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In der vorliegenden Arbeit kommt es auf zwei Ebenen zur Kombination unterschiedlicher Methoden: Zum einen werden – wie häufig in der Humangeographie - Methoden der Sozialwissenschaft (Befragung/Interview) und Methoden der Geographie (Kartieren), miteinander verbunden (vgl. Leser, 1999). Zum anderen werden qualitative und quantitativen Methoden kombiniert. Diese Kombination ist in den Sozialwissenschaften nicht unumstritten: Während einige AutorInnen durch eine Integration von qualitativen und quantitativen Methoden den größten Erkenntnisgewinn erwarten (z.B. Freter, 1991; Mayring, 2001; Rost, 2003), befürchten andere einen Qualitätsverlust aufgrund des „Strategieverschnitts“ (vgl. Witt, 2001). Letztendlich sollte jedoch die Forschungsfrage über die Wahl der Methoden entscheiden (vgl. Mayring, 2001). Diese legt in der vorliegenden Arbeit die Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Methoden nahe. So eignen sich zur Erhebung des räumlichen Einkaufsverhaltens, des Kaufs von Umweltprodukten sowie des diesbezüglichen Wissens, der Einstellungen, der Lebenslage und des Lebensstils quantitative Methoden. Auch zur Ermittlung der Angebotssituation sowie der weiteren Infrastruktur in den Untersuchungsgebieten waren quantitative Methoden sinnvoll. Bei der Erhebung von Motiven und Restriktionen wurden qualitative Methoden eingesetzt, um die Einbettung des Einkaufsverhalten in den Alltag und deren Ausdifferenzierung zu erheben.
Zur Kombination von qualitativen und quantitativen Verfahren gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, vor allem bezüglich der Reihenfolge (vgl. Mayring, 2001). In der vorliegenden Arbeit wurden die quantitativen Methoden (Befragung, Kartierung) vor den qualitativen durchgeführt. Dadurch konnten bereits erste Ergebnisse der quantitativen Erhebungen in die Entwicklung des Leitfadens für die qualitativen Interviews eingehen. Darüber hinaus ermöglichte diese Reihenfolge eine gezielte Auswahl von InterviewteilnehmerInnen, wodurch trotz eines kleinen Samples eine Vielfalt an Verhaltensweisen und Lebenslagen Berücksichtigung finden konnte. Gleichzeitig dienten die qualitativen Ergebnisse der Validierung und Veranschaulichung der quantitativen Ergebnisse. Es handelt sich also einerseits um einen „Vertiefungsansatz“ (Mayring, 2001), da die qualitative Phase zur Vertiefung der quantitativen Ergebnisse genutzt werden konnte, andererseits um einen „Triangulationsansatz“, also die Betrachtung derselben Fragestellungen mittels unterschiedlicher methodischer Ansätze.
Die empirischen Erhebungen gliedern sich in drei Teile auf, welche innerhalb von zwei Forschungsphasen durchgeführt wurden (vgl. Abbildung 1.1). In der ersten empirischen Phase (Mai/Juni 2003) wurden – unter besonderer Berücksichtigung umweltfreundlicher Alternativen – die Einkaufsmöglichkeiten in den Gebieten sowie die Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur erhoben (siehe Kapitel 6). Dadurch konnten die Angaben der Befragten später mit dem Angebot im Wohnumfeld verglichen werden. Das Vorgehen bei der zuvor erfolgten Gebietsauswahl ist in Kapitel 5 dargestellt. Im Anschluss an die Kartierung wurden umweltrelevante Verhaltensweisen beim Lebensmitteleinkauf sowie Daten zur Lebenslage, zu den Lebensstilitems und zu den Einstellungen zum umweltfreundlichen Einkaufen mittels einer quantitativen Befragung in den Gebieten erhoben (siehe Kapitel 5 und 6). Die Ergebnisse dieser Befragung dienten zum einen der Feststellung von Differenzen im Verhalten der BewohnerInnen der unterschiedlichen Gebiete bzw. Gebietstypen, zum anderen sollten mögliche Einflussfaktoren hierfür ermittelt werden. Unmittelbar danach erfolgte eine erste Auswertung dieser Daten. Die in einer zweiten empirischen Phase (Februar/März 2004) durchgeführten qualitativen Interviews dienten der Analyse der Einbettung des Einkaufsverhaltens in den Alltag sowie der Orientierungen, Motive und Wahrnehmungen der Interviewten und der Bedeutung unterschiedlicher Restriktionen und Dispositionen.
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Daten zu den Untersuchungsgebieten wurden einerseits durch die Recherche von Sekundärdaten, andererseits anhand einer Kartierung der Infrastruktur in den Gebieten gewonnen. Die Auswertung und Darstellung der kartierten Daten erfolgte mit Hilfe eines GIS-Programms (ArcView, Version 3.2a), in welches die Daten zuvor eingegeben wurden.
Bei der Kartierung wurde nicht nur das Befragungsgebiet berücksichtigt, sondern um dieses herum noch ein Streifen von mindestens 300 m Breite, eine Entfernung, die als maximale kurze Fußentfernung angesehen werden kann (vgl. Wiegand, 1993). Allerdings variiert die Breite dieses Streifens, da die Kartierung sich an Straßenverläufen oder anderen Grenzen orientiert und zudem gezielt größere Einkaufsstätten für Lebensmittel auch noch in geringfügig größerer Entfernung erhoben wurden. Das Ziel der Kartierung stellt eher die Erfassung aller wichtigen Einkaufsstätten im Wohnumfeld der Befragten als deren Erhebung innerhalb einer bestimmten Fläche dar.
Innerhalb der Gebiete erfolgte die Kartierung allgemeiner Versorgungseinrichtungen (Grün- und Freiflächen, öffentliche, soziale und kulturelle Einrichtungen, Dienstleistungen), wobei der Schwerpunkt auf dem Einzelhandel lag (siehe Kartierungsbogen, Anhang I). Besonders detailliert wurden Informationen zur Art der Betriebe und zum Angebot des Lebensmitteleinzelhandels erhoben (siehe Erhebungsbogen, Anhang I). Neben den in der geographischen Handelsforschung üblichen Merkmalen (Größe, Angebotsbreite und –tiefe, Art, etc.) wurden speziell für diese Arbeit wichtige Merkmale, insbesondere das Angebot an umweltfreundlichen Produkten, aufgenommen. Die Erhebung des Angebots an umweltfreundlichen Produkten umfasste folgende Aspekte:
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· Angebot an Milch, Eiern und Gemüse (Herkunft, Bioprodukte, Verpackung)
· Produkte aus ökologischem Anbau (Angebotsbreite und –tiefe,)
· Mehrwegflaschen für Getränke
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· Informationen und Werbung
Informationen zur Eignung der Gebiete für die Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel konnten von Jutta Deffner übernommen werden, die ebenfalls im Rahmen des Graduiertenkollegs Stadtökologie ein Projekt zur Nutzung nicht-motorisierter Verkehrsmittel in denselben Untersuchungsgebieten durchführte.
