8 Schlussfolgerungen und Ausblick

↓334

Im Folgenden werden zunächst die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammenfassend dargestellt. Anschließend erfolgt eine kritische Würdigung dieser Ergebnisse sowie der verwendeten Methoden. Die Handlungsempfehlungen für verschiedene Akteursgruppen münden in einem Ausblick auf die potenziellen Auswirkungen der Veränderungen im Einzelhandel für die Umweltauswirkungen des Lebensmitteleinkaufs.

8.1  Zentrale Ergebnisse

↓335

Thema der vorliegenden Arbeit ist die Bedeutung eines nahräumlichen Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln für die Umweltauswirkungen des Lebensmitteleinkaufs in den drei Teilbereichen Produktwahl, Wahl der Einkaufsstätte und Einkaufsmobilität. Die Arbeit ging also der Frage nach, ob räumliche Differenzen des Angebots und des Einkaufsverhaltens existieren und inwiefern das Angebot für die Nachfrage von Bedeutung ist. Darüber hinaus wurden weitere Einflussgrößen sowie der Zusammenhang zwischen den drei Teilbereichen untersucht.

Zur Beantwortung dieser Fragen wurde das Einkaufsverhalten der BewohnerInnen von sechs Berliner Wohngebieten - jeweils zwei innerstädtischen Gebieten mit Blockbebauung aus der Gründerzeit, zwei Großwohnsiedlungen und zwei Einfamilienhausgebieten - mittels einer standardisierten Befragung und qualitativer Interviews untersucht. Ergänzend fand eine Bestandsaufnahme der Einkaufsmöglichkeiten in den Untersuchungsgebieten statt.

Von den untersuchten umweltfreundlichen Lebensmitteln (Produkte aus ökologischem Anbau, aus der Region, aus artgerechter Tierhaltung und mit umweltfreundlicher Verpackung sowie saisonales Gemüse) stehen Bioprodukte und regionale Produkte in der Arbeit im Mittelpunkt, da für diese Angebot und Nachfrage bei mehreren Produktgruppen untersucht wurden.

8.1.1  Räumliche Angebotsdifferenzen

↓336

Zur räumlichen Verteilung des Angebots umweltfreundlicher Produkte existieren in der Literatur keine Ergebnisse. In der vorliegenden Arbeit wurden deshalb empirisch räumliche Angebotsdifferenzen anhand einer Kartierung in den sechs Berliner Untersuchungsgebieten erhoben.

Gebietsvergleich

Der Vergleich der Angebotsstrukturen in den untersuchten Gebieten zeigt, dass räumliche Differenzen bezüglich des Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln bestehen. Die untersuchten Produkte werden besonders häufig in den innerstädtischen Gründerzeitgebieten mit Blockbebauung angeboten. Diese verfügen zum einen über die größte Dichte und Vielfalt an Einkaufsstätten für Lebensmittel allgemein, zum anderen über spezielle Bioeinkaufsstätten. Diese Bioeinkaufsstätten sind nicht nur für das Angebot an Bioprodukten, sondern auch als Einkaufsmöglichkeiten für weitere umweltfreundliche Lebensmittel, insbesondere für regionale Produkte, von Bedeutung.

Eine Untersuchung aller Bioeinkaufsstätten in Berlin zeigt, dass die Konzentration in innerstädtischen Wohngebieten für deren Verteilung typisch ist. Insgesamt ist in Berlin die Dichte an Bioeinkaufsstätten insbesondere in den Gebieten am Stadtrand im Westteil Berlins höher als im Ostteil. Zwischen den Untersuchungsgebieten in West- und Ostberlin konnten bezüglich des Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln jedoch keine einheitlichen Unterschiede festgestellt werden.

↓337

Das nahräumliche Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln befindet sich außerhalb der Gründerzeitgebiete fast ausschließlich in Supermärkten bzw. Verbrauchermärkten. So verfügen die meisten größeren Vollsortimenter zumindest über ein kleines Angebot an umweltfreundlichen Produktalternativen (Bioprodukte, Mehrwegflaschen, Eier aus Freilandhaltung, teilweise regionale Frischwaren). In den Discountern ist das Angebot an umweltfreundlichen Produkten noch geringer als in den Vollsortimentern. Die SB-Warenhäuser, die teilweise ein besonders breites Angebot an Ostprodukten führen, tragen aufgrund ihrer geringen Distributionsdichte nur selten zum nahräumlichen Angebot bei.

Bekanntheit des Angebots

Bezüglich des Angebots ist die Frage der Wahrnehmung der umweltfreundlichen Produkte in den Einkaufsstätten zu berücksichtigen. Deutlich wurde in der vorliegenden Arbeit, dass das Angebot an Bioprodukten im konventionellen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) sehr viel weniger wahrgenommen wird als das in speziellen Bioeinkaufsstätten. So kennen viele KonsumentInnen das Bioangebot in den nahe gelegenen Einkaufsstätten des konventionellen Lebensmitteleinzelhandels nicht. Dagegen sind die Bioeinkaufsstätten vielen KonsumentInnen selbst dann bekannt, wenn sie diese nicht nutzen. Auch halten viele KonsumentInnen Bioeinkaufsstätten aufgrund deren Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln, vor allem Bioprodukten und regionalen Produkten, für besonders umweltfreundlich. Einkaufsstätten des LEH werden zwar ebenfalls zum Teil als umweltfreundlich bewertet, jedoch eher aufgrund der Aspekte Verpackung und Abfall. Sie werden also kaum mit umweltfreundlichen Lebensmitteln assoziiert.

