3 Das Instrument Gender Budget

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Gender Budget ist das finanzpolitische Instrument innerhalb der Gender Mainstreaming-Strategie und Bestandteil ihrer Durchsetzung. Gender Budget bezieht sich zunächst auf die öffentlichen Haushalte, wäre jedoch für Wirtschaft und Privathaushalt in gleicher Weise geeignet.

3.1 Definition und Adaption

Terminologisch durchgesetzt hat sich die parallele Verwendung der Begriffe ‚Gender Budget’ für Ziel und Ergebnis des geschlechterspezifischen Haushalts und ‚Gender Budgeting’ für den Prozess der Einführung und der kontinuierlichen Handhabung des geschlechterspezifischen Haushalts.

Die soeben verwendete wörtliche Übersetzung ins Deutsche, ‚geschlechterspezifischer Haushalt’ und die Varianten ‚geschlechterbezogener’, ‚geschlechterorientierter’ oder ‚geschlechterrelevanter Haushalt’ sind hier wenig gebräuchlich, vielmehr haben sich die Termini ‚geschlechtergerechter Haushalt’ oder ‚geschlechterdemokratischer Haushalt’ geprägt, seltener auch ‚geschlechtersensitiver’ oder ‚geschlechtersensibler Haushalt’, mit stärker zielorientierter Ausrichtung.

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Wie bereits dargelegt anhand der Begriffe ‚Gender’ und ‚Gender Mainstreaming’, adaptiert der deutsche Sprachgebrauch auch hier die internationalen Originalversionen ‚Gender Budget’ und ‚Gender Budgeting’.

Ebenfalls weltweit durchgesetzt hat sich der Terminus ‚Engendering Budgets’. „’Engendering’ drückt aus, dass organisatorisch und analytisch ein Prozess in Gang gesetzt wird, dass Geschlechterverhältnisse zum Thema gemacht werden.“ (Madörin, 2004, S. 24).

Für den Umgang mit öffentlichen Haushalten gilt zunächst: „Geld ist abstrakt. Weder Mann noch Frau sehen ihm an, woher es kommt und wohin es wandert. Am Ende des Jahres ist der Haushalt entweder ausgeglichen oder es gibt einen Überschuss bzw. ein Loch in der Kasse. Sind Schulden männlich? Ist die Staatsquote weiblich? Sind hohe Personalkosten geschlechtergerecht?

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Der neue Ansatz des Gender Budgeting begäbe sich auf einen grundlegenden Irrweg, wenn er sich auf der Makroebene der finanzpolitischen Diskussion über Investitionsquoten oder Zins-Steuer-Relationen verlaufen würde. Auf der Ebene der allgemeinen Haushaltsanalyse sind alle Kennziffern so abstrakt wie das Geld und weitgehend gleichgültig gegenüber qualitativen Aspekten, mithin auch gleichgültig gegenüber dem Kriterium der Geschlechtergerechtigkeit.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 17f.).

Bei eingehender Beschäftigung mit einem Haushalt zeigt sich schnell, dass Auswirkungen und Nutzen keineswegs und bei keinem Ansatz so geschlechterneutral sind, wie es die Positionen und Zahlen suggerieren. „Grundgedanke des Gender Budgeting ist: Es gibt keine geschlechtsneutrale Haushaltspolitik. Denn selbst Politikbereiche wie Wirtschafts- und Verkehrspolitik und innere Sicherheit haben unmittelbare und mittelbare Auswirkungen auf die Ungleichheit der Geschlechter.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 16).

‘Budget’ im Begriff ‘Gender Budgeting’ steht für den öffentlichen Haushalt des Bundes, der Länder und der Kommunen. „In die Analyse werden alle öffentlichen Einnahmen und Ausgaben und die dahinterstehenden politischen Strategien einbezogen: Wer wird zur Kasse gebeten und wer wird gefördert? Welche Prioritäten werden gesetzt? Wo steuert der Staat und wo überlässt er es dem freien Markt? Im Haushalt spiegelt sich das gesamte Verwaltungshandeln wider. Gender Budgeting ist eine Strategie im Rahmen des Prinzips des ‚Gender Mainstreamings’ in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. ...

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Deshalb verlangt Gender Budgeting auch keinen separaten Haushalt für Frauen, sondern die Einbeziehung der Geschlechterperspektive in alle Phasen und Bereiche von Haushaltspolitik. Die Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit wird zu einer professionellen Querschnittsaufgabe für alle Verantwortlichen in der Verwaltung - Frauen ‚und’ Männer. Mithilfe des Instrumentariums Gender Budgeting werden die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen öffentlicher Einnahmen und Ausgaben auf die soziale und ökonomische Situation von Frauen und Männern gemessen. Durch die Darlegung der entsprechenden Zahlen und Zusammenhänge wird transparent gemacht, was die öffentliche Hand für die Gleichstellung von Frauen und Männern unternimmt. Sie stellen die Grundlage für eine öffentliche Debatte über die zukünftige Prioritätensetzung in den jeweiligen öffentlichen Haushalten dar. An dieser Debatte über eine ausgewogene Verteilung der vorhandenen Ressourcen sollen die Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden. Die geschlechtsdifferenzierte Budget-Analyse erfolgt kontinuierlich und macht damit langfristig den Erfolg von geschlechtergerechter Politik messbar.“ (Erbe, 2003, S. 10f.).

Gender Budgeting beinhaltet, in alle Phasen, also Konzeption, Planung, Umsetzung, Kontrolle und Wirkungsanalyse der haushaltspolitischen Entscheidungsprozesse die Perspektive der Geschlechterverhältnisse einzubeziehen und die Auswirkungen haushaltspolitischer Maßnahmen, d. h. aller öffentlichen Einnahmen und Ausgaben, auf die soziale und ökonomische Situation von Frauen und Männern in unterschiedlichen Lebenslagen zu untersuchen und unter dem Gesichtspunkt möglicher Benachteiligung aufgrund von Geschlechtszugehörigkeit zu bewerten. Die Idee von Gender Budgeting ist, die Auswirkungen von Haushaltspolitik auf die Geschlechterverhältnisse zu berücksichtigen und die Gleichstellung von Frauen und Männern in unterschiedlichen Lebenslagen anzustreben (vgl. Kletzing, 2004, S. 56f.).

In diesem Sinn dient Gender Budgeting als gleichstellungspolitisches Steuerungsinstrument.

3.2 Herkunft und Verbreitung

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Im vorangegangenen Kapitel wurde das Gender Budget als Bestandteil und finanzpolitischer Aspekt des Gender Mainstreaming identifiziert. In diesem gleichstellungspolitischen Kontext ist es systemtheoretisch verortet und auch instrumentell angesiedelt.

Dieser prozessuelle Rahmen darf jedoch den Blick nicht verengen und Gender Budget eindimensional als Baustein verwaltungsreformerischer Bemühungen relativieren und somit gegebenenfalls marginalisieren. Auch hier wie bereits bei den Gender-Trainings in Kapitel 2.3.3 liegen die Wurzeln tiefer und gehen auf eine differenzierte und mühevolle Entstehungsgeschichte innerhalb der internationalen Entwicklungspolitik zurück. „Seinen Ursprung hat das Konzept des Gender Budget in der Entwicklungstheorie und -politik, wo seit Mitte der achtziger Jahre kontrovers über Effektivität und Effizienz sowie verteilungspolitische Aspekte marktliberaler Entwicklungsstrategien diskutiert wird. Die sozialen Kosten der von den Washington-Institutionen (Weltbank und Internationaler Währungsfonds) durchgesetzten Strukturanpassungsmaßnahmen in den Ländern der Dritten Welt werden immer offensichtlicher, so dass sich die Frage stellt, ob eine restriktive Fiskalpolitik und die Liberalisierung der Märkte schwerwiegendere Konsequenzen für Frauen als für Männer haben ... Auch wird die Hypothese untersucht, ob Männer und Frauen in unterschiedlichem Maße zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum und damit zur Wirtschaftsentwicklung beitragen, weil sich das Konsumverhalten von Haushalten bzw. das Investitions- und Exportverhalten von (Klein- bzw. Kleinst-) Unternehmen danach unterscheiden kann, ob Haushaltsvorstand bzw. Unternehmer männlich oder weiblich sind ... In der entwicklungspolitischen und -theoretischen Debatte setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die Verbesserung der Wohlfahrtswirkungen sowie der Wachstums- und Verteilungswirkungen entwicklungspolitischer Maßnahmen auch von der Berücksichtigung bestehender geschlechtsspezifischer Unterschiede (etwa hinsichtlich des Zugangs zu Güter- und Faktormärkten oder der Möglichkeit zur Bildung von Humankapital ...) sowie unterschiedlicher Auswirkungen öffentlicher Ausgaben auf Frauen und Männer abhängt.

Gender Budgets wurden ursprünglich als ein zentrales Instrument zur Integration dieser Aspekte in die Haushaltspolitik von Entwicklungsländern entwickelt.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 136f.).

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In den 1990er Jahren hat das Konzept des Gender Budget Eingang in die feministischen wirtschaftspolitischen Debatten der westlichen Industrieländer gefunden. „Die 189 Staaten, die im Jahr 1995 an der Weltfrauenkonferenz in Peking teilnahmen, vereinbarten die regelmäßige Analyse der staatlichen Hauhalte aus einer Geschlechterperspektive. Generelle Zielsetzung solcher unter dem Überbegriff ‚Gender Budgets’ zusammengefasster Ansätze ist dabei die Identifizierung unterschiedlicher Auswirkungen öffentlicher Einnahmen und Ausgaben auf die soziale und ökonomische Situation von Männern und Frauen und - wo erforderlich - eine entsprechende Umstrukturierung der öffentlichen Haushalte. Sieben Jahre nach diesem Übereinkommen gibt es in Deutschland nach wie vor keine offiziellen Initiativen zu dessen Umsetzung. Erst allmählich werden in den Geisteswissenschaften, noch zögerlicher in den Wirtschaftswissenschaften, die aus dem angelsächsischen Ausland vorliegenden Beiträge zu den theoretischen Grundlagen und der praktischen Anwendung des Gender-Budget-Konzepts rezipiert ...“ (Schratzenstaller, 2002, S. 133).

Und eine weitere Quelle zur internationalen Herkunft des Gender Budgeting und zum verspäteten Interesse der Deutschen: „Bemerkenswert ist die weltweit nahezu uneingeschränkt positive Einschätzung von Gender Budgeting als Chance, Geschlechtergerechtigkeit herzustellen. Die Hoffnung ist groß - darauf deutet zumindest die Gründungswelle so genannter ‚Gender Budget-Initiativen’ seit Mitte der 1990er Jahre hin. Die internationale Popularität von Gender Budgeting ist maßgeblich auf die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) und die finanzielle sowie die konzeptionelle Unterstützung von Gender Budget-Initiativen in den Ländern des Südens durch bilaterale Geberorganisationen zurückzuführen. Diese Initiativen erleben international einen enormen Zuspruch und existieren indessen in über vierzig Ländern. In den vergangenen Jahren fand Gender Budgeting seinen Weg allmählich nach Europa - und ganz langsam auch nach Deutschland.“ (Çağlar, 2004, S. 124).

Ginge es nur um Geschlechtergerechtigkeit, so wäre wohl der zu verzeichnende Zuspruch zu diesem Konzept nicht so universell und flächendeckend. Frühe Erfolge in den Herkunftsländern machen das Prinzip interessant und versprechen Lösungsansätze auf makroökonomischer Ebene: „Vor allem Frauen aus der südlichen Hemisphäre stellten 1995 auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking praktische Erfahrungen mit Gender Budgeting vor, die sie aus der Not ihrer in der Schuldenfalle steckenden Länder und einer ungetrübten ökonomischen Anspruchshaltung heraus zur Armutsbekämpfung entwickelt haben. Bei der Folgeveranstaltung im Jahr 2000 in New York wurde Gender Budgeting als ‚die’ Innovation allen Staaten als Teil der Gender-Mainstreaming-Prozesse empfohlen.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 16).

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Die Quellen konzedieren, dass die Gender Budget-Analyse als Element des Gender Mainstreaming gesehen werden kann, „jedoch hat Gender Budgeting eine eigene Geschichte und entsprechend einen eigenen Diskurs. Vor allem auf der Ebene nationaler Staatshaushalte haben sich gegen Ende der 90er Jahre eine Vielzahl von Gender-Budget-Initiativen gebildet, so zum Beispiel in Australien, Südafrika, Kanada und Tansania ... Heute bestehen in über 40 Ländern weltweit Budgeting-Initiativen in unterschiedlicher Form ... In Deutschland steckt eine Umsetzung von Gender-Budgeting - im Gegensatz zu Gender Mainstreaming - noch in den Kinderschuhen ...

Ein Diskussionsstrang, der hier am Anfang stand und der wesentlich dazu beitrug, dass Gender auf Meso- und Makroebene thematisiert und analysiert wurde, war die feministische Kritik an Strukturanpassungsmaßnahmen. Die Ökonomin Diane Elson zeigte, wie durch Einsparungsmaßnahmen Kosten dadurch externalisiert werden, dass Regierungen Arbeit und damit Kosten in die Sphäre des Privaten, der ‚Care-Ökonomie’ abwälzen, was sie dann als Einsparung innerhalb des Staatshaushaltes verbuchen ... Diese ‚Kosten’ sichtbar zu machen, ist vorrangiges Ziel von Gender-Budget-Analysen. ...

Um eben diese Care-Ansätze gibt es seit den 80er Jahren erhebliche Auseinandersetzungen ... , die zu einem Care-Konzept führen sollen, das eben nicht ohne weiteres mit der Kategorie ‚Frauen’ in Verbindung gebracht wird.“ (Frey, 2003, S. 121).

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Neben der immer wieder genannten frühen australischen Initiative seit 1984 sind die meisten Aktivitäten seit Mitte der 1990er Jahre entstanden, so zum Beispiel auch „Analysen dreier Staaten ... , die sich freiwillig seit 1996 für Pilotprojekte der Gender-Budget-Initiative unter Führung des Commonwealth-Sekretariats zur Verfügung stellten: Südafrika, Sri Lanka und Barbados“ (Elson, 2002, S. 18).

Gerade die Bemühungen der Commonwealth-Länder um Gleichberechtigung und ‚non-discrimination’ reichen bis ins Jahr 1971 zurück (vgl. Budlender, 2002, S. 7).

„Rahmenbedingungen und Prioritäten von Gender Budgets in Entwicklungsländern sind allerdings anders als in Industrieländern. Während Initiativen in Westeuropa, Nordamerika und Australien auf den wachsenden Druck auf die wohlfahrtsstaatlichen Institutionen reagieren, stehen in Entwicklungsländern der Zugang zu Land, Krediten und Technologie, die Verbesserung der Situation von Frauen in der informellen Ökonomie sowie die negativen Auswirkungen von Strukturanpassungsmaßnahmen im Mittelpunkt ...

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Insbesondere in der Entwicklungspolitik wird darüber hinaus seit einigen Jahren an der Entwicklung von ‚sustainable development budgets’, ‚pro-poor budgets’ oder ‚youth budgets’ gearbeitet.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 137).

Zusammenfassend lässt sich über diese oft jahrzehntelangen Bemühungen sagen: „Die genderrelevanten Erkenntnisse aus der in den 90er Jahren entwickelten feministischen Makroökonomie haben zu der Forderung geführt, stärkeren Einfluß auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik auszuüben. Die ‚Gender-Budget-Initiative’, die 1984 in Australien begann, geht von der Prämisse aus, daß der gesamte Staatshaushalt und seine einzelnen Teile unterschiedliche Auswirkungen auf Frauen und Männer hat. Ziel dieser Initiative ist es, Budgetanalysen nach Geschlecht vorzunehmen, um sicherzustellen, daß Frauen den gleichen Zugang zu den öffentlichen Mitteln haben wie Männer.“ (Young, 2002, S. 5f.).

Die in vielen Teilen der Welt zu unterschiedlichen Zeiten entstandenen Initiativen haben heute definitorisch und politisch eine gemeinsame Ausrichtung: die internationalen Bestrebungen, den Gender-Aspekt in den Mainstream zu integrieren, auch mit Hilfe des finanzpolitischen Instrumentes Gender Budgeting.

