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3  Ergebnisse

3.1 Untersuchungen zur Larvalent­wicklung von Xenopus laevis

Von fundamentaler Bedeutung für die Erforschung von Faktoren, die die geschlechtliche Entwicklung von Amphibien durch Hervorrufung adverser Effekte auf das Hormonsystem beeinflussen können, ist die Kenntnis der dieser sexuellen Differenzierung zu Grunde liegenden Mechanismen.

Obwohl gerade Xenopus laevis einen intensiv verwendeten Modellorganismus darstellt, waren bislang keine Untersuchungen bekannt, die den Gehalt an Sexualsteroiden während der vollständigen larvalen Entwicklung dieses Amphibs zum Gegenstand hatten. Die vergleichsweise neue Methodik der RT-PCR bot darüber hinaus die Möglichkeit, parallel die Expression der korrespondierenden Rezeptoren im Verlauf dieser Phase zu erfassen.

3.1.1 Steroidgehalt

Die Mengen der Sexualsteroide 17β-Estradiol (E2), Testosteron (T) und Dihydrotestosteron (DHT), die während der larvalen Entwicklung von Xenopus laevis auftreten, wurden mittels Radio Immuno Assay untersucht.

Zu diesem Zweck wurden beginnend mit dem befruchteten Ei über verschiedene Zwischenstufen der Entwicklung bis hin zum Jungtier mit vollständig abgeschlossener Metamorphose Proben gesammelt und gewogen. Sobald die lichtmikroskopische Begutachtung unter dem Stereomikroskop eine Unterscheidung der Gonaden in Ovar bzw. Testes zuließ (Stadium 56), erfolgte die Probennahme unter Berücksichtigung des Geschlechtes. Die Erfassung der Steroidkonzentrationen [pg/g Gewebe] wurde für jede untersuchte Entwicklungsstufe und - sobald bestimmbar - für jedes Geschlecht in sechs Parallelen durchgeführt.

Die Bestimmung des E2-Gehaltes in den untersuchten Proben während der larvalen Entwicklung (Abb. 3.1) zeigte bereits in befruchteten Eiern, die Embryonen des Larvalstadiums 20 ± 5 beinhalten, hohe Werte von 2586 ± 987 pg/g Gewebe (Mittelwert ± SD, n = 6). Im weiteren Verlauf der Entwicklung akkumulierte E2 in den Larven, was zu höheren Konzentrationen von 5948 ± 2278 pg/g Gewebe in frisch geschlüpften Kaulquappen des Stadi­[Seite 48↓]ums 38 führte. Im Anschluss daran wiesen die Messungen einen deutlichen Rückgang des E2-Gehaltes in Kaulquappen in den Stadien der Prämetamorphose nach. Ab Stadium 56, das die Geschlechtsbestimmung per Binokular erlaubt, konnte in weiblichen Tieren ein leichter Anstieg an E2 beobachtet werden. Männliche Tiere wiesen dagegen einen durchgehend geringeren Gehalt an E2 auf, der im Stadium 62 und in etwa zwei Monate alten juvenilen Tieren im Vergleich zu weiblichen Individuen signifikant erniedrigt war. Beide Geschlechter zeigten bei dieser letzten Bestimmung im juvenilen Stadium eine deutlich höhere Menge an E2 als vor und während der Metamorphose, wobei der Höchstwert der gesamten Entwicklung zum Zeitpunkt des Schlüpfens der Larven jedoch nicht annähernd erreicht wurde.

Abb. 3.1:
Gehalte an 17β-Estradiol während der Larvalentwicklung von Xenopus laevis in Eiern und Ganzkörperhomogenaten (Mittelwerte ± SD, n = 6) in pg/g Gewebe. Signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind durch Sterne gekennzeichnet (*p < 0,05). Zum Vergleich: 17β-Estradiol-Gehalt im Serum adulter Tiere: ♀ 3,7 ± 0,9; ♂ 0,2 ± 0,0 [ng/mL]


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Abb. 3.2:
Gehalte an Androgenen (Testosteron und Dihydrotestosteron) während der Larvalentwicklung von Xenopus laevis in Eiern und Ganzkörperhomogenaten (Mittelwerte ± SD, n = 6) in pg/g Gewebe. Signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind durch Sterne gekennzeichnet (*p < 0,05). Zum Vergleich: Androgen-Gehalt im Serum adulter Tiere: ♀ 6,2 ± 2,3; ♂ 19,8 ± 3,1 [ng/mL]

Die parallel bestimmten Gehalte an den Androgenen T und DHT wiesen zu Beginn der Entwicklung einen ähnlichen Verlauf wie die des E2 auf (Abb. 3.2). Auch hier folgte einer bereits in befruchteten Eiern recht hohen Konzentration von 2760 ± 730 pg/g Gewebe die höchste Menge innerhalb des gesamten Entwicklungsverlaufes in frisch geschlüpften Larven des Stadiums 38 (5421 ± 2408 pg/g Gewebe). Die starke Abnahme des Steroidgehaltes nach diesem Zeitpunkt fiel für die Androgene etwas weniger deutlich aus als für E2, dennoch zeigten sich die geringsten Werte der Summe der Androgene in den Stadien der Metamorphose. Während dieser Phase wie­[Seite 50↓]sen männliche Tiere einen höheren Androgengehalt auf als weibliche Tiere. Dieser Unterschied war in Stadium 58 und in juvenilen Tieren auf signifikantem Niveau feststellbar. Vergleichbar, wenn auch nicht so ausgeprägt wie bei den Verhältnissen hinsichtlich des E2-Gehaltes, zeigten die Tiere im juvenilen Stadium auch für die Androgene höhere Konzentrationen als vor und während der Metamorphose.

3.1.2 Expression der mRNA von Estrogen- bzw. Androgenrezeptor

Parallel zu den Studien über die Steroidgehalte während der verschiedenen Stadien der larvalen Entwicklung von Xenopus laevis wurde das Auftreten der zugehörigen Estrogen- (ER) und Androgen- (AR) Rezeptoren untersucht. Dies erfolgte auf der Ebene der mRNA, die der Biosynthese der entsprechenden Proteine zu Grunde liegt. Die Analyse dieser Genexpression wurde mit Hilfe semiquantitativer RT-PCR durchgeführt.