↓338

Differenzen je nach Produkteigenschaft und Produktgruppe

Das Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln unterscheidet sich je nach untersuchter Produkteigenschaft (Herkunft, Anbau, Verpackung) und Produktgruppe (Milch, Eier, Gemüse). Ein gewisses nahräumliches Bioangebot, vor allem an häufig gekauften Frischwaren, existiert in allen Untersuchungsgebieten, da auch viele Einkaufsstätten des LEH ein kleines Sortiment an Bioprodukten bereithalten. Allerdings ist das Angebot an Biogemüse sehr gering. Während Milch aus der Region in allen Untersuchungsgebieten gut erhältlich ist, bestehen beim Angebot an regionalem Gemüse deutliche Angebotslücken, insbesondere im konventionellen LEH. Die Angebotsdifferenzen je nach Produkteigenschaften und Produktgruppen schränken die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf das Angebot von anderen umweltfreundlichen Lebensmitteln ein.

8.1.2  Räumliche Differenzen des Einkaufverhaltens

↓339

Untersuchungen zum Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel berücksichtigen bisher räumliche Unterschiede des Kaufverhaltens ebenso wenig wie die räumlichen Angebotsdifferenzen. Lediglich zu den Unterschieden zwischen dem Verhalten der BewohnerInnen Ost- und Westdeutschlands existieren aus der Literatur einzelne Ergebnisse (vgl. Kapitel 2.6). In der vorliegenden Arbeit wurde die Nachfrage der BewohnerInnen der sechs Untersuchungsgebiete nach umweltfreundlichen Lebensmitteln mittels einer quantitativen Befragung erhoben.

Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass beim Kauf von umweltfreundlichen Lebensmitteln für einige Produktalternativen Nachfragedifferenzen zwischen den Untersuchungsgebieten bestehen. Um auszuschließen, dass diese Nachfragedifferenzen lediglich auf Unterschiede der Lebenslage der BewohnerInnen zurückzuführen sind, erfolgte eine Analyse der räumlichen Differenzen des Einkaufsverhaltens mit den Lebenslagemerkmalen als Drittvariablen. Unter Berücksichtigung der Lebenslage bestehen signifikante Unterschiede zwischen den Gebietstypen für den Kauf in Bioeinkaufsstätten, den Kauf von Bioprodukten, den Kauf von Eiern aus Freilandhaltung und von Milch in der Flasche. Aller vier umweltfreundlichen Verhaltensweisen praktizieren am häufigsten die BewohnerInnen der innerstädtischen Gründerzeitquartiere. Dies gilt insbesondere für den Kauf in Bioeinkaufsstätten und den Kauf von Bioprodukten. Bei den regionalen Produkten kann dagegen – unter Berücksichtigung der Lebenslage der BewohnerInnen – kein signifikanter Unterschied zwischen den Gebieten festgestellt werden.

8.1.3  Zusammenhänge zwischen Angebot und Produktwahl

↓340

Nachdem bisher gezeigt wurde, dass zwischen den unterschiedlichen Gebietstypen Angebots- und Nachfragedifferenzen bestehen, wird im Folgenden der Frage nachgegangen, inwiefern das nahräumliche Angebot für den Kauf umweltfreundlicher Produkte eine Rolle spielt. Dies wurde zum einen anhand eines Vergleich des Angebots in den unterschiedlichen Untersuchungsgebieten mit dem Kaufverhalten der Befragten untersucht. Zum anderen erfolgte eine Auswertung der Interviews unter diesem Aspekt.

Es kaufen fast ausschließlich die BewohnerInnen der Gründerzeitquartiere regelmäßig in Bioeinkaufsstätten ein. Damit werden diese Einkaufsstätten praktisch nur dort aufgesucht, wo sie nahräumlich vorhanden sind. Auch der Kauf von Bioprodukten, von Eiern aus Freilandhaltung und von Milch in der Flasche findet vor allem in den innerstädtischen Gründerzeitgebieten statt, in denen jeweils das beste nahräumliche Angebot vorhanden ist. Bei den regionalen Produkten bestehen dagegen trotz teilweise deutlicher Angebotsdifferenzen keine Nachfragedifferenzen. Nur durch das Angebot lässt sich also das Kaufverhalten nicht erklären. Auf die Bedeutung weiterer personaler Faktoren wird weiter unten eingegangen.

Die qualitativen Interviews können die Bedeutung des nahräumlichen Angebots für den Kauf von umweltfreundlichen Produkten verdeutlichen. Das Angebot wird von den Interviewten vor allem bezüglich der Bioprodukte thematisiert, bei denen das nahräumliche Angebot sowohl als Restriktion als auch als Disposition benannt wird. Besonders deutlich wird die Bedeutung des nahräumlichen Angebots bei den Personen, die in den letzten Jahren umzogen und am neuen Wohnort andere Verhaltensweisen entwickelten. Im Ergebnis lässt sich also festhalten, dass zumindest für den Kauf von Bioprodukten ein gutes nahräumliches Angebot an umweltfreundlichen Produkten wichtig ist.

↓341

8.1.4  Die Bedeutung weiterer Einflussfaktoren

Für die Verhaltensdifferenzen der Befragten unterschiedlicher Gebiete können neben dem Angebot auch Merkmale der BewohnerInnen oder weitere kontextuelle Faktoren von Bedeutung sein. Als potenzielle Einflussfaktoren für den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel wurden in der vorliegenden Arbeit Lebenslagemerkmale, der Lebensstil, Wissen und Einstellungen erhoben.

