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1  EINLEITUNG

1.1 Die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan

Das Konzept der regionalen intraarteriellen Zytostatikaapplikation bei der Behandlung von Weichgewebssarkomen und malignen Melanomen der Extremitäten wurde in den 50er Jahren entwickelt, um die tumorizide Wirkung von Chemotherapeutika bei möglichst geringen systemischen Nebenwirkungen zu verbessern 1,2. Nach experimentellen Voruntersuchungen 3, erschien 1958 die erste Veröffentlichung zur isolierten Extremitätenperfusion am Menschen 4. Aufbauend auf der zytotoxischen Wirkung von Hyperthermie auf Tumorzellen 5, wurde die Extremitätenperfusion bei Perfusattemperaturen von 38,8 – 42°C entwickelt 6.


Das Prinzip der isolierten Extremitätenperfusion (isolated limb perfusion = ILP) besteht darin, daß die tumortragende Extremität in dem vom zentralen Kreislauf separierten Perfusionskreislauf spezifisch therapiert werden kann. Dabei können Zytostatika in hoher Konzentration durch den Tumor perfundieren, ohne das ein systemischer Auswasch- oder Verdünnungseffekt auftritt. In den letzten Jahren konnte die Applikation von rekombinanten humanen Tumornekrosefaktor alpha (TNFα) in Kombination mit Zytostatika und Hyperthermie etabliert werden, wobei Dosierungen zum Einsatz kommen, die etwa dem hundertfachen der sonst maximal systemisch tolerablen Dosis entsprechen. Die Isolierung der Extremität vom zentralen Kreislauf erfolgt durch operative Freilegung der zentralen extremitätenversorgenden Gefäße. Die Aufrechterhaltung einer extrakorporalen Zirkulation nach Kanülierung der Gefäße erfolgt mittels einer Herz-Lungen-Maschine, in welcher der Gasaustausch der Extremität über einen Oxygenator realisiert, und das Perfusat durch ein Wärmeaustauschverfahren hyperthermiert werden. Die maximale Gewebekonzentration von Zytostatika wird oft erst nach einer Stunde erreicht, so daß die extrakorporale Perfusionszeit mit TNFα mindestens 60 Minuten nach Erreichen der Gewebehyperthermie fortgesetzt wird. Im Anschluß daran wird die Perfusionslösung aus der Extremität ausgewaschen. Nach Dekanülieren und Gefäßnaht erfolgt die systemische Reperfusion. Das besondere Nebenwirkungsspektrum der Extremitätenperfusion unter Verwendung von TNFα macht eine Leckagekontrolle erforderlich. Schon minimale Leckageraten können für den Patienten lebensbedrohliche Folgen haben, da die eingesetzten [Seite 13↓]TNFα–Dosierungen weit über der maximal systemisch tolerablen Dosis liegen, so daß während der Perfusion maximal Leckageraten bis zu 10% zugelassen werden.

1.1.1 Indikationen zur Extremitätenperfusion mit TNFα

Der Stellenwert der Extremitätenperfusion ist nur für einen begrenzten Bereich klar umrissener Indikationen gegeben. Die Indikation zur isolierten Extremitätenperfusion bei fortgeschrittenen Weichgewebssarkomen besteht, wenn eine extremitätenerhaltende chirurgische R0-Resektion bei höherem Tumorgrading nicht gewährleistet werden kann 7.
Beim lokal rezidivierenden und regional metastasierten malignen Melanom ist das primäre Therapieziel die lokoregionäre Tumorfreiheit 8.

1.1.2 Wirkmechanismus von TNFα und Melphalan bei der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion

Lejeune/Lienhard beschrieben 1992 erstmals die Anwendung von TNFα, Melphalan und Interferon-γ (IFγ) bei der isolierten Extremitätenperfusion beim malignen Melanom 9. Es konnte eine Tumorremission ohne die sonst gefürchteten schwerwiegenden systemischen Nebenwirkungen von TNFα festgestellt werden 10.

Die Wirkung von TNFα wird vorwiegend über die Endothelzellen in der Tumordurchblutung vermittelt 11,12,13. Kettelhack wies eine starke antiproliferative Wirkung von TNFα gegen Endothelzellen, bei gleichzeitiger Induktion von Apoptose nach 14. In vitro zeigt sich nach Exposition von TNFα mit Endothelzellen eine gesteigerte Expression von Adhäsionsmolekülen und eine verstärkte koagulatorische Aktivität 15. Dabei wird möglicherweise der Kontakt von Effektorzellen zum Endothel gefördert, was die Tumorvaskularisation behindert. Die selektive Gefäßschädigung des Tumors nach isolierter Extremitätenperfusion mit TNFα wurde in angiographischen Untersuchungen bestätigt 9,16,17. Nach der Behandlung mit TNFα war das pathologische Gefäßmuster der Tumoren nicht mehr nachweisbar.