Analog zur Probennahme für die Steroidmessungen wurden die unterschiedlichen Entwicklungsstadien in je sechs Parallelen erfasst und geschlechtsspezifisch unterschieden, sobald dies durch lichtmikroskopische Beurteilung möglich war. Untersucht wurden Entwicklungsstadien vom befruchteten Ei bis zum juvenilen Frosch mit vollständig abgeschlossener Metamorphose.

Die RT-PCR wurde entsprechend der unter 2.4 beschriebenen Vorgehensweise durchgeführt. Die Menge der PCR-Produkte von ER und AR in den Proben wurden durch semiquantitative Densitometrie auf Basis der im Agarosegel erhaltenen Banden ermittelt. Diese Werte wurden mit den Daten des parallel mitgeführten internen Standards EF der jeweiligen Proben in Beziehung gesetzt, um vermeintliche Einflüsse ungleicher mRNA-Fracht zu Beginn der Reaktion auszuschließen. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgte als prozentualer Anteil an der Probe, in der die höchste Expression der Rezeptor-mRNA im gesamten Entwicklungsverlauf festzustellen war.


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Abb. 3.3:
Verlauf der Expression von Estrogenrezeptor-mRNA während der Larvalentwicklung von Xenopus laevis in Eiern und Ganzkörperhomogenaten (Mittelwerte ± SD, n=6) in Prozent des größten, detektierten Mittelwertes. Signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind durch Sterne gekennzeichnet (*p < 0,05).

Die Expression des ER lag zu Beginn der Entwicklung unterhalb der Nachweisgrenze der RT-PCR (Abb. 3.3). Erst ab Kaulquappenstadium 38 konnte der ER detektiert werden, der im anschließenden Entwicklungsverlauf bis zum Stadium 54 in stark zunehmendem Maß auftrat. Die danach geschlechtsspezifisch bestimmten Werte zeigten die ER-Expression in weiblichen Tieren auf einem hohen Niveau verbleibend, während in männlichen Tieren mRNA des ER stets in geringerem Umfang nachgewiesen wurde. Diese Differenz trat bei Tieren, die die Metamorphose abgeschlossen hatten, signifikant auf.


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Abb. 3.4:
Verlauf der Expression von Androgenrezeptor-mRNA während der Larvalentwicklung von Xenopus laevis in Eiern und Ganzkörperhomogenaten (Mittelwerte ± SD, n=6) in Prozent des größten, detektierten Mittelwertes.

Die Verhältnisse der AR-Expression (Abb. 3.4) entsprachen zu Beginn der Entwicklung denen des ER: In den frühen Stadien war keine Transkription des AR nachzuweisen. Die erste feststellbare AR-Genaktivität war in Stadium 38 zu verzeichnen, deren Stärke sich bis Stadium 48 entsprechend der für den ER geschilderten Verhältnisse deutlich erhöhte und im Verlauf der beginnenden Metamorphose in der Größenordnung dieses Wertes blieb.

In der anschließenden Entwicklungsphase konnte in den Kaulquappen beider Geschlechter eine Expression des AR beobachtet werden, die zunächst recht gleich bleibend stark ausfiel, zum Abschluss der Metamorphose jedoch fallende Tendenz aufwies. Signifikante Unterschiede der Ausprägung des AR zwischen den Geschlechtern traten nicht auf.


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3.1.3  Sexualdifferenzierung in vivo

Um zu überprüfen, welche Konsequenzen die Gegenwart von vermeintlich oder tatsächlich hormonell wirksamen Substanzen im Umgebungsmedium auf die sexuelle Differenzierung in vivo hat, wurden Kaulquappen von Xenopus laevis während ihrer gesamten larvalen Entwicklung gegenüber solchen Stoffen exponiert und anschließend hinsichtlich der Geschlechterverteilung der behandelten Gruppen analysiert.

Dabei sollten exemplarisch Vertreter aller vier möglichen Beeinflussungsformen von Geschlechterverhältnissen untersucht werden: verweiblichend, einer Verweiblichung entgegenwirkend, vermännlichend und einer Vermännlichung entgegenwirkend. Zu diesem Zweck wurden das natürliche Estrogen 17β-Estradiol (E2), das chemisch modifizierte und vornehmlich in Kontrazeptiva eingesetzte Ethinylestradiol (EE2), das in der Bekämpfung von Brustkrebs nutzbare Anitestrogen Tamoxifen (TAM), die natürlichen Androgene Testosteron (T) und Dihydrotestosteron (DHT) sowie das modifizierte Methyltestosteron (MT) und die Antiandrogene p,p’-DDE (DDE), ein Hauptmetabolit des DDT, und das synthetische Hormon Cyproteronacetat (CYP), mit dem sich Vermännlichungserscheinungen bei der Frau behandeln lassen, verwendet. Die Exposition gegenüber diesen Stoffen erfolgte im sublethalen Bereich bei Konzentrationen zwischen 10-7 und 10-8 M. Nach Abschluss der Behandlung wurde das Geschlecht der Tiere durch optische Bestimmung nach Präparation ermittelt (Abb. 3.5).

Abb. 3.5:
Gonaden juveniler, männlicher (A) und weiblicher (B) Xenopus laevis. Vergrößerung 20-fach, Maßstab entspricht 500µm.


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Die auf diese Weise bestimmten Geschlechterverhältnisse sind Abb. 3.6 zu entnehmen.

Abb. 3.6:
Beeinflussung der sexuellen Differenzierung von Xenopus laevis durch Behandlung mit Estrogenen (E), Antiestrogenen (AE), Androgenen (An) und Antiandrogenen (AAn) während der larvalen Entwicklung. E2=17β-Estradiol, EE2=Ethinylestradiol, TAM=Tamoxifen, T=Testosteron, MT= Methyltestosteron, DHT=Dihydrotestosteron, DDE=p,p’-DDE, CYP=Cyproteronacetat. Signifikante Unterschiede sind durch Sterne gekennzeichnet (*: p<0,05, ***: p<0,001, Mann-Whitney U-Test)

Die unbehandelte Kontrolle zeigte gemäß der genetischen Determination etwa gleichmäßige Anteile an männlichen und weiblichen Tieren. Dem gegenüber standen hochsignifikante Verweiblichungseffekte durch die Estrogene E2 und EE2 (p < 0,001), die darüber hinaus einen konzentrationsabhängigen Wirkungsgrad offenbarten. Das Antiestrogen TAM dagegen wies keine Beeinflussung des Geschlechterverhältnisses in Relation zur Referenz auf. Die Betrachtung der Gonaden tamoxifenbehandelter Tiere unter dem Stereomikroskop ließ jedoch im Vergleich zu den Kontrollgruppen unterentwickelte Gonaden erkennen. Während durch das natürliche Androgen Testos­[Seite 55↓]teron ebenfalls keine Verschiebung der Geschlechteranteile feststellbar war, konnte bei den weiteren Androgenen MT und DHT eine signifikante Vermännlichung (p < 0,05) der Testpopulation beobachtet werden. Die Antiandrogene DDE und CYP bewirkten einen signifikant erhöhten Weibchenanteil (p < 0,05) an den Tieren, die in diesen Ansätzen die Metamorphose abschließen konnten.