Personale Faktoren

Unterschiede zwischen den BewohnerInnen der Untersuchungsgebiete bestehen vor allem bezüglich deren Lebenslage und Lebensstil. Die Lebenslage der BewohnerInnen unterscheidet sich vor allem zwischen den Einfamilienhausgebieten am Stadtrand und den Gründerzeitquartieren in der Innenstadt. Es bestehen nur in geringem Umfang signifikante Zusammenhänge zwischen den Merkmalen der Lebenslage und dem Kauf umweltfreundlicher Produkte, wenn dieser Zusammenhang unter der Kontrolle des Gebietstyps als Drittvariable analysiert wird. Dennoch zeigt sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Bildung der Befragten und dem Biokauf. Bildung wird auch in anderen Studien als wichtiger Einflussfaktor für den Biokauf benannt (vgl. Kapitel 2.4.2). Beim Kauf von Tiefkühlprodukten unterscheiden sich die Personen je nachdem, ob sie in der alten BRD oder der DDR aufwuchsen, wobei die Ostdeutschen mehr Tiefkühlgemüse kaufen. Die Ergebnisse der qualitativen Interviews weisen ebenfalls auf die Bedeutung der Lebenslage hin. Hier spielen für die Einkaufsorientierungen, die das Einkaufsverhalten prägen, vor allem die Haushaltsform und die Bildung eine Rolle.

↓342

Wissen und Einstellungen zeigen einen engen Zusammenhang zum Einkaufsverhalten: So kaufen diejenigen Personen, die über ein hohes alltagspraktisches Wissen zum Kauf von umweltfreundlichen Lebensmitteln verfügen und Pro-Umwelteinstellungen äußern, besonders häufig umweltfreundliche Lebensmittel ein. Umweltschutz ist jedoch nur für wenige KonsumentInnen bei der Wahl der Einkaufsstätte oder beim Kauf von Lebensmitteln besonders wichtig. Auch in den qualitativen Interviews zeigt sich die Bedeutung von Einstellungen für das Einkaufsverhalten. Allerdings ist das Umweltschutzmotiv nur eines von vielen Motiven, die für die Einkaufsorientierungen und damit das Einkaufsverhalten von zentraler Bedeutung sind.

Wissensdefizite

Ein Teil der Befragten verfügt nur unzureichend über das zur Umsetzung umweltfreundlicher Verhaltensweisen beim Lebensmittelkauf notwendige Wissen. Zwar können viele Befragte umweltfreundliche Lebensmittel und Einkaufsstätten benennen, jedoch wird dabei vor allem das Thema umweltfreundliche Verpackung und Recycling in den Mittelpunkt gestellt. Damit liegt der Fokus der KonsumentInnen auf einem aus Umweltsicht wenig relevanten Verhalten. Die Zuordnung von Lebensmitteln zu Bioprodukten bereitet ebenfalls vielen Befragten Probleme. Teilweise werden in den Interviews konventionell angebaute Produkte fälschlicherweise als Bioprodukte bezeichnet. Insbesondere der Direktkauf wird von einigen Interviewten prinzipiell als Biokauf angesehen.

↓343

8.1.5 Zusammenhänge zwischen den drei Teilbereichen des Einkaufsverhaltens: Produktwahl, Wahl der Einkaufsstätte und Einkaufsmobilität

Aufgrund der Verknüpfung der Verhaltensweisen können beim Einkaufen umweltfreundliche Verhaltensweisen in einem Bereich potenziell zu wenig umweltfreundlichen Verhaltensweisen in anderen Bereichen führen. Deshalb wurde in der vorliegenden Arbeit der Zusammenhang zwischen den drei Teilbereichen beim Lebensmitteleinkauf, zu dem in der Literatur kaum Ergebnisse vorliegen, untersucht.

Die Verknüpfung zwischen den Teilbereichen

Die Verknüpfung zwischen den beiden Teilbereichen Einkaufsmobilität und Produktwahl, deren Umweltauswirkungen bekannt sind, können als direkte Verknüpfung, die aufgrund der gemeinsamen Entscheidungssituation besteht, oder als indirekte, der ein gemeinsamer Einflussfaktor zugrunde liegt, auftreten (siehe Kapitel 3.4). Bei der direkten Verknüpfung ist die Wahl der Einkaufsstätte das verbindende Element. Damit stellt das vorhandene Angebot an Einkaufsstätten eine Verbindung zwischen Produktwahl und Einkaufsmobilität dar. Der Frage nach den direkten und indirekten Verknüpfungen wird im Folgenden anhand der Ausdifferenzierung der Verhaltensweisen nachgegangen.

↓344

Allgemein für das Umweltverhalten wird in der Literatur vor allem auf die Diskrepanz zwischen den Bereichen Konsum und Mobilität hingewiesen. In der vorliegenden Arbeit wurden dagegen sowohl innerhalb als auch zwischen den Teilbereichen Zusammenhänge zwischen den Verhaltensweisen herausgearbeitet.

Gruppen ähnlichen Verhaltens

Spezielle Verhaltensmuster bestehen für jede der acht Gruppen ähnlichen Verhaltens, die anhand des Einkaufsverhaltens mittels Clusteranalyse identifiziert wurden. Tendenziell sind in diesen Gruppen die Personen, die umweltfreundliche Lebensmittel kaufen, auch bei der Verkehrsmittelwahl besonders umweltfreundlich. Dies gilt insbesondere für die BiokäuferInnen. Die Gruppen ähnlichen Verhaltens zeigen außerdem eine Konzentration in bestimmten Gebietstypen, wobei sich vor allem die BewohnerInnen der innerstädtischen Gründerzeitgebiete und der Einfamilienhausgebiete am Stadtrand voneinander unterscheiden. Diese Zweiteilung besteht nicht nur beim Kauf von umweltfreundlichen Produkten, sondern auch bei der Wahl der Einkaufsstätte und der Einkaufsmobilität.

