Rohr, Ute: sCD14, TNF, Interleukin-6, sICAM-1 und sE-Selektin im septischen Geschehen |
Die Invasion pathogener Keime in die Blutbahn mit der Überwindung der natürlichen Endothelbarriere und einer überschießenden Antwort des Organismus wird mit dem Begriff - Sepsis - beschrieben [16,79,128] und ist die gefürchtete Komplikation einer lokalen Infektion.
Die klinisch-infektologische Begriffsbestimmung der Sepsis geht auf eine Definition von Schottmüller aus dem Jahre 1914 zurück [103]. Er beschrieb schon damals die Rolle des chirurgischen Fokus und der bakterielle Toxine in der Entstehung des klinischen Krankheitsbildes. Nach dem heutigen Wissenstand kann die mikrobielle Sepsis folgendermaßen definiert werden:
Abb. 1: Äthiologie von Sepsis und Multiorganversagen [109]
Sepsis ist die Gesamtheit der lebensbedrohlichen klinischen Krankheitserscheinungen und pathophysiologischen Veränderungen als Folge der Aktion pathogener Keime und ihrer Produkte, die aus einem Infektionsherd in den Blutstrom eindringen, die großen biologischen Kaskadensysteme und speziellen Zellsysteme aktivieren und die Bildung und Freisetzung humoraler und zellulärer Mediatoren auslösen [107].
Das Krankheitsbild der Sepsis entsteht dann, wenn eine an sich sinnvolle Abwehrreaktion aus der Kontrolle der physiologischen Inhibitormechanismen gerät und damit in unkontrollierter, überschießender und generalisierter Form nicht mehr nur die auslösende pathogene Noxe eliminiert, sondern zusätzliche autodestruktive Schädigungen körperei-gener Zellsysteme und Organe verursacht.
Die Sepsis stellt ein dynamisches Krankheitsbild dar. Im klinischen Verlauf werden verschiedene Phasen unterschieden, die sich abwechseln oder ineinander übergehen können.
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Die Pathophysiologie der Sepsis basiert auf 5 grundlegenden Mechanismen des septischen Prozesses [25]:
Der Krankheitsverlauf der Sepsis wird primär durch Ausmaß und Ablauf der Reaktion des Patienten auf die auslösende Noxe und weniger von der Art, Zahl, Pathogenität oder Virulenz der Erreger bestimmt [38,127].
Die Sepsis ist ein biphasisch ablaufendes Krankheitsbild. Eine initiale hyperdyname, proinflammatorische Phase mit unkontrollierter Freisetzung von Mediatoren wird gefolgt vom einem antiinflammatorisch, hypodynamen Folgestadium [33,129]. Klinische Beobachtungen zeigen, daß sich diese Phasen bei einem Patienten wiederholen können, je nach operativer Sanierbarkeit des Fokus. Infolge der modernen Intensivtherapie mit adäquatem Volumenausgleich und Katecholaminen ist die hyperdyname Schockphase oft bis unmittelbar präfinal zu beobachten [79,124,128]. Andererseits sind die klassischen Zeichen einer hyperdynamen Kreislaufsituation nur bei ausgeglichenem Volumenstatus und adäquater kardialer Kompensationsfähigkeit des Organismus zu beobachten [17].
Deshalb ist die globale Einteilung der Sepsis in eine frühe hyperdyname Schockphase und eine späte hypodyname Phase klinisch nicht immer erfaßbar [96].
Aufgrund der immunologischen Konstellation läßt sich das septische Krankheitsbild ebenfalls in 2 Phasen einteilen. Eine frühe Phase mit Überwiegen proinflammatorischer Mediatoren (TNF, Komponenten des Komplementsystems: C3,C5a, Interleukine 1,2,6,8 und
-Interferon) wird gefolgt von einer späten Phase mit Überwiegen antiinflammatorischer Mediatoren (IL10-12) [17,68].
Eine frühzeitige Diagnosestellung Sepsis und damit das Einleiten einer entsprechenden Intensivtherapie ist für das Überleben des Patienten von entscheidender Bedeutung [127].