Unterschiede in den n-Zahlen des Experiments waren auf Ausfälle im Tierbesatz zurückzuführen, die im Laufe des Versuchszeitraums von etwa drei Monaten auftraten. Da diese jedoch über alle Behandlungen hinweg auf einem vergleichbaren Niveau zu verzeichnen waren, konnte eine substanzspezifische Ursache ausgeschlossen werden.

3.2 Langzeitstudie

Die Festlegung des Geschlechtes im Rahmen der Entwicklung von X. laevis erfolgt bereits vor Abschluss der Metamorphose. Die Ausdifferenzierung von Ovar und Testes zu funktionstüchtigen Organen mit Erreichen der Geschlechtsreife findet jedoch überwiegend im juvenilen Stadium statt. Um mögliche Einflüsse exogener Substanzen auf diese Entwicklungsphase durch Beeinträchtigung des Hormonsystems zu untersuchen, wurde eine Langzeitstudie durchgeführt.

3.2.1 Geschlechterverhältnisse

Die Bestimmung der Anteile an männlichen und weiblichen Tieren in den Testansätzen durch lichtmikroskopische Begutachtung der Gonaden erfolgte am Ende des Versuchszeitraums. Da die Determination des Geschlechtes bereits vor der Metamorphose abgeschlossen ist und entsprechend eine Exposition gegenüber Substanzen im Umgebungsmedium, die erst im juvenilen Stadium einsetzt, keinen Einfluss auf die Verteilung der Geschlechter nimmt, stellt Abb. 3.7 ausschließlich die Resultate der dauerbehandelten Ansätze dar.


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Abb. 3.7:
Beeinflussung der sexuellen Differenzierung von Xenopus laevis im Rahmen der Langzeitstudie (Expositionsbeginn während der Larvalphase) durch Behandlung mit 17β-Estradiol (E2), Tamoxifen (TAM), Testo­steron (T) und Methyltestosteron (MT) und p,p’-DDE (DDE) während der larvalen Entwicklung. Signifikante Unterschiede sind durch Sterne gekennzeichnet (*: p < 0,05, ***: p < 0,001, Mann-Whitney U-Test)

Entsprechend der genetischen Determination wies die unbehandelte Kontrolle etwa gleichmäßige Anteile an männlichen und weiblichen Tieren auf. Im Vergleich dazu zeigten sich hochsignifikante Verweiblichungseffekte durch die Behandlung mit E2 (p < 0,001) in konzentrationsabhängiger Ausprägung. Das Antiestrogen TAM verursachte in der höheren, geprüften Konzentration (10-7 M) keine Beeinflussung des Geschlechterverhältnisses im Vergleich zur Referenz. Die niedrigere Testkonzentration des TAM (10-8 M) dagegen führte zu einem signifikant erhöhten Anteil (p < 0,05) an männlichen Tieren in diesem Ansatz. Während die Exposition gegenüber dem natürlichen Androgen T keine Verschiebung des Geschlechterverhältnisses nach sich zog, wurde beim modifizierten Androgen MT eine signifikante Vermännlichung (p < 0,05) der Testpopulation festgestellt. Das Antiandrogen DDE blieb in beiden ver­[Seite 57↓]wendeten Konzentrationen ohne Folge für die Anteile männlicher und weiblicher Tiere, die in diesen Behandlungen die Metamorphose abschließen konnten.

3.2.2 Mortalität und begleitende Beobachtungen

Im Lauf des beinahe zweijährigen Versuchszeitraums traten Befunde auf, die neben den ausgewerteten Testparameter Hinweise auf die Wirkung von exogenen Hormonen und hormonähnlichen Substanzen lieferten.

Die Behandlung der Kaulquappen mit E2 (10-7 M) während der larvalen Entwicklung wies eine niedrige Mortalitätsrate auf, die den für diese Entwicklungsphase üblichen Ausfällen entsprach. Für Tiere mit abgeschlossener Metamorphose war diese Konzentration des estrogenen Hormons offensichtlich toxisch. Unabhängig vom Geschlecht begannen die juvenilen Frösche, vermehrt Flüssigkeit im Körper anzusammeln, was zunächst zu einer starken Zunahme des Körpervolumens und schließlich zum Tod führte (Abb. 3.8 A). Von diesem Phänomen waren sowohl die Tiere betroffen, die bereits vor und während ihrer Metamorphose unter E2-Einfluss standen, als auch jene, deren Exposition gegenüber E2 erst nach der Metamorphose begonnen wurde.

Abb. 3.8:
(A) Juveniles Tier, dessen Körper durch die Behandlung mit 17β-Estradiol (10-7 M), die erst nach Abschluss der Metamorphose begann, stark aufgedunsen ist (B). Durch die Behandlung mit Methyltestosteron (10-8 M) hervorgerufene Dunkelfärbung der Vorderextremitäten von juvenilen Tieren

Adulte männliche und weibliche Tiere der Art Xenopus laevis besitzen unterschiedliche Phänotypen. So sind bei den körperlich größeren Weibchen Kloakenfalten zu finden, während sich bei den kleineren Männchen die Innenseiten der Vorderextremitäten bei Paarungsbereitschaft dunkel färben. Diese sekundären Geschlechtsmerkmale treten im Rahmen einer normalen sexuellen Entwicklung erst kurz vor oder mit Erreichen der Geschlechtsreife auf.


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Bei den Tieren, die mit E2 (10-7 und 10-8 M) behandelt wurden, waren Kloakenfalten bereits kurz nach Abschluss der Metamorphose zu beobachten. Wie die Untersuchung der Gonaden am Versuchsende zeigte, wurden diese Kloakenfalten unter dem Einfluss exogenen 17β-Estradiols auch von männlichen Tieren entwickelt.

