5 DISKUSSION

Mit der vorliegenden Arbeit sollte der Verlauf von primären und abgeleiteten hämodynamischen, gasanalytischen und metabolischen Parametern während der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan analysiert werden. Weiterhin sollte der Einfluß zweier verschiedener intravenöser Narkoseverfahren auf Hämodynamik, Gasaustausch und metabolische Parameter während der isolierten Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan untersucht werden.

Die Studie liefert folgende Erkenntnisse:

  1. Die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan löst eine akute, aber in ihrem Ausmaß geringgradige inflammatorische Reaktion im Sinne eines SIRS aus. Die Zunahme der Hämodynamik und der gesteigerte Metabolismus sind klinisch ohne schwerwiegende pathologische Bedeutung.
  2. Die Gesamtsauerstoffaufnahme und der Sauerstoffverbrauch der Lunge nehmen in der entstehenden SIRS-Reaktion zu.
  3. Das intravenöse Narkoseverfahren nimmt keinen Einfluß auf den Verlauf der SIRS-Reaktion bei der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan. Beide beschriebenen Narkoseverfahren sind für diese operative Therapie geeignet.
  4. Der Zusammenhang der voneinander unabhängig gemessenen Parameter Sauerstoffaufnahmeindex und Herzindex ist mäßig und nimmt in der beginnenden SIRS-Reaktion nicht signifikant zu. Ebenso verhält sich die Korrelation der unabhängigen Meßwerte DO2I und VO2 I. Mit Eintreten der SIRS-Reaktion verstärkt sich der zunächst geringe Zusammenhang nicht signifikant.


[Seite 48↓]

5.1 Pathomechanismus der SIRS-Reaktion

Bei der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan kann es einerseits infolge Kontaktaktivierung im extrakorporalen Kreislauf und andererseits durch Reperfusion von nicht vollständig ausgewaschenen TNFα zur Freisetzung verschiedener proinflammatorischer Mediatoren kommen. Diese Mediatorenfreisetzung kann zu einer systemisch-inflammatorischen Antwort führen und vielfältige Organfunktionsstörungen an Lunge, Nieren, Intestinum, Gehirn und Herz zur Folge haben 51,52.
Der Schweregrad der SIRS-Reaktion korreliert mit den konsekutiv gemessenen erhöhten Serumspiegeln von TNFα und verschiedener Zytokine, wie IL-6 und IL-8, sowie mit der systemischen Leckrate von TNFα23,53,54,55. Auch die Produktion von Stickstoffmonoxid, welches für vasodilatative Prozesse verantwortlich gemacht wird, kann durch diese Mediatoren und TNFα gesteigert werden 56.
Die Exposition des Blutes gegenüber den unphysiologischen Oberflächen der Herz-Lungen–Maschine ist eine mögliche Ursache für die Freisetzung von proinflammatorischen Mediatoren bei der extrakorporalen Zirkulation 57,58,59. Der Kontakt mit den Fremdoberflächen triggert die sogenannten Kontaktaktivierungssysteme 51. Die Stimulation des Faktor XII/Kallikrein-Systems aktiviert die intrinsische Gerinnungskaskade und die Fibrinolyse. Die Aktivierung von neutrophilen Granulozyten führt zur Freisetzung von Sauerstoffradikalen und proteolytischen Enzymen. Durch Komplementaktivierung kommt es zur Freisetzung vasoaktiver, chemotaktischer, immunregulatorischer und zytolytischer Substanzen. Weiterhin wird die Zytokinproduktion stimuliert. Die Kontaktaktivierung fördert eine vermehrte Thrombinbildung. Thrombin hat zahlreiche Einflüsse auf das Endothel, auf Leukozyten und Thrombozyten sowie auf die Gerinnung. Die durch Fremdoberflächen induzierte Thrombozytenaktivierung verursacht Störungen der Mikrozirkulation. Auch die Freisetzung von neutrophilen Granulozyten, Makrophagen, B- und T-Lymphozyten sowie Immunglobulinen wird beeinträchtigt.
Im Verlauf und in Folge der extrakorporalen Zirkulation kann also ein ganzer Komplex von Entzündungskaskaden allein durch den Kontakt von Blutbestandteilen mit dem extrakorporalen Kreislauf aktiviert werden, was wiederum Ausgangspunkt für die Produktion einer Vielzahl von proinflammatorischen Mediatoren ist.