In den sechs Untersuchungsgebieten wurde eine Befragung der BewohnerInnen durchgeführt. Die Datenerhebung, deren Aufbereitung und Auswertung werden im Folgenden genauer beschrieben.
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Die Auswahl der BefragungsteilnehmerInnen erfolgte mittels des Random-Route-Verfahrens („Zufallsweg“). Die Befragung fand mündlich anhand eines standardisierten Fragebogens statt. Als InterviewerInnen stand für die Befragung eine Gruppe Geographiestudierender der Humboldt Universität zu Verfügung, die im Rahmen eines von der Verfasserin geleiteten Projektseminars29 auf die Befragung vorbereitet und in der Interviewführung geschult wurden. Im Folgenden werden die Auswahl der Stichprobe sowie der Fragebogen genauer vorgestellt30.
Die TeilnehmerInnen der Befragung wurden als Flächenstichprobe unter den BewohnerInnen des Gebiets ausgewählt. Personen, die keine Lebensmittel einkaufen, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und Personen ohne Deutschkenntnisse wurden von der Befragung ausgeschlossen. Es handelt sich um eine geschichtete Stichprobenziehung, da die Auswahl der Befragten aus sechs unterschiedlichen Grundgesamtheiten - den BewohnerInnen des jeweiligen Untersuchungsgebiets - erfolgte (vgl. Roth, 1995).
Als Methode der Stichprobenauswahl kam das Random-Route-Verfahren zur Anwendung, bei dem von einer zufällig bestimmten Startadresse einer Begehungsanweisung folgend das Untersuchungsgebiet abgelaufen wird (vgl. Schell, 1993). Diese Anweisung schreibt neben der Route vor, jede wievielte Wohneinheit ausgewählt wird. Die Anwendung der Methode orientiert sich hier an dem von Hoffmeyer-Zlotnik (1997) beschriebenen Verfahren, wobei das systematische und nachvollziehbare Vorgehen betont wird. Zur Durchführung des Random-Route-Verfahrens muss eine geographisch eindeutige Abgrenzung des Gebiets erfolgen und die Anzahl der BewohnerInnen und Haushalte im Gebiet bekannt sein. Während die beiden ersten Vorraussetzungen erfüllt waren, existierten keine Angaben zur Anzahl an Haushalten in den Untersuchungsgebieten, so dass eine Abschätzung mittels Annahmen zur durchschnittlichen Haushaltsgröße31 erfolgte. Die Begehung zur Auswahl der Haushalte wurde zeitgleich mit dem ersten Befragungsversuch durchgeführt.
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Zu Beginn wurde eine Nettostichprobe von sechzig Haushalten je Gebiet festgelegt. Diese Anzahl erschien zum einen ausreichend für die Durchführung multivariater Verfahren unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren, zum anderen mit den vorhandenen Zeitressourcen realisierbar. Über die Abschätzung einer Teilnahmerate konnte die Größe der Bruttostichprobe, also die Zahl der mittels Random-Route-Verfahren auszuwählender Haushalte, bestimmt werden32. Die vorgegebene Anzahl der Kontaktversuche betrug dabei drei, d. h. jeder ausgewählte Haushalt musste dreimal aufgesucht werden, falls nicht schon vorher jemand angetroffen wurde. Die Zufallsauswahl fand auf der Ebene der Haushalte statt, befragt wurde in dem Haushalt die erste Person, die zur Teilnahme bereit und Teil der Grundgesamtheit war. Personen in kleinen Haushalten hatten also eine höhere Chance in die Stichprobe zu gelangen als die in größeren. Die Befragungen fanden vorwiegend unter der Woche am frühen Abend (17-20 Uhr) oder samstags tagsüber statt. Die anvisierte Stichprobengröße von sechzig Personen je Gebiet ließ sich aufgrund der zum Teil geringen Teilnahmeraten jedoch nicht in allen Gebieten realisieren.
Tabelle 4.1: Teilnahme an der Befragung
Anzahl Personen befragt (N) |
Anteil Haushalte angetroffen |
Davon zur Teilnahme bereit |
Teilnahmerate insgesamt |
|
Neukölln |
40 |
46 % |
23 % |
11 % |
Köllnische Heide |
39 |
63 % |
26 % |
16 % |
Rudow |
62 |
62 % |
34 % |
21 % |
Friedrichshain |
68 |
51 % |
47 % |
24 % |
Lichtenberg |
38 |
54 % |
17 % |
9 % |
Altglienicke |
77 |
63 % |
42 % |
27 % |
alle Gebiete |
324 |
56 % |
35 % |
20 % |
Die Teilnahmerate lag insgesamt bei 20 % (siehe Tabelle 4.1). Mit drei Versuchen konnte in gut der Hälfte der Haushalte eine Person angetroffen werden, wobei dieser Anteil in den Gründerzeitgebieten (Neukölln und Friedrichshain) etwas geringer lag. Von den Angetroffenen war ein gutes Drittel zur Teilnahme bereit. Es zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Gebieten: während in Friedrichshain und Altglienicke in fast jedem zweiten angetroffenen Haushalt eine Befragung durchgeführt werden konnte, lag die Verweigerungsrate in Neukölln und den Großwohnsiedlungen sehr viel höher. Da das Phänomen der geringen Teilnahmebereitschaft in Großwohnsiedlungen bekannt ist, wurde schon im Vorfeld versucht, diese durch Aushänge in den Treppenhäusern zu erhöhen. In Neukölln und teilweise auch in Köllnische Heide bestand eine hohe Verweigerungsrate bei Personen mit Migrationshintergrund, die in beiden Gebieten große Bevölkerungsanteile ausmachen. Diese gaben häufig Sprachprobleme als Grund für die Nichtteilnahme an. Auch in anderen Studien zeigt sich, dass die Teilnahmeraten von AusländerInnen gering sind (vgl. Blohm und Diehl, 2001; Schnell, 1997). In einer ALLBUS-Erhebung konnte ein Viertel der Nicht-Deutschen aufgrund von Sprachproblemen nicht befragt werden (Blohm und Diehl, 2001).
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Die geringe Teilnahmerate in einigen Gebieten stellt ein Problem für die Repräsentativität der Ergebnisse dar. Insbesondere in den Gebieten mit hohen Verweigerungsraten, also in Neukölln, Köllnische Heide und Lichtenberg, kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne Bevölkerungsgruppen in der Befragung unterrepräsentiert sind. Darauf geht der Vergleich der Befragten mit den BewohnerInnen in Kapitel 5 nochmals ein.
Die mündliche Befragung hat gegenüber einer schriftlichen den Vorteil, dass die Fragen in einer bestimmten Reihenfolge beantwortet werden. So kann verhindert werden, dass den Befragten schon zu Beginn bekannt ist, dass Umweltschutz in der Befragung einen zentralen Aspekt darstellt. Auch ging es bei einigen Fragen um spontane Antworten. Mittels mündlicher Befragung können außerdem Fehler beim Ausfüllen der Bögen verhindert werden und Personen mit Lese- oder Sprachproblemen eher teilnehmen.
