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Das vordere Kreuzband (VKB) stellt den zentralen Pfeiler des Kniegelenkes dar. Sowohl in Streckung als auch in gebeugter Position sind stets Teile des Bandes gespannt und dienen somit der Führung und Stabilisierung der Roll-Gleit-Bewegung des Gelenkes. Verletzungen des vorderen Kreuzbandes können zu einer anterioren Subluxation des Knies führen und damit zu einer gravierenden Instabilität, welche die Funktion des Gelenkes einschränkt (28,44,94). Ohne die zentrale Führung der Roll-Gleit-Bewegung durch das vordere Kreuzband, kommt es sekundär zu einer progredienten Schädigung der Menisken und des Gelenkknorpels, mitunter bis zur frühzeitigen Arthrose des Kniegelenks (8,39,83,125). Im Gegensatz zu anderen Bandstrukturen des Knies, wie zum Beispiel den Kollateralbändern (43,58), zeigt das rupturierte VKB eine geringe bis nicht vorhandene Heilungspotenz (85-87).
Der Anteil an Kniebinnenverletzungen hat in der Vergangenheit durch die rasante Zunahme an Kontaktsportarten und kniebelastenden Sportarten, wie z.B. dem Skiabfahrtslauf, erheblich zugenommen (119). So werden beispielsweise in den USA ca. 50.000 Kreuzbandoperationen pro Jahr durchgeführt (1). Dabei haben sich die Resultate nach Kreuzbandersatz durch Optimierung von minimal invasiven Techniken, wie das arthroskopische, bzw. das arthroskopisch assistierte Vorgehen, in den letzten Jahren erheblich verbessert. Einen wesentlichen Betrag dazu haben umfangreiche klinische und tierexperimentelle Studien geleistet, in denen biomechanische Untersuchungen bei Verwendung verschiedener Transplantate durchgeführt wurden.
Dabei läßt sich feststellen, daß das Wissen und Verständnis der funktionellen Anatomie “die wichtigste Grundlage des Chirurgen zur Rekonstruktion und Heilung“ nach Verletzung des vorderen Kreuzbandes (38) ist.
Die vorliegende Arbeit soll weiteren Aufschluß über die biologischen Grundlagen des Einheilungs- und Reifungsprozesses eines freien Sehnentransplantates nach Kreuzbandersatz geben.
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Erste Beschreibungen von Anatomie und Funktion der Kreuzbänder des Kniegelenkes gehen auf Galen von Pergamon um 200 v.Chr. zurück. Jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts wurde 1845 mit der Arbeit von Amédée Bonnet über „die Behandlung von Gelenkerkrankungen“ der Grundstein für die moderne Kniechirurgie gelegt (22,23). Er berichtete anhand von Kadaverstudien über die Mechanismen von Kniebandverletzungen und beschrieb Begleitphänomene wie Hämarthros und das Subluxationsphänomen der Tibia nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes. In den folgenden Jahren wurden weitere Erkenntnisse über den Pathomechanismus der VKB-Ruptur gewonnen (37,82,102,109) und erste konservative Behandlungsmethoden ausgearbeitet (76).
Der erste schriftlich belegte chirurgische Eingriff wurde 1885 von Mayo Robson im General Infirmary, Leeds, England durchgeführt. Er vernähte erstmals die Kreuzbänder eines Minenarbeiters mit chronischer Knieinstabilität (75).
Die ersten Rekonstruktionen des vorderen Kreuzbandes wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Hey Groves (1917) (56) und Alwyn Smith (1918) (108) durchgeführt. Beide verwendeten ein gestieltes Tractus iliotibialis Autotransplantat zur intraartikulären Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes. Diese Technik sollte der Vorläufer aller modernen intraartikulären Kreuzbandrekonstruktionen werden.
Neben der Entwicklung und Verbesserung neuer operativer Techniken wurden auch neue Untersuchungstechniken entwickelt. So wurde bereits 1913 von Jones und Smith das Phänomen des “pivot shift” beschrieben – in der Orthopädie heute eines der etablierten klassischen Zeichen der vorderen Knieinstabilität (64).
