Fetter, Ingmar: Der Einfluß von Botulinumneurotoxin A auf Wachstum und Differenzierung primär dissoziierter hippocampaler Zellkulturen |
Nach der Zellaussaat haben sich die Neurone an den Poly-D-Lysin-beschichteten Gefäßboden angeheftet und begannen Fortsätze auszubilden. Nach 1 DIV war das Axon durch seine Morpho-logie von Dendriten zu unterscheiden ( Banker1977 ; Dotti1988 ). Am distalen Ende zeigten alle Fortsätze eine Auftreibung, den Wachstumskolben. Das Axon wuchs schneller als die Dendriten, was Dotti und Mitarbeiter ( Dotti1988 ) beschrieben. Sie beobachteten ein retardiertes Dendriten-wachstum zwischen 1 DIV und 4 DIV. Das schnellere Auswachsen der Axone ist auch in situ an fetalen Hippocampi von Rhesusaffen beschrieben worden ( Nowakowski1979 ). Die von uns durch-geführten morphometrischen Untersuchungen an kultivierten Neuronen zeigten eine durchschnittl-iche Wachstumsgeschwindigkeit von ca. 70 µm/d für Axone und von 12 µm/d für Dendriten. Diese Wachstumsgeschwindigkeit war der von hippocampalen Neuronen der Ratte vergleichbar, die bei videomikroskopischen Untersuchungen gemessen wurde ( Dotti1988 ). Neurone nach zwei und drei Wochen in vitro waren elektronenmikroskopisch durch helle Zellkerne, zahlreiche große Mito-chondrien, bis in den proximalen Dendritenschaft ausgedehnte Golgifelder, Polyribosomen und dichtbesetztes ER gekennzeichnet. In Axonen fanden sich überwiegend Ribosomen und glattes ER. Sie besaßen viele, parallel gelagerte Mikrotubuli und zeichneten sich gegenüber den Dendri-ten durch ein gleichmäßiges Kaliber aus. Die Mikrotubuli in den Dendriten waren nicht so streng parallel angeordnet ( Bartlett1984 ; Nowakowski1979 ).
Dotti und Mitarbeiter ( Dotti1988 ) hatten innerhalb der ersten 24 h ein Aussprießen mehrerer uniformer Fortsätze beschrieben. Sie konnten nicht feststellen, warum einer dieser kurzen Fort-sätze in das axontypische Wachstumsverhalten überging. An einer Nervenzelle beobachteten sie, daß das vermeintliche Axon plötzlich im Wachstum stagnierte und ein anderer Fortsatz sich zum Axon differenzierte. Daraus schlußfolgerten sie, daß alle Fortsätze die Fähigkeit zur axonalen Differenzierung besaßen. Diese Annahme wurde dadurch unterstützt, daß nach Axotomie der verbliebene Stumpf sich zu einem Dendriten und ein anderer Fortsatz sich zum neuen Axon umwandelten ( Dotti1987 ). Die Wahrscheinlichkeit der Regeneration des Axons nach Durchtren-nung nahm mit der Entfernung der Axotomiestelle vom Perikaryon zu ( Goslin1991 ). War der Axonstumpf kürzer als die Dendriten, so entwickelte sich ein ursprünglicher Dendrit zum neuen Axon.
1991 konnten Dotti und Banker ( Dotti1991 )aus strukturellen Veränderungen von Golgi-Apparat, Mikrotubuli oder Zentrosomen noch keine Vorhersage zum Abgang des Axons im Perikaryon machen. Neuere Untersuchungen ( Bradke1997 ) ergaben, daß in hippocampalen Zellkulturen der sichtbaren Ausbildung des Axon eine Verschiebung von Membrankomponenten, Transportvesi-keln, Mitochondrien, Peroxysomen und zytosolischen Proteinen in diesen Fortsatz vorausging.
