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Die folgende Betrachtung der theoretischen Ansätze dient vor allem der Klärung zweier Fragen:
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Entsprechend der Verankerung der Fragestellung in der geographischen Handelsforschung und der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung werden im Folgenden vor allem Ansätze dieser beiden Forschungsrichtungen berücksichtigt. Teilweise werden die theoretischen Ansätze durch empirische Ergebnisse aus der Literatur ergänzt. Bei der Auswertung der theoretischen Ansätze der geographischen Handelsforschung (Kapitel 3.1) liegt der Schwerpunkt auf der Betrachtung des Zusammenhangs zwischen der Wahl der Einkaufsstätte, der Einkaufsmobilität und der Produktwahl. Die Modelle zum Umweltverhalten, die in Kapitel 3.2 dargestellt werden, sowie die Lebensstilansätzen und verhaltensspezifischen Typologien in Kapitel 3.3 stammen vorwiegend aus der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung.
In diesem Kapitel wird der Zusammenhang zwischen der Einkaufsmobilität und der Wahl der Einkaufsstätte sowie zwischen der Wahl der Einkaufsstätte und der Produktwahl theoretisch beleuchtet. Die Ansätze der geographischen Handelsforschung zur Wahl der Einkaufsstätte berücksichtigen vor allem deren Lage und damit das räumliche Einkaufsverhalten. Dadurch stellen sie eine Verbindung zwischen der Wahl der Einkaufsstätte und der Einkaufsmobilität her. Die Modelle der Konsumforschung befassen sich ebenfalls mit der Wahl der Einkaufsstätte, allerdings vor allem mit der Art der Einkaufsstätte und deren Angebot, da sich die Konsumforschung vor allem mit dem Kauf bestimmter Produkte befasst. Dabei kommen sowohl psychologische Modelle, die die Entscheidungsfindung untersuchen, als auch stochastische Modelle, die Zusammenhänge zwischen Einflussfaktoren und Verhalten messen, zur Anwendung (vgl. Bänsch, 1996). Die Wahl der Einkaufsstätte wird dabei im Zusammenhang mit der Produktwahl betrachtet. Für die vorliegende Arbeit ist vor allem ein Modell relevant, das den Zusammenhang zwischen der Entscheidung für eine Einkaufsstätte sowie für bestimmte Produkte berücksichtigt. Die geographische Handelsforschung greift zur Erklärung der Wahl der Einkaufsstätte und damit dem räumlichen Einkaufsverhalten vor allem auf drei theoretische Ansätze zurück: den zentralörtlichen Ansatz, die aktionsräumliche Forschung und sozial-psychologische Modelle (vgl. Heinritz et al., 2003).
Die Wahl der Einkaufsstätte wurde in der Geographie lange Zeit über den zentralörtlichen Ansatz erklärt, der sich auf die Angebotsseite konzentriert und davon ausgeht, dass der am leichtesten zu erreichende Standort aufgesucht wird (vgl. Kagermeier, 1991). Die Wahl der Einkaufsstätte resultiert demnach aus den Kosten der Distanz.B. rwindung und der Lage sowie der Attraktivität der Einkaufsstätten, wobei laut Heinritz et al. (2003) die Operationalisierung der Attraktivität oft unbefriedigend gelöst ist. Dieser Ansatz erwartet seitens der VerbraucherInnen rationales Handeln, es handelt sich also um einen Rational-Choice-Ansatz. Im Ergebnis müsste sich ein stabiles räumliches Einkaufsverhalten ausbilden, das sich auf die nächstmöglichen Einkaufsstätten konzentriert („Nearest-Center-Hypothese“) (vgl. Heinritz et al., 2003). Der zentralörtliche Ansatz kann die Wahl des Einkaufsstandortes jedoch nur begrenzt erklären. Entsprechend wurden seit den 1970er Jahren weitere Einflussfaktoren gesucht, wobei insbesondere die Lebenslage als wichtiger Faktor herausgearbeitet wurde (vgl. Kagermeier, 1991).
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Zur Berücksichtigung individueller Lebensumstände ist der zentralörtliche Ansatz nicht geeignet. Diese werden im aktionsräumlichen Ansatz.B. rücksichtigt, der die Handlungsmöglichkeiten und -grenzen des Individuums aufzeigt, also nachfrageorientiert ist (vgl. Heinritz et al., 2003). Unter dem Aktionsraum ist „die Gesamtheit der von einem Individuum aufgesuchten Orte (....)“ (Friedrichs, 1990) zu verstehen. Der Aktionsraum lässt sich entsprechend in Kontakt-, Interaktions- und Informationsräume aufteilen, die in ihrer räumlichen Ausdehnung jeweils unterschiedlich sein können (vgl. Heinritz et al., 2003). Ihren Wahrnehmungsraum für das Alltagshandeln hat jede Person als mental maps im Kopf, die aus der selektiven Wahrnehmung der Umgebung resultieren. Um eine Aktivität ausüben zu können, muss eine entsprechende Gelegenheit vorhanden sein und wahrgenommen werden (vgl. Friedrichs, 1990). Fehlt eine gut erreichbare Gelegenheit zur Ausübung einer Aktivität, so gibt es nach Friedrichs (1990) drei Möglichkeiten, damit umzugehen:
Die Erreichbarkeit einer Gelegenheit hängt von persönlichen Merkmalen (z B. die Verfügbarkeit eines Pkws) und räumlichen Strukturen (z B. dem Verkehrsangebot) ab (Friedrichs, 1990).
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Bei den sozial-psychologischen Ansätzen handelt es sich um einstellungsorientierte Handlungsmodelle. Anhand der individuellen Kriterien kommt es zu einer Bewertung der Einkaufsstätten, die sich im Kontaktfeld (bisher aufgesuchte Einkaufsstätten) bzw. Informationsfeld (anderweitig bekannte Einkaufsstätten) befinden (vgl. Heinritz et al., 2003). Heinritz et al. (2003) weisen darauf hin, dass nicht nur die Wahrnehmung der Existenz einer Einkaufsstätte, sondern v. a. die wahrgenommenen Kennzeichen der Einkaufsstätte, der Betriebsform und des Umfeldes für deren Bewertung relevant sind. Die im Folgenden dargestellten Modelle der Konsumforschung zur Wahl des Produkts und der Einkaufsstätte sind sozial-psychologische Modelle.
In der Forschung zum Käuferverhalten werden Einkaufsstätten- und Produktwahl weitgehend getrennt betrachtet, zum Beispiel im Modell zur Markenwahl nach Engel/Kollat/Blackwell (1968) oder zur Einkaufsstättenwahl nach Heinemann (1976) (zitiert nach Feller, 2001). Gemeinsam ist diesen beiden Modellen, dass darin der Entscheidungsprozesse in fünf Schritte aufgeteilt wird: Problemerkennung, Suche nach Alternativen, deren Bewertung, die Handlung selber und deren nachträgliche Bewertung. Während die Auswahl von Produkten in dem Modell von Heinemann erst nach der Auswahl der Einkaufsstätte erfolgt, taucht die Wahl der Einkaufsstätte in dem Modell zur Markenwahl nicht auf.
Ein integratives Modell zur Wahl der Einkaufsstätte und der Produktwahl entwickelte Goerdt (1999, zitiert nach Feller, 2001), der von einer parallelen Einkaufsstätten- und Produktwahl ausgeht. Die Wahl findet in diesem Modell in zwei Schritten statt: Im ersten Schritt werden die nicht in Frage kommenden Alternativen anhand von nicht-kompensatorischen Entscheidungsregeln, also Mindeststandards oder Schlüsselkriterien, aussortiert. Im zweiten Schritt wird aus diesem relevant set anhand kompensatorischer Entscheidungsregeln eine Rangordnung gebildet. Dabei kann die Produktwahl im Vordergrund stehen oder die Einkaufsstättenwahl. Sind nicht alle gewünschten Produkte in der bevorzugten Einkaufsstätte vorhanden, so existieren nach Goerdt drei Strategien:
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Im Alltag orientiert sich das Einkaufsverhalten allerdings weniger an einzelnen Produkten als viel mehr an einem Bedarfsbündel. Bestimmten Einkaufsstätten werden dabei bestimmten Produkten zugeordnet (Feller, 2001). Auch Müller-Hagedorn (1978, zitiert nach Feller, 2001) weist darauf hin, dass meist nicht einzelne Eigenschaften von Produkten bei Entscheidungen bezüglich der Einkaufsstätte im Vordergrund stehen, sondern Einkaufsregeln, wie „Zeit sparen“ (beispielsweise durch den Kauf in nahe gelegenen Einkaufsstätten), oder „Geld sparen“ (und dafür eventuell weite Wege auf sich nehmen). Die Einkaufsregeln können als Strategie zur Erleichterung des Alltagshandelns angesehen werden.
Zusammenfassende Betrachtung
Die Bedeutung des Angebots für die Wahl der Einkaufsstätte stellt insbesondere der zentralörtliche Ansatz heraus. Neben dem Angebot zeigen jedoch auch persönliche Merkmale sowie insgesamt räumliche Strukturen eine Bedeutung für die Wahl der Einkaufsstätten. Bereits die Wahrnehmung der Einkaufsstätte hängt dabei von persönlichen Merkmalen ab. Die Bedeutung von individuellen Einstellungen bei der Wahl der Einkaufsstätte stellen die sozial-psychologischen Modelle in den Vordergrund. Die Umweltrelevanz des Einkaufsverhalten spielt in der geographischen Handelsforschung und der Konsumforschung keine Rolle. Entsprechend werden Umwelteinstellungen als Einflussfaktoren nicht thematisiert.
