↓556 |
Für das Jahr 2006 weist die Deutsche Bibliotheksstatistik 2.395 Bibliotheken mit hauptamtlichem Personal aus, davon 2.147 Öffentliche Bibliotheken in kommunaler und kirchlicher Trägerschaft (www.bibliotheksstatistik.de, 30.10.2007).
↓557 |
Aus den beigefügten Stellenübersichten lässt sich ersehen, dass die Öffentlichen Bibliotheken über 11.227 Stellen verfügen, davon 10.870 besetzte Stellen in Form von Vollzeitäquivalenten VZÄ, davon 7.261 VZÄ Fachpersonal. Und die Retrospektive zeigt, dass die Anzahl der ausgewiesenen Stellen im Jahr 1999 noch bei 12.490 lag, gegenüber den genannten 11.227 im Jahr 2006. Ferner wird die Anzahl der Personen erhoben, die diese Stellen bekleiden.
Hieraus ergeben sich erste Erkenntnisse über ausgewiesene Stellen, besetzte und nicht besetzte Stellen sowie über Vollerwerbs- bzw. Teilzeitarbeit.
Weitere Erkenntnisse sind zu gewinnen über die in Bibliotheken tätigen Berufsgruppen und damit über den Professionalisierungsgrad Öffentlicher Bibliotheken.
↓558 |
Die genannten Informationen werden jährlich veröffentlicht, sie sind zugänglich und verfügbar, auch für retrospektive Interessen. Sie können für relevante Anwendungen addiert oder für Einzelaspekte beim Hochschulbibliothekszentrum HBZ in Köln, dem derzeitigen Herausgeber, in differenzierterer Form erfragt werden. Im Gegensatz zu früheren Jahren erfolgt jedoch keine Erfassung der Vergütungsgruppen mehr, und: traditionell und bis heute keinen Aufschluss gibt dieses universal hilfreiche Dateninstrument über die Frage nach der Anzahl männlicher und weiblicher Beschäftigter in Bibliotheken. Basisdaten für eine künftige Gender-Analyse sind auf diesem Weg also nicht zu erhalten. Bereits die Erhebungsbögen müssen in mehreren Frageblöcken um diese Kategorie erweitert werden - bundesweit.
Gleiches gilt für den seit dem Berichtsjahr 1999 erstellten Bibliotheks-Index BIX der Bertelsmann Stiftung mit Unterstützung des Institutes Infas sowie repräsentativer Partner aus dem Bibliothekswesen (www.bixbibliotheksindex.de, 09.11.2007). Dieses auf freiwilliger Teilnahme basierende Bibliotheks-Ranking erfasste 2006 ca. 170 Öffentliche Bibliotheken und untersucht in den Themenblöcken ‚Kundenorientierung’, ‚Wirtschaftlichkeit’, ‚Angebotsorientierung’ relational auch die Leistungseffizienz der Beschäftigten. Der vierte Themenblock gilt explizit der ‚Mitarbeitermotivation’. Und auch hier bereits in den Erhebungsbögen keine Gender-Differenzierung.
Weitere Auskunftsmittel des täglichen Gebrauches, zum Beispiel das ‚Jahrbuch der Öffentlichen Bibliotheken’, wie auch das ‚Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken’ liefern qua Aufgabenstellung lediglich die Gesamtzahl der Beschäftigten pro Bibliothek.
↓559 |
Mit ihren klassischen Auskunftsmitteln sind die Bibliotheken also nicht ansatzweise auf die Fragestellung nach ihren Beschäftigten unter Gender-Aspekten vorbereitet. Die traditionelle und nahezu universale Transparenz der Bibliotheken konzentriert sich auf ihre Leistungsbilanzen und auf das Medien- und Dienstleistungsangebot, mit dem diese Leistungen in primärer Kundenorientierung erbracht werden. Weit weniger öffentlich erfolgt der Umgang mit den Erbringern der Leistungen.
Nun sind Bibliotheken auch in dieser Hinsicht keine terra incognita und der Gender-Ansatz kann sich durchaus, auch in diesem frühen Stadium, auf aussagekräftiges Quellen- und Zahlenmaterial stützen, selbst wenn dieses noch nicht in der erforderlichen Differenzierung pro Bibliothek pro Jahr pro Mitarbeiter vorliegt.
Wenn auch noch nicht seit dem Jahr 1828, dem so deklarierten Gründungsjahr der ersten Öffentlichen Bibliothek (zunächst Schulbibliothek, ab 1932 Stadtbibliothek) in Großenhain bei Dresden, so doch spätestens seit der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert gelten Öffentliche Bibliotheken und der in ihnen wirkende Beruf des Bibliothekars als ideales Betätigungsfeld für Frauen. Diesem Aspekt des Frauenarbeitsplatzes gelten die nächsten Kapitel der Untersuchung.
↓560 |
1979 wurde erstmals mit dem Titel ,The Role of Women in Librarianship, 1876 bis 1976’ für die USA eine umfassende Bestandsaufnahme und Analyse des Frauenberufes Bibliothekarin veröffentlicht (vgl. Lüdtke, 1992b, S. 10). Erst allmählich entwickelten deutsche Bibliothekarinnen in diesen Jahren ein Bewusstsein dafür, dass sie in einem Frauenberuf arbeiteten. „Die fast ausnahmslos männlichen Historiographen des Bibliothekswesens hatten dem Anteil von Frauen an der Entwicklung der öffentlichen Bibliotheken kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Die Namen der Bibliothekarinnen gerieten, wie auch ihre Arbeit, in Vergessenheit.“ (Lüdtke, 1992b, S. 10).
Der retrospektive Blick in die bibliothekarische Fachliteratur erbringt, dass der Frauenarbeitsplatz in den 1970er bis 1990er Jahren auch in Deutschland Gegenstand einzelner Untersuchungen, Zeitschriftenaufsätze, Hochschulveröffentlichungen und Tagungen wurde. Besondere Erwähnung verdient hier der Aufsatz von Peter Vodosek aus dem Jahr 1981. Vodosek war langjährig Leiter der Fachhochschule Stuttgart, Fachbereich Information und Kommunikation. Er hat die Informationen seiner Zeit ,zur Entwicklung des bibliothekarischen Berufs als Frauenberuf’ (von den Anfängen bis 1920) zusammengetragen und mit einer umfänglichen Bibliografie versehen, dessen „Titelmaterial ... über einen längeren Zeitraum hinweg gesammelt“ (Vodosek, 1981, S. 242) wurde.
Seit Mitte der 1990er Jahre allerdings wird die bibliothekarische Diskussion, auch in eigenreflektorischer Hinsicht, wieder von ganz anderen Themen bestimmt: in den Publikationen von der zunehmenden Digitalisierung des Informationsmarktes, von Globalisierung und demografischem Wandel sowie in der Binnensicht von Strukturreformen und Sparmaßnahmen.
↓561 |
In der Geschichte der Frauenarbeit und Frauenberufe sowie der Gewerkschaften und politischen Parteien spielte und spielt die kleine Berufsgruppe der Bibliothekarinnen keine profiliert erkennbare Rolle.
Bevor das Gender-Konzept die Bibliothekarinnen aus dieser historischen Zurückhaltung herausholt und stärker sichtbar machen wird, soll zunächst der Blick auf diesen durchaus selbstbewussten Berufsstand gerichtet werden.
Anspruchsvolle Arbeit für ,bedürfnislose’ Frauen - so überschreibt die Bibliothekarin Helga Lüdtke in ihrer verdienstvollen Anthologie ,Leidenschaft und Bildung. Zur Geschichte der Frauenarbeit in Bibliotheken’ das Kapitel über die ersten Bibliothekarinnen in Deutschland (vgl. Lüdtke, 1992a, S. 25).
↓562 |
Der Beruf entwickelte sich als Musterfall für weibliche, nicht-industrielle Erwerbsarbeit durch „eine angeblich besondere Eignung aufgrund weiblicher Anlagen und Fähigkeiten, anfänglicher Ausbildungsnotstand, Frauenlohn, d. h. Minderbezahlung gegenüber Männern im selben Beruf und gegenüber vergleichbaren Tätigkeiten in ,Männerberufen’, weitestgehender Ausschluß von höheren und Leitungspositionen, Unterrepräsentierung im Vorstand von Berufsorganisationen, niedriger gewerkschaftlicher Organisationsgrad, Ausscheiden aus dem Beruf bei Verheiratung, eine sehr hohe Ledigenrate.“ (Lüdtke, 1997, S. 2).
Seit Jahrhunderten galt Bibliotheksarbeit als Domäne von Männern, erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert haben auch Frauen professionellen Zutritt zu diesem Arbeitsbereich.
Die im neunzehnten Jahrhundert entstandene Sparte der Volksbüchereien erfuhr durch die bürgerlichen Volksbildungsbestrebungen wie die Bemühungen um die Arbeiterbildung gegen Ende des Jahrhunderts eine neue inhaltliche und soziale Bestimmung. Diese Büchereien sollten, quasi als Wohlfahrtseinrichtungen, die so genannten unteren sozialen Klassen mit so genannter guter Lektüre versorgen. Diese für jedermann öffentlichen Bildungsbibliotheken sollten die Bildungsunterschiede verringern, zur Lösung sozialer Probleme und so letztendlich zur Wahrung des sozialen Friedens beitragen. „Die Volksbibliothek neuen Stils verschrieb sich dem Kampf gegen den Alkohol und die ,verderbende’ Schmutz- und Schundliteratur und sollte die von ,Reformern’ befürchtete Auflösung vor allem der proletarischen Familie aufhalten.“ (Lüdtke, 1992a, S. 26).
↓563 |
Die zunehmende Industrialisierung zog auch das Wachstum der Bibliotheken in den Industriestädten nach sich und damit bald auch einen Mangel an geeignetem wie finanzierbarem Personal. Die großen Einrichtungen arbeiteten unter hauptamtlicher Leitung eines akademisch gebildeten und entsprechend dotierten Bibliothekars. Auch dieser „neue Beruf, für den es erst ab 1893 Zulassungs- und Ausbildungsregelungen gab, entwickelte sich als reine Männerdomäne, denn Frauen blieben bis 1908 in Preußen vom Universitätsstudium ausgeschlossen.“ (Lüdtke, 1992a, S. 26).
Sollten also nun diese Leiter der größeren Volksbüchereien durch zusätzliches Personal entlastet werden und gleichfalls schrittweise die neben- und ehrenamtlichen Kräfte durch fachlich qualifizierte Mitarbeiterinnen ersetzt werden, so blieb es doch oberstes Gebot, die Kosten hierfür so gering wie irgend möglich zu halten.
„Billige Arbeitskräfte, darin waren sich die bibliothekarischen Fachmänner (wie Adolf v. Harnack, Paul Schwenke, Constantin Nörrenberg, August Wolfstieg u. a.) einig, fände man am ehesten unter gebildeten Frauen, die sich ,aus Liebe zur Sache’ und vor allem ,ohne große Ansprüche auf Besoldung’ dem Dienst in der Bibliothek verschreiben würden.“ (Lüdtke, 1992a, S. 26f.).
↓564 |
Die amtierenden Fachleute sahen sich zu diesem Angebot anspruchsvoller Arbeit bei geringstmöglichem Lohn nicht nur wegen ökonomischer Zwänge berechtigt, sondern vielmehr auch im Hinblick auf die zeitgeistgeprägte Annahme eines archaisch weiblichen Geschlechtscharakters mit eben den Naturgaben, die eine besondere Eignung für den Bibliotheksdienst mit sich bringen und hier zu sinnvoller Entfaltung gebracht werden können. Bei Prüfung von Befähigung, auch ,Brauchbarkeit’ und ,Verwendung’ von Frauen, qualifizierten sich diese, so die frühen Quellen, wegen ihres ausgeprägten Ordnungssinnes, ihrer Genauigkeit im Detail sowie ihrer Bereitschaft, auch langweilige und eher unangenehme Tätigkeiten mit Ausdauer und Sorgfalt zu erledigen.
Auch ihre persönliche Liebenswürdigkeit, Höflichkeit und Zurückhaltung bei Ausführung dieser subalternen Tätigkeiten wurde von Vorgesetzten geschätzt. „Und ,wenn sich mit diesen Eigenschaften ein Gefühl für Unterordnung unter den Vorgesetzten, Bescheidenheit in den Ansprüchen und die nötige Selbstverleugnung verbindet, so kann man ein derart ausgestattetes weibliches Wesen sehr wohl als befähigt zum bibliothekarischen Beruf erklären.’“ (Lüdtke, 1992a, S. 28f.).
Diese Wertschätzung weiblicher Berufsqualifikation galt allerdings nur für so genannte mittlere Leistungen, denn die für leitende und verantwortungsvolle Positionen erforderlichen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften wurden den Frauen abgesprochen, so zum Beispiel durch den Berliner Historiker und Bibliothekar August Wolfstieg (1859 - 1922) im Jahr 1903: „Nun bin ich der Ansicht, dass man Frauen freilich nicht in dem oberen Dienste verwenden kann, weil sie sich zu energischer Dienstaufsicht, zum Aufsichtsdienste im Lesesaale, der meist mit Erteilung wissenschaftlicher Auskunft an das Publikum verbunden ist, und zu organisatorischen und schwierigen methodischen Arbeiten nur wenig eignen. Das liegt nun einmal in der Natur der Sache und wird sich schwerlich ändern. Dazu sind zu allem Aufsichtsdienst und zur Dienstaufsicht Frauen nicht zu verwenden, und das genügt schon, um sie m. E. von den höheren Stellen auszuschliessen. Aber auch an die wissenschaftlichen Kataloge möchte ich die Frauen selbständig - ich betone das: selbständig - nicht heranlassen, weil das schwächere Geschlecht im Allgemeinen zu wenig Entschlussfähigkeit besitzt und zur Führung z. B. eines wissenschaftlichen Realkatalogs gehört oft genug ein ganz energischer Entschluss zwischen tausend Zweifeln und viel Konsequenz und logisches Denken, alles Eigenschaften, die Frauen im Allgemeinen nicht eigen sind, einige hervorragende Ausnahmen allerdings abgerechnet. Ebenfalls fällt das Aussuchen von Büchern durch Damen in den wissenschaftlichen Bibliotheken aus ästhetischen Gründen von selbst fort.“ (Wolfstieg, 1992, S. 60).
↓565 |
Etwas milder beurteilt wird die Tätigkeit von Frauen in Volksbüchereien: “Anders ist die Lage in den Bücherhallen. Hier können Frauen, vorausgesetzt, dass die Leitung in der Hand eines akademisch und beruflich gehörig durchgebildeten Mannes bleibt, jeden Dienst versehen. In den Volksbibliotheken sind die Kataloge wesentlich einfacher und die Anordnung des viel kleineren Bücherschatzes erfolgt nach praktischen, nicht nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten, so dass die Schwierigkeit der strengen, systematischen Anordnung wegfällt. Zudem besteht hier das Publikum nicht aus Studierenden und Professoren, überhaupt nicht aus Personen, denen die Bibliothek Hülfsmittel zu wissenschaftlichen und beruflichen Arbeiten ist, sondern aus Leuten, die ihre Bildung vervollständigen, also irgend etwas lesen wollen. Das sanfte Einführen in die Litteratur, das Lesenlehren verstehen Frauen meisterhaft, hier sind sie vornehmlich an ihrem Platze.“ (Wolfstieg, 1992, S. 60f.).