Der Fragebogen (siehe Anhang II) enthielt Fragen zum räumlichen Einkaufsverhalten, zum Kauf umweltfreundlicher Produkte, zum Wissen über umweltfreundliche Produkte, zu den Einstellungen zu Aspekten des umweltfreundlichen Einkaufens und zur Einschätzung der Umweltfreundlichkeit der Einkaufsstätte. Daneben wurden Lebensstilitems und Variablen der Lebenslage integriert. In der Befragung fanden vorwiegend offene Fragen Verwendung, wobei die Antworten teilweise von den InterviewerInnen direkt auf dem Fragebogen anhand einer Kodierregel klassiert wurden. Geschlossene Fragen mit Antwortskalen kamen bei den Einstellungen zum Umwelteinkauf und den Lebensstilitems zur Anwendung, wobei den Befragten Listen mit den Antwortkategorien vorgelegt wurden. Ebenfalls mittels Antwortlisten wurde das Haushaltseinkommen abgefragt.
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Die Erhebung des Einkaufsverhaltens erfolgt in dieser Studie als selbstberichtetes Verhalten (verbal commitment), und nicht als tatsächliches Verhalten (actual commitment) Selbstberichtetes Verhalten kann im Umweltschutzbereich nur als Indikator für das tatsächliche Verhalten dienen, da sich in Untersuchungen Diskrepanzen zwischen dem selbstberichteten und dem gemessenen Verhalten gezeigt haben (vgl. Hunecke, 2001). Neugebauer (2004) benennt als Grund hierfür, dass sozial erwünschte Antworten im Umweltbereich ein großes Problem darstellen. Dennoch erheben die meisten Untersuchungen, ebenso wie die vorliegende, aufgrund der leichteren Datengewinnung das selbstberichtete Verhalten (vgl. Kuckartz, 1998).
Der Kauf von umweltfreundlichen Lebensmitteln wurde anhand der drei Produkte bzw. Produktgruppen Milch, Eier und Gemüse erhoben. Diese Produkte werden von den meisten KonsumentInnen eingekauft und zählen zu den Produkten, die besonders häufig aus der Region oder aus ökologischem Anbau gekauft werden. Anhand dieser Produkte können die unterschiedlichen Aspekte umweltfreundlicher Lebensmittel (siehe Kapitel 2.4.1) analysiert werden. Auch sind die Umweltauswirkungen dieser drei Produkte bzw. Produktgruppen vergleichsweise transparent.
Zur Erhebung der Lebensstilaspekte wurden Itemsets aus der ALLBUS-Befragung von 1996 übernommen (vgl. Spellerberg und Berger-Schmitt, 1998), um die Fälle dieser Arbeit mit den von Annette Spellerberg gebildeten Lebensstiltypen vergleichen zu können und keine eigenen Lebensstilitems bzw. Lebensstiltypologie entwickeln zu müssen. Diese Itemsets stellen eine anhand der Differenzierungswirkung der Items reduzierte Variante der von Spellerberg für den Wohlfahrtssurvey 1993 entwickelten Lebensstilitems dar (vgl. Spellerberg, 1996). Sie wurden für die vorliegende Arbeit weiter gekürzt, wobei von jeder der drei Dimensionen interaktives Verhalten, expressives Verhalten und evaluatives Verhalten der Fragenkomplex mit der größeren Aussagekraft übernommen wurde (vgl. Spellerberg und Berger-Schmitt, 1998). Damit enthielt der Fragebogen drei Fragenkomplexe mit insgesamt 26 Lebensstilitems: Fernsehinteressen (Mediennutzung), Freizeitaktivitäten (expressives Verhalten) und Lebensziele (evaluatives Verhalten).
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Vor der Hauptbefragung wurde ein Pretest durchgeführt. Dieser diente zum einen der Überprüfung des Fragebogens und der Vorgehensweise, zum anderen der Schulung der InterviewerInnen. Bezogen auf den Fragebogen sollte dessen Verständlichkeit und Handhabbarkeit überprüft werden. Außerdem wurde die Trennschärfe der Fragen untersucht. Vor dem Pretest fand eine Einweisung der Studierenden in die Anwendung des Fragebogens statt und die Interviewführung wurde mittels Rollenspiel geübt.
Der Pretest, in dem 33 Personen befragt wurden, fand nicht in den Untersuchungsgebieten sondern in der Nachbarschaft der InterviewerInnen statt. Damit diente der Pretest nicht einer Überprüfung des Befragungsdesigns. Die InterviewerInnen hielten im Anschluss an die Interviews fest, welche Fragen nicht oder falsch verstanden wurden, bei welchen Fragen Probleme bei der Beantwortung auftauchten, wie die Aufmerksamkeit bei den einzelnen Fragen sowie während der gesamten Befragung war, welche Probleme die InterviewerInnen selbst bei der Befragung, mit dem Fragebogen und den Befragungshilfen hatten. Aufgrund der Ergebnisse des Pretest kam es zu geringfügigen Anpassungen des Fragebogens. Neben einigen Formulierungsänderungen wurden die Lebensstilitems im Fragenkomplex Fernsehinteressen um die Kategorien „Nachrichten“ und „Spielfilme“ erweitert, da aufgrund der ausdifferenzierten Abfrage bei einigen Befragten, die ihre Fernsehinteressen nicht berücksichtigt sahen, Irritationen auftauchten.
Die weitere Datenauswertung fand mit Hilfe des Statistikprogramms SPSS (Version 11) statt. Zur Kontrolle der eingegebenen Daten wurde die SPSS-Datenmatrix mit den Originaldaten auf den Fragebögen abgeglichen.
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Bei der Auswertung musste berücksichtigt werden, dass die Befragungsdaten als Variablen mit unterschiedlichen Skalenniveaus vorlagen. Während das Umweltverhalten und die Umwelteinstellungen ebenso wie die Lebensstilattribute vorwiegend ordinal skaliert oder intervallskaliert sind, liegen die Variablen der Lebenslage meist nominal vor. Bei der Analyse musste also entsprechend auf Verfahren zurückgegriffen werden, die für diese Skalenniveaus geeignet sind, wobei ebenfalls dichotomisierte nominale Daten und klassierte metrische Daten verwendet wurden.