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Kommt es zum Konflikt zwischen der Produkt- und der Einkaufsstättenwahl so muss zwischen beidem abgewogen werden, wobei nach dem Modell von Goerdt als Strategien je nach der jeweiligen Präferenz der Aufwand minimiert, der Nutzen optimiert oder maximiert werden. Werden andere Einkaufsstätten aufgesucht, so stellt sich die Frage, inwiefern dies die Distanz der Einkaufswege erhöht. Ähnlich wie das Modell von Goerdt kommt Friedrichs in seinem Ansatz zum Umgang mit fehlenden gut erreichbaren Gelegenheiten zu dem Schluss, dass es drei Handlungsmöglichkeiten gibt: Kompensation, Verlagerung oder Restriktion. Auf den Kauf von Umweltprodukten bezogen bedeutet dies, dass es beim Fehlen einer Gelegenheit zum Kauf dieser Produkte entweder zu weiteren Wegen (und damit potenziell zur Nutzung des MIV), um das Produkt dennoch zu kaufen (Kompensation), oder zum Kauf eines anderen, weniger umweltfreundlichen Produkts kommt (Verlagerung). Goerdt nennt dagegen die Möglichkeit einer Restriktion nicht, es wird also von der Notwendigkeit des Kaufs ausgegangen, die beim Kauf von Lebensmitteln plausibel ist.
Eine Tendenz zur Vereinfachung, die bei Alltagshandeln üblich ist, zeigt sich auch beim Einkaufen. So werden Einkaufsstätten auf wenige Kennzeichen reduziert, wobei bestimmten Einkaufsstätten bestimmte Produkte zugeordnet werden, Produkte als Bedarfsbündel betrachtet, relevant sets gebildet, aus denen im Bedarfsfall eine Einkaufsstätte ausgewählt werden kann, und Einkaufsregeln, also allgemeine Einkaufsorientierungen, angewendet.
Einkaufsverhalten als Umweltverhalten wird in der geographischen Handelsforschung und der Konsumforschung nicht thematisiert. Der Erforschung des Umweltverhaltens widmen sich vor allem die Umweltpsychologie und die sozialwissenschaftliche Umweltforschung. Im Zentrum steht die Frage, unter welchen Bedingungen Menschen umweltfreundlich handeln. Die beiden Disziplinen verwenden theoretische Modelle, die der Erklärung der Bedeutung unterschiedlicher Determinanten dienen. Die Modelle, die zur Erklärung des Umweltverhaltens verwendet werden, unterscheiden sich je nach Disziplin. In der Umweltpsychologie ist die Tradition der Einstellungs-Verhaltens-Modelle dominant, die um zusätzliche Determinanten erweitert wurden (z. B. Normen und Gewohnheiten). Die Umweltsoziologie bezieht sich dagegen häufig auf die Theorie des rationalen Handelns, der das Menschenbild des homo oeconomicus zugrunde liegt, oder auf die Umweltbewusstseinsforschung (vgl. Schubert, 2000). Gemeinsam ist den Modellen, dass sie Einflussfaktoren für das Umweltverhalten betrachten. Vor allem anhand dieser Umweltverhaltensmodelle sollen die Restriktionen und Dispositionen, d. h. die hinderlichen und förderlichen Faktoren des Umweltverhaltens, herausgearbeitet werden. Alltagshandeln stellt für Entscheidungsmodelle grundsätzlich ein Problem dar, da Situationen mit echtem Entscheidungscharakter aufgrund der Gewohnheiten und Routinen selten sind. Dennoch hält Verron (1986) die Anwendung von Entscheidungsmodellen beim Alltagshandeln für vertretbar, da auch Gewohnheiten ein Ergebnis früherer Entscheidungen darstellen.
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Im Folgenden wird auf die Operationalisierung von Umwelteinstellungen in der Umweltbewusstseinsforschung und in sozial-psychologischen Modellen eingegangen. Anschließend werden die Möglichkeiten zur Operationalisierung von externen Restriktionen dargestellt.
In der Tradition der Einstellungsforschung konzentrierte sich die sozialwissenschaftliche Umweltforschung in den 1980er Jahren auf das Umweltbewusstsein und dessen Einfluss auf das Umweltverhalten (vgl. z.B. Renn, 2001). Dieser Forschungszweig wird als Umweltbewusstseinsforschung bezeichnet (vgl. Hunecke, 2000). Allerdings steht hinter dem Begriff Umweltbewusstsein kein einheitliches Konzept. So weist Neugebauer (2004) darauf hin, dass das Umweltbewusstsein teilweise eindimensional konzipiert ist und sich nur auf die Einstellungen bezieht, teilweise werden diesem jedoch weitere Dimensionen hinzugefügt. In der klassischen Definition von Maloney und Ward (1973) umfasst Umweltbewusstsein neben dem Umweltwissen (knowledge) und den Umwelteinstelllungen (attitudes) auch das Umweltverhalten (actual commitment). Neuere Konzeptionen von Umweltbewusstsein enthalten das Umweltverhalten jedoch meist nicht mehr (z.B. Kuckartz, 1998). Der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten in der Umweltbewusstseinsforschung liegt die Annahme zugrunde, dass ein hohes Umweltbewusstsein zu einem besonders umweltfreundlichen Verhalten führt. Aufgrund der empirischen Befunde ist die tatsächliche Bedeutung des Umweltbewusstseins für das Umweltverhalten unter den ForscherInnen jedoch umstritten (vgl. z.B. Kuckartz, 1998; Preisendörfer, 1999).
Untersuchungen belegen, dass nur ein geringer ein statistischer Zusammenhang zwischen dem Umweltbewusstsein und Umweltverhalten besteht. Intensiv wurde diese Fragestellung anhand der Ergebnisse der alle zwei Jahre stattfindenden repräsentativen Studie „Umweltbewusstsein in Deutschland“ untersucht (vgl. Kuckartz, 2000; Kuckartz, 2002; Kuckartz und Rheingans-Heintze, 2004; Preisendörfer, 1999; Preisendörfer, 1997). Deren Ergebnisse zeigen seit Jahren ein hohes Umweltbewusstsein, das sich nicht in einem entsprechenden Umweltverhalten niederschlägt (vgl. Kuckartz, 1998). Lediglich 15-20 % der Varianz der Ergebnisse des Umweltverhaltens lassen sich durch Umweltwissen und Umwelteinstellungen erklären (Kuckartz, 1998). Außerdem verhalten sich einzelne Personen besonders umweltfreundlich, ohne besonders umweltbewusst zu sein:
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„Auch wenn in einzelnen Feldern (...) Verhaltensänderungen zu registrieren sind, so hängt dieses Verhalten nicht mit den Umwelteinstellungen und dem Umweltwissen der Personen zusammen. Wenn man dieses veränderte Umweltverhalten zum Maßstab nimmt, so muß man feststellen: Es gibt umweltgerechtes Verhalten ohne Umweltbewußtsein.” (Kuckartz, 1998) |
Der Differenz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten liegen unter anderem methodische Problemen zugrunde (vgl. Preisendörfer et al., 1999). Umweltbewusstsein und Umweltverhalten zeigen einen größeren Zusammenhang, wenn beides in dem selben Handlungsfeld und auf einem vergleichbaren Spezifikationsniveau erhoben wird als bei einer allgemeinen Erhebung der Einstellungen und des Wissens (Fischer, 2002; Neugebauer, 2004; Poferl et al., 1997).
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Ein weiterer Grund für die Diskrepanz zwischen Umweltbewusstsein und Umweltverhalten liegt in der mangelnden Berücksichtigung der Rahmenbedingungen. Ein theoretisches Modell von Fietkau und Kessel (1981) integriert in das Umweltbewusstseinmodell als weitere Faktoren Verhaltensangebote, Handlungsanreize und wahrgenommene Verhaltenskonsequenzen. Dieses Modell fand jedoch bisher kaum Anwendung, weshalb ihm die empirische Unterfütterung fehlt (vgl. Poferl, 2004).
Der Umweltbewusstseinsforschung wird außerdem ein Theoriedefizit bezüglich der Konzeptualisierung von Umweltbewusstsein und der Erklärung von Umweltverhalten vorgeworfen (vgl. Hunecke, 1998; 2000; Neugebauer, 2004).
Aufgrund der Mängel der Umweltbewusstseinsforschung greifen viele neuere Studien zur Erklärung von Umweltverhalten auf zwei theoretische Modelle der Sozialpsychologie zurück (vgl. Matthies und Homburg, 2001): das Norm-Aktivations-Modell und die Theorie des geplanten Verhaltens. Das Norm-Aktivations-Modell von Schwartz, das für altruistische Verhaltensweisen entwickelt wurde (vgl. Blöbaum, 2000; vgl. Hunecke, 2001), beinhaltet als zentrale Variable die persönliche Norm, die wiederum aus mehreren Faktoren besteht. Während dieses Modell sich also nur für Situationen mit altruistischem Verhalten eignet, kann die Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen und Madden allgemein für Entscheidungsprozesse verwendet werden. Sie berücksichtigt als Einflussfaktoren für die Verhaltensintention, die wiederum das Verhalten maßgeblich beeinflusst, die Einstellung, die subjektive Norm und die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (Madden et al., 1992). Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle stellt dabei ein Maß für die Überzeugung einer Person, über die notwendigen Ressourcen (interne und externe) zur Durchführung der Handlung zu verfügen. Beide Modelle konnten empirisch die Bedeutung von Einstellungen für das Umweltverhalten deutlicher als die Umweltbewusstseinsforschung aufzeigen (vgl. Hunecke, 2001; Schlaffer et al., 2002).
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Zur Operationalisierung von externen Faktoren bestehen drei Möglichkeiten, die Untersuchung der Restriktionen als direkte Einflussfaktoren, die Erhebung der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle (Theorie des geplanten Verhaltens) oder eine Ableitung von Verhaltenschwierigkeiten (vgl. Tanner et al., 2004).
Die existierenden Rahmenbedingungen können direkt als Einflussfaktoren berücksichtigt werden. Dies geschieht vor allem im Rational-Choice-Ansatz, aber auch in dem erweiterten Umweltbewusstseinsmodell von Fietkau und Kessel (1981). Die Forschungsergebnisse zu den existierenden Rahmenbedingungen können zwar deren Bedeutung aufzeigen, allerdings nicht deren unterschiedliche Wirkung je nach Person berücksichtigen (vgl. Tanner et al., 2004). In der Praxis wird in Untersuchungen zum Konsumverhalten häufig die Lebenslage als externer Faktor integriert, nicht jedoch die Infrastruktur.
Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle wird außer in der Theorie des geplanten Verhaltens auch in modifizierten Versionen des Norm-Aktivations-Modells integriert (vgl. Blöbaum, 2000; Hunecke, 2000). Sie konzentriert sich auf die Sichtweise des Individuums und berücksichtigt die Bedeutung der Wahrnehmung von Restriktionen (vgl. z.B. Hunecke, 2001; Poferl et al., 1997; Tanner und Foppa, 1996). So hängt die Ausführbarkeit einer Handlung nicht nur von den objektiven Möglichkeiten ab, sondern auch von deren Berücksichtigung seitens der Handelnden (ipsative Handlungstheorie) (Tanner und Foppa, 1996). Nicht zu vernachlässigen ist dabei für das Alltagshandeln, dass die Gewohnheiten und Routinen die Wahrnehmung der Restriktionen maßgeblich beeinflussen: So stellen Studien zur Verkehrsmittelwahl fest, dass sich der Informationsstand zu einem Verkehrsmittel zwischen denjenigen, die das Verkehrsmittel nutzen, und den übrigen Befragten unterscheidet (vgl. Bamberg und Schmidt, 1993; Tanner und Foppa, 1996; Verron, 1986). Die tatsächlichen Rahmenbedingungen finden jedoch bei der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle keine Berücksichtigung. Außerdem können nur von den einzelnen Personen wahrgenommene und verbalisierbare Restriktionen erfasst werden.
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Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle kann auch als eigenständiger Einflussfaktor neben den externen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, stellt also keine direkte Alternative dar. Hunecke und Blöbaum integrieren sowohl die wahrgenommene Verhaltenskontrolle als auch externe Rahmenbedingungen als Faktoren in ein modifiziertes Norm-Aktivations-Modell (Blöbaum, 2000; Hunecke, 2000). Die Integration von externen Rahmenbedingungen in Handlungsmodelle ist jedoch umstritten (vgl. Tanner et al., 2004).
Das Konzept der Verhaltensschwierigkeit geht davon aus, dass einige Verhaltensweisen - aufgrund von Restriktionen – allgemein schwieriger als andere auszuführen sind (Tanner et al., 2004). Der Anteil an Personen, der eine bestimmte Handlung ausübt, stellt damit ein Maß für die Schwierigkeit der entsprechenden Verhaltensweise – und damit die Restriktionen – dar. Kaiser (1996) zeigt, dass die Aufnahme der Verhaltensschwierigkeit in sein Modell die Vorhersage der Varianz des Verhaltens erheblich erhöht. Es werden in diesem Modell jedoch keine realen Rahmenbedingungen berücksichtigt, so dass auch keine Unterschiede in der Bedeutung von Restriktionen je nach Person betrachtet werden können.
Insgesamt lässt sich zwischen Einstellungen, wenn sie theoretisch fundiert und verhaltensspezifisch erhoben werden, sowie dem Verhalten ein deutlicher Zusammenhang feststellen. Das „Umweltbewusstsein“, das neben den Einstellungen weitere Dimensionen umfasst, ist dagegen nicht nur als Konzept wenig theoretisch fundiert, sondern zeigt auch empirisch nur einen geringen Einfluss auf das Umweltverhalten.
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Von den drei Möglichkeiten zur Untersuchung externer Restriktionen berücksichtigt die wahrgenommene Verhaltenskontrolle insbesondere den Aspekt der Wahrnehmung von Restriktionen, nicht jedoch die einzelnen Restriktionen selber. Das Konzept der Verhaltensschwierigkeit berücksichtigt ebenfalls keine einzelnen Restriktionen und kann keine Unterschiede zwischen Personen zeigen. Dagegen können bei einer direkten Berücksichtigung der Rahmenbedingungen als Restriktionen diese je nach Person differenziert betrachtet werden, allerdings werden Unterschiede in der Wahrnehmung der Restriktionen vernachlässigt.
Hinsichtlich der Bedeutung von externen Restriktionen und Umwelteinstellungen werden in der Literatur für das Umweltverhalten Unterschiede zwischen den drei Teilbereichen des Einkaufens, vor allem zwischen den Bereichen Mobilität und Konsum, thematisiert. Mehrere Studien kommen für die Bereich Konsum und Mobilität zu dem Ergebnis, dass beides, Einstellungen und externe Faktoren, einen wichtigen Einfluss auf das Umweltverhalten haben (Diekmann, 1997; Hunecke, 2000; Preisendörfer et al., 1999). Jedoch zeigen Ergebnisse der Umweltbewusstseinsforschung (vgl. Poferl, 2004; Poferl et al., 1997), dass der Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Umweltbewusstsein und dem Konsumverhalten höher ist als der Zusammenhang zwischen dem Umweltbewusstsein und dem Verkehrsverhalten. Auch Blöbaum weist darauf hin, dass im Bereich Mobilität situative und objektive Faktoren gegenüber den Einstellungen eine besonders große Rolle spielen (Blöbaum, 2000).
Ein Zusammenhang zwischen dem Umweltverhalten innerhalb der Verhaltensblöcke kann zwei Ausprägungen aufweisen: Entweder führt ein hohes allgemeines Umweltbewusstsein zu besonders umweltfreundlichem Verhalten in mehreren Verhaltensblöcken, oder es kommt zu kompensatorischem Verhalten, indem besonders umweltfreundliches Verhalten in einem Bereich als Rechtfertigung für weniger umweltfreundliches Verhalten in anderen Bereichen herangezogen wird (Neugebauer, 2004). Keinen empirischen Hinweis auf kompensatorisches Verhalten findet Bratt (1999) bei der Untersuchung unterschiedlicher Umweltverhaltensweisen.
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Zwei Studien (Bratt, 1999; Preisendörfer et al., 1999), die unterschiedliche Umweltverhaltensweisen mittels Faktorenanalyse auf Dimensionen reduzieren, kommen zu dem Schluss, dass der Bereich Mobilität im Gegensatz zu anderen untersuchten Verhaltensweisen keine hohe Faktorladung bei dem Faktor Umweltverhalten zeigt. Außerdem bestehen bei Bratt (1999) zwischen den untersuchten Verhaltensweisen aus den Bereichen Konsum und Mobilität keine signifikanten Korrelationen, innerhalb der Verhaltensbereiche bestehen ebenfalls nur geringe Korrelationen.
Die Bedeutung von Einstellungen und externen Restriktionen hat einen wesentlichen Einfluss auf die Interventionsstrategien zur Ausweitung von Umweltverhalten, da je nachdem Veränderungen, die an der Person oder an der Situation ansetzen die größere Wirkung haben (vgl. Hunecke, 2001; Matthies und Homburg, 2001). Die Situation kann mit Hilfe von Handlungsanreizen und Verhaltensangeboten gezielt verändert werden. Während solche Maßnahmen kurzfristig Wirkung zeigen, sind Maßnahmen zur Veränderung der Person eher mittel- bis langfristig wirksam (Hunecke, 2001).
Ausgehend von der Frage, „.(...) in welchen Bereichen eher der ökonomische Weg oder eher der Weg über Einstellungsänderungen und Wissensvermittlungen aussichtsreich ist“ (Preisendörfer, 2004) entwickelten Diekmann und Preisendörfer die sogenannte Low-Cost-These (vgl. Diekmann, 1997; 2004; Preisendörfer, 1997). Diese besagt, dass Umwelteinstellungen v. a. in Situationen mit geringen Kosten einen Einfluss auf das Umweltverhalten haben. Unter Kosten werden dabei nicht nur finanzielle Kosten, sondern auch andere Verhaltensanforderungen verstanden. In High-Cost-Situationen, in denen das umweltfreundliche Verhalten größere Kosten verursacht, lässt sich kein Zusammenhang zum Umweltbewusstsein feststellen. Ganze Verhaltensblöcke werden entsprechend anhand des Anteils der Bevölkerung, der in diesen Bereichen umweltfreundlichere Alternativen wählt - also anhand der Verhaltensschwierigkeit - in Low- und High-Cost-Situationen aufgeteilt (Preisendörfer et al., 1999). Aufgrund dieser ermittelten Verhaltensschwierigkeiten werden die Bereiche Müll/Recycling und Einkaufen als Low-Cost-Situationen betrachtet, Energie und Verkehr dagegen als High-Cost-Situationen. Die Low-Cost-These ist jedoch nicht unumstritten (vgl. Hunecke, 2000; Matthies und Homburg, 2001).
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Unberücksichtigt bleibt bei dieser pauschalen Zuordnung von Verhaltensweisen die individuelle Situation. Insbesondere die Einteilung ganzer Verhaltensbereiche als High- oder Low-Cost-Situationen vernachlässigt, dass auch innerhalb der Verhaltensbereiche unterschiedliche Verhaltensschwierigkeiten bestehen können. Als Verhaltensblöcke, die für die vorliegende Arbeit relevant sind, tauchen in Untersuchungen zu den Differenzen zwischen Verhaltensbereichen häufig Konsum bzw. Einkaufen und Mobilität/Verkehr auf. Welche Verhaltensweisen als Verhaltensblöcke betrachtet werden, unterscheidet sich jedoch je nach Untersuchung (vgl. Gaus und Zanger, 2001; Neugebauer, 2004).
Sowohl beim Konsumverhalten als auch beim Mobilitätsverhalten erweisen sich Einstellungen und externe Restriktionen also als wichtige Einflussgrößen für das Verhalten. Es gibt Hinweise darauf, dass die externen Faktoren für das Mobilitätsverhalten wichtiger sind als im Konsumbereich. Wird der Zusammenhang zwischen Umweltverhalten in unterschiedlichen Bereichen untersucht, so zeigt sich innerhalb des Konsumbereichs ein höherer Zusammenhang als zwischen den Verhaltensweisen der Bereiche Konsum und Mobilität. Allerdings wurde in diesen Studien nicht die Einkaufsmobilität untersucht.
Schubert (2000) nennt als prinzipielle Verhaltensbarrieren des Umweltverhaltens neben den individuellen Restriktionen fehlende Anreizstrukturen (materiell wie immateriell) sowie fehlende Infrastruktur und Angebote. Während die individuellen Barrieren vom Individuum abhängen, können sowohl Infrastruktur und Angebot als auch Anreizstrukturen sich je nach Wohnumfeld unterscheiden. Im Folgenden werden die theoretisch abgeleiteten externen Restriktionen des Umweltverhaltens räumlich differenziert dargestellt. Der Stand der Forschung zur Bedeutung der Restriktionen für die untersuchten Verhaltensbereiche wurde jeweils für die einzelnen Verhaltensweisen bereits in Kapitel 2 dargestellt.