[Seite 49↓]

TNFα ist ebenfalls in der Lage, aus aktivierten Immunzellen eine weitere Ausschüttung proinflammatorischer Mediatoren wie IL-1, IL-2, IL-8, IL-6, IFγ zu induzieren. Es kommt zur Inflammation des gesamten Organismus. Mit IL-6 wirkt TNFα synergistisch als Aktivator der Komplementkaskade und der Akut-Phase-Proteine. Außerdem kann TNFα zu einer up-Regulation endothelialer Adhäsionsmoleküle für Leukozyten und Thrombozyten führen 60. Diese Adhäsionsmoleküle können unter Umständen die Anlagerung von Leukozyten und Thrombozyten an das Endothel, mit wiederum folgender Mediatorenfreisetzung, sowie die Bildung von Leukozyten- und Thrombozytenkonjugaten fördern, welche die Mikrozirkulation beeinträchtigen.
Aktivierte Komplementfaktoren führen unter anderem zur Freisetzung von Zytokinen, Anaphylaxtoxinen und Histamin, damit zu lokalen Entzündungsreaktionen und zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität. Sie wirken teilweise selbst proteolytisch, aktivieren neutrophile Granulozyten und führen zu irreversiblen Membranschädigungen. Die meisten der freigesetzten Mediatoren und TNFα haben einen negativen Einfluß auf die Myokardfunktion 61. Bei TNFα stehen offenbar die Auswirkungen auf das Gefäßsystem im Vordergrund.

Die vorliegende Untersuchung zeigt eine hyperdyname Kreislaufreaktion bei der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNF α zum Zeitpunkt M8, wenn die nichtausgewaschenen proinflammatorischen Mediatoren und TNF α aus der extrakorporalen Zirkulation in den systemischen Kreislauf eingespült werden.

5.2 Methodik und Monitoring

Neuhof und Wolf entwickelten ein klinisch praktikables Monitoringsystem für kritisch kranke Patienten mit kontinuierlicher Bestimmung der Sauerstoffaufnahme sowie des Herzzeitvolumens nach dem Fick’schen Prinzip 64. In der vorliegenden Untersuchung wurde dieses System mit dem Deltatrac II Monitor und dem Vigilance-CCO-Monitor modifiziert. Die verwendeten Meßgeräte haben für klinische Bedingungen eine hinreichende Genauigkeit von 3% für die indirekte Kalorimetrie und 6% für die kontinuierliche Thermodilution. Jedoch ist mit der vorliegenden Studie nicht zu beweisen, daß beim Monitoring des SIRS auf den Swan-Ganz-Katheter verzichtet werden kann. Die prospektive Studie zum Rechtsherzkatheter von Connors et al. zeigte, daß das Überleben septischer Patienten mit Hilfe des pulmonalarteriellen Monitorings nicht verbessert wird 65. Aufgrund der widersprüchlichen Meinungen zum [Seite 50↓]Pulmonalarterienkatheter haben sich Konsensuskonferenzen verschiedener Fachgesellschaften mit diesem Thema auseinandergesetzt und kommen zu dem Schluß, daß fortdauernde aggressive Maßnahmen zur Erhöhung des Sauerstoffangebotes nicht zu empfehlen sind und dafür bei Patienten im septischen Schock ein Pulmonalarterienkatheter nicht indiziert ist 66,67,68.
Die Nachteile des alleinigen Monitoring der Gesamtsauerstoffaufnahme mit dem Deltatrac II Monitor hingegen liegen in seinen Anwendungsbeschränkungen wie konstante Beatmungsbedingungen, Nicht-Rückatmungssystem und den hohen Meßfehler bei inspiratorischen Sauerstoffkonzentrationen über 60% sowie bei Verwendung von Inhalationsanästhetika. Diese methodischen Voraussetzungen lassen die kontinuierliche indirekte Kalorimetrie derzeit nicht als Standardmonitoring geeignet erscheinen. Für die rechnerische Bestimmung des Herzzeitvolumens nach der Fick’schen Methode könnte der Gesamtsauerstoffverbrauch aus der indirekten Kalorimetrie genutzt werden, zusätzlich sind jedoch gemischtvenöse Blutproben notwendig, was sowohl eine deutliche Erhöhung der Invasivität der Methode, als auch eine Vergrößerung des Meßfehlers bedeutet. Weyland und Mitarbeiter zeigten, daß die Variabilität der Meßdaten bei der Berechnung des Herzzeitvolumens nach Fick zum größten Teil durch die Variabilität der arterio-venösen Sauerstoffgehaltsdifferenz geprägt ist 39. Die größere Standardabweichung des berechneten HIDelta gegenüber dem gemessenen HICCO in dieser Untersuchung bestätigt diese methodische Fehleranalyse.
Bei Berechnung der Sauerstoffaufnahme nach dem umgekehrten Fick’schen Prinzip wird die intrapulmonale Sauerstoffaufnahme nicht berücksichtigt 44. Die Bestimmung der Sauerstoffaufnahme nach dem inversen Fick’schen Prinzip aus dem HZV und der a-vO2Diff ist mit der Annahme verbunden, daß die Lunge selbst keinen Sauerstoff konsumiert. Der größte Teil der intrapulmonalen Sauerstoffaufnahme wird jedoch durch die systemische arterio-gemischt-venöse Sauerstoffgehaltsdifferenz nicht reflektiert 69. Etwa 3-5% des zirkulierenden Blutvolumens nehmen physiologischerweise nicht am pulmonalen Gasaustausch teil. Dieses venöse Blut wird über die Bronchialvenen, die Venae cordes und die Venae thebesi direkt dem arteriellem Blut beigemischt. Weiterhin haben der pulmonale Lymphabfluß und die transpleurale Diffusion Einfluß auf die Stabilität des untersuchten Meßsystems. Daher ist die Validität der nach dem Fick’schen Prinzip bestimmten Werte für das Herzzeitvolumen und für die globale Sauerstoffaufnahme auch davon abhängig, ob die intrapulmonale Sauerstoffaufnahme vernachlässigbar gering ist oder nicht 70. Werden von der Lunge selbst signifikante Mengen Sauerstoff konsumiert, so muß man davon ausgehen, daß mit dieser Methode für die genannten Parameter zu niedrige Meßwerte ermittelt werden.