Ein erster Überblick über die Daten wurde mittels einer Betrachtung der Mittelwerte sowie der Streuwerte bei den metrischen Daten bzw. der Häufigkeitsverteilungen bei den nominal und ordinal skalierten Daten gewonnen. Diese univariate Auswertung diente außerdem einer weiteren Überprüfung der eingegebenen Daten, da außerhalb des Antwortbereichs liegende Werte korrigiert werden konnten. Dieser univariaten Auswertung schlossen sich bi- und multivariate Auswertungen an. Dabei werden in dieser Arbeit unterschiedliche multivariate Analysemethoden verwendet. Neben der Frage nach der Relevanz unterschiedlicher potenzieller Einflussfaktoren für das Umweltverhalten dienen diese der Zuordnung der Fälle zu Lebensstiltypen sowie der Feststellung von Zusammenhängen zwischen den unterschiedlichen umweltfreundlichen Verhaltensweisen. Neben Kontingenztafeln kamen die Methoden der Faktoren-, Cluster- und Diskriminanzanalyse zum Einsatz.Die weitere Datenauswertung wird im Folgenden aufgeteilt nach Methoden zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen Umweltverhalten und potenziellen Einflussfaktoren, zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen dem Umweltverhalten in den drei Teilbereichen des Einkaufens und zur Bildung der Lebensstiltypen dargestellt.
Inwiefern zwischen den Variablen des Einkaufsverhaltens und den potenziellen Einflussfaktoren (Wohngebiet, Lebenslage, Lebensstil, Einstellungen und Wissen) ein signifikanter statistischer Zusammenhang besteht, wurde mittels bivariater Auswertungen ermittelt. Dazu diente die Untersuchung der gemeinsamen Verteilung von jeweils zwei Variablen mit Hilfe von Kontingenztafeln (Kreuztabellen) und Kontingenzkoeffizienten.
↓120 |
Kreuztabellen dienen zum einen der Analyse von Unterschieden zwischen den Daten der BewohnerInnen der unterschiedlichen Gebiete (Kapitel 5), zum anderen der Darstellung des Zusammenhangs zwischen dem Verhalten und weiteren potenziellen Einflussfaktoren (Kapitel 5). Dabei wurden die metrischen Variablen klassiert. Auch bei den anderen Variablen kam es teilweise zu einer Reduktion der Anzahl an Merkmalsausprägungen. Der Chi-Quadrat-Test nach Pearson diente der Untersuchung der Signifikanz des Zusammenhangs. Dieser vergleicht die beobachtete Häufigkeit mit der erwarteten (vgl. Bennnighaus, 1998). Dabei kann mittels Chi-Quadrat-Test auch untersucht werden, ob ein Merkmal in der einen Gruppe signifikant häufiger als in der anderen auftaucht (vgl. Hartung et al., 1989). Die Signifikanz der Abhängigkeit wurde auf dem Signifikanzniveau von p < 0,05 getestet.
Zwischen den Variablen des Umweltverhaltens sowie zwischen den Variablen zur Umwelteinstellung wurden Korrelationskoeffizienten berechnet. Dabei sind die Variablen zu den Umwelteinstellungen zwar ordinalskaliert, werden hier aber als intervallskaliert behandelt, wie dies bei Antwortskalen in den Sozialwissenschaften häufig geschieht (vgl. Schnell et al., 1993). Als Maß für den Zusammenhang zwischen den Variablen wurde der Pearsonsche Moment-Korrelations-Koeffizient r berechnet (vgl. Bennnighaus, 1998)33.
Zur Klärung der Frage, inwiefern der (bivariate) Zusammenhang zwischen dem Gebietstyp und dem Umweltverhalten durch die Charakteristika des Gebiets oder der BewohnerInnen hervorgerufen wird, kamen multivariate Verfahren zur Anwendung. Aufgrund der geringen Fallzahlen und der geringen Robustheit der Methoden erwiesen sich die Regressions- und Varianzanalyse sowie das logit-loglineare Verfahren als nicht geeignet für die Auswertung der erhobenen Daten. Es wurde zur Drittvariablenkontrolle deshalb lediglich auf die Analyse von Kontingenztafeln als Partialtabellen zurückgegriffen (vgl. Schnell et al., 1993). Mit Hilfe dieser kann untersucht werden, ob das Gebiet unter Berücksichtigung einer Variablen der Lebenslage einen signifikanten Zusammenhang zum Verhalten zeigt, und umgekehrt, inwiefern auch innerhalb eines Gebiets der Zusammenhang zu anderen potenziellen Einflussfaktoren gegeben ist. Auch hier erfolgt der Signifikanztest auf Grundlage von Chi-Quadrat.
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Um Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Umweltverhaltensweisen aufzuzeigen wurden Typen anhand des Umweltverhaltens gebildet. Die Typenbildung erfolgte in zwei Schritten: zuerst wurden die Variablen mittels Faktorenanalyse auf wenige Faktoren reduziert, dann wurde eine Clusteranalyse mit den Faktorenwerten durchgeführt.
Die Faktorenanalyse dient in der vorliegenden Arbeit der Reduktion von Variablen auf die ihnen zugrunde liegenden Faktoren. Diese Faktoren sollen einen möglichst großen Anteil der Varianz der Variablen erklären. Dabei werden die Eigenwerte und Eigenfaktoren der Korrelationsmatrix zwischen den Variablen betrachtet. Die Faktorenanalyse wurde zur Dimensionsreduktion bei den Variablen des Umweltverhaltens eingesetzt, die alle metrisch oder dichotom vorliegen. Die Standardisierung der Werte erfolgte mittels z-Transformation. Als Extraktionsmethode fand die Hauptkomponentenanalyse Verwendung, die für Anwendungen in den Sozialwissenschaften am gebräuchlichsten ist (vgl. Fahrmeir et al., 1996). Die Bestimmung der Zahl der zu extrahierenden Faktoren erfolgte mittels des Kaiser-Gutmann-Kriteriums, d. h. alle Faktoren mit einem Eigenwert von mehr als eins fanden Berücksichtigung (vgl. Backhaus et al., 1990). Zur Erleichterung der Interpretation wurde eine Varimax-Rotation, also eine rechtwinklige Rotation, durchgeführt. Die gebildeten acht Faktoren erklären zusammen 71 % der Varianz. Unvollständige Angaben bei den Variablen führten zum Fallausschluss von 51 Fällen. Die Eignung der Daten für die Faktorenanalyse wurde durch das Kaiser-Meyer-Olkin-Kriterium und den Bartlett-Test auf Sphärizität überprüft.
In einem zweiten Schritt wurde eine hierarchische Clusteranalyse mit den Faktorenwerten als Variablen durchgeführt. Die Clusteranalyse dient der Identifikation von homogenen Teilmengen aus der Gesamtheit der Befragten, wobei sich diese Teilmengen hinsichtlich ihres Umweltverhaltens beim Einkaufen ähneln sollten. Die Durchführung einer Clusteranalyse erfordert die Wahl eines Proximitätsmaßes und eines Fusionierungsalgorithmus, wobei beides vom Skalenniveau der Variablen abhängt (vgl. Backhaus et al., 1990). Hier wurde als Ähnlichkeitsmaß die quadrierte Euklidische Distanz verwendet, die sich für die vorliegenden metrisch skalierten Variablen eignet. Diese betont größere Unterschiede stärker als andere mögliche Maße (vgl. Backhaus et al., 1990). Als Fusionierungsmethode fand das Ward-Verfahren Verwendung, bei dem bei der Bildung von Clustern die Homogenität innerhalb der Cluster maximiert wird.