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Fehlen geeignete Gelegenheitsstrukturen, so kann das Umweltverhalten auch bei bestehenden Handlungsabsichten nicht ausgeführt werden. Lange (2000) spricht hier von der Kluft zwischen Wollen und Können. Räumliche Angebotslücken und fehlende Infrastruktur treten beispielsweise in Form von fehlenden ÖPNV-Anschlüssen, Konsum- und Einkaufsmöglichkeiten auf (vgl. de Haan und Kuckartz, 1996; Poferl et al., 1997). Fehlen entsprechende Angebote, so verursacht das Umweltverhalten einen Mehraufwand für die KonsumentInnen. Einige AutorInnen weisen darauf hin, dass ein umweltfreundlicher Konsum im Bereich Ernährung zu einem Mehraufwand führt (vgl. Schäfer und Schön, 2000; Winterfeld, 1993). Als ein Beispiel werden dabei die weiten Wege zu den Einkaufsstätten genannt, ohne dass diese jedoch empirisch untersucht sind.
Auch das soziale Umfeld kann den Zugang zu umweltfreundlichen Produkten erleichtern. Dies gilt auch für das soziale Umfeld in der Nachbarschaft: Eine Studie stellt in Nachbarschaften, die als soziale Netzwerke funktionieren, mehr nachhaltige Verhaltensweisen in den untersuchten Bereichen Freizeit, Ernährung und Mobilität als in anderen Nachbarschaften fest (Gruner, 2000). Dies wird zum einen auf die Kommunikation über Konsum, die zu einer Veränderung der individuellen Konsummotive und damit des Konsumverhaltens führt, zum anderen auf eine Senkung der Transaktions- und Informationskosten zurückgeführt, an denen die Umsetzung von nachhaltigen Verhaltensweisen häufig scheitert (Harloff, 2001). So verursachen fehlende verwertbare Informationen einen hohen individuellen Aufwand für die Informationssuche oder aber ein Gefühl der Desinformation, was umweltfreundliche Verhaltensweisen behindern kann (vgl. Poferl et al., 1997; Schäfer und Schön, 2000).
Die Umweltökonomie benennt als Probleme des Umweltverhaltens Handlungsdilemmata im Umgang mit dem Kollektivgut Umwelt („Trittbrettfahrer-Syndrom“, „Gefangenendilemma“) (vgl. Endres, 1994). Die eigene Bereitschaft zum umweltfreundlichen Handeln wird danach maßgeblich vom Verhalten der Anderen und immateriellen Anreizen beeinflusst. Umweltschutz fungiert zwar als eine gesellschaftliche Norm, widerspricht jedoch häufig anderen gesellschaftlichen Normen (vgl. Poferl et al., 1997). Im Bereich Konsum wird einerseits eine Reduzierung bzw. Veränderung des Konsumierens gefordert, andererseits ein großes Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und Integration über den Konsum festgelegt (vgl. Piorkowsky, 1988; Poferl et al., 1997). Das gesellschaftliche Ansehen umweltfreundlicher Verhaltensweisen ist dabei zum Teil nicht besonders hoch (vgl. Neugebauer, 2004).
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Die Normen zum Umweltverhalten können sich aber je nach Bezugsgruppe, und damit auch zwischen Nachbarschaften und Milieus, unterscheiden (vgl. Warsewa, 2000). So weist Neugebauer (2004) darauf hin, dass die öffentliche Kontrolle innerhalb der Nachbarschaft (beispielsweise beim Müll trennen in Mehrfamilienhäusern) einen Einfluss auf das Umweltverhalten haben kann.
Das mangelnde Angebot ist eine wichtige Restriktion des Umweltverhaltens, bei der sich Differenzen je nach Wohnort zeigen können. Soziale Netze innerhalb der Nachbarschaft können das Umweltverhalten beeinflussen, indem es zu einer Verringerung der Transaktionskosten kommt. Unterschiede in der sozialen Norm können sich ebenfalls je nach Wohnumfeld zeigen und damit zu räumlichen Differenzen der externen Restriktionen führen.
In der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung werden neben den Einflussfaktoren für das individuelle Umweltverhalten auch die Differenzen zwischen dem Umweltverhalten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen untersucht. Diese differenzierte Betrachtung stellt eine wichtige Ergänzung zu den Umweltverhaltensmodellen dar, da erstere Unterschiede zwischen den Individuen und die Bedeutung sozio-kultureller Aspekte vernachlässigen und somit das Umweltverhalten dekontextualisieren (vgl. Hunecke, 2001; Lange, 2000; Schlaffer et al., 2002; Schubert, 2000).
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Als eine Disposition bzw. Restriktion des Umweltverhaltens werden unterschiedliche sozio-demographische und sozio-ökonomische Merkmale angesehen, die unter dem Begriff Lebenslage zusammen gefasst werden. Während andere AutorInnen als „Lebenslage“ teilweise lediglich die sozio-ökonomische Situation berücksichtigen (z. B.Kohler, 2004; Senatsverwaltung für Gesundheit, 2004), umfasst der Begriff der Lebenslage in der vorliegenden Arbeit ähnlich wie bei Scheiner (2005) und Scherhorn et al. (1997) umfassender die sozio-demographischen und sozio-ökonomische Merkmale einer Person (Geschlecht, Alter, Bildung, Erwerbstätigkeit, Einkommen, Haushaltsgröße, Sozialisation).
Die Bedeutung der Lebenslage für das Umweltverhalten erweist sich jedoch - vor allem im Vergleich zu den Einstellungen - in vielen Studien als eher gering (Diamantopoulos et al., 2003; Roberts, 1996; Straughan und Roberts, 2003). Je nach untersuchtem Verhalten und Studie zeigen außerdem unterschiedliche Merkmale der Lebenslage einen signifikanten Zusammenhang zum Umweltverhalten. Auf den Zusammenhang zwischen der Lebenslage und dem Umweltverhalten wurde in Kapitel 2 für jeden Teilbereich des Einkaufens einzeln eingegangen.
Eine andere Möglichkeit der Ausdifferenzierung der Bevölkerung besteht in der Aufteilung anhand von Lebensstilmodellen oder verhaltensspezifischen Typologien. In der Umweltdebatte erlangten allgemeine Lebensstilmodelle seit Mitte der 1990er Jahre eine große Bedeutung, da aufgrund deren Verknüpfung mit dem Alltagshandeln lebensstilspezifische Strategien zur Überwindung der Barrieren für Umweltverhalten als notwendig erachtet werden (z.B. Kuckartz, 1998; Reusswig, 2000). Gruppenspezifische Konsummuster gewannen im Zuge des Themas nachhaltiger Konsum an Bedeutung als Ansatzpunkt für eine Ökologisierung des Konsumverhaltens (Fischer, 2002).
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Im Folgenden werden wichtige Ergebnisse zum Zusammenhang zwischen Lebensstil und Umweltverhalten sowie der räumlichen Konzentration von Lebensstilen dargestellt und die Auswahl eines Lebensstilmodells für die vorliegende Arbeit begründet. Anschließend erfolgt eine Darstellung verhaltensspezifischer Typologien aus den Bereichen Konsum, Ernährung und Mobilität.
Die Tradition des Lebensstilbegriffs geht auf den Soziologen Max Weber (1864-1920) zurück. Bedeutung gewannen Lebensstilkonzepte in den Sozialwissenschaften jedoch erst seit den 1980er Jahren (vgl. Müller, 1995). Müller benennt hierfür zwei Ursachen: Zeitdiagnostische Untersuchungen stellten empirisch eine Pluralisierung der Lebensstile fest und auch auf der konzeptuellen Ebene wurde Lebensstilen eine wachsende Bedeutung für die Untersuchung von Sozialstrukturen zugemessen. So werden Lebensstile von einigen AutorInnen als „Entstrukturierung“, also als Auflösung alter Abhängigkeiten sowie Pluralisierung und Individualisierung der Lebenslagen, betrachtet (z.B. Lüdtke, 1996). Andere sehen darin eine Erweiterung der alten Strukturen sozialer Ungleichheiten (z.B. Müller, 1993). So kommt Reichenwallner (2000) anhand von Ergebnissen einer repräsentativen bundesweiten Befragung 1993 zu dem Schluss, dass die Lebenslagemerkmale Bildung, subjektive Schichtzugehörigkeit, Berufsposition, Geschlecht und Alter die Lebensstilzugehörigkeit prägen.
Entsprechend dieser unterschiedlichen Positionen unterscheiden sich die Definitionen zu Lebensstilen. Nach Müller sind Lebensstile
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„(...) raum-zeitlich strukturierte Muster der Lebensführung, die von Ressourcen (materiell und kulturell), der Familien- und Haushaltsform und den Werthaltungen abhängen.“
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( Müller, 1995 )
Während hier den Ressourcen eine zentrale Rolle zugesprochen wird hebt Lüdtke in seiner Definition von Lebensstil den Aspekt der Freiwilligkeit hervor:
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„Ich definiere einen Lebensstil in angemessen ’voluntaristischer‘ Perspektive als unverwechselbare Struktur und Form der Lebensorganisation eines privaten Haushalts bzw. der in ihm lebenden Individuen. Er wird von seinen ’Produzenten‘ bzw. Anhängern in biographischen Prozessen von Versuch und Irrtum sowie des Vergleichs mit anderen Personen und Gruppen entwickelt und bildet daher einen erprobten, bewährten und insofern sinnvollen Gesamtzusammenhang von Alltagsroutinen, Symbolen, Verhaltensmustern und Bezugsgruppen.“
( Lüdtke, 1990 )
Inzwischen existiert eine Vielzahl von Lebensstilkonzepten, von denen zwei in Deutschland empirisch in größerem Rahmen angewandt wurden: das Lebensstilkonzept des Wissenschaftszentrums Berlin, das vor allem von Annette Spellerberg entwickelt wurde (Schneider und Spellerberg, 1999; Spellerberg, 1992; 1993; 1996; Spellerberg und Berger-Schmitt, 1998) und die Sinus-Milieus des Sinus Instituts (Sinus Institut, 1996; Sinus Sociovision, 2001; 2004; o.J.), die aus der Marktforschung kommen. Die Lebensstile nach Spellerberg zeichnen sich im Vergleich zu den Sinus-Milieus durch Transparenz.B. züglich der Vorgehensweise und Methode bei der Bildung der Lebensstile aus. Die Sinus-Milieus genügen dagegen nicht wissenschaftliche Gütekriterien, da wichtige Informationen zur Methode zurückgehalten werden (vgl. Diaz.B. ne, 2004). Daher wird in der Empirie der vorliegenden Arbeit auf das Lebensstilkonzept von Spellerberg zurückgegriffen26. Dieses Konzept kam in zwei bundesweiten Befragungen zum Einsatz, dem Wohlfahrtssurvey 1993 und der Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 1996. Aus der zweiten Befragung liegen Informationen zur räumlichen Verteilung der einzelnen Lebensstiltypen vor (vgl. Schneider und Spellerberg, 1999).
