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Gegenüber der Erfolgsgeschichte von Gender als Begriff und Idee erstaunt die daraus erwachsene politische Strategie des Gender Mainstreaming zunächst durch ihre begriffliche Sperrigkeit und Fremdheit. In noch stärkerem Maß sprachlich entlegen, mehrdeutig und missverständlich auch die deutsche Übersetzung.
„Die Hauptrichtung (Mainstream) ist das, was der dominierende Teil einer Gesellschaft tut, denkt, glaubt. Die Institutionen des Mainstreams sind Politik, Verwaltung, Recht, Beschäftigungs- und Bildungssystem. Das Gegenteil wäre ‚margins‘ (Ränder). ‚Mainstreaming‘ ist Neuschöpfung, gemeint ist, dass der Mainstream beeinflusst werden soll.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 39).
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Gender Mainstreaming ist demnach eine Strategie mit Maßnahmen, die das Geschlechterverhältnis, seine Ursachen, Erscheinungsformen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu einem Thema des Mainstreams machen.
„Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt. ...
Gender Mainstreaming ist damit ein Auftrag an die Spitze einer Verwaltung, einer Organisation, eines Unternehmens und an alle Beschäftigten, die unterschiedlichen Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Struktur, in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen, in den Ergebnissen und Produkten, in der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, in der Steuerung (Controlling) von vornherein zu berücksichtigen, um das Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern effektiv verwirklichen zu können.“ (Bundesregierung, 2003, S. 5).
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„In einigen internationalen Menschenrechtsdokumenten wie z. B. der Charta der Vereinten Nationen oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 sind geschlechtsspezifische Diskriminierungsverbote verankert. Für Frauen das wichtigste und umfassendste Dokument des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes ist die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW - Convention on the Elimination of all Forms of Discrimination Against Women). Ihr Ziel ist die Beendigung der weltweiten Diskriminierung von Frauen.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 55).
Hierauf aufbauend liegen die Wurzeln des Gender Mainstreaming in der weltweiten Frauenbewegung und ihren Erfahrungen mit der Durchsetzung von Forderungen an die Regierungen - dies sowohl in den Industriestaaten als auch im entwicklungspolitischen Bereich.
„1970 zeigten erste Studien zur Situation von Frauen als wirtschaftliche Akteurinnen in Entwicklungsländern, dass sich im Zuge der Modernisierungsprozesse die wirtschaftliche Rolle und der soziale Status der Frauen in besonderer Weise verschlechtert hatten. … Frauen spielten bei der Planung, Durchführung und Auswertung der Entwicklungsprozesse keine Rolle. Dies änderte sich erst gegen Ende der 1980er Jahre, als Frauen des Südens sich zunehmend organisierten und zu Wort meldeten. Sie machten deutlich, dass ,Entwicklung’ für Frauen etwas anderes bedeutet als für Männer. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden weltweit zwei Drittel aller Arbeitsstunden von Frauen geleistet. Dafür erhielten sie aber nur ein Zehntel aller Einkommen und besaßen lediglich ein Prozent der Produktionsmittel. Auf dem Hintergrund der ersten geschlechterdifferenzierten Daten und Analysen und der Erfahrung, dass die von den Hilfswerken durchgeführten Maßnahmen unterschiedliche Auswirkungen auf die Situation von Frauen und von Männern hatten und die Lage von Frauen sich durch die ,Hilfe’ teilweise sogar verschlechterte, drangen Frauen sowohl im Süden als auch im Norden darauf, stärker als bis dahin auf die unterschiedlichen Folgen der Maßnahmen für beide Geschlechter zu achten.
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So fand der Gender-Begriff Eingang in die entwicklungspolitische Diskussion.“ (Trommer, 2004, S. 177).
Im Jahr 1975, dem Internationalen Jahr der Frau, fand die erste UN-Weltfrauenkonferenz in Mexiko statt. Schon damals wurde eine bessere Partizipation von Frauen am sozialen, wirtschaftlichen und politischen Leben als Bedingung für eine gerechtere und fortschrittlichere soziale Ordnung anerkannt. Auch in den beiden folgenden Weltfrauenkonferenzen - 1980 in Kopenhagen, 1985 in Nairobi - wurden jeweils Empfehlungen für die Verbesserung der Lage der Frauen formuliert und in Dokumenten verabschiedet. Die nationalen Regierungen verpflichteten sich freiwillig, diesen Empfehlungen zu folgen.
