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1  Einleitung

Die Gefährdung, die von anthropogenen Substanzen oder Substanzgemischen für die Umwelt ausgeht, wird gegenwärtig in erster Linie durch (öko-) toxikologische Studien bestimmt. Die vergangenen Jahre haben in verstärktem Maße gezeigt, dass diese Untersuchungen nicht ausreichen, um das vollständige Potenzial zu erfassen, mit dem Stoffe die Umwelt beeinträchtigen können.

Abseits der „klassischen“ toxischen Effekte, die Stoffe auf Organismen haben können, rückten in den beiden letzten Jahrzehnten Substanzwirkungen in den Vordergrund, die eine Beeinflussung des Hormonsystems nach sich ziehen. Das endokrine System (gr. endon: innen, krinein: absondern) dient Tieren neben dem Immun- und Nervensystem dem Austausch von Informationen zwischen der Umwelt und dem Organismus sowie zwischen Teilen des Individuums selbst. Seine Aufgabe ist es, durch Steuerung physiologischer Prozesse wie Metabolismus, Osmoregulation, Farbwechsel, Reproduktion, Verhalten, Entwicklung und Metamorphose, die langfristige Homöostase eines Organismus aufrecht zu erhalten. Diese Funktion wird durch Hormone (gr. hormein: anregen) vermittelt: chemische, interzelluläre Botenstoffe, die in geringen Konzentrationsbereichen wirksam sind (Bolander 1994; Norris 1997).

Eine grundlegende Klassifizierung unterscheidet diese Wirkstoffe nach ihrer chemischen Struktur in lipophile und hydrophile Hormone. Die lipophilen Hormone wie Steroide und Schilddrüsenhormone sind aufgrund ihres Aufbaus in der Lage, durch biologische Membranen zu diffundieren. Steroide binden im Cytosol der Zielzellen an spezifische Rezeptoren. Dieser Hormon/Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern, um dort durch DNA-Interaktion eine differenzierte und meist länger anhaltende Beeinflussung der Genexpression auszulösen, über die die Wirkung des Hormons vermittelt wird. Schilddrüsenhormone dagegen diffundieren in den Zellkern und binden an dort vorhandene, spezifische Rezeptoren, ehe die weitere Initiation der Hormonwirkung in gleicher Weise wie bei den Steroiden erfolgt. Um die Verbreitung der lipophilen Hormone im Organismus zu ermöglichen, sind diese im Blutstrom an hydrophile Transportproteine gebunden.

Zu den hydrophilen Hormone gehören die Catecholamine und Peptidhormone. Aufgrund ihrer Hydrophilität ist es ihnen nicht möglich, passiv in Zielzellen einzudringen, weshalb sie ihre Wirkung auf einem alternativen Weg entfalten. Dies erfolgt durch Bindung an spezifische Rezeptoren an der Zelloberfläche, an denen sie eine Konformationsänderung hervorrufen, wodurch die Bildung eines sogenannten „second messengers“ (Kalzium, cAMP [Seite 8↓]oder anderen) in der Zielzelle bewirkt wird. Über diesen Mechanismus wird durch Beeinflussung von Ionenkanälen oder Aktivierung bzw. Deaktivierung intrazellulärer Enzyme eine vergleichsweise rasche und kurzfristige Wirkung der hydrophilen Hormone vermittelt.

1.1 Endocrine Disruption

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass in der Umwelt vorhandene Substanzen in der Lage sind, in die Hormonsysteme der Tierwelt und des Menschen einzugreifen (Colborn & Clement 1992). Ohne direkte toxische Wirkung zu besitzen, entfalten diese Stoffe durch Beeinflussung des endokrinen Systems eine nachhaltige Wirkung auf die betroffenen Organismen (Colborn et al. 1993, McLachlan & Arnold 1996).

Nach der Definition des EU-Workshops in Weybridge (1996) sind diese sogenannten „endocrine disruptors“ Stoffe exogener Herkunft, die adverse Effekte auf die Gesundheit eines Organismus oder seiner Nachkommen in der Folge von Veränderungen der endokrinen Funktion hervorrufen können (European Comission 1996). Diese Definition ist recht weit gefasst und kann auch chemische Gifte im klassischen Sinne mit einschließen, die durch das Auslösen von Stresserscheinungen oder Umstellungen des Stoffwechsels Einfluss auf das Hormonsystem nehmen. Aus diesem Grund werden gegenwärtig engere Definitionen diskutiert, die endocrine disruptors als endokrin aktive Stoffe sehen, die spezifische Effekte auf verschiedene Ebenen des Hormonsystem hervorrufen, ohne relevante toxische Wirkungen zu entfalten (Kloas 2001).

