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Der phylogenetisch dem Archipallium abstammende Hippocampus ist die zentrale Struktur und Schaltzentrale des limbischen Systems. Im Gegensatz zum Neocortex ist die Organisation von Neuronen und Fasern im Hippocampus relativ einfach. Nicht nur wegen dieser einfachen trilaminären Organisation und der schichtenspezifischen Innervation, sondern vor allem durch die enorme klinische Relevanz, hat sich die hippocampale Formation als Modellsystem zur Untersuchung für postläsionale Degenerationen und Reorganisationen im Zentralen Nervensystem (ZNS) etabliert (Cabalka et al., 1992; Cotman et al., 1990; Frotscher et al., 1997; Grady et al., 1989). So führt bei der Alzheimer´schen Erkrankung der Untergang entorhinaler Projektionsneurone zu einer Diskonnektion des Hippocampus und damit zu schweren Gedächnisstörungen (Hyman et al., 1984). Auch die Temporallappenepilepsie sei in diesem Zusammenhang genannt. Mit der stereotaktische Läsion des entorhinalen Cortex (ECL) kann dabei diese Situation experimentell nachgeahmt werden (Lynch et al., 1976, Parnavelas et al., 1974 ). Die Veränderungen nach der ECL sind intensiv untersucht worden (Kelley & Steward), so dass dieses Modell auch für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit verwendet werden soll. Die Durchführung der ECL sowie die postläsionsbedingten physiologischen und morphologischen Veränderungen werden ausführlich im Abschnitt 2.1.2 beschrieben. Da bekannt ist, dass einige Moleküle, die während der Entwicklung stark exprimiert werden, in der Adoleszens aber nur noch ein basale Expression zeigen, nach einer Schädigung reexprimiert werden können, ist die Kenntnis der ento-hippocampalen Entwicklung für das Verständnis axonaler Regenerationsprozesse von Bedeutung (Bovolenta et al., 1997).
Die Anatomie der hippocampalen Formation sowie das Modell der entohinalen Cortex Läsion ist deswegen in den folgenden Kapiteln kurz zusammengefasst.
Die hippocampale Formation beinhaltet sechs cytoarchitektonische Regionen: den Gyrus dentatus, das Subiculum, das Präsubiculum, das Parasubiculum, den entorhinalen Cortex sowie den eigentlichen Hippocampus, der sich nochmals in die Cornu ammonis Regionen eins bis drei (CA1- CA3) unterteilt (Abb.1).
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Abbildung 1: | ||
Die hippocampale Formation: (A) zeigt ein Schema der schichtenspezifischen Verschaltungen im entorhino- hippocampalen System der Ratte. Die Neurone der Schicht II des entorhinalen Cortex
(EC) projizieren via Subiculum in die äußere Molekularschicht (oml) des Gyrus dentatus (DG), wo sie terminieren. Fasern aus der Schicht III terminieren in den Strata lacunosa-moleculare (slm) des Cornu ammonis (CA1 bis CA3). Kommissurale, assoziative (C/A) und septale Afferenzen projizieren in den Hippocampus via Fimbria/Fornix und terminieren dort schichtenspezifisch. (B) zeigt den mit dem Neurodegenerations-spezifischen Fluoreszenzfarbstoff Fluoro- Jade angefärbten DG eines adulten Kontrolltieres. Nach Durchtrennung des Tractus perforans (pp) (C) kommt es zu einer schichtenspezifischen anterograden Degeneration in der oml (Pfeile). iml: innere Molekularschicht, gcl: Körnerzellschicht; hi: Hilus; sr: Stratum radiatum; pcl: Pyramidenzellschicht; so: Stratum oriens; wm: weiße Substanz. Maßstab: 80 µm. (B) und (C) sind bisher unpublizierte Daten; mit freundlicher Genehmigung von Dr. Eyupoglu.
