↓1 |
Die umweltfreundliche Gestaltung des Konsums stellt eines der wichtigsten Handlungsfelder nachhaltiger Entwicklung dar (z. B.Troge, 2005). Den KonsumentInnen wird aufgrund ihrer Stellung am Ende der Warenkette häufig eine besonders wichtige Rolle für die entsprechende Veränderung des Konsums zugeschrieben („König Kunde“). Ihre Gestaltungsmacht schränken im Alltag jedoch eine Vielzahl an Barrieren ein. Daher erfordert eine nachhaltige Veränderung des Konsums die Beteiligung aller Akteure entlang der Warenkette (IFAV, 2000; Vinz, 2005)
Eine der Handlungsbarrieren für die umweltfreundlichere Gestaltung des Konsums besteht im Mangel an gut erreichbaren Gelegenheiten zum Kauf umweltfreundlicher Produkte (Kuhnert et al., 2002; Schubert, 2000). Diese Angebotsbarriere wurde im Gegensatz zu anderen Faktoren, zum Beispiel dem Preis, bisher kaum untersucht. Ein Grund für diese Forschungslücke besteht darin, dass die Frage nach den Gelegenheitsstrukturen zwischen zwei Forschungsbereichen liegt. Die geographische Handelsforschung untersucht die räumliche Verteilung des Angebots und den Zusammenhang zwischen Gelegenheitsstrukturen und der Nachfrage. Hier wurde der Kauf von Umweltprodukten bisher jedoch kaum berücksichtigt1. Die sozialwissenschaftliche Umweltforschung beschäftigt sich zwar intensiv mit dem Thema umweltfreundlicher Konsum, berücksichtigt dabei aber die tatsächlich bestehenden Gelegenheitsstrukturen kaum. Insbesondere werden keine räumlichen Differenzen – weder von Angebot noch Nachfrage – untersucht.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Frage, inwiefern das Vorhandensein eines nahräumlichen Angebots an umweltfreundlichen Produkten eine wichtige Einflussgröße für ein umweltfreundliches Einkaufsverhalten darstellt. Die Umweltauswirkungen des Einkaufsverhaltens umfassen dabei mehr als nur die der gekauften Produkte, denn die Produktwahl ist nur ein Teil des gesamten Einkaufsaktes. Dieser beinhaltet darüber hinaus die Wahl der Einkaufsstätte und die Einkaufsmobilität. Fehlende nahräumliche Gelegenheitsstrukturen können nicht nur zu einer Barriere für den Kauf umweltfreundlicher Produkte werden, sondern auch zum Aufsuchen anderer, weiter entfernt gelegener Einkaufsstätten führen. Daher muss die Frage nach der Bedeutung des Angebots an umweltfreundlichen Produkten für die Umweltauswirkungen des Einkaufsverhaltens auf alle drei Teilbereiche des Einkaufsverhaltens, der Produktwahl, der Wahl der Einkaufsstätte und der Einkaufsmobilität, ausgeweitet werden.
↓2 |
In der vorliegenden Arbeit beschränkt sich die Untersuchung des Einkaufsverhaltens auf den Kauf von Lebensmitteln. Diese werden nicht nur besonders häufig eingekauft, sondern sind auch aufgrund der beträchtlichen negativen Umweltauswirkungen des Lebensmittelkonsums besonders relevant (vgl. Lorek, 2001). Außerdem benennen die KonsumentInnen für den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel das fehlende Angebot als eine zentrale Barriere (vgl. Poferl et al., 1997).
Die vorliegende Arbeit befasst sich also mit der Bedeutung des Angebots für die Umweltauswirkungen des Lebensmitteleinkaufs in den drei Teilbereichen Produktwahl, Wahl der Einkaufsstätte und Einkaufsmobilität. Daraus wird die folgende zentrale Fragestellung abgeleitet:
Welche Bedeutung hat das nahräumliche Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln für die Umweltauswirkungen des Lebensmitteleinkaufs?
↓3 |
Ziel der Arbeit
Die Arbeit geht der Frage nach der Bedeutung der Angebotsbarriere für den Kauf umweltfreundlicher Produkte nach. Dadurch kommt es zu einer Erweiterung der bisherigen Forschung zum umweltfreundlichen Konsumverhalten um den Aspekt der räumlichen Differenzierung der Gelegenheitsstrukturen und des Umweltverhaltens. Des Weiteren soll geklärt werden, inwiefern das Thema umweltfreundlicher Konsum für eine Betrachtung des räumlichen Einkaufsverhaltens – und damit für die geographische Handelsforschung – relevant ist. Bisher findet das Thema Umweltschutz in der geographischen Handelsforschung nur bei der Einkaufsmobilität oder der Standortwahl des Einzelhandels Berücksichtigung. Durch die Verknüpfung der drei Teilbereiche des Einkaufsverhaltens wird die Betrachtung von Umweltauswirkungen um den Aspekt der Produktwahl erweitert. Auch für die Untersuchung des umweltfreundlichen Konsums ist die Berücksichtigung des gesamten Einkaufsaktes und seiner drei Teilbereiche neu.
