeleitet werden (Abschnitt 1.2).

Im Abschnitt 1.3 werden die prinzipiellen Möglichkeiten des Pathologen für die Planung, Durchführung und Dokumentation der Autopsie von Feten dargestellt, um den veränderten klinischen Forderungen gerecht werden zu können.

1.1. Pränatalmedizin

1.1.1. Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Pränatalmedizin

Anliegen der heutigen modernen pränatalen Diagnostik ist es, neben der Erkennung einer Schwangerschaft und der Bestimmung des Schwangerschaftsalters, frühzeitig Normabweichungen in Form von Wachstums- und Entwicklungsstörungen sowie fetalen Erkrankungen zu erfassen (Bollmann et al. 1995) und wenn möglich, therapeutische Konsequenzen zu ziehen.

Umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen, die dazu nötig sind, kann der Diagnostiker nur an großen Kliniken mit Zentralisierung gewinnen. In den frühen 80er Jahren etablierten sich weltweit pränatalmedizinische Zentren (z.B. in London, Paris, New York, München und Berlin) mit umfangreichen pränatal-diagnostischen und -therapeutischen Möglichkeiten.

Die wesentlichen Abläufe in der Pränatalmedizin sind im nachfolgenden Schema (Abb.1) dargestellt.


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Abb. 1: Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Prä- und Perinatalmedizin

1.1.2. Pränatale Diagnostik und Therapie

Blastopathien sind Entwicklungsstörungen, die während der Blastozystogenese (1.-18. Entwicklungstag) entstehen. Embryopathien sind Einzel- oder Mehrfachfehlbildungen, die durch eine Schädigung der Frucht zwischen dem 19. Entwicklungstag und dem Ende des 56. (84.) Entwicklungstages zustande kommen. Embryopathien sind genetisch bedingt oder Folgen äußerer Ursachen (z.B. Medikamente, Strahlen, Infektionen etc.). Fetopathien sind Erkrankungen, die auf eine Fruchtschädigung während der Fetalperiode (≥ 11. Entwicklungswoche) zurückzuführen sind. Ursachen sind intrauterine Infektionen, endokrine Störungen, Enzymdefekte oder immunologische Reaktionen. Zu diesem Zeitpunkt der intrauterinen Entwicklung sind die Organe bereits angelegt, so dass durch die Schädigung keine Fehlbildung mehr, sondern eine Erkrankung der feto-plazentaren Einheit hervorgerufen wird.

Etwa 3% der Neugeborenen zeigen schwere Einzelfehlbildungen, bei einem geringeren Teil, etwa 0,7%, liegt ein multipler Fehlbildungskomplex vor (Connor und Ferguson-Smith 1993). Die wichtigsten Fehlbildungen treten mit einer Häufigkeit von 1:1.000 bis 1:10.000 Geburten auf (Witkowski et al. 1995). Die Diagnostik extrem seltener Fehlbildungen erfordert eine hohe Qualifikation des Untersuchers. Sehr erfahrene Pränataldiagnostiker erkennen in Deutschland 90% aller morphologischen Fehlbildungen, während bei Basisuntersuchungen niedergelassener Frauenärzte nur 20-40 % erfaßt werden (Meinel 1995).


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Durch die rasante technische Entwicklung im Bereich der pränatalen Diagnostik und die gestiegenen Erfahrungen der Geburtshelfer in den letzten Jahren werden Fehlbildungen zu einem früheren Zeitpunkt der Schwangerschaft und detaillierter erkannt (Chaoui und Bollmann 1994a, Sohn und Holzgreve 1995, Bollmann et al. 1997, Frommelt und Frommelt 1999, Neilson 2000). Als Folge dieser Entwicklung hat sich der Anteil an vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen zu einem früheren Zeitpunkt der Schwangerschaft erhöht (Tennstedt et al. 2001). Somit gelangen mehr kleinere Feten aus frühen Schwangerschaftswochen zur Autopsie.

In der pränatalen Diagnostik finden sowohl bildgebende Verfahren als auch invasive Untersuchungstechniken Anwendung, mit deren Hilfe fetale Erkrankungszustände in utero erfasst werden können. So kann z.B. anhand eines typischen kardiotokographischen Herzfrequenzmuters einer Tachykardie auf eine mögliche intrauterin aszendierende Infektion des Feten geschlossen werden (Dudenhausen und Bartnicki 1994).

Bildgebende Verfahren in der pränatalen Diagnostik

In der Geburtshilfe und Gynäkologie wurde die Ultraschalldiagnostik 1957 zum ersten Mal eingesetzt. Donald und Brown entwickelten einen zweidimensional abbildenden Scanner, mit dem sie erstmals Ultraschallaufnahmen von einer Schwangerschaft erzeugten (Donald et al. 1958). Der Nutzbarmachung des Dopplereffektes in der Medizin folgte wenig später die erste Anwendung der Dopplertechnik zum Nachweis fetaler Herztöne (Callaghan et al. 1964). Die weitere Entwicklung der Ultraschalltechnologie stellte der pränatalen Diagnostik eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren zur Verfügung, die bei spezifischen Fragestellungen eingesetzt werden.