3.3 Das Konzept des Gender Budget

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„Der Staat rechnet auf allen Ebenen mit der unbezahlten Arbeit der Frauen. Aber er weist sie nicht in den Budgets als Posten aus: Dies deutlich in die Haushalte zu schreiben, würde schon ein Schritt des ‚gender budgeting’-Prozesses sein. Der andere Schritt ist die Sicherstellung einer neuen, gerechten Umverteilung zumindest der steuerlich gemeinsam von den BürgerInnen zusammengetragenen Ressourcen der Haushalte.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 21).

3.3.1 Die Ziele des Gender Budget

Angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität ist das Ziel die schrittweise Herstellung von Geschlechterdemokratie. Dieser Anspruch eignet sich in einer konsumorientierten Welt bestens für Boulevardpresse und Talkshow: ‚Schön, dass wir darüber gesprochen haben.’ Finanz- und Haushaltspolitiker begegnen dem Thema auch lakonisch: „Gender Budget? - Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, machen wir nicht.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 4).

Diese Einschätzung bestätigt sich bei einem Blick auf die weitere Quellenlage. Die Anzahl der seriösen Publikationen ist überschaubar und kommt überwiegend aus dem angloamerikanischen Raum. Die Gründe hierfür liegen in dem internationalen Ansatz der Thematik und ihrer Herkunft aus der Entwicklungspolitik.

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Im deutschsprachigen Bereich sind es bisher nur wenige Wissenschaftlerinnen, die auf diesem Sektor forschen und publizieren. Die Zunahme der Fundstellen im Internet zeigt jedoch - bei allem Vorbehalt im Hinblick auf die Qualität einzelner Veröffentlichungen - , dass das Interesse wächst, auch in Deutschland.

Ziel und Aufgabe ist es daher zunächst, Bewusstsein zu schaffen, Transparenz herzustellen, Datenmaterial zu erheben und auszuwerten und auf dieser Basis eine Neuverteilung vorzunehmen. „Gerechtigkeit wäre erst hergestellt, wenn eine gerechte Beteiligung von Frauen und Männern an allen Entscheidungen über und Zugang zu materiellen und finanziellen oder materiell bemessenen Ressourcen auf der Welt garantiert ist. Diese Gerechtigkeit in der Ökonomie ist noch herzustellen. Gender Budgeting ist ein Instrument, das diese Gerechtigkeit zumindest über die öffentlichen regionalen, nationalen und internationalen Haushalte herstellen kann, denn diese sind zumindest in demokratischen und transparenten Staaten zugänglich und prüfbar und über die Politik beeinflussbar. Schwieriger wird es sein, den nötigen Einfluss geltend zu machen, um auch die Privatwirtschaften und die globalisierten Märkte in Richtung Geschlechtergerechtigkeit zu verändern.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 21).

Das Autorenpaar konstatiert die gegenwärtige ‚Schieflage: Ein Geschlecht verfügt über alle Ressourcen, auch über Frauen’, und will Gerechtigkeit hergestellt wissen „durch den Akt einer Umverteilung: Umverteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern, von Teil- und Vollzeitarbeit, von Arbeit in Führungspositionen und höheren und gutbezahlten Positionen, durch Ausbezahlung des gleichen Lohns bei gleichwertiger Arbeit, durch gerechten Mitbesitz und Mitverwaltung aller Güter und Ressourcen: Landbesitz, Verfügen über Wasser, Energie, Geld, Aktien, Immobilien, Macht und was sonst dazu gehört durch Frauen. Zudem muss das Prinzip des nachhaltigen Wirtschaftens um- und durchgesetzt werden. ...

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Die wichtigste Funktion der Zwei-Teilung der Geschlechter ist die ökonomische Unterdrückung des einen durch das andere. Wenn die entfällt, kommt die Vielfalt der Menschen noch mehr in den Blick und wird sich vermutlich auf die Volkswirtschaften, den Reichtum der Gesellschaften und Kulturen aber auch den inneren Frieden der Staaten und den Frieden zwischen den Staaten unvorstellbar positiv auswirken.“ (Rapp/Rudel, 2002, S. 22).

Und Gender Budgeting wird explizit als Instrument verstanden, dieses Ziel zu erreichen.

3.3.2 Planungsvoraussetzungen

„Das Gender Budget-Verfahren ist eine geschlechtersensible Analyse der öffentlichen Haushaltspolitik, die Auswirkungen von vorgeschlagenen oder bereits in Kraft getretenen haushaltspolitischen Maßnahmen, Programmen und Gesetzen auf Frauen und Männer bzw. verschiedene Gruppen von Frauen und Männern untersucht und bewertet. Dabei hat sich seit Mitte der achtziger Jahre eine Erweiterung der Perspektive vollzogen: Die ersten wissenschaftlichen und praktisch-politischen Ansätze konzentrieren sich lediglich auf die Analyse der Effekte von öffentlichen Ausgaben auf Frauen, während im Laufe der Zeit der Fokus der Analyse auf unterschiedliche Wirkungen staatlicher Einnahmen und Ausgaben auf Frauen und Männer erweitert wurde.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 134).

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Bereits auf den Planungsprozess wirken also mindestens zwei Grundvoraussetzungen als gegeben ein: der geschlechterübergreifende Ansatz und die vorhandenen, traditionell strukturierten Haushalte. „Sobald die Knochenarbeit einer geschlechtsspezifischen Ausgabenanalyse gemacht wird, beginnt die Auseinandersetzung mit der Beschränktheit bisheriger wirtschaftstheoretischer und -statistischer Konzepte.“ (Madörin, 2004, S. 25).

3.3.2.1 Gender als Charakteristikum

„Gender Budgets haben nach dem United Nations Development Fund for Women (UNIFEM) folgende grundlegende Charakteristika ... : Sie sind keine separaten Haushalte für Frauen oder für Männer, sondern sie konzentrieren sich auf die Verankerung von Geschlechtsbewusstsein in allen Bereichen der Haushaltspolitik auf der nationalen und der lokalen Ebene. Sie fördern die aktive Beteiligung von weiblichen Betroffenen am Haushaltsprozess und überwachen und bewerten öffentliche Ausgaben und Einnahmen aus einer Geschlechterperspektive. Sie unterstützen die effektivere Nutzung von Ressourcen zur Erreichung von Geschlechtergleichheit und Entwicklung. Dabei liegt der Fokus generell eher auf einer anderen Prioritätensetzung bei der strukturellen Zusammensetzung der Ausgaben als auf ihrer allgemeinen Erhöhung.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 134f.).

Geschlechtergerechte Haushalte sind also keine separaten Budgets für Frauen. „Es geht in diesen Initiativen weniger um spezielle Frauen- und Förderungsprojekte, die nur wenige Prozente eines Budgets ausmachen, sondern um den scheinbar geschlechtsneutralen Hauptstrom der Budgetausgaben, der vor allem auf drei Punkte hin überprüft werden soll:

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Wenn Budgets nur darauf hin untersucht werden, wer als Klientin oder als Konsumentin von Dienstleistungen des Staates profitiert, bleiben die wirklichen Auswirkungen auf die Frauen unsichtbar. Daher sind diese Budgetinitiativen ein wichtiges Instrument, um mehr Klarheit über die Verwendung staatlicher Mittel im Sinne der Gleichstellung zu schaffen. Gerade die neue Forderung, alle wesentlichen Entscheidungskriterien von Regierungspolitik und öffentlicher Administration nach Gender-Mainstreaming-Kriterien zu beurteilen, rückt den Blickwinkel der Gleichstellungsfrage immer mehr auf die Budgetpolitik. ...

Das Neue und Brisante an der Idee geschlechtergerechter Haushalte ist, daß sie nicht mehr von einer Expansion der Staatsausgaben sowie einer Förderung von ‚Randgruppen’ ausgeht. Vielmehr soll das ganze Budget sinnvoll und gerecht verteilt werden.“ (Young, 2002, S. 6ff.).

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Diese Charakteristika werden konsensuell von allen Experten betont:

3.3.2.2 Profile öffentlicher Hauhalte

Jeder „Staatshaushalt umfasst die gesamten öffentlichen Einnahmen und Ausgaben und reflektiert somit die politischen Entscheidungen darüber, wie (und somit von wem) die Einnahmen erhoben und für welche Zwecke (und somit für wen) die Ausgaben speziell getätigt werden. Diesen Entscheidungen liegt ein normatives Gesellschaftsleitbild zugrunde, wodurch sowohl die wirtschaftspolitischen als auch die sozialpolitischen Prioritäten determiniert werden. Der Staatshaushalt ist demzufolge nicht einfach nur ein wirtschaftspolitisches Instrument, das dem (technischen und geschlechtsneutralen) Management von öffentlichen Einnahmen und Ausgaben dient. Haushaltspolitische Entscheidungen wirken sich auf die Strukturierung der Gesellschaft, auf das Geschlechterverhältnis und somit auch unmittelbar auf die Lebenssituation von Frauen und Männern sowie Mädchen und Jungen aus. Diese Blickrichtung stellt den Ausgangspunkt für Gender Budgeting dar.“ (Çağlar, 2004, S. 125).

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Jeder öffentliche Hauhalt erscheint zunächst geschlechterneutral. „A budget, on the face of it, appears to be a gender-neutral policy instrument. It is set out in terms financial aggregates - totals, and sub-totals of expenditure and revenue, and the resulting budget surplus or deficit. As usually presented, there is no particular mention of women, but no particular mention of men either. However, this appearance of gender-neutrality is more accurately described as gender-blindness. The way in which the national budget is usually formulated ignores the different, socially determined roles, responsibilities and capabilities of men and women. These differences are generally structured in such a way as to leave women in an unequal position to relation to the men in their community, with less economic, social and political power.” (Budlender/Sharp/Allen, 1998, S. 6).

Für die Beschäftigung mit Gender Budgeting ist es erforderlich, in die vorliegenden Haushaltswerke zunächst Transparenz zu bringen. Die öffentlichen Haushalte sind daher zu unterscheiden in geschlechterblinde, geschlechterneutrale und geschlechter-bewusste Haushalte.


Geschlechter blinder Haushalt

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„Öffentliche Haushalte werden dann als geschlechtsblind bezeichnet, wenn sie die unterschiedlichen, sozial determinierten Rollen und Verantwortlichkeiten von Frauen und Männern und die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung hinsichtlich Familien- und Erwerbsarbeit entweder ignorieren oder zu deren Verfestigung beitragen. Entsprechend haben geschlechtsblinde Budgets nicht-intendierte oder intendierte unterschiedliche Wirkungen auf die Geschlechter.

Werden bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern bei der Ausgestaltung von haushaltspolitischen Maßnahmen nicht beachtet, ergeben sich nicht-intendierte unterschiedliche Effekte für Frauen und Männer. Ein Beispiel hierfür sind Ausgaben für Bildung, die bei geschlechtsspezifischen Differenzen in der Bildungspartizipation Frauen und Männern nicht gleichmäßig zugute kommen.

Intendierte differenzierende Wirkungen treten auf, wenn haushaltspolitische Maßnahmen auf der Grundlage der bestehenden sozialen und ökonomischen Position von Männern und Frauen ausgestaltet werden, ohne existierende Ungleichheiten in Frage zu stellen. Die Festschreibung des Status Quo ist in diesem Fall beabsichtigt. Geschlechtsblind ist etwa das in Deutschland angewendete Verfahren zur Einkommensbesteuerung von Ehepaaren im Rahmen des Ehegattensplitting ... Die Ehegattenbesteuerung in Deutschland orientiert sich nach dem ‚male breadwinner model’, wonach Ehemänner das Haushaltseinkommen komplett oder zum überwiegenden Teil erwirtschaften, während Ehefrauen keine oder nur in geringem Umfang Erwerbsarbeit annehmen. Die ‚Hausfrauenehe’, in der nur der Ehemann erwerbstätig ist, während Haus- und Erziehungsarbeit von der Ehefrau übernommen wird, erfährt die relativ höchste steuerliche Entlastung; der Splittingvorteil nimmt mit einer Verringerung des Abstands zwischen den Erwerbseinkommen beider Ehepartner rasch ab.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 135f.).

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Bemerkenswert ist, dass sich für diese traditionellen öffentlichen Haushalte, die das bestehende Ungleichgewicht der Geschlechter festschreiben, ohne es zu benennen, der Terminus ‚blind’ (geschlechtsblind, geschlechterblind, genderblind) durchgesetzt hat. Diese Haushalte sind - wie dargelegt - keineswegs blind im Hinblick auf die Geschlechter, wohl aber im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit.

Geschlechter neutraler Haushalt

„Geschlechtsneutrale Haushalte sind dadurch charakterisiert, dass sie bestehende strukturelle Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nicht festschreiben oder gar verstärken. Haushaltspolitische Maßnahmen werden so konzipiert, dass ihre Effekte auf Männer und Frauen sich nicht unterscheiden; einseitig Männer oder Frauen begünstigende Maßnahmen werden vermieden. Ein Beispiel für eine geschlechtsneutrale Einkommensbesteuerung ist das Verfahren der vollkommen individualisierten Besteuerung von Ehepaaren, wie es in Schweden als dem einzigen westeuropäischen Land praktiziert wird: Hier sind für Alleinverdiener keinerlei Steuererleichterungen vorgesehen ... Gleichzeitig impliziert ein geschlechtsneutraler Haushalt aber auch, dass eine existierende Ungleichbehandlung der Geschlechter nicht beseitigt wird.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 136).

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Geschlechter bewusster Haushalt

„Geschlechtsbewusste Haushalte (‚gender-sensitive budgets’, ‚gender-aware budgets’, ‚gender budgets’ bzw. ‚women’s budgets’) sind dagegen nicht neutral in dem Sinne, als sie eine Ausgestaltung haushaltspolitischer Instrumente anstreben, die zu einer Verringerung von Ungleichheit zwischen den Geschlechtern beiträgt. So ist etwa die Bereitstellung zusätzlicher öffentlicher Mittel für Kinderbetreuungseinrichtungen ein Beispiel für eine geschlechtsbewusste Maßnahme auf der Ausgabenseite des öffentlichen Haushalts, da Müttern die Aufnahme bezahlter Erwerbsarbeit erleichtert und damit die herrschende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung aufgebrochen wird.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 136).

In diesem Kontext der Ziele und Planungsvoraussetzungen für Gender Budgeting sei erneut auf das Innovationspotenzial dieses Ansatzes hingewiesen.

3.3.2.3 Optimierung des Mitteleinsatzes

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Wie bereits in Kapitel 2.5 zum Gender Mainstreaming als Innovation herausgearbeitet, geht es auch bei Gender Budgeting nicht separat um die Herbeiführung von Gender-Gerechtigkeit, sondern gleichermaßen um die Erzielung ökonomischer Vorteile. „Volkswirtschaftlich und unternehmerisch betrachtet, ist es irrational, die Leistungsfähigkeit von Frauen nicht zu nutzen. Allerdings blockieren die ... sozialen Mängel den ökonomischen Aufstieg von Frauen.

Die Stadt Zürich hat in einer Studie belegt, daß der volkswirtschaftliche Nutzen einer umfassenden Kinderbetreuung die Kosten bei weitem übersteigt: u. a. weil dadurch das Familieneinkommen steigt und damit auch die Kaufkraft. Gleichzeitig kann mehr in die Sozialversicherung eingezahlt werden, bzw. Frauen bauen sich eine eigene Altersversicherung auf. Gut ausgebildete Frauen an den Herd zu schicken verringert die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft und damit deren internationale Wettbewerbsfähigkeit.“ (Young, 2002, S. 5).

Die traditionelle Auffassung, dass Budgets genderneutral sind, „birgt auch die Gefahr, daß wirtschaftliche und soziale Zielsetzungen der Budgetpolitik verfehlt werden. Die systematische Formulierung und Implementierung eines geschlechtergerechten Haushaltes kann dazu beitragen, eine Kosten-Nutzen-Berechnung von ‚public bads’ versus ‚public goods’ innerhalb einer erweiterten Input-Output-Berechnung (inklusive der Versorgungsökonomie) aufzustellen, die den gesamtgesellschaftlichen Nutzen des Budgets berechnen kann. Ein Budget, das Geschlechterverhältnisse berücksichtigt, ist deshalb ökonomisch sinnvoll, weil es damit wirksamer zur ökonomischen und sozialen Entwicklung eingesetzt werden kann.“ (Young, 2002, S. 8f.).