Die meisten Studien, die sich mit endocrine disruptors befassen, berichten von Verweiblichungseffekten, die in beinahe allen Wirbeltierklassen durch den Einfluss von estrogenartigen Substanzen auftreten (Schäfer et al. 1996). Darüber hinaus sind jedoch auch synthetische oder natürliche Chemikalien bekannt, die als Estrogene, Antiestrogene, Androgene, Antiandrogene oder Substanzen, die das Schilddrüsensystem beeinflussen, wirken (Colborn et al. 1993, Sonnenschein & Soto 1998, Vos et al. 2000). Die chemischen Strukturen dieser Stoffe sind sehr heterogen, vorwiegend handelt es sich jedoch analog der natürlichen Steroide und Schilddrüsenhormone um lipophile Substanzen. In den Vordergrund des Interesses sind dabei estrogene Chemikalien unterschiedlicher Herkunft (Xenoestrogene) getreten, die in der Umwelt in relevanten Konzentrationen vorliegen (Van der Kraak 1998).


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Begründet durch die Annahme, dass der vorwiegende Anteil in der Umwelt vorkommender endocrine disruptors estrogener Natur ist, wird die Auslösung adverser Effekte auf die Reproduktion von Tierwelt und Mensch in erster Linie solchen Xenoestrogenen zugeschrieben. Diese stehen im Verdacht, die Gesundheit des Menschen durch Beeinflussung der fetalen Entwicklung (Bern 1998), einer Erhöhung der Rate von Brustkrebs (Davis et al. 1993), Hodenkrebs, Hodenhochstand und einem fortschreitenden Rückgang der fertilen Spermienzahl des Mannes (Carlsen et al. 1992, Sharpe & Skakkebaek 1993) zu beeinträchtigen.

In der Tierwelt sind Störungen der Reproduktion durch endocrine disruptors für Säugetiere ( Facemire et al. 1995 ), Vögel ( Fry & Toone 1981 ; Fry 1995 ), Reptilien ( Guillette & Crain 1996; Semenza et al. 199 7) und Fische ( Munkittrick et al. 1991; Pelissero et al. 1993) beschrieben. Solche Beeinflussungen sind insbesondere für solche Gebiete bekannt, in denen die Tiere einer Vielzahl an chemischen Stoffen anthropogener Herkunft wie Fungiziden, Herbiziden, Pestiziden und industriellen Abwässern ausgesetzt sind (Colborn et al. 1996).

Die Verbreitung von Estrogenen und Androgenen als Sexualsteroide im Tierreich ist im Wesentlichen auf Vertebraten beschränkt, außer in Wirbeltieren sind sie lediglich in Mollusken und Echinodermen zu finden. Studien an Mollusken haben gezeigt, dass diese z.T. sensitiver auf eine Behandlung mit estrogen wirksamen endocrine disruptors reagieren, als dies bei Vertebraten der Fall ist (Oehlmann et al. 1999, Schulte-Oehlmann et al. 2000). Wissenschaftliche Untersuchungen, die die Beeinflussung von Hormonsystemen anderer Evertebraten zum Gegenstand haben, sind bislang nicht bekannt. Die Wirkungsweise einiger Insektizide beruht jedoch darauf, die Funktionen des Juvenilhormons der Insekten nachzuahmen (Harmon et al. 1995). Solche Insektizide entfalten ihre Wirkung demnach bestimmungsgemäß als endocrine disruptor.

Für viele der als endocrine disruptors in Frage kommenden Stoffe sind Oberflächengewässer die Medien, über die die Ausbreitung in der Umwelt erfolgt. Entsprechend sind Organismen, die aufgrund ihrer Lebensweise zumindest einen Teil ihres Daseins obligatorisch im Wasser verbringen, besonders gefährdet. Diese intensive Expositionssituation ist für Fische (Kime 1998 ) und Amphibien gegeben.