Gegenwärtig ist die Standardmethode der pränatalen Ultraschalluntersuchung die sogenannte B-Bild-Technik (Tab. 1). Mit dieser zweidimensionalen Untersuchungsmethode ist eine exakte Untersuchung des Feten sowie die Erhebung von Messdaten möglich. Durch die langsame Schallkopfbewegung ist der Untersucher in der Lage, ein „dreidimensionales„ Bild zu generieren. Die B-Bild-Sonographie ist die Basis für alle weiteren speziellen Ultraschalluntersuchungstechniken: Dopplersonographie, Farbdopplersonographie. Die M-Mode-Sonographie wird zur Arrhythmiediagnostik des fetalen Herzens eingesetzt.

Mit der Dopplersonographie und der Farbdopplersonographie kann funktionell die Hämodynamik des kardiovaskulären Systems des Feten nichtinvasiv untersucht und beurteilt werden.

Die dreidimensionale Sonographie hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte erzielt, stellt jedoch aufgrund verschiedener Probleme derzeit noch keine Routinemethode in der Geburtshilfe und pränatalen Diagnostik dar (Blaas et al. 2000, Downey et al. 2000, Chaoui et al. 2001, Shih et al. 2001). Es wird erwartet, durch die räumliche Abbildung Fehlbildungen in ihrer Lokalisation und in ihrem Ausmaß wesentlich sicherer als im zweidimensionalen Bild beurteilen zu können (Johnson et al. 2000). In der Praxis werden jedoch bisher nicht mehr Fehlbildungen als im B-Bild erkannt. Mit der Weiterentwicklung der Technik zur 4D-Sonographie, unter Einbeziehung der Zeit als 4. Dimension, steht inzwischen ein Online-Verfahren zur pränatalen Diagnostik zur Verfügung.


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Tab. 1: Sonographische Verfahren in der pränatalen Diagnostik

Bildgebendes Verfahren

Untersuchungskatalog

B-Bild-Technik
(2D-Schnittbildtechnik)

Biometrie des Fetus (Wachstum- und Reifebestimmung),
Beurteilung von Organstrukturen (Anomalien/ Fehlbildungen)



Doppler­sonographie

Spektraldopplertechnik
(PW-Doppler,
CW-Doppler)

Quantifizierung der Hämodynamik des kardiovaskulären Systems,
Messung von Blutflussgeschwindigkeiten

Farbdopplersonographie CPA

Sofortige Übersicht über die allgemeine Hämodynamik des kardiovaskulären Systems, auch in kleinsten Gefäßen, z.B. Hirnbasisarterien ab ca. 12. SSW, Aorta und Arteria umbilicalis ab 10. SSW durch transvaginale CPA

3D-Sonographie
(4D-Sonographie)

Räumliche Darstellung von Strukturen/ Oberflächen, Voluminaberechnungen z.B. Beurteilung der Größe und Lokalisation eines Tumors zur Operationsplanung; Seitenlokalisation und Ausdehnung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten)

Abkürzungen: CW-Doppler-Continuous-Wave-Doppler., PW-Doppler-Pulsed-Wave-Doppler, CPA-Color-Power-Angiographie, M-Mode zur Arrhythmiediagnostik des fetalen Herzens

Invasive pränatale Diagnostik und Therapie

Die Amniozentese (Fruchtwasserpunktion, ab der 15. Schwangerschaftswoche) ist das gegenwärtig in Deutschland am häufigsten verwendete invasive Verfahren zur pränatalen Diagnose fetaler Chromosomenaberrationen (Deutsche Forschungsgemeinschaft 1992). Sie ist eine Methode mit hoher diagnostischer Sicherheit bei relativ niedrigem Eingriffsrisiko (National Institute of Child Health and Development 1978, Tabor et al. 1986, Mulvey and Wallace 2000). Der Befund ist nach ca. 10 Tagen zu erwarten (Tab. 2). In speziellen Zentren gibt es die Möglichkeit, durch die FISH-Testung (Floureszenz-in-Situ-Hybridisierung) bereits nach 24 Stunden Aussagen über das Vorhandensein von Trisomie 21,18 und 13 zu machen.

Mit Hilfe der Chorionzottenbiopsie (CVS-Chorion villous sampling, ab der 11. Schwangerschaftswoche) werden Zellen des Chorions gewonnen, welche nach Zellkultivierung außer zum Nachweis von Chromosomenanomalien durch Karyotypisierung auch zum Nachweis biochemischer Defekte in der Diagnostik von Stoffwechselkrankheiten dienen. Ein erster Befund der Chromosomenanalyse liegt bereits nach wenigen Tagen vor. Zur Absicherung des Ergebnisses wird noch eine Langzeitkultur angelegt, die nach ca. 10-14 Tagen in 98% der Fälle das erste Ergebnis bestätigt.