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Die Bestimmung der Clusteranzahl orientierte sich sowohl an der mathematischen Lösung als auch an inhaltlichen Kriterien (vgl. Fahrmeir et al., 1996). In einem ersten Schritt wurde die Clusteranzahl aufgrund der Änderung der Abstände zwischen den Koeffizienten gewählt. Eine genauere Betrachtung der Fälle erfolgte bei denjenigen Clusteranzahlen, bei denen sich der Abstand zwischen den Koeffizienten sprunghaft erhöhte. Anhand inhaltlicher Kriterien erfolgte in einem zweiten Schritt die Festlegung der Anzahl an Clustern auf acht. Es wurden also acht Gruppen mit ähnlichem Umweltverhalten gebildet. Zur Überprüfung der Qualität der Clusterung und der Herausarbeitung besonders diskriminierender Variablen erfolgte eine schrittweise Diskriminanzanalyse (Wilks-Lambda, F-Wert zwischen 3,48 und 2,71).
Die Bildung von Lebensstiltypen fand zunächst in Anlehnung an das Verfahren von Spellerberg (1996) statt, d. h. es wurde eine Clusteranalyse mit vorgeschalteter Faktorenanalyse durchgeführt. Die so gebildeten Typen sollten anschließend mit den Spellerbergschen Lebensstilen in Beziehung gesetzt werden. Die entstandenen Typen zeigten allerdings wenig Übereinstimmungen mit den Lebensstiltypen von Spellerberg. Für eine Verwendung waren sie außerdem nicht geeignet, da den Typen jeweils nur geringe Fallzahlen zugrunde lagen und zwischen den Typen nur geringe Differenzen bestanden. Deswegen erfolgte in einem zweiten Schritt eine Rekonstruktion der Lebensstiltypen von Spellerberg mittels Diskriminanzanalyse. Dazu wurden die Datensätze mit den Fällen, die der Bildung dieser Lebensstiltypen zugrunde liegen, von Frau Spellerberg zur Verfügung gestellt. Diese Rekonstruktion führte zu sehr viel besser interpretierbaren Ergebnissen.
Das Verfahren der Rekonstruktion wurde dabei von Spellerberg und Berger-Schmitt (1998) übernommen, die dieses für einen Vergleich der Lebensstilzuordnungen von 1993 und 1996 anwenden. Während sie die Rekonstruktion sowohl mittels logistischer Regression als auch Diskriminanzanalyse durchführen, kam hier lediglich eine Diskriminanzanalyse zur Anwendung. Die Zuordnung mittels logistischer Regression ist zwar um wenige Prozentpunkte besser, jedoch sehr viel aufwändiger in der Durchführung. Diskriminanzanalysen können, neben der Aufzeigung von Gruppenunterschieden, auch zur Zuordnung neuer Fälle zu bestehenden Gruppen verwendet werden (vgl. Backhaus et al., 1990). Dazu wurden die Fälle von Spellerberg mit den Fällen dieser Arbeit in einer SPSS-Datei zusammen geführt, so dass sie mittels Diskriminanzanalyse den bestehenden Lebensstiltypen zugeordnet wurden. Dabei wurden trotz reduzierter Itemzahl 61 % der Fälle von Spellerberg wieder ihrem ursprünglichen Lebensstiltyp zugeordnet.
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Spellerberg hat unterschiedliche Lebensstiltypologien für West und Ost entwickelt. In der vorliegenden Arbeit werden davon abweichend alle Fälle einer Typologie zugeordnet, da es ansonsten zu einer weiteren Aufteilung der geringen Fallzahlen auf zwei unterschiedliche Typologien käme. Die Reduktion auf eine Typologie erscheint auch aus inhaltlichen Gründen sinnvoll, da Lebensstiluntersuchungen in den letzten Jahren eine Annährung der Lebensstile zwischen Ost und West zeigen. So sank bereits zwischen den Jahren 1993 und 1996 die Differenz zwischen den beiden Lebensstiltypologien deutlich, so dass Spellerberg und Berger-Schmitt zu dem Ergebnis kommen: „Die Bildung einer gesamtdeutschen Lebensstiltypologie kommt 1996 eher in Betracht als 1993, die Unterschiede sind jedoch immer noch so groß, dass auch bei den 1996er Analysen darauf verzichtet wurde.“ (Spellerberg und Berger-Schmitt, 1998). Die Bildung von gesamtdeutschen Sinus-Milieus seit 2001, die zuvor ebenfalls für Ost- und Westdeutschland getrennt vorlagen, beruht ebenfalls auf der Annährung der Lebensstile in beiden Landesteilen (Sinus Sociovision, 2001). Die Ergebnisse der vorliegenden Befragung zeigen darüber hinaus, dass in Ost- und Westberlin jeweils nicht ausschließlich Personen aus der DDR bzw. BRD wohnen. In dem Gründerzeitgebiet im Osten (Friedrichshain) wurden sogar mehr Personen, die in der BRD aufgewachsen sind, befragt als aus der DDR. Auch diese Tatsache unterstützt die Wahl einer gemeinsamen Lebensstiltypologie. Es wurde von den beiden Spellerbergschen Lebensstiltypologien diejenige für Westdeutschland gewählt, da sich für die Fälle aus den östlichen Untersuchungsgebieten bei der Zuordnung zu den Westlebensstilen meist eine Zuweisung zu dem West-Pendant des jeweiligen Ostlebensstil ergab. Die Zuordnung der Fälle der westlichen Untersuchungsgebiete zu den Ostlebensstiltypen hingegen reduziert diese überwiegend auf zwei Typen und vernachlässigt damit bestehenden Unterschiede.
Im Anschluss an die Befragung wurden 18 leitfadengestützte Interviews mit BewohnerInnen der Untersuchungsgebiete durchgeführt. Die Interviewführung und -auswertung orientierte sich an dem Vorgehen des problemzentrierten Interviews (vgl. Witzel, 1989; 2000). Der Vorteil dieser Methode liegt in der Kombination einer theoriegeleiteten Herangehensweise mit einer Offenheit gegenüber der Relevanzsetzung der Interviewten (vgl. Schnell et al., 1993). Die von Witzel vorgeschlagene Herangehensweise an die Datenauswertung hat Vorteile gegenüber anderen Auswertungsverfahren, beispielsweise den drei verbreiteten Auswertungsmethoden für qualitative Interviews, der Auswertung nach der Grounded Theory Methode (vgl. Böhm, 2000), der qualitativen Inhaltsanalyse (vgl. Mayring, 2000) und der objektiven Hermeneutik (vgl. Flick, 1998). Diese drei Methoden stellen zum einen aufgrund des hohen Zeitaufwandes aus forschungsökonomischer Sicht ein Problem dar, zum anderen eignen sie sich auch aufgrund ihrer Ziele oder ihrer Anforderungen an die gesamte empirische Phase nicht für die vorliegende Arbeit (zu den Problemen dieser Verfahren siehe auch Deffner, 2004). Neben den drei weitverbreiteten Verfahren existieren noch eine Reihe weitere Methoden zur Auswertung qualitativer Interviews, die sich häufig einzelner Verfahrensschritte der drei bekannten Auswertungsmethoden bedienen, ohne diese jedoch komplett anzuwenden (vgl. Flick, 1998; Schmidt, 2000; Witzel, 1985). Die Herangehensweise von Witzel wurde aufgrund ihrer Kombination aus deduktiven und induktiven Verfahren und ihrer relativen Offenheit in der individuellen Ausgestaltung der genauen Auswertungsschritte ausgewählt und ausgestaltet.