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Die Politikwissenschaftlerin nennt Beispiele, unter anderem aus Großbritannien: „Lange war es so, daß in armen Familien automatisch die Männer als Familienoberhaupt die staatliche Unterstützung bekommen haben, Frauen erhielten eine Zuteilung. Studien haben inzwischen herausgefunden, daß mehr Geld bei den Kindern ankommt, wenn Frauen das Geld direkt in die Hand bekommen. Daraufhin hat die Regierung die Zahlung geändert.“ (Young, 2002, S. 8).

Die britische Soziologie-Professorin Diane Elson bekräftigt dieses Beispiel: „Gender-Responsive-Budget-Initiativen können die Effizienz steigern und dadurch neben Geschlechtergleichheit auch andere Zielsetzungen befördern. Hier zwei Beispiele:

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Um Optimierungsergebnisse beim Einsatz öffentlicher Mittel zu erzielen, müssen zunächst die Potenziale erkannt und ins Bewusstsein geführt werden. „Bleiben bestimmte Bereiche unangetastet, ist es umso schwieriger, Prioritätenverschiebungen im Haushalt zugunsten ... der Verbesserung der Lebenssituation ... durchzusetzen - besonders in Zeiten, in denen das Hauptaugenmerk auf Ausgabenkürzungen und Steuersenkungen liegt. Einflußreiche Lobbys favorisieren andere Prioritätensetzungen, die angesichts finanzieller Einschnitte wahrscheinlich mehr Gewicht haben.“ (Elson, 2002, S. 30f.).

Hieraus ergibt sich die Forderung: “Der erste Schritt in der Auseinandersetzung mit dem Staatshaushalt als Instrument der makroökonomischen Politik besteht darin anzuerkennen, daß makroökonomische Zielvorgaben eine geschlechtsspezifische Dimension aufweisen, die Wachstums- und Produktivitätssteigerungen mit sich bringen kann, und daß dies auch für makroökonomische Aggregate wie Sparguthaben, Kapitalanlagen, Importe, Exporte und das Arbeitskräfteangebot gilt. Entsprechende Forschungen sind auf dem Weg. Überdies beginnen einige Regierungen bereits, gewisse Zusammenhänge zwischen Wirtschafts- und Gleichstellungspolitik zu sehen.“ (Elson, 2002, S. 31).

Aus dem Bereich internationaler Beispiele sei genannt: „So nahm etwa die indische Regierung für das Jahr 2000 ein Kapitel zur Gleichstellung der Geschlechter in ihren Wirtschaftsbericht auf und vermerkte, daß geschlechtergerechte Budgetierung nicht nur Männer und Frauen in den Genuß gleicher Rechte bringt, sondern auch der Wirtschaft eine Effizienzsteigerung beschert: So sei es unter Effizienzgesichtspunkten von Bedeutung, in welchem Ausmaß die in Frauen investierten Mittel zurückfließen; in vielen Fällen funktioniere dieser ‚Rückfluß’ besser als bei Männern.“ (Elson, 2002, S. 31).

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Generalisierend lässt sich der volkswirtschaftliche Nutzen durch Gender Budget wie folgt zusammenfassen: „Erstens eröffnet Chancengleichheit eine neue Perspektive für ökonomische und soziale Politik, bei der Effizienz und Realismus verbessert werden (weg von dem ‚Ernährermodell’) und die Lebensqualität für Frauen, Männer, Kinder erhöht wird. Zweitens steigert Chancengleichheit die Flexibilität der ganzen Gesellschaft, da eine erhöhte Fähigkeit und Anpassung aller Individuen erreicht wird. Durch reduzierte Spezialisierung bzw. Arbeitsteilung in der Partnerschaft bzw. Ehe und weniger Geschlechtersegregation in der Arbeitswelt wird das individuelle und soziale Risiko des Individuums und der Gesellschaft verringert.

Ökonomische Ressourcen und Potentiale sind nicht bei allen Individuen gleich verteilt, da nicht alle die gleichen Ausgangsvoraussetzungen für die Teilnahme am Markt haben. Nur die differenzierte Analyse dieser Ausgangsvoraussetzungen der verschiedenen Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer ermöglicht eine Makroökonomie, die alle Wirtschaftssubjekte einbezieht und effizientes, dauerhaftes sowie sicheres Wachstum schafft. Dabei müssen Kernbegriffe der ökonomischen Analyse wie ‚Produktivität’, ‚Kosten’ und ‚Effizienz’ hinterfragt und neu definiert werden. Ist z B. die Verschiebung der Kosten vom öffentlichen in den privaten Bereich tatsächliche Effizienzsteigerung? Was ist der gesellschaftliche Zugewinn, wenn kurzfristige Kostensenkung langfristige negative soziale Wirkungen nach sich zieht? Warum werden die Bereiche der gesellschaftlichen Reproduktion und Selbstversorgung aus Marktperspektive analytisch vernachlässigt, obwohl sie viel Arbeitskraft und -zeit absorbieren? Die Integration von Gender-Fragen in die Makroökonomie bedeutet ein Umdenken mit dem Ziel, makroökonomische Anreize nicht nur auf die Förderung privater ökonomischer Effizienz auszurichten, sondern auch die soziale Effizienz dieser Anreize zu berücksichtigen und damit anhaltendes ökonomisches Wachstum zu fördern.“ (Kletzing, 2004, S. 62f.).

Die in diesem Kapitel 3.3.2 untersuchten Planungsvoraussetzungen, nämlich Gender als Charakteristikum, Profile öffentlicher Hauhalte sowie bereits vorhandene Erfahrungen und Belege für den volkswirtschaftlichen Nutzen des Gender Budgeting-Prinzips, stellen die Ist-Situation dar. Sie bilden die Grundlage, die ein potenzieller Planungsprozess für Gender Budgeting derzeit vorfindet.

3.3.3 Planungsprozess

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Kernaufgabe jedes Planungsprozesses ist die Festlegung von Kriterien. Die Implementierung und mit ihr die Entwicklung von Instrumenten für Gender Budgeting im deutschsprachigen Raum steckt noch in den Anfängen. „Ein fertiger ‚Werkzeugkasten’ für die Einführung von Gender Budgeting existiert nicht. Es gibt grundsätzliche Überlegungen dazu und Erfahrungen aus anderen Ländern, die in ihrer Anwendbarkeit für den betreffenden Haushalt geprüft werden müssen. Bestehende Instrumente müssen entsprechend angepasst werden.“ (Erbe, 2004, S. 292).

Die Erstellung eines Gender Budget ist „keine rein technische Übung ... , deren Erfolg primär an die Beherrschung und Anwendung einer geeigneten Methodik geknüpft ist. Vielmehr bewegt sich jedes Gender-Budget-Projekt in einem Spannungsfeld konfligierender Interessen der beteiligten Akteure, die die resultierende Auseinandersetzung durch den Einsatz ihrer meist asymmetrisch verteilten Machtmittel für sich zu bestimmen versuchen.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 139). Umso mehr Bedeutung erhält im Vorfeld die Festlegung von beteiligten Personen und Funktionen, von Anwendungsbereich und -umfang sowie von Rahmen und Einbindung des Projektes in Politik und Trägerorganisation.

3.3.3.1 Akteure

Während die Gender Mainstreaming-Initiativen als Top-down-Prozess von Regierungs- und Verwaltungsspitzen angeregt und getragen werden, können Gender Budget-Aktivitäten ebenfalls hier angesiedelt sein, jedoch auch von anderen als regierungsoffiziellen Stellen geplant und durchgeführt werden.

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Vielfach geht die Initiative von Nichtregierungsorganisationen, von unabhängigen Forschungsinstituten oder Frauenverbänden aus. „Als Akteure kommen sowohl die Regierungen respektive Verwaltungen als auch Parlamente und externe Initiativen aus dem Kreis von Interessenverbänden, der Wissenschaft oder von Einzelpersonen in Frage, wobei der Nutzen für Regierungen in der Verbesserung ihrer Leistungen und des internen Managements sowie ihrer Rechenschaft gegenüber dem Parlament und der Öffentlichkeit liegt.

Parlamente und Lobbygruppen nutzen Gender-Budget-Analysen, um Transparenz und Rechenschaft über den Umgang mit öffentlichen Mitteln der Regierungen einzufordern und an der Prioritätensetzung mitzuwirken. Als besonders erfolgreich haben sich diejenigen Initiativen erwiesen, in denen die staatliche Seite und die nichtstaatliche zusammenarbeiten. Während die staatliche Seite den Zugang zu den notwendigen Daten hat, achtet die nichtstaatliche auf die Transparenz und Qualität des Verfahrens und garantiert die öffentliche Debatte.“ (Erbe, 2004, S. 296).

Die Implementierung eines solchen Verfahrens durch die Regierungsspitze betont einerseits die dem Gender Budget zugemessene Bedeutung, „birgt aber andererseits die Gefahr, dass Ziele und Inhalte verwässert und abgeschwächt werden und die Initiative als Ausweis einer geschlechtsbewussten Wirtschaftspolitik vereinnahmt wird, ohne dass konkrete Reformschritte angestrebt und umgesetzt werden. Darüber hinaus kann dies, ebenso wie die Ansiedlung bei einzelnen Ministerien, dazu führen, dass sich die übrigen Ministerien und Behörden aus der Verpflichtung entlassen sehen, selbst im Sinne des Gender Mainstreaming zu agieren.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 140).

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Auch diese kritische Sicht kommt daher zu einer pluralistischen Empfehlung: „Die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen an der Vorbereitung, der Erstellung und der Auswertung von Gender Budgets soll die aktive Einflussnahme von betroffenen BürgerInnen auf die Hauhaltsprozesse ermöglichen. Die Beteiligung dieser Gruppen ist von besonderer Bedeutung, weil sie als Außenstehende Kritik an haushaltspolitischen Maßnahmen der Regierung äußern können, die von dieser selbst nicht zu erwarten ist. Zudem fehlt in Ministerien - besonders in Finanzministerien - meist die erforderliche Expertise zur Bearbeitung von Fragestellungen aus der Geschlechterperspektive … Auch haben Nichtregierungsorganisationen das Potenzial, eine breite Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung für diese Fragestellungen zu betreiben ... Allerdings muss die Frage der demokratischen Legitimation der beteiligten Organisationen oder Einzelpersonen geklärt werden. Eine funktionierende Koordination ihrer Zusammenarbeit mit den regierungsoffiziellen Institutionen bzw. Gremien muss sichergestellt werden, und es sind Mechanismen zu etablieren, die eine tatsächliche Einflussnahme ermöglichen, etwa in Form von Abstimmungsmechanismen.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 140).

Diese Art der Kooperation und aktiven Partizipation wird sich vorrangig auf der lokalen und kommunalen Ebene realisieren lassen. Allerdings darf auch auf dieser Stufe der Kleinteiligkeit das Ziel eines globalen geschlechtergerechten Mitteleinsatzes nicht aus den Augen verloren werden.

3.3.3.2 Wirkungsbereich

Ein weiterer Schritt der methodischen Vorgehensweise ist die Festlegung der untersuchenden wie zu untersuchenden Institutionen. So ist zu entscheiden, ob sich das Gender Budget auf alle föderalen Ebenen, also Bund, Länder und Gemeinden, erstrecken soll oder zunächst auf eine Ebene, einzelne Bereiche oder Projekte beschränkt.

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Ebenso ist vorab zu klären, ob das Gender Budget alle Einnahmen und Ausgaben beinhalten soll oder ob zunächst Teilbereiche analysiert werden. „Auf der Einnahmeseite sind grundsätzlich Steuern (z. B. Einkommen- und Verbrauchssteuern) und Gebühren, die vom privaten Sektor an den Staat zu leisten sind, sowie die öffentliche Kreditaufnahme (insbesondere die Verschuldung auf Bundesebene aufgrund ihres Umfangs) von Bedeutung. Die Ausgabenseite umfasst Ausgaben für öffentliche Investitionen und Dienstleistungen sowie Transferleistungen an den privaten Sektor. Daneben ist zu entscheiden, ob die absoluten Größenordnungen von Einnahmen und Ausgaben oder nur deren jährliche Veränderungen betrachtet werden sollen.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 141).

Die Aussagekraft einer Gender Budget-Analyse wird grundsätzlich beeinträchtigt, „wenn nicht sämtliche Haushalte der Gebietskörperschaften und der Sozialversicherungen auf allen föderalen Ebenen berücksichtigt werden. Viele der theoretischen Beiträge und praktischen Ansätze zu Gender Budgets konzentrieren sich auf die Ausgabenseite öffentlicher Haushalte und vernachlässigen die Einnahmen ...

Die Nicht-Berücksichtigung einer Seite des Budgets birgt jedoch ebenso wie die Beschränkung auf bestimmte Gruppen von Einnahmen oder Ausgaben die Gefahr von verzerrten Einschätzungen der Gesamtwirkung eines Haushalts. So können beispielsweise ausgabenseitige positive Effekte für Frauen, wie etwa Ausgaben für Kinderbetreuungsinfrastruktur, die die Vereinbarkeit von Betreuungs- und Erwerbsarbeit erleichtert, durch einnahmenseitige Wirkungen konterkariert werden, wenn etwa die Nutzung der Kinderbetreuungseinrichtungen an hohe, einkommensunabhängige Gebühren gekoppelt ist.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 141).

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Insbesondere in föderalen Systemen wie dem deutschen, in denen die Gesamtheit der öffentlichen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen nach dem Subsidiaritätsprinzip auf verschiedene Gebietskörperschaften verteilt ist, muss letztendlich eine Analyse der Haushalte sämtlicher föderaler Ebenen vorgenommen werden, um Fehleinschätzungen der Wirkungen bestimmter Maßnahmen zu vermeiden.

Neben den absoluten Einnahmen und Ausgaben sollten die jährlichen relativen Veränderungen bei den einzelnen Haushaltspositionen untersucht werden. Und ferner muss eine Festlegung getroffen werden, ob sich die Analyse ausschließlich auf den laufenden Haushalt bezieht oder ob sie auch bereits abgeschlossene Haushalte sowie die künftige Haushaltsplanung umfassen soll.

All diese Faktoren verstärken die Einflussmöglichkeiten und erhöhen die Aussagekraft. Der Aufwand hierfür ist allerdings ebenfalls erheblich und die bundesdeutsche Realität daher noch weit von einem praktischen Ergebnis entfernt.

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Protagonisten gehen daher die Aufgabe auch eher pragmatisch an: „Da ein öffentlicher Haushalt sehr komplex ist, empfiehlt es sich, einen Teilbereich herauszunehmen und dort mit der Analyse zu beginnen. Auswahlkriterien können der Anteil am Gesamtvolumen, die besondere Relevanz für das Geschlechterverhältnis oder ein von Kürzungen bedrohter Bereich sein. Um zu verdeutlichen, dass kein Haushaltsbereich ohne Genderwirkung ist, kann es auch sinnvoll sein, einen für Gleichstellungsfragen eher untypischen Bereich zu wählen.“ (Erbe, 2004, S. 296).

Es wird sehr aufmerksam zu verfolgen sein, dass dieser Prozess in kleinen Schritten und Teilbereichen bis auf weiteres als das definiert bleibt, was er ist: der Beginn einer Entwicklung, deren Umsetzung es noch bedarf.

3.3.3.3 Rahmenbedingungen

Wie in jedem Planungsprozess sind auch bei der Vorbereitung eines Gender Budget die Rahmenbedingungen für den implizierten Erfolg von grundlegender Bedeutung.

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Neben der vorbereitenden Auswahl und Bestimmung der Akteure sowie der Festlegung des Wirkungsbereiches des zu erstellenden Gender Budget hängt die Durchführung und wirksame Umsetzung in erheblichem Maß von der Verankerung in der Politik, von angemessener Finanzausstattung und begleitender Einbeziehung der Öffentlichkeit ab. Da auch ein Gender Budget-Projekt zunächst als Top-down-Prozess initiiert werden muss, erreicht dieser die Akteure bereits unter der Maßgabe der ‚Chef-Sache’.