Ein Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zur Umsetzung umweltfreundlicher Verhaltensweisen beizutragen. Mittels einer Analyse der Angebotsbarrieren sollen Möglichkeiten unterschiedliche Akteursgruppen – Politik, Planung und Einzelhandel – zum Abbau dieser Barrieren aufgezeigt werden. Da entsprechende Strategien die Rahmenbedingungen und Orientierungen der KonsumentInnen berücksichtigen müssen, ist die Einbettung ökologischer Verhaltensweisen in den Alltag und die Ausdifferenzierung des Verhaltens unterschiedlicher Gruppen von KonsumentInnen zu berücksichtigen.
Einordnung in die Forschungslandschaft
↓4 |
Die vorliegende Arbeit entstand vor dem Hintergrund des Forschungsdefizits zur Bedeutung der Angebotsbarriere beim Kauf von umweltfreundlichen Produkten. Diese Fragestellung wird im Rahmen der geographischen Handelsforschung aufgegriffen, in der Angebotsdifferenzierungen und deren Bedeutung für das Einkaufsverhalten ein etabliertes Forschungsthema darstellen. Die Frage nach der Einkaufsmobilität ist außerdem dem Themenbereich der Verkehrsgeographie zuzuordnen. Die theoretischen Ansätze und Konzepte zu den Motiven und Barrieren des Umweltverhaltens stammen vor allem aus der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung.
Neben den Erkenntnissen aus Geographie und sozialwissenschaftlicher Umweltforschung wird außerdem auf Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Umweltforschung, der Umweltpsychologie, der Konsumforschung und der Lebensstilforschung zurückgegriffen. Die naturwissenschaftliche Umweltforschung liefert Erkenntnisse zu der Frage, welche Verhaltensweisen überhaupt umweltfreundlich sind. Aus der Umweltpsychologie werden theoretische Modelle zum Umweltverhalten, und aus der Konsumforschung theoretische Ansätzen zur Verknüpfung von Einkaufsstätten- und Produktwahl betrachtet. Erkenntnisse der Lebensstilforschung werden zur Bedeutung und Operationalisierung von Lebensstilen übernommen.
Diese interdisziplinäre Herangehensweise entspricht der Entstehung der Arbeit innerhalb eines interdisziplinären Graduiertenkollegs zum Thema Stadtökologie2. Um stadtökologische Forschung handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit nicht im Sinne der naturwissenschaftlichen Disziplin Stadtökologie, sondern im Sinne einer interdisziplinären und problemorientierten stadtökologischen Forschung, wie sie beispielsweise in dem BMBF-Förderschwerpunkt "Ökologische Konzeption für Städte (Stadtökologie)“ verankert war (vgl. Friedrichs und Hollaender, 1999).
↓5 |
Die Fragestellung wird anhand der Untersuchung des Lebensmitteleinkaufs der BewohnerInnen in sechs Wohngebieten Berlins bearbeitet. Die Untersuchungsgebiete wurden aufgrund ihrer Lage in der Stadt und ihrer Baustruktur ausgewählt (siehe Kapitel 5). Da das Verhalten der BewohnerInnen der Wohngebiete sich nicht nur aufgrund der Gelegenheitsstrukturen unterscheiden kann, werden weitere Merkmale der Untersuchungsgebiete (allgemeine Infrastruktur, Dichte, etc.) und deren BewohnerInnen (Lebenslage , Lebensstil) berücksichtigt.
Für die Datengewinnung kam eine Kombination aus qualitativen und quantitativen Methoden zur Anwendung (siehe Abbildung 1.1). Mit Hilfe der quantitativen Befragung konnten räumliche Nachfragemuster aufgezeigt, sowie die Bedeutung unterschiedlicher potenzieller Einflussfaktoren untersucht werden. Eine Gebietskartierung ermöglichte den Vergleich der Verhaltensweise der BewohnerInnen mit den Gelegenheitsstrukturen in ihrem Wohnumfeld. Die qualitativen Interviews, die in Anlehnung an die Methode des problemzentrierten Interviews geführt und ausgewertet wurden, dienen insbesondere der Betrachtung der Motive, Einstellungen und Barrieren sowie der Einbettung des Einkaufsverhaltens in den Alltagskontext. Auf der Grundlage der qualitativen Interviews wurden Umwelteinkaufstypen gebildet, bei denen es sich um eine verhaltensspezifische Typologie zum umweltfreundlichen Lebensmitteleinkauf handelt. Die unterschiedlichen Typen erlauben eine differenzierte Betrachtung des Einkaufsverhaltens der KonsumentInnen sowie der Bedeutung der Dispositionen und Restriktionen.