Matus und Mitarbeiter ( Matus1981 ) fanden in Axon und Dendriten unterschiedliche Zusammen-setzungen mikrotubulärer Steuerproteine. Das anfänglich in der ganzen Nervenzelle vorkom-mende MAP-2 (microtubule-associated protein 2; Caceres1986 ) war ab 3-4 DIV nur noch im Zelleib und den Dendriten zu finden ( DeCamilli1984 ; Caceres1984 ). Auch Glutamatrezeptoren zeigten anfänglich ein ubiquitäres und später ein somatodendritisches Verteilungsmuster ( Craig1993 ). Die an Mikrotubuli gekoppelten Proteine tau und MAP-1 waren immer im Axon lokalisiert ( Dotti1987 ; Goslin1991 ). Caceres und Kosik ( Caceres1990 ) beobachteten bei cerebel-lären Zellkulturen, daß das Axonwachstum nach Blockierung der Synthese des Proteins tau durch antisense-Oligonukleotide gehemmt wird. Aus den Untersuchungen mehrerer Arbeitsgruppen ( Craig1994 ; Tanaka1995 ; Diaz1996 ) ging hervor, daß ein Zusammenspiel von Aktinfilamenten, Mikrotubuli, Steuerproteinen und extrazellulären Botenstoffen während des Zellwachstums notwen-dig ist, viele Einzelheiten aber noch nicht geklärt sind. Danach steuern Wachstumsfaktoren über plasmalemnale Rezeptoren verschiedene zytosolische GTPasen, die ihrerseits über Kinasen die Zusammenstellung von Aktinfilamenten beeinflussen. Die Aktivität der fortsatzspezifischen, mikro-tubulären Steuerproteine (MAPs) unterliegt ebenfalls dem Einfluß extrazellulärer Wachstumsfak-toren.
Synaptogenese in der dissoziierten hippocampalen Zellkultur war schon nach 3 DIV durch immun-zytochemische Markierung synaptischer Vesikelproteine zu sehen ( Fletcher1991 ; Matteoli1992 ). In den ersten Tagen in vitro waren synaptische Vesikelproteine, wie Synaptophysin, SNAP-25 und Synaptobrevin nur im Perikaryon als Syntheseort zu beobachten. Die Anreicherung der synapti-schen Vesikelproteine Synaptophysin, Synapsin, Synaptotagmin und rab3A in der Präsynapse neuronaler Zellen wurde in situ ( Bergmann1991 ; Bergmann1993 ; Ovtscharoff1993 ; Grabs1994 ) und in vitro ( Fletcher1991 ; Fletcher1994 ; TixierVidal1992 ; Mundigl1993 ; Basarsky1994 ; Kraszewski1995 ; Grosse1998 ) beschrieben. Die detailierte Übereinstimmung in Proteinausstattung und Struktur in vitro mit der in situ erlaubt es, aus Experimenten an Einzelzellen in der Zellkultur Rückschlüsse auf die in situ-Verhältnisse zu ziehen.
In hippocampalen Kokulturen unterschiedlich alter Nervenzellen wurde beobachtet, daß die funk-tionelle Reife der Postsynapse entscheidend für die Entwicklung synaptischer Strukturen war ( Fletcher1994 ). Frisch dissoziierte Neurone wurden zwei Tage alten neuronalen Kulturen zuge-setzt. Nach einem Tag traten in den Axonen der jüngeren Zellen (1DIV) präsynaptische Strukturen auf, die Synapsen mit den Dendriten der älteren Neurone (3-4 DIV) bildeten. Die Axone der älteren Neurone entwickelten bei Kontakt mit den jüngeren Nervenzellen erst dann präsynaptische Strukturen, wenn sie mindestens drei Tage kultiviert worden waren. Glutamatrezeptoren wurden in der postsynaptischen Dendritenmembran schon nach 2 DIV vor der Etablierung reifer Synapsen exprimiert ( Verderio1994 ). Gleichzeitig fand eine kalziumabhängige Glutamatfreisetzung aus prä-synaptischen Strukturen statt ( Verderio1995 ). An der neuromuskulären Endplatte bewirkte die Postsynapse die Reifung präsynaptischer Strukturen ( Wallace1996 ). Die gegenseitige Beeinflus-sung scheint für den synaptischen Reifungsprozeß notwendig zu sein. Ausschlaggebend für die Bildung synaptischer Strukturen ist die Entwicklung der Postsynapse.
