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Unter der Verwendung mehrer Myelinmarker wurde das Auftreten myelinisierter Fasern im Hippocampus während der Entwicklung und nach Entorhinaler Cortex Läsion (ECL) untersucht. Während der Entwicklung erreichen die entorhinalen Axone den Hippocampus bereits in der späten embryonalen Phase (Skutella et al., 1999; Stein et al., 1999; Steup et al., 1999); die Myelinisierung hingegen beginnt erst am P5 und ist am P60 abgeschlossen (Savaskan et al., 1999). Nach Axotomie kommt es zu einer spezifischen anterograden Degeneration im Hippocampus, die mit einem Verlust an myelinisierten Fasern und dem Auftreten von pathologischem Myelin einhergeht. Zeitanalysen zeigten, dass die axonale Aussprossantwort nach der ECL mit dem Wiederkehren von myelinisierten Fasern korreliert (Busciglio et al., 1987; Ramirez, 2001; Savaskan & Nitsch, 2001).
Myelinstudien, die auf histologischen Techniken basieren, sollten immer mit Vorsicht interpretiert werden, da einzelne Färbungen oft varieren, häufig ein unbekanntes molekulares Substrat gefärbt wird oder komplexe Protokolle mit entsprechend vielen Fehlermöglichkeiten verwendet werden. In dieser Arbeit wurde mit dem modifizierten Gold- Chlorid Farbstoff Black Gold, von Schmued & Slikker 1999 entwickelt, gearbeitet und mit anderen etablierten Techniken verglichen. Mit Hilfe des Proteinase K Verdaus konnte gezeigt werden, dass Black Gold (BG) an Proteinase K- sensitive Myelinkomponenten bindet. Luxol Fast Blue hingegen zeigt eine hohe Affinität zu nicht löslichen Phospholipiden (Kluver & Barrera; 1957). Die Elektronenmikroskopie zeigte, dass BG- positive Myelinproteine in allen Kompartimenten des Myelins anzutreffen sind. Dies ist von Bedeutung, da Myelinproteine unterschiedliche Verteilungen zeigen. So konzentrieren sich MAG und Nogo-A vor allem in der inneren Schleife, MBP im kompakten Myelin und MOG in der äußeren Schleife. Diese Ergebnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass Black Gold- positive Fasern den größten Teil der myelinisierten Fasern repräsentieren. Black Gold stellt daher einen geeigneten Farbstoff zur Detektierung von myelinisierten Fasern im ZNS dar.
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Während der Entwicklung wachsen Axone in den Hippocampus ein und bilden spezifische und schichtengetrennte Verbindungen (Bayer & Altman, 1990). Diese hippocampale Innervation läuft stark geordnet ab und wird vor allem durch zeitlich spezifisch exprimierte Moleküle reguliert (Frotscher & Heimrich, 1993; Stein et al., 1999; Skutella & Nitsch, 2001). Die stärkste afferente Verbindung des Hippocampus nimmt in den Schichten II und III des entorhinalen Cortex (EC) seinen Ursprung und erreicht schon während der späten embryonalen Entwicklung die äußere Molekularschicht des Gyrus dentatus` sowie die CA Regionen (Super & Soriano, 1994; Skutella et al., 1999; Skutella & Nitsch, 2001). Die kommissuralen und septalen Fasern erreichen die hippocampale Formation perinatal; die assoziativen Fasern hingegen werden erst nach der Geburt gebildet (Super & Soriano, 1994; Fricke & Cowan, 1977; Ribak et al., 1985; Frotscher, 1991). Oligodendrozyten-spezifische Gene, wie Myelin Basic Protein (MBP), Myelin- Associated Glycoprotein (MAG) und Nogo-A mit seinen Isoformen werden im Hippocampus bereits in den frühen postnatalen Tagen exprimiert (Suzuki & Raisman, 1994; Savaskan et al., 1999; Meier et al., 2002). Black Gold- positive Fasern hingegen konnten erstmalig am P17 im Hippocampus detektiert werden. Die Tatsache, dass in anderen Regionen der weißen Substanz bereits zu einem früheren Zeitpunkt (P5) BG- positive Fasern gefunden wurden, zeigt, dass keine fehlerhafte Detektion vorliegt (Abb. 4). Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass neuronale Aktivität die Myelinisierung beeinflußt und es daher zu einer zeitlichen Verzögerung zwischen Expression von myelin-spezifischen Proteinen und dem Auftreten von reifen Myelinstrukturen kommt. Diese Theorie wird durch die Tatsache, dass die Myelinogenese durch neuronales Aktionspotential induziert wird, bestätigt (Demerens et al., 1996). Im adulten Tier können die in der äußeren Molekularschicht terminierenden entorhinalen Axone, welche myelinisiert sind (Nafstad, 1967), klar durch Black Gold angefärbt werden.