Abbildung 1.1: Vorgehensweise der Arbeit | ||
(Eigene Darstellung) |
Aufbau der Arbeit
↓6 |
Die folgenden beiden Kapitel beruhen auf der Auswertung der für die Fragestellung relevanten Literatur. In Kapitel 2 werden zunächst die für die Arbeit zentralen Begriffe definiert. Die Gliederung des weiteren Kapitels zum Stand der Forschung erfolgt anhand der drei Teilbereiche des Einkaufsverhaltens, der Wahl der Einkaufsstätte, der Einkaufsmobilität und der Produktwahl. Jedem Teilbereich ist die Herausarbeitung besonders umweltfreundlicher Verhaltensweisen vorangestellt. Abschließend werden in Kapitel 2 Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen den drei Teilbereichen aufgezeigt, sowie Schlussfolgerungen zur Vorgehensweise gezogen und die Fragestellung präzisiert. In Kapitel 3 werden die theoretischen Hintergründe der Arbeit anhand theoretischer Ansätze unterschiedlicher Disziplinen aufgezeigt. Dieses Kapitel dient zum einen der Ermittlung potenzieller Einflussfaktoren des umweltfreundlichen Einkaufsverhaltens und der Möglichkeiten diese zu operationalisieren. Zum anderen wird die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Verhaltensweisen in den drei Teilbereichen und der Ausdifferenzierung des Umweltverhaltens anhand der Literaturauswertung erörtert. Ergänzt werden die theoretischen Ansätze um empirische Ergebnisse aus der Literatur.
Kapitel 4 erläutert die Vorgehensweise der Arbeit und die verwendeten empirischen Methoden. Die Ergebnisse der empirischen Untersuchungen werden in den Kapiteln 5, 6 und 7 dargestellt und diskutiert. Die Gebietscharakterisierung in Kapitel 5 stellt die Auswahl der Untersuchungsgebiete, deren räumliche Struktur und die Sozialstruktur der BewohnerInnen vor. In diesem Kapitel werden außerdem Ergebnisse der Befragung zur Lebenslage und zum Lebensstil der BewohnerInnen präsentiert. Kapitel 6 dient der Darstellung der Ergebnisse der quantitativen Befragung zu den räumlichen Differenzen beim Einkaufsverhalten und der Analysen der Einflussfaktoren, die diesen Unterschieden zugrunde liegen. Dabei steht die Bedeutung des nahräumlichen Angebots im Mittelpunkt. Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen den Verhaltensweisen in den drei Teilbereichen stellt Kapitel 7 dar. In diesem Kapitel erfolgt auch die Präsentation der Ausdifferenzierung des Einkaufsverhaltens anhand der Einkaufsorientierungen. Diese Ausdifferenzierung manifestiert sich in den Umwelteinkaufstypen, die anhand der Ergebnisse der qualitativen Interviews gebildet wurden.
Abbildung 1.2: Aufbau der Arbeit | ||
(Eigene Darstellung) |
↓7 |
Im letzten Kapitel werden entlang der vier zentralen Fragen Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen gezogen und übergreifend diskutiert. In diesem Kapitel erfolgt eine kritische Würdigung der Vorgehensweise und der gewählten Methoden. Abschließend werden Handlungsempfehlungen gegeben und es erfolgt ein Ausblick auf zukünftige Einzelhandelsentwicklungen und deren Bedeutung für das Umweltverhalten beim Einkaufen.
1 So wird das Thema Umweltschutz in dem Überblickswerk zur geographischen Handelsforschung von Heinritz et al. Heinritz, Günther; Klein, Kurt und Popp, Monika (2003): Geographische Handelsforschung, Bendix, Jörg, et al., Studienbücher der Geographie, Borntraeger, Berlin und Stuttgart. beim Konsumentenverhalten beispielsweise überhaupt nicht erwähnt.
2 DFG-Graduiertenkolleg 780: Stadtökologische Perspektiven einer europäischen Metropole – das Beispiel Berlin
© Die inhaltliche Zusammenstellung und Aufmachung dieser Publikation sowie die elektronische Verarbeitung sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, die Bearbeitung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. | ||
DiML DTD Version 4.0 | Zertifizierter Dokumentenserver der Humboldt-Universität zu Berlin | HTML-Version erstellt am: 08.12.2006 |