Die Operationalisierung von Lebensstilen orientiert sich bei Spellerberg an den vier Dimensionen der Lebensstilausprägungen nach Müller (1995): interaktives, expressives, evaluatives und kognitives Verhalten. Meist werden davon nur die drei ersten Dimensionen erhoben, da die vierte eine schwierig zu fassende Kategorie darstellt und eher in den Bereich der Persönlichkeitsmerkmale fällt (vgl. Blasius, 1994; Spellerberg, 1996). Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diese Dimensionen zu erheben. Spellerberg (1993) trennt nicht zwischen der interaktiven und der expressiven Dimension, beides zusammen erhebt sie mittels der Komponenten Freizeitaktivitäten, Fernsehinteresse, Lektüregewohnheiten, Musikgeschmack, Zeitschriftenlektüre und Informationsvielfalt sowie Kleidungs- und Einrichtungsstil. Die evaluative Dimension erhebt sie mittels Items zu Lebenszielen und Wertorientierungen. Die Lebenslage wird dagegen als passive Variable behandelt (vgl. Spellerberg, 1993).
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Abbildung 3.1: Lebensstile nach Spellerberg in Westdeutschland | ||
(Spellerberg und Berger-Schmitt, 1998) |
Spellerberg entwickelte zwei getrennte Typologien, eine für West- und eine für Ostdeutschland. Abbildung 3.1 stellt die neun Lebensstile, die Spellerberg auf der Grundlage einer bundesweiten repräsentativen Befragung 1996 für Westdeutschland gebildet hat27. Die Nummerierung der Lebensstile orientiert sich am sozialen Status, der bei den Hochkulturell Interessierten, sozial Engagierten am höchsten ist. Die Lebensstile zeigen bezüglich ihres Aktionsradius Unterschiede, wobei die Angehörigen von Lebensstilen mit einem hohen sozialen Status sich eher außerhäuslich orientieren.
Die Ergebnisse mehrerer Studien zeigen, dass sich Lebensstile auf unterschiedlicher Maßstabsebene (Stadt bzw. Land, innerhalb der Städte) räumlich konzentrieren (vgl. Dangschat und Blasius, 1994; Hilpert und Steinhübl, 1998; Klee, 2001; Klocke, 1993; Schneider und Spellerberg, 1999). Hilpert und Steinhübl (1998) weisen darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen Lebensstil und Wohngebiet nicht einseitig wirksam ist und sich nicht darauf beschränkt, dass Personen eines bestimmten Lebensstils besonders häufig in ein bestimmtes Wohnquartier ziehen. So werden die Verhaltensweisen des Individuums – und damit des Lebensstils – durch die Handlungsmöglichkeiten im Wohnquartier geprägt. Außerdem besitzen die Lebensstile eine räumliche Wirkung:
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„Durch die Ausübung milieuspezifischer alltäglicher Grunddaseinsversorgungen (Einkaufen, Verkehrsverhalten, Wohnen usw.), die nachweislich eng mit den Merkmalen verschiedener Lebensstile zusammenhängen, werden räumliche Strukturen generiert, modifiziert oder aufgelöst.“ (Hilpert und Steinhübl, 1998) |
Somit ist der Lebensstil einer Person eng mit dem jeweiligen Wohnquartier verknüpft (Hilpert und Steinhübl, 1998). Diese Verknüpfung von räumlichen und sozialen Dimensionen kann als „Wohnmilieus“ bezeichnet werden, für deren Entwicklung nicht nur Lebensstilen, sondern auch weitere soziale Merkmale relevant sind (vgl. Hesse und Trostorff, 2002; Projektverbund StadtLeben, 2002).
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Abbildung 3.2: Anteil der Angehörigen der Spellerbergschen Lebensstile, der 1996 in Westdeutschland in verschiedenen Lagen von Großstädten wohnte | ||
(Eigenen Darstellung, Daten aus Schneider und Spellerberg, 1999) |
Die räumliche Konzentration von Angehörigen bestimmter Lebensstile kann bezüglich städtischer Wohngebiete mit unterschiedlicher Lage, Baustruktur und Status festgestellt werden (vgl. Hilpert und Steinhübl, 1998; Klee, 2001; Klocke, 1993). Abbildung 3.2 zeigt, dass von den Spellerbergschen Lebensstiltypen insbesondere die Arbeits- und erlebnisorientierten, vielseitig Aktiven in den Großstädten wohnen, und zwar vor allem in der inneren Stadt und in den Citylagen. An den Rändern der Großstädte wohnen dagegen häufig die Hochkulturell Interessierten, sozial Engagierten und die Hedonistischen Freizeitorientierten, die daneben auch häufig in der inneren Stadt leben.
Die Lebensstile konzentrieren sich nicht nur in verschiedenen Wohnlagen der Stadt, sondern auch in unterschiedlichen Haustypen (Klee, 2001; Schneider und Spellerberg, 1999). Abbildung 3.3 zeigt, dass die Anhänger bestimmter Lebensstile vorwiegend in Häusern mit vielen Parteien wohnen, wohingegen andere eher in Ein- und Zweifamilienhäusern leben.
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Abbildung 3.3: Anteil der Angehörigen der Spellerbergschen Lebensstile, der 1996 in Westdeutschland in bestimmten Haustypen wohnte | ||
(Eigene Darstellung, Daten aus Schneider und Spellerberg, 1999) |
Zudem zeigen die Lebensstilgruppen Differenzen in der Bewertung unterschiedlicher Stadtviertel, Wohnorte und Haustypen (Hermann und Leuthold, 2002; Hilpert und Steinhübl, 1998; Klee, 2001; Schneider und Spellerberg, 1999). Insgesamt benennen Hermann und Leuthold als Pole der Ansprüche an das Wohngebiet auf der einen Seite den Faktor „Urbanität“ (Innenstadt) und auf der anderen den Faktor „Erholungsqualität“ (Stadtrand), an denen sich jeweils unterschiedliche Lebensstilgruppen orientieren.
Einige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass ein Zusammenhang zwischen der Zugehörigkeit zu einem Lebensstiltyp und dem Umweltverhalten besteht (z.B. Gillwald, 1995; Lüdtke et al., 1994; Prose und Wortmann, 1991; Reusswig, 1994). Jedoch verhalten sich nicht die Anhänger eines Lebensstils insgesamt besonders umweltfreundlich, sondern die verschiedenen Lebensstile zeigen zu einem unterschiedlichen Anteil und in unterschiedlichen Bereichen umweltfreundliche Verhaltensmuster (vgl. Gillwald, 1995; Reusswig, 1994).
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Klee (2001) entwickelte einen allgemeinen Lebensstilansatz unter Einbeziehung von Konsumgewohnheiten28. Den VertreterInnen von zwei der sieben gebildeten Lebensstile ist Umweltschutz.B. im Einkaufen im Vergleich zu den anderen Befragten besonders wichtig, wohingegen die Angehörigen von drei anderen Lebensstilen nach eigener Einschätzung unterdurchschnittlich umweltbewusst einkaufen. Eine Studie von Mitte der 1990er Jahre zeigt, dass sich die BiokäuferInnen vorwiegend in zwei der zehn Sinus-Milieus konzentrierten (Allerstorfer, 1995). Hilpert und Steinhübl (1998) stellen zwischen den von ihnen anhand allgemeiner Lebensstilmerkmale gebildeten Lebensstilgruppen bei einer Untersuchung in Augsburg kaum Unterschiede bezüglich deren Einkaufsverhalten bei Lebensmitteln fest. Erhoben wurde allerdings nur die Lage der aufgesuchten Einkaufsstätten (im Stadtviertel, im Einkaufszentrum, in der Innenstadt) und die Gründe für die Wahl der Einkaufsstätte.
Zum Zusammenhang zwischen Mobilitätsverhalten und Lebensstil existieren einige Untersuchungen aus den 1990er Jahren, über die Hunecke (2000) einen Überblick gibt. Diese widmen sich vor allem der Verkehrsmittelwahl, insbesondere der Nutzung des MIV. Hunecke weist darauf hin, dass die Bedeutung der Lebensstiltypen für das Verkehrsaufkommen bisher kaum untersucht wurde. Hilpert und Steinhübl (1998) gehen in ihrer Untersuchung auch auf die Verkehrsmittelwahl ein, bei der sie größere Differenzen zwischen den einzelnen Lebensstilen als bei der Wahl der Einkaufsstätte feststellen. Differenzen zwischen den Lebensstilen bestehen dabei nicht nur in Bezug auf die Verkehrsmittelwahl sondern auch bezüglich der Beurteilung der Qualität der unterschiedlichen Verkehrsmittelnutzungsmöglichkeiten.
Der Projektverbund „Stadtleben“ geht für die Alltagsmobilität der Frage nach, inwiefern der Lebensstil das Verhalten zusätzlich zu den Merkmalen der Lebenslage erklären kann. Die Ergebnisse ihrer Studie zeigen, dass sowohl bei der Wahl von Wegezielen als auch bei der Verkehrsmittelwahl die Bedeutung von Lebensstilen im Vergleich zur Lebenslage oder den Lebensphasen eher gering ist (Hunecke, 2005; Hunecke und Schweer, 2005). Damit stellt sich die Frage, inwiefern auch die Unterschiede zwischen den Verhaltensweisen der Angehörigen verschiedener Lebensstile, die in anderen Studien festgestellt wurden, vor allem auf den Merkmalen der Lebenslage beruhen. Rink (2002) weist ebenfalls auf die geringe Erklärungskraft von allgemeinen Lebensstilkonzepten für nachhaltigkeitsrelevantes Verhalten hin.