In den mit Testosteron behandelten Becken konnten vereinzelt Tiere mit dunkel gefärbten Innenflächen der Vorderextremitäten beobachtet werden, während dies bei allen juvenilen Fröschen der Fall war, die gegenüber Methyltestosteron exponiert wurden (Abb. 3.8 B). Auch dieses Merkmal trat unabhängig davon auf, ob es sich um männliche oder weibliche Tiere handelte.

3.2.3 Histologie

Der Krallenfrosch X. laevis ist aufgrund der langen Zeitspanne von bis zu zwei Jahren, die zwischen dem Abschluss der Metamorphose und dem Erreichen der Geschlechtsreife liegt, ungeeignet für Studien, die eine Beeinflussung der Reproduktionsleistung anhand von Laicherfolg oder Ertrag an Jungtieren messen. Um dennoch einen Eindruck über die mögliche Beeinträchtigung der Fertilität von langfristig gegenüber potenziell endokrin wirksamen Substanzen exponierten Tieren zu erhalten, wurden die Gonaden der Individuen aus der Langzeitstudie histologisch untersucht.

Die vorliegenden Tierzahlen pro Behandlungsgruppe am Ende des Expostitionszeitraums waren stark unterschiedlich und z.T. recht gering. Darüber hinaus ließ die fehlende Kenntnis, welche histologisch beobachtbaren Veränderungen tatsächlich relevante Beeinträchtigungen des Reproduktionserfolgs nach sich ziehen, die verlässliche Definition eines adversen Erscheinungsbildes nicht zu. Aus diesen Gründen konnte eine statistische Auswertung von auftretenden Abweichungen im Vergleich zu den unbehandelten Kontrollansätzen nicht durchgeführt werden.

Die folgenden Darstellungen (Abb. 3.9 und 3.10) zeigen beispielhaft auffällige Befunde, wie sie im mikroskopischen Bild der Gonaden nach den verschiedenen Behandlungen auftraten.


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Abb. 3.9:
Histologische Abbildungen von Ovarien etwa 20 Monate alter Xenopus: (A) unbehandelte Kontrolle, frühe Oocytenstadien, 100x (B) unbehandelte Kontrolle, reifere Oocyten, 100x, (C) Dauerexposition mit E2 10-7 M, 100x (D) Exposition nach Abschluss der Metamorphose mit MT 10-8 M, 100x (E) Exposition nach Abschluss der Metamorphose mit TAM 10-7 M, 100x (F) Dauerexposition mit TAM 10-7 M, 100x, Maßstäbe entsprechen 20 µm.

Im Vergleich zu normal entwickelten Ovarien (Abb. 3.9 A und B) wurden verschiedenartige Veränderungen im Gewebe nach Behandlung beobachtet.

So führte die bereits im Kaulquappenstadium einsetzende Behandlung mit E2 (10-7 M) zu Oocyten, die eine undeutlicher gegliederte Struktur auf­[Seite 60↓]wiesen. Sowohl die Kern- als auch die Zellgrenzen offenbarten eine auffällig geringe Konturierung (Abb. 3.9 C).

Bei weiblichen Tieren, die nach Abschluss der Metamorphose mit einem Androgen (MT, 10-8 M) behandelt wurden, ließen sich überwiegend Ovarien beobachten, die in ihrer Reifung retardiert erschienen und neben defizitärem Wachstum auch in der Entwicklung vergleichsweise zurückgeblieben waren (Abb. 3.9 D).

Die Wirkung der Exposition gegenüber dem Antiestrogen TAM (10-7 M) äußerte sich in erster Linie in vergleichsweise unterentwickelten Ovarien (Abb. 3.9 E), die sowohl in Tieren zu beobachten waren, die während ihrer gesamten Entwicklung in Kontakt mit TAM waren, als auch bei solchen, die erst als juveniler Frosch mit bereits angelegtem Eierstock mit TAM in Berührung kamen. Zusätzlich bleibt festzustellen, dass Tiere in Einzelfällen normal große Ovarien ausbildeten, deren Oocyten jedoch auffällige Läsionen im Dotterbereich zeigten (Abb. 3.9 F).

Das Hodengewebe männlicher Tiere zeigte sich durch die Behandlungen insgesamt weniger stark verändert.

Verglichen mit normal entwickelten Testes (Abb. 3.10 A und B) wiesen die Individuen, die unter dauerhaftem Einfluss von MT (10-8 M) standen, kleinere Keimdrüsen auf. Darüber hinaus waren im histologischen Bild vereinzelt Läsionen im Gewebe zu erkennen, die in den Kontrolltieren nicht auftraten (Abb. 3.10 C). Die Untersuchung mit höherer Vergrößerung wies dagegen nach, dass sich Hoden von androgen- und unbehandelten Tieren in der detaillierten Betrachtung kaum voneinander unterscheiden (Abb. 3.10 D). Dies wird bestätigt und gilt in gleicher Weise für männliche Frösche, die seit ihrer Kaulquappenphase gegenüber Testosteron (10-8 M) exponiert waren (Abb. 3.10 F).

Die Behandlung mit E2 (10-8 M) zog dagegen massivere Veränderungen nach sich, auch wenn mit ihr erst nach Abschluss der Metamorphose begonnen wurde. Unter estrogenem Einfluss kam es zu Läsionen im Gewebe, die vermehrt sowie in stärkerem Umfang auftraten und so insgesamt zu z.T. deutlichen Vergrößerungen des Hodens führten (Abb. 3.10 E).


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Abb. 3.10:
Histologische Abbildungen von Testes etwa 20 Monate alter Xenopus: (A) unbehandelte Kontrolle, 100x (B) unbehandelte Kontrolle, 400x (C) Dauerexposition mit MT 10-8 M, 100x (D) Dauerexposition mit MT 10-8 M, 400x (E) Exposition nach Abschluss der Metamorphose mit E2 10-8 M, 100x (F) Dauerexposition mit T 10-8 M, 400x, Maßstäbe entsprechen: A, C, E: 20 µm, B, D, F: 5 µm


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3.3  Biomonitoring Starnberg

3.3.1 Exposition vor Ort

Im Frühjahr 2000 wurden auf dem Gelände der Kläranlage Starnberg (Bayern) Testpopulationen des Krallenfrosches Xenopus laevis und des heimischen Grasfrosches Rana temporaria gegenüber dem Wasser der Würm, in die der Auslauf der Kläranlage eingeleitet wird und Mischungen von Abwasser und Würm in den Verhältnissen 1:12 und 1:2 exponiert. Mit diesem Versuch im Rahmen einer Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Wasserwirtschaft (LfW) sollte das Vermögen der Inhaltsstoffe des Kläranlagenauslaufs untersucht werden, die geschlechtliche Entwicklung dieser Amphibien durch Interaktion mit dem Hormonsystem zu beeinflussen. Darüber hinaus sollte diese Studie Aufschluss geben, inwieweit die Ergebnisse des Modellorganismus Xenopus auf heimische Arten übertragbar sind.