Am Beginn der Sepsiskaskade steht die Einschwemmung von Erregern, oder deren Toxinen in die Blutbahn. Sie erhalten Kontakt mit den Zellen des Immunsystems. Dadurch kommt es zu einer Mediatorenexplosion, die sich kaskadenartig verstärkt [15,128]. Durch gleichzeitige Ausschüttung spezifischer Antagonisten und Inhibitoren stoppt sich dieser physiologische Mechanismus der
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Keimabwehr bei einer Infektion selbst, wodurch die überschießende Reaktion des aktivierten Immunsystems zum Stillstand gebracht wird [25,52]. Bei der Sepsis scheint ein Versagen dieser Inhibitormechanismen vorzuliegen [96].Innerhalb der proinflammatorischen Mediatoren wird folgende Hierarchie angenommen [18].
Abb. 2: Sepsiskaskade (modifiziert nach SCHUSTER [108])
= Aktivierung,
= Hemmung möglich
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Die freigesetzten Mediatoren verursachen über komplizierte und zum Teil noch nicht aufgeklärte Mechanismen eine Schädigung am Endothel und an den Zellorganellen. In der Endkonsequenz führt diese Kaskade zum Kapillarleck und Organversagen.Einer der Triggersubstanzen für die Mediatorexplosion ist das Endotoxin gramnegativer Bakterien, welches bei der Keiminvasion in die Blutbahn gelangt.
Der Ablauf der Sepsiskaskade ist für die gramnegative Sepsis bisher am besten untersucht. Endotoxin trifft auf immunkompetente Zellen, aktiviert diese und wirkt so als Initiator der Kaskadensysteme. Es nimmt eine Sonderstellung ein, in dem es den Initialschritt einleitet, selbst Mediatorfunktion hat und an den sekundären Mediatorwirkungen auf zellulärer Ebene wie Endothelläsion und metabolisch-toxischen Zellschädigung direkt beteiligt ist [25,113].
Endotoxin ist ein Lipopolysaccharid (LPS) der Zellwand gramnegativer Bakterien, dessen Lipid-A-Struktur für die immunologische Funktion verantwortlich ist [99,100]. Der laborchemische Nachweis von Endotoxin im Blut septischer Patienten gelingt nicht immer [95] und zählt nicht zu den Kriterien einer Sepsis [79].
LPS wird im Organismus an ein spezifisches Protein gebunden, das LPS-bindende-Protein (LBP) [106,134]. LBP wird als akute-Phase-Protein von der Leber gebildet und hat eine Verstärkung der LPS-Wirkung zur Folge. Im physiologischen Mikrogrammbereich (Normwerte 1-2 µg/ml) wird dem LBP eine immunstimulierende Funktion zugeschrieben [104]. Bereits kleinste Mengen an Endotoxin, physiologischer Weise aus dem Darm stammend, werden durch LBP verstärkt, um somit die Aktivierung der Abwehrkaskade sicherzustellen. Bei der akuten Entzündung wurden Werte von LBP bis 20 µg/ml gemessen [104,137]. Im Falle der Keimüberflutung, wie bei der Sepsis, werden so hohe Endotoxinkonzentrationen erreicht, daß die zellulären Effekte von LPS auch ohne LBP erzielt werden. Die Bedeutung von LBP scheint im Niederdosisbereich zu liegen und ist dort für die Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Immunsystems verantwortlich [106].
CD 14 ist ein 53 kD-Glykoprotein, das sich auf der Zelloberfläche reifer myeloische Zellen befindet. Vor Bekanntwerden seiner immunologischen Funktion wurde es als Differenzierungsmarker für Leukozyten verwendet [51]. Seit 1990 ist seine zentrale Bedeutung bei der LPS induzierten sekretorischen Zellantwort bekannt [134]. Es handelt sich um einen Oberflächenrezeptor, der auf Monozyten, Makrophagen und auch auf neutrophilen Granulozyten vorkommt. Das membrangebundene CD14 (mCD14) ist im Gegensatz zu anderen transmembranösen Rezeptoren durch eine Phosphatidyl-Inositol-Brücke (PI-Anker) in der
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Lipidschicht der Zellmembran verankert [57] (s. Abbildung 3). Über mCD14 kommt es zum Andocken des LPS-LBP-Komplexes an Zelloberflächen. Die so aktivierte Zelle wird zur Produktion proinflammatorischer Zytokine angeregt [26,62,100].mCD14 kann nach LPS/LBP-Kontakt von der Zelloberfläche abgelöst werden [8]. Diesen Vorgang bezeichnet man als shedding. Er führt zu einem Anstieg von löslichem CD14 (sCD14) im Blut, der im zeitlichen Ablauf der Entzündungsreaktion dem TNF-Peak folgt [7]. Dieses shedding wird durch Überstimulation proinflammatorischer Mediatoren (u.a.TNF
) ausgelöst, und wird als Down-Regulation des LPS-Rezeptors mCD14 interpretiert [8]. Die biologische Funktion von sCD14 wird kontrovers diskutiert. Obwohl der lösliche Rezeptor keinen PI-Anker besitzt, sind zelluläre Effekte beschrieben worden [41]. Auf der einen Seite bindet sCD14 freies Endotoxin und kann so die zellulären und proinflammatorischen LPS-induzierten Effekte verhindern [104]. Andererseits ist an isolierten Endothelzellen (diese besitzen kein mCD14 auf der Oberfläche) nachgewiesen worden, daß die direkte Endotoxinwirkung nur im sCD14 haltigen Serum auslösbar und durch Anti-CD14-Antikörper hemmbar ist [41,106]. Das sCD14 übernimmt hier die Funktion des membranständigen CD14 und transportiert das LPS zur Endothelzelle.