Auf dieser Grundlage erfolgt dann auch die Einschätzung der erforderlichen Bildungsvoraussetzungen: “Nach diesen Gesichtspunkten ist meiner Meinung nach die Ausbildung der Damen, welche sich dem bibliothekarischen Berufe widmen wollen, zu betreiben. Es ist also nicht nötig, dass die Elevinnen studiert haben, dazu ist der Platz zu gering, den sie nachher einnehmen, ja es ist nicht einmal erforderlich, dass sie das Abiturientenexamen hinter sich haben; ich halte das deswegen nicht einmal für wünschenswert, da Damen mit derartiger Vorbildung leicht auch allzu hohe Ansprüche an die Art ihrer beruflichen Arbeit und an den Bildungsgrad der Leser stellen; es bleibt dann nicht aus, dass sie bald in beiden Arten der Bibliotheken bittere Enttäuschungen erleben und in Gefahr sind, ihr naives geistiges Verhältnis zu den Lesern aus dem Volke zu verlieren. Tüchtige Ausbildung in der Mittelschule, die Leistung, welche unsere höhere Mädchenschule von den Schülerinnen der 1. Klasse verlangt, genügt meines Erachtens vollkommen als Vorbildung für die Elevinnen.“ (Wolfstieg, 1992, S. 61).
Die auch im Bibliotheksdienst den Frauen zugeschriebene geringere körperliche Leistungsfähigkeit und seelische Labilität stehen im Konsens mit der herrschenden Auffassung in Wissenschaft und öffentlichem Leben des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, siehe dazu Kapitel 1.4.3.
↓566 |
In dieser Zeit waren die Erwerbsmöglichkeiten für bürgerliche Frauen, die nicht durch Familie oder Ehemann versorgt wurden, äußerst beschränkt. „Unter den freien oder selbständigen Berufen, also denjenigen Erwerbszweigen außerhalb von Industrie, Landwirtschaft, Handel, Heimarbeit oder Dienstbotenarbeit, waren für Frauen nur Tätigkeiten als Lehrerin, Kindergärtnerin, Krankenpflegerin oder Künstlerin möglich und ,respektabel’. Immer mehr ledige Frauen mit höherer Mädchenschulbildung aber drängten auf den Arbeitsmarkt.
So war es verständlich, daß ein neuer, ,gebildeter’ Frauenberuf, der der Bibliothekarin, zunächst freudig begrüßt wurde.“ (Lüdtke, 1992a, S. 33).
Die für die zunehmende Professionalisierung des bibliothekarischen Dienstes an Volksbibliotheken sowie des mittleren Dienstes an wissenschaftlichen Bibliotheken erforderliche Ausbildungs- und Prüfungsordnung mit Diplomabschluss entstand 1909 als erster, 1916 als überarbeiteter Erlass des preußischen Kultusministeriums und schuf die Voraussetzungen für einheitlich geregelte Anstellungs- und Verdienstmöglichkeiten.
↓567 |
Diese gehen eindrucksvoll aus einer ,Übersicht der Gehalts- und Arbeitsverhältnisse bibliothekarisch arbeitender Frauen’ hervor, deren Daten 1911 „unter schwierigen Bedingungen reichsweit erhoben worden waren“ (Lüdtke, 1992a, S. 39) und namentliche Angaben enthalten zu Dienstvertrag, Kündigungsfrist, Gehalt, Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen sowie Pensionsberechtigung, Krankengeld und Privatversicherung.
Die Übersicht erfasst 89 öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken aus 49 Städten und Gemeinden.
Eine derart detaillierte Datenerhebung zur Frauenarbeit in Bibliotheken ist seitdem nicht wieder vorgenommen worden.
↓568 |
„Für 1911/12 wurden im Reichsgebiet insgesamt 467 von Frauen besetzte Bibliothekarstellen gezählt (207 an wissenschaftlichen, 260 an öffentlichen Bibliotheken).“ (Lüdtke 1992a, S. 44).
Der Arbeitsalltag unter den Gehalts- und Anstellungsbedingungen erwies sich als durchaus belastend für die Gesundheit: „Mit der Belastungsfähigkeit schien es oft schlecht bestellt. Auffallend häufig mußten aktive Frauen in der ,Vereinigung bibliothekarisch arbeitender Frauen’ wegen Erkrankung und aus ,Gesundheitsrücksichten’ ihre Ämter niederlegen. Kuren wurden vom Arbeitgeber nicht bezahlt, der Jahresurlaub betrug mancherorts nur zwei Wochen, und die Ernährung war den Umständen entsprechend sparsam. Der Theken-Ausleihdienst erwies sich als große physische und psychische Anstrengung: ständiges Stehen und Herumlaufen hinter der Theke, dazu die schlechte Luft und künstliches Licht im Ausleihraum sowie eine gehörige Portion Konzentration auf die unterschiedlichsten Benutzer und ihre Wünsche.
Die tägliche Arbeitszeit von sieben bis acht Stunden war wegen der abendlichen Öffnungszeiten häufig zweigeteilt, so daß die Zeit nach Dienstschluß nicht zur Entspannung genutzt werden konnte. ,Der Beruf der Bibliothekarin zwingt also diejenigen, die darin Tüchtiges leisten und sich noch fortbilden wollen, mit manchen liebgewordenen gesellschaftlichen Traditionen und Sitten zu brechen’ (gemeint waren ausgedehnte Briefwechsel, Handarbeiten, Theaterbesuche, Tennisspiel).“ (Lüdtke, 1992a, S. 36f.).
↓569 |
Nach 1911 legten auch Männer das preußische Diplomexamen für den mittleren Dienst ab, zu über 90 % blieben es jedoch Frauen, die diesen Beruf ergriffen (vgl. Lüdtke, 1992a, S. 46).
„In den 20er Jahren waren vier von fünf Beschäftigten in den Volksbüchereien Frauen. Sie waren von mehrfacher Diskriminierung betroffen: gegenüber vergleichbaren Berufsgruppen, z. B. Postbeamtinnen, waren sie unterbezahlt, und im Vergleich zu den männlichen Kollegen erhielten Bibliothekarinnen ungeachtet gleicher Ausbildung und Leistung um durchschnittlich 10 Prozent geringere Gehälter; ihre Eingangs-Eingruppierungen waren häufig ungünstiger, und sie hatten deutlich schlechtere Anstellungs- und Aufstiegschancen; ein geringerer Prozentsatz als bei den Männern wurde in das Beamtenverhältnis übernommen (was für ledige Bibliothekarinnen - und das waren immerhin 95 Prozent - wegen der Alterssicherung von größter Bedeutung war!). Dazu kam der allgemeine Druck, bei Verheiratung den Beruf aufzugeben.
Trotzdem hielten sich Volksbibliothekarinnen ausgesprochen zurück, ihre Minderbezahlung einzuklagen.“ (Lüdtke, 1992c, S. 73).
↓570 |
So werden denn auch die 1920er und frühen 1930er Jahre für die Entwicklung der Volksbüchereien als unbefriedigende Periode angesehen: „Mangelnde ideelle und durch die Hyperinflation verschärft finanzielle Unterstützung durch die Gemeinden, der ab 1924 forcierte Stellenabbau (der vor allem verheiratete Frauen traf) bzw. die Nichtwiederbesetzung von Stellen im öffentlichen Dienst, dazu ein seit 1913 andauernder, kräfteverschleißender ,Richtungsstreit’ innerhalb der Zunft um die ,richtige’ Volksbildungsarbeit der Volksbücherei lähmten und behinderten den Ausbau des Volksbüchereiwesens.“ (Lüdtke, 1992c, S. 73).
Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit betraf auch das Bibliothekspersonal und verstärkte die Konkurrenz zwischen männlichen und weiblichen Bewerbern. Obwohl weiterhin erheblich weniger Männer als Frauen das Examen ablegten, so verschoben sich bei Anstellung die Zahlen zugunsten der Männer. Nachdem die Frauen die Pionierleistungen der Anfangsjahre erbracht hatten, wurde der Beruf für Männer zunehmend interessant. Doch das „würde sich, so hoffte manche Bibliothekarin, außerdem auf die Reputation des BibliothekarInnenberufes, die von ihnen selbst als gering eingeschätzt wurde, und somit auf eine - bessere - Besoldung nur günstig auswirken“ (Lüdtke, 1992c, S. 75).
Das Image der Bibliothekarin als gebildet, ledig, kinderlos verdankt sich dem Umstand, dass die zahlreichen verheirateten Bibliothekarinnen mit diesem Schritt in erzwungener Freiwilligkeit ihren Beruf aufgaben.
↓571 |
„Zwar war die sogenannte Zölibatsklausel, die Beamtinnen eine Heirat untersagte, durch die Weimarer Reichsverfassung aufgehoben worden, aber auf Reichsebene führte sie der Gesetzgeber als Notstandsverordnung wieder ein, so in Verbindung mit der Personalabbau-Verordnung von 1923 oder im ,Dritten Reich’ in Form der Doppelverdiener-Regelung. Wenn auch verheiratete angestellte Bibliothekarinnen rechtlich nicht zur Aufgabe ihres Arbeitsplatzes gezwungen werden konnten, so galten doch für Frauen Beruf und Familie weithin als unvereinbar. … Diejenigen, die im Beruf verblieben … waren also fast ausnahmslos ledig und kinderlos.“ (Lüdtke, 1992c, S. 78).
Und diese hatten durchaus ein berufliches Selbstverständnis und Selbstbewusstsein entwickelt. Hervorragend ausgebildete, erfahrene, sachkundige und ausgesprochen engagierte Frauen leiteten während der Weimarer Republik Mittel- und Großstadtbibliotheken und einige der Büchereischulen. „In Elise Hofmann-Bosse und Maria Steinhoff hatten die Büchereischulen in Leipzig (ab 1914) und Köln (ab 1928) richtungsweisende Leiterinnen, ohne Johanna Mühlenfeld und Therese Krimmer (Berlin) läßt sich die Kinderlesehallen- und Kinderbibliotheksarbeit nicht denken, unter Lilli Volbehrs Leitung wurde 1933 in Hamburg die erste moderne großstädtische Gesamtfreihandbibliothek nach angelsächsischem Vorbild eröffnet. Helene Nathan praktizierte seit 1921 im Neuköllner Arbeiterquartier benutzernahe Formen der Ausleihbarkeit, und in Charlottenburg schuf Marie Nörenberg Büchereiangebote für Blinde und erwerbslose männliche Jugendliche.“ (Lüdtke, 1992c, S. 78f.).
Zu den auch heute noch bekannten Pionierinnen zählen ferner Bona Peiser (1864 - 1929), die Berliner „Wegbereiterin der Bücherhallenbewegung und Deutschlands erste Volksbibliothekarin“ (Adametz, 1992, S. 133), sowie Bennata Otten (1882 - 1955), die „langjährige Leiterin der Lübecker Öffentlichen Bücher- und Lesehalle“ (Jank, 1992, S. 151).
↓572 |
Auch stieg der Anteil der Akademikerinnen in den Volksbibliotheken durch den nun in Deutschland ermöglichten Zugang der Frauen zu den Universitäten.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 wurden auch zahlreiche Männer und Frauen aus dem Bibliotheksdienst entfernt, zum Ausscheiden gedrängt oder in den einstweiligen Ruhestand versetzt, so zum Beispiel Helene Nathan (1885 – 1940), die 1921 bis 1933 als Leiterin der Stadtbücherei des Berliner Arbeiterbezirkes Neukölln wirkte, 1933 wegen jüdischer Herkunft und SPD-Zugehörigkeit aus dem Amt gedrängt wurde und sich 1940 das Leben nahm (vgl. Bertz, 1992, S. 187f.).
Der Volksbibliothekar Walter Hofmann (1879 - 1952) vertrat 1933 zudem die Ansicht: „Die Frage der Frauenarbeit in der Volksbücherei darf heute nicht vom ,Standpunkt der Frau’ aus betrachtet werden. Ist diese Arbeit für die Volksbücherei unentbehrlich, dann muss sie erhalten bleiben, ist sie das nicht, dann muss sie ebenso verschwinden wie die industrielle Frauenarbeit verschwinden muss, wenn unser Volk genesen soll.“ (Hofmann, 1992, S. 103). Für sämtliche Spezialleistungen in Beruf wie privatem Haushalt hält er den Mann für ,weit überlegen’, der jede ,Arbeit besser bestellen kann’. Den Frauen billigt er die Fähigkeiten zu, ,Atmosphäre’ im volksbibliothekarischen Alltag schaffen zu können, doch ,ihre eigentliche Aufgabe’ erfüllen sie als Hausfrauen: „Dass in der deutschen Welt, die ohne spezialisierte Höchstleistung auf allen Einzelgebieten des Lebens nicht mehr bestehen kann, doch das Haus, diese Stätte menschlich-ganzheitlichen Lebens erhalten bleibt, ist eine volksbiologisch-seelische Notwendigkeit ersten Ranges. Und in der Pflege und der Erhaltung des Ganzen, im Leben im Ganzen, da erfüllt die Frau ihre eigentliche Aufgabe. Dieses Leben im Ganzen ist es geradezu, was ihr die Höchstleistung auf einem der Teilgebiete verwehrt.“ (Hofmann, 1992, S. 103).
↓573 |
Trotz Mutterkreuzideologie erfolgte jedoch kein genereller Zwang für die Frauen zum Rückzug ins Private. Allerdings wurden Frauen „dazu angehalten, aus dem Erwerbsbereich auszuscheiden. Beispielsweise gewährte das Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit vom 1. Juni 1933 Männern, deren Ehefrauen ihre Erwerbstätigkeit aufgaben, eine Prämie von bis zu 1.000 Reichsmark.“ (Antonic/Hogrefe/Meyer, 2005, S. 35).
Frauen, denen Ehe und Familie versagt war, lebten die ihnen zugeschriebene soziale Mütterlichkeit in der bibliothekarischen Praxis. Nach 1939 mussten sie die kriegsbedingte Abwesenheit der Männer mit einem noch höheren Maß an Verausgabung ersetzen.
So sorgten sie dafür, dass die Volksbüchereien immerhin bis zum vollständigen Zusammenbruch weiterarbeiten konnten. Nach 1945 drängten die Männer zurück in die zivilen Berufe, insbesondere in die Führungspositionen.
↓574 |
Der Frage nach Inhalt und Qualität der bis 1945 so standhaft aufrechterhaltenen Literaturvermittlung wird in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen, da für diese Untersuchung in diesem Kapitel nicht zielführend.
In der Preußischen Staatsbibliothek Berlin absolvierten 1920 von insgesamt 66 Diplomanden 87 % Frauen die Diplomprüfungen, 1940 von insgesamt 215 Diplomanden 79 % Frauen. Die unregelmäßig erschienenen ,Jahr-’ bzw. ,Handbücher der deutschen Volksbüchereien’ verzeichneten für das Jahr 1926 in Volksbüchereien 853 Beschäftigte, ohne Angabe zur Geschlechterspezifik, für das Jahr 1940 bereits 1284, davon ca. 73 % Frauen (vgl. Lüdtke, 1992c, S. 89).
Durch Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und die zunehmende Präsenz von Mädchen und Frauen an Gymnasien und Universitäten hat die Rolle der berufstätigen Frau ihren Ausnahmestatus überwunden.
↓575 |
Geblieben ist die Feminisierung eines Berufsstandes, auf den die amerikanische Geschichtsprofessorin Dee Garrison bereits im Jahr 1972 öffentlich hinwies. „Die amerikanische Historikerin Dee Garrison hat als erste - für die USA - den geringen Status des Bibliothekarberufes und seine vergeblichen Bemühungen um die Anerkennung als Profession mit der ,Feminisierung’ in Zusammenhang gebracht. Sie bezieht die Auswirkungen der Feminisierung auch auf die Institution Bibliothek und deren unsicheren Status. Bibliothekarinnen hätten sich den herrschenden Rollenzuweisungen bereitwillig angepaßt, sie sogar langfristig noch stabilisiert, z. B. durch fehlendes Streben nach Autonomie, mangelnde Aufstiegsmotivation und eingeschränktes berufliches Engagement. Mit ihrer Arbeit in der Bibliothek und der Betonung des ,Dienens’, das immer als ,weibliche’ Eigenschaft gesehen wurde, hätten sie vielmehr zur Erhaltung des traditionellen weiblichen (Selbst-)Images beigetragen.