Nur die Verankerung in Politik und Verwaltungsspitze, und damit verbunden Impuls, Arbeitsauftrag und Ernsthaftigkeit des Anliegens, bilden das Fundament für die Bereitstellung der erforderlichen Finanzmittel sowie die erwünschte öffentliche Akzeptanz. „Zunächst stellt sich die Frage nach der Finanzierung der beteiligten Akteure. Dass von der Regierung getragene und implementierte Projekte mit genügend Personal und Finanzmitteln ausgestattet werden, ist eine entscheidende Erfolgsbedingung, die - vorsätzlich oder weil die Höhe der erforderlichen Ressourcen unterschätzt wird - durchaus nicht immer beachtet wird ... Ebenso müssen Mittel für die wissenschaftliche Begleitung und Beratung des Gender-Budget-Projektes zur Verfügung gestellt werden.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 142).

In diesem Zusammenhang erforderlich ist die Festlegung, ob und wie die Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Organisationen finanziert wird und welche Auswirkungen auf deren beratende oder gutachterliche Unabhängigkeit öffentliche Gelder haben können, sollen oder aus gegebenem Anlass eher unerwünscht sind.

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Im Umkehrschluss ist daher auch die mangelnde Bereitstellung von Projektmitteln oder die Einschränkung ihrer Verwendung Ausdruck politischer Willensbildung.

Transparenz über den Einsatz solcher Projektmittel wie auch über das beabsichtigte Gender Budget-Verfahren wird erreicht durch frühzeitige und nachvollziehbare Publikation, die ebenfalls zu den planerischen Rahmenbedingungen gehört: „Zeitpunkt und Form der Veröffentlichung von Analysen und Alternativvorschlägen sind von großer Bedeutung für deren Öffentlichkeitswirksamkeit. Was die Form anbelangt, so muss ein Kompromiss zwischen einer möglichst allgemein verständlichen Darstellung und einem Fachtext gefunden werden, der von ExpertInnen aus Politik und Wissenschaft sowie BürokratInnen ernst genommen wird. Dieses Problem lässt sich durch die Veröffentlichung verschiedener Versionen auf unterschiedlichen Ebenen lösen ... Für den Zeitpunkt der Veröffentlichung gibt es zwei - nicht vereinbare - Alternativen: Entweder wird das Gender Budget vor der Verabschiedung des Haushalts, d. h. in der Phase von Planung und Haushaltsdebatte veröffentlicht, so dass seine Resultate bei der Planung und in den Haushaltsdebatten des Parlaments berücksichtigt werden können. Oder es wird zusammen mit dem verabschiedeten Haushalt veröffentlicht, so dass ihm zwar einerseits eine große öffentliche Aufmerksamkeit sicher ist, andererseits die enthaltene Kritik sowie ggf. Alternativen nicht mehr berücksichtigt werden können.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 143).

Des Weiteren zu klären im Kontext der Rahmenbedingungen sind auch die Fragen nach Controlling und Evaluation, also „welche Stellen für die Überwachung und Bewertung der Umsetzung von Alternativvorschlägen zuständig sein sollen. Die Beantwortung dieser Fragen hängt von der generellen Zielsetzung des Gender-Budget-Projekts ab, d. h. ob Alternativen formuliert werden und ob diese dann Eingang in den Haushaltsprozess finden sollen.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 143). Die in der Praxis vorzufindenden Gender Budget-Ansätze umfassen allerdings bisher lediglich die Analyse von Haushalten sowie die Formulierung alternativer haushaltspolitischer Maßnahmen, noch nicht jedoch deren institutionalisierte Einbeziehung in die praktische Haushaltspolitik.

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Zusammenfassend erfordert ein Gender Budget also folgende Voraussetzungen:

1.Starke institutionelle Arrangements

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2.Finanzielle Absicherung

3.Raum für offene Erkenntnisprozesse, in dem das Augenmerk auf Wechselwirkungen zwischen einzelnen Politikbereichen sowie zwischen Einnahmen und Ausgaben gesetzt wird

4.Einbeziehung von Öffentlichkeit und Lobbygruppen als unabhängige Überprüfungsinstanzen und Förderung des Bottom-up-Prozesses für Alternativvorschläge (vgl. Erbe, 2004, S. 296f.).

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Die Autorin schließt den Überblick mit dem Hinweis: „Die Analyse der Wirkungen von Haushaltsentscheidungen und die Entwicklung von Indikatoren sind zunächst aufwändig und benötigen nicht nur haushaltstechnisches Wissen, sondern auch Genderwissen. Im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung sowie in der Praxis von geschlechtsspezifisch arbeitenden Projekten gibt es umfangreiche Erfahrungen, so dass es geboten ist, die Expertinnen und Experten aus diesen Bereichen mit einzubeziehen.“ (Erbe, 2004, S. 297).

3.4 Methoden und Instrumente

Gender Budgeting besteht aus unterschiedlichen Instrumenten und Maßnahmen, Methoden und Strategien, die in wechselnden Kombinationen angewandt werden können.

Ein Gender Budget muss sich zunächst mit den länderspezifischen sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, die jeweils für die Situation von Frauen und Männern relevant sind. Für Industrieländer sind andere Schwerpunkte und statistische Indikatoren für eine allgemeine Analyse erforderlich als für Entwicklungsländer. Und auch innerhalb der Industrienationen können individuelle Vorgehensweisen gewählt werden.

3.4.1 Vorgehensweise

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Wenn ein neuer Denkansatz als Quereinstieg in gefestigte Staats- und Finanzstrukturen Einzug halten soll, stellt sich zunächst die Frage, ob die Durchsetzung mit dem vorhandenen Instrumentarium erreichbar ist, oder ob dieses speziell geschaffen werden muss.

Derzeit existiert noch kein international verbindlicher Kanon etwa in Form von Kriterienkatalogen, Indikatoren und Bewertungsmaßstäben. „Ähnlich wie bei Gender Mainstreaming scheint auch bei Gender Budgeting ein wesentliches Instrumentarium die ‚richtige’ Frage zu sein. Um die richtigen Fragen zu stellen und richtigen Kriterien anzulegen, müssen Ideen entwickelt werden, auf welche Zusammenhänge es bei Haushaltspolitik aus Gender-Perspektive ankommt ... : Welche Gender-Indikatoren für die Messung der Auswirkungen von Staatsausgaben und -einnahmen gibt es?“ (Kletzing, 2004, S. 65).

Zur Beschreibung der sozialen und ökonomischen Lage von Frauen und Männern in europäischen Ländern wird daher ein ‚European Gender Equality Index’ (EUGEI) entwickelt (vgl. Kletzing, 2004, S. 65).

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Da im Hinblick auf die Ziele von Gender Budgets jedoch ein grundlegender Konsens zu konstatieren ist und dieses Gedankengut bereits einen nennenswerten Verbreitungsgrad erreicht hat, wird zunächst das vorhandene Instrumentarium der Haushaltspolitik auf seine Anwendbarkeit geprüft und in einzelnen Bereichen unter Gender-Aspekten eingesetzt.

Der prioritäre Blick auf die Ziele von Gender Budgeting führt auch in der Literatur vorrangig zu umfassenderen Darstellungen der methodischen Ansätze im Kontext der Handlungserfordernisse. Dazu zwei Beispiele.

Als wesentliche Eckpunkte von Gender Budgeting werden charakterisiert:

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Stärker anwendungsorientiert ergeben sich folgende Ansatzpunkte und methodische Zugänge:

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Die Realisierung dieser Vorhaben impliziert stets die Frage nach dem Instrumentarium und der Methodik. Solange es keine Standards und Normen gibt, bleibt für jeden Gender Budget-Prozess im Vorfeld festzulegen:

„Die gegenwärtige Aktualität der Debatte um die Indikatoren untermauert das OECD World Forum im Jahre 2004 in Italien, das sich schwerpunktmäßig der Gestaltung von ‚Key Indicators’ für das ökonomische, das gesellschaftliche, das soziale und das ökologische System gewidmet hat.

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Für den Bereich des Gender Budgeting gilt es, ebenfalls ein entsprechendes Indikatorenset zu entwickeln, um feststellen zu können, wie sich Budgets und politische Maßnahmen auswirken.

Solche Indikatoren sollen beispielsweise die Einkommensverteilung (Vollzeit/Teilzeit), das Bildungsniveau, die Segregation am Arbeitsmarkt, geschlechtsspezifische Lohndifferenz, Erwerbsquoten, politische Partizipation, Anteil der Unternehmerinnen, Pensionsleistungen und auch den Anteil der Frauen an Führungspositionen abbilden.“ (Lichtenecker, 2006, S. 174).

Zur methodischen Vorgehensweise gehören des Weiteren folgende Komponenten, jeweils genderspezifisch:

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Während des Prozesses wird sich herausstellen, inwieweit das klassische Instrumentarium anwendbar ist, der Ergänzung und/oder Modifizierung bedarf, bzw. für den Gender-Ansatz neu definiert werden muss.

In allen bisher begonnenen Gender Budget-Initiativen bildet den Einstieg die Datenanalyse. Gender Budget-Analysen sollen zunächst die traditionelle politische, wirtschaftliche und soziale Situation von Frauen und Männern so weit aufzeigen und transparent machen, dass der Handlungsbedarf erkennbar wird. Allein dieser Ansatz birgt bereits ausreichend politischen Sprengstoff im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen Gesetzesvorgabe und Lebenswirklichkeit.

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Auch wird im folgenden Kapitel deutlich, dass sich hinter dem Begriff Gender Budget-Analyse nicht nur dieses eine Gender-Instrument verbirgt, sondern die Gesamtstrategie bereits im Kern angelegt ist.

3.4.2 Budget-Analyse

Am weitesten verbreitet und daher in zahlreichen Quellen genannt sind derzeit die ‚Sieben Instrumente der Gender Budget-Analyse’ nach der südafrikanischen Expertin Debbie Budlender und den Australierinnen Rhonda Sharp und Kerri Allen aus dem Jahr 1998, meist in Übersetzung durch die Berliner Politikwissenschaftlerin Regina Frey, inhaltlich wie terminologisch immer wieder geringfügig modifiziert und dem jeweiligen Kontext angepasst.

Wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung sollen die Kernaussagen an dieser Stelle Eingang in die Arbeit finden:

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Geschlechterbewusste Bewertung politischer Strategien

Unter der Grundannahme, dass politische Entscheidungen über Ressourcenverteilung ‚immer’ Geschlechtereffekte nach sich ziehen, wird eine Analyse von Politikbereichen vorgenommen. Die Schlüsselfrage dabei ist: Inwiefern vergrößern oder verkleinern Politikstrategien und entsprechende Ressourcenverteilung Geschlechterdisparitäten?

Ein Beispiel aus dem Bereich Hochschulbildung mag dieses Instrument verdeutlichen: Die politische Entscheidung, im Bildungssektor Einsparungen vorzunehmen, betrifft zunächst alle Studierenden. Eine Analyse der Studierendenzahlen nach Geschlecht und verschiedenen Studienfächern könnte jedoch ergeben, dass mehrheitlich Frauen geistes- und sozialwissenschaftliche Fächer studieren. Eine Kürzung insbesondere bei diesen Studienrichtungen würde dann Studentinnen härter treffen als Studenten.

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Ein ähnliches Beispiel aus der Sportförderung: Wenn Vereine mit öffentlichen Geldern und/oder Dienstleistungen gefördert werden, so scheint dies zunächst geschlechterneutral zu sein. Viele Vereine fördern jedoch stark die Männerdomäne Fußball. Das heißt: Eine geschlechtergerechte Verteilung öffentlicher Zuwendungen müsste verstärkt Vereine berücksichtigen, die gleichermaßen Angebote für Frauen machen.


Geschlechterbewusste Nutzenanalyse

Unter der Annahme, dass Männer und Frauen einen unterschiedlichen Nutzen aus staatlicher Verteilungspolitik ziehen, da sie teilweise unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse haben, wird in Form von Umfragen und Erhebungen festgestellt, wessen Prioritäten von bestimmten Maßnahmen potenziell getroffen werden bzw. wessen Prioritäten dadurch vernachlässigt werden. Die Schlüsselfrage dabei lautet: Welche Bevölkerungsgruppe würde von potenziellen staatlichen Ausgaben oder Einsparungen in welcher Weise einen Nutzen ziehen oder keinen Nutzen ziehen?

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Beispiel: Eine repräsentative Umfrage kann feststellen, welche Prioritäten Bürgerinnen und Bürger setzen, indem gefragt wird: In welchen Bereichen soll der Anteil der staatlichen Ausgaben erhöht werden (z. B. Öffentlicher Personennahverkehr, Hochschulbildung, Familienhilfen, Wohnungsbau, Militärhilfe usw.). Dies wäre nach Geschlecht, Einkommen, Herkunft und ggf. anderen Gruppen getrennt auszuwerten.

Geschlechterbewusste Analyse öffentlicher Ausgaben

Innerhalb eines spezifischen Politikbereiches bzw. innerhalb eines bestimmten Programms wird festgestellt, wem konkret öffentliche Ausgaben zufließen (Männern/Frauen, Jungen/Mädchen). Zu diesem Zweck müssen genaue Daten über die Nutzung von öffentlichen Geldern durch Haushalte und Individuen sowie der Mittelverteilung vorliegen. Zwei Schritte sind innerhalb dieses Instruments vorgesehen:

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  1. Schätzungen über die Ausgaben für einen bestimmten staatlichen Service pro Einheit (z. B. durchschnittliche Ausgaben für Grundschulversorgung pro Kind)
  2. Erhebung darüber, wer welchen Service nutzt (z. B. wie viele Mädchen/Jungen gehen in Grundschulen?)

Hieraus kann errechnet werden, was genau der Staat für welche Gruppe ausgibt. Diese Berechnungen können natürlich auch auf andere Sektoren übertragen werden. Dabei gibt es Bereiche, die vollkommen geschlechtergetrennt sind (z. B. pränatale Vorsorge). In vielen anderen Bereichen ist dies schwieriger, da Männer und Frauen staatliche Leistungen nutzen.


Geschlechterbewusste Analyse des Steueraufkommens

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Auch das Steueraufkommen (direkte und indirekte Steuern) unterscheidet sich nach Geschlecht und anderen sozialen Gruppen. Bekannt ist ja, dass die Mehrwertsteuererhöhung insbesondere einkommensschwache Haushalte trifft. Die Schlüsselfrage lautet: Wer zahlt wie viel (direkte/indirekte) Steuern?

Ein Beispiel: Da Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, zahlen sie in der Regel auch weniger Einkommensteuern als Männer. In bestimmten Bereichen zahlen Frauen allerdings im Schnitt wieder mehr indirekte Steuern. Wichtig ist, dass die Berechnung unbezahlter Arbeit (quasi als indirekte Besteuerung) mit einzubeziehen ist (siehe nächster Punkt).


Geschlechterbewusste Analyse des Einflusses des öffentlichen Haushaltes auf Zeit nutzung (Zeitbudget-Studien)

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Die Annahme ist hier, dass es eine Verbindung zwischen dem staatlichen Haushalt und der Zeitnutzung in Privathaushalten gibt. Berechnet wird, bis zu welchem Grad sich öffentliche Haushalte auf unbezahlte Arbeit stützen. Es kann also auch errechnet werden, wie viel zusätzliche Arbeit auf Frauen zukommt, wenn z.B staatliche Kinderbetreuungseinrichtungen geschlossen werden. Auch können unbezahlte Arbeiten in Wert gesetzt werden (Was würde eine bestimmte, jetzt unentgeltlich geleistete Arbeit - z. B. die Pflege von alten Menschen - auf dem Markt kosten?) und so der volkswirtschaftliche Nutzen unbezahlter Arbeit offengelegt werden. Die Schlüsselfragen lauten: Wie verteilt sich die für jede Gesellschaft lebensnotwendige, aber dennoch unbezahlte Arbeit zwischen Männern und Frauen? Wer macht was? Wie viel Zeit wird jeweils mit verschiedenen unbezahlten Tätigkeiten verbracht?

