Sonja Kübler: Nahrungsökologie stadtlebender Vogelarten entlang eines Urbangradienten |
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5 Zusammenfassung
- · Innerhalb des Zeitraumes 2002 bis 2004 wurden in Berlin Untersuchungen zur Nahrungsökologie verschiedener Vogelarten durchgeführt, wobei auch die Konsequenzen wie der Fortpflanzungserfolg analysiert wurden. Neben der Aufnahme der Brutvogel- (2002) und Wintervogelgemeinschaft (2002/2003) auf fünf Pf à ca. 20 ha entlang eines Urbangradienten, wurden die Arten Blaumeise, Grünling, Haussperling und Turmfalke speziell untersucht.
- · Auf den fünf Pf, die sich hinsichtlich Baustruktur, Flächennutzung und Vegetationsanteil unterschieden, wurden 35 Brutvogelarten festgestellt. Anhand der Artenzahlen ist deutlich ein Urbangradient zu erkennen: Das Stadtzentrum (Ze) wies 12, das Gewerbegebiet (Ge) 15, die Hochhaussiedlung (Ho) 17, die Einfamilienhaussiedlung (Eh) 18 und der Park (Pa) 28 Arten auf. Der Anstieg der Artenzahlen ist darauf zurückzuführen, dass mit der Entfernung vom Stadtzentrum neben den „Allerweltsarten“ Vogelarten auftauchen, die an diverse Vegetationsstrukturen gebunden sind. So bot z. B. der Pa vielen insektenfressenden Vögeln gute Bedingungen, die auf dicht bebauten Flächen nicht zu finden sind. Das Ge wies mit 52,4 Bp/10 ha die geringste Anzahl an Brutvögeln, die Eh mit 96,5 Bp/10 ha die höchste auf.
- · Im Verlauf der Wintervogelkartierung wurden 3763 Individuen in 30 Arten registriert. Die geringste Artenzahl wies das Ze (9) auf, die höchste die Eh (20). Individuensumme und Artenzahl verhielten sich gegenläufig: Während in den städtischen Bereichen, im Ze und in der Ho, die höchsten Individuenzahlen festgestellt wurden, war die Artenzahl geringer als auf den anderen Pf. In der Ho wurde die größte Anzahl an anthropogenen Futterstellen registriert, genauso wie die größte Anzahl an fressenden bzw. futtersuchenden Individuen (478, alle vier Begehungen summiert). Es wurde auf allen Pf dokumentiert, welche Strukturen zu welchen Anteilen zur Nahrungsaufnahme genutzt wurden: der Boden, die Strauchschicht, die Baumschicht oder anthropogene Strukturen. Auf städtischen Flächen, wie z. B. der Ho, profitierten wenig spezialisierte Arten wie Haussperling und Stadttaube von der menschlichen Fütterung (so genannte anthropogene Strukturen), wohingegen im Pa fast ausschließlich natürliche Strukturen (v. a. die Baumschicht) genutzt wurden, z. B. vom Kleiber.
- · Die höchste Revierdichte der überwiegend insektivoren Blaumeise wurde 2002 in der Eh mit 9,1 Bp/10 ha festgestellt. Danach folgte der Pa mit 8,0 Bp/10 ha, das Ze stand an letzter Stelle mit 1,5 Bp/10 ha. In extra aufgehängten Blaumeisennistkästen (10 pro Pf) wurden 2003 insgesamt 24 Bruten durchgeführt (23 Erst- und eine Zweitbrut), von denen 19 erfolgreich waren. Hinsichtlich der brutbiologischen Parameter (Legebeginn, Gelegegröße, Schlupfrate, Ausflugerfolg) wurde kein signifikanter Unterschied zwischen den Pf festgestellt, was aber vor allem auf die geringe Stichprobengröße zurückzuführen ist. Im Pa wurde der höchste Reproduktionserfolg mit knapp 5,9 Ausgeflogenen/Brut festgestellt, im Ze der geringste mit 2,3 Ausgeflogenen/Brut. Anhand des Zustandes der Nestlinge und des Fortpflanzungserfolgs sowie durch die Dokumentation des Fütterungsverhaltens der Altvögel anhand von Camcorderaufnahmen wurde deutlich, dass das Nahrungsangebot für die Blaumeisen im Pa am besten war.