Feministische Bibliothekshistorikerinnen haben diese These inzwischen heftig kritisiert, weil dadurch Bibliotheksmitarbeiterinnen zu pauschal und einseitig für negative Entwicklungen verantwortlich gemacht werden.“ (Lüdtke, 1997, S. 7f.).
Für die frühen Jahre und ihre Langzeitfolgen stellt Garrison fest: „Unvermutet aber befanden sich die AmerikanerInnen in den Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende in einer sozialen Umwälzung, in der sich tiefgreifende Veränderungen in der Haltung gegenüber Frauen und ihrer Berufstätigkeit vollzogen.
↓576 |
Die öffentlichen Bibliotheken in den USA spielten dabei eine wichtige Rolle, denn die Feminisierung des Bibliothekarberufs schritt rasch voran. 1852 wurde die erste Büroangestellte von der ,Boston Public Library’ eingestellt; 1878 waren bereits zwei Drittel aller in dieser Bibliothek Beschäftigten weiblich, und 1910 waren 78,5 Prozent der Bibliotheksangestellten in den USA Frauen. Der Bibliothekarberuf wurde in dieser Hinsicht nur noch vom Lehrerberuf als dem am stärksten feminisierten Beruf übertroffen.
Gebildete Frauen, die etabliertere Berufe anstrebten, stießen auf Widerstand. So ist es nicht verwunderlich, daß sie im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts vor allem in die Bibliotheksarbeit strömten. In diesem schnell wachsenden Beschäftigungszweig wurden gering bezahlte, aber gebildete Arbeitskräfte benötigt. Da Arbeitsplätze reichlich vorhanden waren, aber auch weil Frauen selbst der Überzeugung waren, die Bibliotheksarbeit entspreche den angenommenen weiblichen Beschränkungen, wurde ihnen der Zutritt durch männliche Bibliothekare nicht verwehrt. Der Bibliothekarberuf paßte sich schnell der eng begrenzten Sphäre weiblicher Beschäftigungen an. Er schien mit der Hausarbeit vergleichbar, galt als kulturelle Aktivität, erforderte keine besonderen Fachkenntnisse oder Körperkraft und brachte wenig Kontakt mit den ,ungehobelteren’ Teilen der Gesellschaft. So konnte Melvil Dewey, als er um die Jahrhundertwende den idealen Bibliothekar beschrieb, voraussagen: ,Die meisten Männer, die diesem Idealbild entsprechen, werden Frauen sein.’
Die Feminisierung des Bibliothekarberufs hatte jedoch unvorhergesehene Langzeitfolgen. Die zahlenmäßige Dominanz von Frauen sollte tiefgreifende Auswirkungen auf den Professionalisierungsprozeß und auf die Angebote der Bibliotheken haben. Die Eigenheiten der Bibliotheksarbeit, eine der wenigen Erwerbsquellen für gebildete Frauen im ausgehenden 19. Jahrhundert, trugen dazu bei, daß der niedrige Status von Frauen in der amerikanischen Gesellschaft auf unabsehbare Zeit erhalten blieb. Vor allem hat der hohe Frauenanteil dazu beigetragen, daß der öffentlichen Bibliothek trotz ihrer Bedeutung als wichtiger kultureller Einrichtung nur eine zweitrangige und zudem ungesicherte Stellung zukam und ihre Entwicklung zu einer marginalen öffentlichen Unterhaltungseinrichtung befördert.“ (Garrison, 1992, S. 245f.).
↓577 |
Ein ähnlich düsteres Bild von der Feminisierung des Berufsstandes zeichnet die amerikanische Professorin und Bibliothekswissenschaftlerin Suzanne Hildenbrand: „Von zentraler politischer Bedeutung für das amerikanische Bibliothekswesen ist die Macht einer Minderheit von Männern, die den Beruf wie auch seine Geschichtsschreibung geprägt hat - vor allem aber auch das Verhalten der Frauen. Während die Professionalisierung, begleitet von Einkommens- und Statusverbesserungen, stets mit ,Maskulinisierung’ gleichgesetzt worden ist, wird die Feminisierung des Berufes mit dessen Verfall und Niedergang in Verbindung gebracht. Entsprechend sind seit dem ersten Auftauchen von Frauen in Bibliotheken bis hin zur Gegenwart Männer auf Kosten von Frauen privilegiert worden, und zwar von Männern wie von Frauen.“ (Hildenbrand, 1992, S. 270).
Und so gehören daher zu ihren Kernforderungen: die Zahl der Studien zu erhöhen über bedeutende Bibliothekarinnen einschließlich der Rahmenbedingungen für ihr Wirken. Und sie fordert von den Ausbildungsstätten die Lehre einer Bibliotheksgeschichte, die die Frauen berücksichtigt. Ferner müsste „Bibliotheksarbeit im Vergleich zu ähnlicher Arbeit neu bewertet werden, um die Gehälter in Bibliotheken insgesamt anzuheben. Vor allem müßten jene Arbeitsgebiete, in denen der Frauenanteil noch über dem Berufsdurchschnitt liegt, und wo deshalb die Gehälter besonders niedrig sind, überprüft werden.“ (Hildenbrand, 1992, S. 274).
Und vor allem „sollten Untersuchungen zum Verhältnis von Frauen- und Männerrollen im Bibliothekswesen für die feministische Bibliotheksforschung an erster Stelle stehen“ (Hildenbrand, 1992, S. 273).
↓578 |
Diese weitsichtige Forderung hat mittlerweile Eingang in die Genderforschung gefunden.
Da die im bibliothekarischen Alltag üblichen standardisierten Statistiken keinerlei geschlechterspezifische Differenzierung aufweisen und diese bisher auch nicht geplant ist, muss auf Einzeluntersuchungen zurückgegriffen werden.
Eine der jüngsten Veröffentlichungen entstand in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und untersucht ‚die Rolle der Frau in Bibliotheken und Informationseinrichtungen’ (vgl. Krauß-Leichert/Gerber, 2005) unter anderem anhand einer Befragung für das Jahr 2002. Die Publikation ist erschienen in der Schriftenreihe ,Gender in den Angewandten Wissenschaften’, und dementsprechend zielorientiert erweist sich der Fragenkatalog. Aus den im Anschluss zu erläuternden Gründen sei er hier wiedergegeben.
↓579 |
1. |
Wo arbeiten Sie? In einer Öffentlichen Bibliothek In einer Wissenschaftlichen Bibliothek In einer Informationseinrichtung |
2. |
Zu welcher Altersgruppe gehören Sie? bis 25 26 - 35 36 - 45 46 - 55 älter |
3. |
Sind Sie weiblich oder männlich? |
4. |
Wie viele weibliche und männliche Mitarbeiter arbeiten in Ihrem Betrieb? |
5. |
Wird die Leitungsposition in Ihrem Betrieb von einem weiblichen oder männlichen Mitarbeiter besetzt? |
6. |
Wenn Sie dazu bereit sind, teilen Sie uns bitte mit, ob die Person, die die Leitungsposition ausfüllt, Kinder hat. |
7. |
Gibt es in Ihrem Betrieb das Teilzeit-Arbeitsverhältnis? |
Wenn ja: Wird dieses Angebot auch von Männern genutzt? |
|
8. |
Gibt es in Ihrem Betrieb Telearbeitsplätze? Wenn ja, von wem werden sie genutzt? Frauen Männer Beiden |
9. |
Gibt es in Ihrem Betrieb frauen- oder männerspezifische Tätigkeiten, d. h. Tätigkeiten, die größtenteils nur von Frauen bzw. größtenteils nur von Männern ausgeübt werden? Wenn ja, welche? |
10. |
Wie beurteilen Sie das Arbeitsverhältnis zwischen Männern und Frauen in Ihrem Betrieb? sehr gut gut befriedigend nicht besonders schlecht egal |
11. |
Was sagen Sie zum Vorurteil, dass in Bibliotheken ,graue Mäuse’ arbeiten und dass in Informationseinrichtungen nur Karriere-Frauen zu finden sind? |
12. |
Wie beurteilen sie die Rolle der Frau in Ihrem Betrieb? |
13. |
Wie sehen Sie die Position bzw. Rolle der Frau in Ihrem Berufsfeld in der Zukunft? (vgl. Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 64ff.). |
Ergebnisorientiert wird hier früh die Sicht auf den Dienstbetrieb geschlechterspezifisch nach männlicher oder weiblicher Sozialisation der Befragten getrennt und diese Sicht wiederum differenziert auf den Betrieb und die Führungsebene gelenkt. Vollends gendergerecht die Fragen 9 und 10, die sich nach den vorangegangenen Differenzierungen mit dem Geschlechterverhältnis befassen - auch hier auf der Grundlage von Frage 3 aus weiblichem bzw. männlichem Blickwinkel.
Der Fragenkatalog ging an 150 Einrichtungen, je 50 Öffentliche und Wissenschaftliche Bibliotheken sowie Informationseinrichtungen und führte zu einer verwertbaren Rücklaufquote von 54 %.
↓580 |
Danach ergibt sich folgende Geschlechterverteilung: in den befragten Öffentlichen Bibliotheken arbeiten zu 85 % Frauen, in den Wissenschaftlichen Bibliotheken 68 % und in den Informationseinrichtungen ca. 50 % (vgl. Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 72).
Für die Leitungspositionen ergibt sich folgendes Bild: die befragten Öffentlichen Bibliotheken werden zu 83 % von Frauen geleitet, die Wissenschaftlichen Bibliotheken (bedauerlicherweise nicht in absoluten Zahlen angegeben) zu ca. 38 % und die Informationseinrichtungen zu 26 % (vgl. Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 73f.).
Als generelle Einschränkung dieser Datenerhebung muss die geringe Anzahl der befragten Bibliotheken gesehen werden sowie die lediglich bei 27 % liegende Rücklaufquote aus den Informationseinrichtungen.
↓581 |
Verdienstvoll ist die Studie vor allem wegen ihrer relativen Aktualität und der genderdifferenzierten Einzelergebnisse.
Die Autorinnen kommen zu dem Fazit: „Im Öffentlichen Dienst, vor allem in den Öffentlichen Bibliotheken, kann eine Frau Kinder mit einer beruflichen Leitungsposition vereinbaren, d. h. Karrierechancen sind hier gegeben. Anders sieht es in den Informationseinrichtungen der freien Wirtschaft aus, hier ist es für Frauen schwerer, Karriere zu machen.“ (Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 92).
Die Arbeitsatmosphäre wird in allen Einrichtungen eher positiv bewertet. In den Bibliotheken arbeiten mehr Frauen als Männer, während die Geschlechterverteilung in den Informationseinrichtungen stark variiert.
↓582 |
„In allen Einrichtungen wird das Klischee der Bibliothekarin als ,graue Maus’ heute zum großen Teil nicht mehr bestätigt. Jedoch ist dieses Stereotyp immer noch virulent, obwohl jede Mitarbeiterin überzeugt ist, selbst keine ,graue Maus’ zu sein. Die derzeitige Rolle der Frau im Betrieb wird genau wie die zukünftige als gleichberechtigt eingeschätzt.
Nach unseren Ergebnissen werden Bibliotheken noch so lange ein Frauenbereich bleiben, solange sich an Bezahlung und Aufstiegschancen nichts ändert . … Eine wichtige Voraussetzung für die positive Entwicklung der Rolle der Frau in Bibliotheken und Informationseinrichtungen ist, dass Frauen zukünftig mit den Neuen Medien und den technischen Entwicklungen offensiver umgehen und dass alte Strukturen aufgebrochen werden.“ (Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 92f.).
Als eine der wenigen Einzeluntersuchungen beschäftigt sich eine Diplom-Arbeit an der Fachhochschule Hamburg mit dem Thema ‚Beispielhafte Überlegungen zum Frauenarbeitsplatz Bibliothek im Spannungsfeld struktureller Dezentralisierungsbestrebungen’ von Birgit Knott aus dem Jahr 1996. Eine recht umfangreiche, verdienstvolle Arbeit, die in diesem Zusammenhang genannt sein, jedoch keine weitere Vertiefung erfahren soll, da sie sich ihrerseits auf die hier nachfolgend untersuchte Quelle stützt und sich im praxisbezogenen Teil auf eine ausgewählte Bibliothek Stadtbibliothek Paderborn konzentriert.
↓583 |
Zum Versiegen weiterer aktueller Publikationen mit bibliothekspolitischen Grundsatzthemen hat sicherlich auch die Schließung des Deutschen Bibliotheksinstitutes seit 1999 (Abwicklung bis 2003) beigetragen, der einzigen hautamtlich betriebenen zentralen Service-Einrichtung für Bibliotheken.
In seiner Schriftenreihe ,DBI-Materialien’ erschien 1995 eine Untersuchung über ,Berufsbild und Selbstverständnis der Bibliothekare in Deutschland 1994’, die auch der Geschlechterperspektive mehrere Kapitel widmet.
„Im Januar/Februar 1994 wurden von einer Arbeitsgruppe Berliner Bibliothekare 1000 Fragebögen an Öffentliche Bibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland verschickt. Unsere Überraschung war sehr groß, als 777 Bibliothekare den Fragebogen ausgefüllt an uns zurücksandten. Eine so hohe Rücklaufquote gehört zu den ganz seltenen Erfolgen der Umfrageforschung. Meistens erreichen die Umfrage-Institute nicht mehr als 30 % Rücklauf auf schriftliche Befragungen. Wir interpretieren dieses Ergebnis als Ausdruck eines großen Interesses der Bibliothekare und Bibliothekarinnen für ihren Beruf …“ (Arndt, 1995, S. 7).
↓584 |
Ist diese Studie auch zehn Jahre vor der eingangs untersuchten Erhebung erschienen, so zeichnet sie sich durch ihre größere soziodemografische Repräsentativität aus. Sie differenziert nach
Die Auswertung birgt summarisch zunächst wenig Überraschendes: „Für das am meisten ins Auge fallende soziodemographische Ergebnis hätten wir keine Umfrage machen müssen: Jeder weiß, daß in den Öffentlichen Bibliotheken Frauen fast unter sich sind. Die Auswertung unserer Umfrage zeigt: Im Durchschnitt sind von den Bibliothekaren der Öffentlichen Bibliotheken 14 % Männer und 86 % Frauen.“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 13).
↓585 |
Relativ gesehen befinden sich die meisten männlichen Bibliothekare in Bayern und Baden-Württemberg, wohingegen die Frauendominanz in Ost-Deutschland überwältigend ist. „In den neuen Bundesländern ist nur jeder zwanzigste Bibliothekar ein Mann.“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 13).
Erst die weitere Auswertung gibt Aufschluss über Hintergründe, Kausalzusammenhänge, unterschiedliche Interessenschwerpunkte und Wirkungseinschätzungen der Geschlechter. „Zunächst zeigt der hochsignifikante Altersunterschied und die Differenz im Familienstand, daß sich die Bibliothekarinnen sehr viel früher und in einer anderen Lebenssituation als die Bibliothekare für die Arbeit in der Öffentlichen Bibliothek entscheiden. Ihre männlichen Kollegen haben offensichtlich bereits andere Berufserfahrungen hinter sich, wenn sie in die Bibliothek einsteigen. Jeder dritte Mann (36 %) gibt an, über die fachspezifische Ausbildung hinaus eine andere berufsqualifizierende Ausbildung gemacht zu haben. Entsprechend niedriger scheint seine Verbundenheit mit dem Beruf zu sein. Nur 29 % würden ihren bibliothekarischen Beruf noch einmal wählen, bei den Frauen sind es 44 %.“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 15f.).
In diesem Zusammenhang steht sicherlich auch die geschlechterspezifische Einschätzung von Image und Außenwirkung des Berufsstandes. Bei den extrovertierten Persönlichkeitsmerkmalen beurteilen die Frauen in wesentlich höherem Maß den Berufsstand als intelligent, kreativ, erfinderisch, humorvoll, fortschrittlich und lebhaft, als dies die befragten Männer tun. Bei den introvertierten Merkmalen schätzen vor allem die Männer den Berufsstand als eher ruhig, bescheiden und langweilig ein (vgl. Kneschke/Koch, 1995, S. 37ff.).