[Seite 51↓]

5.3  Hämodynamik, Metabolik und Gasaustausch im Verlauf der ILP mit TNFα

Vergleichende Untersuchungen zur kardiopulmonalen und metabolischen Situation während und nach extrakorporaler Perfusionstherapie mit TNFα liegen bisher nicht vor. Bei einer Auswertung von 23 Patienten mit extrakorporaler Perfusion mit Melphalan und /oder Cisplatin, jedoch ohne TNFα wurden nur geringe Schwankungen des arteriellen Mitteldrucks beschrieben. Das Herzzeitvolumen und der systemische Gefäßwiderstand zeigten keine signifikanten Veränderungen. Zu Herzfrequenz und metabolischen Parametern wurden keine Angaben gemacht 46.
Der Verlauf des MAP in der vorliegenden Untersuchung spiegelt den chirurgischen Ablauf der Behandlung wider. Die hämodynamischen Reaktionen ähneln denen bei großen gefäßchirurgischen Eingriffen 47. In der Phase des Ausklemmens der extremitätenversorgenden Gefäße steigt der Blutdruck signifikant an, um beim Freigeben der Durchblutung der behandelten Extremität wieder abzufallen. Die zu diesem Zeitpunkt auftretende SIRS-Konstellation mit systemischer Vasodilatation, systemischen Blutdruckabfall, Abfall der kardialen Füllungsdrücke ZVD und PCWP sowie kompensatorischer Tachycardie führt zu einer signifikanten Steigerung des Herzzeitvolumens. Diese insgesamt mittelgradige hyperdyname Kreislaufsituation kann in dieser Studie durch forcierte intravenöse Volumentherapie ausreichend kompensiert werden.

