Birnbaum, Jürgen: Gastrointestinaler Sauerstofftransport und Laktatstoffwechsel während des normothermen kardiopulmonalen Bypasses beim Menschen

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Kapitel 5. Diskussion

5.1. Diskussion der Methodik

5.1.1. Körpertemperatur

Grundgedanke bei der Bestimmung der Körperkerntemperatur ist die möglichst genaue Repräsentation der Temperatur in der Nähe des Hypothalamus, dem physiologischen Zentrum der Temperaturregulation. Wegen der möglichen hohen intraoperativen Temperaturgradienten von zentral (Tympanon, Nasopharynx, Ösophagus, Rektum, Harnblase) nach peripher (Axilla, großer Zeh, Stirn, andere Hautstellen) wird die Körpertemperatur möglichst zentral gemessen ( siehe ).

Neben der Messung der Harnblasentemperatur wird bei kardiochirurgischen Patienten die Temperatur am Trommelfell, in der Arteria pulmonalis, in der Speiseröhre und im Rektum bestimmt.

Da die Membrana tympani im Versorgungsgebiet der Arteria carotis interna liegt, entspricht die Temperatur am Trommelfell der Temperatur des Gehirns. Bei der Plazierung einer Temperatursonde besteht jedoch die Gefahr einer Trommelfellperforation ( siehe ). Dieses Risiko wird durch Infrarotthermometer deutlich verringert, das Meßverfahren erlaubt aber nur intermittierende Messungen.

Die Temperatur im Oesophagus variiert in Abhängigkeit von der Meßstelle ( siehe ) und wird neben der Bluttemperatur im Herzen auch durch Eröffnung des Thorax und durch die reduzierte Lungendurchblutung während der extrakorporalen Zirkulation beeinflußt.

Der rektale Temperaturmeßwert kann durch wärmeproduzierende Bakterien im Stuhl, zurückfließendes kaltes Blut aus den Beinen oder thermische Isolation durch den Stuhl verfälscht werden ( siehe ). Auch hier besteht die Möglichkeit einer Verletzung in Form einer Perforation des Rektums.


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Eine Messung der Bluttemperatur mittels des eingeführten Pulmonaliskatheters ist möglich und wird auch in der klinischen Routine durchgeführt, kann aber während des kardiopulmonalen Bypasses wegen der Ausschaltung der Lunge aus dem Blutstrom und der Eröffnung des Thorax keine verläßlichen Werte liefern.

In der vorliegenden Untersuchung wurde die Körpertemperatur kontinuierlich mittels eines Thermistors, der sich an der Spitze des Blasenkatheters befindet, überwacht. Im Vergleich mit den anderen Methoden scheint die Messung der Blasentemperatur eine genaue, praktikable und sichere Methode zu sein. Da Urin ein Ultrafiltrat des Blutes darstellt, repräsentiert die Blasentemperatur die Bluttemperatur ( siehe ). In einer klinischen Untersuchung zeigte sich eine gute Übereinstimmung zwischen der Temperatur in Harnblase, Speiseröhre und Arteria pulmonalis ( siehe ). Bei stabiler Körpertemperatur stimmen pulmonalarterielle Temperatur und Blasentemperatur gut überein. Die Menge des Urinflusses wird erst bei rapiden Temperaturänderungen bedeutsam ( siehe ). In der vorliegenden Studie waren zunächst keine Änderungen der Körpertemperatur zu verzeichnen. Erst nach Aufnahme auf die Intensivtherapiestation kam es zu einem langsamen Anstieg der Körpertemperatur. Daher kann die Methode der Blasentemperaturmessung bei der untersuchten Population als valide betrachtet werden.

5.1.2. Hb, Blutgase und Sauerstoffsättigung

Neben der in der vorliegenden Arbeit angewendeten Methode der Berechnung des Sauerstoffgehaltes existiert die Möglichkeit der Messung des Sauerstoffgehaltes ( siehe ). Nach Freisetzung von Sauerstoff aus dem Hämoglobin mittels Kaliumferrozyanid wird der Sauerstoffpartialdruck in der Lösung polarographisch bestimmt. Dieser ist dem Sauerstoffgehalt des Blutes proportional. Zwar ist diese Methode sehr genau und zuverlässig, die Verläßlichkeit und einfache Durchführbarkeit der Sauerstoffpartialdruck- und Sauerstoffsättigungsmessung mit modernen Analysegeräten haben jedoch dazu geführt, daß der Sauerstoffgehalt aus Hämoglobinkonzentration, Sauerstoffsättigung und Sauerstoffpartialdruck berechnet wird.


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5.1.3. Leberblutfluß und Determinanten des Sauerstofftransportes

5.1.3.1. Blutversorgung des Gastrointestinaltraktes und der Leber

Der Gastrointestinaltrakt wird arteriell im wesentlichen über den Truncus coeliacus, die Arteria mesenterica superior und Arteria mesenterica inferior versorgt. Daneben bestehen Verbindungen zum systemischen arteriellen Kreislauf über den Ösophagus und die Arteria iliaca interna, die am Gesamtblutfluß nur einen unwesentlichen Anteil haben.

Der überwiegende Teil des venösen Blutes aus dem Splanchnikusgebiet, einschließlich des Blutes aus Milz und Pankreas, fließt über die Pfortader ab, und zwar beginnend von der Kardia des Magens bis zur oberen Hälfte des Rektums. Venöse Verbindungen über die Venae oesophageae, die Paraumbilikalvenen und den Plexus venosus rectalis, sogenannte portokavale Anastomosen, sind beim Lebergesunden für den venösen Abfluß von untergeordneter Bedeutung.