In den Jahren zwischen 1919 und 1930 wurden durch die Entwicklung von Arthrographie und Arthroskopie die Diagnostik und die Versorgung von Kreuzbandverletzungen revolutioniert (19,20,27,68). Nach ersten Versuchen des Japaners Kenji Takagi 1918 mit einem Zystoskop in das Innere eines Kniegelenkes zu blicken, konnte der Schweizer Eugen Bircher seine arthroskopischen Erfahrungen an Leichenknien mit einem Jacobeus Laparoskop Anfang der zwanziger Jahre am Menschen anwenden (19,20).
Ab 1930 folgte dann eine Reihe von Fallberichten (26,34,35,74) über verschiedene operative Verfahren zur Behandlung der VKB - Instabilität. 1936 und 1939 berichteten [Seite 11↓]Campbell et al erstmalig über die Verwendung der Patellarsehne als Ersatz für ein frisch rupturiertes VKB (29,30).
Erst 1938 wurde durch Ivar Palmer die Knieinstabilität erstmals ganzheitlich betrachtet. In einem umfangreichen Werk berichtete er von klinischen sowie experimentellen Studien über Anatomie, Biomechanik, Diagnostik und Behandlung von Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (88).
In den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts begann die moderne Zeit der Kreuzbandchirurgie. Mit der 1950 herausgegebenen Arbeit von O’Donoghue über die Notwendigkeit einer frühen Diagnose und operativen Versorgung frischer Kreuzbandverletzungen (84), begann eine lange Serie von Publikationen. In umfangreichen wissenschaftlichen Studien wurden teils neue, teils schon wieder in Vergessenheit geratene operative Techniken zur Versorgung von VKB-Rupturen veröffentlicht (15,54,69,85,110).
Mitte der siebziger Jahre galt der besondere Augenmerk auf der Diagnosefindung und der Behandlung von Rotationsinstabilitäten des VKB-defizienten Knies. MacIntosh et al. beschrieben den „pivot shift“ als pathognomonisch für die VKB-Insuffizienz (49). Slocum et al (107), sowie Losee und Mitarbeiter (71) beschrieben Variationen des „pivot shift“-Tests, um die vordere tibiale Subluxation zu diagnostizieren. Torg et al zeigten in fundierten biomechanischen Untersuchungen die Überlegenheit des Lachmantests gegenüber dem vorderen Schubladentest (114).
Mit den achtziger Jahren kam die Zeit der künstlichen Kreuzbandersatzes. Materialien wie Nylon (118), Dacron und Teflon (77,89,95,97), Polypropylen (50,65) sowie Carbonfäden (31,61,98,124) fanden eine breite Verwendung. Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre begann man, alte, vergessene Verfahren der Kniestabilisierung wiederaufzugreifen und mit Hilfe neuerer Techniken und besserem Wissen um die Kniekinematik zu modifizieren. So wurden Hamstringsehnen (Sehnen der Mm. gracilis und semitendinosus) (72), iliotibiales Band (56,108) und Patellarsehne (Campbell 1930 und 1936) (30,78) als Ersatzmaterialien des rupturierten VKB wieder neu entdeckt.
In den folgenden Jahren wurden zunehmend Langzeitstudien durchgeführt, in denen die verschiedensten Rekonstruktionstechniken im Zusammenhang mit postoperativer Immobilisierung und unterschiedlichen Rehabilitationsprotokollen untersucht wurden. Erstmals wurden auch Vergleiche zwischen operativer und konservativer Therapie [Seite 12↓]nach Kreuzbandläsion angestellt. Durch Studien von Feagin und Curl (41), Arnold et al (13), Arnoczky et al (11), Fetto und Marshall (42), sowie Youmans (126) wurde das intakte vordere Kreuzband als wichtigste Voraussetzung für eine Langzeitfunktion des Kniegelenkes herausgearbeitet und die Notwendigkeit der Rekonstruktion nach Ruptur allgemeinhin propagiert.
In der aktuellen Diskussion bezüglich der Transplantatwahl zum Kreuzbandersatz werden heute nur autologe und, mit einigen Einschränkungen, allogene (Spendergewebe) Sehnentransplantate empfohlen. Beim intraartikulären Ersatz des vorderen Kreuzbandes kann die Verwendung autologer Transplantate wie der Patellarsehne, der Pes Anserinussehnen oder der Quadrizepssehne als Standardverfahren angesehen werden. Alle übrigen Transplantate der Vergangenheit, wie der Tractus iliotibialis oder künstliche Materialien, haben praktisch keine klinische Bedeutung mehr.