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Folgende Faserverläufe sind von Bedeutung (Abb.1): Der entorhinale Cortex projiziert über den Tractus perforans in den Gyrus dentatus, die Cornu ammonis Region und das Subiculum. Neurone der Schicht II des entorhinalen Cortex (EC) entsenden ihre Axone in die Molekularschicht des Gyrus dentatus. Dabei projizieren Axone des medialen EC in die mittlere Molekularschicht, Axone des lateralen EC hingegen in äußere Molekularschicht. Axone, die von Neuronen der Schicht III des entorhinalen Cortex ausgehen, projizieren in die Strata lacunosa-moleculare (slm) der CA1 bis CA3 Regionen des Hippocampus`. Dabei ziehen die medialen entorhinalen Fasern in den proximalen Teil der CA1 Region, während die lateralen entorhinalen Fasern weiter distal an der Grenze zum Subiculum terminieren (Steward & Scoville, 1976; Amaral & Witter, 1989). In der inneren Molekularschicht des Gyrus dentatus terminieren zusätzlich kommissurale und assoziative Fasern, die direkt an den Dendriten der Körnerzellen enden (Super & Soriano, 1994). Die Axone der Körnerzellen verlaufen als Moosfasertrakt zu den Pyramidenzellen der CA3 Region. Von diesen wiederum entspringen die Schaffer- Kollateralen, die zu den Pyramidenzellen der CA1 Regionen ziehen. Der Alveus, der aus afferenten und vor allem aus efferenten Fasern besteht, verbindet beide Hippocampi über das Fimbria/ Fornix Band (Abb.1).
Zu Erwähnen ist, dass die einzelnen Fasersysteme schon sehr früh in der Entwicklung schichtenspezifisch angelegt werden. Untersuchungen zu der embryonalen Entwicklung im Hippocampus mittels Tracern ergaben, dass die ersten entorhinalen Fasern den Gyrus dentatus bereits am 19. embryonalen Tag (E19) erreichen (Bayer & Altman, 1987; Snyder et al., 1991; Super & Soriano, 1994, Linke et al., 1995;). Die Entwicklung des Tractus perforans ist am fünften postnatalen Tag (P5) abgeschlossen. Die Myelinisierung im Hippocampus hingegen setzt erst später ein. So beginnt die Expression der beiden Myelinproteine Myelin- Associated Glycoprotein (MAG) und Myelin Basic Protein (MBP) im Hippocampus erst um den 10. postnatalen Tag (P10). Abgeschlossen ist die Myelinisierung am P60 (Savaskan et al., 1999). Genauere Daten der Myelinisierung sind bis dato allerdings nicht bekannt.
Der Gyrus dentatus besteht aus der Molekularschicht, der Körnerzellschicht und dem Hilus (Abb.1). Die an der hippocampalen Fissur anliegende Molekularschicht (Stratum moleculare) unterteilt sich in eine äußere, mittlere und innere Schicht. Sie ist relativ zellarm und besteht zum größten Teil aus den Dendriten der Körner- und Korbzellen sowie den axonalen Terminierungen, die oben näher beschrieben wurden. Die Körnerzellschicht (Stratum granulosum) ist hauptsächlich aus den Somata der namesgebenen Körnerzellen aufgebaut. Im Hilus befinden sich, neben einer Vielzahl von unterschiedlichen Zelltypen, auch kommissurale/ assoziative Fasern, extrinsische Afferenzen aus dem medialen Septum sowie der Moosfasertrakt (Burwell et al., 1995) (Abb.1).
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Das Cornu ammonis (Ammonshorn; CA1- CA-3) ist laminär organisiert (Abb.1). Die am weitesten oberflächlich gelegene Region wird von den Strata lacunosa-moleculare gebildet, in welchen auch die Fasern des Tractus perforans aus der Schicht III des entorhinalen Cortex terminieren. Es folgt das Stratum radiatum, welchem sich das Stratum lucidum anschließt. In dieser zellfreien Schicht oberhalb der Pyramidenzellschicht von CA3 verlaufen die Moosfasern. Die Zellschicht ist hauptsächlich aus den Somata der Pyramidenzellen aufgebaut (Stratum pyramidale). Pyramidenzellen der CA3 bilden Kollaterale, die sowohl ipsi- als auch contralateral in die Cornu ammonis Regionen projizieren. Die ipsilateralen Projektionen von CA3 nach CA3 und CA2 bilden die assoziativen Fasern. Die contralateral nach CA1 bis CA3 und den Gyrus dentatus ziehenden Fasern werden als kommissurale Projektionen bezeichnet. Sie terminieren hauptsächlich auf den Fortsätzen der Pyramidenzellen und auf den Dendriten der Interneurone. Die ipsilateralen Projektionen von CA3 nach CA1 werden als Schaffer- Kollateralen bezeichnet. Der Pyramidenzellschicht schließt sich das Stratum oriens an, welches vom Alveus begrenzt wird. In diesem verlaufen myelinisierte afferente und efferente Fasern (Amaral & Witter, 1989) (Abb.1).