Bei der Plazentazentese erfolgt die Materialgewinnung im Unterschied zur Chorionzottenbiopsie im zweiten und dritten Trimenon. Sie stellt eine Alternative zur fetalen Blutentnahme durch Nabelschnurpunktion dar. Sowohl Chorionzottenbiopsie als auch Plazentazentese sind heute in vielen Zentren weltweit etabliert (Kuliev et al. 1993, Eiben et al. 1998, Tavares et al. 1998, Jakobs et al. 2000, Spencer et al. 2000).

Indikationen zur Cordozentese (Nabelschnurpunktion, Fetalblutentnahme), die gewöhnlich ab der 20. Schwangerschaftswoche möglich ist, sind eine schnelle Karyotypisierung aus fetalen Lymphozyten, fetale Infektionsdiagnostik, fetale Anämiediagnostik und Blutgruppenbestimmung. Das Ergebnis liegt in knapp einer Woche vor. Weiterhin kann eine Cordozentese auch als therapeutische Maßnahme durchgeführt werden, z.B. als Bluttransfusion bei fetaler Anämie bzw. Medikamentengabe bei fetaler Arrhythmie.


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Tab. 2: Materialgewinnung zur humangenetischen fetalen Diagnostik

Verfahren

Untersuchungs­material

Schwangerschafts­woche

Befunddauer

Ergebnis

Pränatal

Chorionzottenbiopsie

Zellen des Chorion frondosum

ab 11. SSW

ca. 1-2 d
(Kurzzeitkultur)

Chromosomenanalyse (numerisch und grobmorphologisch)

ca. 10-14 d (Langzeitkultur)*

Chromosomenanalyse,
DNA-Analyse
biochemische Analyse

Plazentazentese

Trophoblast und Stromazellen

ab 14. SSW

ca. 1-2 d
(Kurzzeitkultur)

Chromosomenanalyse (numerisch und grobmorphologisch)

ca. 10-14 d (Langzeitkultur)*

Chromosomenanalyse,
DNA-Analyse,
biochemische Analyse

Amniozentese

Fetale Zellen (Haut, Harn­trakt) und Amnionzellen

ab 15. SSW

ca. 10-14 d*

Chromosomenanalyse,
DNA-Analyse,
biochemische-Analyse

ca. 24 h (FISH)

Interphasekern-Diagnostik (Aneuploidie-Screening z.B. pränataler Schnelltest, Kontrolle von Mosaik­befunden)

Cordozentese

fetale Lymphozyten

ab 20. SSW

2-3 d

Chromosomenanalyse

Postnatal

 

Fetale Lymphozyten (Blut), Fibroblasten (Hautbiopsie),
Zellen des Urinsediments,
Andere Geweben (z.B. Abortmaterial)

 

2-3 Wochen

Chromosomenanalyse

Abkürzungen: FISH-Floureszenz-in-situ-Hybridisierung, SSW-Schwangerschaftswoche; * Zeiten beziehen sich auf Chromosomenanalyse

Konsequenzen, die sich aus den mit verschiedenen Verfahren erhobenen Befunden der pränatalen Diagnostik ergeben, reichen von einer regulären Überwachung der Schwangerschaft bis hin zur Beendigung einer Schwangerschaft aufgrund schwerer Fehlbildungen.

Die älteste und erfolgreichste Form der pränatalen Therapie ist die Behandlung von fetalen Anämien bei Rhesusinkompatibilitäten (Holzgreve 1995). Derzeitig geht es insbesondere um die pränatale Behandlung bei obstruktiver Uropathie, Hydrothorax, Hydrozephalus, Ovarialzysten, angeborenen Zwerchfelldefekten, Myelomeningozelen des Fetus und Erkrankungen bei Zwillingen. (Jona 1998, Mauldin 2000, Walsh und Adzick 2000, Edwards et al. 2001). Die intrauterine Behandlung angeborener Herzfehler und Gefäßfehlbildungen ist bisher in der Routine noch nicht etabliert (Cohen 2001, Manning und Archer 2001).

1.1.3. Stellenwert der Genetik

Bei immer mehr Krankheiten, Fehlbildungen und Syndromen werden die genetischen Ursachen entdeckt, so dass von der Humangenetik ein entscheidender Beitrag zur Klärung der [Seite 6↓]Fehlbildungsursachen geleistet wird.

Statistische Erhebungen aus den letzten beiden Jahrzehnten haben gezeigt, dass in Mitteleuropa ca. 5% der Kinder mit einem vorwiegend oder teilweise genetisch bedingten Defekt geboren werden, dass ein großer Teil der Todesfälle im Kindesalter durch derartige Schäden verursacht wird und dass unter den Erwachsenen 50% an einer zumindest von genetischen Faktoren mitbedingten Störung leiden (Witkowski et al. 1999).

Bei etwa 3% der Neugeborenen liegt eine klinisch relevante Einzelfehlbildung und bei 0,7% liegen multiple Fehlbildungen vor (Buselmaier und Tariverdian 1999). Zum Zeitpunkt der Konzeption ist die Häufigkeit von schweren Fehlbildungen wesentlich höher, wobei der größte Teil dieser Embryonen bereits intrauterin abstirbt. Bei etwa 15 % von spontan abortierten Feten aus dem ersten Trimenon liegen schwere Fehlbildungen vor. Ca. 50-60% dieser Fehlbildungen, die zum intrauterinen Fruchttod führen, werden durch eine Chromosomenaberration verursacht.