Die BewohnerInnen der Gründerzeitquartiere kaufen besonders häufig in kleinen Einkaufsstätten und innerhalb ihres Wohngebiets ein. Nahräumlich kaufen auch die BewohnerInnen anderer Gebiete mit guten nahräumlichen Einkaufsmöglichkeiten häufig ein. Die Verkehrsmittelwahl unterscheidet sich, wie auch andere Studien zeigen (siehe Kapitel 2.3.3), vor allem je nach Siedlungsstruktur. In den Gründerzeitquartieren nutzen die Befragten besonders häufig die nicht-motorisierten Verkehrsmittel, in den Einfamilienhausgebieten den MIV

↓345

Umwelteinkaufstypen

In der vorliegenden Arbeit wurde eine verhaltensspezifische Typologie anhand der Ergebnisse der qualitativen Interviews entwickelt. Als Umwelteinkaufstypen wurden die kiezbezogenen Umweltorientierten, die familienbezogenen Gesundheitsorientierten, die hedonistischen Qualitätsorientierten, die Preisorientierten, die Preis- und Bequemlichkeitsorientierten und die umweltdistanzierten Ostorientierten identifiziert. Die unterschiedlichen Einkaufsorientierungen zeigen eine große Relevanz für die Verknüpfung zwischen den drei Teilbereichen beim Einkaufen. Dies wird im Folgenden anhand der Unterschiede bezüglich des Interesses an umweltfreundlichen Lebensmitteln, der Anforderungen an die Einkaufsstätten und der Distanzempfindlichkeit dargestellt.

Ausdifferenzierung der Anforderungen an ein nahräumliches Angebot

↓346

Prinzipielles Interesse an Bioprodukten äußern alle Interviewten außer den Ostorientierten, jedoch stellt für die Bequemlichkeits- sowie Preisorientierten der Preis der Bioprodukte die zentrale Barriere dar, so dass diese auch mit einem besseren Angebot kaum als BiokäuferInnen zu gewinnen sind. Dagegen kaufen die Umweltorientierten, die Gesundheitsorientierten und die Qualitätsorientierten bereits Bioprodukte.

Sowohl die Gesundheitsorientierten als auch die Umweltorientierten greifen also auf das spezielle Angebot von Bioeinkaufsstätten zurück, das im LEH kaum vorhanden ist. Gesundheitsorientierte und Qualitätsorientierte kaufen gerne Bio im LEH, haben dabei jedoch unterschiedliche Ansprüche an die Art der Warenplatzierung.

↓347

An regionalen Produkten zeigen fast alle Interviewten großes Interesse. Allerdings steht diesem Interesse in allen Gebieten nur ein geringes Angebot gegenüber. Lediglich Bioeinkaufsstätten und einige Wochenmärkte, beide vor allem in den Gründerzeitgebieten zu finden, bieten ein etwas umfangreicheres Angebot. Wochenmärkte sind bei vielen Interviewten besonders beliebt.

8.1.6 Umgang mit Angebotslücken

Insbesondere die Frage, ob das Fehlen eines gut erreichbaren Angebots zu einer Verlagerung, also dem Kauf anderer Produkte, oder einer Kompensation, d. h. dem Kauf der gewünschten Produkte in weniger gut erreichbaren Einkaufsstätten, führt, wird durch die Einkaufsorientierungen beeinflusst.

↓348

Bereits die Ergebnisse der quantitativen Befragung zeigen, dass weite Wege vor allem für den Kauf in besonders billigen und teilweise großen Einkaufsstätten zurückgelegt werden, nicht aber für den Kauf in Bioeinkaufsstätten oder anderen kleinen Einkaufsstätten. Allerdings geben von den Personen, denen der Kauf von umweltfreundlichen Produkten besonders wichtig ist, viele ihre prinzipielle Bereitschaft dazu an, weite Wege für den Kauf von umweltfreundlichen Produkten zurückzulegen.

Die qualitativen Interviews zeigen, dass insbesondere preisorientierte Personen wenig distanzempfindlich sind. Für den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel werden teilweise weitere Wege zurückgelegt. So sind die Ostorientierten bereit, für Ostprodukte weitere Wege zurück zu legen, die Gesundheitsorientierten berichten von speziellen Situationen (Allergien, Ernährung von kleinen Kinder) in denen sie gelegentlich für den Kauf in Bioeinkaufsstätten weite Strecken zurück legten. Insgesamt sind dies eher Ausnahmefälle, die Produkte werden dabei nicht aus Umweltschutzmotiven gekauft. Gerade die Umweltorientierten sind sehr distanzempfindlich, weshalb von ihnen beim Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel eher eine Verlagerung als eine Kompensation zu erwarten ist. Damit kann die Vermutung, dass für den Kauf von umweltfreundlichen Produkten besonders weite Wege zurückgelegt werden (vgl. Kapitel 2.5) allgemein nicht bestätigt werden. Dies bekräftigt die Bedeutung eines nahräumlichen Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln für deren Kauf.

8.2 Kritische Würdigung der Ergebnisse und Methoden

↓349

Im Folgenden wird zunächst der Frage nach der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse und deren theoretischem Ertrag nachgegangen sowie der weitere Forschungsbedarf dargestellt. Anschließend erfolgt die Diskussion zu der Eignung von Vorgehensweise und Methoden.