Einen wichtigen Hinweis auf die Präsenz und Wirksamkeit von endocrine disruptors in der Umwelt lieferte der Nachweis, dass männliche Regenbogenforellen (Oncorhynchus mykiss), die im Auslauf britischer Kläranlagen in Käfigen gehalten wurden, Feminisierungserscheinungen aufwiesen ( Purdom et al. 1994 ). Der dabei verwendete Biomarker war das Vitellogenin, eine Vorstufe des Dotterproteins, das alle oviparen Wirbeltiere bilden ( Wahli et [Seite 10↓] al. 1981, Brock & Shapiro 1982 ). Vitellogenin wird spezifisch durch das weibliche Sexualsteroid 17 β -Estradiol induziert und ist in männlichen Forellen unter natürlichen Umständen nicht nachzuweisen, weil der Gehalt an 17 β -Estradiol im Blutplasma nicht ausreicht, um die Bildung des Biomakers auszulösen. Die untersuchten Kläranlagenausläufe enthielten jedoch estrogen wirksame Substanzen in einem Umfang, der in einer Induktion des Vitellogenins in männlichen Forellen resultierte (Jobling & Sumpter 1993; Sumpter 1995 ).

1.2 Amphibien als Studienmodell

In den vergangenen Jahrzehnten ist weltweit ein Rückgang der Amphibienpopulationen zu beobachten (Blaustein & Wake 1990). Neben zunehmender Belastung durch UV-Strahlung (Blaustein et al. 1994), Kontamination mit toxischen Stoffen und Habitatsveränderungen (Houlahan et al. 2000, Carey 2000) stehen auch endocrine disruptors im Verdacht, einen Beitrag zu diesem Phänomen zu leisten (Carey & Bryant 1995).

Deshalb, aber auch wegen des fundierten Wissens, das aufgrund der Forschung in Vergangenheit und Gegenwart bezüglich Endokrinologie und Entwicklungsbiologie dieser Tiergruppe zur Verfügung steht, bieten sich Amphibien zur Untersuchung von endocrine disruptors an. Ihre Eignung als Testorganismen in ökotoxikologischen Studien ist gut dokumentiert (Henry 2000).

Amphibien leben zumindest während ihrer Larvalentwicklung permanent aquatisch, was eine kontinuierliche Exposition gegenüber vorhandenen Schadstoffen im Umgebungsmedium zur Folge hat. Der Laich weist im Gegensatz zu allen anderen Anamniota keine Schale oder Membran auf und die Kaulquappen besitzen eine hochpermeable Haut, so dass exogene Substanzen während der gesamten Larvalentwicklung in hohem Maß bioverfügbar sind und eine Akkumulation im Organismus möglich ist. Der Zeitraum bis zum Abschluss der Metamorphose stellt somit die sensitivste Phase gegenüber exogenen Faktoren und damit auch gegenüber endocrine disruptors in der Entwicklung der Amphibien dar.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit endokrinen Beeinträchtigungen, die Auswirkungen auf die amphibische Reproduktionsbiologie haben. Wie bei den meisten Hormonsystemen von Wirbeltieren liegt auch bei diesem ein hierarchischer Aufbau zu Grunde. Der Hypothalamus, selbst beeinflusst vom zentralen Nervensystem, steuert durch die Abgabe von „releasing“ bzw. „inhibiting“ Hormonen die sekretorische Aktivität der Hypophyse. Die [Seite 11↓]gonadotropen Hormone der Hypophyse wiederum regulieren die Ausschüttung der Sexualsteroide in den peripheren Hormondrüsen. Die Geschlechtshormone wirken einerseits auf die entsprechenden Zielzellen in den Geweben, andererseits in negativen feedback-Mechanismen auf Hypothalamus sowie Hypophyse zurück und leisten so einen Beitrag zur humoralen Homöostase des Organismus. Ergänzt wird dieses System durch Transportproteine, an die die Hormone im Blutstrom gebunden sind, sowie Abbau- und Ausscheidungsprozesse, die auf die Konzentration der Steroide im Blut Einfluss nehmen. Ein störungsfreies Zusammenspiel der genannten Komponenten des Systems, resultiert in einer funktionierenden Regulation von Estrogenen und Androgenen und ermöglicht eine normale geschlechtliche Differenzierung und Entwicklung, die Produktion fertiler Spermien und Eizellen sowie das artgerechte Paarungsverhalten.