Melphalan ist dem Phenylanalin in der Struktur ähnlich, wodurch eine Anreicherung von Melphalan in Tumorzellen mit aktiver Melaninsynthese erwartet wird 4. Aufgrund seiner [Seite 14↓]alkylierenden Eigenschaften führt Melphalan über Brückenbildungen zu DNS-Schädigungen. Es ist das Standardmedikament bei der Perfusionsbehandlung von malignen Melanomen.

1.1.3 Nebenwirkungen der Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan

Die ausgeprägte systemische Toxizität schränkt den therapeutischen Einsatz von TNFα stark ein. Nach Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan kann es zu lebensbedrohlichen hämodynamischen Veränderungen im Sinne eines Systemic Inflammatory Response Syndroms (SIRS) kommen. Diese systemische inflammatorische Antwort ist Bestandteil der heute gebräuchlichen Definitionen für Sepsis, schwere Sepsis und septischen Schock, welche im Jahre 1992 im Rahmen einer Konsensuskonferenz veröffentlicht wurden. Demnach wird als Sepsis die systemische inflammatorische Antwort auf eine nachgewiesene Infektionsquelle beschrieben. Es kommt zur überschießenden Aktivierung primär protektiver Defensivsysteme des septischen Patienten 18.

Die SIRS-Reaktion kann auf verschiedenartige Schädigungen erfolgen und ist durch mindestens zwei der folgenden Kriterien gekennzeichnet: Temperatur >38°C oder <36°C, Tachycardie >90 Schläge/min, Leukozyten >12000/ul oder <4000/ul und respiratorische Insuffizienz.

Nicht immer findet sich jedoch ein klinisches Korrelat mit faßbaren Organinsuffizienzen, trotz nachweisbarer SIRS-Kriterien oder erhöhter Serumspiegel proinflammatorischer Zytokine und Mediatoren 19,20,21,22.

Die bisher beschriebenen hämodynamischen Veränderungen bei der ILP umfassen eine Zunahme der Herzfrequenz und des Herzzeitvolumens bei Blutdruckabnahme und Abnahme des peripheren Gefäßwiderstandes, sowie Steigerung des pulmonalen Gefäßwiderstandes 23,24,25,26. In den ersten Behandlungsserien wurden auch pulmonale Probleme, einschließlich der Ausbildung eines ARDS beschrieben 10,27. Auch Todesfälle in Folge der hyperdynamen Kreislaufsituation finden sich in der Literatur 16,28,29.

Die akute regionale Toxizität nach isolierter hyperthermer Extremitätenperfusion wurde von Wieberdink systematisiert 30. Vorwiegend kutane Reaktionen sind demnach auf eine hohe lokale Zytostatikakonzentration, inhomogene Perfusion und Oxygenation der Extremität, lokale Hyperthermie und Hypoxämie zurückzuführen.


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1.2  Herleitung der Aufgabenstellung

Sowohl Patienten mit einem hohen perioperativen Mortalitätsrisiko, als auch verschiedene chirurgische Eingriffe mit weitreichenden Auswirkungen auf die kardiopulmonale und hämodynamische Stabilität der Patienten erfordern ein erweitertes hämodynamisches Monitoring schon während der Narkose. Die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion mit TNFα ist ein operativer Eingriff mit vergleichsweise geringem OP-Trauma, aber hohen allgemeinen Risiko. Nach der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan kommt es bei den behandelten Patienten zu einer SIRS-Konstellation mit Fieber und Tachycardie 28,31.


Die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion mit TNFα und Melphalan kann als dynamisches in vivo Modell zur Induktion einer nichtinfektiösen Sepsis/SIRS interpretiert werden 32,33. Bei gleichbleibenden Beatmungs- und Narkosebedingungen, kann sich die aktuelle metabolische und kardiopulmonale Situation des Patienten schnell verändern. Standardisierte Narkose- und Beatmungsbedingungen sowie ein erweitertes kardiopulmonales Monitoring bieten unter klinischen Bedingungen während der hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα die Möglichkeit zur Untersuchung von hämodynamischen, metabolischen und pulmonalen Veränderungen in diesem humanen SIRS-Modell. Durch Parallelmessungen verschiedener Meßverfahren zu Hämodynamik, Gasaustausch und Metabolismus des narkotisierten Patienten an definierten Zeitpunkten während des Eingriffes können Erkenntnisse zum Zusammenhang dieser Parameter in der beginnenden nichtinfektiösen septischen Reaktion gewonnen werden.

Weiterhin soll untersucht werden, ob verschiedene intravenöse Narkoseverfahren die SIRS-Reaktion während der hyperthermen Extremitätenperfusion mit TNFα unterschiedlich beeinflussen.


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16.06.2005