Etwa 7,5% der angeborenen Fehlbildungen haben eine monogene Ursache, 20% sind multifaktoriell bedingt und bei 6% liegt eine Chromosomenstörung vor (Connor, Ferguson, Smith 1993). Bei etwa 60% aller schweren Fehlbildungen, die bei der Geburt erkannt werden (Lebend- und Totgeborene), ist die Ätiologie noch unbekannt. In ca. 3% werden kongenitale Fehlbildungen durch mütterliche Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus oder maternale Phenylketonurie), in ca. 2% durch intrauterine Infektionen und in ca. 1,5% durch exogene Faktoren (Alkohol, Drogen, Medikamente, ionisierende Strahlen u.a.) verursacht.

Mit der zunehmenden Kenntnis genetischer Grundlagen von normalen Lebensvorgängen und Krankheiten hat auch die Frage nach den Ursachen komplexer Fehlbildungssyndrome ein verstärktes Interesse erfahren. Zytogenetische, molekularzytogenetische und molekulargenetische Untersuchungstechniken, die prä- und postnatal gut einzusetzen sind, ergänzen heute die klinisch-genetische Diagnostik einer rasch wachsenden Anzahl von Syndromen (Tab. 2).

Mit Hilfe von molekularzytogenetischen Methoden wie Floureszenz-in-situ-Hybridisation (FISH) mit lokusspezifischen Sonden gelingt es bei Mikrodeletionssyndromen (z.B. CATCH22, Prader-Willi/Angelman-Syndrom u.a.) eine beschriebene Strukturveränderung (Mikrodeletion) an einem bestimmten Chromosom nachzuweisen.

Für die Beschreibung und Klassifizierung der angeborenen morphologischen Auffälligkeiten wurde nach pathogenetischen Kriterien eine Nomenklaturempfehlung von einer internationalen Arbeitsgruppe publiziert (Spranger et al. 1982, Martinez-Frias et al. 1998). Sie werden in primäre Fehlbildungen, Disruptionen, Deformationen und Dysplasien untergliedert. Die Anwendung dieser Kriterien zwingt einerseits zu pathologisch-orientiertem Denken, andererseits werden Rückschlüsse auf die Entstehung der Anomalien und die Zuordnung zu einem bestimmten Fehlbildungssyndrom möglich.

Obwohl für Feten mit schweren, oft schon in der frühen Schwangerschaft erkannten Entwicklungsstörungen meist keine Therapiemöglichkeit besteht, ist pränatal eine sorgfältige und gesicherte Diagnostik auf verschiedenen Strukturebenen (angefangen von der Ebene Chromosom/ Gen/ Protein über Fehlbildungen der Organe und Funktionsstörungen bis hin zur Familienanamnese) von enormer Bedeutung. Sie erlaubt Rückschlüsse auf die Ätiopathogenese/ Entstehung der Störung, auf die Prognose für den Fetus und die betroffene Schwangerschaft sowie auf ein mögliches Wiederholungsrisiko.

Auch wenn eine Beendigung der Schwangerschaft geplant ist, sollte versucht werden, pränatal Material zu asservieren, da oft nicht voraussehbar ist, in welchem Zustand der Fetus ausgestoßen wird. Eine sichere Diagnosestellung kann dann unmöglich sein. Ein Teil des autoptisch entnommenen fetalen Gewebes sollte für spätere Untersuchungen tiefgefroren asserviert werden.

1.1.4. Postmortale Radiographie

Die postmortale Radiographie ist eine Untersuchungsmethode, mit der pathologische Skelettveränderungen bei der Einordnung von Fehlbildungssyndromen beurteilt werden können. Insbesondere ist sie unerlässlich im Rahmen der Diagnostik von Skelettdysplasien, wobei die gesamte Beurteilung der interdisziplinären Befunde erforderlich ist (Seppanen 1985, Spranger und Maroteaux 1990, van der Harten et al. 1990, Maroteaux und Le Merrer 1997).


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1.1.5.  Stellung der Pathologie

Nur durch die Autopsie können die pränatal-sonographischen fetalen Befunde, die im Zusammenhang mit der Indikation einer vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft stehen, verifiziert werden.

Die Entscheidung über die Beendigung einer Schwangerschaft erfolgt immer auf der Grundlage des Gesetzes zum Schwangerschaftsabbruch (Tröndle und Fischer 2001, Strafgesetzbuch, § 218,). Die Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch darf nur erfolgen, um eine Lebens- oder schwere Gesundheitsgefahr von der Schwangeren abzuwenden und bei voraussichtlicher schwerwiegender Behinderung des Kindes, wenn hieraus eine Gefahr für die Schwangere zu erwarten ist.

Deshalb ist es ausserordentlich wichtig, eine ständige Qualitätskontrolle der pränatalen Diagnostik zu sichern, was nur durch eine Sektion gewährleistet werden kann.