Hippocampusspezifische synaptische Differenzierungen, wie Moosfaserboutons, bildeten sich regelmäßig nach drei Wochen in vitro. Sie sind die Endigungen unmyelinisierter Körnerzellaxone an proximalen CA3-Pyramidenzelldendriten ( Tömböl1978 ; Gaarskjaer1986 ; Chicurel1992 ). Elektronenmikroskopisch erkannte man in den Boutons, die einen Durchmesser von bis zu 5 µm haben, zahlreiche synaptische Vesikel, LDCV und große Mitochondrien, die mit verzweigten dendritischen Spines (Excrescenzen) synaptische Kontakte bildeten. Puncta adhaerentia zeichnen die Verbindungen der Moosfasern und Dendritenschäfte aus ( Peters1976 ). Da sich Moosfasern auch in dissoziierten Zellkulturen entwickelten ( Grosse1998 ), sind diese Zellkulturen den Verhält-nissen in organotypischen Slicekulturen ( Zimmer1987 ; Dailey1994 ) und den in situ-Verhältnissen ( Blackstad1961 ; Grabs1994 ) sehr ähnlich. Die vergleichbare Zellmorphologie und Synapsenreifung in vitro und in situ war Grundlage für Experimente an diesen Zellkulturen.
Das synaptische Vesikelprotein SNAP-25 wurde schon nach 2 DIV im Perikaryon exprimiert. Die Zelleiber waren immundetektiert, da eine intensive Proteinsynthese stattfand. Nach 3 DIV zeigten sich Immunmarkierungen in den Zellfortsätzen. Nach 6 DIV erkannte man punktuelle Immun-reaktionen in präsynaptischen Strukturen ( Fletcher1991 ; Matteoli1992 ). Außerdem kam SNAP-25 in der Plasmamembran aller neuronalen Fortsätze vor. Die dendritische Lokalisation wurde durch Kolokalisation mit den dendritischen Markern Transferrin-Rezeptor und MAP-2 nachgewiesen. Elektronenmikroskopisch wurde SNAP-25 in der intakten axonalen und somatodendritischen Plas-mamembran sowie in synaptischen Vesikeln beobachtet.
Die Immundetektion von SNAP-25 in der Plasmamembran des Axons und an synaptischen Vesi-keln ist beschrieben worden ( Oyler1991 ; Duc1995 ; Garcia1995 ). Eine SNAP-25-Lokalisation in der Plasmamembran von Perikaryon und Dendriten war bisher nicht bekannt.
Da SNAP-25, wie wir feststellten, ubiquitär in der neuronalen Plasmamembran vorkam, waren nach BoNT/A-Gabe Auswirkungen auf die zelluläre Verteilung von SNAP-25 zu erwarten. Die Hemmung der Exozytose durch proteolytische Inaktivierung von SNAP-25 wurde in unseren Kulturen nachgewiesen und war vergleichbar mit vorangegangenen Studien an endokrinen Zellen ( Stecher1989 ; Dayanithi1990 ; Sadoul1995 ; HöhneZell1996 ) und Neuronen ( Blasi1993a ; Williamson1996 ). Die SNARE-Hypothese ( Söllner1993a ; Söllner1993b ) erklärt, daß mit dem durch BoNT/A gespaltenen SNAP-25 noch Fusionskomplexe gebildet werden können ( Hayashi1994 ), aber die kalziumabhängige Transmitterexozytose blockiert ist ( Xu1998 ).
Die Inaktivierung von SNAP-25 durch antisense-Oligonukleotide oder BoNT/A hemmte das Axon-wachstum von PC-12 - Zellen und postnatalen Cortexneuronen ( OsenSand1993 ; OsenSand1996 ).
Wir konnten zeigen, daß in fetalen Hippocampusneuronen bei BoNT/A-Vergiftung nicht nur das Wachstum der Axone deutlich retardiert, sondern auch das Dendritenwachstum signifikant verrin-gert war. Das ist auf eine Reduzierung konstitutiver Exozytoseprozesse in Dendriten zurückzu-führen.
Über dendritisches Wachstum ist wenig bekannt. In frisch ausgesäten hippocampalen Neuronen sprießen zunächst Lamellipodien aus ( Dotti1988 ). Diese Scheinfüßchen sind in situ nicht zu beobachten. Innerhalb der ersten 24 Stunden bilden sich mehrere kleine Fortsätze aus ( Deitch1993 ), die sich während der darauffolgenden Tage in Axon und Dendriten differenzieren. Alle Fortsätze haben an ihrem distalen Ende einen Wachstumskolben. Zwischen 2 DIV und 4 DIV stagniert das Dendritenwachstum, während das Axon mit hoher Geschwindigkeit auswächst und sich verzweigt ( Dotti1988 ). Von der Calcium-Calmodulin-Kinase II (CaMK II) ist bekannt, daß sie an der Hemmung des Dendritenwachstums unreifer Neurone retinotectaler Bahnen beteiligt ist ( Wu1998 ). Ein Substrat dieser Kinase ist SNAP-25 ( Hirling1996 ).