Das vordere Kreuzband verbindet zusammen mit dem hinteren Kreuzband als straffe Bandverbindung Femur und Tibia. Es entspringt der medialen Wange des lateralen Femurkondylus weit posterior in der Fossa intercondylaris. Der Ursprung hat eine Insertionsfläche von ca. 16-24 mm Durchmesser und beschreibt einen Halbkreis dessen plane Fläche nach anterior orientiert ist. Ihm entspringen von posterior ein antero-mediales (AMB) und von weiter anterior ein postero-laterales Bündel (PLB), welche durch den Gelenkbinnenraum zur tibialen Ansatzstelle ziehen. Die freie Länge des VKB beträgt dabei 31-38 mm (70). Dabei kreuzen die Bündel das hintere Kreuzband, welches von einem breit gefächerten Ursprung anterior an der lateralen Wange des medialen Femurkondylus nach dorsal zu seiner Insertionsstelle an der Area intercondylaris posterior der Tibia zieht. Die beiden Hauptbündel des VKB sind nicht voneinander isoliert und lassen sich im Gegensatz zum Vierbeiner beim Menschen nicht immer klar voneinander trennen.
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Abbildung 1: A. Humanes Kniegelenk mit Blick auf Kreuzbänder und Femurkondylen. B. Ovines Kniegelenk mit Blick auf Kreuzbänder und Femurkondylen. | ||
Die beiden Bündel bilden dabei stets eine funktionelle Einheit, in der, während der Kniebeugung (AMB) und Streckung (PLB), stets ein Anteil gespannt ist. Diese Funktionalität rührt von den weit aufgefächerten Ursprungs- und Insertionsflächen her. Das VKB inseriert tibial auf einer Fläche von 11 mm Breite und 17 mm antero-posterioren Ausdehnung. Dabei inserieren die von femoral weit posterior entspringenden Fasern im vorderen Anteil der Insertionsfläche, teilweise reichen sie bis unter das Ligamentum transversum. Der von femoral anterior entspringende Anteil inseriert im hinteren Anteil der Insertionsfläche.
Abbildung 2: Schematische Darstellung des Ursprunges und Ansatzes der Kreuzbänder im Kniegelenk (aus F. H. Netter Interactive atlas of human anatomy): A: Ansicht der Femurkondylen von inferior. B: Ansicht des Tibiaplateaus mit Menisken von superior. (VKB = vorderes Kreuzband, HKB = hinteres Kreuzband, MCL = mediales Kollateralband, LCL = laterales Kollateralband, AM = Außenmeniskus, IM = Innenmeniskus) | ||
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Dadurch kommt es zu einer Verdrehung des VKB und zu der beschriebenen fortwährenden Spannung einzelner Faserbündel. Die beiden Kreuzbänder werden von einer reichlich durchbluteten synovialen Hülle überzogen und werden so vom Gelenkbinnenraum getrennt (38,91).
Abbildung 3: Das vordere Kreuzband das Schafes läßt sich deutlich in ein kräftigeres antero-mediales (AMB) und ein postero-laterales (PLB) Bündel unterteilen, wobei stets ein Anteil während Beugung und Streckung gespannt ist. A.: Ansicht von ventral, B.: Ansicht von dorsal. | ||
Der dominierende Zelltyp im Bandgewebe wie dem VKB sind die Fibroblasten.
Die Fibroblasten liegen perlschnurartig entlang der Längsachse des Bandes zwischen den kollagenen Fasern. Ihre Form variiert je nach Aktivitätszustand zwischen spindelförmig (Fibrozyten, wenig aktiv) und rundzellig-ovoid (Fibroblasten, starke Syntheseaktivität). Sie gehören zu den ortsständigen Zellen und regulieren den Auf- und Abbau der Extrazellulärsubstanzen. Im Rahmen des Remodelingprozesses nach vorderem Kreuzbandersatz sind Fibroblasten somit von entscheidender Bedeutung für den Wiederaufbau des Kollagengerüsts im Transplantat. Mit dem in das avitale [Seite 15↓]Transplantat einwachsenden Granulationsgewebe gelangen Fibroblasten in das alte Kollagengewebe und steuern gemeinsam mit nicht untergegangenen Fibroblasten des Transplantates den Abbau der Sehnenmatrix und den Aufbau der Bandmatrix.