Mit Hilfe des Deltatrac II Monitors wird die metabolische Reaktion während der ILP mit TNFα sicher und nichtinvasiv dargestellt. Zu beobachten ist eine steigende Tendenz der globalen Sauerstoffaufnahme während der Extremitätenperfusion. Dies läßt sich auf die Aktivierung von Mediatoren und Komplement bei Kontakt mit den Fremdoberflächen der extrakorporalen Zirkulation zurückführen. Bei Freigabe des Torniquets und anschließendem venösen Rückfluß gelangen die nicht ausgewaschenen proinflammatorischen Mediatoren aus dem extrakorporalen Zirkulationskreislauf gemeinsam mit stark verdünnten Anteilen von TNFα in den systemischen Kreislauf. Im Blutgefäßsystem und in den Gewebeverbänden können die Mediatoren zu sauerstoffkonsumierenden Reaktionen, und zur Sauerstoff-Radikal-Bildung führen. Da bei der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion zum Zeitpunkt M8 die Gefäße von und zur Extremität wieder mit dem systemische Kreislauf verbunden sind, erfolgt zu diesem Zeitpunkt die Reperfusion der Extremität und damit eine potentielle Einschwemmung von aktivierten [Seite 52↓]Komplement, proinflammatorischen Mediatoren und nicht vollständig ausgewaschenem TNFα. Das gesamte Reperfusionsvolumen wird zunächst aus dem venösen Stromgebiet durch die Lunge geleitet. Die Lunge erfüllt neben ihren blutoxygenierenden und blutgasaustauschenden Funktionen auch immunologische, präventionell infektiologische und antioxidative Aufgaben. Diese Sauerstoff aufnehmenden Stoffwechselprozesse sind im wesentlichen an die parenchymatöse Zellstrukturen der Lunge gebunden 48. Bei zunehmender Steigerung dieser speziellen Filterleistung der Lunge im Verlauf der isolierten Extremitätenperfusion mit TNFα, steigt auch die Sauerstoffaufnahme der Lunge an und erreicht am beobachteten Zeitpunkt M8 ihr Maximum.

Light zeigte 1994 erstmals an Hunden mit experimentell induzierter, iatrogener Pneumokokkenpneumonie, daß sich durch Parrallelbestimmmung der Sauerstoffaufnnahme nach dem Fick’schen Prinzip und mittels indirekter Kalorimetrie, durch Differenz VO2 Kal – VO2 Fick, die gesteigerte Sauerstoffaufnahme der Lunge ermitteln läßt 45. Hensel und Kox untersuchten nach diesem Prinzip die Sauerstoffaufnahme der Lunge von beatmeten Patienten mit septischen und nichtseptischen Lungenschädigungen. Sie wiesen nach, daß VO2ILunge bei bakteriellen Infektionen stärker steigt als bei anderen akuten Lungenschädigungen. Dabei kann VO2ILunge als Verlaufsparameter bei dynamischen Krankheitsbildern unter konstanten Beatmungsbedingungen genutzt werden 49. Die vorliegenden Ergebnisse bei der Extremitätenperfusion mit TNFα lassen annehmen, daß eine beginnende nichtinfektiöse SIRS-Reaktion ebenfalls mit einer gesteigerten pulmonalen Sauerstoffaufnahme einher geht.

Die Parameter des Gasaustausches sind durch die gleichbleibenden Beatmungsbedingungen bei nahezu konstantem FiO2 geprägt. Die Oxygenierung, ausgedrückt durch den arteriellen Sauerstoffgehalt und die arterielle Sauerstoffsättigung kann auch bei zunehmenden Metabolismus aufrechterhalten werden. Erst am Zeitpunkt M8, bei systemischer Reperfusion von nicht ausgewaschenen TNFα, aktivierten Metaboliten und Komplement verringern sich die quantitativen Sauerstoffgehaltsparameter paO2 und caO2 . Dabei steigt gleichzeitig p a CO 2 , als Ausdruck der metabolischen Antwort leicht an.

Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang die Betrachtung der venösen Beimischung. Nach der Ausgangsbestimmung am Zeitpunkt M1 kommt es zu einem signifikanten Abfall des pulmonalarteriellen Shuntes, gemessen an den Zeitpunkten M2 und M3. Dies kann zunächst [Seite 53↓]Ausdruck einer effektiven Beatmung, mit Recruitment von atelektatischen Lungenbezirken durch die maschinelle Beatmung sein. Im Verlauf der ILP steigt die venöse Beimischung wieder auf ihren Ausgangswert, was möglicherweise auch durch den erhöhten Durchsatz des Herzzeitvolumens durch die Lungengefäße bedingt ist. Auch eine Fehlverteilung des peripheren Blutflusses bei Verringerung des peripheren systemischen Gefäßwiderstandes läßt auf anatomische oder funktionelle Shunts bei hohem Herzzeitvolumen schließen 50.
Die gesteigerte Sauerstoffaufnahme des Lungenparenchyms selbst, kann ebenfalls als Zunahme der venösen Beimischung in Bezug auf den Ausgangswert imponieren.

