8 Zukunftsperspektiven für Gender Budgets

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Die Implementierung von Gender Budgets befindet sich derzeit noch im Entwicklungs- und Erprobungsstadium. Die Grundzüge des Konzeptes liegen jedoch soweit vor, dass nicht nur das Ziel, sondern auch Realisierungsprozess und Auswirkungen vorgezeichnet sind. Einige der Perspektiven werden in den folgenden Kapiteln aufgezeigt, soweit sie sich aus der vorliegenden Untersuchung exzerpieren und aus den bisherigen Initiativen verifizieren lassen.

8.1 Akzeptanz

Da Gender Budgeting national zum gesetzesausführenden Instrumentarium erklärt worden war, erscheint die Frage nach der Akzeptanz befremdlich. Dennoch muss für das Konzept Bewusstsein geschaffen werden, aus den mehrfach dargelegten Gründen. Es handelt sich um einen Top-down-Prozess, dessen Initiative von der Verwaltungsspitze oder von der Politik ausgehen muss. Erfolgt dies nicht, können Gleichstellungsbüros oder Bürgerinitiativen die Motivationsarbeit leisten bzw. die Einführung von Gender Budgets einfordern. Die bisher geringe Verbreitung von Gender Budgets macht das Ausmaß noch zu leistender Überzeugungsarbeit deutlich. Globale Herausforderungen, enge Kommunalhaushalte sowie noch nicht realisierte Module der Verwaltungsreform lassen die Akzeptanz für Gender Budgets weiter in die Ferne rücken. Es bedarf also verstärkter Anstrengungen derer, die die Gender-Perspektive berücksichtigt wissen wollen.

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Und daher wäre es verfrüht, aus der operativen Ebene einer einzelnen Bibliothek heraus ein Gender Budget zu erstellen, solange das Bewusstsein für die Notwendigkeit des Konzeptes in den Verwaltungsspitzen noch nicht in genügendem Maß vorhanden ist. Ein Grund zur Entmutigung ist jedoch auch hierin nicht zu sehen, die Akzeptanz ist vielmehr eine Frage der Zeit und der Geduld.

8.2 Datenerhebung

Jede Bibliothek ist mit ihrem vorhandenen Datenmaterial in der Lage, für sich eine geschlechterbewusste Kostenrechnung zu erstellen. Mitarbeiterschaft und Personalkosten können genderspezifisch differenziert werden, und auch von der Nutzerschaft liegen genderrelevante Angaben vor. Die Sachkosten wären je nach Anforderung an dieses Gender Budget zu schlüsseln.

Ein solches Gender Budget wäre jedoch falsch verstanden, da es seinem Auftrag nicht gerecht wird und lediglich den Status quo beschreibt. Erst im Vergleich mit anderen Verwaltungsabteilungen werden genderspezifische Ungleichgewichte sichtbar: Frauenarbeitsplätze sind geprägt durch Teilzeitarbeit und Ansprüche an die Lage der Arbeitszeit, durch Fluktuation und Unterbrechung der Erwerbstätigkeit, durch Einarbeitungszeiten für Vertretungskräfte und gegebenenfalls deren spätere Übernahme und viele weitere Faktoren im Zusammenhang mit den Familienpflichten der Frauen, die die Organisation ihrer Arbeitsplätze beeinflussen.

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Das Datenmaterial für Gender Budgets muss diese Unterschiede zwischen Abteilungen mit männlichen Vollerwerbsbiografien und weiblichen Berufsbiografien berücksichtigen, und der Zweck von Gender Budgets ist es, diese auszugleichen. Dies gilt auch für die Steuerung von Stellenvakanzen, befristeten Arbeitsverhältnissen etc., und wurde in Kapitel 6 ausgeführt.

Die Datenerhebung für Gender Budgets muss also in erster Linie darauf ausgerichtet sein, diese Spezifika pro Abteilung sichtbar zu machen, verwaltungsweit zu vergleichen, durch genderspezifische Maßnahmen letztendlich Gender-Gerechtigkeit herzustellen und diese auch im kommunalen Haushalt abzubilden.