Überrachenderweise zeigte nicht nur das Stratum radiatum, in dem myelinisierte kommissurale Fasern verlaufen, sondern auch das Stratum lucidum eine starke Black Gold Färbung. Diese direkt über den Pyramidenzellen der CA3 Region verlaufende Schicht wird vom Moosfasertrakt durchquert. Dieser Moosfasertrakt wurde bisher als nicht-myelinisiert betrachtert (Frotscher et al., 1991, Berger & Frotscher, 1994; Frotscher & Leranth, 1985). Anzunehmen ist daher nun, dass das Stratum lucidum von einer Anzahl myelinisierter Fasern unterschiedlichstem Ursprungs durchquert wird. Ferner konnten im Hilus mehrere myelinisierte Axone gefunden werden. Zu diesem Zeitpunkt kann noch keine Aussage über die Herkunft dieser myelinisierten Fasern getroffen werden. Weitere Studien, die selektives axonales Tracen mit ultrastrukturellen Analysen kombiniert, sollten für die Klärung dieser neuen Erkenntnisse erfolgen.
Der Zeitverlauf myelinisierter Fasern nach Deafferenzierung war zunächst überraschend. Das Verschwinden myelinisierter Fasern korrelierte gut mit der anterograden Degenerationsphase nach Läsion (Savaskan et al., 2000). Die erste Phase ist durch die Waller`sche Degeneration entorhinaler Axone und die spezifische Migration und Aktivität von mikro- und astroglialen Zellen charakterisiert (Savaskan et al., 2000; Kawaja & Gage, 1991; Bechmann & Nitsch, 1997; Eyüpoglu et al., 2003). Die Reduktion Black Gold- positiver Axone im Gyrus dentatus passt zeitlich zu der Herabsetzung des synaptischen Inputes nach Läsion (Bräuer et al., 2001). Die Zahl myelinisierter Fasern erreicht dabei 5 dal ihr Minimum, also genau in der Zeit, wo degenerative Prozesse und die gliale Phagozytoseaktivität ihr Maximum erreicht haben (Gall et al., 1979; Bechmann & Nitsch, 1997; Jensen et al., 1997). In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass die MBP Expression sich invers zu der mikroglialen Aktivität nach ECL (Jensen et al., 2000; Meier et al., 2002) und der Cuprizone-induzierten Demyelinisierung (Morell et al., 1998) verhält. In der Phase, in der axonales Sprouting beginnt, wurde in der äußeren Molekularschicht wieder eine erhöhte Anzahl Black Gold- positiver Fasern gefunden (Matthews et al., 1976 a, b; Cotman et al., 1977). Längere Überlebensstadien zeigten im Vergleich zu den Kontrolltieren keinen Unterschied in der BG-positiven Faserdichte. Im Gegensatz zu der Detektierung von Subpopulation auswachsender Fasern, wie z.B. AChE- positive Fasern, die sich für die Demonstration läsions-induziertem Sproutings etabliert hat (Mesulam et al., 1987; Kugler et al., 1993), färbt Black Gold reife, myelinisierte Fasern unabhängig von der Transmitteraustattung. Die quantitative Analyse myelinisierter Fasern in längeren Überlebensstadien spiegelt die axonale Dichte und die elektrophysiologische Balance nach Läsion noch einmal wirkungsvoll wieder (Clusmann et al., 1994; Bräuer et al., 2001).