Beispiel: In Deutschland gibt es eine Erhebung, wie viel Prozent der Hausarbeit von Frauen und von Männern verrichtet wird. Sparmaßnahmen im sozialen Bereich (z. B. Schließung von Kindertagesstätten) wirken sich auf das Zeitbudget derer aus, die diese Arbeit im Privaten auffangen - also in erster Linie auf die Zeitbudgets von Frauen, da sie den Großteil der unbezahlten Arbeit machen. Der Staat nimmt mit dieser ‚Sparmaßnahme’ also lediglich eine Umverteilung vom bezahlten in den unbezahlten Bereich (Care Economy) vor.

Geschlechterbewusster Ansatz einer mittelfristigen Finanzplanung

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Mit diesem Instrument wird die Kategorie Geschlecht in ökonomische Modelle einbezogen, sodass eine zukünftige Haushaltsplanung geschlechterbewusst sein kann. Folgende Möglichkeiten sind zu berücksichtigen:

Geschlechterbewusste Haushaltserklärung

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Diese wird von der Regierung in Form einer Erklärung oder eines Berichtes abgegeben, in der sie Rechenschaft ablegt über ihre Politik, Programme und Finanzentscheidungen. Oben genannte Instrumente finden hier Anwendung. Eine derartige Erklärung kann auch von Nichtregierungsorganisationen verfasst werden und als Instrument dienen, um eine Regierung zur Rechenschaft zu ziehen (zit. nach Rapp/Rudel, 2002, S. 19f.). Dazu auch Tabelle 4 im Anhang.

Streng genommen gehören die letzten beiden Positionen nicht zum Instrumentarium der Analysen, sondern der planerischen Maßnahmen auf der Basis von Analysen. Sie werden jedoch überwiegend in diesem Kontext genannt.

Dieses instrumentelle Raster ist als Handlungsrahmen zu verstehen und bedarf im jeweiligen Realisierungsprozess weiterer Strukturierungsmerkmale und Indikatoren.

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Von großer Bedeutung für die Seriosität von Gender Budget-Analysen ist es ferner, „zwischen Output (quantitatives Ergebnis) und Outcome (qualitatives Ergebnis) zu unterscheiden. Eine geschlechterbewusste Analyse betrachtet beim Output die Verteilung zwischen Frauen und Männern, berücksichtigt aber gleichzeitig unmittelbare und mittelbare Nutzer/innen. Eine Familienberatungsstelle wird zwar stärker von Frauen als von Männern aufgesucht, die Nutznießer/innen sind aber vermutlich in gleichem Maße alle weiblichen wie männlichen Familienmitglieder. Bei der zahlenmäßigen Auswertung kann beurteilt werden, ob eine Maßnahme stärker Frauen oder Männern oder beiden Geschlechtern gleichermaßen zugute kommt. Starke zahlenmäßige Ungleichheiten deuten auf gesellschaftliche Ungleichheitsstrukturen hin.

Die Zahlen alleine sagen aber noch nichts aus über die Wirkung auf das Geschlechterverhältnis. Wirkt sich die Maßnahme positiv im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aus? Belässt sie den Status quo oder verschärft die Maßnahme womöglich Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern?“ (Erbe, 2004, S. 297f.).

Bereits bei den Analysen ist daher besonderes Augenmerk zu richten auf das Verhältnis von Ressourceneinsatz, also Arbeitskraft, Zeit und Geld gegenüber Bedarf, Wirkung und Nutzen der Maßnahme.

3.4.3 Ergebnisse

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Was kommt nach der Gender Budget-Analyse? Noch sind die Beteiligten beschäftigt mit der flächendeckenden Initiierung dieser Budget-Analysen und der Kreis der Interessenten wächst jährlich. Die Festlegung verbindlicher Indikatoren und Bewertungsmaßstäbe steht ebenso aus wie die Option auf gesellschaftliche Veränderungsbereitschaft.

Doch dieser zielorientierte Prozess hat die Ergebnisse in der Theorie bereits vor Augen:

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Die hier zu Rate gezogene Quelle mit dem Titel ‚Gender Budget Analyse - Akademische Übung oder politische Relevanz?’ kommt zu dem Resümee: „ Gender Budget Analysen sind eine Herausforderung an die Wissenschaft und an die Politik. Es ist ein ambitionierter und interdisziplinärer Ansatz, der mit einer Methodenvielfalt arbeiten muss, um entsprechende Aussagen treffen zu können und qualifizierte Ergebnisse zu erhalten. Es ist seitens der Politik ein ausgesprochen mutiger Ansatz eine Gender Budget Analyse anzuwenden, da Ergebnisse einer Analyse auch entsprechende Konsequenzen und Maßnahmen implizieren.

Bei entsprechender Anwendung hat das Instrument der Gender Budget Analyse das Potential die politische Diskussion um Gleichstellungsmaßnahmen zu vertiefen und die Implementierung konkreter Maßnahmen zur Reduktion von Genderdisparitäten voranzutreiben. Die Basis dafür wird sein, dass Gender Budget Analysen in der Lage sind, fundierte Entscheidungsgrundlagen zu liefern und als kontinuierliches Controllinginstrument für die Gleichstellung der Frauen eingesetzt wird.“ (Lichtenecker, 2006, S. 177).

Steht auch die Festlegung verbindlicher Indikatoren und Bewertungsmaßstäbe nach Erstellung einer Gender Budget-Analyse noch aus, so gibt es neben dem Erfordernis jeweils projektbezogen und individuell festzulegender Bewertungsmaßstäbe eine Reihe theoretischer und praktischer Ansätze, aus denen sich standardisierte Indikatoren entwickeln können. „Als Bewertungsmaßstäbe können dabei quantitative Maßstäbe (z. B. ‚Anteil der Teilzeitbeschäftigten’) oder qualitative Maßstäbe (z. B. ‚Zufriedenheit mit dem Beschäftigungsverhältnis, Erhöhung des Gefühles der Sicherheit’) herangezogen werden. Ebenso können bereits bestehende, von öffentlichen Stellen, Forschungsinstituten oder anderen Initiativen definierte Zielwerte (Anzahl der zu schaffenden Kinderbetreuungsplätze) übernommen oder eigens festgelegte Ziele (Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel im Umkreis von 5 Minuten Fußweg) als Bewertungsgrundlage dienen.“ (Bergmann, 2005, S. 66).

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Bereits die Auswahl der Indikatoren erfordert einige Vorausschau, da verschiedene Anforderungen zu erfüllen sind. Die Indikatoren sollen möglichst leicht zu erstellen, anzuwenden und auszuwerten sein, und doch gleichermaßen komplexe Fragestellungen und Prozesse abbilden und durchdringen ohne allzu sehr zu vereinfachen oder gar die qualitativen Aspekte außer Acht zu lassen.

Ferner muss die Auswahl der Indikatoren bereits im Hinblick auf ihre spätere Überprüfbarkeit erfolgen. „Diese Überprüfung kann

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Bei Erstellung der Indikatoren wie auch bei Auswertung der Analyseergebnisse kommt den folgenden Dimensionen stets eine zentrale Bedeutung zu:

Aufgrund wirtschaftlicher Disparitäten und daraus resultierend politischer Interventionen ist mit dem Konzept des Gender Budgeting ein theoretisch-methodischer Ansatz entstanden, dessen Ziele, Instrumente und Prüfkriterien sich einer öffentlichen Diskussion stellen mit der Absicht, erhöhte Transparenz in finanzpolitischen Entscheidungen herbeizuführen.

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Diese Herausforderung haben inzwischen zahlreiche Länder angenommen und deren Praxisbeispielen ist das folgende Kapitel gewidmet.

3.5 Gender Budgets in der Praxis

Auch auf dem Gebiet der Gender Budgets gehört Deutschland nicht zu den Pionieren, weder im internationalen noch im europäischen Vergleich.

3.5.1 Internationale Initiativen

In den 1980er Jahren entstand international eine engagierte und intensive Diskussion zur Frage der Bedeutung und Erstellung von Gender Budgets, die in Australien ihren Ausgang nahm und seitdem in über vierzig Ländern mit zahllosen Projekten und wachsender Tendenz Erprobung und Anwendung findet.

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Einen umfassenden Überblick zu den weltweiten Initiativen bietet die südafrikanische Expertin Debbie Budlender in ihrer Publikation ‚Gender Budgets Make Cents’ (vgl. Budlender, 2002, S. 131ff.).

Die Projekte haben weitgehend ihr eigenes Profil. Die Zugänge, Ziele und Methoden im Zusammenhang mit diesen Women’s Budgets, Engendering Budgets und heute Gender Budgets sind vielfältig und entsprechend unterschiedlich sind auch die vorliegenden Arbeiten und Erfahrungen.

Aus der Fülle der Projekte seien hier einige der richtungweisenden und prägenden skizziert.

3.5.1.1 Australien

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Kurze Zeit nach dem Wahlsieg der Labour Party hat Australien 1984 als erstes Land begonnen, regierungsintern ein so genanntes Women’s Budget zu erstellen. „Das WB war als umfassender Audit des Regierungsbudgets bezüglich der Auswirkungen auf Frauen und Mädchen konzipiert und wurde als Teil des Gesamtbudgets präsentiert. Neben einem jährlichen Bundesbudget nach Gender-Gesichtspunkten gab es Frauenbudgets auch in allen sechs Staaten und in den 2 Territories.

In Australien wurde diese Initiative von den Gender-Beauftragten und -Institutionen innerhalb der Regierung initiiert und getragen.“ (Klatzer, 2004, S. 46).

In den folgenden zwölf Jahren, von 1984 bis 1996, wurden die Effekte des Bundeshaushaltes auf Frauen und Mädchen analysiert. „Die Haushaltsanalysen waren im allgemeinen von großer Reichweite. Alle Behörden wurden aufgefordert, die Ausgabenseite ihrer jährlichen Budgets auf deren Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frauen und Männern hin zu untersuchen. ... Als eine erste Ausgabengruppe waren die Ausgaben speziell für Frauen und Mädchen (z. B. Beschäftigungsprogramme für arbeitslose Mütter mit kleinen Kindern) zu untersuchen. Die zweite zu analysierende Ausgabengruppe bezog sich auf die Schaffung gleicher Beschäftigungsmöglichkeiten für Angestellte im Staatsdienst (etwa die Bereitstellung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten). Schließlich sollten die übrigen, allgemeinen Ausgaben auf ihre geschlechtsspezifischen Wirkungen überprüft werden ...“ (Schratzenstaller, 2002, S. 151).

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Mit dem Wechsel zu konservativen Regierungen war 1997 die Zahl der Bundesstaaten, in denen noch Gender Budgets erstellt wurden, auf lediglich vier zurückgegangen und auch die Haushaltsüberprüfung auf Bundesebene war eingestellt worden. Zum Jahr 2000 erstellte nur mehr eine einzige Provinz ein Gender Budget (vgl. Schratzenstaller, 2002, S. 151).

Eine abschließende Bewertung kommt zu dem Ergebnis: „Die Ergebnisse der Haushaltsanalyse wurden zusammen mit dem Haushalt veröffentlicht. Daher wird Australien als Beispiel für einen hierarchisch gesteuerten Gender-Budget-Prozess (‚top-down-Strategie’) genannt. Aus diesem Grund wird auch kritisch angemerkt, dass die Ergebnisse der Haushaltsanalyse eher als Erfolg der offiziellen Gleichstellungspolitik präsentiert wurden, anstatt noch bestehende Defizite aufzuzeigen. Das australische Beispiel verdeutlicht gleichzeitig die Nachteile einer rein regierungsoffiziell verankerten Gender-Budget-Strategie, die auf die institutionalisierte Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen verzichtet und damit alleine von der Bereitschaft der amtierenden Regierungen zur Durchführung von Gender Budgets und der Berücksichtigung ihrer Ergebnisse abhängig ist.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 151).

Die australische Professorin für Volkswirtschaftslehre Rhonda Sharp sieht die Gründe für die Beendigung des Projektes vorrangig in den Zielen des Neoliberalismus: „Furthermore, the Australian experience over the past decade reveals that contesting the state’s economic policies at a time of economic restructuring presents a particularly difficult task for feminists. The current political climate in Australia does not support an ‘inside government’ gender budget exercise, particularly at the federal level. The conservative Liberal-National Party government in 1996 downgraded its commitment to the United Nations Convention for the Elimination of Discrimination Against Women (CEDAW). These directions reflect the neoliberal policy shift that has occurred in Australia.” (Sharp/Broomhill, 2006, S. 78).

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Erfolge sieht sie während der Gender Budgets in einer Umverteilung von Ausgaben: „Nevertheless, research on family policy indicates that, in the decade or so in which women’s budgets were at their peak (1985 - 96), expenditures in areas of importance to women grew significantly.” (Sharp/Broomhill, 2006, S. 76).

Die Wiederaufnahme der Gender Budgets hält sie für möglich: “An important, and perhaps optimistic, sign also is the recent return to office of several social democratic governments in Australia. Therefore, the possible reestablishment, in some form, of gender budgets might be seen as a realistic goal.” (Sharp/Broomhill, 2006, S. 78).

Der universale Erfolg ist jedoch die Vorbild- und Signalwirkung, die von dieser frühen Initiative ausging: „These Australian experiences of developing gender-sensitive analyses of government budgets have had quite a degree of influence on similar projects developed by other governments during the 1990s. The Australian initiative directly informed the community-based, but Parliament-linked gender budget initiative in South Africa that was developed following a visit to Australia in 1995 by a delegation of gender specialists and human rights commissionars.” (Sharp/Broomhill, 2006, S. 65).

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Südafrika hat die Pionierarbeit Australiens fortgesetzt und weitere „zahlreiche Gender Budget Initiativen haben den konzeptionellen Rahmen der australischen Analyse übernommen“ (Klatzer, 2004, S. 46).

3.5.1.2 Südafrika

Die ersten Gender Budget-Initiativen in Südafrika zielten auf die Veränderung der öffentlichen Haushalte der Apartheid-Regierungen, „die eindeutig das in dieser Zeit herrschende rassistisch-patriarchalische politische, ökonomische und soziale System widerspiegelten. Die Staatshaushalte dieser Zeit waren auf die Bedarfe der weißen, Afrikaans sprechenden Angehörigen der Mittelklasse zugeschnitten, obwohl die Mehrheit der südafrikanischen Bevölkerung aus schwarzen Frauen in ärmlichen Lebensverhältnissen bestand.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 152).

Die Idee, Budgets aus der Gender-Perspektive zu analysieren, wurde bereits in den Verhandlungen vor den ersten demokratischen Wahlen thematisiert. „Bei den ersten demokratischen Wahlen in Südafrika im Jahr 1994 stieg der Anteil an Parlamentarierinnen von 3 % auf 27 %, das heißt, es waren mehr als 100 Frauen im Parlament vertreten.“ (Klatzer, 2004, S. 47).

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Der unbedingte Wille zu grundlegenden Veränderungen sowie der wachsende Einfluss von Frauen bildeten die Grundlage für die Strategie, den Wandel durch Gender Budgets zu erreichen. „South Africa was one of the first countries to have a gender budget initiative. While Australia’s initiative was introduced in the mid 1980s, it was only in the middle of the next decade - in 1995 - that initiatives emerged in other countries, namely in the Philippines and South Africa. In Australia and the Philippines, the initiative was based inside government. In South Africa, the initiative began outside government, as a collaborative venture of women parliamentarians and non-governmental organisations (NGOs). The collaboration became known as the Women’s Budget Initiative (WBI).” (Budlender/Hicks/Vetten, 2006, S. 83). Die Ökonomin und Soziologin Budlender ist eine der Hauptakteurinnen und Expertin der WBI.

Im Gegensatz zur Vorgehensweise in Australien wurde die WBI in Südafrika „1995 - bald nach den ersten demokratischen Wahlen gemeinsam von Parlamentarierinnen und NGOs in Zusammenarbeit mit WissenschafterInnen lanciert“ (Klatzer, 2004, S. 47).