Auf die Leber entfallen unter Normalbedingungen etwa 25% des Herzzeitvolumens. Davon wiederum gelangen etwa 25% über die Arteria hepatica zur Leber, das entspricht etwa 40 bis 50% der Sauerstoffversorgung der Leber. Wenn der Pfortaderblutfluß abnimmt, kommt es zu einem kompensatorischen Anstieg des Blutflusses der Arteria hepatica (hepatic arterial buffer response). Eine Autoregulation über die Arteria hepatica wird bis zu einem systolischen Blutdruck von 80 mmHg gesichert ( siehe , siehe ). Ändert sich jedoch der Blutfluß in der Arteria hepatica, kommt es zu keiner Änderung des Pfortaderblutflusses. Ein Anteil von 75% des Blutflusses zur Leber nimmt seinen Weg über die Pfortader. Wegen der niedrigen portalen Sauerstoffsättigung erfolgt die Sauerstoffversorgung der Leber nur zu 50 bis 55% über die Pfortader. In den Lebersinusoiden werden arterielles und Pfortaderblut vermischt und an den Hepatozyten der Leberläppchen vorbeigeleitet. Das Blut fließt dann über die Lebervenen in die untere Hohlvene ab.


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5.1.3.2. Messung des effektiven Leberblutflusses und Interpretation der Determinanten des Sauerstofftransportes

Im Darm ist die Blutversorgung seriell angeordnet. Das Blut aus den Mesenterialarterien durchfließt den Darm, gelangt dann über die Pfortader in die Leber, wird in die Lebervenen und folgend in die untere Hohlvene geleitet. Auch das Blut aus der Arteria hepatica gelangt über die Sinusoide in die Lebervenen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der Messung der Leberdurchblutung nach dem Fick-Prinzip. Das Fick-Prinzip erlaubt unter Steady-state-Bedingungen bei bekannter Eingangs- und Ausflußkonzentration die Berechnung des Blutflusses im untersuchten Organ.

Spricht man im Zusammenhang mit der Messung des Blutflusses durch die Leber nach dem Fick-Prinzip vom gastrointestinalen oder “splanchnic blood flow” ( siehe , siehe , siehe ), kann man leicht zu der Ansicht gelangen, daß die abgeleiteten Determinanten des Sauerstofftransportes vorbehaltlos auf den Darm bezogen werden können. Diese Methode läßt jedoch nur bedingt Rückschlüsse auf die Durchblutung in den einzelnen Teilen des gesamten Gastrointestinaltraktes zu. Besser sollte man vom effektiven Leberblutfluß sprechen, da Änderungen des Verhältnisses des Blutflusses von Arteria hepatica und Pfortader nicht differenziert werden können und etwaige Rückschlüsse auf den Sauerstofftransport und Sauerstoffverbrauch im Darm zu Fehlinterpretationen führen können. Beispielsweise kann ein Abfall der lebervenösen Sauerstoffsättigung verschiedene Ursachen haben, wie Abfall der Sauerstoffsättigung in der Pfortader, Abnahme des Blutflusses in der Pfortader oder Abnahme des Blutflusses in der Arteria hepatica propria. So konnte im Tierversuch gezeigt werden, daß sich bei Sepsis die Durchblutung der Leber über die Arteria hepatica vermindert ( siehe ). Am Herz-Lungen-Bypass können verschiedene Einflüsse, wie Temperatur, Pumpenfluß, pulsatiler oder nichtpulsatiler Fluß zur Veränderung des Blutflusses über Pfortader und Arteria hepatica führen ( siehe ). Eine Veränderung des Durchblutungsverhältnisses zwischen Arteria hepatica und Pfortader könnte in klinischen Untersuchungen nur in Verbindung mit Flußmessungen in der Pfortader nachgewiesen werden, was mit höherer Invasivität verbunden ist.

Der Sauerstoffantransport zur Leber über die Pfortader kann aufgrund von Minderdurchblutung des Darmes vermindert sein, aber über die Arteria hepatica propria


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ausgeglichen werden (hepatic arterial buffer response). Das Leberarterienblut wird so am Darm “vorbeigeshuntet”. Unter Umständen wird auf diese Weise eine völlig unveränderte Durchblutungssituation im Darm vorgetäuscht, obwohl die Darmdurchblutung drastisch abgenommen hat. Daher kann auch die gemischtvenöse Sättigung bei der Beurteilung regionaler Minderdurchblutungen am Herz-Lungen-Bypass wenig aussagekräftig sein. Obwohl sich beispielweise in Tierversuchen die Sauerstoffsättigung des Blutes im venösen Reservoir der Herz-Lungen-Maschine nicht änderte, fiel die Sättigung in der Pfortader deutlich ab ( siehe ). Eine regionale Darmischämie kann daher unerkannt bleiben.

Wird die Leberdurchblutung mit einem Verfahren gemessen, das auf der Extraktion von ICG ausschließlich in der Leber beruht, so können der errechnete Sauerstofftransport und Sauerstoffverbrauch andererseits nicht ausschließlich auf die Leber bezogen werden, da eine Sauerstoffausschöpfung auch schon im Darm oder in anderen gastrointestinalen Organen erfolgt. Man muß daher vom gastrointestinalen Sauerstofftransport und Sauerstoffverbrauch sprechen.

Problematisch ist auch der Rückschluß auf die Durchblutung der Darmmukosa, da das Blut, das durch den Darm fließt, unter Umgehung der Mukosa fließen kann. Es kann daher eine Mukosaischämie vorhanden sein, ohne daß der Blutfluß im Darm abnimmt.

Bei der Beurteilung der Durchblutungs- und Stoffwechselverhältnisse sollte also zwischen Gastrointestinaltrakt, Leber und Darm unterschieden werden. In Zusammenhang mit der Bestimmung des Blutflusses mittels der ICG-Clearance-Methode ist der Begriff “effektiver Leberblutfluß” angebracht. Dieser bezieht sich auf den Blutfluß, der mit stoffwechselaktiven Leberzellen in Verbindung kommt.

Spricht man allerdings vom gastrointestinalen Blutfluß, muß man sich darüber im klaren sein, daß das Blut auch unter Umgehung des Darmes oder zumindest der Darmmukosa durch den Gastrointestinaltrakt fließen kann.


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5.1.4. Techniken zur Messung des Leberblutflusses

Möglichkeiten zur Messung des Leberblutflusses wurden in einer Arbeit von Johnson zusammengefaßt ( siehe ).