Zusammenfassende Betrachtung
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Zwischen unterschiedlichen Lebensstiltypen lassen sich Differenzen bezüglich des Umweltverhaltens beim Einkaufen feststellen, allerdings nicht bei allen Verhaltensweisen im selben Maße: Die Lage der gewählten Einkaufsstätte und die Gründe für deren Wahl zeigen kaum einen Zusammenhang zu den Lebensstilen. Dagegen bestehen Differenzen bezüglich der Berücksichtigung des Umweltschutzes beim Einkauf bzw. dem Kauf von Bioprodukten und der Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel je nach Lebensstil. Allerdings ist umstritten, ob die Differenzen vor allem auf die unterschiedliche Lebenslage der Lebensstile zurückzuführen sind oder ob die Lebensstile als zusätzlicher Faktor zu der Lebenslage relevant sind.
Verhaltensspezifische Typologien existieren für unterschiedliche Bereiche des Umweltverhaltens, darunter Konsum und Mobilität. Die Typenbildung beruht teilweise auf qualitativen Studien, in denen idealtypische VertreterInnen gesucht werden, teilweise auf quantitativen Studien, die auffällige Merkmalszusammenhänge zeigen (Hunecke, 2000). Dabei dient die Bildung verhaltensspezifischer Typologien häufig der Entwicklung spezifischer Kommunikations- oder Interventionsstrategien (Kleinhückelkotten, 2005). Neuere Studien versuchen mittels Typenbildung genauere Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Einstellungen und Verhalten herauszufinden. Das Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) hat speziell für die Nachhaltigkeitsforschung ein eigenes Lebensstilkonzept entwickelt, das zur Bildung verhaltensspezifischer Typologien Anwendung findet. Dieses Konzept bezieht neben allgemeinen lebensstilspezifischen Orientierungen, handlungsfeldspezifische Orientierungen sowie die Lebenslage und das Verhalten in dem untersuchten Handlungsfeld ein (vgl. Birzle-Harder et al., 2003; Empacher et al., 1999; 2002; Hayn, 2005; Hayn und Schultz, 2004). Das ISOE-Lebensstilkonzept integriert also den Handlungskontext, wohingegen die meisten anderen Lebensstilkonzepte den Handlungskontext außer Acht lassen (vgl. Poferl, 2004).
Im Folgenden wird zunächst das Konzept der Umweltmentalitäten beschrieben, das sich allgemein auf das Umweltverhalten bezieht. Anschließend erfolgt eine Darstellung verhaltensspezifischer Typologien aus den Bereichen Konsum, Ernährung und Mobilität. Dabei wird genauer auf zwei der ISOE-Typologien, einmal zum umweltfreundlichen Konsum und einmal zum Biokonsum, eingegangen, deren Ergebnisse in Kapitel 6 zu den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit in Bezug gesetzt werden. Weitere Typologien zu Ernährung und Mobilität dagegen finden nur kurz Erwähnung, da diese sich nicht oder nicht detailliert mit dem Einkaufsverhalten befassen.
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Speziell für das Umweltverhalten entwickelte die Münchner Projektgruppe für Sozialforschung als Alternative zu den allgemeinen Lebensstilansätzen auf der Basis zweier qualitativer Untersuchungen ein Konzept der Umweltmentalitäten (Brand et al., 2003; Poferl et al., 1997). Bei diesen Mentalitäten, die als strukturierende Elemente des Umweltverhaltens angesehen werden, handelt es sich um „(...) handlungsleitende Orientierungsmuster bzw. sozial geteilte Wahrnehmungen und Vorstellungen über die Wirklichkeit, die als Denkweisen, Anschauungs- und Auffassungsarten im Alltagsbewußtsein der Individuen verankert sind“ (Poferl et al., 1997). Im Gegensatz zu den Lebensstilansätzen handelt es sich dabei um eine spezifische Typologie für den Bereich Umweltverhalten.
Tabelle 3.1: Umweltmentalitätstypen in Ost- und Westdeutschland
Westdeutschland
) |
Ostdeutschland
) |
Typ 1: persönliches Entwicklungsprojekt Typ 2: Bürgerpflicht Typ 3: System-/Staatsorientierung Typ 4: Indifferenz Typ 5: Weiter So |
Typ 1: Zentrales Persönliches Anliegen Typ 2: Pragmatiker Typ 3: Machtlose Typ 4: Weiter So Typ 5: Gesellschaftskritiker Typ 6: Junge Alternative Typ 7: Bescheiden und ländlich |
Die Bildung der Umweltmentalitäten erfolgte zunächst für Westdeutschland (Poferl et al., 1997), erst einige Jahre später wurde das Konzept in Ostdeutschland angewendet (Brand et al., 2003) (siehe Tabelle 3.1). Die Ausdifferenzierung der Personen anhand ihrer Umweltmentalität weisen auf wichtige Dispositionen des Umweltverhaltens hin: die Bereitschaft, durch das individuelle Handeln einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten, das Interesse am Thema Umweltschutz sowie die wahrgenommenen Möglichkeiten, sich umweltfreundlich zu verhalten.
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Als eine zentrale Differenz zwischen Ost- und Westdeutschland benennen Brand et al. (2003), dass in Westdeutschland aufgrund langjähriger gesellschaftlicher Debatten das Thema Umweltschutz stark moralisch aufgeladen ist, wohingegen es in Ostdeutschland ein nicht besonders bedeutsames Thema mit geringer politischer Brisanz darstellt.
In einer Studie des ISOE zur Entwicklung spezifischer Ökologisierungstendenzen werden zehn Konsumstile (siehe Tabelle 3.2) auf der Grundlage von Ergebnissen qualitativer Interviews identifiziert (Empacher et al., 1999; Empacher et al., 2002). Die Konsumstile wurden anhand von Leitbildern und Grundorientierungen im Bereich Konsum sowie der sozialen Lage und sozialen Situation bestimmt. Zur Entwicklung von differenzierten Ökologisierungsstrategien wurden die ermittelten zehn Konsumstile nochmals in vier Zielgruppen zusammengefasst: Die Umweltorientierten, die Überforderten, die Traditionellen und die Privilegierten. Für jede dieser Zielgruppen entwickelten Empacher et al. (1999) Ökologisierungsstrategien, wobei sich in den anschließenden Gruppendiskussionen zeigte, dass die Zielgruppen im Bereich Lebensmittelkonsum auf unterschiedliche Strategien ansprechen.
Tabelle 3.2: Darstellung ausgewählter Aspekte zu den Konsumstilen des ISOE
Zielgruppen |
Name |
Orientierungen |
Die Umwelt-orientierten |
Durch-organisierte Ökofamilien |
Orientierung an Zeitersparnis und Familienablauf-Convenience, Lust an Konsumgestaltung, Orientierung an umweltbewusstem Konsum, z.T. auch regional, ethisch, Tierschutz, Orientierung an Kindergesundheit, z.T. Qualität, Auto wegen Familienorganisation |
Alltags-Kreative |
Lust am Konsum (Selbermachen/Gestalten), ausgeprägte Umweltorientierung, ethischer Konsum, Tierschutz, z.T. regional, Gesundheitsorientierung, Kindergesundheit, z.T. Autoorientierung |
|
Die Überforderten |
Junge Des-interessierte |
Desinteresse an Umwelt, Politik, Sozialem; Konsum ist lästig, Preisorientierung/Sparzwang, Bequemlichkeit, z.T. Tierschutz, starke Autoorientierung |
Konsum-Genervte |
„Konsum ist lästig“, Beruf wichtig, Abwehr gegen Umweltthema, stark Convenience- und preisorientiert, z.T. Sparzwang, keine Gesundheitsorientierung, starke Autoorientierung |
|
Schlecht gestellte, Überforderte |
Preisorientierung/Sparzwang sind bestimmend, traditionelle Familienorientierung, z.T. Orientierung an Kindergesundheit, manchmal regionaler Konsum, starke Autoorientierung |
|
Die Traditionellen |
Ländlich-Traditionelle |
Regionalorientierung, Orientierung am traditionellen Familienkonsum, Qualitätsorientierung, z.T. Umweltorientierung und ethischer Konsum, starke Autoorientierung |
Unauffällige Familien-haushalte |
Orientierung an traditionellem Familienkonsum, Preisorientierung, z.T. Kindergesundheit, umweltorientierter Konsum möglich, starke Autoorientierung |
|
Aktive Seniorinnen und Senioren |
Aufgeschlossen für Neues, Qualitätsorientierung, Regionalorientierung, z.T. ethischer Konsum, tlw. altersbedingt gesundheitsbewusst |
|
Die Privilegierten |
Kinderlose Berufs-orientierte |
Berufs- und Convenience-orientiert, z.T. Abwehr des Umweltthemas, z.T. Gesundheitsorientierung, manchmal ethischer Konsum oder Qualitäts-Orientierung, Auto als Symbol |
Privilegierte |
Distinktions- und Statusorientierung, traditionelle Familienorientierung, Orientierung an Kindergesundheit, z.T. ethischer Konsum |
↓101 |
Insgesamt zeigen die einzelnen Konsumstile ganz spezifische Kombinationen an Orientierungen. Bioprodukte kaufen vor allem die Umweltorientierten, aber auch die Ländlich-Traditionellen. Bezüglich der Verkehrsmittelwahl sind fast alle Stile (stark) am Auto orientiert, wobei diese bei den Umweltorientierten, aber auch den aktiven SeniorInnen, vergleichsweise gering ist. Bezüglich ihrer Lebenslage sind die Angehörigen der jeweiligen Konsumstile recht homogen.