„Dabei wurden die Haushalte auf der Zentralebene relativ detailliert, die der Provinzen weniger ausführlich untersucht. In den ersten drei Jahren wurden alle Funktionsbereiche analysiert. Auch die Beschäftigung im öffentlichen Sektor wurde dabei berücksichtigt. 1999 wurden erstmals auch die kommunalen Haushalte mit einbezogen und für fünf der insgesamt 840 kommunalen Haushalte Fallstudien erstellt.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 152).

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Die Initiative ist außerhalb der unmittelbaren Regierungsstrukturen angesiedelt. „Die WBI konzentriert sich auf zwei Arbeitsbereiche, nämlich zum einen auf die Analysearbeit und zum anderen auf die Lobbyarbeit: Inzwischen hat die Initiative nahezu alle Ausgabenposten des nationalen Staatshaushaltes (1995 - 1998), die Haushalte von fünf Gemeinden (1999) sowie die nationale Steuerpolitik (2000) analysiert. ...

Die Forschungsergebnisse wurden in fünf Büchern ausführlich dargelegt und in weiteren drei Büchern vereinfachend für ein nicht-akademisches Publikum zusammengefasst.“ (Çağlar, 2004, S. 133).

In der Vorgehensweise bedient sich die WBI der in Australien angewendeten Systematik zur Untergliederung der Ausgabenarten (vgl. Schratzenstaller, 2002, S. 152).

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Neben diesem außerhalb der Regierung initiierten Projekt wurde 1997 eine zweite Initiative innerhalb der Regierung gestartet. Südafrika nahm mit weiteren Ländern an dem Gender Budget-Projekt des Commonwealth Sekretariates teil. „Diese Initiative ist zentraler Bestandteil der Politiken des Commonwealth zur Förderung von Gender-sensitiven makroökonomischen Politiken. Die Koordination obliegt dem Finanzministerium. Das sollte sicherstellen, dass eine Gender-sensitive Analyse Teil der Formulierung der makroökonomischen Politik und dessen Evaluierung ist.“ (Klatzer, 2004, S. 47).

In der Regierungsinitiative wurden die Etats einiger Ministerien aus der Gender-Perspektive analysiert. Die Ergebnisse wurden bei der Formulierung der Haushaltsreporte in den Jahren 1998 und 1999 berücksichtigt. Im Jahr 2000 war die Projektlaufzeit beendet. „Dieses Pilotprojekt der Initiative der Länder des Commonwealth ist ein Versuch, makroökonomische Politik geschlechtsneutral auszugestalten. Seine Reichweite ist bei weitem nicht so umfassend wie diejenige der Women’s Budget Initiative. So wurden etwa die kommunalen Haushalte aus der Analyse ausgeklammert.“ (Schratzenstaller, 2002, S. 152).

Die Hauptakteurin konstatiert: „At present, the government initiatives are either dormant or dead. There is a range of reasons for this, some of them not directly related to gender responsive budgets or even gender. However, one of the more direct reasons has been the departure of supportive key players during the early months of 2000.

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More generally, possibilities of influencing government are more limited in 2000 than they were in the early years of the new democracy.” (Budlender, 2002, S. 139).

Auch in Südafrika hat sich die Regierungspolitik verändert. Die anfänglich sozioökonomische Strategie wurde 1996 durch ein neoliberales Programm abgelöst. „Es verfolgt eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und stellt hauptsächlich Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung und Defizitreduktion in den Mittelpunkt.“ (Çağlar, 2004, S. 135). Mit dem neuen Programm hat sich die Wirtschaftspolitik verändert und damit auch die offizielle Denkweise.

Da die WBI außerhalb staatlicher Strukturen angesiedelt ist, bestehen durchaus Chancen, auf haushaltspolitische Entscheidungen einzuwirken. Der parlamentarische Entscheidungsprozess bietet zivilgesellschaftlichen Gruppen Möglichkeiten der Einflussnahme, allerdings bisher ohne ein Durchsetzungsrecht (vgl. Çağlar, 2004, S. 137).

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Angesichts dieser Restriktionen ist also permanente zivilgesellschaftliche Unterstützung der WBI und Intervention durch die WBI vonnöten, um der politischen Dimension von Gender Budget-Vorhaben Rechnung zu tragen.

Nach Einschätzung der Expertin hat die Gender Budget-Initiative dennoch bereits nachhaltig gewirkt: „To name just one example, gender budget analysis is included in curricula at several South African universities, with the WBI’s books as prescribed reading.“ (Budlender/Hicks/Vetten, 2006, S. 83).

Neben dem ursprünglichen Konzept hat die Initiative Langzeitwirkung und Nachhaltigkeit mit sich gebracht, nicht zuletzt durch

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„Nevertheless, the majority of South Africans would still be perplexed if they heard the term ‚gender budget’.“ (Budlender/Hicks/Vetten, 2006, S. 96).

Geht auch der Prozess nicht zügig und kontinuierlich genug voran, so ist doch die Signalwirkung, die von den frühen Projekten in Australien und Südafrika ausgeht, weltweit nicht mehr zu übersehen. Sie haben Pionierarbeit geleistet und zahlreiche „Initiativen rund um den Globus“ (Klatzer, 2004, S. 45) sind entstanden.

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„Innerhalb des erwähnten Commonwealth-Programms wurden Pilotprojekte beispielsweise auf den Fidschi-Inseln oder Sri Lanka initiiert. Projekte, die nur innerhalb der Regierungen angesiedelt sind, finden sich in Frankreich, Irland und den Philippinen. Initiativen, die von Nichtregierungsorganisationen, evtl. mit akademischer Beteiligung, ausgehen, gibt es z. B. in Brasilien, Deutschland, El Salvador, Kanada, Mexiko, Peru und Russland. In Chile, Indien, Schottland, der Schweiz, Tansania, Uganda und dem Vereinigten Königreich dagegen sind an regierungsoffiziellen Vorhaben auch Nichtregierungsorganisationen, daneben in einigen Ländern WissenschaftlerInnen aus Forschungsinstituten oder Universitäten beteiligt. In einigen Staaten wurden Gender-Budget-Initiativen von internationalen Organisationen angestoßen, etwa Bangladesh (Weltbank) oder Chile (Inter-Amerikanische Entwicklungsbank), die mit den nationalen oder lokalen Regierungen, Nichtregierungsorganisationen und WissenschaftlerInnen zusammenarbeiten. Die beteiligten, oftmals die erste Anregung gebenden Nichtregierungsorganisationen sind nicht immer lokale oder nationale Organisationen; oftmals engagieren sich internationale Nichtregierungsorganisationen (z. B. Oxfam in Südafrika oder die Fordstiftung in Mexiko).“ (Schratzenstaller, 2002, S. 153f.).

3.5.2 Europäische Projekte

Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Europarat führen seit 2002 Erhebungen durch zum Stand der Gender Budget-Initiativen in den Mitgliedsstaaten. „Die Europarats-ExpertInnengruppe erarbeitete darüber hinaus Richtlinien für Gender Budgeting, um damit Informationen für nationale Regierungen bereitzustellen und diese für geschlechterspezifische Budgetpolitik zu sensibilisieren ... “ (Michalitsch, 2006, S. 22). Sie wurden 2005 veröffentlicht (vgl. Michalitsch, 2006, S. 26).

Das bei einer von UNIFEM, OECD, Nordischem Rat und belgischer Regierung 2001 in Brüssel veranstalteten Konferenz verabschiedete Communiqué fordert die Unterstützung von Gender Budget-Initiativen ein, um bis 2015 Gender Budgeting weltweit durchzusetzen (vgl. Michalitsch, 2006, S. 22).

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Unter den zahlreichen mittlerweile initiierten Gender Budget-Projekten im europäischen Raum sind neben Großbritannien/Schottland, Schweden und Norwegen insbesondere die Maßnahmen in Österreich und der Schweiz gut dokumentiert und werden entsprechend kontinuierlich publiziert.

3.5.2.1 Schweiz

Im deutschsprachigen Raum wurden erste geschlechterdifferenzierte Haushaltsanalysen in der Schweiz durchgeführt (vgl. Rapp/Rudel, 2005, S. 17).

Auslöser für eine Untersuchung des Haushalts aus einer Geschlechterperspektive war auch dort das Sparen von Bund, Kantonen und Gemeinden. 1994 wurde von den schweizerischen Gleichstellungsbeauftragten und den Verbandsfrauen des öffentlichen Dienstes die Studie ‚An den Frauen sparen?’ in Auftrag gegeben, die die Frage untersuchen sollte: Wird bei Haushaltskürzungen überproportional an Frauen gespart? Sie befasste sich mit den Beschäftigungswirkungen staatlicher Ausgaben und Einsparungen sowie der geschlechterspezifischen Wirkung staatlicher Haushalte.

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In die Haushaltsanalyse waren der Bundeshaushalt sowie die Budgets des repräsentativen Kantons Bern und der Stadt Biel einbezogen.

Kernfragen:

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Den Autoren der verdienstvollen Studie wurde schnell klar, dass diese zunächst simpel tönenden Fragen mit dem vorhandenen Haushaltsinstrumentarium nicht beantwortet werden können. „Einfach sind solche Fragen darum nicht, weil die methodischen und datenmäßigen Grundlagen zur Erarbeitung von Antworten unzulänglich sind. Die vorliegende Studie musste darum Neuland betreten und hat dementsprechend einen langwierigen und mühevollen Entstehungsprozess hinter sich.“ (Bauer/Baumann, 1996, S. IV).

Im Laufe der Erarbeitung wurde der Anspruch daher reduziert. „Das ursprüngliche Ziel einer umfassenden Analyse der frauenspezifischen Wirkungen von Staatsrechnungen und Staatsbudgets konnte nicht erreicht werden. Stattdessen stellt die Studie eine Art von Werkstattbericht dar. Dargestellt wird, wie einzelne Bereiche mit unterschiedlichen Methoden in unterschiedlicher Tiefe und Detaillierung untersucht werden können.“ (Bauer/Baumann, 1996, S. IV).

Hierzu wurde ein Analyseraster entwickelt unter folgenden Gesichtspunkten:

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„Die Ergebnisse zeigten, dass bei der Verteilung öffentlicher Gelder ein großes Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen besteht und sich in Zeiten von Sparmaßnahmen die Situation von Frauen weiter verschlechtert. In Erwerbsbereiche mit hohem Frauenanteil flossen weniger öffentliche Gelder, überdurchschnittlich gespart wurde bei Posten, deren Kürzung zu verstärkter Gratisarbeit von Frauen führt (z. B. Betreuung von Kindern oder Pflegebedürftigen).“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 17).

Ferner zeigte sich die Notwendigkeit, die bis dahin angewandte Methodik zu verfeinern sowie Ursachen und Zusammenhänge stärker zu beleuchten.

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Nach Fertigstellung der Studie zogen die Autoren das folgende Fazit: „Bei der Bearbeitung der vorliegenden Studie standen wir vor dem Problem, dass es sowohl an den Daten wie der Methodik fehlt, um die gestellte Frage, wie und mit welchen Auswirkungen von der öffentlichen Hand ‚an den Frauen’ gespart wird, befriedigend zu beantworten. Der größte Teil der Arbeit musste darum darauf verwendet werden, eine geeignete Methodik zu entwickeln und die Daten entsprechend aufzuarbeiten. Die eigentliche Auswertung und Interpretation der Resultate konnte in der Folge nicht mehr in der angemessenen Breite durchgeführt werden. Es zeigte sich aber, dass die neu entwickelte Methodik der partiell quantitativen Budgetanalyse praktikabel ist und zu aussagekräftigen Resultaten führt. Die Anwendung erfolgte aber noch in einer eher summarischen Weise. Vielfältige Differenzierungen, insbesondere inbezug auf die Aufgliederung der Ausgabeposten, sind denkbar. Für weitere Bearbeitungen dürften vor allem zwei Richtungen sinnvoll sein:

Wichtig wäre vor allem auch eine auf die Fragestellung der frauenspezifischen Wirkungen hin aufgearbeitete Rechnungs- und Budgetgliederung.“ (Bauer/Baumann, 1996, S. 107f.).

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Hierzu hatte die Studie Pionierarbeit geleistet und die künftige Richtung gewiesen.

„In Basel-Stadt erklärte daraufhin der Frauenrat die geschlechtergerechte Budgetanalyse zu seinem Schwerpunktthema und forderte eine Weiterentwicklung des Gender-Budget-Instrumentariums für Basel. Auf starken Druck der Frauenverbände hin wurden im Jahr 2000 vom Kanton Basel 50.000 CHF bewilligt. Ziel war: das Analyseinstrumentarium zu verbessern, um nachvollziehen zu können, wie hoch die Leistungen in den verschiedenen Aufgabenbereichen sind, welche einzelnen Bevölkerungsgruppen sie in Anspruch nehmen und wer wie stark über Steuern und Abgaben zum Staatshaushalt beiträgt.“ (Erbe, 2003, S. 21f.).

Die Analyse wurde durch zwei Untersuchungen ergänzt: „Die eine analysiert, wie sich staatliche Kürzungen auf bezahlte und unbezahlte Arbeit auswirken, die andere geht den Auswirkungen staatlicher Ausgaben auf die Beschäftigung nach.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 17).

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Die Ergebnisse der Schweizer Analysen wurden öffentlich vorgestellt und publiziert. Eine Auswertung hat unter anderem die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin vorgenommen (vgl. Madörin, 2004, S. 32ff.) sowie die beiden Wiener Ökonominnen Christa Schlager und Birgit Trukeschitz, die auf der Grundlage des Schweizer Vorbildes gearbeitet haben (vgl. Schlager/Trukeschitz, 2004, S. 156ff.).

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit haben die Kernaussagen der Ergebnisse bereits Einzug gefunden in Kapitel 1.6 über die Lebenswirklichkeit der Frauen, zumal diese sich im deutschsprachigen Europa nur in Nuancen unterscheidet.

Der gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialpolitik, die ein verstärktes Interesse hat, bisherige Leistungen des Staates in den ehrenamtlichen Bereich zu verlagern, steht die Entschlossenheit vor allem der jüngeren Generation von Frauen gegenüber, Berufstätigkeit mit Kindern zu vereinbaren. „Es gibt deshalb eine eminent gleichstellungspolitische ökonomische Frage: Wie können Frauen von einem Teil der riesigen Mengen unbezahlter Arbeit entlastet werden? Im Prinzip gibt es ... 5 Möglichkeiten:

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Und zu der so wichtigen Frage der Kinderbetreuung: „Zugegeben, es gibt auch die Möglichkeit, dass Frauen gewisse Leistungen nicht mehr erbringen können oder wollen: Sie reduzieren die Zahl der Kinder oder haben überhaupt keine oder sie sind nicht mehr in der Lage, für ihre Kinder zu sorgen. Die niedrigen Fruchtbarkeitsraten in einigen europäischen Ländern sprechen Bände über den ökonomischen Realismus der Staats- und Wirtschaftseliten in Sachen Care Ökonomie, ebenso die Präsenz von Straßenkindern in armen Quartieren großer Städte oder in Städten des Südens.“ (Madörin, 2004, S. 37f.).

Gesellschaftspolitische Entwicklungen werden also zunehmend zu wirtschaftspolitischen Zukunftsfragen.

3.5.2.2 Österreich

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Beim Quellenstudium im deutschsprachigen Bereich ist festzustellen, dass eine zunächst nicht zu vermutende hohe Anzahl an Printpublikationen wie Internetquellen aus Österreich vorliegt.

Auch in Österreich weisen die Budgetprogramme der Bundesregierungen zwischen 1996 und 2002 wenig Interesse an geschlechterspezifischen Fragestellungen aus. So „werden Geschlechtergleichstellung und Frauenförderung in beiden Programmen nicht erwähnt, insbesondere nicht bei der Aufzählung der wichtigen Maßnahmen. Es kann daraus geschlossen werden, dass diese Themen seitens der genannten Regierungen keinen hohen Stellenwert haben. ... Beide Programme erwähnen zwar ‚Verteilungsgerechtigkeit’ bzw. ‚soziale Gerechtigkeit’ als Prinzipien, dies klingt jedoch sehr vage und ist dem vorrangigen Ziel ‚Budgetsanierung’ völlig untergeordnet.“ (Wagner, 2004, S. 192).