Kritische Würdigung der Ergebnisse

Inwiefern sich die Ergebnisse zu Angebot und Nachfrage auf andere Wohngebiete oder Städte übertragen lassen, kann nicht abgeschätzt werden. Dennoch lässt sich die Erkenntnis, dass das nahräumliche Angebot für die KonsumentInnen beim Kauf von umweltfreundlichen Lebensmitteln eine wichtige Restriktion oder Disposition darstellen kann, wohl auch auf andere Gebiete oder Städte übertragen. Bezüglich einer Übertragbarkeit auf andere Produkte zeigen die Ergebnisse der Arbeit, dass sich sowohl Angebot und Nachfrage als auch die Einflussfaktoren für deren Kauf je nach Produkt unterscheiden. Die Ergebnisse bezüglich der räumlichen Differenzen von Angebot und Nachfrage sowie der Einflussfaktoren sind also produktspezifisch und können nicht direkt auf andere Produkte übertragen werden.

Bezüglich der Ergebnisse zum Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln stellt sich die Frage, ob diese angesichts der derzeitigen Veränderungen im Lebensmitteleinzelhandel sowie der wachsenden Bedeutung von Bioprodukten noch aktuell sind. Im Zuge des Strukturwandels im Lebensmitteleinzelhandel (siehe Kapitel 2.2.2) sind auch Veränderungen bezüglich des nahräumlichen Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln zu erwarten, da die unterschiedlichen Betriebsformen nicht im gleichen Maße umweltfreundliche Lebensmittel anbieten. Veränderungen lassen sich auch konkret für die Untersuchungsgebiete seit dem Zeitpunkt der Kartierung feststellen102. Die Zahl größerer und discount-orientierter Einkaufsstätten (SB-Warenhaus, Discounter), insbesondere an auto-orientierten Standorten, nahm zu. Parallel dazu schlossen Supermärkte, die bisher häufig als Nahversorger fungierten. Tendenziell bleiben also von den Einkaufsstätten des LEH die Discounter – eher an auto-orientierten Standorten - als Nahversorger übrig, ergänzt durch das umfangreiche Angebot der SB-Warenhäuser mit einer geringeren Distributionsdichte. Aufgrund des Strukturwandels im Lebensmitteleinzelhandel verschlechtert sich das nahräumlichen Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln derzeit - zumindest in den Gebieten, in denen sich dieses Angebot auf den LEH beschränkt. Denn von den Einkaufsstätten des LEH bieten bisher am ehesten die Super- und Verbrauchermärkte ein nahräumliches Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln. Während eine Ausweitung des Bioangebots im LEH stattfand, insbesondere durch das zunehmende Engagement der Discounter, gilt dies nicht für andere umweltfreundliche Lebensmittel, beispielsweise Produkte aus der Region. Außerdem ist das Bioangebot der Discounter nach wie vor geringer als in den Vollsortimentern.

↓350

Neben den Veränderungen im LEH sind auch diejenigen des Naturkosteinzelhandels zu berücksichtigen. Hier findet derzeit vor allem eine Zunahme an Biosupermärkten statt. Allerdings eröffnete weder in einem der Untersuchungsgebiete noch in deren unmittelbarer Umgebung seit der Kartierung ein Biosupermarkt, so dass diese bisher nicht zu einer Veränderung des nahräumlichen Angebots in den untersuchten Gebieten beitragen. Insgesamt ist also eher von einer Zunahme des Angebotsdefizits außerhalb der Gründerzeitgebiete auszugehen.

Die räumlichen Differenzen bei Angebot und Nachfrage verdeutlichen, dass auch in der sozialwissenschaftlichen Umweltforschung die jeweiligen nahräumlichen Gelegenheitsstrukturen sowie allgemeiner eine räumlich differenzierte Betrachtung des Verhalten sinnvoll ist. Insbesondere für eine Verringerung von Angebotsbarrieren ist das Wissen über deren räumliche Differenzen relevant. Die mangelhafte Datenlage zur räumlichen Verteilung von Bioeinkaufsstätten zeigt, dass bezüglich deren Untersuchung eine Forschungslücke besteht. Bioeinkaufsstätten haben jedoch in der geographischen Handelsforschung bisher keine spezielle Berücksichtigung gefunden. Die vorliegende Arbeit kann als ein erster Schritt in diesem Forschungsfeld gesehen werden. Weitere Untersuchungen zu Bioeinkaufsstätten erscheinen von besonderem Interesse, da der Naturkosteinzelhandel derzeit einen Strukturwandel erlebt und durch den Einstieg von Handelsunternehmen des konventionellen Lebensmitteleinzelhandels in den nächsten Jahren weitere Veränderungen auf dem Naturkostmarkt zu erwarten sind.

Die reduzierte Wahrnehmung der Eigenschaften von Einkaufsstätten durch KonsumentInnen (vgl. Kapitel 3.1) konnte bezüglich des Angebots an umweltfreundlichen Produkte bestätigt werden. So zeigt die vorliegende Arbeit, dass der LEH sich bisher in der Wahrnehmung vieler KonsumentInnen nicht als Einkaufsmöglichkeit für umweltfreundliche Lebensmittel etablieren konnte.