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Unter Verwendung des etablierten Myelinfarbstoffes Luxol Fast Blue (LFB) konnten keine läsionsbedingten Veränderungen detektiert werden. Eine mögliche Ursache dafür ist, dass dünne, einzeln myelinisierte Fasern, wie die in der Molekularschicht des Gyrus dentatus, von LFB nicht angefärbt werden, da sie unter der Nachweisgrenze liegen. Dies mag ein Grund sein, warum quantitative Änderungen des Myelingehaltes von LFB in dieser Hirnregion unerkannt bleiben.
Diese Daten zeigen, dass in einer plastischen Gehirnregion wie dem Hippocampus, die Myelinisierung während der Entwicklung zeitlich geordnet abläuft. Dabei erscheinen multilamilläre, reife Myelinstrukturen erst nach der Expression von myelin-spezifischen Proteinen. Nach Läsion korreliert das Verschwinden und die Wiederkehr myelinisierter Fasern eng mit der Degenerations- und Reorganisationsphase der betroffenen Region.
Die mRNA Expression aller drei Nogo Isoformen und deren Rezeptor wurde mittels der in situ Hybridisierung im sich entwickelnden, im adulten und im deafferenzierten Hippocampus untersucht. Das stärkste Expressionssignal zeigten dabei überraschenderweise die neuronalen Zellen des Hippocampus. Mit Ausnahme von Nogo-C waren alle Nogo Gene bereits seit dem Tag der Geburt (P0) im Hippocampus präsent. Nach ZNS Schädigung sind alle Isoformen und auch deren Rezeptor unterschiedlich reguliert. Diese Daten verdeutlichen die wichtige neuronale Funktion der Nogo Gene während der Entwicklung, der Adoleszens und nach Läsion, jenseits ihrer myelin-assozierten Hemmung des axonalen Auswachsens.
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Während der ZNS Entwicklung formen die Axone der Nervenzellen ein kompliziertes und spezifisches Netz von Verbindungen (Tessier- Lavigne et al., 1996). Die Myelinisierung der entorhinalen Afferenzen beginnt im Hippocampus in der zweiten postnatalen Woche (P17) und ist am Ende des zweiten Monats abgeschlossen (P60) (Suzuki & Raisman; 1994; Savaskan et al., 1999). Die Expression von Nogo-A, -B und Ng66R hingegen trat schon sehr viel früher auf. So konnte das Hybridierungssignal von Nogo-A, -B und Ng66R bereits am Tag der Geburt (P0) gefunden werden; dem ersten untersuchten Zeitstadium. Nogo-C und MBP wurden erst am P15 signifikant exprimiert, zu dem Zeitpunkt, an dem myelinisierte Fasern erstmalig auftreten. Aber im Gegensatz zu MBP, welches ausschließlich in der weißen Substanz exprimiert wird, befindet sich die Nogo-C mRNA hauptsächlich in den Zellschichten des Hippocampus und nur zu einem geringen Anteil im Neuropil. Eine mögliche Erklärung hierfür wäre die geringe metabolische Aktivität der Oligodendozyten im Gegensatz zu Neuronen (Rust et al., 1991). Interessant ist ebenso, dass das Nogo-C Transkript im Gyrus dentatus erst zu einem Zeitpunkt auftritt, an dem die Körnerzellen bereits vollständig gereift waren (Blackstad, 1956). Diese maturationsabhängige Expression in Verbindung mit dem Fehlen der axonalen Auswachshemmung von Nogo-C und seiner vermutlich intrazellulären Lokalisation, deutet auf eine Funktion jenseits der Zelloberflächenerkennung hin (Oertel et al., 2000).