Unterschieden werden direkte und indirekte Methoden. Direkte Methoden, wie intravasale Rotameter, Plethysmographie, elektromagnetische oder auf dem Dopplerprinzip beruhende Flußsonden, Transillumination und Thermodilution erfordern ein invasives Vorgehen und sind daher eher für Laboruntersuchungen oder Tierversuche geeignet.

Zu den indirekten Methoden zählen die Farbstoffverdünnungsmethode und Clearancemethoden.

5.1.4.1. Farbstoffverdünnungsmethode

Es werden hier Substanzen, die in der Leber nicht verstoffwechselt werden, wie beispielsweise Paraaminohippurat (PAH), in eine Mesenterialvene bis zum Erreichen eines Steady state infundiert. Weitere Katheter zur PAH-Konzentrationsmessung werden in die Pfortader, eine Lebervene und eine Arterie plaziert. Der Pfortaderblutfluß berechnet sich nach folgender Formel:

Hierbei ist I die Infusionsrate des Farbstoffes, cpv die Konzentration des Farbstoffes in der Pfortader und cart die arterielle Farbstoffkonzentration.

Der lebervenöse Fluß läßt sich analog berechnen:


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Hierbei ist clv die Konzentration des Farbstoffes in der Lebervene.

Der Blutfluß in der Arteria hepatica berechnet sich als Differenz zwischen Leberblutfluß und Fluß in der Pfortader. Eine Differenzierung zwischen arterieller und venöser Versorgung der Leber ist daher möglich. Der Nachteil der Methode besteht in der Notwendigkeit der Katheterisierung der Pfortader, einer Mesenterialvene und einer Lebervene. Da dazu eine Laparatomie notwendig ist, wird die Messung der Leberdurchblutung mit diesem Verfahren hauptsächlich in Tierexperimenten durchgeführt.

5.1.4.2. Clearancemethoden

Farbstoffe oder radioaktiv markierte Substanzen, die nur von der Leber aus dem Blutstrom eliminiert werden, können zur Bestimmung des Blutflusses in der Leber verwendet werden. Diese Substanzen werden entweder als Bolus appliziert oder kontinuierlich bis zum Erreichen eines Steady state infundiert.

Bei der Bolusmethode können beispielweise ICG oder BSP verwendet werden. Nach Verabreichen einer Einmaldosis werden in kurzen Abständen (z.B. 1 min.) gleichzeitig aus einer peripheren Arterie und der Lebervene Blutproben entnommen. Die Plasmakonzentrationen werden bestimmt, und die Clearance (C) des Stoffes kann berechnet werden ( siehe ):

AUCa (area under the curve, Blutspiegelkurve) ist die Fläche unter der Kurve der arteriellen Konzentration, die der Menge des eliminierten Stoffes entspricht. D ist die Bolusdosis. Die Multiplikation mit dem Faktor 1-Hämatokrit muß erfolgen, da die Bestimmung von ICG oder BSP im Plasma erfolgt und die Clearance aus dem Vollblut bestimmt werden soll.


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Die Extraktionsfraktion (ER) läßt sich wie folgt berechnen:

AUClv entpricht der Fläche unter der Kurve der lebervenösen Konzentration.

Aus der Clearance und der Extraktionsrate läßt sich der Leberblutfluß (HBF) nach folgender Gleichung berechnen:

Die von Bradley beschriebene Methode der kontinuierlichen Infusion eines Stoffes basiert auf dem Fick-Prinzip ( siehe ). Bei bekannter Infusionsmenge pro Zeiteinheit kann im Steady state aus der arterio-lebervenösen Konzentrationsdifferenz auf den Blutfluß geschlossen werden.

Die Anforderungen an die verwendeten Substanzen sind eine hohe hepatische Extraktionsrate und eine geringe Toxizität. Eine relevante extrahepatische Elimination und ein enterohepatischer Kreislauf sollten nicht vorhanden sein und der Nachweis der Substanzen sollte möglichst einfach sein. Neben ICG eignen sich dazu 14C-markiertes Taurocholat, Galaktose und BSP.

Eine Möglichkeit der Messung des Leberblutflusses besteht in der Verwendung von Galaktose, einem Zucker, der von der Leber aus dem Blut entfernt wird ( siehe ). Da bei gesunden Probanden die Clearance etwa gleich ist, kann auf die Plazierung eines Lebervenenkatheters verzichtet werden. Galaktose wird bis zum Erreichen eines Steady state infundiert. Der Leberblutfluß berechnet sich wie folgt:


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Dabei ist I die Infusionsrate und c die Konzentration von Galaktose im Blut nach kontinuierlicher Infusion bis zum Erreichen eines Steady state.

Voraussetzung für eine ausreichend hohe Meßgenauigkeit dieser Methode ist, daß sich die Galaktoseclearance während der Untersuchung nicht ändert, da der Leberblutfluß nur bei einer hohen Extraktionsrate für Galaktose (ca. 95%) berechnet werden kann. Bei reduzierter Extraktion in der Leber kann es zu Fehlern in der Messung des Leberblutflusses kommen, der Blutfluß wird zu niedrig gemessen ( siehe ).

Meßmethoden mit Hilfe von inerten Gasen, radioaktiv oder sonstig markierten Mikrosphären und Kontrastmitteln spielen bei der Bestimmung des Lebervenenblutflusses wegen des technischen Aufwandes nur eine untergeordnete Rolle. Die Messung mittels radioaktiv markierten Stoffen bringt keinen Vorteil, die Ergebnisse einer Messung mit ICG sind den Ergebnissen der Messung mit Stoffen wie 99mTc-diethyl-IDA (99mTc-diethyl-acetanilide-iminodiacetic acid) gleichwertig ( siehe ).

Da für die Berechnung des Leberblutflusses und der Extraktionsfraktion die Bestimmung der lebervenösen ICG-Konzentration eine entscheidende Rolle spielt, ist die korrekte Lage der Katheterspitze in der Lebervene von großer Bedeutung. Die Einführung des Katheters erfolgte unter Röntgenkontrolle, im Verlauf der Untersuchungen wurde die Position wiederholt sonographisch kontrolliert. Bei einem Patienten, der aus der Studie ausgeschlossen wurde, konnte dadurch eine Dislokation des Katheters in die untere Hohlvene nachgewiesen werden.