↓351

Die festgestellte enge Verknüpfung zwischen den drei Teilbereichen des Einkaufsverhaltens, Produktwahl, Wahl der Einkaufsstätte und Einkaufsmobilität, ist aus Sicht der Umweltverhaltensforschung, in der vor allem Differenzen zwischen den Bereichen Konsum und Mobilität betont werden, überraschend. In der geographischen Handelsforschung und der Konsumforschung dagegen werden die direkten Verknüpfungen zwischen den drei Teilbereichen thematisiert. Allerdings werden dort die indirekten Verknüpfungen, denen unter anderem eine Umweltorientierung zugrunde liegen kann, nicht berücksichtigt. Das Konzept der Kompensation und Verlagerung eignete sich zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Produktwahl und Einkaufsmobilität. Bisher wird in der geographischen Handelsforschung vor allem die Bedeutung des Preiskaufs für die Einkaufsstättenwahl thematisiert. Daneben haben jedoch auch andere Einkaufsorientierungen für das räumliche Einkaufsverhalten von Bedeutung.

Die Umwelteinkaufstypen zeigen, dass bei der Betrachtung der Umweltauswirkungen des Einkaufsverhaltens nicht nur allgemeine Einkaufsorientierungen (Preis, Qualität, Bequemlichkeit) relevant sind. Zusätzlich konnten die Orientierungen am Umweltschutz, an der Gesundheit und am Kauf von Ostprodukten als wichtige Einkaufsorientierungen identifiziert werden. Es lässt sich nicht ausschließen, dass neben den ermittelten zentralen Einkaufsorientierungen bei einer anderen Personengruppe weitere Einkaufsorientierungen relevant sein können. Insbesondere die unterschiedlichen Ansprüchen der KonsumentInnen an das Angebot umweltfreundlicher Lebensmittel sind allgemein für die Entwicklung von Handlungsempfehlungen von Interesse.

Kritische Würdigung der Methoden

In der vorliegenden Arbeit wurden Gelegenheitsstrukturen und das Umweltverhalten beim Lebensmittelkauf mittels einer Kombination aus qualitativen und quantitativen Methoden untersucht.

↓352

Die Kartierung der Gelegenheitsstrukturen ermöglichte die Feststellung von räumlichen Angebotsdifferenzen und damit - in Kombination mit der Befragung - den Vergleich von Angebot und Nachfrage in bestimmten Gebieten. Dabei eignete sich die detaillierte Erhebung des Angebots an umweltfreundlichen Lebensmitteln auch, um Differenzen zwischen unterschiedlichen Produkteigenschaften und Produktgruppen aufzuzeigen.

Mittels der quantitativen Befragung konnten räumliche Nachfragedifferenzen aufgezeigt werden. Insofern erweist sich der Ansatz, unterschiedliche Gebiete zu vergleichen, als erfolgreich. Die räumliche Verteilung bestimmter Verhaltenskombinationen und deren Bedeutung in der Bevölkerung konnten anhand der Gruppen ähnlichen Verhaltens aufgezeigt werden, die auf der Grundlage der Daten der Befragung gebildet wurden. Die detaillierte Erhebung des Kaufs umweltfreundlicher Lebensmittel führte zu einer Vielzahl an fehlenden Angaben und zeigte damit die Unsicherheiten der Befragten bezüglich der Bestimmung von Bioprodukten. Diese Unsicherheiten werden dagegen in anderen Befragungen zum Biokauf, in denen das Kaufverhalten allgemeiner erhoben wird, nicht herausgearbeitet. Die Frage, welche Faktoren die Unterschiede beim Umweltverhalten zwischen den Gebieten beeinflussen, konnte jedoch anhand der Ergebnisse der quantitativen Befragung nicht beantwortet werden. Lediglich erste Hinweise darauf wurden identifiziert. Dies lag zum einen an den geringen Fallzahlen, vor allem in einzelnen Untersuchungsgebieten. Zum anderen liegt dahinter jedoch auch ein prinzipielles Problem der Untersuchungsmethode, da die untersuchten Einflussfaktoren, insbesondere Lebensstil, Lebenslage und Wohngebiet, miteinander wiederum verknüpft sind. Auch die Selektivität der Wohnmobilität, also dass Personen sich bewusst für bestimmte Wohngebiete - eventuell auch aufgrund der dortigen Gelegenheitsstrukturen – entscheiden, macht die Aufteilung in einzelne Einflussfaktoren schwierig.

Um die Bedeutung der unterschiedlichen Restriktionen und Dispositionen darzustellen, wurden deshalb ergänzend zur Befragung qualitative Interviews durchgeführt. Es zeigt sich, dass häufig nicht einzelne Einflussfaktoren sondern deren Zusammenspiel für das Verhalten von Bedeutung sind. Insbesondere die Bedeutung unterschiedlicher Einkaufsorientierungen sowie deren Zusammenhang mit der Lebenslage zeigen die qualitativen Interviews. Deren Ergebnisse verdeutlichen außerdem die Ausdifferenzierung der Verhaltensweisen der KonsumentInnen. Auch der Zusammenhang zwischen den Teilbereichen konnte insbesondere mit Hilfe der qualitativen Interviews herausgearbeitet werden. Damit ergänzen sich die qualitative und quantitative Erhebung insgesamt gut.

8.3 Handlungsempfehlungen und Ausblick

↓353

Auf der Grundlage der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit werden im Folgenden Handlungsempfehlungen an Politik, Planung und den Einzelhandel entwickelt, die zu einer Verringerung der Angebotsbarrieren für den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel führen können. Neben Defiziten beim Angebot zeigen sich in der Arbeit auch Wissens- bzw. Informationsdefizite seitens der KonsumentInnen.