Die zentralen Grundprinzipien des problemzentrierten Interviews (PZI) nach Witzel (1989; 2000) sind die Problemzentrierung, die Gegenstandsorientierung und die Prozessorientierung. Die Methode umfasst dabei sowohl eine bestimmte Herangehensweise bzw. Reihenfolge innerhalb des Interviews als auch die Art der Interviewführung. Die Ìnterviewführung soll den Interviewten genug Raum zur Darstellung ihrer Sichtweise geben. So beginnt das PZI mit einem erzählgenerierenden Gesprächseinstieg, es schließen sich allgemeine Sondierungen und Ad-hoc Fragen an. Die in der narrativen Phase genannten Aspekte können in der allgemeinen Sondierung aufgegriffen und durch Nachfragen vertieft werden. Ad-hoc-Fragen dienen dagegen der Abdeckung noch nicht behandelter Themenbereiche des Leitfadens. Diese stehen am Ende des Interviews, um nicht eine Frage-Antwort-Situation entstehen zu lassen. Das Interview wird dabei unter Berücksichtigung von verständnisgenerierenden Strategien geführt: Zurückspiegeln soll der Selbstreflexion dienen, Verständnisfragen ausweichende oder widersprüchliche Antworten klären und Konfrontationen eine genauere Ausführung bewirken (Witzel, 2000). Das PZI erfordert aufgrund der Offenheit und der unterschiedlichen Strategien bei der Interviewführung, hohe thematische und methodische Kenntnisse der Interviewenden. Alle achtzehn Interviews wurden von der Autorin selbst durchgeführt, die sich darauf in einem Kurs zur Interviewführung vorbereitete34. So kann auch eine Vergleichbarkeit in der Interviewführung gewährleistet werden.
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Abbildung 4.1: Vorgehensweise bei der Durchführung der Interviews und der Datenaufbereitung | ||
(Eigene Darstellung) |
Die Interviews wurden aufgezeichnet und transkribiert (siehe Abbildung 4.1). Kodierung und Auswertung der Interviewtranskripte erfolgten dabei in der Computersoftware MAXqda. Die Interviewauswertung lehnt sich an das Verfahren nach Witzel, das dieser für das problemzentrierte Interview entwickelte (vgl. Witzel, 2000), an. Die Typenbildung orientiert sich an der Methode des empirisch geleiteten stufenweisen Vorgehens nach Kluge (1999; 2000).
Die Auswahl der InterviewpartnerInnen erfolgte theoriegeleitet mit dem Ziel, eine möglichst große Bandbreite an Verhaltensmustern und Lebenslagen abzudecken. Aus den BefragungsteilnehmerInnen, die sich zu einem längeren Interview bereit erklärten, wurden aufgrund ihrer Angaben in der Befragung jeweils drei Personen pro Gebiet ausgewählt. Personen, die nicht mehr zu einem Interview bereit oder trotz mehrmaliger Versuche telefonisch nicht zu erreichen waren, wurden durch eine andere Person aus dem gleichen Gebiet ersetzt (siehe Abbildung 4.1).
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Tabelle 4.2: TeilnehmerInnen der Interviews (N=18)
Friedrichs-hain |
Neukölln |
Lichten-berg |
Köllnische Heide |
Alt-glienicke |
Rudow |
Insgesamt |
|
N |
3 |
3 |
3 |
3 |
3 |
3 |
3 |
Alter (in Jahren) |
|||||||
jung (bis 35) |
2 |
2 |
1 |
0 |
1 |
0 |
6 |
mittel (35-50) |
1 |
1 |
1 |
3 |
1 |
1 |
8 |
älter (über 50) |
0 |
0 |
1 |
0 |
1 |
2 |
4 |
Kinder im Haushalt |
|||||||
ja |
1 |
1 |
1 |
3 |
1 |
0 |
7 |
nein |
2 |
2 |
2 |
0 |
2 |
3 |
11 |
Geschlecht |
|||||||
männlich |
0 |
1 |
3 |
1 |
1 |
1 |
7 |
weiblich |
3 |
2 |
0 |
2 |
2 |
2 |
11 |
Nutzung des MIV |
|||||||
nicht/wenig |
2 |
3 |
2 |
1 |
1 |
1 |
10 |
mittel/viel |
1 |
0 |
1 |
2 |
2 |
2 |
8 |
Kauf von Bioprodukten |
|||||||
nicht/wenig |
0 |
2 |
1 |
2 |
1 |
1 |
7 |
mittel |
1 |
0 |
1 |
1 |
1 |
1 |
5 |
viel |
2 |
1 |
1 |
0 |
1 |
1 |
6 |
Sowohl bezüglich der Produktwahl als auch der Wahl der Verkehrsmittel sollten Personen mit besonders umweltfreundlichem und besonders wenig umweltfreundlichem Verhalten interviewt werden. Als Indikatorvariablen hierfür wurden der Kauf von Bioprodukten und der Einkauf mit dem Auto ausgewählt. Da für das Einkaufsverhalten gerade auch die Einbettung in den Alltag untersucht werden sollte, wurden Personen unterschiedlichen Alters (bis 35, 35-50, über 50), mit und ohne Kinder sowie unterschiedlichen Geschlechts ausgewählt (siehe Tabelle 4.2). Zwar konnte nicht in allen Gebieten eine Mischung aller Ausprägungen dieser Variablen erzielt werden, aber das gesamte Sample entspricht diesen Anforderungen.