Bei schweren Leberfunktionsstörungen nimmt die Extraktionsrate von ICG in der Leber ab, sogar eine Rückdiffusion von Farbstoff aus dem Hepatozyten in die Lebervene wurde bei septischen Patienten beschrieben ( siehe ). Die Folge ist eine Annäherung von lebervenöser und arterieller Konzentration, die arterio-lebervenöse Differenz verkleinert sich und ein zu hoher Leberblutfluß wird vorgetäuscht. Bei sehr niedrigen Extraktionsraten resultiert aus einem kleinen experimentellen Fehler eine große Variation des Blutflusses. Da es bei Patienten mit sehr niedrigen Extraktionsraten zu Fehlbestimmungen des Blutflusses in der Leber kommen kann, wurden Patienten mit bekannter Lebererkrankung aus der Studie ausgeschlossen.


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Einen weiteren möglichen Störfaktor bei der Bestimmung der Leberperfusion stellt das sich unter Umständen ändernde Verteilungsvolumen unter Herz-Lungen-Maschinen-Bedingungen dar. Ursache können Infusionen, Transfusionen oder Ultrafiltration sein. In der Untersuchung wurde darauf geachtet, daß während der Messungen allenfalls minimale Volumina, beispielsweise über Spritzenpumpen, infundiert wurden.

Die Ergebnisse der Bolusmethode unter Verwendung eines Lebervenenkatheters sind mit denen der Infusionsmethode durchaus vergleichbar ( siehe ). Vor allem aus Gründen der Praktikabilität wurde der Methode der kontinuierlichen Infusion in der vorliegenden Arbeit der Vorzug gegeben. Auch die Bolusmethode wurde in klinischen Untersuchungen angewendet ( siehe ). Blutproben wurden in der genannten Arbeit 1, 2, 3, 4, 7 und 10 Minuten nach Bolusinjektion arteriell und lebervenös entnommen. Da vor Entnahme Blut abgezogen werden muß und der Katheter nach Blutentnahme gespült werden muß, bleiben für die eigentliche Blutentnahme bei sich schnell ändernden Farbstoffkonzentrationen nur wenige Sekunden. Als sogenannter katheterinduzierter Fehler ist eine lokale Zunahme des Blutflusses durch die Blutentnahme über den Katheter bekannt ( siehe ). Die Blutabnahmen müssen daher langsam erfolgen, um diesen Fehler zu verhindern. Auch wird so vermieden, daß unter Umständen trotz korrekter Lage des Lebervenenkatheters Hohlvenenblut mit aspiriert wird. Ist der entnommenen Probe Hohlvenenblut zugemischt, resultiert eine falsch niedrige Extraktionsfraktion. Kommt es während der Abnahme der Proben zu einer vorübergehenden Verlegung des Katheterlumens, so daß zum festgelegten Zeitpunkt kein Blut aspiriert werden kann, ist der Erfolg der gesamten Meßreihe in Gefahr, da beispielweise an der Herz-Lungen-Maschine nur begrenzt Zeit zur Verfügung steht. Während der Durchführung der vorliegenden Studie kam es mehrfach zu einem kurzzeitigen Verschluß des Lebervenenkatheters, der zum Beispiel durch das Anliegen der Katheterspitze an der Gefäßwand verursacht worden sein kann. Nur in einem Fall konnte die Durchgängigkeit des Katheters nicht wieder hergestellt werden, der Patient wurde aus der Studie ausgeschlossen.

Die Technik der kontinuierlichen ICG-Infusion zur Messung des effektiven hepatischen Blutflusses ist eine bewährte Methode, die in vielen klinischen Studien eingesetzt wurde ( siehe , siehe , siehe , siehe , siehe , siehe , siehe , siehe , siehe ). Dadurch können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit gut mit den Resultaten anderer Studien verglichen werden. ICG ist eine


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außerordentlich nebenwirkungsarme Substanz. Im Gegensatz zu den Farbstoffverdünnungsmethoden ist lediglich die Plazierung eines Lebervenenkatheters notwendig. Der quantitative Nachweis im Blut ist einfach und der analytische Fehler bei der ICG-Bestimmung beträgt nur etwa 2% ( siehe ).

5.1.5. pHi-Messung

Mittels der Tonometrie kann der intramurale pH-Wert der Magenschleimhaut oder unter Verwendung eines geeigneten Katheters auch des Sigmoids berechnet werden.

Der pHi gilt als guter Marker für eine adäquate Gewebsoxygenierung ( siehe , siehe , siehe , siehe ). In letzter Zeit werden aber auch zunehmend Zweifel an der Methode geäußert ( siehe ).

Im Tierversuch wurde gezeigt, daß der pHi bei einer durch eine Ischämie bedingten Verminderung des Sauerstoffangebotes erst ab einem kritischen Wert von 60,3 ± 1,6% des Ausgangssauerstoffangebotes abfällt ( siehe ). Unterhalb des kritischen Sauerstoffangebotes bestand eine enge Korrelation zwischen Veränderungen des intestinalen Sauerstoffverbrauches und dem intramuralen pH.

Da eine Verminderung der Durchblutung der Darm- oder Magenschleimhaut auch zu einer Verminderung der Sauerstoffversorgung der Schleimhaut und damit zu einem Abfall des pHi führt, liegt es nahe, aus dem Abfall des pHi im Umkehrschluß auf eine verminderte gastrointestinale Durchblutung zu schließen. In Tierversuchen konnte allerdings nicht immer ein enger Zusammenhang zwischen mit Dopplersonden gemessenem Mukosablutfluß und dem pHi gefunden werden ( siehe , siehe ). Ohri et al. fanden während der Wiedererwärmungsphase nach hypothermer extrakorporaler Zirkulation eine jejunale Schleimhauthypoperfusion trotz einer Erhöhung des lokalen Blutflusses. Dabei kam es zu keiner Veränderung des pHi ( siehe ).