8.3.1  Informations- und Wissensdefizite

Das Wissen vieler KonsumentInnen zum umweltfreundlichen Verhalten beim Lebensmitteleinkauf ist gering. Damit diese sich aber bewusst umweltfreundlich verhalten können, müssen sie über Informationen verfügen, welche Verhaltensweisen besonders umweltfreundlich sind und wie sie diese umsetzen können. Die Wissensdefizite betreffen zwei Aspekte: Zum einen bestehen weiterhin Probleme beim Erkennen umweltfreundlicher Produkteigenschaften. Teilweise liegt diesem Problem nicht nur das Unwissen der VerbraucherInnen oder eine wenig auffällige Kennzeichnung, sondern ein Fehlen entsprechender Informationen in den Einkaufsstätten zugrunde. Somit fehlt den VerbraucherInnen die Möglichkeit einer bewussten Entscheidung für umweltfreundliche Alternativen. Zum anderen liegt der Fokus vieler KonsumentInnen auf wenig umweltrelevanten Aspekten. Bezüglich einer vergleichenden Bewertung unterschiedlicher Produkteigenschaften fehlt nicht nur den VerbraucherInnen das Wissen, hierzu besteht auch Forschungsbedarf. Dies gilt auch für die Frage, welche Einkaufsstätten besonders umweltfreundlich sind.

Da aufgrund des Informations- und Wissensdefizits umweltfreundliches Handeln seitens der KonsumentInnen behindert wird, besteht also ein Handlungsbedarf seitens der Politik aber auch des Handels. Für die Bioprodukte scheint die Einführung des Bio-Siegels ein wichtiger Schritt hin zu einer leichteren Erkennbarkeit von umweltfreundlichen Produkten zu sein. Probleme, Bioprodukte zu erkennen, bestehen jedoch weiterhin, insbesondere bei der Direktvermarktung, wo Kennzeichen keine so große Rolle spielen. Andere umweltfreundliche Produkteigenschaften (Transport, saisonale Produkte, nicht aus dem Gewächshaus) sind dagegen weniger transparent für die VerbraucherInnen. Seitens der Politik kann dies mittels allgemeiner Informationen zu den Vorteilen bestimmter Produkteigenschaften sowie Anforderung an die Produkttransparenz verändert werden. Aber auch der Handel kann durch umfangreichere Kennzeichnung der Umweltauswirkungen die KonsumentInnen unterstützen, indem er seine Informationen über die Umwelteigenschaften der Produkte aber auch das eigene Umweltschutzengagement ausweitet.

8.3.2 Angebotsdefizite

↓354

Wie in Kapitel 8.1 gezeigt wurde, weist insbesondere das Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln außerhalb der innerstädtischen Gebiete Defizite auf. Dies gilt vor allem für ein breiteres Angebot an Bioprodukten und Produkten aus der Region. So ist das Angebot der größeren Vollsortimenter, auf welche sich das nahräumliche Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln in den Gebieten im äußeren Stadtgebiet weitgehend beschränkt, gering. Zudem findet aufgrund des Strukturwandels im Einzelhandel eine Ausdünnung dieser Einkaufsstätten statt (siehe Kapitel 8.2). Da kaum weite Wege für den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel zurückgelegt werden, schränkt ein fehlendes nahräumliches Angebot den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel bei den interessierten KonsumentInnen ein.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Einkaufsstätten sich eignen, um die Angebotsdefizite – insbesondere am Stadtrand - zu beheben. Ein breiteres Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln könnte zum einen der LEH führen, zum anderen könnten sich mehr spezielle Einkaufsstätten (Bioeinkaufsstätten, Wochenmärkte) dafür etablieren103. Diese Optionen werden im Folgenden vorgestellt und diskutiert.

↓355

Die genannten Einkaufsstätten weisen jeweils spezifische Vor- und Nachteile auf. Ein Angebot an umweltfreundlichen Lebensmitteln im LEH bietet den KonsumentInnen im Vergleich zu den anderen Einkaufsstätten die Möglichkeit, alle gewünschten Produkte an einem Ort zu erhalten. Allerdings könnten auch Bioeinkaufsstätten entweder durch eine räumliche Nähe zu Einkaufsstätten des LEH oder - indem sie wie die natural food supermarkets auch konventionelle Lebensmittel anbieten - ebenfalls den Einkauf aller gewünschten Produkte an einem Ort ermöglichen. Die Bioeinkaufsstätten führen selbst im Vergleich zu engagierten Einkaufsstätten des LEH meist ein umfangreicheres Angebot an Bioprodukten, insbesondere an Produkten für Personen mit speziellen Ernährungsgewohnheiten.

Aufgrund der divergierenden Anforderungen der KonsumentInnen stellen die verschiedenen Angebotsformen nicht unbedingt Alternativen dar, sondern eignen sich für unterschiedliche Zielgruppen. So legen einige KonsumentInnen Wert auf das spezielle Angebot der Bioeinkaufsstätten, andere auf die Möglichkeit, alle gewünschten Produkte in einer Einkaufsstätte zu bekommen. Entsprechend ist also prinzipiell eine Ausweitung des Angebots im LEH ebenso wie die Erhöhung der Dichte spezieller Bioeinkaufsstätten für eine Angebotsverbesserung wichtig.

Hinsichtlich der Frage nach einer Angebotsverbesserung gilt es zu berücksichtigen, dass nicht alle KonsumentInnen im selben Maße Interesse an umweltfreundlichen Lebensmitteln haben (siehe Kapitel 8.1). Während ein Angebot an regionalen Produkten bei vielen KonsumentInnen auf Interesse stößt, gilt dies für ein breiteres Angebot an Bioprodukten nur bedingt, da deren Kauf weitere Barrieren – vor allem deren Preis – entgegen stehen. Dies stellt für eine Verbesserung des Angebots gerade außerhalb der Innenstadtgebiete ein Problem dar, da dort die Bevölkerungsdichten vergleichsweise gering sind.