Das Ergebnis der Autopsie mit Festlegung der abschließenden Diagnose einschließlich klinisch-genetischer, zytogenetischer, molekularzytogenetischer und molekularpathologischer Untersuchungsergebnisse sowie des postmortalen Radiogramms kann erhebliche rechtliche Konsequenzen für den Pränatalmediziner und für die genetische Beratung betroffener Familien haben.

Im Funktionsbereich „Pränatale Diagnostik und Therapie“ der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Charité wurden 1998 4226 Schwangere und 1999 4125 Schwangere und 2000 4394 Schwangere pränatal-sonographisch auf Fehlbildungen und Auffälligkeiten hin untersucht. Jährlich werden bei etwa 800 Feten pränatal Fehlbildungen und pathologische Befunde diagnostiziert. Von diesen gelangten 1998 120, 1999 114 und 2000 138 Fälle nach induziertem Abort zur Obduktion (Tab. 3). Daneben zählen zum Obduktionsgut Spontanaborte, Totgeborene und neonatale Todesfälle.

Tab. 3: Autopsiestatistik 1998-2000

Autopsiematerial

1998
n (%)

1999
n (%)

2000
n (%)

Induzierte Aborte

120 (64%)

114 (68%)

138 (70%)

Spontanaborte

36 (19%)

29 (17%)

32 (17%)

Totgeborene

11 (6%)

7 (4%)

8 (4%)

Neonatale Todesfälle, Säuglinge, Kinder

21 (11%)

18 (11%)

17 (9%)

Autopsien gesamt (%)

188 (100%)

168 (100%)

195 (100%)

1.2.  Anforderungsspektrum an die Autopsie von Feten

Wie oben dargestellt, kann die pränatale Diagnostik inzwischen hervorragend morphologische Befunde erheben und durch die Dopplertechnik auch funktionelle Veränderungen erfassen. Daraus leitet sich eine Nachfrage nach detaillierten autoptischen Befunden ab.

Die modernen klinischen Forderungen an die Fetalpathologie werden somit einerseits durch die Weiterentwicklung in der Pränataldiagnostik und -therapie und andererseits durch die Entwicklungen auf dem Gebiet der Humangenetik mit zunehmender Aufklärung der genetischen Ursachen von Fehlbildungen bestimmt.

Aus den veränderten klinischen Rahmenbedingungen (pränatale Diagnostik), lassen sich folgende klinische Forderungen an die Autopsie von Feten ableiten:

Nachfolgend werden die wichtigsten Anforderungen an die Autopsie kurz erläutert (Tennstedt et al.1997, Tennstedt und Vogel 2000d, Tennstedt et al. 2001b):

1.3. Planung und Dokumentation der Autopsie von Feten

1.3.1. Historische Entwicklung

Jakob Rueff aus Zürich veröffentlichte 1554 ein Buch über die Fortpflanzung des Menschen mit Beschreibung und Darstellungen möglicher fetaler Fehlbildungen. Das erste umfassende Werk über die Fetalentwicklung (De formatu foetu - Patav. 1600) verdankt die Medizin Fabrizio ´d [Seite 9↓]Acquapendente (Toellner 1992).

Die erste Darstellung eines Fetus im Uterus geht auf Leonardo da Vinci (1452-1519) zurück (Abb. 2). Hier zeigt Leonardo „das große Geheimnis des Schoßes“, wie er den innen wachsenden Fetus umschließt.

Abb. 2: Leonardo da Vinci „Der Fetus im Uterus“: Aufgeschnittener Uterus mit Fetus in Steißlage mit stark gewundener Nabelschnur. Feder und braune Tusche (drei Schattierungen) braun laviert, über Spuren von roter und schwarzer Kreide.

Als erstes wissenschaftliches Lehrbuch der Geburtshilfe mit zahlreichen Abbildungen kann das Hauptwerk des Begründers der neuzeitlichen Geburtshilfe François Mariceau (1637-1709) „Des maladies des femmes grosses et accouchées“ (“Die Krankheiten der Schwangeren und Gebärenden”; Paris 1668) gelten.

In der Folgezeit wurde die Pathologie entscheidend durch Morgagni (1682-1771) und Bichat (1771-1802) geprägt. Morgagni begründete die klinische Methodik mit der Rückführung postmortaler Befunde auf die Krankheit des Patienten. Bichat kann als der Wegbereiter der Histopathologie gelten. Obgleich er sich nie des Mikroskops bediente, definierte er das Gewebe als strukturgebende Komponente des inneren Raumes, wobei sich erst sekundär das anatomische Element als begrenzend, ausfüllend und funktionell formt. Die Entdeckung des Mikroskops für die medizinische Forschung erfolgte bereits früher (Malpighi 1628-94), ebenso dessen Nutzung zur Begutachtung embryologischer und fetaler Strukturen.

Anatomie und pathologische Anatomie standen jahrhundertelang im Zentrum medizinischer Forschung. Eine Verbindung zwischen klinischer Medizin und Autopsie beruhte überwiegend auf dem Interesse einer Person für zwei oder mehrere Fächer. So nahm 1804 der Chirurg und Geburtshelfer Jean-Fr. Lobstein schließlich den Lehrstuhl für pathologische Anatomie in Straßbourg an.