Nur wenige Jahre später ergibt sich ein anderes Bild: „Erfreulicherweise gibt es derzeit eine Art Aufwind für Gender Budgeting in Österreich.“ (Klatzer, 2006, S. 138).

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Die erste Beschäftigung mit Idee und Konzept von Gender Budgeting in Österreich fand im Jahr 2000 im Arbeitskreis ‚Frauen und Budget’ statt, einer Gruppe von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerinnen aus Wissenschaft, Interessenvertretungen, Forschungsinstitutionen und Verwaltung. „Im Zuge der öffentlichen Diskussion über die Sparpolitik der Bundesregierungen waren geschlechtsspezifische Aspekte nur am Rande angeklungen, obwohl immer deutlicher wurde, dass viele der Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wurden. Auch in Arbeiten kritischer SozialwissenschaftlerInnen über die Auswirkungen der restriktiven Budgetpolitik ... wurden frauenspezifische Aspekte zwar thematisiert, rückten aber nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Daraus entwickelte sich der Bedarf nach eingehender Analyse.“ (Klatzer, 2006, S. 133f.).

In den Jahren 2002 und 2004 erschienen grundlegende und richtungweisende Publikationen, die ausgehend von den internationalen Gender Budget-Aktivitäten Ermutigung und Handlungsanleitung sowie Unterstützung für die konkrete Umsetzungsarbeit bieten. Darin werden Beispiele für Gender Budgeting-Aktivitäten auf lokaler und regionaler Ebene anwendungsorientiert dargestellt und konkrete methodische Ansätze entwickelt. „Es zeigt sich für das Jahr 2005 und darüber hinaus jedoch deutlich, dass es angesichts zunehmender öffentlicher Aktivitäten einer zivilgesellschaftlichen Stimme bedarf, die Forderungen aus emanzipatorischer Sicht in die öffentliche budget- und wirtschaftspolitische Debatte einbringt und die den Regierungen auf die Finger schaut. … Seit Frühjahr 2005 arbeitet die Gruppe unter dem Namen ‚Watch Group. Gender und öffentliche Finanzen’ weiter.“ (Klatzer, 2006, S. 137).

Initiiert durch das Pilotprojekt des österreichischen Bundesministeriums für Finanzen aus dem Jahr 2002 ‚Ist das österreichische Steuersystem tatsächlich geschlechtsneutral?’ haben die Kerngedanken des Gender Budgeting seit 2004 in alle offiziellen politischen Ebenen Eingang gefunden.

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Im Budgetbericht 2005 heißt es: „’Gender Budgeting (...) ist die geschlechtergerechte Budgetpolitik oder Haushaltführung und damit Teil des Gender Mainstreaming. Gender Budget umfasst Analysen von Staatseinnahmen und Staatsausgaben in Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Männer und Frauen. (...) Ab 2005 sollen in einem ersten Schritt die Gender Auswirkungen zumindest für ein Beispiel pro Ressort analysiert werden.’“ (zit. nach Klatzer, 2006, S. 139).

Die Absicht zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei der Mittelverteilung findet sich auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene in zahlreichen Initiativen und Programmen.

Eine Gelegenheit besonderer Art bietet die seit 2003/2004 laufende Debatte über eine grundlegende Verfassungsreform. Aufgrund von Überzeugungsarbeit ist es gelungen, insbesondere in die Beratungen zur Finanzverfassung durchgängig die Forderung zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern zu verankern. „In der Konventsdebatte wurde rasch deutlich, dass eine Aufnahme des Begriffes Gender Budgeting oder des deutschen Äquivalents Geschlechtergerechte Budgetgestaltung auf hohe Ablehnung stieß. Daher wurde mit der Formulierung ‚Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern’ eine Umschreibung gefunden. In den Verhandlungen war klar, dass es sich dabei um die Zielvorstellungen von Gender Budgeting handelte. Es wird wichtig sein, dies auch in den erläuternden Bemerkungen des zu beschließenden Verfassungstextes festzuhalten.“ (Klatzer, 2006, S. 146).

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Die an diesen Prozessen Beteiligten sehen die bisherigen Ergebnisse ambivalent: „Auf Bundesebene fehlt es an den grundlegenden Voraussetzungen für eine sinnvolle Einführung von Gender Budgeting: Es ist keine Gesamtstrategie erkennbar. Zielvorgaben und politische Leitlinien, koordiniertes Vorgehen, Ressourcen, Strukturen sowie eine geeignete institutionelle Verankerung mit politischer Verantwortlichkeit sind nicht vorhanden.“ (Klatzer, 2006, S. 141).

Eine weitere Quelle kommt zu der Einschätzung: „Wenn auch noch Aufklärungs-, Überzeugungs- und Sensibilisierungsarbeit zu leisten sein wird, so war das Finanzministerium doch eines der ersten Ressorts, das konkrete Ergebnisse und Vorschläge für die Gender Mainstreaming-Strategie erarbeitet, Gender Mainstreaming-Prüfungen von zwei Gesetzen durchgeführt hat und ernsthafte Schritte zur Umsetzung von Gender Budgeting unternimmt.“ (Fritz, 2006, S. 164).

Und auch für Außenstehende stellt sich der österreichische Weg als fortschrittlich dar. „Es ist sicherlich als Erfolg zu werten, dass im Konvent ein Konsens für die Verankerung von Gender Budgeting als Bestandteil der österreichischen Finanzpolitik gefunden wurde. Die tatsächliche Beschlussfassung über obenstehenden Entwurf wäre ein Meilenstein in der Geschichte der österreichischen Finanzverfassung. Und ein möglicher Grundstein für eine Finanzpolitik, die Gleichstellungsziele verstärkt in den Mittelpunkt rücken könnte. ...

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Und es wäre international gesehen ein Novum, bislang gibt es in keinem Land eine derartige rechtliche Verankerung. Österreich könnte Vorbildwirkung entfalten.“ (Klatzer, 2006, S. 148).

Die Tageszeitung taz meldet am 28.1.2008: „Um dieses Gender-Budgeting auf Bundesebene umzusetzen, wurde in Österreich im August 2007 eine Änderung des Bundesverfassungsgesetzes eingebracht. Künftig heißt es in diesem Gesetz: ‚Bund, Länder und Gemeinden haben bei ihrer Haushaltsführung die Grundsätze des Gender Budgeting zu berücksichtigen.’“ (Flothmann, 2008, S. 2).

3.5.3 Ansätze in Deutschland

Auch in Deutschland wächst die Zahl der Gender Budget-Initiativen; „ob sich diese geschlechterpolitische Strategie als durchgehendes Prinzip in Politik und Verwaltung durchsetzen wird, und vor allem, welche Veränderungen im Sinne einer emanzipatorischen Geschlechterpolitik sie konkret bewirken kann, ist allerdings noch offen.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 181).

3.5.3.1 Bund, Länder und Kommunen

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Die Interministerielle Arbeitsgruppe Gender Mainstreaming (siehe Kapitel 2.1.3) richtete 2004 eine Unterarbeitsgruppe zu Gender Budgeting ein, die im darauf folgenden Jahr eine Machbarkeitsstudie für die Einführung von Gender Budgeting auf Bundesebene in Auftrag gegeben hat.

Die umfangreiche Studie erschien im März 2006. Sie „macht Vorschläge für die Implementierung von Gender Budgeting auf Bundesebene. Ausgangspunkt bildet einerseits eine Zusammenfassung der Umsetzung von Gender Budgeting in Europa mit Beispielen aus Großbritannien, Österreich, Frankreich, Belgien und dem Nordischen Rat. Andererseits zeigte der Prozess der Machbarkeitsstudie Nutzen, Chancen und Herausforderungen für die Einführung von Gender Budgeting.“ (Färber, 2006, S. 14).

Die Studie stellt die internationalen Beschlüsse und rechtlichen Grundlagen heraus und orientiert sich an den Bedingungen und Planungsschritten des Haushaltsverfahrens. „Aufbauend auf dieser Analyse werden Methoden entwickelt, wie Gender Budgeting umgesetzt werden kann. Kern ist dabei die Durchführung von Genderwirkungsanalysen zu den Einnahmen, Ausgaben und Aufgabenbereichen, die als Genderwirkungsanalysen zu den Einnahmen, Ausgaben und Aufgabenbereichen, die als Genderinformationen für den Entscheidungsprozess zur Verfügung gestellt werden sollen.“ (Färber, 2006, S. 19).

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Neben dem fiskalischen Aspekt bezieht die Studie die Erfassung der Versorgungsökonomie in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ein und sieht in Gender Budgeting „ein anspruchsvolles Konzept“ (Färber, 2006, S. 20).

Seit 2007 gehen der Studie ‚Anmerkungen der Bundesregierung’ voraus, die ‚erheblichen bürokratischen Aufwand’ für das ‚bestehende, sehr komplexe Haushaltsverfahren’ sieht und auf die Pflicht der Bundesministerien verweist, ‚die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip bei allen Maßnahmen zu fördern’.

Ein Jahr danach ist der Presse zu entnehmen: „Die interministerielle Arbeitsgruppe Gender-Mainstreaming, die den Prozess begleitete, existiert inzwischen nicht mehr. Das zuständige Referat im Ministerium wurde stark verkleinert. Und in Reden oder Papieren der Regierung, wie zuletzt etwa dem Cedaw-Staatenbericht, der die Entwicklung der Gleichstellungspolitik in Deutschland dokumentiert und alle vier Jahre der UNO vorgelegt wird, tauchen die Begriffe Gender-Mainstreaming und Gender-Budgeting gar nicht mehr auf.“ (Flothmann, 2008, S. 3).

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Unabhängig von der Terminologie ist ‚Gleichstellung als Querschnittsaufgabe’ verpflichtende Strategie in der Bundespolitik.

Auch auf der Ebene der Bundesländer finden sich nur vereinzelt gezielte Initiativen. „Als offizielle Strategie verfolgt bislang alleine die Landesregierung ‚Berlin’ Gender Budgeting. In ‚Hamburg’ und ‚Hessen’ brachte die Opposition Anträge zur Einführung von Gender Budgeting ein, die aber mehrheitlich im Landtag abgelehnt wurden. Gender Budgeting wird auf Länderebene nur in Ausnahmefällen als eigene Strategie verfolgt. Vielmehr gibt es in vielen Bundesländern im Rahmen der Umsetzung der Gender Mainstreaming-Strategie Pilotprojekte, die erste Ansätze von Gender Budgeting enthalten.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 183).

Zu den Ländern, die erste Erfahrungen mit Gender Budgeting suchen, zählen Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Bremen, und in gewissem Sinn auch Brandenburg und Schleswig-Holstein.

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Mutiger und bunter sind hier eher die Initiativen im kommunalen Bereich. „Wirtschaftliche Stagnation, zurückgehende Steuereinnahmen und zusätzliche Aufgaben, die von Bund und Ländern den Kommunen übertragen wurden, lösten die schwerste Finanzkrise der Städte und Gemeinden seit Bestehen der Bundesrepublik aus. In dieser Situation war das Anliegen der Initiatorinnen von kommunalen Gender Budget-Initiativen, Strukturen von Frauen- und Mädchenprojekten, aber auch beispielsweise von MigrantInnenprojekten, vor dem Rotstift zu retten. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass der drohende Kahlschlag bei kommunalen Leistungen tendenziell stärker zu Lasten von Frauen als von Männern ginge, was die Rückverlagerung öffentlicher Aufgaben in den privaten Bereich, die Kürzungen bei sozialen Leistungen und den Arbeitsplatzverlust betreffe. So war zumindest die erste Forderung, die Wirkung von Konsolidierungsmaßnahmen auf unterschiedliche Gruppen von Frauen und Männern abzuschätzen, bevor Kürzungen vorgenommen würden.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 187).

Nachfolgend werden einige kommunale Projekte betrachtet. Maßgeblich für die Auswahl ist die besondere Profilierung einzelner Initiativen sowie vor allem ihre Zielführung im Rahmen dieser Arbeit.

3.5.3.2 Münster

Als erstes bundesdeutsches Projekt im Sinne des Gender Budgeting gilt Münster. 1993 gab es zahlreiche Proteste gegen die geplanten Kürzungen der Mittel für Fraueneinrichtungen. Aus diesem Anlass begannen Mitglieder des Autonomen Frauen-/Lesbenplenums Münster, den kommunalen Haushalt zu durchforsten und zu hinterfragen. So thematisierten sie die im Haushalt nicht sichtbare unbezahlte Arbeit und beleuchteten die Proportionen zwischen einzelnen Haushaltsstellen. „Sie stellten z. B. die 50.000 DM für Frauenprojekte den 2,5 Mio. DM für die Tiere des Zoos gegenüber und fragten zugespitzt: Sind Pandabären und Zebras mehr wert als ‚einfache Menschenfrauen’? Die Frauen forderten daraufhin, die Hälfte der Mittel für den Zoo zu streichen.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 19).

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Ferner wurden “Schlampigkeiten und fehlende Transparenz aufgedeckt: Die Frauen stellten bei ihren Nachforschungen fest, dass drei- oder vierstellige Budgetposten oft über Jahrzehnte nicht überprüft wurden. So landeten seit den 50er Jahren jährlich tausend Mark auf dem Konto eines unbekannten Kulturvereins oder es wurde seit Jahrzehnten eine U-Boot-Kameradschaft in Norddeutschland gepflegt. Die Summe war niemandem aufgefallen.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 19). In den Augen eines Haushaltspolitikers handelte es sich um ‚Kleinzeug’ und für dessen Betrachtung fehle die Zeit.

„Die nötige Skandalisierung des Themas gelang schließlich über den Rosenmontagsumzug in Münster. Für die eintägige Veranstaltung wurden jährlich 44.430 DM Subvention zur Verfügung gestellt. Die Frauen forderten die Privatisierung des Karnevals und die Bereitstellung der Mittel für Frauenprojekte. Fortan berichtete die Presse über die Initiative der Frauen.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 19).

Durch eine schriftliche Befragung von Frauenprojekten und Einrichtungen mit frauenspezifischen Angeboten wurde der Finanzbedarf für eine geschlechtergerechte Arbeit ermittelt - seinerzeit knapp 16 Millionen DM - und die Ergebnisse der Haushaltsanalyse öffentlichkeitswirksam präsentiert (vgl. Erbe, 2003, S. 23).

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Auf der nachfolgenden Tagung 1993 mit dem Titel ‚Nichts ist unmöglich - Frauen fordern Geld in den Kommunen’ entstand ein Forderungskatalog (vgl. Rapp/Rudel, 2002, S. 25) und im Anschluss daran „feste Haushaltstitel für Frauenprojekte und einrichtungen, ein Frauenausschuss und ein Buch“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 19).

Der Anteil der Frauenfördermittel steigerte sich von 0,015 auf 1 Prozent (vgl. Erbe, 2003, S. 23).

3.5.3.3 München

Auch in München waren die Sparmaßnahmen im städtischen Haushalt und das absehbare Ungleichgewicht, dass diese tendenziell stärker zu Lasten der Frauen gehen, Anlass für die Thematisierung geschlechterspezifischer Aspekte bei der Konsolidierung. Einen Hinweis auf diese unterschiedliche Prioritätensetzung gab bereits die ,Münchner Bürgerbefragung 2000 - Soziale Entwicklung und Lebenssituation der Münchner Bürgerinnen und Bürger’ (vgl. Erbe, 2003, S. 29; S. 32). Die Ergebnisse haben gezeigt, dass Frauen die städtischen Aufgaben eher im Bereich Beschäftigungsförderung, Pflegedienste und Bildungsleistungen sehen, Männer vorrangig im Bereich von Straßenbau und -unterhaltung.

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Im Jahr 2002 entzündete sich eine heftige Debatte über die Prioritätensetzung in der Finanzplanung des Sozialreferates für die Konsolidierungsphasen der Jahre 2003 sowie 2004 bis 2006. Die drastischen Kürzungsabsichten erzeugten einen hohen Mobilisierungseffekt. „Um Druck auf die Verwaltung und die Politik auszuüben, aber auch um untereinander abzustimmen und gegenseitige Konkurrenz unter Projekten zu vermeiden, gründeten Frauen aus Projekten, Verwaltung und Parteien im November 2002 die Münchner Initiative.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 189).