Die in jeder Kommune in der Personalabteilung vorliegenden Daten sind ebenfalls als rudimentäre Grundlage für ein Gender Budget geeignet. Sie können in Zuordnung zu Geschlecht, Arbeitszeitanteilen und Vergütung, selbstverständlich unter Verzicht auf Namensnennung, den Stellenplänen entnommen werden.

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So wie die bekannten Gender Budget-Projekte zur Nutzeranalyse gegenwärtig ihrerseits auf dem vorliegenden Datenmaterial aufbauen, so könnte dies auch im Bereich des Personals, also der Leistungserbringer, erfolgen. Und im weiteren Verlauf des Prozesses wird stärker differenzierendes Datenmaterial erhoben und das Gender Budget-Instrumentarium schrittweise eingesetzt.

Die zögernde Realisierung von Gender Budgets ist also nicht vorrangig mit mangelndem Datenmaterial zu begründen. Vielmehr bedarf es in jedem Fall der Initiative der Verwaltungsspitzen: für ein vorläufiges Gender Budget wie auch für die Erhebung differenzierterer Daten.

8.3 Mittelverteilung

Unabhängig vom geschlechtergerechten Haushalt unterliegt die Festsetzung der kommunalen Mittelverteilung den finanzpolitischen Entscheidungen. Hier werden Beschlüsse getroffen für Sport und Kultur, für Straßenbau und Stadtgrün, für Großprojekte und Daseinsvorsorge.

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Ab Kapitel 3, und insbesondere in den Kapiteln 6 und 7, wurde dargelegt, dass ein Gender Budget Auswirkungen auf die Mittelverteilung innerhalb der Verwaltung haben soll und wird.

Aus Kapitel 4 und 5 wird deutlich, dass das Gender Budget die Perspektive der Nutzer kommunaler Einrichtungen künftig nach Gender-Interessen differenziert.

Gendergerecht aufbereitetes Datenmaterial über Nutzerinteressen wird dazu geeignet sein, kommunalpolitische Entscheidungen zu beeinflussen - als gleichstellungspolitisches Desiderat ebenso wie in dem grundlegenden Wissen um die Stimmen der Frauen als Wähler.

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Solange es an Transparenz mangelt, ob die Interessen in einem Stadtteil für die Flutlichtanlage des Fußballplatzes oder für den Erhalt der Bibliotheksfiliale überwiegen, kann es derzeit noch gerechtfertigt werden, dass die jeweils intensivere Lobbyarbeit die Entscheidung bestimmt.

Durch ein Gender Budget wächst der Begründungsdruck, und die bisherige Entscheidungspraxis wird vor mehrdimensionale Anforderungen gestellt.

8.4 Bildungspolitischer Fortschritt

Auch ein Gender Budget ist kein universales Reparaturinstrument.

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Die Stellung der Öffentlichen Bibliotheken wird gegenwärtig beeinflusst durch einige bemerkenswerte externe Faktoren, die den gesellschaftlichen Nutzen von Bibliotheken stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit rücken.

Die Ergebnisse der PISA-Studie von 2006 sind ebenso wenig dazu angetan, im bildungspolitischen Reformeifer nachzulassen, wie die Ergebnisse der jährlichen Jugendstudien. Leseförderung bleibt Daueraufgabe, weit über die schulischen Möglichkeiten hinaus. Und insbesondere die männlichen Jugendlichen bedürfen der Unterstützung.

Die Empfehlungen der Enquete-Kommission Kultur an den Bundestag und an die Länder, die Planungssicherheit der Bibliotheken durch Bibliotheksgesetze zu erhöhen, sowie der öffentliche Appell des Bundespräsidenten, die Bibliotheken auf die Tagesordnung zu setzen, heben die Öffentlichen Bibliotheken aus ihrem Status der lediglich freiwilligen kommunalen Leistung hervor und attestieren ihre bildungspolitische Bedeutung und Erwünschtheit.

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Und in diesem Kontext werden auch die Gender Budget-Bestrebungen die Auftragserledigung der Bibliotheken erleichtern.


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28.11.2013