Seit Ende des 18. Jahrhunderts existieren Aufzeichnungen und Präparatesammlungen seltener Fehlbildungen, wie z.B. ein Fetus mit zwei Köpfen, ein hochgradiger Wasserkopf sowie ein Neugeborenes mit großer Schädelbasisgeschwulst (im „Museum anatomicum academiae Lugduno-Batavae descriptum“ von Eduard Sandifort 1793).

Zunehmend häufiger wurden „Phänomene“ (Fehlbildungen) bei Feten beschrieben. Zahlreiche wissenschaftlich arbeitende Mediziner begannen, ihre seltenen und kuriosen Beobachtungen und Untersuchungen zu dokumentieren und legten Sammlungen ihrer eigenen Schriften an, z.B. Frederick Ruysch (1638-1731), Mathias Saxtorph (1740-1800).

Die freie Form der Dokumentation damaliger Autopsien beschränkte sich meist auf einzelne interessierende Befunde. Dokumentiert findet man sie heute noch in den pathologisch-anatomischen, embryologischen und geburtshilflichen Lehrbüchern der damaligen Zeit. Charles Billard (1800-1832) veröffentlichte in „Traité des maladies des enfentes nouveannés á la manuelle“ (Abhandlung der Krankheiten von Neugeborenen und Brustkindern; 1828) die ersten fetal- und kinderpathologischen Bilder auf der Grundlage von Sektionen. Billard versuchte, die möglichen Zusammenhänge von vital-pathologischen Befunden und Autopsiebefunden zu veranschaulichen.

Als frühes Beispiel für die Versuche zur Systematisierung und zur Strukturierung von [Seite 10↓]Sektionsmethoden und deren Dokumentation können die Bemühungen von Rudolf Virchow (1821-1902) während seiner Tätigkeit als Prosektor an der Charité in Berlin gelten: „ Meine Aufgabe...war daher eine doppelte. Einerseits handelte es sich darum, die Sectionen in eine einzige Hand zu bringen, geordnete Protokolle einzuführen und diese zu sammeln, um brauchbare Summen zu gewinnen. ... Andererseits war es nothwendig, eine geordnete Methode der pathologisch-anatomischen Untersuchung zu finden und eine bestimmte Technik einzuführen... “ ( aus „Die Sections-Technik“, Virchow 1893).

In seinem Handbuch der „Sections-Technik“ ist neben der Beschreibung seiner Sektions­methode auch ein Protokoll der Autopsie eines totgeborenen Zwillings, vom 13. Dezember 1875 enthalten.

Virchow strukturierte die Sektionstechnik und deren Dokumentation bei der Autopsie des totgeborenen Zwillings folgendermaßen:

Die Grundstruktur dieser Protokollierung ist bis heute erhalten geblieben.

Die Entdeckungen auf biochemischem und genetischem Gebiet (lichtmikroskopische Darstellung der einzelnen Chromosomen seit 1956, die Entdeckung der DNA und die Identifikation von Gensequenzen) und besonders die Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten der Differenzierung des Feten, führten mit der schrittweisen Erkennung und Beschreibung der verschiedenen Syndrome zu einer umfangreichen fetopathologischen Ätiologie. Damit wurde die Voraussetzung für eine effiziente intrauterine Diagnostik und die Entwicklung erster pränataler Therapieansätze geschaffen.

Lange Zeit bestand nur geringes wissenschaftliches (allenfalls ein forensisches) Interesse an der Untersuchung von Feten. Das erklärt aus heutiger Sicht auch die fehlende klinisch-praktische Relevanz einer Autopsie von Feten.

Es spiegelt sich in der Entwicklung der Kinder- und Fetalpathologie wieder: „Die Paidopathologie (Kinderpathologie) war bis vor wenigen Jahren Stiefkind unseres Faches“ (Essbach 1961). Zu den wenigen systematischen Untersuchungen zählt z.B. die Entwicklung der Abwehrreaktion im Fetal- und Säuglingsalter, mit der sich besonders Rössle (1936) beschäftigte. Das Wissen um die Erkrankung des kindlichen Organismus hat sich in den 50er Jahren sprunghaft erweitert. Das galt besonders für die intrauterinen Entwicklungsperioden, aber auch für den perinatalen Lebensabschnitt. Als Folge davon haben sich Krankheitsbilder herauskristallisiert, die früher nicht in ihrer Prägnanz und Bedeutung erkannt worden sind, so z.B. der Morbus haemolyticus und haemorrhagicus, die Toxoplasmose, Listeriose und Einschlusskörperkrankheit. Über diese und andere Krankheitsbilder entstand zunehmend eine umfassende Literatur.