5.4 Narkoseverfahren

Der Vergleich zweier verschiedener TIVA-Narkosen hinsichtlich hämodynamischer und metabolischer Parameter findet sich in der Literatur selten. Lehmann et al. verglichen Propofol/Remifentanil versus Midazolam/Sufentanil bei 40 Patienten während koronarer Bypassoperationen 62. Dabei beobachteten sie keine signifikanten hämodynamische Unterschiede in beiden Narkosegruppen. Andere Veröffentlichungen zeigen eine dosisabhängige Tendenz zur Bradycardie und Hypotonie bei Verwendung unterschiedlicher Dosierungen der TIVA mit Remifentanil 63.
Herzfrequenz und Herzindex werden in der vorliegenden Untersuchung durch die Narkose N2 mit Propofol/Remifentanil/Cis-Atracurium gegenüber der Narkose N1 mit Etomidate/Dormicum/Sufentanil/Pancuronium signifikant vermindert. Der pulmonalarterielle Mitteldruck ist in der Propofol/Remifentanil/Cis-Atracurium–Gruppe signifikant höher als in der Etomidate/Dormicum/Sufentanil/Pancuronium-Gruppe. Die in der vorliegenden Studie verwendeten vergleichsweise höheren Dosierungen für Propofol und Remifentanil könnten für die beobachteten Unterschiede der Herzfrequenz, des Herzindex und des pulmonalarteriellen Druckes bezüglich der Narkoseform verantwortlich sein. Die perioperative Volumenzufuhr und das Abklemmen der perfundierten Extremität kompensieren möglicherweise einen deutlicheren Abfall des arteriellen Mitteldruckes in der Propofol/Remifentanil–Narkosegruppe N2.
Diese Studie zeigt ebenfalls eine Zunahme der pulmonalen und systemischen Gefäßwiderstände durch Propofol/Remifentanil/Cis-Atracurium im Vergleich mit der Substanzkombination aus Etomidate/Midazolam/Sufentanil/Pancuronium.


[Seite 54↓]

Im beobachteten Zeitraum verhalten sich die Trends sämtlicher untersuchter Parameter für beide verwendeten Narkoseverfahren gleichsinnig, so daß keine Narkosegruppe einen deutlichen klinischen Vorteil erzielt.

5.5 Herzindex und Sauerstoffverbrauch

Die Beziehung HI/VO2 ist linear und dient der Anpassung der Durchblutung an den aktuellen Sauerstoffbedarf. Dies wurde für gesunde Probanden schon 1922 von Haldane und Douglas beschrieben 71. Scheeren et al. zeigten die Konstanz dieser metabolischen Beziehung sowohl unter Narkosebedingungen mit verschiedenen Inhalationsanästhetika, als auch bei Behandlung mit verschiedenen Katecholaminen 72.Inhalationsanästhetika führen demnach zu einer allgemeinen Stoffwechseldämpfung, die sich im Vergleich zum Ruhegrundumsatz, in einer niedrigeren Sauerstoffaufnahme ausdrückt, der anschließend die globale Durchblutung folgt 42.Katecholamine hingegen verändern die Steilheit der weiterhin linearen HI/VO2I –Beziehung 73. Diese Untersuchungen wurden an chronisch instrumentierten Hunden vorgenommen.

Die hier an einem humanen SIRS-Modell vorliegenden klinische Untersuchungen zeigen einen geringen Zusammenhang der unabhängig voneinander bestimmten Meßgrößen HI und VO2I unter stabilen, total intravenösen Narkosebedingungen. Mit zunehmender Tendenz einer SIRS-Konstellation wird die HI/VO2I-Beziehung stärker. Der Korrelationskoeffizient r steigt vom Ausgangswert 0,28 auf 0,44 am Zeitpunkt M8 an. Dieser Anstieg ist jedoch nicht signifikant. Betrachtet man den weiteren Verlauf der HI/VO2I-Beziehung, so fällt auf, daß die Korrelation nach Abklemmen der tumortragenden Extremität und vor Anlage der extrakorporalen Zirkulation am Zeitpunkt M2 ihren Minimalwert erreicht. Mit fortdauernder Bypass- und TNFα- Exposition der Patienten nimmt die Korrelation langsam zu. Der maximale Unterschied der Korrelation vor extrakorporaler Zirkulation (M2) und nach Reperfusion der Extremität (M8) ist statistisch signifikant. Dieses Ergebnis läßt vermuten, daß mit beginnender SIRS-Reaktion die Abhängigkeit der globalen Durchblutung vom Gesamtsauerstoffbedarf verstärkt wird. Der Anstieg des Herzzeitvolumens ist demnach vom gesteigerten metabolischen Bedarf der Zellen in ihrer Gesamtheit geprägt.