Abb. 3: CD14-positive Zelle mit membranständigen Rezeptoren und sCD14 im Plasma
(modifiziert nach SCHUMANN [105])
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Der Tumornekrosefaktor (TNF
) wird von aktivierten Monozyten ausgeschüttet und ist als initialer Mediator bei allen Reparaturvorgängen und Keimabwehrprozessen beteiligt [6,29,37,92,128]. Daneben ist TNF
bei der Reifung und Differenzierung von weißen Blutzellen von Bedeutung [88].
Bei der Sepsis wirkt er im Sinne einer Multiplikation des Endotoxineffektes und ist als essentieller Mediator verantwortlich für die klinischen Symptome der Sepsis [15,40,81,126]. TNF ist in der Lage, aus aktivierten Immunzellen (Makrophagen, PMN, Endothelzellen) eine weitere Ausschüttung proinflammatorischer Mediatoren IL-1, 2, 6, 8,
-Interferon (IFN
) und GM-CSF zu induzieren. Es kommt zur whole body inflammmation [29,91].
Das proinflammatorische Zytokin IL-1 wird nach dem TNF
-Stimulus von fast allen kernhaltigen weißen Blutzellen ausgeschüttet [40]. Im Ablauf der Entzündungsreaktion wird es fast gleichzeitig mit TNF
ausgeschüttet. Nach Endotoxininfusion kommt es bei gesunden Probanden innerhalb von 30 min bis 3 h zu einem 4-5fachen Anstieg der TNF
-Spiegel im Plasma und des löslichen TNF-Rezeptors [116]. Es werden Aktivierungsintervalle von 30 min bis zu 1 h mit einem Maximum nach 2h bei Patienten angegeben [52,63].
TNF bewirkt die klinischen Symptome wie Fieber [67], Tachykardie, Hyperventilation und Gefäßerweiterung [9]. Es induziert die Bildung von Interleukin-6 (IL-6) und wirkt synergistisch mit IL-6 als Aktivator der Akut-Phase-Proteine (Fibrinogen, CRP, Leukozyten-Elastase) und der Komplementkaskade [18,63,91]. Am Endothel fördert TNF
die Adhärenz von Granulozyten [92] und damit die Diapedese von weißen Blutzellen in das Entzündungsgebiet. IL-1
fördert gemeinsam mit TNF
die Exprimierung von Adhäsionsmolekülen auf Zelloberflächen [18,37,63,136]. Im peripheren Gefäßbett entstehen infolge seiner Wirkung sekundäre Mediatoren wie der Platelet-Activating-Factor (PAF), Prostaglandinderivate (PA) und Nitric-Oxid (NO) [20,37,132].
Interleukin-6 wird durch den TNF-Stimulus von den Zellen des Immunsystems (aktivierte Monozyten, Makrophagen, Fibroblasten und Endothelzellen) ausgeschüttet [59,91]. Es wirkt synergistisch mit TNF
und IL-1
und wird als das Interleukin der akuten Phase bezeichnet [82]. Interleukin-6 wirkt auf alle peripheren Zielzellen (B-Zellen, Hepatozyten, Fibroblasten) proinflammatorisch und ist für die klinischen Symptome des SIRS verantwortlich [18,28,47,118]. Bei einer experimentellen Sepsis konnten sowohl die gastrointestinalen Symptome wie Cholestase und bakterielle Translokation [24,36,53] als auch die septisch bedingte Hyperkoagulabilität [77] auf direkte IL-6-Wirkungen zurückgeführt werden. Von allen Sepsismediatoren ist der IL-6
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Spiegel bisher der beste Parameter für den Schweregrad einer Sepsis [18,28,90,118,136] insbesondere der neonatalen Sepsis [91].Auch bei anderen Streßreaktionen, großen Operationen, Verbrennungen und Trauma wird IL-6 vermehrt ausgeschüttet und korreliert mit dem Ausmaß des Gewebetraumas [28,56,90].