3.3.1.1 Chemische Analytik

Während des gesamten Testzeitraums wurde die Exposition vom LfW mit chemischen Analysen des Kläranlagenauslaufs und der Würm hinsichtlich ausgewählter Alkylphenole und Hormone begleitet (Tab. 3.1).

Zu Beginn der Untersuchungen war eine starke Belastung der Würm mit Alkylphenolen festzustellen, die Konzentrationen bis zu 1 μg/L erreichte und damit den Gehalt an Alkylphenolen, den der Kläranlagenauslauf aufwies, weit übertraf. Die analysierten Hormone zeigten in beiden Medien ein insgesamt recht niedriges Vorkommen, wobei die Konzentrationen im Kläranlagenauslauf zu den meisten Analysezeitpunkten leicht über denen der Würm lagen.

Demnach war in den ersten Wochen der experimentellen Phase ein Expositionsregime gegeben, in dem die vermeintlich unbelastete Referenz Würm eine höhere Fracht an estrogen wirksamen Substanzen mit sich führte als der Auslauf der Kläranlage Starnberg.

Nach etwa zwei Dritteln des Versuchszeitraums veränderte sich diese Situation durch eine deutliche Abnahme der Alkylphenolkonzentrationen in der Würm. Zum letzten Analysezeitpunkt, an dem auch die Proben für die RT-PCR- und RARA-Studien entnommen wurden, war durch die chemische Analytik eine niedrigere estrogene Belastung der Würm im Vergleich zum Kläranlagenauslauf festzustellen. Sowohl die untersuchten Alkylphenole als [Seite 63↓]auch die Hormone lagen im Referenzmedium in deutlich geringeren Konzentration vor, als dies im geklärten Abwasser der Fall war.

Tab. 3.1:
Konzentrationen an Nonylphenol (NP), Oktylphenol (OP), 17β-Estradiol (E2), Estron (ES) und Ethinylestradiol (EE2) in Würm und Kläranlagenauslauf während der Vor-Ort-Exposition von X. laevis und R. temporaria in Starnberg [ng/L]. * kennzeichnet die sensitive Phase der Sexualdifferenzierung für die Tiere, ** kennzeichnet den Entnahmezeitpunkt der Proben für RT-PCR und RARA (Quelle: LfW, Bayern)

  

Würm

Kläranlagenauslauf

  

NP

OP

E2

ES

EE2

NP

OP

E2

ES

EE2

 

Dauer der Exposition (etwa vier Monate)

155

26

< 0,3

0,8

< 0,3

46

16

0,5

1

< 0,3

*

 

178

28

0,4

< 0,3

0,5

53

11

0,6

1,2

< 0,3

 

1000

200

0,7

0,5

0,7

45

9,5

1,4

1,2

0,8

 

120

52

< 0,3

0,3

< 0,3

110

11

0,4

< 0,3

< 0,3

 

240

115

< 0,3

0,3

< 0,3

250

5,4

< 0,3

< 0,3

< 0,3

 

250

49

< 0,3

2

< 0,3

120

9,7

< 0,3

0,5

< 0,3

**

 

190

63

< 0,3

0,6

< 0,3

28

2,9

1,2

< 0,3

< 0,3

13

1,8

< 0,3

< 0,3

< 0,3

23

2

< 0,3

< 0,3

< 0,3

13

1,3

0,5

0,5

0,4

68

4,7

0,7

0,3

0,3

21

2,6

< 0,3

< 0,3

< 0,3

290

8,9

0,5

0,6

0,7

3.3.1.2 Histologie

Die Gonaden der Versuchstiere beider Arten (Xenopus laevis und Rana temporaria) wurden nach Ende der Exposition histologisch untersucht, um die Anteile männlicher und weiblicher Tiere in den behandelten Gruppen zu ermitteln (vgl. 3.3.1.3) und vermeintliche Einflüsse auf das Gonadengewebe festzustellen.

Bei der lichtmikroskopischen Begutachtung der Schnitte konnten bei den Raniden neben Testes und Ovarien häufig Gonaden beobachtet werden, die Anteile beider Gewebetypen zeigten (Abb. 3.11 A-C). Das Auftreten solcher „Hermaphroditen“ ist auf eine Besonderheit in der geschlechtlichen [Seite 64↓]Entwicklung der Raniden zurückzuführen. Die sexuelle Differenzierung beginnt auch in der männlichen Entwicklung zunächst mit einem weiblichen Stadium, das über verschiedene hermaphroditische Zwischenstadien in Hodengewebe übergeht. Eine solche juvenile Intersexualität wurde erstmals bei Rana temporaria entdeckt (Pflüger 1882) und intensiv studiert (Witschi 1921, Witschi 1930). Demnach waren juvenile Raniden mit derartigen Mischgonaden als männliche Tiere zu werten, die ihre geschlechtliche Entwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen haben.

Abb. 3.11:
Histologische Schnitte von Amphibiengonaden (fixiert nach Bouin, HE-gefärbt) zur Bestimmung der Geschlechterverhältnisse im Biomonitoring-Experiment Starnberg: A) Rana weiblich, 400x, B) Rana “Hermaphrodit”, 200x, C) Rana männlich, 400x, D) Xenopus weiblich, 200x, E) Xenopus “Hermaphrodit”, 200x, F) Xenopus männlich, 400x (Quelle: LfW, Bayern), Maßstäbe entsprechen: A, C, F: 5 µm, B, D, E: 10 µm


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Dagegen war die große Mehrheit der Gonadenschnitte von Xenopus eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen. Lediglich in seltenen Ausnahmefällen (< 2% aller Proben) wurden auch hier Mischgonaden vorgefunden, die möglicherweise einen Hinweis auf die Beeinflussung der Ausbildung des Gonadengewebes durch die Behandlungen liefert (Abb. 3.11 D-F).