„In den folgenden Konferenzen auf internationaler Ebene wurde jedoch immer deutlicher, daß diese Selbstverpflichtung der Regierungen keine Erfolge zeigt und sich die Lage der Frauen kaum verbesserte. Diese Erfahrungen führten insbesondere in den NGO’s (Non-Governmental Organizations, Anm. d. A.) zu Diskussionen darüber, wie eine weltweite Frauenpolitik aus der Position der Bittstellerin an die Regierungen herauskommen kann und wie die berechtigten Forderungen wirksamer umgesetzt werden können.“ (Stiegler, 2002, S. 19).
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Bereits 1985 wurde Gender Mainstreaming auf der dritten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Nairobi als politische Strategie vorgestellt. Auf der vierten Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking „wird das Prinzip in der verabschiedeten Arbeitsplattform verankert. Hieraus ergibt sich für alle Mitgliedstaaten die Verpflichtung, in den jeweiligen nationalen Strategien zur Umsetzung der 4. UN-Weltfrauenkonferenz ein Konzept zur Implementierung von Gender Mainstreaming zu entwickeln.“ (Bundesregierung, 2003, S. 18f.).
„Die 4. Weltfrauenkonferenz der UNO begann nicht eben verheißungsvoll.“ (McCorduck/Ramsey, 1996, S. 335). So lautete die Einschätzung zweier amerikanischer Business-Frauen, die unmittelbar nach dieser Konferenz Eindrücke und Beobachtungen veröffentlichten. „Für das große Treffen im September 1995 war Asien an der Reihe.
Nur leider wollte kein asiatischer Staat der Gastgeber sein.
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In der Hoffnung, die Ausrichtung der Olympischen Spiele für das Jahr 2000 zu gewinnen, ließ sich schließlich die Volksrepublik China überreden, durch eine Übernahme der 4. Weltfrauenkonferenz das Olympische Komitee vielleicht davon zu überzeugen, daß China reif dafür sei, auch in wichtigeren Dingen Verantwortung zu übernehmen.“ (McCorduck/Ramsey, 1996, S. 336).
Die Konferenz sollte aus zwei Treffen bestehen: der offiziellen UN-Konferenz und dem NGO-Forum, das sich zu einer Denkfabrik entwickelt hatte. Die Veranstalter „stellten sich ... vor, wie die wortgewaltigsten Frauen der Welt während dieser heiklen Zeit direkt unter ihrer Nase in Peking diskutieren und demonstrieren würden. Ihre Angstvorstellungen schossen nur so ins Kraut: Diese verlotterten westlichen Weiber könnten Aids verbreiten, Lesben mit ihren Motorrädern könnten auf dem Tienanmen-Platz ihre Runden drehen. Taiwanesinnen und Tibetanerinnen könnten das Selbstbestimmungsrecht einfordern. Man entschied sich, die beiden Treffen räumlich voneinander zu trennen.
Unter dem fadenscheinigen Vorwand, der ursprünglich für das NGO-Forum vorgesehene Veranstaltungsort, ein Sportpavillon, sei bautechnisch ungeeignet und werde ohnehin für ein Volleyballturnier just zu der Zeit benötigt, da die NGOs tagen würden, kündigten die Chinesen im März, sechs Monate, bevor das Treffen stattfinden sollte, an, das Forum werde nach Huairou verlegt, einem verschlafenen Kurort eine Stunde oder mehr von Peking entfernt. In Huairou, ordneten die Chinesen an, würden Demonstrationen jeglicher Art sich auf ein kleines, ein sehr kleines offizielles Demonstrationsareal zu beschränken haben, das sie glaubten kontrollieren zu können. Um die chinesische Bevölkerung überdies von dem moralischen Gefahrenherd NGO-Forum abzuschirmen, sperrte man kurzerhand die zweispurige Straße zwischen Peking und Huairou, außer für die offiziellen Busse, die die Delegierten zwischen den beiden Veranstaltungsorten befördern würden. Schließlich mischten sich chinesische Regierungsvertreter auch noch in die Visaerteilung ein und hielten einige zehntausend Visa von Frauen zurück oder annullierten sie gar, die von seiten des Forums ihre Beglaubigung hatten, die aber chinesischerseits jetzt als unerwünscht eingestuft wurden, besonders Tibetanerinnen, Taiwanesinnen und die Gegner von Chinas Freunden, Gruppen etwa wie ‚Catholics for a Free Choice‘. All dies geschah in flagranter Verletzung der ursprünglich, als sie sich bereit erklärten, Gastgeber des Treffens zu werden, eingegangenen Verpflichtungen. Frauen, die zu Delegierten ausersehen waren, fragten einander, ob irgendein gastgebendes Land es wagen würde, solche Bedingungen einer von Männern veranstalteten UN-Konferenz zu diktieren. Oder ob Männer sich so etwas bieten lassen würden. ...