↓586 |
Diese Binnensicht der männlichen Berufsangehörigen auf ihre weiblichen und männlichen Kollegen entspricht dem Ergebnis einer öffentlichen Umfrage der IFLA (International Federation of Library Associations) aus dem Jahr 1992, in der die befragte Öffentlichkeit dem bibliothekarischen Berufsstand zwar ein hohes Maß an Hilfsbereitschaft, Freundlichkeit und Ordnungsliebe attestiert, in der jedoch ebenfalls deutlich wird, dass die Fremdeinschätzung von der Selbsteinschätzung in den Kriterien Kreativität, Erfindungsreichtum und Humor der Bibliothekare erheblich abweicht (vgl. Kneschke/Koch, 1995, S. 27).
Wenn nun der Blick der Frauen auf ihren Beruf so viel positiver ausfällt als der der Männer, so stellt sich die Frage: „Wählen also Frauen den bibliothekarischen Beruf aus Überzeugung und Männer aus gezielten Karrieregründen?“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 16). Dafür spricht einiges.
Die männlichen Bibliothekare sind zu 21 % verbeamtet, die weiblichen zu 10 %. „Weiterhin gibt jeder zweite Mann, aber nicht einmal jede dritte Frau an, ein Bibliothekssystem oder eine Abteilung in der Bibliothek zu leiten. Umgekehrt geben weibliche Bibliothekare erheblich häufiger als die Männer an, keine leitende Funktion auszuüben (32 %). Wertet man die Ergebnisse für die Bibliothekare in den alten Bundesländern gesondert aus … , treten die geschlechtsspezifischen Unterschiede sogar noch deutlicher hervor.
↓587 |
Es zeigt sich also, daß die männlichen Bibliothekare beruflich besser abgesichert sind als ihre weiblichen Kollegen. Durch ihre höheren Positionen werden sie außerdem aller Voraussicht nach auch mehr verdienen.
Wie können diese Differenzen interpretiert werden?
Zunächst scheint das von Frauen so häufig kritisierte Modell des beruflichen Erfolgs auch im Bibliotheksbereich zum Tragen zu kommen. Es reicht ja offensichtlich in diesem frauendominierten Beruf aus, männlichen Geschlechts zu sein, um in der Öffentlichen Bibliothek eine leitende Position zu erreichen. Mit der beruflichen Ausbildung kann dieser geschlechtsspezifische Unterschied jedenfalls nicht erklärt werden. Im Vergleich unterscheiden sich die Männer und Frauen in ihrer Ausbildung nicht voneinander …“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 17).
↓588 |
Bei der Suche nach den Ursachen für dieses Ungleichgewicht wird die bereits genannte Mehrfachqualifikation bei Männern durch Studien- und Berufswechsel in Betracht gezogen sowie die größere Affinität der männlichen Bibliothekare zu den gerätebezogenen Informationstechniken. „Das geschlechtsspezifische Ungleichgewicht in der beruflichen Position scheint daher vor allem mit Unterschieden im Berufsverständnis zwischen männlichen und weiblichen Bibliothekaren zu tun zu haben. … Nicht nur die Berufsmotivation ist bei den weiblichen Bibliothekaren ungleich höher als bei den Männern, auch der Unterschied in der Teilzeitarbeit ist nicht groß genug, um die Differenz in der beruflichen Position zu erklären …“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 19).
Interessant in diesem Zusammenhang ist ein weiterer Aspekt, der erst bei näherer Betrachtung in den geschlechterpolitischen Kontext gehört: Lediglich 11 % der Bibliothekare in Öffentlichen Bibliotheken sind verbeamtet. Im Vergleich mit den Bibliothekaren im Angestelltenverhältnis haben sie häufig eine längere Ausbildung und die Qualifikation für den höheren Dienst.
In Führungspositionen sind sie nicht nennenswert häufiger vertreten als ihre angestellten Kollegen, wohl aber als Leiter von Spezialabteilungen. Ihr Durchschnittsalter liegt über dem der Angestellten.
↓589 |
„Vor dem Hintergrund ihrer Ausbildung, ihres Alters und ihrer beruflichen Position war es daher überraschend festzustellen, daß die Antworten der verbeamteten Bibliothekare im Vergleich zu den Angestellten von Unzufriedenheit und Mutlosigkeit gefärbt waren.“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 20).
Als einer der Gründe hierfür wird angeführt: „Ein Grund für die Mutlosigkeit kann darin liegen, daß 90 % der Beamten in unserer Umfrage in Großstadtbibliotheken arbeiten. Wie wir alle wissen, haben hauptsächlich die Großstadtbibliotheken in den letzten zehn Jahren Einbußen, Einschränkungen und Abbau hinnehmen müssen, von konzeptionellen Weiterentwicklungen kann kaum die Rede sein. … Die Schwerfälligkeit der Großstadtbibliotheken trägt darüber hinaus dazu bei, daß Kreativität und Engagement nicht hinreichend schnell zum Tragen kommen. Man kann die Unzufriedenheit der verbeamteten Bibliothekare sogar als einen Gradmesser für die Schwierigkeit der Großstadtbibliotheken verstehen, flexibel und mit neuen Konzepten auf die neue Medienlandschaft und die Herausforderungen der Informationsgesellschaft zu reagieren.“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 21).
Das bedrückende Fazit der Studie: „Die soziodemographische Auswertung hat zum einen gezeigt, daß die weiblichen Bibliothekare der Öffentlichen Bibliotheken Deutschlands sich über ihre Karriereplanung Gedanken machen sollten. Es können unserer Meinung nach keine anderen als die Frauen selbst dafür verantwortlich gemacht werden, daß bei einer so hervorragenden Ausgangsposition in einem frauendominierten Beruf die leitenden Positionen häufig von den Männern eingenommen werden.
↓590 |
Zum anderen zeigt die Unzufriedenheit der verbeamteten Bibliothekare aus den Großstadtbibliotheken, daß es um die einstigen Flaggschiffe der Öffentlichen Bibliotheken nicht gut bestellt ist. Wenn die Mitarbeiter den Mut verlieren und die neuen Herausforderungen nicht mehr sinnvoll in bibliothekarische Aufgaben umsetzen können, müssen Größe, Strukturen und organisatorische Hemmnisse überdacht und geändert werden.“ (Pawlowsky-Flodell, 1995, S. 21 f).
Dass die Frauen und die Bibliotheken dies aus eigener Kraft erreichen können, darf bezweifelt werden. Auch zehn Jahre nach der Studie haben sich die Rahmenbedingungen nicht zum Besseren verändert: Die Bibliotheken gehören zu den so genannten freiwilligen Leistungen der Kommune, arbeiten also ohne Gesetzesauftrag, werden vom kommerziellen Markt bedrängt, und die immer noch und immer wieder angespannte Finanzlage ihrer Träger verheißt den Bibliotheken eher eine dauerhafte Reduzierung als eine bildungspolitisch initiative Rolle.
Die Deutsche Bibliotheksstatistik verzeichnet in ihrer Gesamtauswertung des Berichtsjahres 2006 insgesamt 8.920 Bibliotheken, davon 8.672 Öffentliche Bibliotheken, davon 2.147 hauptamtlich geleitete Öffentliche Bibliotheken (www.bibliotheksstatistik.de, 30.10.2007).
↓591 |
Aus dieser Übersicht geht ferner hervor, dass in deutschen Wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken insgesamt 23.751 ,Stellen laut Stellenplan’ geführt werden, davon 11.227 Stellen in hauptamtlich geleiteten Öffentlichen Bibliotheken.
Das ,Jahrbuch der Öffentlichen Bibliotheken’ stellt in seiner Ausgabe 2006/07 ,Kurzbeschreibungen, Zahlenmaterial und Kontaktdaten von über 2100 Öffentlichen Bibliotheken’ vor (vgl. Jahrbuch der Öffentlichen Bibliotheken, 2006, S. XI).
Diese Kurzporträts der Bibliotheken enthalten zu etwa zwei Dritteln auch die Namen ihrer Leiter, einschließlich der Vornamen, sodass eine geschlechterspezifische Auszählung vorgenommen werden kann.
↓592 |
Sie führt zu dem Ergebnis, dass ca. 1.150 Öffentliche Bibliotheken von Frauen und ca. 200 von Männern geleitet werden, prozentual also eine Verteilung von 85,2 % zu 14,8 %. Der Circa-Vorbehalt gilt dem Umstand, dass sich in einigen Bibliotheken zwei Frauen die Leitungsposition teilen, ein Vorname nicht eindeutig als männlich oder weiblich identifiziert werden kann oder ähnlichen marginalen Präzisierungshemmnissen.
Das hier ausgezählte Geschlechterverhältnis ist in dreifacher Hinsicht bemerkenswert:
↓593 |
Exzerpiert man allerdings nun aus demselben Jahrbuch die knapp hundert Öffentlichen Bibliotheken in Großstädten, also über 100.000 Einwohnern, Sektionen I und II im Deutschen Bibliotheksverband, so ergibt sich ein Geschlechterverhältnis in den Leitungspositionen von 55 % Frauen und 45 % Männern (jeweils soweit namentlich verzeichnet).
Prozentual umgekehrt zeigt sich das Verhältnis in den Leitungspositionen großer Großstadtbibliotheken, also in Städten ab 400.000 Einwohnern, Sektion I im Deutschen Bibliotheksverband: 8 Leiter und 6 Leiterinnen im Jahr 2006.
Das heißt: je größer und einflussreicher eine Bibliothek, desto eher die traditionelle Rollenverteilung zwischen Leitung und Mitarbeiterschaft.
↓594 |
Dies gilt umso mehr für das Wissenschaftliche Bibliothekswesen und ist hier zugleich schwerer zu ermitteln.
Das klassische ,Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken’ als Verzeichnis der Wissenschaftlichen Bibliotheken, ihrer Service-, Ausbildungs- und Forschungseinrichtungen, nennt zwar ebenfalls die jeweils zuständige Leitung, jedoch mit abgekürztem Vornamen, so dass die Geschlechterzuordnung nur in Einzelfallprüfung über das Personenregister vorgenommen werden kann (vgl. Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken, 2005, S. 419ff.).
Eine im Jahr 2001 durchgeführte Zählung ergab, „dass von allen aufgeführten Bibliotheken 459 Leitungspositionen mit einem Mann und 283 Leitungspositionen mit einer Frau besetzt sind“ (Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 74).
↓595 |
Gerd Paul, Soziologe und langjähriger Leiter einer Wissenschaftlichen Bibliothek in Berlin, hat angesichts dieser wenig aussagekräftigen Quellenlage zum Bibliotheksmanagement eigene Erhebungen durchgeführt, die sich peripher auch mit dem Gender-Aspekt beschäftigen. In einer Zeitreihe in Zehnjahresschritten von 1955 bis 1995 hat sich der Frauenanteil an den Leitungspositionen von 13,6 % auf 33,1 % erhöht (vgl. Paul, 2000a, S. 31). Diese Ermittlung gilt für den Frauenanteil im höheren Dienst in allen Bibliothekssparten.
Für die kleine, aber personalintensive Gruppe der Universitätsbibliotheken stellte er fest: „Die Leitungspositionen von Universitätsbibliotheken sind mittlerweile zu einem Fünftel von Frauen besetzt. Besonders in den letzten acht Jahren hat sich ein Wandel ergeben.“ (Paul, 2000a, S. 33). Und für sein Untersuchungsgebiet Berlin ermittelte er folgendes Ergebnis: „Beim Bibliotheksleitungspersonal zeigt sich eine ungewöhnlich ausgeglichene Verteilung zwischen Männern und Frauen. Mit 51,7 % überwiegt sogar der Anteil der Frauen. Diese Verteilung ist Berlin-spezifisch und gilt nicht für das wissenschaftliche Bibliothekswesen insgesamt, in dem Leitungspositionen nur zu etwa einem Drittel von Frauen eingenommen werden.“ (Paul, 2000a, S. 110).
Auch die seit zwanzig Jahren bestehende Arbeitsgruppe ,Frauen im höheren Bibliotheksdienst’ beschäftigt sich regelmäßig mit diesen berufspolitischen Fragen und den Karriereaussichten für Frauen. In einer Zwischenbilanz wurden die Beschäftigungsverhältnisse im höheren Dienst untersucht: In den Besoldungsgruppen A13 bis A16, einschließlich entsprechender Vergütung nach BAT, betrug der Frauenanteil im Jahr 1985 etwa 22,6 %, im Jahr 1995 bereits 35,7 % (vgl. Passera, 1997, S. 1680).
↓596 |
Die Einzelbetrachtung der Besoldungs- und Vergütungsgruppen ergibt auch hier das traditionelle Bild: Der Frauenanteil in den Gruppen A13/A14 lag 1995 bei 41,3 %, in Gruppe A16 lediglich bei 16,4 % (vgl. Passera, 1997, S. 1680).
Diese immerhin zunehmende Repräsentanz von Frauen in Vorgesetztenpositionen hat eine nicht zu unterschätzende Folgewirkung: So erleichtert das Erleben einer Frau in Führungsposition anderen Frauen die Vorstellung, selbst eine solche Position anzustreben und zu übernehmen. (vgl. Passera, 1997, S. 1681).
Auch auf dem Gebiet der Personalakquise für den höheren Dienst erfolgte eine Tendenzwende. Eine vergleichende Untersuchung von Stellenausschreibungen in bibliothekarischen Fachzeitschriften ergab: „Inhalt der Anzeigen 1974 waren umfangreiche Selbstdarstellungen der Bibliotheken; 1984 erwartete man schon Eigenschaften wie Kooperationsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen etc., also ganz grundsätzliche Anforderungen von Führungsfähigkeiten; 1994 endlich sind Organisationsgeschick, Managementerfahrung, kooperativer Arbeits- und Führungsstil, innovative Organisations- und Personalplanung, Sozialkompetenz, Motivations- und Kommunikationsfähigkeit, Flexibilität, in der ÖB überdurchschnittliche Eignung und Engagement für kulturelle Belange gefragt. Es werden also Fähigkeiten gefordert, die allgemein als weibliche Eigenschaften gelten: Frauen denken vernetzter, kooperativer, ganzheitlicher; Frauen reden direkter, offener und haben Verständnis für den Gesprächspartner; sie haben ein anderes Einfühlungsvermögen und ein anderes Kommunikationsverhalten. … Frauen fühlen sich inzwischen also auch ohne den Zusatz ‚Die Bewerbung von Frauen ist ausdrücklich erwünscht’ von Stellenanzeigen angesprochen.“ (Passera, 1997, S. 1682f.).
↓597 |
Diese konsensuell unterstellte Konkordanz von weiblicher Qualifikation und sozialer wie kommunikativer Kompetenz wird im folgenden Kapitel näher untersucht.
Zum Thema Führungspositionen von Männern und Frauen in Bibliotheken soll hier der Blick auch auf das europäische und außereuropäische Ausland gerichtet werden.
So berichtet Peter Vodosek von einer Untersuchung über das Bibliothekswesen in Dänemark: „Fünfzig Prozent der Bibliothekarinnen und Bibliothekare mit Leitungsfunktionen arbeiten in Bibliotheken mit mehr als 16 Beschäftigten. Insgesamt überwiegt unter den dänischen Bibliotheksleitern der Frauenanteil im Verhältnis 2 : 1. Die Öffentlichen Bibliotheken liegen dabei mit 65 Prozent an erster Stelle. Bei den wissenschaftlichen Bibliotheken beträgt der Anteil 54 Prozent. Von 37 Angehörigen des Topmanagements sind 46 Prozent Frauen, beim mittleren Management beträgt der prozentuale Anteil 73 Prozent.“ (Vodosek, 2002, S. 653).