Im Gegensatz zu den wenigen Beobachtungen über Dendritenwachstum ist über axonales Wachstum mehr bekannt.
Axonwachstum findet am Wachstumskolben statt. Dieser besteht aus einer vesikelreichen zen-tralen Domäne. Eine weitere, mikrofilamentreiche periphere Domäne, enthält Filopodien und Lamellipodien, die für die Motilität des Axons verantwortlich sind ( Dailey1993 ). Die exozytotische Anlagerung von Vesikelmembranen in der zentralen Region des Wachstumskolbens führt zum Wachstum ( Lockerbie1991 ; Pfenninger1993 ; DeCamilli1993 ). Andocken und Fusion der Vesikel mit der Plasmamembran ist mit dem Modell der SNARE-Hypothese ( Söllner1993a ; Söllner1993b ; Rothman1994 ) zu erklären. Für die darin postulierte Beteiligung der SNARE-Proteine bei konsti-tutiven Fusionsprozessen spricht, daß die proteolytische Spaltung von Syntaxin durch BoNT/C1 ( Blasi1993b ) zu einem Kollaps des Wachstumskolbens führt ( Igarashi1996 ). In Hefen können mit rekombinantem SNAP-25, Syntaxin und Synaptobrevin bestückte Vakuolen fusionieren ( Weber1998 ). Die Gen-Deletion des synaptischen Vesikelproteins Synapsin-1 ( Greengard1993 ) hemmt bei Mäusen ebenfalls das Axonwachstum ( Chin1995 ).
Das frühe Wachstum geht mit Exo-/Endozytosezyklen von Vesikeln einher ( Matteoli1992 ). SNAP-25, Syntaxin und Synaptobrevin werden axonal als Komplex transportiert ( Shiff1997 ; Morel1998 ), und in isolierten Wachstumskolben als SNARE-Komplex nachgewiesen ( Igarashi1997 ). Wachs-tumsvesikel scheinen in ihrer Membrankomposition den synaptischen und sekretorischen Vesikeln ( HöhneZell1996 ; Otto1997 ) vergleichbar zu sein.
Dem steht entgegen, daß die proteolytische Spaltung von Synaptobrevin durch Tetanustoxin die regulierte Transmitterexozytose hemmt, nicht aber das Axonwachstum beeinflußt ( Ahnert-Hilger1995 ; OsenSand1996 ; Grosse1998 ). Dies läßt die Frage zu, ob an der konstitutiven Exozy-tose der gesamte SNARE-Komplex beteiligt sein muß, oder SNAP-25 und Syntaxin als t-t-SNARE-Verbindung bei der konstitutiven Exozytose wirksam werden können, wie an ER-Membranen von Hefen gezeigt wurde ( Patel1998 ). An Epithelzellen wurden tetanustoxinresistente Isoformen von Synaptobrevin beschrieben ( Galli1998 ).
Vesikuläres Synaptotagmin, ein Kalziumsensor der Transmitterfreisetzung, hat keinen Einfluß auf das Axonwachstum. Das haben Deletionsversuche an Drosophila-Fliegen ergeben (
Littleton1995
). In einer frühen Wachstumsphase sind in den Wachstumskolben weder synaptische Vesikel noch Synaptotagmin I zu finden (
Igarashi1997
). In dieser Wachstumsphase kann die Bildung von SNARE-Komplexen beobachtet, aber keine Fusionskomplex-Bildung (
Söllner1993a
;
Söllner1993b
;
Rothman1994
) durch Zugabe von NSF und -SNAP forciert werden (
Igarashi1997
). Der Synapto-physin/Synaptobrevin-Komplex, der die Verfügbarkeit von vesikulärem Synaptobrevin für den Fusionskomplex reguliert (
Calakos1994b
;
Edelmann1995
;
Washbourne1995
;
Becher1998
) kommt zu diesem Zeitpunkt nicht im Wachstumskolben vor (
Igarashi1997
). Das Vorkommen von Synapto-physin in axonalen und dendritischen Vesikel zu späteren Zeitpunkten in der Entwickung ist auf eine regulierende Funktion Synaptophysins bei der Verfügbarkeit des Synaptobrevins für konstitu-tive Exozytoseprozesse zurückzuführen.