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Man konnte als Frau nur den Kopf schütteln: Bildeten sich die Vereinten Nationen etwa ein, sie kämen damit durch, die Frauen einerseits zu begönnern und sie andererseits wieder an den Rand zu drängen?“ (McCorduck/Ramsey, 1996, S. 337f.). Um sich hiervon beeindrucken zu lassen, waren Interesse und Entschlossenheit der Frauen zu groß, die Vorbereitungen zu weit vorangeschritten. „Die Frauen hatten sich, ganz gleich, wo sie lebten, auf eine Liste von Problemen verständigt, die ihnen als Frauen gemeinsam waren: Sie wollten Autonomie über ihren Körper, sie wollten Gesundheit und Ausbildung, sie wollten frei von Gewalt leben, und sie wollten ihren Anteil an der politischen und ökonomischen Macht.“ (McCorduck/Ramsey, 1996, S. 339). Das Treffen war begleitet von Schikanen aller Art bis hin zu mangelhaften Unterkünften, abendlichem Stromentzug, Tagungsorten unter Zeltplanen, matschigen Zeltplätzen, fehlerhaften Wegweisungen, mangelhafter Verpflegung und Dauerkontrolle aller kommunikativen Aktivitäten.
Die so genannte offizielle Konferenz begann eine Woche später und „gepflegte Erscheinungen bewegten sich zwischen glitzernden Partys in Pekings neuesten, glänzendsten Joint-venture-Hotels“ (McCorduck/Ramsey, 1996, S. 347).
Die pragmatischen Einlassungen von Benazir Bhutto aus Pakistan und Alberto Fujimori aus Peru trugen zum letztendlich konsensualen Ergebnis der Konferenz bei.
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„Schließlich kam bei der Konferenz in Peking doch eine gute Abschlußerklärung zustande. ...
In Peking einigten sich Frauen weltweit auf ein Programm und erklärten ihre Entschlossenheit, es auch zu verwirklichen. Die einzelnen Punkte dieses Programms haben regional eine unterschiedliche Priorität, doch nirgendwo fehlt der Ruf nach persönlicher sexueller Selbstbestimmung, nach Befreiung von jeder Art von Gewalt, nach Unterricht, Gesundheit, Gleichberechtigung am Arbeitsplatz und Beteiligung an der Macht.“ (McCorduck/Ramsey, 1996, S. 350f.).
Im selben Jahr verpflichteten sich die Vereinten Nationen in der Resolution der Generalversammlung 52/100 zur Beachtung und Umsetzung des Gender-Mainstreaming-Ansatzes in allen Maßnahmen und Programmen (vgl. Bundesregierung, 2003, S. 19).
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Eine weltweite Idee erhielt hier ihre Manifestierung als Begriff und als Konzept.
Da es sich bei dem weltweiten Aufbruch der Frauen gleichermaßen um einen Top-down- wie auch Bottom-up-Prozess handelt, vollziehen sich die Entwicklungen oft in regionaler und temporärer Parallelität.
Die Europäische Gemeinschaft ist seit nahezu fünfzig Jahren Vorkämpfer für die Entwicklung der rechtlichen Standards zur Gleichbehandlung von erwerbstätigen Männern und Frauen. „Schon in den Gründungsverträgen (Römische Verträge der EWG, unterzeichnet 1957, in Kraft getreten 1958, Anm. d. A.) wurde in Artikel 119 das Verbot der unterschiedlichen Entlohnung aufgrund des Geschlechts festgelegt. Dieses Lohngleichheitsgebot wurde durch die so genannte Lohngleichheitsrichtlinie konkretisiert.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 58).