Mit der Monographie „Paidopathologie“ von Essbach (1961), wurde eine anschaulich-morphologische Darstellung der Kinderpathologie in Deutschland veröffentlicht. In diesem Buch basiert die Darstellung des Wissens auf Ergebnissen von etwa 5000 Kinderobduktionen (wenige Ausnahmen sind Rubeolenembryopathie und experimentelle Mißbildungsforschung). Das dargelegte Wissen im „Handbuch der Allgemeinen Pathologie und Pathologischen Anatomie des Kindesalters“ von Brüning und Schwalbe (1912-24) entsprach nicht mehr dem damaligen Wissensstand. Die erste Darstellung der Pathologie der feto-plazentaren Einheit (Kyematopathologie) erfolgte durch Kloos und Vogel (1974). Im außerdeutschen Bereich existierten nur wenige Veröffentlichungen: von der Amerikanerin Potter „Pathology of the Fetus and the Newborn” (1952), die „Études de Pathologie foetale et néonatale“ des Franzosen Sorba (1948), “Fetal and Neonatal Pathology” von Morrison (1952) und „Pediatric Pathology“ von Stowens (1959).

Der schnellen Entwicklung der pränatalen Diagnostik seit Anfang der 60er Jahre (Saling und Arabin 1988) und den sich im Gefolge weiter entwickelnden qualitativen klinischen Forderungen an die Autopsie von Feten folgte keine vergleichbare Weiterentwicklung in der Fetalpathologie. Die üblicherweise an den Regeln der Erwachsenenautopsie orientierte Autopsie von Feten erfüllt in keiner Weise diese veränderten klinischen Forderungen.


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Wie eine Auswertung von Autopsieprotokollen von Feten deutscher Universitätsinstitutezeigte, gibt es nur wenige Institute für Pathologie, die nach internationalem Standard (Royal College of Pathologists guidelines 1993; National Advisory Board for CESDI 1993; Society of Pediatric Pathology 1994; Valdés-Dapena/ Kalousek/ Huff 1997; Kalousek/ Wilson 1998; Sheaff/ Hopster 2001) die Autopsie eines Fetus durchführen. Die Ursachen dafür liegen u.a. im Mangel an entsprechend ausgebildeten Kinderpathologen (bisher keine anerkannte Zusatzbezeichnung für Kinderpathologie in Deutschland) und im Fehlen von Untersuchungsstrategien bei der Sektion von Feten mit speziellen Fragestellungen.

Wenn es den Pathologen in Zukunft nicht gelingt, eine an den klinischen Forderungen orientierte Autopsie von Feten zu etablieren, werden zwangsläufig weniger Kliniker eine Sektion beantragen. Unabhängig davon werden zum gegenwärtigen Zeitpunkt ca. 22-46% der pathologischen Befunde erst während einer Autopsie des Fetus gestellt (Shen-Schwarz et al. 1989, Grant et al. 1993, Vogel 1997, Tennstedt et al. 1998).

1.3.2. Moderne Methoden

Autopsiestrategie

Die Autopsiestrategie ist die Grundlage für eine erfolgreiche Autopsie. Auf der einen Seite hat der Pathologe die Möglichkeit, die Autopsie sehr stark an die klinischen Befunde angelehnt zu planen und durchzuführen. Auf der anderen Seite kann eine systematische Obduktion auch ohne vorherige Kenntnisnahme der klinischen Befunde erfolgen. Im ersten Fall besteht die Gefahr, durch eine zielgerichtete Autopsie wesentliche pathologische Befunde zu übersehen, die pränatal vom Kliniker nicht diagnostiziert wurden. Im zweiten Fall besteht das Risiko darin, pathologische Befunde, die außerhalb der Routinediagnostik liegen und deren detaillierte Darstellung den eigentlichen Wert der Autopsie für den Kliniker ausmacht, nicht zu untersuchen bzw. irreversibel zu zerstören. Weiterhin ist zu bedenken, dass in Abhängigkeit von der Schwangerschaftswoche ein differentes technisches Vorgehen sinnvoll ist: Obduktion auf dem Sektionstisch, Sektion unter dem Stereomikroskop oder Untersuchung des Organs nach Paraffineinbettung und Anfertigung von Serienschnitten.

Die Entwicklung einer Autopsiestrategie trägt deshalb entscheidend zur Hebung der Autopsie eines Fetus bei (Tennstedt und Vogel 2000d).

Autopsie von Feten: Arbeitsplatz

Eine Autopsie von Feten kann nicht adäquat an einem Arbeitsplatz für eine Erwachsenensektion mit dafür zugehörigem Instrumentarium durchgeführt werden. Die Etablierung eines entsprechenden Arbeitsplatzes mit allen notwendigen Hilfsmitteln (separater kleiner Sektionstisch, spezielles Sektionsbesteck, Stereomikroskop, Makroskop mit TV-Kamera, Mikroskop mit TV-Kamera, Raum-TV-Kamera, Befunddatenbank) ist deshalb notwendig (s. 3.4). Die schnelle und direkte interdisziplinäre Bereitstellung fetalautoptischer Befunde erfordert eine EDV-Lösung. Neben der elektronischen Dokumentation der Befunde, Organgewichte, etc. geht es um eine bildliche Dokumentation von Makroskopie und Mikroskopie, die durch den Einsatz digitaler Kameras gewährleistet werden kann. Der enorme Fundus an Bildern, der damit entsteht, kann jedoch nur adäquat durchsucht werden, wenn die Bilder mit entsprechenden Attributen versehen gespeichert worden sind. Dies routinetauglich zu etablieren und trotzdem die Standards einzuhalten, stellt ein schwieriges Problem dar. Ein Vorschlag dazu wurde aus unserer Arbeitsgruppe vorgelegt (Tietz, Dissertation 2000).