[Seite 55↓]

5.6  Sauerstoffangebot und Sauerstoffaufnahme

Beim Gesunden ist die Sauerstoffaufnahme unabhängig vom Sauerstoffangebot. Die Sauerstoffextraktionsrate liegt zwischen 20-30% und ermöglicht bei Abfall des Sauerstoffangebotes in den Gewebeverbänden eine Anpassung der Sauerstoffaufnahme an den gestiegenen Bedarf 74. Erst unterhalb eines kritischen Wertes für das Sauerstoffangebot folgt die Sauerstoffaufnahme dem Sauerstoffangebot linear. Diese Aussagen wurden in Studien, bei denen die Sauerstofft-Transportparameter mit Hilfe der Fick’schen Methode errechnet wurden getroffen 75,76. Wenn man das Sauerstoffangebot und die Sauerstoffaufnahme nach dem Fick’schen Prinzip bestimmt, besteht die Gefahr der mathematischen Datenkoppelung, denn für die Ermittlung von VO2 und DO2 gehen jeweils gleiche Variable in die Berechnungen ein 77. Bei direkter Bestimmung des Sauerstoffverbrauches mittels indirekter Kalorimetrie fanden verschiedene Autoren keine VO2/DO2 –Abhängigkeit 78,79,80. In diesem Zusammenhang zeigten Friedman et al. bei Intensivpatienten während hämodynamischer Instabilität im Rahmen einer Sepsis, daß eine VO2/DO2-Abhängigkeit vorliegen kann, die nach hämodynamischer Stabilisierung des Patienten nicht mehr nachzuweisen ist 81.

Bihari et al. wiesen nach, daß trotz Vorliegen von Normalwerten für den Sauerstofftransport eine verdeckte Sauerstoffschuld vorhanden sein kann 74. Anaerobe Stoffwechselprozesse können hier vorübergehend kompensierend wirken, was sich in einem passager erhöhten arteriellen Laktatwert ausdrückt.

In der vorliegenden Untersuchung wurde die mathematische Datenkoppelung vermieden, indem

die Gesamtsauerstoffaufnahme mit dem Deltatrac II Monitor direkt gemessen, und für die Berechnung des Sauerstoffangebotes das Herzzeitvolumen aus der Thermodilutionsmessung herangezogen wird. Der beobachtete Anstieg des Sauerstoffangebotes kann als eine Konsequenz der hämodynamischen und metabolischen Reaktionen im Verlauf der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan interpretiert werden.

Die in dieser Studie beobachtete stärkere VO2 I/DO2 I-Abhängigkeit am Zeitpunkt M8 (r = 0,5) gegenüber den Ausgangswerten zum Beginn der Untersuchungen (r = 0,36) ist statistisch nicht signifikant. Jedoch ist die geringste Korrelation für die VO2I/DO2I-Beziehung, ebenso wie beim vorab beschriebenen HI/VO2I-Zusammenhang, am Zeitpunkt M2 in der prä-Bypass-Phase zu beobachten. Der maximale Unterschied zwischen den Korrelationskoeffizienten zum Zeitpunkt [Seite 56↓]M8 gegenüber M2 ist statistisch signifikant. Die vorliegenden Ergebnisse würden Friedmans Beobachtung bestätigen. Möglicherweise ist die Zunahme der Sauerstoffverbrauchsabhängigkeit vom Sauerstoffangebot ein vorübergehendes Ereignis in hämodynamisch kritischen Situationen. Da in der vorliegenden Untersuchung die Gesamtsauerstoffextraktionsrate konstant bleibt, ist davon auszugehen, daß die physiologischen Kompensationsmechanismen der SIRS-Reaktion bei der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan noch nicht erschöpft sind. Dazu beitragen könnten sowohl anaerobe Stoffwechselprozesse, worauf der erhöhte Laktatwert am Zeitpunkt M8 hinweist, als auch die Narkosebedingungen, die durch Sedierung, Analgesie, Muskelrelaxierung und künstliche Beatmung den Gesamtstoffwechsel schon am Beobachtungsbeginn zum Zeitpunkt M1 auf ein niedrigeres Niveau im Vergleich zum Wachzustand reduzieren. Weitere Untersuchungen zu dieser Thematik könnten hierüber mehr Aufschluß geben.


[Seite 57↓]


© Die inhaltliche Zusammenstellung und Aufmachung dieser Publikation sowie die elektronische Verarbeitung sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, die Bearbeitung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.
XDiML DTD Version 4.0Zertifizierter Dokumentenserver
der Humboldt-Universität zu Berlin
HTML-Version erstellt am:
16.06.2005