↓598 |
Und in einer etwas älteren Quelle konstatiert die Dekanin einer amerikanischen Universität: “In 1991, although 80 % of the library work force consisted of women, 80 % of all management positions were held by men.“ (Kaufman, 1993, S. 109).
Grundsätzlich aber sieht sie Fortschritte: “There are more women than ever in leadership roles, throughout society, and librarianship is no exception. More women than ever are assuming roles as leaders in librarianship, as directors of our professional organizations, as directors of our library education programs, as leaders of thought and vision, and, perhaps most notably, as directors of our libraries small and large, academic, public and special.” (Kaufman, 1993, S. 109).
Und seit einigen Jahren erfolgt nun auch eine Gesamtschau auf die Kernthemen Informationszeitalter, Bibliothek und den Gender-Ansatz: “The library profession proclaims itself to be a proponent of both the Information Age and of equity for women … Yet certain features of the Information Age appear to be inhospitable to the goals of gender equity and there is a long history of gender stratification, with men favored for top positions in the profession. Structural changes brought about by the Information Age may foreshadow a resurgence of inequity.” (Hildenbrand, 1999, S. 669).
↓599 |
Aus diesen Betrachtungen und statistischen Daten ist deutlich zu erkennen, dass qualifizierte Frauen in zunehmendem Maß Führungspositionen bekleiden, wenn auch noch keineswegs mit einem Anspruch von Selbstverständlichkeit.
Zunehmend widmet sich die Management-Literatur bei der Beschäftigung mit den Führungsstilen - von autoritär über kooperativ bis partizipativ - hierbei auch den Gender-Aspekten.
Die Professorin und Managementberaterin Gertrud Höhler hat aus ihren Studien über die Wirtschaft die Erkenntnis gezogen: ‚Frauen siegen anders’ (vgl. Höhler, 1995, S. 327).
↓600 |
In einer kritischen Erörterung der Strategien, Verhaltensweisen, Selbst- und Fremdeinschätzungen von Führungskräften sieht sie durchaus Unterschiede und resümiert diese folgendermaßen: „Die deutlichsten Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Spitzenpositionen lassen sich in wenigen Worten zusammenfassen:
Am Ende steht für den Mann immer wieder der Sieg, für die Frau dominiert der befriedigende Prozeß. Siegerlebensläufe sind imponierend; kommunikative Dauerleistungen sind schwerer lesbar. Wer ergebnisorientiert lebt wie die männlichen Manager, kann auf seine Siege zeigen und sich feiern lassen. Wer im Zentrum eines Spinnennetzes sitzt und allen gerecht wird, muß glanzvolle Auftritte und Bilanzen eher scheuen: Die Sache läuft ja noch.
↓601 |
So ist der weibliche Führungsstil auf triumphales Echo weniger angelegt als der der Männer. Frauen werden nicht gefeiert - weil sie sich selbst nicht feiern. Ob der weibliche Stil ein Siegermodell der Zukunft wird, läßt sich heute noch nicht prognostizieren.“ (Höhler, 1995, S. 334f.).
Wenngleich diese Darstellung (beabsichtigt) polarisiert, so werden ihre Kernaussagen doch im Alltag bestätigt, auch in Verwaltungen und Bibliotheken.
Einer Missverständlichkeit gilt es jedoch zu begegnen: Der implizierte gedankliche Schluss, Frauen seien nicht oder weniger ergebnisorientiert, ist insofern völlig unlogisch, als Frauen stets ein klares Ziel vor Augen haben müssen und dies auch haben, um in die prozessuale Phase die erforderliche Tiefe, Mehrdimensionalität (bis hin zur Ganzheitlichkeit) und Kenntnis von Kausalitäten und Konsequenzen ursächlich einzubringen.
↓602 |
Ferner gehört in diesen Zusammenhang, wenn auch nicht vertiefend, zumindest der Hinweis, dass die männliche Fokussierung auf Ergebnisorientierung, schnellen Sieg und öffentliche Vorzeigbarkeit unter Ausblendung triumph-hemmender Faktoren noch keine Gewähr für Qualität und gesellschaftliche Verträglichkeit der so erzielten Ergebnisse bietet.
Als Beraterin männerdominierter Wirtschaftszweige hat Gertrud Höhler diese als durchaus ergänzungsbedürftig durch weibliche Qualitäten erkannt. Sie spezifiziert: „Ein Set weiblicher ,Stichworte’ kann einem männlichen Satz von Stichworten gegenübergestellt werden, wenn wir die wesentlichen Unterschiede in den Führungsstilen der Geschlechter knapp fassen wollen.
↓603 |
Sterben die Sieger aus? Oder wird sich jene Kategorie des Sieges, die für Männer das große Stimulans auf dem Weg nach oben ist, mit ,weiblichem’ Interesse an Abstimmung und Ausgleich mischen?“ (Höhler, 1995, S. 336f.).
Nach einer Betrachtung der Vorzüge männlichen Siegeswillens im Konkurrenzkampf der Unternehmen und Märkte kommt sie zu der Überzeugung: „Die Potentiale mischen kann nichts anderes heißen als: die Menschen mischen. Männer und Frauen die Kooperation lehren, die sie einstweilen noch schlecht beherrschen. Solange Männer- und Frauenstile als Alternativen gesehen werden, ist die Innovation unserer Führungsmodelle unmöglich. Das Zusammenwirken beider macht die Realität erst vollständig.“ (Höhler, 1995, S. 337).
Eine kritische Anmerkung bleibt nachzutragen: Wenn Männer, wie zitiert, Regelwerke suchen und Frauen sich für die Abweichung interessieren, so ist dies missverständlich. Der Alltag zeigt, dass sich Frauen für Regelwerke interessieren, diese anwenden und auch selbst konzipieren und dies unter gleichzeitiger Berücksichtigung tangentialer Faktoren und ,Abweichungen’.
↓604 |
Ansonsten hat die lebens- und managementerfahrene Autorin die wesentlichen Gender-Elemente seinerzeit bereits zutreffend herausgearbeitet.
Seitdem beschäftigen sich zahlreiche Publikationen mit der Thematik, vom wissenschaftlichen Anspruch bis zur Boulevardpresse.
Eine „Untersuchung ,einer gemischten Gruppe aus 711 männlichen und weiblichen Chief Executive Officers (CEOs)’ in den Vereinigten Staaten, die von der American Management Association veröffentlicht wurde, fand heraus, daß Frauen ,aufgabenorientiert’ sind und das Schwergewicht auf analytische Fähigkeiten und persönliche Motivation legen, was zusammengefaßt als ,individualistischer Stil’ bezeichnet wird. Männer dagegen ,bewerten strategische Planung, Entscheidungsfindung und effektive Teamarbeit positiv’. Frauen hielten die Entwicklung politischer Fähigkeiten für unbedingt erforderlich, Männer nicht.“ (Mapstone, 1998, S. 262).
↓605 |
Hier also die interpretatorische Zuweisung des Individualismus an die Frauen und der Teamorientierung an die Männer.
Die überwiegende Zahl der Publikationen kommt jedoch zu dem Ergebnis: „Die heutige Führungsarbeit ist vor allem anderen ,Kommunikationsarbeit’. Die hierzu erforderlichen Fähigkeiten werden allgemein folgendermaßen beschrieben:
↓606 |
Das sind nun offenbar eher die ,weiblichen Führungskriterien’. Hinzu kommt noch die ,weibliche’ Fähigkeit zu ,kaleidoskopischem Denken’. Das soll heißen, dass Frauen tendenziell die Fähigkeit besitzen, eine ganze Reihe von Informationen gleichzeitig aufzunehmen und in mehreren Richtungen zu durchdenken, um dann zu mehreren Perspektiven möglicher Ergebnisse zu kommen. Unbestritten ist ebenfalls, dass Frauen eine größere Fähigkeit zu Teamwork besitzen.
Trotzdem hat eine Frau nach wie vor mit wesentlich größeren Vorbehalten gegenüber ihren Führungseigenschaften zu rechnen, ,weil sie eine Frau ist’.“ (Wrede-Grischkat, 2001, S. 195).
Als Ursache, wenn auch unbegründet, stellt die Autorin fest: „Wie sieht also heute das Frauenbild in den Köpfen vieler männlicher Führungskräfte aus, mit denen es die Frauen im Erwerbsleben täglich zu tun haben? Repräsentative Umfragen unter leitenden Herren unseres Landes haben auch noch in jüngster Zeit ergeben, dass die überwiegende Mehrheit von ihnen klare Vorstellungen von der Frau im Beruf hat: Ihr ,natürlicher’ Platz sei der im Vorzimmer des Chefs in einer möglichst dienenden Funktion - eben als ,seine’ Sekretärin. …
↓607 |
Wenn es aber um Führungspositionen geht, zieht die Männergesellschaft es in allen Fällen, bei denen es zu einer Frau auch eine männliche Alternative gibt, uneingeschränkt vor, unter sich zu bleiben. Sachgerechte Begründungen hierfür gibt es nicht. Auch das oft hervorgeholte Argument, Frauen seien für Spitzenjobs ein zu großes finanzielles Risiko, weil sie eventuell schwanger werden und für Wochen oder Monate ausfallen könnten, ist statistisch längst widerlegt: Managerinnen bleiben im Durchschnitt 4,5 Jahre in derselben Firma, Männer im Aufsteigeralter wechseln bereits nach 3,3 Jahren zu einem anderen Unternehmen.“ (Wrede-Grischkat, 2001, S. 191).
Demgegenüber werden in einzelnen Branchen die weiblichen Kompetenzen im Management geschätzt und gesucht. „Als solche werden beispielsweise Teamgeist, Kontaktfreude, soziale Kompetenz, Intuition und die Fähigkeit zu ganzheitlichem Denken und Handeln genannt. Insbesondere wird das zukunftsweisende Innovations, Produktivitäts- und Kreativitätspotenzial betont …
Einige große Unternehmen bzw. der öffentliche Dienst haben Förderungskonzepte für Frauen entwickelt, die z. B. ausschießlich auf weibliches Personal ausgerichtete Maßnahmen der Qualifizierung sowie deren Wiedereinstellung nach längerer Pause (z. B. durch Familieneinflüsse) betreffen.“ (Rahn, 2000, S. 178).
↓608 |
Nach dieser weitgehend konsensuellen Bewertung der Außenwirkung männlicher und weiblicher Führungskompetenzen und -stile verdient gleichermaßen der Aspekt der Selbsteinschätzung eine kurze Würdigung.
,Sichtweisen schaffen Realitäten - oder: die Attribution’, so titelt eine Beratungsunternehmerin ihre Erkenntnisse (vgl.Vollmer, 2005, S. 172).
Für ihren beruflichen Erfolg geben Männer und Frauen unterschiedliche Gründe an. „Frauen werden in der Mehrheit feststellen, dass es sehr wichtig für den beruflichen Erfolg ist,
↓609 |
In ihren Antworten betonen die Männer häufig,
↓610 |
Diese Divergenz in der Selbsteinschätzung prägt nach wie vor die Geschlechter, ihre jeweilige Herangehensweise an die eigene Karriere wie auch ihre Maßstäbe und den Führungsstil gegenüber ihrem weiblichen und/oder männlichen Kollegium.
Zu einer schrittweisen Objektivierung bedarf es der Kontinuität von Frauen in Führungspositionen wie gleichermaßen von Männern in hierdurch weisungsgebundenen Hierarchieebenen. Die Eingewöhnung kann durch Gender-Trainings unterstützt werden.
Auf die immer wieder gestellte Frage nach Akzeptanz und Erfolg weiblicher Führungskompetenz antwortet zum Beispiel die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth: „Frauen gehen anders an Führungsaufgaben heran. Es ist nachgewiesen, dass Unternehmen, in denen Frauen sitzen, besser geführt sind und erfolgreicher arbeiten als bei rein männlicher Führung. Ein Grund ist die hohe soziale Kompetenz. Frauen sind aufgrund kommunikativer und emotionaler Fähigkeiten gut für Manageraufgaben geeignet. Nicht nur, wenn es darauf ankommt, sind sie in ihren Wortbeiträgen kurz, präzise und kommen auf den Punkt. …
↓611 |
Frauen brauchen ihre Fähigkeiten nicht gering zu schätzen. Es beweist Managementfähigkeiten, Familie, Haushalt, Politik und einen Beruf miteinander zu verbinden: Dabei sind Prioritäten zu setzen, tragfähige Kompromisse zu erarbeiten, notwendige Entscheidungen rechtzeitig zu treffen.“ (Roth, 2005, S. 156f.).
Ebenfalls dazu die amerikanische Anthropologin Helen Fisher: „Es ist Zeit, unsere geschlechterspezifischen Unterschiede zu schätzen, Frauen die Gelegenheit zu bieten, ihre natürlichen Talente am Arbeitsplatz zu entfalten, ein neues Verständnis zwischen Männern und Frauen aufzubauen und zusammenzuarbeiten. Ohne diese grundlegende Zusammenarbeit werden beide Geschlechter ebenso wie die Gesellschaft um bedeutende Werte betrogen.“ (Fisher, 2000, S. 357).
Die in diesem Kapitel herausgearbeiteten Grundmuster männlicher und weiblicher Managementqualifikationen und Führungsstile haben Allgemeingültigkeit in der Berufswelt und treffen daher ebenfalls auf die Bibliotheken zu, auch wenn Frauen in Führungspositionen dort keine Seltenheit mehr sind, wie in Kapitel 6.1.3 festgestellt.
↓612 |
Auch der bereits zitierte Berliner Bibliotheksleiter Gerd Paul hebt in seiner Untersuchung über das Bibliotheks-Management auf eben diese Qualifikationen und Fähigkeiten als Erfordernisse der Zukunft ab, allerdings auf einer eher abstrakten Ebene. Er untersucht die ,Bibliothek als soziales Gebilde’ (vgl. Paul, 2000a, S. 63ff.) und kommt in der Schlussfolgerung ,Konsequenzen für Forschung und Praxis’ zu der Einsicht: „Effiziente Führung als Ergebnis komplexer Interaktion und Kommunikation erfordert neben fachlichen und organisatorischen bzw. Managementkompetenzen vielfältige ,soziale Kompetenzen’ (= Fähigkeiten und Qualifikationen). Letztere bilden zusammen mit ersteren (als ,Kompetenz-Mix’) überhaupt erst die Voraussetzungen für professionelle Handlungskompetenz. Profundes Fachwissen und effiziente Managementfähigkeiten reichen nach Erkenntnissen der Management- und Organisationsforschung nicht aus, um das hochkomplexe soziale Geschehen in sich modernisierenden Dienstleistungsorganisationen kompetent zu steuern und den damit verbundenen evolutionären Anforderungen gerecht zu werden.“ (Paul, 2000a, S. 248).
Für das Wissenschaftliche Bibliothekswesen sieht er erhebliche Defizite auf der Leitungsebene.
Die Bedeutung sozialer und damit verbunden kommunikativer und teamorientierter Fähigkeiten für die zukünftigen Dienstleistungsaufgaben moderner Bibliotheken dokumentiert auch der kleine Sammelband ,Soziale Kompetenzen als Leitungs- und Managementqualifikation’ (vgl. Paul, 2000b). Die Tagungsreferate namhafter Vertreter des Bibliothekswesens betonen unisono die Unabdingbarkeit der so genannten ,soft skills’ oder ,social skills’, also eben der Kompetenzen, die genuin bei den Frauen so stark ausgeprägt sind, äußern sich hierzu jedoch mit keinem Wort genderpolitisch. Die Tagung fand 1999 statt, also in der Frühphase vor der Wiederentdeckung einer geschlechterbezogenen Sichtweise und damit vor der gegenwärtigen Gender-Debatte.