Eine Azidose der gastrointestinalen Schleimhaut konnte auch beobachtet werden, ohne daß der auslösende Faktor dafür eine Gewebsischämie war. Es konnte gezeigt werden, daß Endotoxinämie und Sepsis ebenfalls zum Abfall des pHi führen, ohne daß eine


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Mukosahypoxie vorliegen muß ( siehe , siehe ). Beispielsweise führte im Tierversuch die Infusion von Lipopolysacchariden zu einer Mukosaazidose ( siehe ). Die pHi-Messung ist eine zuverlässige Methode bei der Aufdeckung einer Gewebsazidose, die durch eine Endotoxinämie hervorgerufen wurde ( siehe ), jedoch kann nicht auf die Ätiologie des pHi-Abfalles geschlossen werden.

Auch in klinischen Studien an kardiochirurgischen Patienten postoperativ auf der Intensivtherapiestation kam es bei erhöhtem gastrointestinalem Blutfluß und Sauerstoffangebot, jedoch bei unverändertem Sauerstoffverbrauch zu einem Abfall des pHi. Diese Untersuchungen zeigten, daß der pHi nach kardiochirurgischen Eingriffen Veränderungen des globalen Bluflusses im Splanchnikusgebiet nicht widerspiegelt ( siehe ).

Fraglich ist ferner, inwieweit der mit einer Tonometersonde lokal bestimmte pHi-Wert repräsentativ für den gesamten Gastrointestinaltrakt ist.

Kurzzeitige Veränderungen des pHi-Wertes entziehen sich aufgrund der relativ langen Äquilibrierungszeit ebenfalls dem Nachweis.

Voraussetzung für die Berechnung des pHi ist ein Übereinstimmen der intramuralen Bikarbonatkonzentration mit der arteriellen Bikarbonatkonzentration. Bei schweren Schockzuständen kann die intramukosale Bikarbonatkonzentration niedriger als die arterielle sein. Die ermittelten pHi-Werte sind dann falsch hoch ( siehe ).

Bei der Pufferung von Magensäure durch Bikarbonat aus der Bauchspeicheldrüse entsteht im Magenlumen CO2, welches in das Gewebe zurückdiffundiert. Um eine falsch niedrige pHi-Messung zu vermeiden, erhielten die Studienpatienten Ranitidin. Bei herzchirurgischen Patienten, die einen H2-Rezeptorantagonisten erhielten, korrelierte der pHi eng mit der hepatischen oder gastrointestinalen Oxygenierung, der Laktatkonzentration, dem pH und der lebervenösen O2-Sättigung ( siehe ).


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5.1.6. Laktat

Die Bestimmung der Laktatspiegel im Vollblut erfolgte mittels eines Glukose-Laktat-Analysators. Diese Methode ist unter klinischen und experimentellen Bedingungen schnell und präzise ( siehe ). Durch die Analyse unmittelbar nach der Entnahme konnte ein Anstieg der Laktatkonzentration auf falsch hohe Werte vermieden werden ( siehe ). Neben der Laktatmessung mittels des Glukose-Laktat-Analysators kann Laktat im Plasma, im hämolysierten oder nicht hämolysierten Vollblut durch spektrophotometrische, enzymatische und fluorometrische Verfahren bestimmt werden.

Für klinische Belange sind Laktatmessungen im Vollblut oder Plasma verwendbar und vergleichbar. Bei der Bestimmung im vollständig durch Enteiweißung hämolysierten Vollblut kommt es durch den relativ geringen intraerythrozytären Laktatgehalt zu einem Verdünnungseffekt und damit zu niedrigeren Laktatkonzentrationen im Vergleich zum nichthämolysierten Vollblut ( siehe ). Bei vollständiger Hämolyse fällt dadurch der Laktatwert um bis zu 20% ab. Während herzchirurgischer Eingriffe kann infolge mechanischer Beanspruchung der Erythrozyten durch die Herz-Lungen-Maschine eine Hämolyse auftreten. Diese ist in der Regel jedoch gering und beeinflußt daher den gemessenen Laktatwert nur unwesentlich. In der vorliegenden Studie wurden im Verlauf der Untersuchung erhöhte Laktatspiegel gefunden. Da aber keine klinisch relevante Hämolyse beobachtet werden konnte, ist eine Beeinflussung der Meßwerte durch den Hämolysegrad unwahrscheinlich.

Änderungen des Hämatokritwertes könnten bei der Bestimmung im hämolysierten Vollblut ebenfalls einen Einfluß auf den Laktatwert haben. Bei der polarographischen Meßmethode konnte jedoch keine Beeinflussung der Laktatkonzentration durch den Hämatokrit beobachtet werden ( siehe ).


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5.2. Diskussion der Ergebnisse

In der vorliegenden Untersuchung konnten während der normothermen extrakorporalen Zirkulation keine Änderungen des effektiven Leberblutflusses, des gastrointestinalen Sauerstofftransportes und gastrointestinalen Sauerstoffverbrauches beobachtet werden.

Obwohl das Studienziel die Untersuchung des gastrointestinalen Blutflusses unter normothermem Bypass war, darf der Blutfluß nicht isoliert betrachtet werden, sondern muß im Zusammenhang mit dem systemischen Sauerstofftransport diskutiert werden. Trotz eines verminderten Sauerstoffgehaltes infolge Hämodilution konnte der systemische Sauerstofftransport durch einen ausreichend hohen Pumpenfluß aufrechterhalten werden. Der mittlere systemische Sauerstofftransport am Bypass betrug 360 ml/min/m2 und lag damit über dem von Komatsu und Shibutani bestimmten kritischen Sauerstofftransport von 300 ml/min/m2 ( siehe , siehe ).