Tabelle 3.3: ISOE-Zielgruppen für Bioprodukte
Name |
Orientierungen und Einkaufsverhalten |
Die ganzheitlich Überzeugten (24 % der BiokäuferInnen) |
Hohes Ernährungsbewusstsein; streben nach einem Leben im Einklang mit der Natur; kaufen intensiv Bioprodukte aus ethischer Überzeugung und sinnlichem Genuss, aber auch aus Gesundheitsaspekten; Bioprodukte gehören selbstverständlich mit dazu, sehen Bioprodukte sehr positiv und nennen kaum Barrieren (selten der Preis und die Verfügbarkeit); kaufen in „alternativen“ Einkaufsstätten: Markt, Bioladen, Reformhaus; diese Zielgruppe ist für 42 % des Bioumsatzes verantwortlich |
Die arrivierten Anspruchsvollen (13 % der BiokäuferInnen) |
Kaufen viel Bio, selektive und erlebnisorientierte IntensivkäuferInnen (Bio als Luxus); am Wohl des Kindes orientiert, ausgeprägte Wellness-Orientierung, Stil und Geschmack, aber auch Tierschutz; Einkaufsatmosphäre und Convenience wichtig; für 23 % des Bioumsatzes verantwortlich |
Die 50+ Gesundheits-orientierten (17 % der BiokäuferInnen) |
Eher gelegentlicher Bio-Kauf mit Tendenz zum Intensivkauf (Kauf hat in den letzten fünf Jahren stark zugenommen); eher traditionelle Grundeinstellungen, die bspw. den Kauf von regionalen und saisonalen Produkte fördern; Biokauf aus gesundheitlichen Gründen (drohende oder vorhandene Krankheit/Alter), deshalb als Muss gesehen, aber auch Kauf wegen Geschmack und Nostalgie; Biokauf vor allem im Supermarkt; Barrieren: Preis, aber auch Verfügbarkeit von Bioprodukten; 17 % des Bio-Umsatzes |
Die distanzierten Skeptischen (24 % der BiokäuferInnen) |
Weniger an Ernährung interessiert, Kochen eher ungern; kaufen selten oder gelegentlich Bioprodukte, eher zufällig, da qualitativ hochwertig (Luxus) – selten wegen Gesundheit; es bestehen Echtheitszweifel, das Ökoimage wird abgelehnt, leitend sind Convenience und Pragmatismus; Biokauf v. a. im Discounter und Supermarkt; 13 % des Bio-Umsatzes |
Die jungen Unentschiedenen (22 % der BiokäuferInnen) |
In Bezug auf Ernährungsfragen unsicher; kaufen selten oder gelegentlich Bio, aus diffusem Wunsch, das Richtige zu tun; spontaner oder zufälliger Kauf, nur einzelne Produkte; hedonistische Grundeinstellung; allgemein Preis und Convenience-orientiert; Bioprodukte zu teuer, auch Echtheitszweifel; für 5 % des Bio-Umsatzes verantwortlich |
Zielgruppen für den Kauf von Biolebensmitteln ermittelte das ISOE mittels Clusteranalyse derjenigen Personen, die in einer repräsentativen bundesweiten Befragung angaben, Bioprodukte zu kaufen (Birzle-Harder et al., 2003; Hayn und Schultz, 2004). Die Zielgruppen umfassen also nur BiokäuferInnen. Bei der Bildung der Zielgruppen wurden die Einstellungen zu Biolebensmitteln, Kaufmotiven, Kaufbarrieren und der biografische Anlass für den Biokauf berücksichtigt. Tabelle 3.3 zeigt die fünf identifizierten Zielgruppen für Bioprodukte und deren Orientierungen. Je nach Zielgruppe führen demnach unterschiedliche Orientierungen zum Kauf von Bioprodukten; auch die Restriktionen für den Kauf unterscheiden sich.
↓102 |
Der Anteil der distanziert Skeptischen und der jungen Unentschiedenen ist mit insgesamt fast der Hälfte der BiokäuferInnen hoch, dennoch tragen diese beiden Gruppen zu weniger als 20 % des Umsatzes an Bioprodukten bei. Die Zielgruppen unterscheiden sich bezüglich ihrer Lebenslage, wobei insbesondere bei den beiden Gruppen mit hohen Bioanteilen (Überzeugte und Anspruchsvolle) der hohe Anteil an hoch qualifizierten Frauen, häufig mit Kindern, auffällt. Dagegen befinden sich in den beiden Gruppen mit geringem Bioanteil viele junge Single- und Paarhaushalte.
Auf die Bedeutung der Lebenslage für das Konsumverhalten weist auch das Lebenswelten-Konzept der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK, 2003) hin. Hierbei werden Personen lediglich anhand von Merkmalen der sozialen Lage und der Lebensphase in Gruppen eingeteilt.
Typologien von Ernährungsstilen wurden sowohl von Spiller et al. (2004) als auch durch das ISOE (Hayn, 2005) entwickelt. Bei diesen stehen jedoch Aspekte wie der Grad der Außer-Haus-Verpflegung, das Kochen (Last oder Lust) sowie der Konsum einzelner Produkte (Fleisch, fast food, Convenience-Produkte) im Vordergrund. Anhand der Betrachtung dieser Ernährungsstile können dennoch Rückschlüsse für das Einkaufsverhalten gezogen werden. So stellen beide Typologien den Zusammenhang zum Biokonsum dar: Personen, die gerne kochen und sich gesundheitsbewusst und markenorientiert ernähren sind offener für den Kauf von Bioprodukten als Personen, denen vor allem fast food, Fleisch und der Preis wichtig sind oder die Einkaufen und Kochen als Last empfinden. Darüber hinaus zeigen die ISOE-Ernährungsstile, die auch den Haushaltskontext berücksichtigen, dass Zeitknappheit beim Einkaufen und Kochen eine wichtige Restriktion für einige Ernährungsstile darstellt. Bei den Ernährungsstilen besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen Orientierungen und Verhalten (Hayn, 2005).
↓103 |
Zum Mobilitätsverhalten existieren – neben einigen Studien der Marktforschung (vgl. Hunecke, 2000; Kleinhückelkotten, 2005) – vor allem zwei verhaltensspezifische Typologien: die Mobilitätsstile des Projekts CITY:mobil (Götz, 1998) und eine lebensstilorientierte Typologie für den Mobilitätsbereich von Hunecke (2000). Die auf der Grundlage von Mobilitätsorientierungen und dem Mobilitätsverhalten gebildeten Mobilitätsstile des Projektes CITY:mobil zeigen den engen Zusammenhang zwischen den Handlungsorientierungen und dem Mobilitätsverhalten (Götz, 1998). Den Mobilitätsstilen liegen dabei vier grundlegende Mobilitätsorientierungen zugrunde: Sicherheit/Schutz, Risiko/Abwechslung, soziale Position und Naturerleben. Hunecke bildet sieben lebensstilorientierte Typen anhand von den vier Lebensstilitems: ÖPNV-Nutzung, Gesundheitsprävention, Mobilität als Zwang und Erlebnismobilität.
Die Mobilitätsorientierungen unterscheiden sich deutlich von den Orientierungen beim Konsum, obgleich auch dort Aspekte wie Sicherheit und Abwechslung eine Rolle spielen. Auch Graf et al. (2000) kommen in einer Studie zu dem Ergebnis, dass sich die Motive, die in den Bereichen Ernährung und Mobilität im Vordergrund stehen, unterscheiden.
Verhaltensspezifische Typologien zeigen Differenzen der Bedeutung verschiedener Dispositionen und Restriktionen je nach Lebensstiltyp auf. Dabei dominieren in den Bereichen Konsum, Ernährung und Mobilität unterschiedliche Orientierungen. Die verhaltensspezifischen Typologien weisen dabei auch auf die Bedeutung der Lebenslage für das Verhalten hin. Bezüglich der Bewertung des Themas Umweltschutz.B. stehen Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland, wie die Untersuchungen zur Umweltmentalität zeigen. Dies kann zu Unterschieden beim Umweltverhalten führen.
↓104 |
Im Folgenden werden zunächst Schlussfolgerungen aus den theoretischen Ansätzen zur Bedeutung und Operationalisierung potenzieller Einflussfaktoren des Einkaufsverhaltens vorgestellt. Dabei wird auch auf die Bedeutung der Ausdifferenzierung des Verhaltens eingegangen. Anschließend erfolgt die Darstellung der Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen der Produktwahl, der Wahl der Einkaufsstätte und der Einkaufsmobilität. Die Schlussfolgerungen dienen der Präzisierung der Vorgehensweise und der Entwicklung des Forschungsansatzes.
Abbildung 3.4: Einbeziehung von theoretischen Ansätzen und Ergebnissen aus unterschiedlichen Forschungsrichtungen | ||
(Eigene Darstellung) |
Als Einflussfaktoren auf individueller Ebene sind für die vorliegende Arbeit insbesondere die Umwelteinstellungen und die Gelegenheitsstrukturen von Interesse. In der geographischen Handelsforschung wird das räumliche Angebot als ein zentraler Faktor des Einkaufsverhalten angesehen. Teilweise beinhalten die Modelle auch individuelle Merkmale, jedoch spielt hier das Thema Umweltschutz.B. sher keine Rolle. Das Umweltwissen und Umwelteinstellungen, haben eine – wenn auch teilweise geringe - Bedeutung für das Umweltverhalten. Es existiert allerdings kein einheitliches, theoretisch fundiertes Konzept von Umweltbewusstsein. Die sozial-psychologischen Modelle aus der Umweltpsychologie können zwar die Bedeutung von Einstellungen klarer aufzeigen, berücksichtigen aber keine externen Restriktionen, die in der vorliegenden Arbeit im Mittelpunkt stehen. Aus diesen Gründen eignet sich weder das Konstrukt „Umweltbewusstsein“ noch die sozial-psychologischen Modelle für die Anwendung in der vorliegenden Arbeit. Umweltwissen und Umwelteinstellungen werden stattdessen als einzelne Einflussfaktoren berücksichtigt.
↓105 |
Neben den Einflussfaktoren für das individuelle Umweltverhalten sollen in der vorliegenden Arbeit auch die Differenzen zwischen dem Umweltverhalten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen (Lebensstile, verhaltensspezifische Typen) Berücksichtigung finden (Mesoebene). Restriktionen und Dispositionen des Umweltverhaltens unterscheiden sich dabei zwischen unterschiedlichen Personengruppen, wie die Literatur zu den verhaltensspezifischen Typologien zeigt. Damit kann sich auch die Rolle eines nahräumlichen Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln je nach Bevölkerungsgruppe unterscheiden.
Mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Teilbereichen beschäftigen sich sowohl Ansätze zum Einkaufen (Konsumforschung, geographische Handelsforschung), als auch zum Umweltverhalten (sozialwissenschaftliche Umweltforschung), wobei letztere lediglich allgemein die Bereiche Konsum und Mobilität betrachten.