↓613 |
Rückschlüsse zwischen der zunehmenden Bedeutung sozialer Kompetenzen und der besonderen Eignung von Frauen für diese modernen Anforderungen des Managements sind also durchaus zulässig.
Die Beschäftigten im Bibliothekswesen können Beamte, Angestellte und Arbeiter sein. Hinzu kommen häufig zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse aus arbeitsmarktpolitischen oder sozialen Gründen.
„Aufgrund der historischen Entwicklung besteht im deutschen Bibliothekswesen ein Nebeneinander von Beamten, Angestellten und Arbeitern, die sogar gleiche Aufgaben wahrnehmen können. Traditionell sind in wissenschaftlichen Bibliotheken meist die Hälfte des Stellenplanes Beamtenstellen und im öffentlichen Bibliothekswesen überwiegen die Angestellten und Arbeiter.“ (Frankenberger/Haller, 2004, S. 368).
↓614 |
Diese unterliegen dem Tarifrecht des öffentlichen Dienstes, das 44 Jahre lang durch den Bundes-Angestelltentarifvertrag BAT geregelt war. An dessen Stelle trat zum 1. Oktober 2005 der Tarifvertrag öffentlicher Dienst TVöD. Dieser gilt nun auch für Arbeiter, deren Beschäftigungsverhältnisse zuvor durch Manteltarifverträge geregelt waren.
Da das Gros des Personals in Öffentlichen Bibliotheken im Angestelltenverhältnis beschäftigt ist, gilt das Hauptaugenmerk der nachfolgenden Untersuchung dieser Gruppe.
Es soll der Frage nachgegangen werden, ob die bereits herausgearbeitete gute Qualifikation des Personals sowie dessen besondere Eignung für die Anforderungen des modernen Managements eine dementsprechende Wertschätzung in Form zeitgemäßer Vergütungen und Entgelte erfahren.
↓615 |
Seit den 1960er Jahren umfasst die Vergütungsspanne für Angestellte in Bibliotheken - also mit und ohne Fachausbildung/Studium - die Gruppen X bis IVa. Hierfür gibt es jeweils Tätigkeitsmerkmale, meist in Form ‚unbestimmter Rechtsbegriffe’ oder Maßzahlen hinsichtlich Bestandsgröße und Entleihungen.
Da der BAT während seiner gesamten Geltungsdauer für Bibliotheksberufe keinerlei Reform erfahren hat, war er als Argumentationsgrundlage für Eingruppierungen aufgrund veränderter Anforderungen an die Arbeitsplätze entsprechend schwer einsetzbar, weil terminologisch karg und unpräzise und daher stets in höchstem Maß interpretationsbedürftig. Neueren Entwicklungen, wie etwa EDV und Marketing, trägt er keine Rechnung. Die Aufstiegsmöglichkeiten enden bei IVa, unabhängig von Bibliotheksgröße, Differenziertheit und Schwierigkeitsgrad der Arbeitsvorgänge oder der mit Organisations- und Leitungstätigkeiten verbundenen Verantwortung oder gar deren Folgewirkungen.
Die so über Jahrzehnte auf sich gestellten Praktiker haben auf zweierlei Weise zur Selbsthilfe gegriffen, die letztlich auch bei den Unterhaltsträgern der Bibliotheken Akzeptanz fand: das Ausweichen auf allgemeine Fallgruppen sowie die Zuhilfenahme von Empfehlungen der bibliothekarischen Fachwelt.
↓616 |
Die Eingruppierung nach allgemeinen Fallgruppen erforderte den Vergleich mit anderen Berufen im Hinblick auf Schwierigkeitsgrad, Wertigkeit und persönliche Qualifikation und die Bibliotheksleitungen mussten über entsprechendes Argumentations- und Verhandlungsgeschick verfügen, vom Mehraufwand ganz abgesehen.
Immerhin ist es auf diese Weise in zahlreichen Fällen gelungen, trotz des engen und längst unzeitgemäßen Rahmens durch den BAT, annähernd arbeitsplatzbezogene Vergütungen zu erwirken und auch die anspruchsvollen Tätigkeiten in großen Bibliothekssystemen mit Spezialabteilungen bis zu den Leitungsfunktionen höher als IVa zu vergüten.
Allerdings war dies häufig nicht auf dem direkten Dienstweg zu erreichen, sondern bedurfte der Einschaltung der Arbeitsgerichte. Um nur ein Beispiel zu nennen, sei hier auf das so genannte Nürnberger Lektorenurteil aus dem Jahr 1985 hingewiesen, das seitdem Eingang in die Fachliteratur gefunden hat und bis heute zitiert wird (vgl. Gödan, 2000, S. 596ff.). „Diese Arbeitsgerichtsurteile blieben indessen ohne Konsequenzen für die meisten Lektoren auch in Großstadtbibliotheken, weil die hohe Eingruppierung an die Besonderheiten der betreffenden Arbeitsplätze … gebunden ist.“ (Umlauf, 1997, S. 251).
↓617 |
Diesem jahrzehntelangen Dilemma haben die bibliothekarischen Fachverbände sehr verdienstvoll entgegengewirkt, wenn auch nur begrenzt erfolgreich, da tariflich nicht bindend.
So haben die Wissenschaftlichen Bibliotheken bereits im Jahr 1978 ,Arbeitsvorgänge in wissenschaftlichen Bibliotheken’ beschrieben. Mit Unterstützung des ‚Niedersächsischen Beirats für Bibliotheksangelegenheiten beim Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst’ entstand ein Tabellenwerk ,zur Praxis der Beschreibung und Bewertung von bibliothekarischen Arbeitsplätzen nach dem BAT’. „Dabei war die Neufassung der Bewertungsvorschriften des BAT, insbesondere die Einführung des Begriffs ,Arbeitsvorgang’ als neue Bewertungseinheit, zu beachten.
Die Aufgabe bestand also darin,
↓618 |
Die Publikation kann keine Rechtsnormen setzen und erhebt diesen Anspruch auch nicht. „Sie versucht Leitlinien zu ziehen, die bei ihrer Anwendung in der Praxis zu prüfen und zu erproben sind. …
Sollte es sich erweisen, daß die vorgelegten Arbeitsergebnisse zu einer sachgerechteren und gleichmäßigeren Bewertung der Arbeitsplätze führen und daß sie den mit derartigen Aufgaben Beauftragten in Bibliotheken und Behörden von Nutzen sind, hat sich die häufig mühevolle und vom persönlichen Einsatz der Ausschußmitglieder getragene Arbeit gelohnt.“ (Sauppe/Vollers, 1978, S. 7).
↓619 |
Im Vorwort zur zweiten, allerdings unveränderten Auflage heißt es: „Die 1978 veröffentlichten ,Arbeitsvorgänge in wissenschaftlichen Bibliotheken’ (AVWB) haben sich zu einem vielbenutzten Arbeitsmittel bei der Beschreibung und Bewertung von bibliothekarischen Arbeitsplätzen nach den im BAT festgelegten Regelungen entwickelt. Sie sind seit längerem vergriffen.“ (Sauppe/Vollers, 1991, S. III).
Die Unzulänglichkeit des BAT und die daher zunehmende Bedeutung dieser fachlichen Praxishilfen zeigt sich in einer weiteren Sonderveröffentlichung zu den Vergütungsgruppen IIa bis I (vgl. Vollers, 1997) sowie einer Neubearbeitung im Jahr 2000, da sich die jahrzehntelangen Hoffnungen auf eine Tarifreform immer noch nicht realisiert hatten. „Dabei war zu berücksichtigen, dass die Entwicklung in den Bibliotheken und die neuen Anforderungen an Bibliotheksangestellte bis zum heutigen Tage keinerlei Niederschlag im Bundes-Angestelltentarifvertrag fanden. Aufgabe der Expertengruppe war es demnach, eine Verbindung von veränderten Arbeitsvorgängen, neuen Anforderungen und der nach wie vor unveränderten Bewertung nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag herzustellen.“ (Jedwabski, 2000, S. 6).
Ebenfalls in einem Akt der Sebsthilfe und auf der Grundlage der genannten Publikationen sind zwischenzeitlich auch die Öffentlichen Bibliotheken tätig geworden. Seit 1999 liegen die ,Arbeitsvorgänge in Öffentlichen Bibliotheken’ (vgl. Gundel, 1999) vor. Auch diese ,Beschreibung und Bewertung’ von Arbeitsplätzen erfolgt in Tabellenform. Grundlage und Maßstab ist nach wie vor der veraltete BAT, da geltendes Recht. Die Darstellung wurde, unter den gegebenen Umständen, optimal differenziert, sie enthält aktuelle Arbeitsbereiche einschließlich EDV und Marketing und sie erweitert die Eingruppierungsmöglichkeiten über Gruppe IVa hinaus nach oben. Die Praktiker haben lange auf diese Veröffentlichung gewartet, und seitdem ist sie unentbehrliches Arbeitsinstrument.
↓620 |
Diese Art der fachlichen Selbsthilfe löst das Problem des veralteten Tarifvertrages dennoch nicht, und sämtliche Fragen der Eingruppierung und Vergütung im Hinblick auf Anforderungen eines Arbeitsplatzes, personale Qualifikation des Stelleninhabers und vor allem die Vergleichbarkeit mit anderen Berufszweigen bewegen sich für die bibliothekarischen Bezüge nicht nur tarifrechtlich auf dem Niveau von 1960.
Die bibliothekarischen Personalverbände und deren fachliche Tarifkommission waren keineswegs untätig in diesen Jahren.
Seit 1974 ringen sie im Verbund mit der zuständigen Gewerkschaft, seinerzeit Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr ÖTV, heute Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, um eine Reform des Tarifvertrages für die bibliothekarischen Berufe.
↓621 |
1979 konkretisierten sich die Chancen in Form eines Angebotes des Arbeitgeberverbandes. Dieses Angebot aktualisierte und differenzierte die Tätigkeitsmerkmale und öffnete die Vergütungen für Diplom-Bibliothekare nach oben bis Gruppe IIa, also bis zur Eingangsvergütung für den höheren Dienst.
Als nicht verhandelbar galten den Arbeitgebern:
↓622 |
Genau um diese Eckpunkte ging es jedoch der Gewerkschaft und den bibliothekarischen Verbänden. „Die Mitarbeiter an Bibliotheken begrüßen, daß endlich - nach 19 Jahren - Tarifverhandlungen für die Angestellten an Bibliotheken durchgeführt werden. Wir unterstützen den Tarifvertragsentwurf der Gewerkschaften nachdrücklich, das heißt:
BAT VIII |
- Eingangsstufe für Bibliotheksangestellte, |
BAT VIb |
- Eingangsstufe für Bibliotheks-Assistenten, |
BAT IVa |
- Eingangsstufe für Diplom-Bibliothekare, |
Öffnung der Tarifgruppen bis BAT I.
↓623 |
Die Tarifverhandlungen müssen endlich zu einem für alle Angestellte an Bibliotheken annehmbaren Ergebnis führen. Wir haben lange genug gewartet.
Schon 1971 versprachen die Arbeitgeber, ummittelbar am Anschluß an die Tarifverhandlungen für Angestellte in der Datenverarbeitung die Tarifverhandlungen für Angestellte an Bibliotheken aufzunehmen.
Seitdem sind noch einmal sieben Jahre vergangen. Unsere Geduld ist nun am Ende.
↓624 |
Die Mitarbeiter an Bibliotheken fordern die Arbeitgeber auf, der zunehmend qualifizierten Ausbildung und Tätigkeit von Angestellten an Bibliotheken so Rechnung zu tragen, daß sich dies auch im Ergebnis der Verhandlungen niederschlägt.“ (Dickmann, 1979, S. 261).
Nach den Erwartungen, die an diese Tarifverhandlungen gestellt worden waren, empfanden die Bibliothekare die Haltung der Arbeitgeber als enttäuschend. In den folgenden Jahren finden sich kämpferische Debatten in der gesamten Fachpresse, die an der Position der Arbeitgeber keinerlei Bewegung hervorrufen und schließlich Ende der 1980er Jahre vollends verstummen.
Die Fachkommissionen sind seitdem nicht untätig gewesen, mussten jedoch angesichts kommunaler Finanzkrisen, Medienwandel, Verwaltungsreform und anderer vorrangig auf die Bibliotheken wirkenden Einflüsse im Status quo verharren.
↓625 |
Als Fortschritt wurde seitdem der TVöD in Aussicht gestellt. Die Tätigkeitsmerkmale dürfen nach 2007 erwartet werden.
Im Vorfeld steht bereits fest, dass die in den Bibliotheken so häufig anzutreffenden Vergütungsgruppen Vb und IVb des BAT zur Entgeltgruppe E 9 zusammengefasst wurden und die Analogie von Beamten und Angestellten damit in den unteren Gruppen des gehobenen Dienstes aufgegeben wurde: der Besoldungsgruppe A 11 entsprach bisher BAT IVa, dies ist nun E 10 und nicht, wie zu erwarten, E 11.
Nun richten sich die Hoffnungen der Bibliotheken auf die Ausarbeitung der Tätigkeitsmerkmale, dass diese die Leistung der Beschäftigten auf aktuellem Niveau im Kontext mit vergleichbaren Berufen bewerten und eingruppieren.
↓626 |
Die hier skizzierten Erfahrungen der Bibliothekare mit der Erreichbarkeit angemessener Vergütungen und Entgelte und die immer wiederkehrenden Finanzkrisen der Bibliotheksträger haben ein Klima der Ernüchterung hinterlassen.
Dies jedoch hat Bibliothekare zu keiner Zeit davon abgehalten, sich mit ihrem Beruf und dessen bildungs- und gesellschaftspolitischem Auftrag zu identifizieren und stets dem Kundennutzen absolute Priorität einzuräumen.
Diese Haltung spiegelt sich in der bibliothekarischen Fachpresse, und dementsprechend spärlich finden sich Veröffentlichungen in eigener Sache.
↓627 |
Seit der Jahrtausendwende ist die Thematisierung nahezu zum Erliegen gekommen, auf die Ausgestaltung des TVöD wird verwiesen. Ob dieser willens und in der Lage sein wird, die tradierten Gerechtigkeitslücken zu schließen, darf mit Spannung erwartet werden in einer Zeit, in der die Öffentlichen Bibliotheken vorrangig unter den Maßgaben Konsolidierung, Umstrukturierung, Prozessoptimierung und weiteren euphemistisch verbrämten Sparzwängen zu wirtschaften haben.
Unabhängig von allen öffentlich diskutierten Faktoren, von denen die Bibliotheken umgeben und beeinflusst sind, also Finanzlage des Trägers, Konkurrenz der Informationsmärkte und Bildungsanbieter sowie die laufende Tarifreform, prägt sie vor allem eines: sie sind Frauenarbeitsplätze.
Diesem Aspekt widmet sich vorläufig letztmalig die Broschüre ,Frauen in Bibliotheken melden sich zu Wort’ aus dem Jahr 1998 (vgl. Kraus/Gumpert, 1998).
↓628 |
Bibliothekarisch gesehen muss die Existenzberechtigung einer nahezu zehn Jahre alten berufspolitischen Publikation stark in Zweifel gezogen werden, nicht so im Hinblick auf die stagnierende Lebens- und Berufswirklichkeit in den Bibliotheken. Aus diesem Grund und wegen ihres fokussierenden Blickes auf diesen andernorts kaum thematisierten Handlungsbedarf, soll sie hier Berücksichtigung finden.
Bibliothekarinnen aus allen Bibliothekssparten, unterstützt von Gewerkschafts-Vertreterinnen mehrerer Bundesländer, haben ihre Kritik am BAT aus Frauensicht zusammengetragen.