Auf der Oberfläche polymorphkerniger Leukozyten (PMN) bewirkt IL-6 eine vermehrte Expression von Adhäsionsmolekülen, die zur Verlangsamung des Blutstromes und zum Auswandern der Leukozyten in das entzündete Gewebe führt [73,101,112]. Die Stimulation von Endothelzellen durch IL-6 bewirkt eine Expression von spezifischen endothelialen Adhäsionsmolekülen [77].
Neben seinen peripheren Effekten hat IL-6 eine zentrale Wirkung auf die neuroendokrinen Zellen des hypothalamisch-hypophysären Systems. IL-6 induziert im Hypothalamus eine zentralen Temperaturerhöhung. Gleichzeitig kommt es zu einer vermehrten Freisetzung des Corticotropin-releasing Hormons (CRH), welches im Hypophysenvorderlappen eine Erhöhung der ACTH-Produktion (Adrenocorticotropes Hormon) bewirkt. Die Nebennierenrinde schüttet daraufhin vermehrt Cortisol aus, welches die Produktion von IL-6 aus Monozyten und Fibroblasten hemmt [59,121].
Voraussetzung für die Immunantwort des Organismus auf eine Keiminvasion ist die interzelluläre Kontaktaufnahme eines T-Helfer-Lymphozyten mit einer antigenpräsentierenden Zelle. Dieser Zell-Zell-Kontakt wird durch Adhäsionsmoleküle auf der Zelloberfläche vermittelt [117,127].
Adhäsionsmoleküle sind Rezeptoren, die sich auf der Oberfläche verschiedener Zelltypen (Monozyten, Granulozyten, Thrombozyten, Endothelzellen) befinden. Durch die Einwirkung proinflammarorischer Zytokine (TNF, IL-1
, IL-6,
-Interferon, PAF) werden diese Zellen zur Exprimierung von Adhäsionsmolekülen angeregt [13,31,32,112,114,117,132,135]. Die Adhäsionsmoleküle gehen eine Verbindung mit den entsprechenden Gegenrezeptoren der Zielzellen ein und stellen so die Kommunikation der Zellsysteme dar.
Neben der Aktivierung bei Trauma, Schock, Sepsis und Reperfusionsprozessen werden Adhäsionsmoleküle auch bei allergischen Erkrankungen [50,89], Tumormetastasierung [123], Embryogenese [54], Plazentabildung und Transplantatabstoßung [45] exprimiert.
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Die Adhäsionsmoleküle werden nach ihrer chemischen Struktur in Selektine, Integrine und Moleküle der Immunglobulin-Superfamilie (IGSF) unterteilt [3,45].
Familie
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Orte der Expression
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1) Selektine
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- E-Selektin (ELAM-1) endothelial-leukocyte-adhesion-molecule-1
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aktivierte Endothelzellen
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- P-Selektin (GMP-140) granule-membrane-protein 140
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(aktivierte) Thrombozyten
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- L-Selektin
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Leukozyten (PMN)
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2) Integrine
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- LFA-1 (CD11b/CD18) lymphocyte-function-associated-antigen-1
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Leukozyten (PMN)
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- VLA-4 (CD94d/CD29) very-late-activating-antigen-4
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Leukozyten (PMN)
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3) Ig-Superfamilie
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- ICAM-1 intercellular-adhesion-molecule-1
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Endothelzellen
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- ICAM-3 intercellular-adhesion-molecule-3
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Endothelzellen
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- VCAM-1 vascular-cell-adhesion-molecule-1
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Endothelzellen
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Die chemische Struktur der korrespondierenden Liganden auf den Zielzellen der Adhäsionsmoleküle ist noch nicht bis in alle Details aufgeklärt. Von den bisher am besten untersuchten Adhäsionsmolekülen ICAM, VCAM und E-Selektin sind folgende Bindungspartner charakterisiert worden (vgl. Abbildung 4):
ICAM-1 |
bindet an LFA-1 (CD11b/CD18)
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VCAM-1 |
bindet an VLA-4
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ELAM-1 |
bindet an sLeX (sialyl-Lewis-X) [3,45].