↓356

Bezüglich einer Verbesserung der Angebotssituation in den Gebieten außerhalb der Innenstadt stellt sich also die Frage, ob die Angebotsbarriere auch durch spezialisierte Einkaufsstätten geringerer Dichte verringert werden kann. Dafür müssen diese prinzipiell für die KonsumentInnen gut erreichbar, attraktiv und bekannt sein. Da in den untersuchten Stadtrandgebieten die meisten Personen bereits heute den MIV zur Erledigung von Lebensmitteleinkäufen nutzen, verfügen sie prinzipiell über eine bequeme Möglichkeit, auch weitere Wege zurückzulegen. Allerdings sind bisher Bioeinkaufsstätten fast nur den BewohnerInnen in deren näherem Umfeld bekannt. Inzwischen werben jedoch einige Biosupermarktketten in Berlin bereits in Medien (Radio, Zeitschriften, Zeitungen), die eine großräumige Bekanntheit dieser Einkaufsstätten ermöglichen können.

Das Potenzial der großflächigen, weiträumig bekannten Bioeinkaufsstätten, KundInnen in entfernten Stadtvierteln anzusprechen, konnte in einer Studie in den USA festgestellt werden (siehe Kapitel 2.5). Die Ergebnisse dieser Studie weisen jedoch auch auf mögliche Nachteile eines solchen Angebots hin:

↓357

Insgesamt kann also die Etablierung einer geringen Anzahl bekannter Einkaufsstätten mit speziellem Angebot den Kauf umweltfreundlicher Lebensmittel für einen Teil der KonsumentInnen in den Stadtrandgebieten erleichtern. Allerdings stellen großflächige Einkaufsstätten potenziell eine Bedrohung für die bereits existierenden kleinen, spezialisierten Einkaufsstätten dar. Somit könnte es im Zuge der Veränderung der Angebotsstruktur auch in den Innenstadtgebieten zu einer Ausdünnung der Bioeinkaufsstätten kommen. Gerade der derzeitige „Bioboom“, der das Potenzial aufweist, Bioprodukte und deren Einkaufsstätten zu einer größeren Attraktivität zu verhelfen, birgt also gleichzeitig das Risiko einer Zunahme des Verkehrsaufwands für deren Kauf. Entsprechend gilt es, auf gesellschaftlicher Ebene zwischen den Umweltauswirkungen der unterschiedlichen Verhaltensweisen abzuwägen. Um die Umweltauswirkungen der unterschiedlichen Angebotsstrukturen umfassend bewerten zu können, ist eine gemeinsame Betrachtung der unterschiedlichen Teilbereiche des Einkaufens notwendig.

Gerade aufgrund der derzeitigen Veränderungen der Angebotsstrukturen bleibt die Frage nach der Bedeutung der Angebotsbarrieren für den Nichtkauf von umweltfreundlichen Produkten auch in den nächsten Jahren ein spannendes Thema. In der vorliegenden Arbeit konnten Ergebnisse hinsichtlich der derzeitigen Angebotsstruktur in unterschiedlichen Berliner Wohngebieten, dem Kaufverhalten sowie der Bedeutung des Angebots für den Kauf umweltfreundlicher Produkte dargestellt werden. Die Chancen und Risiken neuer Angebotsformen konnten hier jedoch nur angedeutet werden, welche Auswirkungen diese tatsächlich haben, könnte Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.


Fußnoten und Endnoten

102  Seit der Kartierung kam es zur Schließung von Supermärkten (in Rudow, Neukölln, Lichtenberg) - teilweise zugunsten von Discountern-, zum Umzug von Discountern von Standorten innerhalb der Wohngebiete an auto-orientierte Standorte (zwei Discounter in Rudow), sowie zur Eröffnung eines SB-Warenhauses (in der Nähe von Altglienicke). In Köllnische Heide ist der Supermarkt von seinem Standort direkt in der Großwohnsiedlung in ein angrenzendes Gewerbegebiet gezogen. Dort bildet er zusammen mit einem neu eröffneten Discounter ein kleines Einkaufszentrum. Die fußläufige Erreichbarkeit der Einkaufsstätte hat sich dadurch verschlechtert, andererseits ist aber ein nahräumlicher Discounter hinzugekommen.

103  Eine Alternative zu den dargestellten Einkaufsstätten stellen Liefermöglichkeiten dar, die jedoch in der vorliegenden Arbeit, die sich bezüglich des Angebots auf die Erfassung des nahräumlichen Einzelhandels beschränkte, nicht untersucht wurden. Einige ökologisch wirtschaftende Betriebe aus der Region Brandenburg bieten Abonnementsysteme an, bei denen die KonsumentInnen regelmäßig Gemüsekisten geliefert bekommen. Trotz des zusätzlichen Verkehrsaufwands durch die Lieferung kommt eine Untersuchung zu dem Ergebnis, dass diese Gemüseabbonements eine besonders umweltfreundliche Alternative darstellen van Rüth, Petra und Cunningham, Silvia (2000): Nachhaltige Entwicklung durch Veränderung von Produktions- und Konsummustern im Bedürfnisfeld Ernährung: Untersuchung der aktuellen Reichweite und zukünftiger Entwicklungspotentiale der ökologischen Dienstleistung "Gemüseabbonement" in Berlin. Abschlussbericht des Projektes, Berlin. . Daneben bieten auch eine Reihe Bioeinkaufsstätten einen Lieferservice.



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08.12.2006