In wechselnder Anzahl finden sich weiterhin die freien Zellen, wie z.B. Histiozyten, Mastzellen, Plasmazellen, und diverse Granulozyten, deren Hauptaufgabe in der Immunabwehr besteht und über die Blutgefäße in das Bandgewebe gelangen (6,112,125).
Die Blutversorgung des vorderen Kreuzbandes wird hauptsächlich über die A. genicularis medialis und am tibialen Ansatz von einigen Ästen der A. genicularis medialis inferior, die der Arteria poplitea entspringt, gewährleistet (9,91). Die Blutgefäße gelangen durch den infrapatellären Fettkörper und über eine dorsale synoviale Umschlagfalte in das Gelenk und verzweigen sich periligamentär in einem synovialen Netzwerk kapillärer Gefäße (9).
Abbildung 4: Schematische Zeichnung von Lage und Verlauf der das Knie versorgenden Arterien. | ||
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Hinteres und vorderes Kreuzband werden von der Synovialis wie von einem Schlauch umhüllt. Aus ihr treten über kurze Anastomosen die periligamentären Gefäße in Verbindung mit dem feinen endoligamentären Kapillarnetz das longitudinal entlang der Kollagenfaserbündel ausgerichtet ist (4). Der mittlere Anteil des VKB ist weniger gut durchblutet als der femorale und tibiale Ansatz, der direkte ossäre Ansatz bleibt jedoch gefäßfrei. Ebenso fehlen ossär-ligamentäre Gefäßanastomosen, jedoch konnten Anastomosen der periligamentären Synovialis mit dem Periost sowie dem endostalen Raum nachgewiesen werden (91,105).
Die Extrazellulärsubstanz oder -matrix (EZM) unterteilt sich in ungeformte Grundsubstanzen (Mucopolysaccharide, Glykoproteine und Proteoglykane) die aufgrund ihrer hydrophilen Eigenschaften Wasser an sich binden können und den Zusammenhalt der geformten faserigen Anteile gewährleisten. Das VKB besteht zu 60% seines Feuchtgewichts aus Wasser. Die festen faserigen Bestandteile bilden hauptsächlich Kollagene und zu geringen Anteilen Elastine und retikuläre Fasern. 75% des Trockengewichts machen Kollagene aus, 90% davon Kollagen Typ I und nur zu 10 % Typ III. Die Fibroblasten produzieren Tropokollagen, das nach Ausschleusung aus den Fibroblasten an der Zelloberfläche zu ca. 5 nm großen Protofibrillen kondensiert. Unter Einwirkung von Zugspannungen erfolgt die Kristallisation zu 10–100 nm langen Mikrofibrillen. Diese lagern sich zu Kollagenfibrillen (200-400 nm) zusammen, welche sich zu den eigentlichen kollagenen Fasern (1-10 µm) formieren. Die Kollagenfasern besitzen ein großes Elastizitätsmodul das eine hohe Zugbeanspruchung übersteht und bilden so die Voraussetzung für die straffe Bandverbindung von Femur und Tibia durch das vordere Kreuzband (112,125).