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Abb. 4: Adhäsion eines Leukozyten an eine Endothelzelle in schematischer und elektronenmikroskopischer Darstellung (modifiziert nach MARKUS et al. [76])
EZ - Endothelzelle
PMN- Polymorphonuclear Neutrophils
Im Entzündungsprozeß führt dieser Zell-Zell-Kontakt zum Zusammenkleben von polymorphkernigen Leukozyten (PMN) und zur Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit des Blutes im Kapillarbett [44,117,132]. Die Leukozyten kommen dadurch in engeren Kontakt mit dem vaskulären Endothel [110,135]. Auf der Oberfläche der Endothelzelle werden daraufhin endothelspezifische Adhäsionsmoleküle exprimiert [42]. Es kommt zum Rollen und Sticking der Leukozyten und Thrombozyten am Endothel [1,39,120]. Die Adhäsion verläuft in zwei Phasen [3,110]. Eine initiale langsame Phase der Expression, die zu einem Leukozyten-Priming führt, wird gefolgt von einer schnellen und hoch sensiblen Phase der Zelladhäsion. Diese zweite, schnelle Phase der Leukozytenadhäsion verläuft proportional zum TNF-Spiegel im Plasma [131].
Das Rollen ist eine instabile Leukozyten-Endothelzellverbindung und kann in einen stabilen Zell-Zell-Kontakt übergehen der im transendothelialen Migrationsprozeß endet [39,111,125].
Die Leukozytenadhäsion ist ein initialer Schritt der natürlichen Keimabwehr des Organismus und korreliert mit dem Ausmaß der Leukozytenaktivierung durch Trauma, Schock und Sepsis [1,71,130].
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Die schwere Zerstörung des endothelialen Zellverbandes durch Leukozytenadhäsion in der Frühphase der Sepsis ist mit verantwortlich für den Verlust der Barrierefunktion des Endothels und führt zur Extravasation von Plasmawasser, Eiweißverlust und zum capillary leakage [1,27,42].Abb. 5: Leukozytenadhäsion und Diapedese (modifiziert nach STEUERNAGEL [119])
Von einigen Adhäsionsmolekülen gibt es lösliche Isoformen, die im peripheren Blut nachweisbar sind. Sie entstehen durch Ablösung des membranständigen Moleküls von der Zelloberfläche. Dieser Prozeß wird als shedding bezeichnet und wird durch die Einwirkung proinflammatorischer Zytokine und Wachstumsfaktoren (TNF, IL-1,2,6,8,
IFN, GM-CSF) hervorgerufen [3,32,42,124].
Infolge der guten Bestimmbarkeit der löslichen Adhäsionsmoleküle im Plasma wurde deren Wertigkeit bei verschiedenen Krankheitsprozessen untersucht [23,30,45,54,89,123].
Die biologische Funktion der löslichen Adhäsionsmoleküle ist noch nicht endgültig geklärt. Auf der einen Seite können lösliche Adhäsionsmoleküle die Leukozytenadhäsion verhindern, andererseits sind sei biologisch aktiv, reagieren mit den Liganden der Zielzellen und können
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zelluläre Effekte am Endothel auslösen [27,43,66,72,86,111]. Das Ablösen der Adhäsionsmoleküle von den Zelloberflächen wird als Down-Regulation der proinflammatorischen Antwort bezeichnet [22,45].Abb. 6: Funktion der membranständigen und zirkulierenden Adhäsionsmoleküle (modifiziert nach GEARING [45])
sICAM-1
sICAM-1 (soluble intercellular adhesion molecule-1) ist biologisch aktiv und bindet an LFA-1 (s. Abb. 4) [45]. Es vermittelt gemeinsam mit seinem Liganden LFA-1 (ICAM-1/LFA-1) sowohl die Leukozyten-Leukozyten-Interaktionen als auch die Leukozyten-Endothel-Interaktionen. Das Ablösen des membranständigen Moleküls ICAM von der Zelloberfläche, ausgelöst durch proinflammatorische Mediatoren [31,114], geschieht durch Proteolyse [32]. Lösliches ICAM-1 besitzt nur die extrazellulären Strukturen des membranständigen Moleküls [101].