Elektronische Dokumentation der Autopsie eines Fetus

Eine nicht unerhebliche Bedeutung kommt der Dokumentation der Autopsie zu. Die wichtigsten Anforderungen an die Dokumentation der Autopsie sind:

Die elektronische Datenverarbeitung stellt heute die Technologie zur Verfügung, um Autopsieprotokolle strukturiert in Datenbanken zu verwalten, Diagnosekataloge (ICD, SNOMED) zu integrieren, Mikroskop- und Makroskopbilder sowie Videos digital zu archivieren. Durch die [Seite 12↓]interdisziplinäre Vernetzung (Tennstedt et al. 1997)ergibt sich die Möglichkeit, die Befunde allen interdisziplinären Partnern zur Verfügung zu stellen.

1.3.3. Telepathologie

Die große Vielfalt angeborener Fehlbildungen führt häufig dazu, dass das Einholen einer weiteren Meinung notwendig wird. Dies gilt für den unerfahrenen Pathologen, der sich an einen Facharzt wendet, wie für den Spezialisten, der sich mit einem anderen Spezialisten beraten möchte. Das Einholen einer weiteren Meinung ist jedoch in der Regel mit einem großen Aufwand verbunden. Es entsteht ein erheblicher zeitlicher Verlust allein durch den Postweg, der sich negativ auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit auswirken kann.

Hier stellt die Telepathologie eine Alternative dar. Telepathologie wird als Ausübung diagnostischer Tätigkeit über eine Entfernung unter Nutzung der Telekommunikation definiert (Kayser 1995, Williams und Moore 1997). Die Telepathologie ermöglicht es dem Pathologen, auf elektronischem Weg eine Diagnose zu stellen, ohne das Präparat (Sektionsgut, histologisches Schnittpräparat, zytologisches Ausstrichpräparat) physikalisch vor sich zu haben. Die Telepathologie kann prinzipiell in allen Teilgebieten der Pathologie eingesetzt werden (Sektion, Histologie, Zytologie, Quantifizierung morphologischer Veränderungen, Molekularpathologie, usw.).

In Schweden werden telepathologische Systeme bereits in der Routinepathologie eingesetzt (Busch 1992, Boeryd 1995, Busch und Olsson 1995). In Großbritanien wird ein kostengünstiges Netzwerk im Rahmen des nationalen Gesundheitsservices entwickelt (Rogers et al. 2001). In den USA wird eine telepathologische Diagnostik über das Internet (AFIP) angeboten. In Deutschland wird die Telepathologie seit Jahren erfolgreich an Universitäten und größeren Kliniken (Heidelberg, Giessen, Münster, Berlin) eingesetzt (Kayser et al. 1995a,b, Battmann et al. 2000, Ganslandt et al. 2000, Hufnagl et al. 2000b, c; Dietel et al. 2000a).

In der Fetalpathologie kann die Telepathologie während der Sektion des Fetus selbst, bei der Präparation der Organe und bei der histologischen Diagnostik eingesetzt werden (s. 3.5.2).

Nach derzeitigem Kenntnistand der zugänglichen Literatur gibt es noch keinen systematischen Einsatz der Telepathologie in der Fetalpathologie.

Vom Institut für Pathologie der Charité wurde zusammen mit der Leica Microsystems Wetzlar GmbH das Telepathologiesystem TPS entwickelt, das auch in der Fetalpathologie eingesetzt werden kann. (Hufnagl et al. 1999). Möglichkeiten und Probleme beim Einsatz der Telepathologie in der Fetalpathologie werden in der vorliegenden Arbeit dargestellt..

Bei der Übertragung von Bildern im Rahmen der Telepathologie gibt es eine Kette von aufeinanderfolgenden Einflussfaktoren auf die Bildqualität (s. Tab. 4).

Tab. 4: Einflussfaktoren auf die Bildqualität von der Aufnahme bis zur Darstellung makroskopischer Bilder

Bildüber­tragungs­kette

1. Aufnahme

2. Datenreduktion

3. Übertragung

4. Darstellung

Einfluss­faktoren

- Präparateigenschaften
- Beleuchtung
- Makroviewer- u. Mikroskopeinstellung
- Stereomikroskop­einstellung
- Kameraeigenschaften

- Inhalt
- Auflösungsänderung
-Kompressions­verfahren
- Kompressionsrate

- Übertragungsart
- Übertragungsweg
- Übertragungsge­schwindigkeit
- übertragungseigene Kompression

- Monitoreigenschaften
- Monitoreinstellung
- Monitorgrösse
- Umgebungs­verhältnisse

Die Bildkompression ist zur Realisierung einer schnellen Übertragung notwendig und somit ein entscheidender Bestandteil der Bildübertragungskette. Sie wurde deshalb im Rahmen einer spezifischen Studie untersucht.


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22.06.2005