Diese kritisierte die Einsparvorschläge des Sozialreferates als unausgewogen zu Lasten von Frauen und Frauenprojekten. Die Stadtratskommission zur Gleichstellung von Frauen sowie die Stadtratsfraktion Bündnis 90/Die Grünen forderten, „bevor der Stadtrat über Haushaltskürzungen entscheidet, den Haushaltsentwurf in Hinblick auf eine geschlechtergerechte Mittelverteilung zu überprüfen“ (Erbe, 2003, S. 30). Bei Vergabe wie bei Kürzung öffentlicher Mittel sei auf Geschlechtergerechtigkeit zu achten. „Vor der Analyse der Auswirkungen der Kürzung auf Frauen und Männer, Mädchen und Buben sollten keine Kürzungen vorgenommen werden.“ (Erbe, 2003, S. 30).

Die Analyse ergab die erwartete frauenpolitische Schieflage. „Ein unmittelbarer Erfolg war, dass die Kürzungen im Frauen- und Mädchenprojekte-Bereich weitgehend verhindert werden konnten. Doch gegen die Forderung einer allgemeinen Folgenabschätzung von Konsolidierungsmaßnahmen in sämtlichen Referaten gab es in der Verwaltung starke Widerstände.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 190).

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Am 28.01.2004 beschloss der Münchner Stadtrat die Einführung von Gender Budgeting. Den organisatorischen Rahmen bildet die Verwaltungsmodernisierung nach dem Neuen Steuerungsmodell. Die Steuerung soll ergebnisorientiert über Produkte und Produktziele erfolgen, der Gesichtspunkt Geschlechtergerechtigkeit von Anfang an mit einbezogen werden.

Eine verwaltungsinterne Projektgruppe unter Federführung der Kämmerei „hat den Auftrag, bis Ende 2004 ein Umsetzungskonzept vorzulegen, das dann 2005 in Pilotprojekten erprobt werden soll. Seit Ende 2004 wird durch ein externes Institut, das Sozialwissenschaftliche Institut München (SIM), in allen Referaten die geschlechtsdifferenzierte Datenlage erhoben.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 19).

Wenn auch das Umsetzungskonzept zum Jahresende nicht vorlag, so ist doch die Initiative Gender Budgeting gestartet und auch die Bürgerbefragung von 2000 wird 2005 weitergeführt. Seit 2004 beteiligt sich München an dem EU-Projekt ,Gender Alp!’ mit einem „Pilotprojekt zur Entwicklung und Erprobung von Instrumenten für Gender Budgeting“ (Erbe/Frey, 2006, S. 190).

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Die Initiative in München ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:

3.5.3.4 Köln

Seit 1998 engagiert sich das FrauenForum der Lokalen Agenda 21 Köln im Leitbildprozess der Stadt. Eine Gruppe des FrauenForums, die Kölner Gender-Budgeting-Initiative, startete 2003 das Pilotprojekt ,Bürgerinnen und Bürger im Spiegel kommunaler Haushaltspolitik’ (vgl. Rapp/Rudel, 2005, S. 20).

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In ehrenamtlicher Tätigkeit wurden Stadtbibliothek und Volkshochschule als Teile des städtischen Haushaltes analysiert. Die Verwaltung unterstützte den Prozess durch Information, Daten und Beratung. „Die Studie ist in ihrem Umfang der Analyse bislang in Deutschland einmalig und zeigt gleichzeitig die Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens auf. Die Anzahl der analysierten Bereiche hing zunächst an dem Kriterium geschlechtsdifferenzierter Daten. Nutzungen konnten nur in dem Rahmen geschlechtsdifferenziert ausgewertet werden, wie auch Daten vorlagen, was nur einen Teilausschnitt des tatsächlichen Nutzungsverhaltens zeigte. Gleichzeitig konnten im Bereich Bibliotheken auch keine spezifischen Kosten und Erlöse nach Geschlecht zugeordnet werden, nicht nur, weil sie nicht geschlechtsdifferenziert erhoben wurden, sondern weil die bestehende Haushaltssystematik (Kameralistik) keine eindeutige Zuordnung der Mittel erlaubte.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 188).

Die Analyse erschien 2004 und weist in der Einleitung auf diese Schwierigkeiten hin: „Bei der StadtBibliothek begegneten wir dem Problem, dass etliche Statistiken keine geschlechtsspezifische Zuordnung ermöglichten oder sie nicht mit den Produktbereichen des Produkthaushalts in Beziehung zu setzen waren. Erst auf Grund zusätzlich eingeholter Informationen gelang es auch hier, aus dem Untersuchungsbereich aussagekräftige Erkenntnisse abzuleiten.“ (Grote, 2004, S. 5).

Auch in Köln geht es um Maßnahmen der Mittelkürzungen, und die Studie kommt zu dem Ergebnis: „Aus der Gesamtuntersuchung des Bibliotheksbereichs ergibt sich, dass Kinder und Jugendliche im Alter von 6 - 18 Jahren und Frauen von Streichungen im Zuge der Haushaltskonsolidierung am meisten betroffen sind. Auch die aus Personalmangel verringerten Öffnungszeiten in den jeweiligen Zweigstellen und in der Zentrale bleiben nicht ohne Wirkung auf das Informations- und Leseverhalten und somit auch auf die Höhe der Ausleihzahlen. Um die aufgezeigten Benachteiligungen insbesondere zu Lasten der weiblichen Bevölkerung aufzuheben, bleibt eine Umstrukturierung des gesamtstädtischen Etats aus unserer Sicht unumgänglich.“ (Grote, 2004, S. 13).

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Die Studie konzentriert sich auf die Situation der eingetragenen Entleiherinnen und Entleiher. Besucherschaft und Beschäftigte bedürfen separater Untersuchungen.

„Eine weitere Erkenntnis der Initiative ist, dass Gender Budgeting nicht nur der Geschlechtergerechtigkeit dient, sondern eine wichtige Vorbedingung zukunftsfähiger Stadtentwicklung ist. Die Ergebnisse der Analyse sollen nun in die Arbeitsgruppe ,Moderne Stadtgesellschaft’ einfließen, die gemeinsam mit anderen Gruppen die Umsetzung des Leitbilds Köln 2020 begleitet.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 20).

3.5.3.5 Berlin

Bereits in den 1990er Jahren hatten Frauen verschiedener Parteien versucht, die Geschlechterfrage an den Berliner Haushalt heranzutragen. „Einen Durchbruch erlangte das Thema allerdings erst nach der Wahl der jetzigen Regierung von SPD und PDS im Jahr 2001.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 183).

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Im Mai 2001 entstand die ,Initiative für eine geschlechtergerechte Haushaltsführung in Berlin’, in der sich Frauen aus Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Wissenschaft, Parteien und Gewerkschaften engagieren. Sie wurde vor dem Hintergrund des Berliner Bankenskandals aktiv. „Die mangelnde Kontrolle bei der Kreditvergabe der landeseigenen Bankgesellschaft führte dazu, dass die Schulden des Landes Berlin in die Rekordhöhe von 78 Mrd. DM getrieben wurden.“ (Erbe, 2003, S. 24). Eine wesentliche Forderung der Initiative war deshalb, den Haushalt transparenter zu gestalten.

„Vor dem Hintergrund der Berliner Finanzskandale war der erste Schritt ein Offener Brief an die Berliner Parteien und Regierungsverantwortlichen, der von 104 Einzelpersonen und 26 Vereinen und Verbänden in Berlin unterzeichnet wurde. Gefordert wird eine Budgetanalyse des gesamten Haushalts mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter und MigrantInnen in Berlin. Außerdem setzen sich die UnterzeichnerInnen für mehr Transparenz in der Haushaltspolitik ein. Im Juni 2002 schließlich beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus die Einführung von Gender Budgeting.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 21).

Damit war Berlin das erste Bundesland mit konkreten und weitreichenden Schritten auf dem Weg zur Umsetzung von Gender Mainstreaming, einschließlich Gender Budgeting. „Der Senat wurde aufgefordert, ,in dieser Legislaturperiode die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass bei der Vorlage der Haushaltspläne künftig die Gesamtbreite der jeweiligen Haushaltsansätze Gegenstand einer gendersensiblen Analyse und Berichterstattung gegenüber dem Hauptausschuss wird.’ Politisch wurde der Beschluss damit begründet, den Gender Mainstreaming-Ansatz auch im wichtigen Aufgabenbereich Finanzen zur Geltung zu bringen. Geschlechtsspezifische Aspekte und Zielsetzungen sollen zukünftig formuliert und bewusst gemacht werden, bevor die zentralen Entscheidungen über Ziele, Strategien und Ressourcenzuteilungen bei der Erstellung der öffentlichen Haushalte getroffen werden.“ (Erbe, 2003, S. 23).

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Die Forderung wurde in den Koalitionsvertrag aufgenommen, „und tatsächlich kam es im Mai 2002 zu einem ausdifferenzierten Beschluss. Er stellte den Prozess zunächst auf eine solide Basis, da er konkrete Zeithorizonte und Verantwortlichkeiten benennt und die flächendeckende Einführung von Gender Budgeting vorsieht. Gender Budgeting wurde hier von Anfang an als Strategie mit Gender Mainstreaming gekoppelt.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 184).

Zur Koordination wurde die Geschäftsstelle Gender Mainstreaming beim Senat für Wirtschaft, Arbeit und Frauen sowie die ,Landeskommission Gender Mainstreaming’ eingerichtet. Hierin befindet sich eine Unterarbeitsgruppe Gender Budgeting, bestehend aus Verwaltung und Politik. Die o. g. Initiative ist in Kommission und Arbeitsgruppe vertreten.

„Mittlerweile wurde in vier Pilotprojekten Gender Budgeting erprobt: in den Bezirken Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Tempelhof-Schöneberg, sowie bei der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen.“ (Rapp/Rudel, 2005, S. 21).

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Als Verfahren wurde zunächst die geschlechtersensible Nutzenanalyse anhand ausgewählter Haushaltsposten eingesetzt. Die Produkte bewegen sich in den Bereichen Bildung, Soziales, Jugend und Sport.

Im Bezirk Lichtenberg war auch die Bibliothek als Untersuchungsgegenstand von Anfang an dabei.

„Im zweiten Bericht der Senatsverwaltung über diese Pilotphase 2003/2004 sind die Ergebnisse der Analysen dokumentiert. …

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Ein Senatsbeschluss vom August 2004 sichert die Weiterführung des Prozesses. Bereits für die Aufstellung des Haushalts 2006 sollen alle Senats- und Bezirksverwaltungen in den Prozess einsteigen und Nutzenanalysen von ausgewählten Titeln bzw. Produkten vornehmen. Der Rat der Bürgermeister hat für die Bezirke sechs Produkte festgelegt: Entleihung (Bibliotheken), Lehrveranstaltungen der Volkshochschulen, Programmangebot Bildende Kunst, Allgemeine Kinder- und Jugendförderung, Integrative Erziehungs- und Familienberatung sowie persönliche Beratung von Behinderten und Kranken.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 184).

Für die Auswahl der Produkte aus den so genannten weichen Politikbereichen werden als Gründe genannt: In diesen Bereichen liegt der Handlungsraum für eigene Gestaltbarkeit durch die Bezirksverwaltungen, und ferner stand die Frage der Machbarkeit im Vordergrund, um der noch zögerlichen Annahme von Gender Budgeting in vielen Verwaltungen zunächst einige Beispiele für Praktikabilität und Nutzen vorzuweisen.

„Obwohl Berlin also in Sachen Gender Budgeting in Deutschland federführend ist und bisher interessante Ergebnisse aus dem Prozess hervorgingen, gibt es noch zahlreiche Herausforderungen. Vor allem die sinnvolle Verwertung der bisherigen Ergebnisse für eine geschlechterpolitische Strategie sowohl auf Gesamtberliner Ebene als auch in den einzelnen Bereichen der Verwaltung steht noch aus.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 185).

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Ermutigende Ansätze sind erkennbar: Der innerhalb Berlins in der Realisierung von Gender Budgeting fortschrittlichste Bezirk Lichtenberg hat „aus der Analyse des Sporthaushaltes Konsequenzen gezogen: Da Hallensportarten von Frauen häufiger ausgeübt werden, die öffentlichen Mittel jedoch insgesamt Männern zu einem größeren Teil zugute kommen, wird man in den nächsten Jahren mehr in Hallen als in Freiflächen investieren.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 185).

Als Zwischenbilanz lässt sich feststellen, „dass in der Bundesrepublik viele unterschiedliche Aktivitäten unter dem Begriff Gender Budgeting vorzufinden sind und entsprechend vielfältige Erfahrungen gesammelt werden. Zu einer konkreten Veränderung eines Haushalts oder eines Teilbereichs hat Gender Budgeting in Deutschland bisher noch nicht geführt. Eine Ausnahme stellt hier der Berliner Bezirk Lichtenberg dar, wo bereits erste Analyseergebnisse in den neuen Haushalt einfließen.“ (Erbe/Frey, 2006, S. 191).

3.6 Resümee

Bisher erfolgen die Aktivitäten in Deutschland eher unkoordiniert und in starker Abhängigkeit von Kenntnisstand und Reforminteresse einzelner Personen und Gruppen.

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Flächendeckend ist die Bereitschaft in Kommunalpolitik und Verwaltungsspitze noch eher zurückhaltend angesichts vermeintlich vorrangiger Notwendigkeiten und traditioneller finanzpolitischer Kernthemen. Die Eingliederung der GenderAufgaben in das Instrumentarium der Verwaltungsreformen kann die Umsetzung durchaus befördern, insbesondere dann, wenn es als Prüfkriterium Eingang in Maßnahmen des Controllings findet. In diesem Kontext der Verwaltungsmodernisierung kann es jedoch auch sein strukturveränderndes Potenzial einbüßen und als bloßes Zahlenerhebungsinstrument vereinnahmt und marginalisiert werden.

Auch verstellt die derzeit praktizierte Vorgehensweise in Einzelprojekten den Blick für den grundlegenden geschlechterpolitischen Ansatz, der gerade in den Phasen von Haushaltskonsolidierung leicht in den Hintergrund gedrängt wird, oder aber - wie aufgezeigt - erst in diesem kausalen Zusammenhang umso nachdrücklicher verfolgt wird.

Sind auch die bisher sichtbaren Ergebnisse noch unbefriedigend und gering in der Zahl, so ist hier doch ein Prozess in Gang gesetzt worden, der höchste Aufmerksamkeit verdient und diese auch schrittweise erhält. Von der Karriere oder Erfolgsgeschichte des Gender-Begriffes war vielfach die Rede. Und doch steht er nicht für Revolution, sondern für Reform. Veränderungsprozesse dieser Dimension müssen auf vielen Ebenen das öffentliche Bewusstsein erreichen und durchdringen, sie müssen reifen, um schrittweise und vernunftgetragen realisiert werden zu können. Der so häufig anzutreffende und auf kurzfristige Erfolge ausgerichtete Aktionismus ist bei einem Prozess dieser Reichweite wenig förderlich.

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Die Internationalität dieses Aufbruches zur Realisierung von Gender-Gerechtigkeit macht es regionalen Entscheidungsträgern zunehmend schwerer, den eigenen Verantwortungsbereich von der Modernisierung auszunehmen. Die Vorgaben erfolgen durch die EU-Gremien und werden - wie ebenfalls aufgezeigt - nachdrücklich eingefordert durch überregionale Netzwerke und zivilgesellschaftliches Engagement.

Auch mehren sich die Publikationen und Untersuchungen über Gender-Aspekte in einzelnen Wissens- und Wissenschaftsbereichen und deduzieren Auswirkung und Bedeutung der Kerngedanken in Fach- und Spezialgebiete.

Für Bibliotheken ist dies bisher nicht erfolgt, außer in Form der bereits eruierten fragmentarischen Beispiele Köln und Berlin, hier Schwerpunkt Lichtenberg, sowie vereinzelter eher zaghafter Fortbildungsangebote.


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28.11.2013