Die Innervation des VKB erfolgt hauptsächlich über feine Äste des Nervus articularis posterior, der aus dem N. tibialis entspringt. Diese gelangen über die dorsale Umschlagfalte der Synovialis in das Gelenk und ziehen zusammen mit den synovialen und periligamentären Gefäße zu den Kreuzbändern. Im Bandgewebe befinden sich vier [Seite 17↓]verschiedene Klassen von sensorische Nervenendigungen: Ruffini- und Pacini-körperchen, Golgi Apparate und freie Nervenendigungen. Die Ruffini Körperchen übernehmen dabei die Funktion eines statischen und dynamischen Mechanorezeptors, welcher in der Lage ist, die statische Knieposition, intraartikulären Druck sowie Ausmaß und Geschwindigkeit von Bewegungen des Gelenkes zu erfassen. Paccini Körperchen geben Aufschluß über Beschleunigung und Verlangsamung bei Bewegungen des Gelenkes, in Ruhe haben sie keine Funktion. Den Spannungs-zustandes der Kreuzbänder wird von den Golgi-Apparaten erfaßt. Auch diese Rezeptoren haben in Ruhe keine Funktion. Die freien Nervenendigungen fungieren als reine Schmerzrezeptoren. Die Innervation des VKB spielt eine große Rolle beim Schutz vor unphysiologischen Bewegungen. Durch neuronale Rückkopplungsmechanismen vor allem auf spinaler Ebene (γ-Motorneuron) steuern sie die Kontraktion der knieumgebenden Muskulatur und damit die Gelenkführung und –stabilität (51,62).
Bereits 1905 wurde von Wilhelm Roux (96) die Theorie der funktionellen Adaptierung eines Organs in Folge einer quantitativen oder qualitativen Funktionsänderung beschrieben.
Amiel et al (7) zeigten 1986 in histologischen Untersuchungen zum Ablauf des Heilungsprozesses nach VKB Ersatz am Kaninchen, eine Metamorphose der verwendeten Sehnentransplantate zu einem Ersatzgewebe gemäß dem vorderen Kreuzband, im Sinne einer funktionellen Adaptierung an die neue Umgebung. Dieser Prozeß der Ligamentisierung oder Remodeling der Sehnentransplantate gilt auch heute noch als biologische Basis (7,24). In Anlehnung an die Beobachtungen von Amiel definierte Bosch 1993 verschiedene fließend ineinander übergehende Heilungsphasen des Transplantates nach Kreuzbandersatz (25). Er unterteilte den Umbauprozeß des Transplantates in grundsätzlich drei verschiedene Abschnitte:
Unmittelbar postoperativ wird die Festigkeit der Kreuzbandplastik durch die initiale Verankerung bestimmt. Das freie, also avaskuläre Sehnentransplantat durchläuft nun [Seite 18↓]eine Phase in der partiell ischämische Nekrosen und Degradation des kollagenen Bindegewebes die mechanischen Eigenschaften und die Festigkeit des VKB-Ersatzes zunehmend mindern. Makroskopisch findet man periphere Zonen mit einwachsendem hyperzellulärem und hypervaskulären Bindegewebe neben zentralen avaskulären Nekrosezonen. Auch ultrastrukturell lassen sich diese degenerativen Veränderungen, anhand von Mitochondrienschwellung, Veränderungen des endoplasmatischen Retikulums, sowie intrazellulärer Lipideinschlüsse und Desintegration der Kollagenfibrillen, nachweisen.
Diese Phase wird durch eine sukzessiv voranschreitende Revaskularisierung von peripher nach zentral charakterisiert. Das avitale Transplantat wird durch zell- und gefäßreiches Bindegewebe ersetzt. Die Zunahme des Kollagengehaltes vom Typ III mit einem wesentlich geringeren mittleren Fibrillendurchmesser, sowie der Anstieg des Fibronektin- (Zellmigration und –Adhäsion an die EZM) und Glycosaminoglykan (GAG)-Gehalts, sind Ausdruck der reparativ-proliferativen Prozesse. In dieser Phase verliert das Gewebe seine straffe Organisation der Extrazellulärmatrix und damit weiter an mechanischer Festigkeit. 8 Wochen postoperativ läßt sich biomechanisch die geringste Zugfestigkeit und Elastizität des VKB-Ersatzes feststellen.
Bis zur 24. Woche postoperativ organisiert sich die EZM zunehmend. Dies äußert sich in der Abnahme und Normalisierung des Zellgehaltes und einem rückläufigen Gehalt von Kollagen Typ III und Fibronektin. Der mittlere Kollagenfibrillendurchmesser ändert sich jedoch nicht wesentlich und es dominieren weiterhin hauptsächlich dünne Fibrillen (bis 100 nm).