3.3.1.3 Geschlechterverhältnisse

Auf Basis der histologischen Untersuchungen des Gonadengewebes (vgl. 3.3.1.2) wurden die Anteile männlicher und weiblicher Tiere ermittelt, die sich für die untersuchten Arten nach Behandlung mit den verschiedenen Medien ergaben (Abb. 3.12).

Die Bestimmung der Geschlechterverteilung für die Ansätze von Xenopus wurde zusätzlich mit Hilfe der Begutachtung der Gonaden im Stereomikroskop durchgeführt, um vermeintliche Unterschiede im Ergebnis aufgrund der verwendeten Methode erfassen zu können. Die Abweichung der parallel erstellten Werte lag deutlich unter 1% und war somit vernachlässigbar.

Abb. 3.12:
Einfluss der Exposition von X. laevis und R. temporaria gegenüber komplexen Matrizes (Würm, Mischungen Abwasser/Würm im Verhältnis 1:12 und 1:2) während der larvalen Entwicklung auf die sexuelle Differenzierung. Zum Vergleich ist der Anteil weiblicher X. laevis aus unbehandelten Kontrollansätzen im Labor angeführt. (Quelle der Daten für R. temporaria: LfW, Bayern)

Der prozentuale Anteil an weiblichen Xenopus lag in allen drei Expositionsmedien oberhalb des Wertes, der für unbehandelte Referenzansätze im Rahmen von Laborexperimenten ermittelt wurde.


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Die Gruppe, die ihre larvale Entwicklung in Würmwasser vollzogen hatte, zeigte mit etwa 60% den höchsten Prozentsatz weiblicher Tiere der gesamten Exposition von Xenopus. Die Verdünnungsstufe 1:12 wies im Vergleich dazu einen geringfügig verminderten Wert an Weibchen auf, während der geringste Anteil an weiblichen Tieren aller Behandlungen mit 48 % im 1:2 verdünnten Kläranlagenauslauf nachzuweisen war.

Die Bestimmung der Geschlechterverhältnisse für die Raniden ergab folgendes Bild. Die Anteile von weiblichen Tieren an den exponierten Gruppen nahmen von 55 % in der Behandlung mit Würmwasser über das 1:12 verdünnte Abwasser bis zur Verdünnungsstufe 1:2 auf 42 % ab.

Die Unterschiede in der Verteilung der Geschlechter erreichten weder für Xenopus noch für Rana ein signifikantes Niveau.

3.3.1.4 Biomarkerexpression

Am Ende des Versuchszeitraums wurden die Änderungen untersucht, die durch die unterschiedlichen Behandlungen auf die Expression der Biomarker Vitellogenin (VG), Retinol binding protein (RBP), Estrogen Rezeptor (ER) und Androgen Rezeptor (AR) in der Leber von Xenopus laevis hervorgerufen wurden.

Juvenilen Tieren beider Geschlechter wurden Leberproben entnommen und mit Hilfe der RT-PCR auf die Expression der genannten Biomarker analysiert. Zur Angabe der Resultate wurden die erhaltenen Werte der Tiere aus der Exposition gegenüber Würmwasser als Referenz verwendet und die Daten aus den Behandlungen mit 1:12 und 1:2 verdünntem Abwasser als prozentuale Abweichung von dieser Referenz dargestellt. Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte getrennt für weibliche und männliche Tiere (Abb. 3.13), um Unterschiede in den Verhältnissen abhängig vom Geschlecht erfassen zu können.

Die Expression des Vitellogenins in den Referenzbehandlungen war in weiblichen Xenopus signifikant höher (p < 0,01) als dies in männlichen Tieren der Fall war. Diese Vitellogeninexpression erfuhr in weiblichen Tieren durch die Behandlung mit den Proben des Kläranlagenauslaufs eine Erhöhung, die umso stärker ausfiel, je größer der Anteil des Abwassers in den Expositionsmedien vorlag. In der 1:2-Mischprobe von Abwasser und Würm erreichte die Induktion des Vitellogenins in den Lebern der weiblichen Tiere im Vergleich zur Referenzbehandlung eine signifikante Steigerung (p < 0,01). Die Exposition gegenüber 1:2-verdünntem Abwasser resultierte in männlichen Tieren im direkten Vergleich zu den weiblichen Tieren der gleichen Be­[Seite 67↓]handlungsgruppe in einer signfikant niedrigeren Vitellogeninexpression (p < 0,05).

Das RBP wurde durch die verschiedenen Behandlungen nur gering beeinflusst, mit steigender Abwasserkonzentration konnte lediglich eine leichte, nicht signifikante Zunahme der Expression registriert werden. Im Vergleich zu dem Mittelwert, der für den AR in mit Würmwasser behandelten Tieren ermittelt werden konnte, lag das Resultat des 1:12-Ansatzes höher, während das Ergebnis der 1:2 verdünnten Probe im Bezug zur Referenz nur einen geringen Anstieg der AR-Expression zeigte. Die Expression des ER in weiblichen Xenopus ging durch die Behandlung mit 1:12 verdünntem Abwasser zurück, während die mit dem höheren Abwasseranteil behandelten Tiere ein der Referenz vergleichbares Niveau aufwiesen.

Die Untersuchung der Biomarkerexpression in den juvenilen Tieren männlichen Geschlechts erbrachte folgende Ergebnisse. Die insgesamt geringe Expression des Vitellogenins, die in etwa 60 % der untersuchten Proben unterhalb der Nachweisgrenze lag, zeigte zwischen den Behandlungen keine deutlichen Unterschiede. Die Mittelwerte der Expression des RBP waren umso größer, je höher der Anteil an Kläranlagenauslauf im Expositionsmedium war, ohne jedoch signifikante Differenzen aufzuweisen. Die Resultate der Analyse des AR erbrachten für die Behandlungen nur geringe Abweichungen in der Expression des AR in Bezug auf die Referenz. Im Vergleich zur Expression des ER in den Lebern männlicher Tiere, die in Würmwasser gehalten wurden, wiesen die Proben des 1:12 verdünnten Kläranlagenauslaufs einen nicht signifikant verminderten Wert auf. Das Ergebnis des 1:2 verdünnten Abwassers lag zwischen diesen beiden Werten der Parallelansätze.