In einer tierexperimentellen Untersuchung wurde der normotherme kardiopulmonale Bypass von einer Verminderung der gastrointestinalen Sauerstoffversorgung begleitet ( siehe ). Bei einem Pumpenfluß von 1,27 l/min/m², der deutlich unter dem Herzzeitvolumen von 2,54 l/min/m2 vor Beginn des Bypasses lag, kam es in diesem Hundemodell während der extrakorporalen Zirkulation zu einem Abfall der Leberdurchblutung. Der geringe Pumpenfluß führte gemeinsam mit einem Hämatokritabfall zu einer Verminderung des systemischen Sauerstofftransportes um mehr als 60%. Außerdem fiel der mittlere arterielle Blutdruck während der extrakorporalen Zirkulation von 122 mmHg auf 64 mmHg. Dagegen war die extrakorporale Zirkulation in der vorliegenden Arbeit nur mit einem geringen Abfall des mittleren arteriellen Blutdruckes von 74,4 ± 8,9 mmHg vor dem Bypass auf 61,8 ± 10,3 mmHg am Bypass verbunden. Der systemische Sauerstofftransport und die gemischtvenöse Sauerstoffsättigung blieben während des Beobachtungszeitraumes unverändert. Die hämodynamischen Bedingungen in der Arbeit von Mathie und in der vorliegenden Studie sind daher nicht miteinander vergleichbar. Das unterschiedliche Verhalten des Leberblutflusses unter den Bedingungen des kardiopulmonalen Bypasses ist durch prinzipielle Unterschiede im Untersuchungsaufbau erklärbar.


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Die experimentellen Bedingungen in der tierexperimentellen Studie von Lees et al. sind nicht klar definiert ( siehe ). Angaben über den arteriellen Sauerstoffgehalt und den systemischen Sauerstofftransport liegen nicht vor. Interessanterweise war der Anteil des gastrointestinalen Blutflusses am Herzzeitvolumen vor Bypass bei den untersuchten Rhesusaffen mit 5,9% relativ gering. Der Pumpenfluß unter normothermem Bypass entsprach etwa dem Herzzeitvolumen vor extrakorporaler Zirkulation. Während der extrakorporalen Zirkulation kam es zu einer Verdreifachung des Anteiles des gastrointestinalen Blutflusses am systemischen Blutfluß. Beim Menschen beträgt der gastointestinale Blutfluß etwa 25% des Herzzeitvolumens. Dies entspricht den Ergebnissen der vorliegenden Untersuchung, da der Anteil des effektiven Leberblutflusses am Herzzeitvolumen vor dem Bypass 24,8% betrug.

Es lagen bisher keine Untersuchungen vor, in denen das Verhalten des Leberblutflusses unter normothermen Bypassbedingungen beim Menschen beschrieben wurde. Messungen mit Clearancetechniken wurden von Autschbach und Hampton unter milder bzw. mäßiger Hypothermie durchgeführt ( siehe , siehe ). Hampton beobachtete einen Abfall des effektiven Leberblutflusses während des CPB. In der Arbeit von Hampton wurden jedoch keine Angaben über des Verhältnis des Herzzeitvolumens vor Bypass gegenüber dem Pumpenfluß am Bypass gemacht. Da es am Bypass zu einem Abfall von Hämatokrit und mittlerem arteriellen Blutdruck kam, ist es naheliegend, daß systemischer und gastrointestinaler Sauerstofftransport abgefallen sind. Unter milder Hypothermie konnte Autschbach dagegen keine signifikante Änderung der Leberperfusion feststellen. Beide Untersuchungen wurden unter Bedingungen durchgeführt, die von einer hypothermiebedingten Verminderung der Stoffwechselaktivität begleitet waren. Eine Aussage über ein eventuell vorliegendes kritisches Verhältnis zwischen dem gastrointestinalen Sauerstoffverbrauch und dem Sauerstoffangebot ist daher nur eingeschränkt möglich.

Bei unverändertem gastrointestinalem Sauerstoffangebot und gastrointestinalem Sauerstoffverbrauch am Bypass konnte in der vorliegenden Arbeit auch kein Abfall der lebervenösen Sauerstoffsättigung beobachtet werden, der durch eine vermehrte Sauerstoffausschöpfung infolge erhöhten Verbrauches entstehen könnte. Aufgrund der berechneten Sauertofftransportparameter ist in bezug auf die Sauerstoffversorgung eine defizitäre Situation in der systemischen und gastrointestinalen Zirkulation unwahrscheinlich.


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Allerdings kann trotz aufrechterhaltener sytemischer und intestinaler Sauerstofftransportparameter eine regionale Ischämie durch Störung der Mikrozirkulation des Gastrointestinaltraktes nicht sicher ausgeschlossen werden, da sich etwaige Mikrozirkulationsstörungen bei dem Studiendesign der vorliegenden Arbeit dem Nachweis entziehen können.

Die postoperative Phase war durch einen Anstieg der globalen und regionalen Sauerstofftransportparameter gekennzeichnet. Eine Dissoziation des gastrointestinalen und systemischen Sauerstofftransportes konnte auch postoperativ nicht festgestellt werden, da der systemische Sauerstoffverbrauch und der gastrointestinale Sauerstofftransport um 51% bzw. 57% im Vergleich zu der Ausgangsmessung angestiegen sind. Wie auch intraoperativ blieben die lebervenöse und gemischtvenöse Sauerstoffsättigung postoperativ konstant, so daß eine kritische Situation in der Sauerstoffversorgung des Gesamtorganismus und des Gastrointesinaltraktes unwahrscheinlich ist.

Ein Anstieg des systemischen Sauerstoffverbrauches und der Körpertemperatur ist nach herzchirurgischen und anderen großen chirurgischen Eingriffen ein häufig beobachtetes Phänomen im Rahmen des Postaggressionsstoffwechsels ( siehe ). Gemeinsam mit dem Anstieg der Körpertemperatur ist der Anstieg von Sauerstofftransport und -verbrauch Ausdruck einer systemischen inflammatorischen Antwort auf das chirurgische Trauma. Nach koronarchirurgischen Eingriffen waren erhöhte Plasmaspiegel der inflammatorischen Zytokine mit Steigerungen im postoperativen Sauerstoffverbrauch verbunden ( siehe ). In der vorliegenden Arbeit ging die postoperative Erhöhung des Sauerstoffverbrauches mit einer proportionalen Steigerung des Herzzeitvolumens und des Leberblutflusses einher. Interessanterweise konnte bei septischen Patienten als Antwort auf den inflammatorischen Streß eine ähnliche Erhöhung des Leberblutflusses gezeigt werden ( siehe ).