Der zeitliche Ablauf der ICAM-1 Expression wird mit 4 h nach Stimulierung bis zu 12(24) h beschrieben [93]. Im Plasma von gesunden Probanden wird ein sICAM-1-Spiegel von 229 - 410
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ng/ml angegeben [45]. Erhöhte sICAM-1-Spiegel werden bei allen lokalen und generalisierten inflammatorischen Prozessen, bei der Tumormetastasierung [123] und Transplantatabstoßung gefunden [45]. sICAM-1 spielt hauptsächlich eine Rolle bei der T-Zell-Differenzierung und -Aktivierung [5,80,135].sE-Selektin
Selektine steuern die initiale Interaktion von Neutrophilen mit dem Endothel. Dabei interagieren sie mit Kohlenhydrat-Liganden und vermitteln das initiale Rollen der Leukozyten am Endothel und initiieren den transendothelialen Migrationsprozeß [14,37,45,92,133].
E-Selektin nimmt eine Sonderstellung unter den Adhäsionsmolekülen ein. Während andere Adhäsionsmoleküle auf fast allen Zellen des Immunsystems gefunden werden, ist E-Selektin endothelspezifisch und wird nur vom aktivierten Endothel exprimiert [83,86].
Der Anstieg von sE-Selektin im Blut ist auf eine schwere Endothelschädigung zurückzuführen.
Der Prozeß des shedding von sE-Selektin geschieht durch Proteolyse und wird durch proinflammatorische Mediatoren induziert [37,72,124].
Es wird ein Freisetzungs-Peak von 4-6 Stunden angegeben [11]. sE-Selektin ist biologisch aktiv und bindet an sialyl-Lewis-X, ein bislang nicht genauer differenzierter Oberflächenrezeptor. Lösliches E-Selektin kann die Aktivierung von polymorphkernigen Leukozyten an das vaskuläre Endothel steuern. Es ist aber auch möglich, daß durch Bindung freier Leukozyten eine Adhäsion verhindern wird [3,72,83]. Im Plasma von gesunden Probanden werden sE-Selektin-Spiegel von 9 bis 42 ng/ml gefunden [45].
Bei septischen Patienten wurden ebenfalls stark erhöhte Werte von sE-Selektin und sICAM-1 im Plasma gefunden [14,27]. Hierbei korrelieren die sE-Selektin-Spiegel mit dem Outcome [35]. Im septischen Schock wurden sE-Selektin-Spiegel gefunden, die bis auf das 20-fache erhöht waren [86].
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Als Multiorganversagen bezeichnet man das gleichzeitig oder in rascher zeitlicher Abfolge auftretende Versagen von zwei oder mehr vitalen Organsystemen. Das Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS) geht als initiale Organinsuffizienz dem MOV voraus [85].
Man spricht heute vom Multiorganversagen wenn zwei oder mehr Organe gleichzeitig oder nacheinander Funktionstörungen aufweisen, wobei ein chronisch persistierendes Organversagen auszuschließen ist [46].
Das Multiorganversagen ist ein Krankheitsbild mit einer komplexen Pathophysiologie. Das noch lückenhafte Wissen über die Abläufe in der Frühphase des MOV ist der Grund dafür, das es bis heute keine kausale Therapie gibt. Die Therapieziele bestehen in unterstützenden Maßnahmen jedes einzelnen Organs, um Zeit zu gewinnen für die Rückbildung und Heilung der auslösenden Ursache.
Das MOV läuft klinisch in drei Phasen ab [102]:
1. Organ im Schock
Der auslösende pathophysiologiche Mechanismus ist ein Perfusionsdefizit unterschiedlichster Genese. Dieses Geschehen spielt sich innerhalb von Stunden ab und hinterläßt noch keine bleibenden Schäden.
2. Organdysfunktion
Ein fortbestehendes Perfusionsdefizites innerhalb der nächsten Tage führt zur Entstehung eines SIRS mit lokalen Ödemen und Zellschädigungen. Diese Phase wird als Multiorgandysfunktionssyndrom (MODS) bezeichnet.
3. Organversagen
Das fortbestehende Perfusionsdefizit führt zur Stase im Splanchnikusgebiet, wodurch es zur Superinfektion und Translokation von Endotoxinen aus dem Darm kommt. Das führt zu einer Potenzierung der klinischen Symptome und zum Vollbild der Sepsis. Aus der Organdysfunktion wird ein Organversagen.