Der entorhinale Cortex ist wie die übrigen Cortexbereiche in sechs Schichten unterteilt (Abb.1). Nur auf die Schichten II und III soll hier kurz eingegangen werden, da diese für die Projektionen in den Hippocampus wesentlich sind. In der Schicht II des entorhinalen Cortex befinden sich Sternzellen, Pyramidenzellen, multipolare und horizontale Zellen. Axone der Stern- und Pyramidenzellen bilden den Teil des Tractus perforans, der in den äußeren zwei Dritteln der Molekularschicht des Gyrus dentatus terminiert. Aus der Schicht III entstammen die Fasern des Tractus perforans, die in die Strata lacunosa-moleculare projizieren. Aber auch multipolare, fusiforme, horizontale und bipolare Zellen formen mit ihren Axonen den Tractus perforans. (Amaral & Witter, 1989) (Abb.1).
In der Literatur sind drei Techniken zur Eliminierung des entorhinalen Inputs zum Hippocampus beschrieben worden (Kelley & Steward; 1997):
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In dieser Arbeit wurde das Modell der mechanischen Durchtrennung des Tractus perforans verwendet. Diese Läsion des ipsilateralen entorhinalen Cortex (EC) führt zu einer partiellen Deafferenzierung der Dendriten in der äußeren Molekularschicht des Gyrus dentatus. Dabei reduziert sich die Synapsendichte im deafferenzierten Gebiet innerhalb der ersten zwei Tage um ca. 90% (Matthews et al., 1976 II). Nach weiteren 8 Tagen kommt es zu einem schichtenspezifischen Einwachsen neu aussprossender Fasern in die geschädigte Region. Dies wird als reaktives axonales Ausprossen (engl., Sprouting) bezeichnet (Raisman, 1969). Im Verlauf der folgenden Wochen kommt es zu einer Neubildung synaptischer Kontakte (Synaptogenese), so dass die Synapsendichte schließlich wieder ca. 80% des Ausgangswertes erreicht (Matthews et al., 1976 I; Steward et al., 1988).
Die physiologischen und morphologischen Veränderungen im Hippocampus nach der ECL sind intensiv untersucht und von Kelly & Steward 1997 in sechs Phasen unterteilt worden:
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Der Prozeß axonaler Reorganisation nach der ECL ist bisher nur mittels indirekter Methoden nachgewiesen worden (Matthew et al., 1976 I/ II; Steward 1989). So wurde der Tracer Phaseolus vulgaris Leucoagglutinin verwendet, um einzelne Fasern und deren ultrastrukturelle Kontakte zu detektieren. Es konnte gezeigt werden, dass die axonale Reorganisation schichtenspezifisch verläuft (Frotscher et al., 1997; Deller et al., 1995). So kommt es nur zum spezifischen Sprouting solcher kommissuraler Fasern, die ohnehin bereits in der Terminationszone des Tractus perforans liegen, nicht jedoch zum Einwachsen anderer Afferenzen. Es wird angenommen, dass schichtenspezifisch exprimierte Faktoren im Bereich der äußeren Molekularschicht des Gyrus dentatus für dieses Phänomen verantwortlich sind. Die genauen molekularen Mechanismen des reaktiven Sproutings und der Synaptogenese sind noch weitgehend unverstanden (Kelley & Steward, 1997). Durch die Erlangung weiterer Erkenntnisse auf diesem Gebiet ist die Hoffnung neuer Therapieansätze in der Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen, der epilepsiebedingten Schädigung und der durch Traumata entstandenen Läsionen im ZNS, verknüpft.