Bisher ist noch nicht eindeutig geklärt, ob der Zellmembraneinbau nur an den Wachstumskolben erfolgt. Weitere Möglichkeiten sind Wachstum am Zelleib oder an der gesamten Plasmamembran ( Bray1970 ).
Daß Membranwachstum überall an der Zelle stattfindet, leiteten Popov und Mitarbeiter ( Popov1993 ) aus ihren Experimenten an Xenopusneuronen ab. Dabei zeigte sich in Wachstums-phasen ein ausschließlich anterograder Fluß farbstoffmarkierter Lipide, dessen Tempo genau dem zum Wachstum benötigten entsprach. Die Lipide wurden überall in die Zellmembran eingebaut.
Wenn Membraneinbau ausschließlich an den Fortsatzenden stattfände ( Lockerbie1991 ; Pfenninger1993 ; DeCamilli1993 ), bedeutete das eine Plasmamembranbewegung in Richtung Zelleib. Dai und Sheetz ( Dai1995 ) bestätigten diese Annahme, indem sie Axone mit kleinen Partikeln versetzten, die gegen Glykoproteine und Lipide gerichtete Antikörper enthielten. Diese Partikel bewegten sich auf das Perikaryon zu. Treibende Kraft sollte ein zwischen Perikaryon und distalem Fortsatzende gemessener Membranspannungsgradient sein.
Experimente, in denen verschiedene Membranbausteine herausgelöst wurden, erbrachten für den nachfolgenden Neueinbau unterschiedliche Ergebnisse. Glykoproteine, Glykolipide und ein trans-membranöses Protein wurden in den Wachstumskolben ( Pfenninger1981 ; Craig1995 ), Natriumkanäle am Perikaryon ( Strichartz1984 ) und ein glykorylphosphatidylinositol (GPI)-verankertes Protein entlang der gesamten Axonoberfläche ( Harel1996 ) eingebaut. Proteineinbau an Axonen auch außerhalb des Wachstumskolbens könnte sehr einfach die überwiegende Lokalisation von Natriumkanälen an den Ranvier`schen Schnürringen erklären. Die plasmalem-nale Lokalisation von Syntaxin ( Bennett1993a ) und SNAP-25 würde die Voraussetzung für den Einbau bieten.
Zur Klärung des Phänomens Zellwachstums tragen Erkenntnisse über Synthese und Transport von Membrankomponenten bei. So werden synaptische Vesikelproteine im Perikaryon synthetisiert. Proteinsynthetisierende Polyribosomen und rER kommen auch in den proximalen Dendriten kultivierter Neurone vor ( Bartlett1984 ; Deitch1993 ). Der Transport zum Zielort erfolgt vesikulär entlang tubulärer Strukturen. Lipidsynthetisierendes glattes ER ist im Perikaryon, in Dendriten und Axonen zu finden ( Bartlett1984 ; Deitch1993 ). Im distalen Axon lokalisierte Enzyme der Lipidsyn-these sind beschrieben worden ( Vance1994 ). Aus Experimenten mit isotopenmarkiertem Phospha-tidylcholin ergab sich, daß eine Teil des Phosphatidylcholins im distalen Axon synthetisiert wird, während der andere Teil aus dem Perikaryon stammt ( DeChaves1995 ).
Membranlipide und -proteine beanspruchen unterschiedliche Transportmechanismen, denn trotz Blockierung des vesikulären Transports zwischen Golgi-Apparat und Zelloberfläche, erreichen neu synthetisierte Lipide die Zellmembran ( Shiao1993 ).