Seinerzeit gab es „ermutigende Anregungen … in dem ,ÖTV-Gutachen zur Aufwertung von Frauentätigkeiten’ von 1997. Dieses Gutachten geht von dem Gedanken der mittelbaren Diskriminierung von Frauen in der Erwerbsarbeit aus. Es rückt die Rechtsgrundlagen für einen einklagbaren Anspruch auf gleiche Bezahlung bei gleichwertiger Arbeit unabhängig vom Geschlecht in den Mittelpunkt. Es arbeitet auch heraus, daß die Mitgliedsstaaten und die Tarifvertragsparteien den europarechtlichen Grundsatz ,Gleiches Entgeltes für gleiche und gleichwertige Arbeit’ zwingend berücksichtigen müssen. Das Gutachten geht hinsichtlich der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe bei typischen Frauenberufen dann von möglichen Diskriminierungspotentialen aus, wenn Arbeitsanforderungen, die die Arbeit prägen, nicht berücksichtigt bzw. bei der Differenzierung und Gewichtung vernachlässigt werden, und es schlägt als Maßnahmen u. a. vor: ,Identifizieren der weiblich und männlich besetzten Tätigkeiten, Erarbeiten diskriminierungsfreier Arbeitsbeschreibungen, Evaluation der Tätigkeiten mittels eines diskriminierungsfreien Bewertungsverfahrens und letztlich Ausgleich der Entgeltunterschiede’.“ (Reiß, 1998, S. 48).
↓629 |
Das wissenschaftliche Gutachten wurde erstellt von der Arbeitsrichterin Regine Winter und es trägt explizit genderpolitische Züge. Sie argumentiert auf der grundlegenden Erkenntnis: „Entgeltdiskriminierung von Frauen bei verschiedenartiger aber gleichwertiger Arbeit erfolgt subtil, unsichtbar und ,mittelbar’. Sie ist tief in der Struktur von Tarifverträgen enthalten.
Im Gegensatz zu anderen Ländern - insbesondere USA, Großbritannien, Kanada, Schweden, Norwegen und Schweiz - wurde diese Erscheinungsform mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts bisher in der Bundesrepublik kaum problematisiert.
Im Gegenteil steht zum Beispiel der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in dem Ruf, Arbeit unabhängig vom Geschlecht zu bewerten und zu entgelten. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch ersichtlich, daß dies zwar im Hinblick auf die Entgeltung ,gleicher Arbeit’ berechtigt ist: Denn in der Tat werden beispielsweise Erzieherinnen gleich bezahlt wie Erzieher … und Ingenieurinnen gleich wie Ingenieure.
↓630 |
Männer und Frauen verrichten jedoch häufig nicht die gleiche, sondern verschiedenartige Arbeit. Viele Berufe und Tätigkeiten werden überwiegend von den Angehörigen jeweils eines Geschlechts ausgeübt. Verschiedenartige Arbeit wie etwa die von Erzieherinnen und die von Elektrotechnikern kann jedoch durchaus gleichwertig sein. Meine Untersuchung ergibt, daß auch im BAT in Hinsicht auf die Entgeltung ,verschiedenartiger aber gleichwertiger Arbeit’ von Frauen und Männern Handlungsbedarf besteht.“ (Winter/Krell, 1998, S. 58).
Die Analyse ist mit zahlreichen Beispielen eher männlich oder weiblich besetzter Berufe und deren unterschiedlicher Vergütung versehen und „kommt zu dem Ergebnis, daß im öffentlichen Dienst der ,Arbeitgeber Staat’ aus seiner Mitgliedschaft in der EG heraus verpflichtet ist, eine diesbezügliche Analyse und daraus folgend ggf. die Korrektur der Tarifstruktur in Kooperation mit dem Tarifvertragspartner vorzunehmen hat. … Die … Erfahrungen zeigen, daß positive Veränderungen innerhalb weniger Jahre durchgeführt werden können, wenn der entsprechende politische Wille vorhanden ist.“ (Winter/Krell, 1998, S. 59).
Das Gutachten bezieht sich auf sämtliche im BAT tarifierten Berufe. In einer Einzelbetrachtung für die Bibliotheken wird der ,Vergleich: Diplom-BibliothekarInnen und Laboringenieure an Fachhochschulen’ unternommen und im Detail nach Qualifikationsvoraussetzungen, Aufgabenspektrum, Verantwortlichkeit, Eingruppierungskriterien und Aufstiegsmöglichkeiten untersucht und kommt zu dem Ergebnis: „Schon diese kurz gefaßte Gegenüberstellung macht meines Erachtens deutlich, daß es hier angemessen ist, von vergleichbaren Qualifikationen und Tätigkeiten zu sprechen. Trotzdem sind die angestellten Diplom-BibliothekarInnen (vielfach Frauen) an Fachhochschulen von einer vergleichbaren Berufskarriere ausgeschlossen.“ (Moos, 1998, S. 51). Die bibliothekarische Eingruppierung am Beispiel der Wissenschaftlichen Bibliotheken erfolgt per Bewährungsaufstieg bis IVb BAT, das Eingruppierungsspektrum reicht bis IVa BAT, bei dem zum Vergleich herangezogenen Ingenieur liegen diese Grenzen bei III BAT bzw. II BAT (vgl. Moos, 1998, S. 50).
↓631 |
Auch hier richtet sich die Hoffnung auf die Reform des Tarifvertrages sowie auf das geltende europäische Recht, „denn entsprechende Richtlinien und der Rechtsanspruch auf gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit gelten schon seit Jahren auch im Europarecht. Sie wurden 1997 (Beschlüsse von Amsterdam) noch einmal präzisiert und unterstrichen. Dies ist eine interessante politische und rechtliche Entwicklung für eine Reihe von typischen Frauenberufen. Auch für die Frauen in Bibliotheken.“ (Moos, 1998, S. 54).
So wie hier skizziert ist die berufliche Realität bis heute geblieben. Zwischenzeitlich boten Berufsverband und Gewerkschaft Fortbildungsveranstaltungen an zum neuen Tarifvertrag und seinen Potenzialen für Bibliotheken, sofern sich diese bereits erkennen ließen.
Im Kontext dieser Untersuchung von Frauenberuf und Vergütung ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Die zunehmende Technologisierung auch der Bibliotheksberufe erfordert die Umgestaltung sämtlicher Arbeitsplätze, Arbeitsmittel und -methoden. Eine Alternative gibt es nicht, und der Anpassungsprozess vollzieht sich schrittweise durch Schulungen, Fortbildungen und Learning by Doing. Die Umorganisation der Bibliothek sowie die Umorientierung der Mitarbeiterschaft vollziehen sich flächendeckend und zunächst geschlechterneutral.
↓632 |
Die differenziertere Betrachtung ergibt, dass sich auch hier die traditionell unterschiedlichen Interessenschwerpunkte der Geschlechter durchsetzen, abbilden und wiederum Einfluss auf die Vergütung haben.
Eine Studie ergab: „Männer sind überall dort im EDV-Bereich dominant vertreten, wo Entscheidungen getroffen werden und wichtiges technisches Know-how gefragt ist. Sehr viele Frauen dagegen arbeiten vor allem im Bereich der EDV-Anwendung, wo künftig weitere Rationalisierungen möglich sind (Verbuchung durch Automaten, mehr Fremddatenübernahme). In diesen Bereichen kann es vermutlich in vielen Bibliotheken künftig weniger Arbeitsplätze geben.
Andererseits: in den wichtigen bibliothekarischen Bereichen Auskunftsdienst per EDV, Mitarbeiterschulung und Beratung bzw. Anleitung bei der EDV-Nutzung sind Frauen - besonders in Öffentlichen Bibliotheken - durchaus gut vertreten. Ihre Präsenz in diesen EDV-Bereichen entspricht allerdings auch nicht ihrem Gesamtanteil in den Bibliotheken.“ (Spribille, 1998, S. 17).
↓633 |
Bei der Suche nach den Ursachen ergibt sich das traditionelle Bild: „Interessanterweise wird in denselben Untersuchungen berichtet, daß es vor allem mangelndes Selbstbewußtsein ist, das Frauen sowohl von der EDV als auch von Führungspositionen abhält. Fehlendes Selbstvertrauen hindert Frauen vielfach am erfolgreichen Lernen in EDV-Kursen, wenn in diesen männliche EDV-Cracks den Ton angeben.“ (Spribille, 1998, S. 18).
Und auch die in Kapitel 6.1.2 bereits untersuchte Studie aus dem Jahr 2005 enthält eine Auswertung über ,Geschlechterverteilte Tätigkeiten im Betrieb’ und kommt zu dem Ergebnis: „In den Öffentlichen Bibliotheken sind die Tätigkeiten zum größten Teil geschlechtsneutral. Als männerspezifische Tätigkeiten werden die Betreuung des Internet und der Abteilung Technik sowie EDV und Handwerksarbeiten genannt. Frauenspezifische Tätigkeiten in den Öffentlichen Bibliotheken sind nach Aussage der Befragten Aufgaben in der Kinder- und Jugendbuch-Abteilung. …
In den Wissenschaftlichen Bibliotheken ist die Arbeit meistens geschlechtsneutral verteilt: Zu den geschlechtsspezifisch genannten Tätigkeiten zählen bei den Männern z. B. Magazin- und Transportarbeiten aufgrund der Schwere der Arbeit, ebenso die Betreuung der EDV und der Technikabteilungen oder die Arbeit an der Pforte. In einigen Institutionen sind alle Diplom-Bibliothekarinnen weiblich. Als Frauen-Tätigkeit wird auch die Verwaltung genannt. …
↓634 |
In den Informationseinrichungen verhält es sich ähnlich wie in den Bibliotheken. Die Arbeit ist zum größten Teil geschlechtsneutral verteilt. Ausnahmen sind auch hier frauenspezifische Arbeiten wie Sekretariat und Administration und männerspezifische Arbeiten wie die Betreuung des Rechenzentrums, die Hausmeister- und Fahrdienstposten.“ (Gerber/Mundt/Rabe, 2005, S. 82f.).
Bei Ausblendung der vorrangig Körperkraft erfordernden Tätigkeiten kristallisieren sich bei allen Sparten die Zentralfunktionen im Technologiebereich als die verstärkt von Männern besetzten Arbeitsbereiche heraus.
Ein paralleler Blick in die Vergütungstabellen zeigt, dass für die bibliothekarischen „Arbeitsvorgänge, bei denen die Hard- und Software nicht Arbeitsinstrument zur Bearbeitung anderer Arbeitsgegenstände, sondern selbst Arbeitsgegenstand ist“ (Gundel, 1999, S. 97), die Vergütungsgruppen IVa BAT und III BAT empfohlen werden, sofern nicht sogar spezielle EDV-Tarife für Operator, Systemadministrator oder vergleichbare Aufgaben gelten. Die Begründung liegt im Erwerb zusätzlicher, spezifischer EDV-Kenntnisse zur Erfüllung dieser Arbeitsaufgaben (vgl. Gundel, 1999, S. 97).
↓635 |
Demgegenüber werden die meisten bibliothekarischen Tätigkeiten in der Praxis zwischen Vb BAT und IVa BAT vergütet. Selbst die anspruchsvolle ,Auskunft und Beratung an ausgebauten Fachbeständen in Öffentlichen Bibliotheken mit einem Gesamtbestand von mindestens 70.000 Medieneinheiten’ kann derzeit höchstens die Vergütung nach IVa BAT erwarten (vgl. Gundel, 1999, S. 86). Die Gründe hierfür liegen im geltenden Tarifrecht, das die Auskunfts- und Recherchetätigkeit nach den Maßstäben von 1960 regelt, die Aufgaben der DV-Zentralen hingegen noch nicht kannte.
Die noch zu gestaltenden Tätigkeitsmerkmale im TVöD müssen also den gestiegenen Anforderungen an klassische bibliothekarische Aufgaben Rechnung tragen, neu entstandene Arbeitsgebiete integrieren und beides nach zeitgemäßen Maßstäben von Wertigkeit und Vergleichbarkeit festschreiben.
Und zudem werden auch hier die Prüfkriterien für Gender-Gerechtigkeit angelegt werden müssen.
↓636 |
Neben dieser unzeitgemäßen Eingruppierung und unterwertigen Vergütung für Frauenarbeitsplätze in Bibliotheken liegen auch in der Arbeitsorganisation von Frauenbetrieben eine Reihe von Faktoren, die an das Management besondere Anforderungen stellen.
Laut Statistischem Bundesamt waren 40 % der abhängig erwerbstätigen Frauen, aber nur gut 5 % der abhängig erwerbstätigen Männer im Jahr 2002 teilzeitbeschäftigt. Für den öffentlichen Dienst wurde ermittelt: „43 % der im Jahr 2002 im öffentlichen Dienst erwerbstätigen Frauen waren teilzeitbeschäftigt (1,1 Mill.). Bei den im öffentlichen Dienst erwerbstätigen Männern waren es lediglich 9 % (0,2 Mill.). Die Teilzeitquote im öffentlichen Dienst liegt damit sowohl bei Frauen als auch bei Männern höher als die der abhängig Erwerbstätigen in Deutschland insgesamt.
Innerhalb der verschiedenen Laufbahngruppen des öffentlichen Dienstes schwankt der Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen nur leicht. 36 % der im höheren Dienst beschäftigten Frauen waren teilzeitbeschäftigt (87.000). Mit jeweils 41 % lag der Anteil teilzeitbeschäftigter Frauen im gehobenen (317.000) und im mittleren Dienst (482.000) etwas höher. Unter den im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeiterinnen lag der Teilzeitanteil bei 69 % (154.000).“ (Statistisches Bundesamt, 2004, S. 31).
↓637 |
Diese Relationen treffen in noch stärkerem Maß auf die Bibliotheken zu. So berichtete die Stadtbücherei Frankfurt am Main: „Unter den Angestellten waren von 227 Beschäftigten 85 teilzeitbeschäftigt. Das entspricht einem Anteil von 37 Prozent Teilzeitbeschäftigten unter den Angestellten. Davon waren 83 Frauen und zwei Männer.
Der Anteil von Teilzeitbeschäftigten an allen Beschäftigten der Stadtbücherei beträgt 36 Prozent. Im Vergleich dazu waren in der gesamten Stadtverwaltung (ohne Eigenbetriebe und Sondervermögen) 16 Prozent aller Angestellten Teilzeitbeschäftigte, 22 Prozent aller Arbeiterinnen Teilzeitbeschäftigte, und 4,6 Prozent aller Beamtinnen Teilzeitbeschäftigte. Der Anteil von Teilzeitbeschäftigten an allen Beschäftigten beträgt 16 Prozent. Somit ist der Teilzeitbeschäftigungsgrad bei der Stadtbücherei mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der Stadtverwaltung.“ (Hecht, 1992, S. 1030).
Im Jahr 1992 hat die Fachzeitschrift ,Buch und Bibliothek’ dem Thema Teilzeitarbeit in Bibliotheken bisher letztmalig als redaktionellem Leitthema breiten Raum gewidmet.
↓638 |
Die Gründe für den hohen Grad an Teilzeitbeschäftigung auch in den Bibliotheken liegen nur selten im individuellen Interesse der Frauen, sie sind vielmehr bedingt durch Familienpflichten für die Kinder- wie auch für die Elterngeneration. In der Regel ist der männliche Partner der Besserverdiener, und so ergibt sich für den Frauenbetrieb eine gewisse Zwangsläufigkeit, diesen hohen Anteil Teilzeitbeschäftigter zu organisieren.
Die Frauen sind hoch motiviert, arbeiten effizient und mit guten Ergebnissen, bringen jedoch einen weiteren Sachzwang in die Bibliothek im Hinblick auf die Lage ihrer Tagesarbeitszeit, meist wunschgemäß an Vormittagen oder auch an speziellen Wochentagen.
Vergütungsmäßig sind diese Familienmanagerinnen äußerst kompromissbereit, und häufig genug verzichten sie auf die Bekleidung höherwertiger Aufgaben und Planstellen. Nach der Familienphase bedarf es erhöhter Fortbildungsbereitschaft und beruflichen Selbstvertrauens, um den Karriereanschluss an die Altersgruppe der Männer und kinderlosen Frauen wieder zu erlangen. Dieser Verzicht bringt gegenüber Männern Verluste bei Gehalt, Alterssicherung und persönlicher Freiheit mit sich und ist doch selbstverständlicher Bestandteil weiblicher Erwerbsbiografien.