Wie mittels nicht- radioaktiver in situ Hybridisierung gezeigt wurde, befindet sich Nogo-A mRNA in allen neuronalen Zellschichten der hippocampalen Formation. Diese Beobachtung wurde anschließend durch eine Doppel- Immunofärbung für Nogo-A, Calbindin und Parvalbumin, welche Nogo-A expremierende Zellen im Gyrus dentatus sowie Interneurone im Hilus zeigten, bestätigt (Huber et al., 2002). Interessanterweise wird auch der Ng66 Rezeptor ab dem Tag der Geburt (P0) bis hin zur Adoleszens im Entorhinalen Cortex und im Subiculum exprimiert. Zum selben Zeitpunkt wachsen die entorhinalen Axone in den Hippocamus ein, um unter anderem in der äußeren Molekularschicht des Gyrus dentatus zu terminieren (Super & Soriano, 1994). Diese Korrelation könnte durch ein neues Rezeptor- Liganden System, welches die schichtenspezifische Termination der hippocampalen Afferenzen kontrolliert, begründet sein. In diesem Zusammenhang ist es denkbar, dass Nogo-A sowohl ein repulsives, als auch ein attraktives Zelloberflächensignal auf Neurone, deren Fortsätze und auch auf nicht-neuronale Zellen enthält. Es kann aber auch angenommen werden, dass Nogo-A parallel dazu selbst als Rezeptor wirkt. Dies ist bereits von anderen Auswachsmolekülen bekannt, so z.B. die Ephrine und Eph Rezeptoren, die wesentlich zur entorhinalen Wegfindung und der Schichtenspezifität beitragen (Holder & Klein, 1999; Stein et al., 1999; Gao et al., 1999).
Das adulte ZNS stellt im Gegensatz zum PNS für auswachsende Axone eine undurchlässige Umgebung dar (David & Aguayo, 1981; Witter et al., 1989). Die Axone des Entorhinalen Cortex` bilden den größten corticalen Fasertrakt zum Hippocampus (Bayer & Altman; 1987). Die frühe Degeneration dieses Fasertraktes bei der Alzheimer`schen Erkrankung führt zu einer schichtenspezifischen Denervation des Hippocampus. Dies hat die für diese Erkrankung typischen, schweren Gedächnisstörungen zur Folge (Hyman et al., 1984). Die ipsilaterale Transektion des Tractus perforans führt zu einer anterograden Degeneration der entorhinalen Axone und Synapsen in der äußeren Molekularschicht des Gyrus dentatus und in den Strata lacunosa-moleculare der CA1 bis CA3 Region. Anschließend kommt es zu einer schnellen Aktivierung von mikro- und astroglialen Zellen (Matthews et al., 1976 I, II), gefolgt von reaktivem Sprouting der verbliebenen Axone, was zu einem Wiederkehren intakter Synapsen führt (Matthews et al., 1976 II; Forster et al., 2001). Die molekularen Mechanismen des schichtenspezifischen axonalen Wachstums sind nur frakmentarisch bekannt. Man weiß aber bereits, dass einige Moleküle, die an der Wegfindung während der Entwicklung beteiligt sind, nach ZNS Läsion eine signifikante Hochregulation zeigen (Bovolenta et al., 1997; Deller et al., 1997; Haas et al., 1999; Thon et al., 2000; Kovacs et al., 2001).
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Nach einer Schädigung des EC kam es zu einer dynamischen Regulierung aller Nogo Gene. Nogo-A, -B und Ng66R zeigten eine Hochregulierung im ipsilateralen Cortex; der Region, in der läsionsinduzierter Zelltod und transneuronale Veränderungen auftreten (Kovac et al., 2004; Steward et al., 1993). Vor allem Ng66R zeigte zusätzlich eine starke Hochregulation im contralateralen Cortex.