Der intramurale pH wird als Parameter für die Mukosadurchblutung verwendet ( siehe , siehe , siehe ). Daneben können aber auch Endotoxinämie und Sepsis zum Abfall des pHi führen, ohne daß eine Mukosahypoxie vorliegt ( siehe , siehe , siehe ). In der vorliegenden Arbeit kam es während der extrakorporalen Zirkulation zu keinem Abfall des pHi, erst 7 Stunden nach Aufnahme auf die Intensivtherapiestation fiel der pHi signifikant ab. Dieses Ergebnis entspricht den Resultaten anderer postoperativer Untersuchungen bei herzchirurgischen


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Patienten nach hypothermem kardiopulmonalem Bypass ( siehe , siehe ). Bei Eingriffen unter Normothermie entfällt jedoch die Phase der Wiederaufwärmung, die einen besonderen gastrointestinalen Streß darstellt, da es dabei zu einem regionalen Mismatch zwischen Sauerstoffverbrauch und Sauerstoffangebot kommen kann ( siehe , siehe ). Aufgrund der gemessenen systemischen und gastrointestinalen Sauerstofftransportparameter kann eine Mukosaischämie nicht sicher ausgeschlossen werden. Der pHi-Abfall 7 Stunden nach Aufnahme auf die Intensivtherapiestation könnte aber auch in Zusammenhang mit einer systemischen inflammatorischen Antwort auf die extrakorporale Zirkulation als Folge einer möglichen Einschwemmung von Endotoxin in den systemischen Kreislauf stehen ( siehe ).

Nach Beginn des Herz-Lungen-Bypasses kam es zu einem Abfall der ICG-Extraktionsfraktion. Als Ursache dafür scheint eine Ischämie aufgrund einer Minderperfusion der Leber ausgeschlossen, da der effektive Leberblutfluß während der extrakorporalen Zirkulation nicht abfiel. Tierversuche deuten darauf hin, daß selbst eine mehr als einstündige isolierte Leberischämie andere Mechanismen des Leberstoffwechsels wie z.B. das Cytochrom-P-450-System und weniger die ICG-Clearance beeinflußt. Bei Schweinen führte eine 90-minütige Gefäßokklusion der Leber nach 24 Stunden zu einer Abnahme der Clearance von Antipyrin und nicht zur Änderung der ICG-Clearance ( siehe ).

Andererseits fanden Autschbach et al. am Bypass unter milder Hypothermie (32° C) einen Abfall der MEGX-Bildung aus Lidokain bei unverändertem effektivem hepatischem Blutfluß ( siehe ). Von den Autoren wurde dies als Hinweis für eine Leberfunktionsstörung unmittelbar nach Anfahren der Herz-Lungen-Maschine gedeutet.

Der Abfall der ICG-Extraktion war in Tierversuchen an Ratten ein sensibler Indikator für Störungen der Leberfunktion in der frühen Phase der Sepsis ( siehe ). Eine Abnahme der ICG-Extraktion konnte bereits 10 Stunden nach coecaler Ligation und Punktion (CLP) als Sepsismodell in Tierversuchen trotz einer Zunahme des Leberblutflusses gezeigt werden ( siehe ). Die Freisetzung verschiedener proinflammatorischer Zytokine, von Komplement, Prostaglandinen und toxischen Sauerstoffradikalen wurde als Ursache für die Abnahme der ICG-Extraktion diskutiert. In einem Sepsismodell bei Ratten wurde neben einer verminderten ICG-Clearance auch ein Anstieg von Prostaglandin I2 gefunden ( siehe ). Im Tierversuch führte eine Infusion von TNF-alpha zu einer signifikanten Verminderung der


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Indozyaningrün-Clearance und gleichzeitiger Erhöhung der Freisetzung von IL-6 bei unveränderter Leberperfusion ( siehe ). Bei Hunden reduzierte eine Endotoxinämie die biliäre Ausscheidung von Indocyaningrün ( siehe ).

Mehrere Arbeiten untersuchten die Plasmaspiegel von Endotoxin und verschiedenen Mediatoren während und nach der extrakorporalen Zirkulation.

Endotoxin konnte in mehreren klinischen Studien zum Teil bereits während der extrakorporalen Zirkulation nachgewiesen werden ( siehe , siehe , siehe , siehe , siehe ). In Blutproben von 10 Patienten, die präoperativ Endotoxin-negativ waren, wurde mit Beginn der extrakorporalen Zirkulation Endotoxin im Plasma nachgewiesen, wobei die höchsten Konzentrationen nach 90 Minuten gemessen wurden ( siehe ). Mit Beginn des Bypasses waren signifikant erhöhte Endotoxinspiegel und eine Komplementaktivierung festzustellen ( siehe ).

Erhöhte Plasmaspiegel von IL-6, IL-8 und TNF-alpha konnten im Zusammenhang mit extrakorporaler Zirkulation nachgewiesen werden. Die Interleukine IL-6 und IL-8 waren allerdings erst 2 Stunden nach Bypassbeginn signifikant erhöht ( siehe ), IL-6 und TNF-alpha waren erst nach der Aufnahme auf die Intensivstation erhöht ( siehe ).

Da es erst mit einer zeitlichen Verzögerung nach Beginn der extrakorporalen Zirkulation zu einem Anstieg der Plasmakonzentrationen verschiedener proinflammatorischer Mediatoren kommt, ist es unwahrscheinlich, daß der rasche Abfall der ICG-Extraktion in der vorliegenden Arbeit dadurch zu erklären ist. Dagegen kann ein sofortiger Anstieg der Plasmakonzentration von Endotoxin nach Bypassbeginn beobachtet werden. Die Kinetik der ICG-Extraktion könnte als Epiphänomen eines SIRS in Zusammenhang mit der extrakorporalen Zirkulation betrachtet werden, da eine Kausalität zwischen dem Auftreten inflammatorischer Mediatoren und einer direkt daraus folgenden Abnahme der ICG-Extraktionsfraktion nicht eindeutig vorliegt.