Neben dem primären Organschaden, dem Perfusionsdefizit, kommt ein zweites Ereignis - die Endotoxinämie - die zur sekundären Organschädigung führt, hinzu. Dieses two-hit-phänomen spielt eine wichtige pathogenetische Rolle und ist wahrscheinlich verantwortlich für den sogenannten point of no return. Eine Rückbildung der gestörten Organfunktion ist nicht mehr
möglich [46,85].
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Bei der Suche nach Frühparametern des Multiorganversagens sollten diese in der ersten oder zweiten Phase des MOV meßbar sein.Die klinischen Frühsymptome Fieber, Leukozytose, Tachykardie und Tachypnoe sind völlig unspezifisch. In letzter Zeit wurden zahlreiche biochemische Parameter auf ihren prädiktiven Charakter für die Entwicklung eines MOV untersucht. Parameter, welche die Mikrozirkulationsstörungen früh erfassen, wie pH-Veränderungen der Drammukosa [75] und Laktatspiegel im Kapillarbett [10,74] sowie das Auftreten einer respiratorischen Insuffizienz, deren Ursache nicht in der Lunge liegt [46], sind als Frühparameter für ein Multiorganversagen geeignet. Desweiteren ist in der Frühphase des MOV der Anstieg der Leukozyten-Elastase [34,87] und im späteren Verlauf die Höhe des Neopterin-Spiegels [84] von prädiktivem Charakter. Die Aktivierung polymorphkerniger Leukozyten (PMN) und die Höhe des IL-6-Spiegels [55,94] nach großen chirurgischen Eingriffen korreliert mit dem Auftreten septischer Komplikationen [121,130].
Die Prognose des septischen Multiorganversagens hängt eng mit der Anzahl der beteiligten Organsysteme zusammen. Die Mortalität beträgt bei Versagen eines Organs innerhalb der ersten 24 Stunden 22%, nach 7 Tagen 41 %. Beim Versagen von drei Organsystemen steigt die Mortalität am ersten Tag auf 80 % und nach 4 Tagen auf 100 % an [64].
Trotz ausreichender Sauerstoffspannung im Blut und eines erhöhten Herzzeitvolumens (HZV) bei erniedrigtem systemischen Gefäßwiderstand (SVR) ist bereits in der Frühphase der Sepsis ein Mißverhältnis von Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf im Gewebe nachweisbar. Die Ursache liegt in einer frühen Störung des nutritiven Blutflusses auf der Ebene der Mikrozirkulation. Die Ursachen dieses circulus vitiosus ist in einer frühen Schädigung des Endothels zu suchen. Es kommt über:
zum Sauerstoffmangel der Parenchymzelle, was die erste Phase des Multiorganversagen darstellt.
Durch Einwirkung der proinflammatorischer Mediatoren (TNF, IL-1
, IL-6,8 und IFN
) entstehen Bezirke mit Vasodilatation und Vasokonstriktion direkt nebeneinander. Die Autoregulation der lokalen Durchblutung, welche vom Kapillarendothel durch ein eng reguliertes
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Wechselspiel von Thromboxan A2 (TXA2), Prostazyklin (PGI2) und Stickstoffmonoxid (NO) gewährleistet wird, ist aufgehoben [12,98].Die lokalen Wirkungen von Endotoxin auf die Endothelzelle stört das Gleichgewicht zwischen antithrombogenen und prothrombogenen Eigenschaften des Endothels [113,133] und ruft so eine Gerinnungsaktivierung hervor. Endothelschädigung führt zur Freisetzung des plättchen-aktivierenden Faktors (PAF) [20,114] der die Aggregation und Adhäsion der Thrombozyten [44] und Leukozyten am Endothel über Adhäsionsmoleküle fördert [58]. Gleichzeitig nimmt die Fähigkeit zur Prostazyklinsynthese ab [98].
Die Aktivierung des Komplement- und Bradikininsystems bewirkt innerhalb der Endothelzelle eine Kontraktion des Zytoskeletts. Durch die sich öffnenden Spalten kann Plasma in das Interstitium austreten. Endothelschäden und Endothelkontraktionen führen somit zum Kapillarleck [133].
Das Ausmaß der Endothelschädigung in der Frühphase der Sepsis ist ein wichtiger pathogenetischer Faktor bei der Entstehung des Multiorganversagens. Parameter, welche die Endothelschädigung frühzeitig erfassen, können ein wichtiger Marker für den Schweregrad und das Outcome einer Sepsis sein.
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