Auch im Hippocampus kam es nach ECL zu einer massiven Regulierung der Nogo Gene. Dabei zeigten die Körnerzellen, die als erste von der Deafferenzierung betroffen sind, zu Beginn der Waller`schen Degeneration und der neuronalen sowie glialen Antwort (Cotman et al., 1985), eine starke Erhöhung aller Nogo Transkripte. Zum Zeitpunkt des maximalen Degenerationsprozesses und der glialen Phagozytoseaktivität (2-8 dal), hatte Nogo-B mRNA in den Körnerzellen bereits die Kontrollwerte wieder erreicht, währenddessen Nogo-A weiter hochreguliert blieb. In der Zeit maximaler Sproutingreaktion (6-12 dal; Deller et al., 1995) kam es zur signifikanten Runterregulation der Nogo-C und Ng66R mRNA. Interessanterweise hatten Nogo-A und -B zu diesem Zeitpunkt bereits Kontrollniveau erreicht. Im Gegensatz dazu blieb die Nogo-C und Ng66R mRNA weiter runterreguliert und zeigte erst nach dem Abschluß des axonalen Sproutingprozesses und der Synapsenformation keinen Konzentrationsunterschied mehr zu den Kontrolltieren. Im contralateralen Hippocampus, dem Hauptursprung aussprossender Fasern (Cadelli et al., 1992; Forster et al., 2001), kam es während der Phase des axonalen Auswachsens zu einer signifikanten Runterregulation von Ng66R mRNA. Diese erniedrigte Ng66R Expression korreliert gut mit der Zeit des axonalen Einwachsens in den deafferenzierten Hippocampus, so dass sich eine reduzierte axonale Ansprechbarkeit auf den Neuriten- Auswachshemmer Nogo-A vermuten läßt. Diese Regulation ist spezifisch, da Nogo-A und Nogo-C mRNA keine Konzentrationsänderungen in diesem Zeitabschnitt zeigen. Wang et al zeigten 2002, dass Ng66R auch den Rezeptor für das Oligodendrocyte-Myelin Glycoprotein (OMgp) darstellt und so großen Einfluss auf dessen auswachsinhibitorische Funktion besitzt. Die Runterregulation von Ng66R ist auszureichend, um die Nogo-vermittelte Auswachsinhibition aufzuheben, da Axone, die kein Ng66R expremieren, unempfänglich für die Nogo-vermittelte Hemmung des Neuritenwachstums sind (Fournier et al., 2001, Li et al., 2005). Die Aktivitäts-induzierte Runterregulation von Ng66R konnte erst kürzlich bestätigt werden (Josephson et al., 2003). Dass den Nogo Genen bei der strukturellen Plastizität des ZNS eine entscheidene Rolle zukommen zu scheint, zeigt die signifikante Hochregulation im Kainat-induzierten Epilepsiemodell. In diesem Modell erhöhter synaptischer Aktivität konnte eine hochregulierte Nogo-A mRNA Expression in dem Zeitraum axonaler Sproutingreaktion und der GAP-43 Expression im Hippocampus detektiert werden (Bendotti et al., 1997).
Unter Verwendung des monoklonalen Antikörpers IN-1, der die Myelinkomponenten 250 kDa und 35 kDa erkennt, kommt es auf ZNS Myelin oder Oligodendrozytensubstrat zum Auswachsen von Neuriten und zum Einwachsen derer in Nervus opticus Explantate (Caroni & Schwab, 1988). In vivo Applikationen in Gehirn oder Rückenmark resultieren in einer Regeneration der ZNS Axone sowie deren Auswachsen über längere Strecken (Schnell & Schwab, 1990; Schnell et al., 1994; Weibel et al., 1994; Van de Velde et al., 1994). Tiere mit einer Rückenmarksläsion zeigten danach signifikante Verbesserungen in spezifischen lokomotorischen und Reflextests (Bregman et al., 1995).
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Die Nogo Gene wurden als neue Mitglieder der Reticulon Familie (Rtn) identifiziert und tragen daher synonym den Namen Reticulon 4 (Chen et al., 2000; GrandPre et al., 2000). Das 188 Aminosäuren große C- Ende der Nogos ist zu ca. 70% mit der Reticulon Familie identisch. Wie auch die anderen Reticulons, ist Nogo-A mit dem Endoplasmatischen Reticulon assoziiert (GrandPre et al., 2000; Van de Velde et al., 1994; Huber AB, van der Haar ME & Schwab ME; unpublizierte Daten). Während Reticulon 1 und 3 gar nicht von Oligodendrocyten exprimiert wird, wird Nogo-A von den meisten, aber nicht von allen Oligodendrocyten exprimiert (GrandPre et al., 2000). Die hydrophoben Segmente, also die 66- Aminosäure lange extrazelluläre Domaine des C-Terminus und eine Region im N-Terminus von Nogo-A, enthalten die funktionell wichtigen Regionen. Im Gegensatz dazu, bewirkt die 66- Aminosäure lange Region von Reticulon 1, 2 und 3 keine Hemmung der axonalen Regeneration.