Die Möglichkeiten zur Beeinflussung des Hormonsystems sind aufgrund seiner komplexen Organisation vielfältig. Abb. 1.1 zeigt die Funktionsweise der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse weiblicher und männlicher Amphibien sowie die Rolle der Leber, von deren Genprodukten einige als spezifische Biomarker für die Wirkungen von Sexualsteroiden verwendet werden können. Ergänzend sind die denkbaren Angriffspunkte dargestellt, über die endocrine disruptors potentiell auf dieses Gefüge einwirken.

Angeregt durch das vom Hypothalamus gebildete Gonadotropin releasing Hormon (GnRH) erfolgt die Sekretion der glandotropen Hormone der Hypophyse, FSH (Follikel stimulierendes Hormon) und LH (luteinisierendes Hormon) ins Blut. Auf diesem Weg erreichen diese im weiblichen Tier die Follikelzellen des Ovars und stimulieren dort die Bildung von 17β-Estradiol (E2). Zu diesem Zweck wird hauptsächlich in den Thekazellen gebildetes Testosteron (T) in die Granulosazellen transportiert, dort durch das Enzym Aromatase in E2 umgewandelt und in den Blutstrom abgegeben, wo 90-95% des E2 an das Transportprotein SBP (Sexualsteroid bindendes Protein) gebunden vorliegen. Ein erhöhter E2-Spiegel wirkt in negativer Rückkopplung auf Hypothalamus und Hypophyse zurück und vermindert dort die Freisetzung von GnRH bzw. FSH und LH. Freies E2 im Blut kann an der Zielzelle aufgrund seiner lipophilen Struktur die Zellmembran passieren und im Cytosol an den Estrogenrezeptor binden. Dieser Hormon/Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern, wo ein Dimer dieser Komplexe durch Bindung an E2-responsive Elemente (ERE) der DNA die Transkription E2-spezifischer Gene auslöst (Beato et al. 1995).


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Abb. 1.1:
Schematische Darstellung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse bei weiblichen (A) und männlichen (B) Amphibien. Neben den feedback-Mechanismen zur Regulation der Sexualsteroide und der biologischen Funktionen von Estradiol bzw. Androgenen in der Leber sind die potenziellen Angriffspunkte von endocrine disruptors (I-VI) dargestellt.
AR: Androgen Rezeptor, ARE: Androgen responsives Element, ZNS: Zentralnervensystem, E2: 17β-Estradiol, ED: endocrine disruptor, ER: Estrogen Rezeptor, ERE: Estrogen responsives Element, FSH: Follikel stimulierendes Hormon, GnRH: Gonadotropin releasing Hormon, GR: Granulosazelle, IZ: interstielle Zelle, LH: luteinisierendes Hormon, mRNA: messengerRNA, RBP: Retinol binding protein, SBP: Sexualsteroid bindendes Protein, SZ: Sertoli Zelle, T: Testosteron, TH: Theca Zelle, VG: Vitellogenin (nach Kloas 2002, verändert)


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Zu diesen Genen, von denen durch E2 verstärkt mRNA-Transkripte erstellt und damit in der Folge durch Translation Proteine hergestellt werden, gehören das Dotterprotein Vitellogenin (Wahli et al. 1979; Perlman et al. 1984), der Estrogen Rezeptor (Tata 1987), und das Retinol binding protein (McKearin et al. 1987; McKearin & Shapiro 1988).

Die Steuerung der Androgenfreisetzung in männlichen Amphibien wird analog zum weiblichen Organismus durch die beschriebene hierarchische Struktur und die integrierten feedback-Mechanismen geleistet. Die Gegenwart von FSH und LH führt in den interstitiellen (Leydigschen) Zellen (IZ) der Hoden zur Produktion der Androgene, bei Anuren sind das hauptsächlich Testosteron und Dihydrotestosteron. Die Androgene binden an das gleiche SBP wie E2 und die Vermittlung der Wirkung an den Zielzellen über cytosolische Androgenrezeptoren und entsprechende Denaturierung nach DNA-Interaktion erfolgt analog den Estrogenen. Allerdings resultiert dieser Prozess im Fall der Androgene oftmals in der Repression spezifischer Gene und nicht wie bei E2 in einer Aktivierung. So wird beispielsweise in Xenopus laevis die Expression des RBP durch Androgene sowohl in vivo ( McKearin et al. 1987; McKearin & Shapiro 1988 ) als auch in vitro (Kloas et al. 2000) herabgesetzt.