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Die endoligamentäre Revaskularisierung eines freien Sehnentransplantates nach vorderem Kreuzbandersatz ist eine notwendige biologische Voraussetzung der Ligamentisierung und Gewährleistung der Langzeitüberlebensdauer des Transplantates (4,11,32). Im Gegensatz zum nativen vorderen Kreuzband wird das Transplantat von keiner gut vaskularisierte synovialen Oberfläche umhüllt und besitzt keinerlei Blutversorgung. Wie erwähnt durchläuft der Bandersatz während des Einheilungsprozesses 3 verschiedene Phasen, wobei es über eine Phase der initialen Degeneration zum Einwachsen von hyperzellulärem und hypervaskulärem Granulationsgewebe kommt, bis das Transplantat nach bis zu 2 Jahren seine originäre Festigkeit wiedererlangt (25). Durch die einwachsenden Kapillaren wird die notwendige Sauerstoff- und Nährstoffversorgung gewährleistet und damit der Heilungsprozeß entscheidend unterstützt und getriggert.
Die Revaskularisierung von Kreuzbandtransplantaten wurde in der Vergangenheit intensiv in verschiedenen Studien untersucht (4,7,11,12,32,67,104).
Arnoczky und Co-Autoren (11) berichten in einer Untersuchung am Hund von einem nach 20 Wochen mit reichlichen Kapillaren durchsetzten Patellarsehnentransplantat nach vorderem Kreuzbandersatz. In dieser Studie wurde eine dem nativen vorderen Kreuzband vergleichbarer Gefäßstatus nach 12 Monaten erreicht. Laser Dopplerflowmetrie gestützte Untersuchungen (104) von humanen autologen Kreuzbandtransplantaten zeigten ebenfalls die späte Wiedererlangung der Gefäßdichte entsprechend dem nativen VKB nach 12 Monaten.
Im Gegensatz dazu wird in anderen Studien von einer unveränderten Hypovaskularität des Transplantats noch 8 Wochen postoperativ berichtet, wesentliche Änderung der Gefäßverteilung nach 6 und 12 Monaten konnten nicht festgestellt werden (32).
Diese kontroversen Aussagen lassen sich durch zum Teil unterschiedliche Studiendesigns und unterschiedliche Techniken der Gefäßdarstellung erklären.
Bislang wurden hauptsächlich die Spalteholztechnik (10,11) und die Tuscheinjektion (11,17,32) verwendet, aber auch mikroangiographische Verfahren (10) und die Laser-Dopplerflowmetrie (104) kamen zum Einsatz.
Diese Techniken ermöglichen jedoch nur Aussagen über direkt unter der Oberfläche liegende Gefäße (Laser-Dopplerflowmetrie) oder vermögen es nur Gefäße bis zur [Seite 20↓]Größe einer Venole oder Arteriole sicher nachzuweisen. Das endoligamentäre Kapillarnetz kann jedoch nicht präzise dargestellt werden (32,104).
Somit ist nicht sicher, ob die Transplantatrevaskularisierung und die Wiederherstellung des originären Gefäßstatus, entsprechend dem nativen VKB, nicht bereits früher als bisher nachgewiesen erreicht wird.
Im Rahmen des Remodelingprozesses wird das alte Kollagengewebe des Transplantates als Leitstruktur für das einwachsende Granulationsgewebe genutzt. Mit Beginn der Revaskularisierung und Rezellularisierung wird das alte Kollagengerüst des Transplantates durch Fibroblasten abgebaut und sukzessive durch neugebildetes Kollagen ersetzt. Dabei kommt es zur Umwandlung bzw. Modulation von Fibroblasten zu sogenannten Myofibroblasten. Die Myofibroblastenmodulation erfolgt durch ein komplexes Zusammenspiel von Mediatoren, in dem Wachstumsfaktoren, Zytokine, Adhaesionsmoleküle und Komponenten der Extrazellulärmatrix eine Rolle spielen (103).