Im Verlauf der Untersuchung kam es nach Beginn der extrakorporalen Zirkulation zu einem Anstieg der arteriellen, venösen und lebervenösen Laktatkonzentrationen. Maximale Werte wurden 7 Stunden nach Aufnahme auf die Intensivtherapiestation gemessen. Ein ähnlicher Anstieg wurde in anderen Studien bei herzchirurgischen Patienten gefunden ( siehe , siehe ).


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Für die erhöhten Laktatwerte nach Operationen an der Herz-Lungen-Maschine wurden in der Vergangenheit vor allem der Gastrointestinaltrakt und die Leber verantwortlich gemacht ( siehe , siehe ). In der vorliegenden Arbeit konnte jedoch keine verminderte Laktataufnahme der Leber nachgewiesen werden. Im Gegenteil, die Laktataufnahme der Leber nahm während des Beobachtungszeitraumes zu, sie stieg von 0,09 ± 0,1 mmol/min/m² vor Bypassbeginn auf einen Maximalwert von 0,40 ± 0,21 mmol/min/m² 7 Stunden nach Aufnahme auf die Intensivtherapiestation. Auch waren während der Untersuchungen die lebervenösen Laktatwerte immer niedriger als die zum gleichen Zeitpunkt gemessenen arteriellen Werte. Zu einem Anstieg der Laktatspiegel könnte es aber auch bei erhöhter Laktataufnahme der Leber kommen, wenn gleichzeitig der Laktatefflux der Leber ansteigen würde. Das Verhältnis zwischen lebervenösem Laktatefflux und systemischem venösem Laktatflux betrug 0,14 ± 0,05. Das bedeutet, daß etwa 14% des gemischtvenösen Laktates von der Leber bzw. aus dem Gastrointestinaltrakt stammen. Da sich dieses Verhältnis während des Beobachtungszeitraumes nicht änderte, ist der Anstieg der Laktatkonzentration nicht durch einen überproportionalen hepatischen Laktatefflux erklärbar.

Bisher wurde hauptsächlich eine Minderperfusion des Gastrointestinaltraktes und die daraus resultierende anaerobe Stoffwechsellage als Ursache für eine vermehrte Laktatproduktion angesehen. Eine Mangelversorgung des Gastrointestinaltraktes mit Sauerstoff konnte in der vorliegenden Arbeit zumindest für die Makrozirkulation des Gastrointesinaltraktes nicht nachgewiesen werden, daher ist ein Mißverhältnis zwischen Sauerstoffangebot und Sauerstoffverbrauch sowohl am Bypass als auch in der Phase des Temperaturanstieges als Ursache für die erhöhten Laktatkonzentrationen unwahrscheinlich.

Welche Mechanismen dem Laktatanstieg zugrunde liegen, bleibt unklar. Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang mit Endotoxin konnten in Tierversuchen gefunden werden. Nachdem Hunden Endotoxin verabreicht wurde, entwickelte sich trotz ausreichender regionaler Sauerstoffversorgung eine Laktatazidose, die offenbar nicht durch eine Minderperfusion mit konsekutiver Gewebsazidose verursacht wurde ( siehe ). Bei Probanden konnte nach der Gabe eines Endotoxinbolus ein Anstieg der gastrointestinalen Laktataufnahme aufgezeigt werden ( siehe ). In der vorliegenden Untersuchung wurden zwar keine Endotoxinspiegel gemessen, bei Patienten, die sich herzchirurgischen Operationen


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unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine unterziehen mußten, konnten jedoch erhöhte Endotoxinspiegel nachgewiesen werden ( siehe , siehe ). Daher könnte die erhöhte perioperative Laktatkonzentration auf einer Endotoxinämie basieren.

Sepsis wird häufig von erhöhten Laktatkonzentrationen begleitet ( siehe ). Neben einer regionalen Minderperfusion wird dabei ursächlich eine sepsisinduzierte Störung der Pyruvatdehydrogenase diskutiert. Die Enzymaktivität der Pyruvatdehydrogenase wird offenbar bei einer Endotoxinämie vermindert, da in Untersuchungen bei Sepsis eine Verdreifachung des Anteiles der inaktiven Pyruvatdehydrogenase gefunden wurde. Sepsis scheint die Konversion von Pyruvatdehydrogenase in inaktive Isoenzyme zu fördern ( siehe ). Nach Verabreichung von Dichlorazetat wird die Bildung von aktiver Pyruvatdehydrogenase stimuliert ( siehe ). Die Therapie mit Dichlorazetat führte im Tierversuch bei unverändertem Sauerstoffangebot zu einer Reduktion der Laktatazidose ( siehe ). Dies deutet darauf hin, daß die Laktatspiegel wesentlich durch die Aktivität der Pyruvatdehydrogenase beinflußt werden und erhöhte Spiegel nicht nur Folge einer Gewebshypoxie sind.

Die extrakorporale Zirkulation ist mit der Freisetzung einer Vielzahl proinflammatorischer Substanzen verbunden, die zu einer systemischen Entzündungsreaktion im Organismus führt. Wahrscheinlich spielt für die Entstehung des SIRS das Auftreten von erhöhten Endotoxinspiegeln in der systemischen Zirkulation eine bedeutende Rolle. Viele Phänomene, wie die Verminderung der ICG-Extraktion, der Abfall des pHi und die Erhöhung der Laktatkonzentration, die beim septischen Patienten auftreten, konnten in der vorliegenden Untersuchung bei Patienten nach unkomplizierter Bypasschirurgie beobachtet werden.

Für die Beurteilung der Ergebnisse der Studie spielt die Tatsache, daß die Untersuchungen am normothermen Bypass durchgeführt wurden, eine entscheidende Rolle. Da es am Bypass zu keiner Änderung der Körpertemperatur kam, konnten so die isolierten Effekte der extrakorporalen Zirkulation betrachtet werden. Die Einflüsse der Hypothermie und besonders der Wiedererwärmung am Ende des Bypasses mit ihren ungünstigen Auswirkungen auf die systemische und gastrointestinale Zirkulation entfielen. Temperaturbedingte Einflüsse auf biochemische und physiologische Prozesse waren somit ausgeschlossen.


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