Entsprechend der Methode des PZI wurde in den Interviews narrative Elemente mit dialogischen verbunden. Insgesamt bestand der Leitfaden (siehe Anhang III) aus zwei Teilen: der Erste zum allgemeinen Lebensmitteleinkauf, der Zweite speziell zu Umweltschutzaspekten. Am Beginn des Interviews stand eine Erzählaufforderung hinsichtlich der Entwicklung des Einkaufsverhaltens bei Lebensmitteln und dessen heutiger Ausgestaltung. In diesem Teil des Interviews wurden Fragen gestellt, die zum Weitererzählen anregen sollten35. In einer allgemeinen Sondierung wurden anschließend gezielt Nachfragen zu einzelnen genannten Sachverhalten gestellt, unter Einsatz der Gesprächselemente Zurückspiegeln, Verständnisfragen und Konfrontationen. Erst danach wurden weitere Themenbereiche des Leitfadens mittels Ad-hoc-Fragen angesprochen. Der zweite Teil des Interviews begann ebenfalls mit einer allgemeinen Erzählaufforderung zur Bedeutung des Umweltschutzthemas beim Einkaufen. Allerdings wurde in vielen Interviews das Thema von den Interviewten bereits im ersten Teil angesprochen. Der Leitfaden diente als Gedächtnisstütze und zur Sicherung der Vergleichbarkeit der Interviews. Nicht alle Themen wurden in den Interviews in der selben Intensität behandelt, was als Schwerpunktsetzung seitens der Interviewten gesehen werden kann. Um die Interviewführung zu überprüfen und ggf. zu verbessern wurden die ersten Interviews direkt nach dem Interviewtermin in Bezug auf Probleme bei der Interviewführung analysiert. Dadurch konnte die Interviewführung, insbesondere bezüglich der erzählgenerierenden Frageweise seitens der Interviewerin, laufend verbessert werden.
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Die Methode des PZI geht über die Interviewführung hinaus und umfasst insgesamt die Instrumente Kurzfragebogen, Leitfaden, Tonbandaufzeichnung und das Postskriptum (Witzel, 2000). Der Kurzfragebogen dient der Vorbereitung auf das Interview, indem schon vorab Informationen zu der Person erhoben werden. An die Stelle des Kurzfragebogens trat in dieser Arbeit die Befragung. Im Anschluss an die Gespräche wurde das Postskriptum erstellt, das Bemerkungen zu Ereignissen vor und nach der Tonbandaufzeichnung, zur Wohnungseinrichtung, zur Atmosphäre während des Interviews sowie eine erste Zusammenfassung der erhaltenen Informationen beinhaltet. Dieses dient später zusammen mit den Tonbandaufzeichnungen der Bewertung der Interviewsituation.
Die Interviews fanden - bis auf eines in einem Café - alle bei den Interviewten zu Hause statt. Die Dauer der Interviews lag zwischen zwanzig Minuten und einer Stunde (durchschnittlich eine gute halbe Stunde). Prinzipiell wurden Einzelinterviews geführt, jedoch war bei zwei Personen der Ehemann/die Ehefrau beim Interview anwesend und beteiligte sich ebenfalls am Gespräch. Wenngleich nicht so beabsichtigt trug dies zu einer Belebung der Interviewsituation bei, da das Gespräch für die Interviewten so in einer natürlicheren Gesprächssituation stattfand.
Im Anschluss an die Interviews wurden diese transkribiert. Die Transkription hat nicht nur für die inhaltliche Auswertung, sondern auch zum Erkennen von problematischen Interviewelementen (z. B. Suggestivfragen) und damit für die Qualitätssicherung und Selbstkontrolle Bedeutung (vgl. Witzel, 1989). Die Transkription erfolgte wörtlich und immer durch die selbe Person, eine studentische Mitarbeiterin, so dass die Vorgehensweise einheitlich war. Im Anschluss erfolgte eine Kontrolle der Texte anhand der Tonbandaufnahmen durch die Interviewerin, wobei die Transkripte ergänzt und korrigiert wurden. Bei den in der Arbeit zitierten Textstellen fand zur Verbesserung der Lesbarkeit teilweise eine weitere sprachliche Überarbeitung statt.
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Die Auswertung der Transkripte erfolgte mit Hilfe eines Computerprogramms zur qualitativen Datenanalyse, das für die Zuordnung von Aussagen zu Kategorien und die Verwaltung dieser Codings, also den kodierten Textstellen, Verwendung fand. Programme zur qualitativen Datenanalyse stellen dabei lediglich ein Werkzeug dar und dominieren nicht die Auswertungsmethode (vgl. Kelle, 2000). Ihre Eignung hängt von der Herangehensweise und der individuellen Arbeitsweise ab, so dass Kelle empfiehlt, mehrere Programme auszuprobieren. Für diese Arbeit wurden die beiden auf dem deutschen Markt verbreiteten Programme zur qualitativen Datenanalyse, atlas ti und MAXqda, getestet. Aufgrund der einfacheren Handhabung und der Möglichkeit, bei der Kodierung mit einem Kategoriensystem auf mehreren Ebenen zu arbeiten, erfolgte die Auswahl von MAXqda.
In der vorliegenden Arbeit wird auf das vergleichsweise offenes Auswertungsverfahren zurückgegriffen, das Witzel für die Auswertung problemzentrierter Interviews entwickelt hat (vgl. Witzel, 1985; 2000). Dabei orientiert sich Witzel an der Herangehensweise der Grounded Theory. Jedoch ist die Methode des PZI vergleichsweise übersichtlich bezüglich der Anzahl an Verfahrensschritten und integriert induktive und deduktive Verfahren. Ganz.B. wusst verzichtet Witzel dabei auf eine genauere Festlegung der Vorgehensweise, da er die Abhängigkeit dieser von der Fragestellung betont (Witzel, 2000). Entsprechend kann die Methode eher als Leitfaden betrachtet werden, der an die vorliegende Arbeit angepasst wurde.
Die Auswertung orientiert sich an den vier von Witzel (2000) vorgeschlagenen Schritten: Fallanalyse, Falldarstellung, Auswertung der fallspezifisch zentralen Themen und systematisch kontrastierender Fallvergleich. Allerdings stellt der letzte Punkt nur einen Schritt der Typenbildung dar, die im Weiteren in Anlehnung an das Verfahren der empirisch begründeter Typenbildung nach Kluge (Kluge, 1999; 2000) durchgeführt wurde (siehe Abbildung 4.2).
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Abbildung 4.2: Vorgehensweise bei der Auswertung der Interviews | ||
(Eigene Darstellung, Auswertung nach Kluge, 1999; Witzel, 2000) |
Die Fallanalyse erfolgte, wie bei Witzel vorgeschlagen, Satz-für-Satz, wobei Textstellen theoriegeleiteten Stichworten zugeordnet (deduktive Codes) sowie neue thematische Aspekte festgehalten wurden (induktive Codes). So kam es zum einen anhand des Vorwissens und der Fragestellung zur Bildung eines Kodierrasters, zum anderen wurden anhand der ersten drei Interviews induktiv Codes gesammelt. Aus beidem zusammen wurde ein überarbeitetes Kodierraster entwickelt. Dabei handelte es sich zunächst um Themencodes, d. h. die Ausprägungen und Dimensionen blieben unberücksichtigt. Während der Kodierung der Interviews wurden Auffälligkeiten und Auswertungsideen in sogenannten Memos festgehalten.
Das Kodierraster fand Verwendung für die Kodierung aller Interviews. Im Anschluss wurde anhand der Codings, die den Themen-Codes zugeordnet waren, die jeweiligen Codes ausdifferenziert und dimensionalisiert. Dabei kam es teilweise zu einer neuen Zuordnung oder zu Veränderungen im Kodierungsraster (s. Anhang XIV). Die Beschreibung der Codes erfolgte in Memos.