Abbildung 5: Modell der Fibroblasten-Myofibroblasten Modulation: TGFß1 wird von Thrombozyten (nicht abgebildet) und Makrophagen freigesetzt. Ursächlich dafür vermutet man die Stimulation dieser Zellen durch GM-CSF. Freigesetztes TGFß1 aktiviert stromaständige Fibroblasten zur Synthese und Organisation eines dreidimensionalen ECM-Gerüstes, das Fibronektin enthält. Gemeinsam mit TGFß1 vermag es die Induktion des myofibroblastischen Phänotypen.(TGFß1 = transformed growth factor ß1; GM-CSF = germcell-colonie stimulating factor; ECM = extracellular matrix; ED-A FN = Fibronectin) | ||
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Myofibroblasten sind hochdifferenzierte Zellen die sowohl Eigenschaften glatter Muskelzellen (Kontraktionsfähigkeit) als auch Fibroblasten (Kollagenproduktion) in sich vereinigen (40).
Myofibroblasten enthalten eine Isoform des kontraktilen Proteins Aktin, das α- smooth muscle Aktin (ASMA). Aktin ist ein weitverbreitetes Zytoskelett-Protein, das bei Vorgängen wie Phagozytose, Zellmigration und Kontraktion eine wichtige Rolle spielt. Es treten 6 Isoformen auf, die von verschiedenen Genen kodiert werden und sich in ihrer Aminosäurensequenz unterscheiden: Die sogenannten „non-muscle-Actin-Isoformen, β- und γ-cytoplasmatic-actin, treten im Zytoplasma nahezu aller Zellen auf. Weiterhin existieren 4 muscle-Aktin-Isoformen, die je nach Zelltyp spezifisch sind und so eine Differenzierung verschiedener Muskelzellen ermöglichen. Dies sind α-sceletal Aktin, α-cardiac Aktin, sowie die charakteristischerweise in glatten Muskelzellen auftretenden Isoformen α- smooth muscle Aktin (ASMA) und γ- smooth muscle Aktin (55,116,117). Die Aktinfilamente der Myofibroblasten sind in sogenannten “stress fibers” gebündelt, die parallel zur Zellängsachse verlaufen und hauptsächlich entlang der Zellmembran zu finden sind. Die ASMA-Isoform wurde sowohl in glatten Muskelzellen als auch in Perizyten und im kontraktilen Apparat fibroblastenähnlicher Myofibroblasten entdeckt und gilt als Marker dieser Zellen (106).
Myofibroblasten zeichnen sich durch ausgeprägte interzelluläre Verbindungen und hoch entwickelte Zell-zu-Stroma Verbindungen (Fibronexus) aus, die es diesem Zelltyp ermöglichen, Zugkräfte auf die ihn umgebende Extrazellulärmatrix auszuüben (16,99,103).
Als Ursprung der Myofibroblasten werden neben den Fibroblasten auch glatte Gefäßmuskelzellen, Perizyten und diverse Stromazellen mit myoidem Charakter vermutet. Nach wie vor ist es fraglich, ob nur spezielle Subtypen von Fibroblasten der Modulation zu Myofibroblasten unterliegen, oder alle Fibroblasten diese Fähigkeit besitzen (99). In vitro Studien zeigten, daß Myofibroblasten vornehmlich isometrische Zugkräfte ausüben. Es ist anzunehmen, daß in vivo bei der Kontraktion von granulierendem oder fibrosierendem Gewebe ähnliche Prozesse stattfinden (52).
1971 wurden Myofibroblasten erstmalig von Gabbiani et al (48) während der Wundheilung im Granulationsgewebe, als Zelle mit ultrastrukturellen Eigenschaften zwischen Fibroblast und glatter Muskelzellen beschrieben. Ihr wurde eine wichtige Rolle
im Mechanismus der Wundkontraktion zugeschrieben. In der Folgezeit entdeckte man [Seite 22↓]diesen Zelltyp bei vielen pathologischen Umbauprozessen die mit Gewebeuntergang und -erneuerung einhergehen.
So wurden Myofibroblasten als pathognomonisches Korrelat der Dupuytren’schen Kontraktur entdeckt (47), sowie bei der Leberzirrhose (18) Nieren- (81) und Lungenfibrose (2) und in metaplastischen Stromaveränderungen als Reaktion auf Neoplasien (101) nachgewiesen.