Die physiologische Rolle des Nogo Systems ist zum heutigen Zeitpunkt noch nicht vollständig bekannt. Ein Zelloberflächensignal mit attraktiven und repulsiven Funktionen auf andere Neurone, aber auch auf Neuriten und nicht- neuronale Zellen wird angenommen. Weiterhin wird, ähnlich wie bei Netrin-1 und Slit, eine Beteiligung an der Migration der Körnerzellen des Kleinhirns vermutet (Huber et al., 2002; Alcantara et al., 2000; Wu et al., 1999). Eine neue Rolle für Nogo-B konnte in Endothelzellen sowie in glatten Muskelzellen von Gefäßen gezeigt werden (Acevedo et al., 2004). Dabei scheint Nogo eine bisher unbekannte regulatorische Funktion bei der Intimaproliferation und der vaskulären Neumodellierung nach Schädigung zu haben. Aber auch eine intrazelluläre Funktion von Nogo-A, -B und –C in Neuronen, ähnlich der von Reticulon 1, ist denkbar. So könnten sie am Transport von Proteinen sowie an der Regulierung des intrazellulären Calciumspiegels beteiligt sein (Baka et al., 1996; Hens et al., 1998). Erst kürzlich konnte gezeigt werden, dass die vermutlich extrazellulär gelegene Domaine des gemeinsamen C-Terminus aller Nogos mit dem neuen Mitochondrialen Preprotein (NIMP) und mit dem Ubiquinolcytochrom C Reduktase Kernprotein 1 und 2 interagiert (Hu et al., 2002). All diese Daten unterstützen die Theorie, dass Nogo, zumindest unter pathologischen Bedingungen, am Proteintransport beteiligt ist. Ob dies für alle Isoformen zutrifft, muß noch gezeigt werden. Auch das Myelin- Assozierte Glycoprotein (MAG) und das Oligodendrocyte-Myelin Glycoprotein (OMgp) stellen funktionelle Liganden des Ng66- Rezeptors dar (Liu et al., 2002; Wang et al., 2002). Desweiteren interagiert der Neurotrophin Rezeptor p75 als Co- Rezeptor für Nogo, MAG und OMgp mit Ng66R, was vermuten läßt, dass p75 der ausführende Transduktor der Ng66R vermittelten Aktivität im Zellinneren ist (Wang et al., 2002).
Weitere Erkenntnisse über die Funktion der Nogos konnte durch die Knockout (KO) Mäuse gewonnen werden (Simonen et al., 2003; Kim et al., 2003; Zheng et al., 2003). Die Nogo-A KO Maus zeigte sich dabei lebensfähig, fruchtbar und wies keine auffälligen Entwicklungsrückstände oder neuronale Schädigungen auf. Der inhibitorische Effekt auf auswachsene Neuriten aber war deutlich herabgesetzt. Nach Rückenmarkschädigung konnten dabei signifikant mehr Fasern gefunden werden als in den Wildtypen nach gleicher Läsion. Diese entstanden einerseits durch Regeneration verletzter Fasern oder waren einsprossende Fasern (Simonen et al., 2003). Die Nogo-A/B KO Maus ist ebenfalls lebensfähig und zeigte keine erkennbaren Unterschiede im unverletzten Tractus corticospinales gegenüber dem Wildtyp (Kim et al., 2003, Zheng et al., 2003). Bei der KO Maus der Strittmatter-Arbeitsgruppe kam es nach Rückenmarkläsion rostral der Schädigung zu einer erheblichen Sproutingreaktion und distal der Läsion zu einer intensiven Regeneration. Auch klinisch zeigte sich eine intensive Verbesserung der Bewegungsfunktionen. Bei der Nogo A/B KO Maus der Arbeitsgruppe von M. Tessier-Lavigne zeigten sich keine so intensiven Veränderungen. Auch bei der Nogo- A/B/C KO Maus derselben Arbeitsgruppe waren keine signifikanten Unterschiede in der Regenerations- und Sproutingreaktion, verglichen mit den Wildtypen, erkennbar. Diese Diskrepanz der Daten von drei unabhängigen Arbeitsgruppen konnte bisher nicht genügend experimentell erklärt werden. Zur Erklärung dieser Unterschiede können folgende Diskussionspunkte beitragen:
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Abbildung 16: | ||
Zusammenfassung der Nogo Expressionsdaten im Hippocampus unter Kontrollbedingungen (A) und nach Läsion (B): Es wird angenommen, dass die Körnerzellen (GC) des Gyrus dentus die Nogo Gene expremieren. Ng66R expremierende entorhinale Fasern sind auf die äußere Molekularschicht (OML) beschrängt und nicht in der Nogo-reichen inneren Molekularschicht (IML) zu finden. Nach Läsion können wiedereinwachsende Axone, die den Ng66 Rezeptor nicht tragen, in die Nogo-reiche Zone einwachsen und dadurch die degenerierten entorhinalen Axone der äußeren Molekularschicht ersetzen. Die erniedrigte Ng66R Expression korreliert gut mit dem Zeitpunkt des Einwachsens der Axone in den deafferenzierten Hippocampus, was eine zeitweise herabgesetzte axonale Ansprechbarkeit auf Nogo-A vermuten läßt. Gestützt wird diese Interpretation durch die Daten der Strittmatter Arbeitsgruppe, die zeigten, dass Axone, die kein Ng66R expremieren, für die Nogo-A induzierte Auswachshemmung unempfänglich sind. Trotzalledem bleibt die physiologische Funktion der neuronalen Nogo Expression weiterhin unklar.
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Die frühe mRNA Expression aller Nogo Transkripte während der Entwicklung weist auf ihre wichtige physiologische Rolle hin (Tessier-Lavigne & Goodman, 2000; Brittis & Flanagan; 2001). Interessanterweise wurden alle Nogos sowie deren Rezeptor seit der frühen postnatalen Entwicklung vor allem in den hippocampalen Neuronen gefunden. Es kann angenommen werden, dass sie auf Grund der komplementären Expression der Nogo Liganden und dem Ng66 Rezeptor während der Entwicklung, ein neues Rezeptor- Liganden System bilden, welches wesentlich zu der axonalen Wegfindung und der schichtenspezifischen Terminierung beiträgt (Abb. 16). Dies ist bereits von anderen Faktoren bekannt, so z.B. Sema3A oder Ephrin3A (Stein et al., 1999; Steup et al., 1999; Steup et al., 2000). Weiterhin ist bekannt, dass Nogo-A und Ng66R an der Axon-Myelin Grenze sowie an synaptischen Kontakten lokalisiert sind (Wang et al., 2002). Diese Daten und unsere Entdeckung der aktivitätsabhängigen Regulierung der Nogo Gene deutet auf eine entscheidene Beteiligung des Nogo Systems in der strukturellen neuronalen Plastizität hin.
Erst kürzlich konnte gezeigt werden, dass eine Inhibition des Ng66 Rezeptors signifikantes axonales Auswachsen sowie eine verbesserte funktionelle Wiederherstellung nach Rückmarksläsion zur Folge hat (GrandPre et al., 2002). Neutralisation der Nogo Aktivität führt aber auch zu einer geringeren Plastizität und einem exzessiven Sprouting nicht geschädigter Fasern (Buffo et al., 2000; Zagrebelsky et al., 1998, Z´Graggen et al., 1998, Simonen et al., 2003; Kim et al., 2003; Zheng et al., 2003). Dies und die in dieser Arbeit gezeigte neuronale Expression der Nogo Liganden und deren Rezeptor unter physiologischen Bedingungen, sollten bei der Überlegung Nogo- neutralisierende Antikörper oder Nogo-Rezeptor- Inhibitoren therapeutisch einzusetzten, von allergrößter Bedeutung sein.
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