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Abb. 3.13:
Expression von Biomarker-mRNA in der Leber juveniler weiblicher (oben) und männlicher (unten) Xenopus nach Abschluss der larvalen Entwicklung im Biomonitoring-Experiment (Mittelwerte + SD, n = 18). Signifikante Unterschiede sind durch Sterne gekennzeichnet (**: p < 0,01, Mann-Whitney U-Test)


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3.3.1.5  Bindungspotenzial an den Estrogenrezeptor

Gleichzeitig mit der Probennahme für die Untersuchung der Biomarkerexpression in den Lebern juveniler X. laevis (vgl. 3.3.1.4) am Ende des Versuchszeitraumes wurden Wasserproben der Expositionsmedien genommen, um die Menge der Inhaltsstoffe, die an den Estrogenrezeptor binden, semiquantitativ zu erfassen.

Zu diesem Zweck wurden die lipophilen Inhaltsstoffe von je 2 L des Würmwassers sowie des Kläranlagenauslaufs durch eine Festphasenextraktion um den Faktor 1000 angereichert und mit Hilfe des Radiorezeptor-Assay untersucht. Die Bestimmung des Bindungspotenzials erfolgte in zwei Wiederholungen mit den Lebern männlicher Tiere. Die erhaltenen Kompetitionskurven sowie die anschließenden Umformungen zur Berechnung des Vermögens der Inhaltsstoffe der geprüften Medien, an den cytosolischen Estrogenrezeptor von X. laevis zu binden, sind Abb. 3.14 zu entnehmen.

Abb. 3.14:
Kompetitive Verdrängungskurven von [3H]-E2 am Estrogenrezeptor durch E2 (A) und angereicherte lipophile Inhaltsstoffe (B) aus natürlichen Medien (Mittelwerte, n = 2). Die zugehörigen Darstellungen nach logit / log -Umformung (C und D) ermöglichen die Berechnung des Bindungspotentials von Würm und Kläranlagenauslauf in E2 -Äquivalenten (nähere Erläuterungen im Text)


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Die unter Verwendung des natürlichen Liganden (E2) erstellte Kompetitionskurve wurde durch logit / log – Transformation linearisiert. Über die Formel einer eingeführten Regressionsgerade (y = -1,4x - 9,9) konnte der logit = 0 und damit nach Invertierung des Logarithmus der IC50-Wert des natürlichen Liganden berechnet werden. Der IC50-Wert für E2 lag im vorliegenden Experiment bei 3,98 x 10-8 M.

Analog der Vorgehensweise für E2 wurden auch die Kompetitionsdaten der unterschiedlichen Konzentrierungsstufen der natürlichen Medien (0,7x; 3,5x; 17,5x und 35x) über die logit / log – Berechnung umgeformt und Regressionsgeraden erstellt (y = -3,2x + 3,3 für die Abwasserwerte, y = -5,9x + 7,7 für die Würm). Durch die nachfolgende Kalkulation des logit = 0 und des zugehörigen Konzentrierungsfaktors konnte für beide Medien die entsprechenden Bindungspotenziale an den cytosolischen Estrogenrezeptor in E2-Äquivalenten berechnet werden. Sie betrugen für die Würm 1,99 nM und für das Abwasser 3,67 nM. Unter Berücksichtigung der Mischungsverhältnisse in der vorliegenden Studie wurden für die verwendeten Expositionsmedien an der Kläranlage Starnberg demnach folgende Werte ermittelt (Tab. 3.2):

Tab. 3.2:
Bindungspotenzial von Festphasenextrakten natürlicher Medien an den Estrogenrezeptor, deren Wirkung auf die Sexualdifferenzierung von X. laevis und R. temporaria in Freilandexperimenten untersucht wurde.

Medium

Bindungspotenzial [E2-Äquvalente]

Würm

1,99 nM

1 : 12 (Kläranlagenauslauf : Würm)

2,11 nM

1 : 2 (Kläranlagenauslauf : Würm)

2,55 nM

3.3.2 Vergleichsstudien mit Extrakten unter Laborbedingungen

Neben der Exposition, die auf dem Gelände der Kläranlage in Starnberg stattfand (vgl. 3.3.1), wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit Laborstudien mit X. laevis durchgeführt, in denen Festphasenextrakte der entsprechenden Medien zur Untersuchung herangezogen wurden. Durch den Vergleich der beiden Verfahren sollte geprüft werden, ob die weniger aufwändige und von äußeren Einflüssen unabhängige Laborvariante eine gleichwerti­[Seite 71↓]ge Alternative zur Untersuchung des endokrinen Potenzials von Oberflächengewässern darstellt.

Um eine ausreichende Menge an lipophilen Inhaltsstoffen zu erhalten, wurden jeweils 100 L des Starnberger Kläranlagenauslaufs und der Würm einer C18-Festphasenextraktion unterzogen, die in einer 1000fachen Anreicherung der Medien resultierte. Darüber hinaus wurden 100 L des in Laborstudien Verwendung findenden Kaulquappenmediums auf die gleiche Weise extrahiert und als Referenz verwendet. Damit konnte ausgeschlossen werden, dass auftretende Effekte auf das Extraktionsverfahren zurückzuführen sind.

Die Extrakte des Kaulquappenmediums, der Würm sowie des Abwassers in den Verdünnungsstufen 1:12 und 1:2 wurden zur Exposition von Kaulquappen bis zum Abschluss der Metamorphose, zur Kurzzeitbehandlung von juvenilen Tieren und in Studien zur Bindungsfähigkeit an den Estrogenrezeptor verwendet. Mit Ausnahme des Radiorezeptor Assays wurden in diesen Experimenten Behandlungen mit zwei Konzentrationen 17β-Estradiols (10-7 und 10-8 M) als Positivkontrollen mitgeführt.

3.3.2.1 Geschlechterverhältnisse

Die Exposition von Kaulquappen gegenüber den genannten Extrakten und Positivkontrollen wurde bis zum Abschluss der Metamorphose durchgeführt. Die Extrakte wurden in den Ansätzen 1:1000 verdünnt, so dass die lipophilen Inhaltsstoffe im Experiment in den ursprünglichen Konzentrationen der natürlichen Medien vorlagen. Die abschließende Bestimmung des Einflusses dieser Behandlungen auf die geschlechtliche Entwicklung der Tiere erfolgte anhand der Bestimmung der Anteile an weiblichen und männlichen Tieren innerhalb der getesteten Gruppen durch lichtmikroskopische Begutachtung der Gonaden.