- · Die höchste Revierdichte des herbivoren Grünlings wurde 2002 bzw. 2003 in der Eh mit 11,1 bzw. 11,6 Bp/10 ha festgestellt, die geringste im Pa mit 1,7 bzw. 2,6 Bp/10 ha. Insgesamt wurden 15 Bruten auf den fünf Pf registriert, von denen 7 erfolgreich waren. Mit 4 erfolgreichen Bruten lag das Ze dabei an der Spitze, im Ge und im Pa gab es überhaupt keine flüggen Jungvögel. Die Erklärung hierfür ist nicht in der Nahrungsökologie der Art zu suchen, denn Prädation sowie auch Störungen am Nest sind bei diesem Freibrüter die bestimmenden Faktoren. Sichtbeobachtungen zur Nutzung bestimmter Pflanzenarten werden aufgeführt und diskutiert.
- · Der omnivore Haussperling war, ausgehend von der Gesamtabundanz, die häufigste Vogelart auf den fünf Pf. Bei der Brutvogelkartierung wurde eine Gesamtdominanz von 25,8 % festgestellt, bei der Wintervogelkartierung von 41 %. Dabei hing die Dichte von den Gebäudestrukturen und dem menschlichen Nahrungsangebot ab: In der Ho wurden sommers wie winters die höchsten, im Pa die geringsten Dichten festgestellt. Dies unterstreicht die Abhängigkeit des Haussperlings vom Menschen, zum einen als Gebäudebrüter, zum anderen hinsichtlich des Nahrungsangebots. Der höchste Reproduktionserfolg wurde in der Ho festgestellt, was dafür spricht, dass hier auch genügend Vegetation mit Insekten und Spinnen als Nestlingsnahrung verfügbar war.
- · Der carnivore Turmfalke wurde 2002 bis 2004 unabhängig von den fünf Pf an zehn Nistkastenstandorten untersucht, die in drei unterschiedlichen Zonen lagen: City (Ci), Mischgebiet (Mi) und ländliche Zone (LZ). Das Beutetierspektrum wurde während der Fortpflanzungsperiode mittels Gewöllanalysen sowie Rupfungsresten bestimmt. Hinsichtlich des Reproduktionserfolges ließ sich kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der drei Zonen erkennen. In allen drei Zonen wurde eine hohe Anzahl flügger Jungvögel festgestellt, Nestlingsverluste waren gering. Im Durchschnitt flogen 4,7 Jungvögel/Brut aus. Hinsichtlich der Nahrungszusammensetzung war jedoch deutlich ein urbaner Gradient zu erkennen. So waren Vögel in der Ci Hauptbeutetiere und ihr Anteil nahm zur LZ hin ab. Konträr verhielt es sich mit Mäusen und Spitzmäusen. Als Besonderheit wurden in jedem Nistkasten in der Ci in jedem Jahr anthropogene Nahrungsreste, z. B. Kotelettknochen, gefunden, was zeigt, dass sich der Turmfalke, neben der Nutzung von Gebäuden als Nistplatz, auch hinsichtlich seiner Nahrungsökologie an den Menschen anpasst.
- · Es wird diskutiert, inwieweit die Reproduktion der speziell untersuchten Arten auf den Pf ausreicht, um den Bestand zu erhalten. Bei der Blaumeise und dem Grünling wird vermutet, dass von optimalen Flächen eine Zuwanderung in suboptimale Flächen erfolgt. Dass die Blaumeise, der Grünling und der Haussperling insgesamt aber gut zurechtkommen, auch in der Innenstadt, zeigt allein die Beutetierliste des Turmfalken: Der Haussperling stand an erster Stelle, der Grünling an zweiter und die Blaumeise an sechster Stelle der gefangenen Vogelarten.
- · Es werden Empfehlungen zum Schutz und Erhalt der einzelnen Arten gegeben, wie Anpflanzung einheimischer Baum- und Straucharten, die ein reiches Insekten- und Spinnenangebot für die Avifauna bieten (z. B. Stieleiche, Ahorn, Linde).
- · Gerade in einer Metropole wie Berlin besteht weiterer Forschungsbedarf, da die Synurbanisierung verschiedener Vogelarten ständig voranschreitet. Es ist wichtig, die sich in einer Stadt entwickelnden Mechanismen und Anpassungen zu verstehen, um die Avifauna langfristig erhalten und schützen zu können.
Zu guter Letzt:
"Der Schutz der Vögel hat nichts damit zu tun, dass wir ohne sie nicht auskommen könnten. Es geht vielmehr um die menschlichen Qualitäten, die nötig sind, um diese Tiere zu retten. Denn das sind genau die, auf die wir angewiesen sind, wenn es darum geht, uns selbst zu retten."
(Zitat des amerikanischen Zoologen MacMillan, 19. Jahrhundert, aus Pelt et al. 2000)
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