Mögliche Stellen, an denen ein direkter Eingriff durch endocrine disruptors in diese hormongesteuerten Systeme erfolgen kann, sind: (I) Bindung an das SBP, (II) Bindung an die Steroidrezeptoren, die zu (III) Veränderungen der Expression der genannten Biomarker führen und (IV) Beeinflussung der feedback-Mechanismen auf Hypothalamus und Hypophyse. Indirekt können diese Systeme beeinträchtigt werden, in dem endocrine disruptors auf (V) die Zellen der Steroidsynthese und die beteiligten Enzyme oder (VI) die Geschlechtsdifferenzierung wirken.

Im Unterschied zu höheren Wirbeltieren ist von einigen Amphibien bekannt, dass sich die Verteilung der Geschlechter unabhängig vom Genotyp verändert, wenn während der Larvalentwicklung eine Behandlung mit Sexualsteroiden erfolgt. Eine Exposition gegenüber Estrogen in der sensitiven Periode der Sexualentwicklung hat eine Verweiblichung zur Folge, während die Gegenwart von Androgenen im Umgebungsmedium in dieser Phase zu einer Vermännlichung führen kann ( Witschi & Allison 1950; Witschi 1971; Gallien 1974; Hayes 1998; Wallace et al. 1999; Kloas 2002 ). Damit bieten Amphibien die Möglichkeit, den Einfluss von exogenen Substanzen auf die Sexualdifferenzierung in vivo zu untersuchen.

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde der Südafrikanische Krallenfrosch Xenopus laevis (Daudin, 1803) als Studienobjekt herangezogen. Aufgrund seiner recht einfachen Hälterung unter Laborbedingungen und der Fä­[Seite 14↓]higkeit zur ganzjährig induzierbaren Reproduktion (Deuchar 1975; Hilken et al. 1995) ist X.laevis in der Vergangenheit zu einem intensiv genutzten Forschungsobjekt in Entwicklungsbiologie und Physiologie geworden. Die Entwicklung des Krallenfrosches vom befruchteten Ei bis zum Abschluss der Metamorphose ist innerhalb einer Normentafel in 66 Stadien unterteilt worden (Nieuwkoop & Faber 1994), an der sich alle Angaben zum Entwicklungsgrad der Tiere, die in dieser Arbeit gemacht werden, orientieren.

Der Genotyp männlicher Tiere von X. laevis ist ZZ, während die weiblichen Tiere den heterogametischen Genotyp ZW zeigen. Da X.laevis keine heteromorphen Sexualchromosomen besitzt, ist eine histologische Unterscheidung der beiden Genotypen nicht möglich ( Schmid & Steinlein 1991). Unter natürlichen Umständen entwickeln sich aus dem Laich von X. laevis gemäß der genetischen Anlage jeweils zur Hälfte weibliche und männliche Tiere. Dieses Verhältnis ist durch Behandlung mit Substanzen im Umgebungsmedium während der larvalen Entwicklung veränderbar ( Kloas et al. 1999 ). Neben dieser Möglichkeit, die Beeinflussung der sexuellen Differenzierung in vivo zu untersuchen, ist X. laevis als Studienmodell zur Untersuchung von endocrine disruptors auf mehreren Nachweisebenen in vitro etabliert. Dazu zählen Bindungsstudien an den cytosolischen Estrogenrezeptor aus der Leber von X. laevis ( Lutz & Kloas 1999 ) und die Erfassung biologischer Wirkung auf zellulärer Ebene durch die Bestimmung der Induktion verschiedener Biomarker in Primärkulturen von Hepatozyten des Krallenfrosches ( Kloas et al. 1999, 2000 ).

1.3 Ziele der Arbeit

Der Großteil der Experimente, die bisher zur Untersuchung der Sexualdifferenzierung bei Amphibien durchgeführt wurden, basiert auf der Annahme, dass sich ausgehend vom genetisch festgelegten Geschlecht während der larvalen Entwicklung Ovar bzw. Testes ausbilden, die wiederum für die weitere Entwicklung zum adulten weiblichen bzw. männlichen Tier verantwortlich zeichnen (Kelley 1996).