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Abb. 3.15:
Beeinflussung der sexuellen Differenzierung von Xenopus laevis durch Behandlung mit SPE-Extrakten von Kaulquappenmedium, Würm und den Abwasser/Würm-Mischungen 1:12 sowie 1:2 während der larvalen Entwicklung. Zum Vergleich wurden parallel zwei Ansätze mit 17β-Estradiol-Behandlung (E2, 10-7 und 10-8 M) als Positivkontrolle mitgeführt. Signifikante Unterschiede sind durch Sterne gekennzeichnet (**: p < 0,01, ***: p < 0,001, Mann-Whitney U-Test)

Die Geschlechterverhältnisse, die nach Abschluss der Metamorphose in den Testansätzen ermittelt wurden, sind Abb. 3.15 zu entnehmen. Die Exposition gegenüber dem Extrakt des Kaulquappenmediums, die als Referenz mitgeführt wurde, zeigte eine gleichmäßige Verteilung von weiblichen und männlichen Tieren. Im Vergleich dazu wiesen die Ansätze mit Extrakten des Würmwassers und der Verdünnungsstufe 1:12 des Abwassers einen erhöhten Anteil weiblicher Tiere auf. In der Testgruppe, die mit dem Extrakt des 1:2 verdünnten Abwassers behandelt worden war, ließ sich eine noch stärkere Verschiebung des Geschlechterverhältnisses hin zum Weiblichen nachweisen. Die als Positivkontrollen mitgeführten E2-Ansätze wiesen konzentrationsabhängig einen signifikant erhöhten Anteil an weiblichen Tieren im Vergleich zum Extrakt des Kaulquappenmediums auf (p < 0,01 bei 10-8 molarer und  p < 0,001 bei 10-7 molarer Behandlung).


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3.3.2.2  Biomarkerexpression

In einer Exposition von juvenilen X. laevis gegenüber den Festphasenextrakten von Würm, 1:12 und 1:2 verdünntem Abwasser sowie zwei 17β-Estradiol (E2)-Ansätzen in den Konzentrationen 10-7 und 10-8 M als Positivkontrollen wurde untersucht, welchen Einfluss eine kurzfristige Behandlung (96 h) auf die Expression der Biomarker Vitellogenin (VG), Retinol binding protein (RBP) und Androgenrezeptor (AR) nimmt.

Die Untersuchung der Biomarkerexpression erfolgte mit Hilfe der RT-PCR unter Verwendung von Leberproben, die den Testtieren nach Ablauf der Exposition entnommen wurden. Die Ergebnisse wurden als prozentuale Abweichung von den Werten des Referenzansatzes angegeben, in dem der Extrakt des Kaulquappenmediums zur Exposition Verwendung fand. Die Auswirkungen der Behandlungen auf die Expression der Biomarker wurde für weibliche und männliche Tiere getrennt untersucht.


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Abb. 3.16:
Induktion von Biomarker-mRNA in der Leber juveniler weiblicher (oben) und männlicher (unten) Xenopus durch Behandlung mit Festphasenextrakten von Hälterungsmedium, Würm und den Abwasser / Würm-Mischungen 1:12 sowie 1:2 während der larvalen Entwicklung. Zum Vergleich wurden parallel zwei Ansätze mit 17β-Estradiol-Behandlung (E2, 10-7 und 10-8 M) als Positivkontrolle mitgeführt (Mittelwerte + SD, n=4). Signifikante Unterschiede sind durch Sterne gekennzeichnet (*: p<0,05, Mann-Whitney U-Test)

Die Analyse der Biomarkerexpression im Lebergewebe der juvenilen Frösche durch semiquantitative RT-PCR ergab folgendes Bild (Abb. 3.16). Bei den weiblichen Tieren wiesen im Vergleich zur Referenz lediglich die E2- behan­[Seite 75↓]delten Proben eine signifikante Erhöhung der VG-Expression auf (p < 0,05), deren Betrag mit den eingesetzten E2-Konzentrationen korrelierte. Die Untersuchungen hinsichtlich RBP und AR ergaben keine Hinweise auf eine Beeinflussung der Expression durch die kurzfristige Behandlung mit den Extrakten.

Die Bestimmung der relativen Expression der Biomarker VG, RBP und AR in männlichen Tieren ergab einen ähnlichen Befund. Während die Behandlung mit E2 eine signifikante und konzentrationsabhängige Erhöhung der VG-Expression bewirkte, konnte in den mit Extrakten behandelten Ansätzen keine eindeutigen Unterschiede im Vergleich zur Referenz festgestellt werden. Ebenso lagen die Werte für die Expression von RBP und AR in allen Behandlungen auf einem vergleichbaren Niveau.

3.3.2.3 Bindungspotenzial an den Estrogenrezeptor

Parallel zu den Experimenten, die Aufschluss über die Wirkung der Extrakte auf die Sexualdifferenzierung in vivo sowie die Expression verschiedener Biomarker gaben, wurden die angereicherten, lipophilen Inhaltsstoffe aus den natürlichen Medien auf ihre Bindungsfähigkeit an den Estrogenrezeptor von X. laevis hin untersucht.

Die Analyse der Proben im Radiorezeptor Assay erfolgte analog der in Kapitel 3.3.1.5 dargestellten Vorgehensweise. Durch Linearisierung einer E2-Kompetitionskurve nach logit-log-Transformation wurde der IC50-Wert für den natürlichen Liganden E2 berechnet, der im vorliegenden Experiment 9,04 x 10-8 M betrug. Darauf basierend konnten die Verdrängungskompetenzen der Extrakte der Würm, des Kläranlagenablaufes und des in den Laborstudien verwendeten Kaulquappenmediums charakterisiert werden. Das Potenzial der Inhaltsstoffe dieser Medien, an den Estrogenrezeptor zu binden, ist Tabelle 3.3 zu entnehmen.

Tab. 3.3:
Bindungspotenzial von Festphasenextrakten natürlicher Medien an den Estrogenrezeptor, die innerhalb der vergleichenden Laborstudien zu den Freilanduntersuchungen verwendet wurden.

Medium

Bindungspotenzial [E2-Äquvalente]

Würm

nicht nachweisbar

Abwasser

9 nM

Kaulquappenmedium (Labor)

0,5 nM


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30.01.2004