Neurone des adulten ZNS` besitzen die Fähigkeit des axonalen Auswachsens, sofern die dazu notwendige Umgebung vorliegt (Richardson et al., 1980). Im Gegensatz zum PNS ist eine posttraumatische Genesung im ZNS aber kaum möglich (David & Aguayo, 1981). Während die Schwann´schen Zellen entscheidend zum Wachstum lädierter Axone des PNS` beitragen, sind die myelinformenden Oligodendrozyten für die fehlende Reorganisationsfähigkeit des ZNS´ verantwortlich (Savio & Schwab, 1990; Schnell & Schwab, 1990; Kopfhammer et al., 1992). Es sind dabei mehrere myelin-assozierte Proteine bekannt, die wesentlich zu der auswachshemmenden Umgebung des ZNS` beitragen. Zu nennen sind dabei vor allem folgende Proteine:
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Nicht unerwähnt sollten dabei aber die physiologischen Aufgaben des Myelins bleiben. So umhüllt ein Oligodendrozyt im Durchschnitt 15 Axone mit einer jeweiligen Markscheide und dient somit als Isolator der Nervenfortsätze. Der Energieverbrauch des Axons wird dadurch stark verringert. Ebenso erhöhen die Markscheiden beträchtlich die Weiterleitungsgeschwindigkeit des Aktionspotentials (Henderson et al., 2001; Coetzee et al., 1996). Die Myelinscheide ist in konzentrischen Lagen angeordnet und besteht aus sich wiederholenden bimolekularen Lipidschichten, die jeweils zwischen Proteinschichten eingelagert sind. Diese ist, ähnlich wie eine Plasmamembran aufgebaut und besteht zu etwa 70% aus Lipiden und ca. 30% aus Myelin-spezifischen Proteinen mit einem hohen Anteil an Cholesterinen und Phospholipiden. Zu nennen ist dabei die Gruppe der sogenannten basischen Myelinproteine (myelin basic proteins, MBP), welche hauptsächlich im kompaktem Myelin anzutreffen sind und das Myelin-Assozierte Glykoprotein (myelin-associated glycoprotein, MAG), welches, wie Nogo-A, vor allem in der an das Axon angrenzenden Membran der voll entwickelten Myelinscheide lokalisiert ist (O´Connor et al., 2000). MAG wird eine entscheidene Rolle bei der Zellerkennung zugesprochen (de Vries et al., 1997). Die frühe Expression, die Lokalisation in der Zelle und die strukturelle Ähnlichkeit mit anderen Zelloberflächenerkennungsmolekülen lassen vermuten, dass MAG ein für die Einleitung des Myelinisierungsvorganges wichtiges Adhäsionsmoleküle ist. Die heftige Immunantwort auf MBP ist seit längerem bekannt. Injiziert man MBP Peptid i.v. mit Freund´chen Adjuvant in Mäusen kommt es zu der sogenannten experimentell allergischen Enzephalomyelitis (EAE). Sie ist durch lokale Entzündungen und durch Zerstörung der Myelinscheiden im ZNS gekennzeichnet. Die EAE wird daher als Modell der Multiplen Sklerose (Encephalomyelitis disseminata) verwendet. An dieser Stelle sollen daher einige demyelinisierende Erkrankungen kurz zusammengefasst werden. Dabei werden die verheerenden Auswirkungen durch den Zerfall von Myelinscheiden deutlich.
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Bei dieser schubweise oder chronisch progredient verlaufenden Erkrankung unklarer Genese kommt es zu zentralen spastischen Paresen, Sensibilitätsstörungen und teilweise schweren psychischen Veränderungen. Morphologisch imponieren dabei v.a. periventrikulär gelegene sklerotische Entmarkungsherde sowie lymphoplasmazelluläre Infiltrate.
Caroni und Schwab zeigten bereits 1988, dass Myelin durch den monoklonalen Antikörper IN-1 an seiner auswachshemmenden Wirkung auf Axonen verliert. So kam es nach Injektion des IN-1 Antikörpers in querschnittsgelähmte Ratten, zu einem Wiederwachsen der corticospinalen Axone, sowie zu einer erstaunlichen Verbesserung in lokomotorischen Verhaltenstests (BBB, Catwalktest, Schwimmtest). Das myelin- assozierte Antigen von IN-1, das 250 kDa große Protein NI-250, wurde erst 2000 gereinigt, kloniert und in Nogo-A umbenannt (Chen et al., 2000). IN-1 erkennt außerdem das kleinere, ebenfalls inhibitorisch wirkende Protein NI-35, welches später als Nogo-B identifiziert wurde. Bisher sind drei Isoformen der Nogo Familie bekannt, Nogo-A, Nogo-B und Nogo-C, die aus alternativem Promotorgebrauch und/ oder alternativem Splicen derselben DNA- Matritze entstehen (Chen et al., 2000; GrandPre et al., 2000, Prinjha et al., 2000). Ein Rezeptor (Ng66R) mit hoher Affinität zu einer 66 Aminosäuren großen Region, die in allen drei Isoformen gefunden wird, ist wenig später entdeckt worden (Fournier et al., 2001). Die physiologische Rolle der Nogo Gene ist immer noch weitgehend unbekannt. Eine mögliche Funktion könnte die Blockierung übermäßiger neuronaler Plastizität im adulten ZNS darstellen (Buffo et al., 2000; Zagrebelsky et al., 1998). In der vorliegenden Arbeit wurde das Expressionsmuster der drei Nogo Gene und deren Rezeptor während der hippocampalen Entwicklung und in der posttraumatischen Reorganisationsphase untersucht.
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XDiML DTD Version 4.0 | Zertifizierter Dokumentenserver der Humboldt-Universität zu Berlin | HTML-Version erstellt am: 07.09.2006 |