Faryniarz et al (40) wiesen Myofibroblasten 1996 erstmals im nativen und heilenden Gewebe des medialen Kollateralbandes am Knie des Kaninchen nach. In dieser Studie wurde vermutet, daß die vorübergehend erscheinenden Myofibroblasten eine Rolle bei der Gewebekontraktion spielt und so zur Wiedererlangung der in-situ Spannung des heilenden Bandes führt. Wenig später wurde dieser Zelltyp im intakten (80) und rupturierten (79) humanen vorderen Kreuzband nachgewiesen. Murray und Spector (80) vermuteten das die kontraktile Eigenschaft dieser Zellen für das Zusammenziehen der Extrazellulärmatrix und die Ausbildung der Kollagentertärstruktur, dem sogenannten Kollagen-Crimp, verantwortlich ist. Somit seien kontraktile Myofibroblasten ein fester Bestandteil des intakten vorderen Kreuzbandes.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zwei Teilaspekte des Remodellingprozeß, die Revaskularisierung und Ligamentisierung eines freien Sehnentransplantates nach VKB-Ersatz weiter aufzuklären:
1.: In der Literatur wird allgemein von einer beginnende Revaskularisierung nach 2-4 Wochen ausgegangen. Ein Gefäßstatus entsprechend dem nativen vorderen Kreuzbandes wird nach ca. 12 Monaten erreicht. Bisherige Studien sind aufgrund verschiedener Studienmodelle und verschiedener Nachweismethoden jedoch schwer vergleichbar. Die verwandten Nachweismethoden sind nach meiner Ansicht auch nicht in der Lage das feine endoligamentäre Gefäßnetz der Kreuzbandtransplantate darzustellen. Bei der Dopplerflowmetrie können, in Abhängigkeit von der verwendeten Meßsonde, nur direkt unter der Oberfläche liegende Gefäße detektiert werden. Gefäße, die tiefer als 250 µm unter der Oberfläche liegenden, können nicht erfaßt werden (60). Bei anderen Nachweismethoden wie der Spalteholztechnik oder radiographischen Methoden werden aufgrund der Partikelgröße der verwendeten Markersubstanzen nicht [Seite 23↓]alle Kapillaren perfundiert. Somit ergibt sich eventuell ein falsches Bild der Revaskularisierung, die bereits früher und mit einer anderen Kinetik als bisher beschrieben ablaufen könnte.
Die in der vorliegenden Arbeit angewendete immunhistologische Methode der Gefäßdarstellung im remodellierenden Transplantat ist unabhängig von den Einschränkungen bisheriger Nachweismethoden (115). Somit kann die Kinetik und der Ablauf der endoligamentären Revaskularisierung neu beurteilt werden.
Wir vermuten eine wesentlich früheres Erreichen des Gefäßstatus des nativen VKB.
2.: Im Rahmen der Wundheilung, sowie bei fibrotischen oder metaplastischen Gewebeveränderungen konnten hochdifferenzierte Fibroblasten, sogenannte Myofibroblasten, nachgewiesen werden, die es vermögen Zugkräfte auf die sie umgebende Extrazellulärmatrix auszuüben. Am Bewegungsapparat wurde dieser Zelltyp bislang im heilenden Kollateralband des Kniegelenkes (40) und als fester Bestandteil des intakten VKB (80) beschrieben. Die Autoren dieser Arbeiten hypothetisierten, daß Myofibroblasten eine Rolle bei der Gewebekontraktion spielen und so zur Wiedererlangung der in-situ Spannung des heilenden Bandes führen. Weiterhin wurde vermutet, daß die kontraktilen Eigenschaften dieser Zellen für das Zusammenziehen der Extrazellulärmatrix und die Ausbildung der Kollagentertärstruktur, dem sogenannten Kollagen-Crimp, verantwortlich sind. Über die Repopulation von Myofibroblasten eines remodelierenden VKB-Transplantates lassen sich in der Literatur bislang keine Angaben finden. Es läßt sich vermuten, daß bei den reparativen Ab- und Aufbauvorgängen der Kollagenmatrix eines VKB-Transplantates, Myofibroblasten ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. In der vorliegenden Studie soll mittels immunhistologischer Färbemethode untersucht werden, ob der spezielle Zelltyp der Myofibroblasten im remodelierenden VKB wieder auftritt und seine Funktion weiter aufgeklärt werden.
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