Es fehlten bislang Studien, die Aussagen über die Mengen an Sexualsteroiden - sowohl von Androgenen als auch von Estrogenen - zulassen, die während der larvalen Entwicklung vom Ei bis zum juvenilen Tier in den Organismen vorliegen. Darüber hinaus existiert eine kontroverse Diskussion über die Frage, ob die vorhandenen Steroide auch maternalen Ursprungs sein könnten oder ausschließlich endogener Produktion ab bestimmten Entwicklungsstadien des Amphibs entstammen.[Seite 15↓] Ebenso war zu Beginn der vorliegenden Arbeit nicht bekannt, in welchen Entwicklungsstadien die zugehörigen Estrogen- und Androgenrezeptoren auftreten und in welchem Umfang dies geschieht. Daten, die eine Beurteilung der Verhältnisse hinsichtlich der genannten Parameter während der Entwicklung ermöglichen, könnten neue Aspekte zum Verständnis grundlegender Mechanismen der sexuellen Differenzierung von Amphibien beitragen. Aus diesem Grund wurden im Rahmen dieser Arbeit die Gehalte der natürlichen Sexualsteroide 17β-Estradiol sowie der Androgene (summarische Bestimmung von Testosteron und Dihydrotestosteron) ermittelt, die von Beginn der Ei-Entwicklung bis zum Zeitpunkt zwei Monate nach Abschluss der Metamorphose des Krallenfrosches vorliegen. Parallel hierzu wurde über den gleichen Zeitraum hinweg die Expression der entsprechenden Rezeptoren untersucht.

Beobachtungen zur Beeinflussung der sexuellen Differenzierung in vivo berichten überwiegend von Feminisierungserscheinungen, die auf die Exposition gegenüber estrogenen Substanzen zurückzuführen sind. Studien, die andere mögliche Wirkrichtungen prüfen, sind selten und haben z.T. widersprüchliche Daten geliefert (vgl. Rastogi & Chieffi 1975). Daher wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit vergleichend untersucht, welchen Einfluss im Umgebungsmedium präsente Stoffe mit estrogener, antiestrogener, androgener und antiandrogener Wirkung auf die Geschlechtsentwicklung von X. laevis nehmen.

Das Wissen um langfristige Effekte, die eine dauerhafte Behandlung mit hormonell wirksamen Substanzen nach sich zieht, ist gering. Zwar ist die Festlegung des Geschlechtes bereits vor der Metamorphose abgeschlossen, die Ausdifferenzierung der Gonaden zu funktionellen Hoden bzw. Ovarien erfolgt aber erst in der juvenilen Phase. Ob und in welcher Form diese Gonadenreifung durch exogene Einflüsse beeinträchtigt werden kann, ist nicht bekannt. Der Krallenfrosch eignet sich für Untersuchungen dieser Fragestellung hervorragend, weil er auch nach der Metamorphose aquatisch lebt und keinen Habitatswechsel in terrestrischen Bereiche vollzieht. Dadurch ergibt sich auch nach Abschluss der larvalen Entwicklung eine intensive Expositionssituation gegenüber im Wasser vorhandenen Substanzen.

In einem weiteren Teil der vorliegenden Arbeit wurde der Frage nachgegangen, ob die Vielzahl an Methoden auf unterschiedlichen Nachweisebenen, die das Studienmodell X. laevis zur Untersuchung von endocrine disruptors unter Laborbedingungen bietet, auch für Freilandstudien geeignet ist. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen einer Kooperation mit dem Bayerischen Landesamt für Wasserwirtschaft (Forschungsstation Wielenbach) die Untersuchung des endokrinen Potenzials durchgeführt, das im Auslauf der Kläranlage Starnberg (Bayern) enthalten ist. Neben der Anwendbarkeit von Labor­[Seite 16↓]methoden auf reale Bedingungen stand dabei die Frage im Vordergrund, ob sich Ergebnisse, die bei Verwendung des Südafrikanischen Krallenfrosches X. laevis ermittelt wurden, auf einheimische Amphibienarten übertragen lassen. Aus diesem Grund wurden parallel zur Behandlung von X. laevis vergleichend Kaulquappen des heimischen Grasfrosches Rana temporaria (Linné 1758) während ihrer Larvalentwicklung gegenüber dem Starnberger Kläranlagenauslauf exponiert und untersucht.


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30.01.2004