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Die Falldarstellung basiert auf den inhaltlichen Aspekten, die bei der Kodierung des jeweiligen Interviews auffielen, zum allgemeinen Lebensmitteleinkauf, zum Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel, zum Mobilitätsverhalten, zu Einstellungen und Wissen zum Thema Umweltschutz und zur Wahrnehmung des Wohnumfelds. Aus den quantitativen Befragungen wurden die Merkmale der Lebenslage sowie der Lebensstil integriert. Die Falldarstellung enthält auch die Bewertung der Qualität des Interviewmaterials und der Interviewsituation (aus dem Postskriptum). Sie umfasst damit auch das von Witzel als Auswertungsmaterial vorgeschlagene Dossier. Die Vollständigkeit und Gewichtung einzelner Themen in der Falldarstellung wurden überprüft, indem alle Codings des jeweiligen Interviews betrachtet wurden.
Im letzten Schritt der Auswertung der einzelnen Fälle wurden anhand der Falldarstellungen zentrale Themen sowie Handlungsmuster analysiert. Die Falldarstellungen wurden auch zur Auswertung der Wahrnehmung des Gebiets und der vorhandenen Einkaufsstätten, der Restriktionen und Dispositionen für das Umweltverhalten sowie der Einschätzung zu den Einkaufsstätten herangezogen.
Die Typenbildung anhand der Interviews orientierte sich an dem Stufenmodell empirisch begründeter Typenbildung von Kluge (Kluge, 1999; 2000). Dieses stellt ebenfalls eher Eckpfeiler des Vorgehens als konkrete Verfahrensweisen dar, wobei die Typenbildung in vier Stufen erfolgt:
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Dieses Schema ist nicht rein linear, denn aus der Stufe 3 können sich neue relevante Vergleichsdimensionen ergeben.
Die Vergleichsdimensionen beruhen in der vorliegenden Arbeit zum einen auf den Forschungsfragen, zum anderen auf den Ergebnissen der Einzelfallanalyse. Zunächst wurden die Fälle anhand der umweltfreundliche Verhaltensweisen beim Lebensmitteleinkauf und ihrer Einkaufsmotive verglichen. Zur Gewinnung eines Überblicks wurde für die Gruppierung eine Übersicht mit den zentralen Aussagen der einzelnen Fälle angelegt, anhand derer ein thematischer Vergleich erfolgte.
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Dieser wurde nochmals auf der Grundlage der Codings überprüft und vertieft. Anschließend wurden mittels kontrastierendem Fallvergleich (maximale und minimale Kontrastierung) (vgl. Witzel, 2000) sechs Einkaufsorientierungen als zentrale Vergleichsdimension für das umweltfreundliche Einkaufsverhalten herausgearbeitet. Dabei wurde ein agglomeratives Verfahren angewendet, d. h. es wurde zunächst ausgehend von einem Fall untersucht, welche anderen Fälle diesem bezüglich des Einkaufsverhaltens und der Einkaufsorientierung ähneln und welche sich besonders stark unterscheiden.
Ausgehend von diesen sechs Orientierungen, die als Sinnzusammenhang innerhalb des jeweiligen Typs angesehen werden können, wurden weitere Verhaltensweisen und Begründungen innerhalb und zwischen den Typen verglichen, um weitere Ähnlichkeiten und Unterschiede festzustellen. Hierfür wurden auch Merkmale der Lebenslage und der Wohnort aufgenommen. Dadurch kam es zur entgültigen Typenbildung36. Die Charakterisierung der Typen erfolgte anhand der zentralen Einkaufsorientierungen, wobei teilweise weitere Aspekte aufgenommen wurden.
29 Projektseminar „Ökologieorientiertes Einkaufsverhalten in unterschiedlichen Berliner Wohngebieten“ am Geographischen Institut der HU Berlin im Sommersemester 2003 mit 18 TeilnehmerInnen
30 Zum Befragungsdesign und dem Fragebogen fand ein Beratungsgespräch mit einer Mitarbeiterin der ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen) statt (Dr. Beatrice Rammstedt, 14. April 2003). Darauf hin fand vor allem eine sprachlichen Präzisierungen bei einigen Fragen statt.
31 Dabei wurde in den Einfamilienhausgebiete von einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 3 Personen ausgegangen, in den anderen Gebieten von 2 Personen, was der durchschnittlichen Haushaltsgröße in Berlin entspricht.
32 Hoffmeyer-Zlotnik Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P. (1997): Random-Route-Stichproben nach ADM, Gabler, Siegfried und Hoffmeyer-Zlotnik, Jürgen H.P., Stichproben in der Umfragepraxis, Seite 33-42, Westdeutscher Verlag, Opladen. gibt als Höhe des Ausfalls bei diesem Vorgehen circa ein Drittel der Haushalte an. Da in Großstädten mit etwas höheren Ausfallquoten Schnell, Rainer (1997): Nonresponse in Bevölkerungsumfragen: Ausmaß, Entwicklung und Ursachen, Leske + Budrich, Opladen. zu rechnen ist, wurde zur Festlegung des Stichprobenvorgehens von einer Teilnahmequote von 50 % ausgegangen. Mit Hilfe dieser beiden Abschätzungen konnte berechnet werden, jeder wievielte Haushalt ausgewählt werden musste. Da die angenommene Teilnahmequote sich jedoch für einige Gebiete als deutlich zu hoch erwies, kam es zu einer Anpassung der Begehungspläne.
33 Dabei wird je nach dem Wert des Korrelationskoeffizienten die Korrelation als sehr gering (r bis 0,2), gering (r bis 0,5), mittel (r bis 0,7), hoch (r bis 0,9) oder sehr hoch (r > 0,9) gesprochen Bühl, Achim und Zöfel, Peter (2002): SPSS 11. Einführung in die moderne Datenanalyse unter Windows., Pearson, München. .
34 Lehrgang Interview- und Gesprächsführung im März 2003 an der Humboldt Universität zu Berlin (Abteilung Berufliche Weiterbildung).
35 Der narrative Teil der Interviews stellte bei einigen Interviewten ein Problem dar, da die Interviewten nicht zum ausführlichen Erzählen bereit waren. Dadurch entstand eine Frage-Antwort-Situation, wodurch weniger eigene Akzente durch die Interviewten gesetzt werden konnten.
36 In der qualitativen Forschung stellt ein wichtiges Merkmal einer Typologie neben einer hohen Homogenität der Typen aufgrund gemeinsamer Merkmalsausprägungen auch die Erklärung des Sinnzusammenhangs innerhalb eines Typs dar Kluge, Susanne (1999): Empirisch begründete Typenbildung. Zur Konstruktion von Typen und Typologien in der qualitativen Sozialforschung, Leske+Budrich, Opladen. .
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