In den verschiedenen vorgestellten Ansätzen werden als Einflussfaktoren zum einen kontextuelle Faktoren (räumliche Struktur, soziales Wohnumfeld) benannt, zum anderen personale Faktoren (Lebenslage, Lebensstil, Einstellungen, Wissen und Handlungsorientierungen). Da kein geschlossenes Modell zur Erklärung des Einkaufsverhaltens Verwendung findet, wird lediglich der Zusammenhang zwischen dem Einkaufsverhalten und einzelnen potenziellen Einflussgrößen erhoben.
↓106 |
Von den kontextuellen Faktoren interessieren in der vorliegenden Arbeit insbesondere Einflussfaktoren mit potenziellen räumlichen Differenzen. Dies sind räumliche Strukturen, von denen die Einkaufsmöglichkeiten, aber auch die sonstige Infrastruktur, die aufgrund des Kopplungsverhaltens von Bedeutung ist, berücksichtigt werden, sowie die Sozialstruktur des Wohngebiets. Die Sozialstruktur wird zum einen als ein Indikator für soziale Netzwerke berücksichtigt, da eine homogene Sozialstruktur für die Ausbildung sozialer Netzwerke förderlich ist (siehe Kapitel 2), zum anderen als Vergleichsgröße für die Befragten in den Gebieten erhoben., da auch das soziale Wohnumfeld einen Einfluss auf das Umweltverhalten haben kann. Zur Operationalisierung der externen Faktoren eignet sich in der vorliegenden Arbeit weder das Modell der Verhaltensschwierigkeiten noch das Konstrukt der wahrgenommene Verhaltenskontrolle, da gerade die Unterschiede in den Angeboten Thema sind. Trotz der beschriebenen Nachteile wird also auf die existierenden Rahmenbedingungen zurückgegriffen. Die Ansätze der geographischen Handelsforschung gehen davon aus, dass die Wahl der Einkaufsstätte von den nahräumlichen Gelegenheiten abhängt. Sowohl die Aktionsraumforschung als auch Ansätze der Umweltverhaltensforschung betonen die Bedeutung der Wahrnehmung der externen Faktoren. In dieser Arbeit werden die externen Restriktionen direkt als Einflussgröße betrachtet und nicht deren Wahrnehmung. Diese wird jedoch als zusätzlicher Aspekt berücksichtigt.
Von besonderem Interesse ist dabei auch, welches Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln von den Befragten überhaupt wahrgenommen wird. Da bisher zu der Bewertung der Umweltfreundlichkeit von Einkaufsstätten seitens der KundInnen noch kaum Erkenntnisse vorliegen. Gleichzeitig reduzieren sich die Merkmale von Einkaufsstätten bei deren Bewertung in der Regel auf wenige Kennzeichen, wobei bestimmten Einkaufsstätten bestimmte Produkte zugeordnet werden. Es gilt also zu ermitteln, welche Einkaufsstätten als Einkaufsmöglichkeiten für Umweltprodukte wahrgenommen werden und anhand welcher Kennzeichen.
Das Konstrukt Umweltbewusstsein wird aufgrund seines geringen Einflusses und des fehlenden einheitlichen theoretischen Konzepts nicht weiter berücksichtigt. Umwelteinstellungen und Umweltwissen werden speziell für die jeweils untersuchten Verhaltensweisen erhoben, da deren Bedeutung für das Umweltverhalten bei einer verhaltensspezifischen Abfrage am größten ist. Potenziell wichtige Einflussfaktoren sind auch die Lebenslage und der Lebensstil. Angehörige unterschiedlicher Lebensstile weisen sowohl eine räumliche Segregation als auch Unterschiede bezüglich ihres Umweltverhaltens auf, wenn auch nicht bei allen Verhaltensweisen. Obwohl die zusätzliche Erklärungskraft von Lebensstilen im Vergleich zu den Merkmalen der Lebenslage (zumindest im Bereich Alltagsmobilität) umstritten ist, wird in der vorliegenden Arbeit der Lebensstil als Einflussgröße berücksichtigt. Dafür wird auf das Lebensstilmodell von Spellerberg zurückgegriffen, da dieses empirisch erprobt und in der Methodik transparent ist. Ebenfalls einen wichtigen Einfluss auf das Einkaufsverhalten haben Handlungsorientierungen. Diese unterscheiden sich zwischen den Bereichen Konsum, Ernährung und Mobilität. Für die vorliegende Arbeit stellt sich entsprechend die Frage, inwiefern dem Umweltverhalten beim Lebensmittelkauf gemeinsame Handlungsorientierungen zugrunde liegen und welche dies sind.
↓107 |
Entsprechend dieser Schlussfolgerungen aus den theoretischen Ansätzen werden in der vorliegenden Arbeit die in Abbildung 3.5 dargestellten potenziellen Einflussfaktoren erhoben. Lebensstil, Lebenslage, Einstellungen und Wissen ebenso wie das Einkaufsverhalten werden in einer quantitativen Befragung erhoben. Die Erhebung der kontextuellen Faktoren erfolgt mittels Kartierung des jeweiligen Wohnumfelds und durch die Auswertung von Literatur und Sekundärdaten (vor allem zur Sozialstruktur). Für diese Vorgehensweise ist eine Beschränkung auf wenige Wohngebiete notwendig. Die für das umweltfreundliche Einkaufen relevanten Einkaufsorientierungen werden in qualitativen Interviews herausgearbeitet. Es handelt sich dabei also um ein exploratives Vorgehen. Die Wahrnehmung der Infrastruktur wird zwar nicht als eigener Einflussfaktor berücksichtigt, aber dennoch in den qualitativen Interviews erhoben.
Abbildung 3.5: Potenzielle Einflussfaktoren des Einkaufsverhaltens | ||
(Eigene Darstellung) |
Die qualitativen Interviews dienen also der Untersuchung der Ausdifferenzierung des Verhaltens und der damit verbundenen Unterschiede in der Bedeutung von Restriktionen und Dispositionen. Während durch die quantitative Befragung lediglich die Bedeutung einzelner Faktoren erhoben wird, ermöglichen qualitative Interviews die Erklärung von Verhaltensweisen.
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Die dargestellten Modelle der Konsumforschung und teilweise auch der geographischen Handelsforschung befassen sich mit dem Zusammenhang zwischen der Produktwahl und der Wahl der Einkaufsstätte. Prinzipiell sind beide über das Sortiment der Einkaufsstätte verknüpft.
Für die vorliegende Arbeit besteht insgesamt die Frage, welche Rolle der Wunsch nach umweltfreundlichen Produkten in diesen Auswahlprozess von Produkten und der Einkaufsstätte spielt. Stellt der Kauf von Umweltprodukten bereits den Einkaufanlass dar (z. B. „Ich brauche Biomilch“) oder erfolgt die Berücksichtigung der umweltfreundlichen Eigenschaften von Lebensmitteln erst in der Einkaufsstätte – falls dort entsprechende Lebensmittel vorhanden sind. Je nachdem hat der Wunsch nach umweltfreundlichen Lebensmitteln einen Einfluss auf die Wahl der Einkaufsstätte oder nicht.
Insbesondere der Zusammenhang zwischen Einkaufsmobilität und die Produktwahl ist in der vorliegenden Arbeit aufgrund der bekannten Umweltauswirkungen der Verhaltensweisen dieser beiden Teilbereiche von Interesse. KonsumentInnen können auf ein fehlendes gut erreichbares Angebot an Umweltprodukten mit Kompensation (dem Aufsuchen anderer, weiter entfernt gelegenen oder zusätzlichen Einkaufsstätten) oder Verlagerung (dem Kauf anderer, weniger umweltfreundlicher Produkte) reagieren (siehe Kapitel 3.1). Kommt es zu einer Verlagerung, stellt sich außerdem die Frage, ob es zu weiteren Wegen und damit verbunden negativen Umweltauswirkungen kommt.
↓109 |
Ein Zusammenhang zwischen Produktwahl und Einkaufsmobilität besteht zum einen indirekt über die Wahl der Einkaufsstätte, der damit eine zentrale Rolle zukommt (siehe Abbildung 3.6). Die Einkaufsstätte kann dabei aufgeteilt werden in die Aspekte „Angebot“, welches die Möglichkeiten zur Wahl der Produkte bestimmt, und „Erreichbarkeit“, welche für die Einkaufsmobilität das wesentliche Merkmal ist. Die Literaturauswertung zur Wahl der Einkaufsstätte zeigt, dass Angebot und Erreichbarkeit der Einkaufsstätte die zentralen Kriterien für deren Wahl darstellen. Daneben spielen aber auch weitere Kriterien eine Rolle, zum Beispiel die Atmosphäre und die Beratung (siehe Kapitel 2.2.3).
Abbildung 3.6: Zusammenhang zwischen den drei Teilbereichen des Einkaufsverhaltens | ||
(Eigene Darstellung) |
Zwischen der Produktwahl und der Einkaufsmobilität besteht jedoch auch eine direkte Verknüpfung über die Betrachtung als durch Umwelteinstellungen beeinflusstes Umweltverhalten. Die bisherigen Untersuchungen zum Umweltverhalten in unterschiedlichen Bereichen zeigen, dass nur ein geringer Zusammenhang zwischen dem Umweltverhalten in den Bereichen Konsum und Mobilität besteht. Jedoch wurde dies bisher nicht für den Einkaufsbereich untersucht, so dass diese Ergebnisse nicht zwangsläufig auf die Produktwahl und die Einkaufsmobilität übertragen werden können.
26 Die weitere Literaturauswertung beschränkt sich jedoch nicht auf die Spellerbergschen Lebensstiltypologien, sondern bezieht auch Ergebnisse anderer Lebensstilmodelle ein.
27 Hier wird auf die westdeutsche Spellerbergsche Lebensstiltypologie eingegangen, da in der vorliegenden Arbeit die erhobenen Fälle dieser Typologie zugeordnet werden (siehe Kapitel 4.3.2).
28 Erhoben wurde die Zustimmung zu vier Orientierungen beim Einkaufen: Sonderangebote, Qualität (auch bei höherem Preis), umweltbewusster Einkauf und Trends.
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