↓639 |
Und für die Bibliotheken sind diese Lebensläufe mit Mehraufwand verbunden. Für die Beurlaubungsphasen muss Ersatzpersonal angeworben und eingearbeitet werden, und diesem wiederum muss nach Rückkehr der Vertretenen eine Perspektive geboten werden. Die Einsatzplanung für Teilzeitkräfte im Dienstbetrieb erfordert Organisations- und Improvisationsgeschick, und die Anzahl der zu verwaltenden Arbeitsplätze erhöht sich.
Als einer der zahlreichen Vorzüge sei genannt, dass Fehlzeiten dann ebenfalls nur Teil-Fehlzeiten darstellen.
Für erfahrene Personalmanager in Bibliotheken ist dies alltägliche Routine, solange der Unterhaltsträger dies unterstützt durch Einstellung von Vertretungspersonal, Ausstattung von Einzelarbeitsplätzen und Berücksichtigung von Einarbeitungszeiten.
↓640 |
In der Praxis war und ist dies jedoch nicht immer der Fall. Die Leiterin der Öffentlichen Bibliothek Ernst-Abbe-Bücherei in Jena wies frühzeitig darauf hin: „Stadtverwaltungen werden unter dem Gesichtspunkt der Personalkosteneinsparung dem Wunsch nach Teilzeitbeschäftigung gern nachkommen. Bibliotheksleitungen sollten dies nicht tun. Teilzeitarbeit könnte letzten Endes zu einem Weg der Personalreduzierung werden.“ (Kasper, 1992, S. 1038f.).
Auch die langjährige Leiterin der Stadtbibliothek Böblingen zieht eine eher kritische Bilanz: Die „Tendenz, gesellschaftliche Probleme zu lösen, indem Kolleg(inn)en ausbaden müssen, was Gesetz geworden ist - zum Beispiel durch Freistellung bei der Krankheit eines Kindes oder längeren Mutterschutz -, ist unzumutbar. Denn klar ist, das muß ja alles im Betrieb aufgefangen werden. Und so baden die Gutmütigen wieder aus, was eigentlich zum Schutz der Frau ersonnen war!
Kann man denn eine Kollegin hängen lassen, die wegen eines kranken Kindes, oder weil die Betreuungsperson ausfällt, ihren Dienst kurzfristig ändern muß? Eine Lösung, die beide Seiten zufriedenstellt, ist nicht in Sicht, in Zeiten leerer öffentlicher Kassen gleich gar nicht.
↓641 |
Und so haben wir Gleichheit vor dem Gesetz, einklagbare Rechte, Frauenförderpläne, Frauenbeauftragte und und und. Und so freuen wir uns über Teilzeitstellen und hüpfen dabei nicht selten in eine Falle und rufen nach den teilzeitarbeitenden Männern! Wenn es die in größerer Zahl gäbe, dann hätten nicht nur die Familien zuhause weniger Probleme, ich bin mir sicher, dann wäre auch die gesellschaftliche Einschätzung der Teilzeitarbeiter höher, und der Druck, bessere Modelle zu finden, würde wachsen.“ (Mücke, 1992, S. 1048f.).
Diese Erfahrungen machen Bibliotheksleitungen auch 15 Jahre später noch und hieraus ergibt sich einmal mehr die Notwendigkeit genderpolitischer Maßnahmen.
Für Angebot und Abschluss von Zeitverträgen, also befristeten Beschäftigungsverhältnissen, gibt es zahlreiche Gründe: Projektarbeit, Saisonarbeit, Erprobungsphasen etc. und in besonders hohem Maß weibliche Lebensläufe. Die gesetzlich geschützten Phasen von Mutterschutz und Elternzeit unterbrechen die Erwerbstätigkeit und günstigenfalls überbrückt der Arbeitgeber diese Vakanz durch eine Vertretung. Die Bibliotheken mit ihrem hohen Frauenanteil müssen also besonders häufig zu dieser Maßnahme greifen.
↓642 |
Das auf den ersten Blick wenig erstrebenswert wirkende Angebot eines Arbeitsvetrages mit zeitlicher Befristung hat sich über Jahrzehnte in den Bibliotheken durchaus bewährt und kann theoretisch als win-win-Situation für beide Partner bezeichnet werden - allerdings nur unter einer Voraussetzung: Planungssicherheit der Bibliothek durch gleichbleibende Finanzausstattung.
So war es möglich, neue Fachkräfte zu gewinnen, vorausschauend einzuarbeiten und die Qualifikation zu erkennen. Die Vertretungskräfte konnten sich bewähren oder im Ausnahmefall den Arbeitsvertrag auf eigenen Wunsch kurzfristig lösen.
In der Regel zeichneten sich während der Befristungsphase neue Stellenvakanzen ab, die die Weiterbeschäftigung der Vertretung ermöglichten, bis sich eine Festanstellung ergab. Dies erfolgte häufig durch eine gewisse Gesetzmäßigkeit, indem die Vertretene bei Rückkehr ihre Arbeitszeit reduzierte und die Vertretende zunächst die freien Arbeitszeitanteile übernahm und nach diesem Einstieg schrittweise zu Dauerbeschäftigung und existenzsicherndem Einkommen gelangte. Kehrte die Vertretene nicht zurück (oder Arbeitsplätze wurden durch Verrentung frei), so erhielten Neueinstellungen von Beginn an einen Arbeitsvertrag ohne zeitliche Befristung.
↓643 |
Jede Bibliotheksleitung kennt diese Praxis. Sie bedeutet Mehraufwand, erfordert Organisationsgeschick und gelegentlich Improvisationstalent, aber auch in dieser Form ist Frauenförderung ein gesellschaftspolitischer Auftrag und Beitrag der Bibliotheken.
Diese durchaus bewährte Praxis birgt allerdings zwei gravierende Risiken: Befristung als Prinzip und Befristung als Zugriffsmöglichkeit für Mittelkürzung.
Bereits im Jahr 2000 waren von dem Hochschulabsolventenjahrgang 1999 insgesamt „68 % der BID-Arbeitsverhältnisse befristet“ (Ridder/Müller, 2001, S. 22).
↓644 |
,Ein Kommen und Gehen. Die Generation der Zeitverträge in deutschen Bibliotheken’, so titelt ein Aufsatz in ,Buch und Bibliothek’, und die Autorin findet „es erstaunlich, dass das Thema in der bibliothekarischen Öffentlichkeit kaum diskutiert wird. Nur hin und wieder blitzen vereinzelt Wortmeldungen auf und werfen ein Schlaglicht auf die angestauten Emotionen im Verhältnis zwischen ,Festen’ und ,Befristeten’.“ (Wienholz, 2005, S. 568).
Die Emotionen haben sich in jüngster Zeit aufgestaut, weil die eingangs dargestellte Praxis seit einigen Jahren außer Kraft gesetzt ist. So „scheint den politisch Verantwortlichen nicht bewusst zu sein, welche Personalpolitik inzwischen im öffentlichen Dienst betrieben wird. …
In der Tat aber sind die öffentlichen Arbeitgeber in Sachen Zeitverträge sogar Vorreiter: 2004 waren zehn Prozent der Angestellten im öffentlichen Dienst befristet beschäftigt, in der Privatwirtschaft dagegen nur acht Prozent. Überproportional betroffen sind insgesamt - keine Überraschung - die unter 30-Jährigen: Hier stieg der Anteil der befristet Eingestellten seit 1996 von 22 auf 29 Prozent (Altersgruppe 20 bis 24) beziehungsweise von zehn auf sechzehn Prozent (Altersgruppe 25 bis 30). Innerhalb des öffentlichen Dienstes liegen die Länder mit einer Befristungsquote von fünfzehn Prozent an der Spitze, bei den Gemeinden sind es immerhin schon gut acht Prozent. Diese Zahlen belegen den Eindruck, dass die wissenschaftlichen Bibliotheken noch weit stärker betroffen sind als die städtischen Büchereien.“ (Wienholz, 2005, S. 568).
↓645 |
Dieser Eindruck kann keineswegs bestätigt werden, denn die bereits zitierte Verbleibstudie aus dem Jahr 2001 besagt, dass die Absolventen für das Öffentliche Bibliothekswesen dort gar nicht erst angekommen sind. „Die ÖB-Absolventinnen, die einen befristeten Arbeitsvertrag haben, arbeiten hingegen mehrheitlich in EU-, DFG- oder sonstigen Projekten oder der EDV-Einführung einer BID-Einrichtung. … Lediglich 35,7 % der Befristungen sind hier auf Grund von Vertretung einer besetzten Planstelle entstanden.“ (Ridder/Müller, 2001, S. 23). Das lässt den Schluss zu, dass in Öffentlichen Bibliotheken weniger oder gar keine Vertretungskräfte mehr eingestellt werden. Siehe dazu auch Kapitel 7.2.
Der ansonsten engagierte Aufsatz von Heike Wienholz lässt die von Zeitverträgen Betroffenen selbst zu Wort kommen: „Hier sind in zwölf Jahren zehn Leute auf derselben Stelle gesessen - ein Kommen und Gehen.“ (Wienholz, 2005, S. 568). Und eine weitere Stimme aus dem Bibliotheksalltag: „Dabei konnte sie sich mit ihrer Kette von befristeten Verträgen im Vergleich zu Jana J. noch glücklich schätzen: Bei deren erster Stelle war es gängige Praxis, befristete Verträge einfach auslaufen zu lassen und grundsätzlich nicht mehr zu verlängern. Jana J. durfte ihre Nachfolgerin noch einarbeiten und wurde dann in die Arbeitslosigkeit entlassen.“ (Wienholz, 2005, S. 569).
Der Praxisbericht schließt sarkastisch mit folgender Forderung: „Das ständige Kommen und Gehen kostet aber nicht nur die Arbeitszeit der Kollegen in der jeweiligen Abteilung: Mit der Bewältigung des zeitaufwendigen Bewerbungs- und Auswahlmarathons sind vor allem die höheren Gehaltsgruppen befasst.
↓646 |
In Zeiten, in denen auch bibliothekarische Arbeitsprozesse gern evaluiert werden, wäre es doch eine interessante Fragestellung, inwieweit effektives Arbeiten durch zunehmende Mitarbeiterfluktuation und deren beschriebene Folgen erschwert wird.
Dann hätte man gegebenenfalls Zahlen in der Hand, mit denen gegenüber den politisch Verantwortlichen belegt werden könnte, was die Praktiker sowieso schon wissen. Zahlen scheinen schließlich immer ein besseres Argument zu sein als der Hinweis auf die Lebenssituation der Mitarbeiter.“ (Wienholz, 2005, S. 570).
So deutliche Worte wie diese sind äußerst selten geworden in der bibliothekarischen Fachpresse.
↓647 |
Männliche Erwerbsbiografien nehmen in der Regel und zumal im öffentlichen Dienst einen geradlinigen Verlauf, Veränderungen erfolgen gegebenenfalls durch Arbeitgeber- und Ortswechsel, meist aus karrierefördernden Gründen und soweit persönlich plan- und beeinflussbar.
Ohne Familie oder pflegebedürftige Angehörige können weibliche Erwerbsbiografien in gleicher Weise verlaufen, denn „Berufstätigkeit wird heute von Frauen nicht mehr nur als Übergangsphase bis zur Familiengründung gesehen - sie ist fester Bestandteil ihrer Lebensplanung. Es wird zwar häufig von der Wahl zwischen Kind und Karriere gesprochen, aber um Karriere im Sinne eines zielgerichteten Strebens nach beruflichem Aufstieg geht es meistens nicht. In der Realität ist es aber doch so, dass die Mehrzahl der Frauen ,nur’ den Anspruch erheben, Mutterschaft und eine befriedigende Berufstätigkeit miteinander verbinden zu wollen.
Dass Frauen nicht mehr allein Haus- und Familienarbeit verrichten wollen, hat mehrere Gründe. Hierunter fallen unter anderem
↓648 |
Das Erwerbsverhalten der Frau wird erheblich von der Familienphase beeinflusst, da sie ihr gesamtes Leben nach der Geburt eines Kindes umstellen muss.“ (Antonic/Hogrefe/Meyer, 2005, S 38f.).
Viele kehren gar nicht in den Beruf zurück. „Jürgen Hoffmann zog 1996 folgende Bilanz in einer Sonderveröffentlichung der ,Süddeutschen Zeitung’ in Bezug auf die Rückkehrperspektiven von Frauen, die den erweiterten Elternurlaub genommen hatten: ,Von tausend Frauen kehren hundert an den Schreibtisch zurück.’ …
↓649 |
Ein Grund dafür, dass so viele Frauen nach Ende der Erziehungszeit gegen ihre Absicht zu Hause bleiben, liegt darin, dass ein Teil von ihnen vor der Mutterschaft keine feste Arbeitsstelle hatte - für diese Frauen ist es besonders schwierig wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. Um nicht ganz auf eine Berufstätigkeit zu verzichten, nehmen sie Notlösungen in Form von ,ungeschützter Arbeit’, nicht existenzsichernder Teilzeitarbeit oder auch wohnortnahe, aber nicht qualifizierte Arbeiten in Kauf.“ (Antonic/Hogrefe/Meyer, 2005, S. 42).
Die Einflussfaktoren auf die Erwerbsbiografien von Frauen sind zahlreich, siehe auch Kapitel 1.6, und sie entspringen überwiegend dem Erfordernis familiärer Versorgungsdienstleistungen, also dem Bereich der Care-Ökonomie.
Ebenso vielfältig stellen sich die Konsequenzen dar, für die sich die Frauen entscheiden.
↓650 |
In den Bibliotheken ist dies am häufigsten die Teilzeit, wenn vor der Familienphase ein festes Arbeitsverhältnis bestand oder aber Zeitverträge für den Einstieg und Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit, wie in den beiden vorangegangenen Kapiteln ausführlicher untersucht.
Dies alles hat grundlegende Folgen für die Verdienstmöglichkeiten, für Existenzsicherung und Selbstständigkeit bis hin zur Alterssicherung.
„Grundsätzlich ist zu sagen, dass der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie - trotz aller gesellschaftlichen Veränderungen - auch heute noch auf eine Organisation der Arbeitswelt trifft, die die Trennung von Beruf und Familie geradezu voraussetzt. Zwischen beiden Bereichen herrscht Konkurrenz. Die Arbeitswelt ist auf einen Personentypus zugeschnitten, der frei von jeder Haus- und Familienarbeit und auch über die reguläre volle Arbeitszeit hinaus noch für Überstunden verfügbar ist. Und dieser Typus von Erwerbsperson ist männlichen Geschlechts. Der Spagat zwischen Beruf und Familie ist das Problem der Frauen - sie stellen, wenn dieser Konflikt nicht gelöst werden kann, ihren Berufswunsch zurück. Väter hingegen steigen nicht aus der Berufsrolle aus. Eine familienbedingte Unterbrechung ist in einer männlichen Erwerbsbiographie kein Thema ...“ (Antonic/Hogrefe/Meyer, 2005, S. 43f.).
↓651 |
Und dieses soeben als ,Problem der Frauen’ bezeichnete Strukturproblem überträgt sich auf die Frauenbetriebe, also die Bibliotheken. Und diese wiederum müssen in angemessene Handlungsfähigkeit gesetzt werden.
In der Praxis geschieht häufig das Gegenteil.
© Die inhaltliche Zusammenstellung und Aufmachung dieser Publikation sowie die elektronische Verarbeitung sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, die Bearbeitung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme. | ||
DiML DTD Version 4.0 | Zertifizierter Dokumentenserver der Humboldt-Universität zu Berlin | HTML-Version erstellt am: 28.11.2013 |