Da BoNT/C ebenso wie BoNT/A SNAP-25 proteolytisch spaltet ( Williamson1996 ; OsenSand1996 ; Foran1996 ), lag es nahe, gleiche Experimente mit BoNT/ C- vergifteten Neuronen durchzuführen. Weil schon nach 1 DIV bei einer Konzentration von 1nM BoNT/C zytotoxische Schädigungen zu erkennen waren, konnten Fortsatzlängenmessungen nicht durchgeführt werden. Die Ursachen dafür können unterschiedlicher Natur sein. Das uns zur Verfügung stehende BoNT/C ist mit Hämagglutininen ( Ahnert-Hilger1995 ) und Proteasen (Ahnert-Hilger, unveröffentl. Beobachtungen) kontaminiert. Es ist außerdem ein Gemisch aus BoNT/C1 und den Exoenzymen C2 und C3. Neben SNAP-25 ist Syntaxin proteolytisches Substrat von BoNT/C1 ( Blasi1993b ), so daß die zytotoxische Schädigung auch durch die Spaltung von zwei Proteinen des Fusionskomplexes hervorgerufen sein könnte. In Drosophilafliegen hatte die Deletion des Syntaxin-Gens eine hohe Letalität zur Folge ( Schulze1995 ). Williamson und Neale ( Williamson1998 ) konnten den bereits beschriebenen Einfluß ( OsenSand1996 ) der zytotoxischen Schädigung von BoNT/ C auf die Zellentwicklung bestätigen. Sie hatten dabei die Wirkung des Exoenzym C3 mittels spezifischer Antikörper aus-geschlossen. Ihre Beobachtungen zum Fortsatzwachstum konnten sie nicht quantifizieren.
Bei verschiedenartigen Schädigungen der Wachstumsprozesse kommt es zu unterschiedlichen Zeitintervallen zwischen Schädigung und Effekt. Die Blockierung von SNAP-25 durch antisense-Oligonukleotide oder BoNT/A hemmt das Axonwachstum nach Tagen ( OsenSand1993 ). Die Blockierung der Lipidsynthese durch Fumo-nisin B1 hemmt die Axonelongation nach mehreren Stunden ( Harel1993 ). Die Zerstörung des Golgi-Apparates durch Brefeldin-A zeigt innerhalb einer Stunde ( Jareb1991 ) und die Zerstörung des axonalen Transportes durch Laserstrahlen innerhalb weniger Minuten Wirkung ( Martenson1993 ).
Da BoNT/A und andere BoNT in der Medizin therapeutisch genutzt werden, ist es wichtig, alle direkten und indirekten Wirkungen dieser Toxine zu klären.
BoNT/A wurde erstmalig einem Patienten mit Strabismus lokal injiziert ( Scott1980 ). Seither breitete sich das Anwendungsspektrum auf Blepharospasmus, Spasmen der mimischen Muskulatur, Torticollis oder Sphinkterspasmen des Gastro-Intestinal-Traktes aus. Die Wir-kung auf das vegetative Nervensystem wird zum Beispiel bei der Therapie der Hyperhidro-sis genutzt. Bislang gibt es kein standardisiertes Behandlungskonzept ( Montecucco1996 ). Hauptsächlich wird BoNT/A verwandt. Das für therapeutische Zwecke verfügbare Toxin ist an Hämagglutinine und andere Proteine gebunden. Daraus erwächst das Problem der Therapieresistenz durch Antikörper gegen diese Antigene. In diesem Fall ist die Weiterbehandlung mit BoNT/B und BoNT/F möglich. Dabei ist eine kürzere Wirkdauer zu beobachten, die auch der schnelleren Genesung nach BoNT/B- oder BoNT/F-Intoxikation gegenüber der BoNT/A-Vergiftung entspricht. BoNT/C ist noch in der klinischen Erprobung ( Montecucco1996 ). BoNT/E spaltet vom C-terminalen Ende des SNAP-25 ein 26 Aminosäu-ren langes Peptid ab. In neuroendokrinen Zellen wurde nach Injektion solcher synthetisch hergestellten Peptide die Fusionkomplexbildung und dadurch die Sekretion gehemmt ( Ferrer1998 ). Theoretisch ergibt sich daraus die Möglichkeit, anstelle von BoNT diese synthetisierten Stumpfpeptide für Behandlungszwecke zu verwenden.
Für die Weiterentwicklung der therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten mit BoNT/A stellen unsere Erkenntnisse wesentliche Grundlagen dar, denn die Beteiligung von SNAP-25 am Wachstum mittels konstitutiver Exozytose muß bei der Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten mit BoNT/A berücksichtigt werden.
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HTML - Version erstellt am: Mon Mar 17 17:30:37 2003 |