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Die Folge der ersten Weltfrauenkonferenz für Europa „waren Beschlüsse eines 1976 in Brüssel durchgeführten Kolloquiums, die darauf abzielten, bei der Europäischen Kommission zwei Verwaltungseinheiten für Probleme der Frauenbeschäftigung sowie für eine gezielte Fraueninformation einzurichten. Gestellt wurde diese Forderung von 120 Verantwortlichen aus dem politischen, sozialen und kulturellen Leben der (damals) neun Mitgliedstaaten.“ (Albertini-Roth, 1998, S. 15).
Das im Jahr 1979 zum ersten Mal direkt gewählte Europäische Parlament setzte einen Untersuchungsausschuss für die Rechte der Frau ein. Die 1981 im Plenum geführte eintägige Debatte zur Stellung der Frau in Europa, führte zu einer 59 Punkte umfassenden Resolution zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung und zur Verbesserung der Stellung der Frau als unerlässliche Voraussetzung für eine gerechtere und fortschrittlichere Sozialordnung.
„Von dem Zeitpunkt an standen Frauenfragen auf der europäischen Tagesordnung.
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Die Europäische Gemeinschaft wurde fortan - gestützt auf Artikel 119 der Römischen Verträge ... - zur treibenden Kraft für Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Parität.“ (Albertini-Roth, 1998, S. 15). Die Verfolgung dieses Zieles entwickelte sich für die EU zur gesetzgeberischen Daueraufgabe.
Das Recht der Europäischen Gemeinschaften (EG-Recht oder Gemeinschaftsrecht) ist eine autonome Rechtsordnung, die in den Mitgliedsstaaten weitgehend unmittelbar Anwendung findet. Zum primären Gemeinschaftsrecht gehören Gründungs-, Beitritts- und Änderungsverträge zu den Europäischen Gemeinschaften, die in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gelten. Zum sekundären Gemeinschaftsrecht zählt das von den Organen der Gemeinschaften erlassene Folgerecht, nämlich Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Stellungnahmen, stets mit dem Ziel der Rechtsangleichung zwischen den Mitgliedsstaaten zur Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit. „Verordnungen gelten ebenfalls unmittelbar in den Mitgliedstaaten, der Inhalt von Verordnungen ist unmittelbar verbindlich für alle Bürgerinnen und Bürger der Union. Richtlinien sind hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel ihrer Durchsetzung.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 57). Die Umsetzung von Richtlinien ist allerdings an Fristen gebunden.
Bereits in den Jahren bis zum 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht erfolgten Verordnungen, Richtlinien, Empfehlungen und Resolutionen sowie mehrjährige Aktionsprogramme und eine Fülle von Fördermaßnahmen.
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Die Richtlinien, die nach einer vorgeschriebenen Frist in nationales Recht umzusetzen waren, betrafen unter anderem Lohngleichheit, die Gleichbehandlung beim Zugang zu Beschäftigung, Bildung und beruflichem Aufstieg, die Gleichbehandlung in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherung sowie Regelungen des Mutterschutzes.
1993 wurde anlässlich der Reform der Strukturfonds - Europäischer Sozialfonds, Europäischer Regionalfonds, Europäischer Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft - der Grundsatz der Chancengleichheit von Frauen und Männern als Priorität in die Fondsregelungen aufgenommen.
„Damit war erstmals in Europa in einem ‚allgemeinen‘ Förderkonzept das Ziel der Chancengleichheit verankert.“ (Stiegler, 2002, S. 19).
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Das vierte der sogenannten Aktionsprogramme startete mit einem Seminar zum Tagungsthema ‚Das vierte Aktionsprogramm der EU für Chancengleichheit (1996 -2000) - Mechanismen für das mainstreaming‘ (vgl. Albertini-Roth, 1998, S. 135).
„Die Geschlechterverhältnisse sollten in jeder politischen Maßnahme von der Planung bis zur Erfolgskontrolle berücksichtigt werden. Eine weitere Bekräftigung erfuhr das Gender-Mainstreaming-Prinzip im Amsterdamer Vertrag 1996 (unterzeichnet 1997, in Kraft getreten 1999, Anm. d. A.). In diesem Vertrag verpflichten sich alle Staaten der Europäischen Union, das Gender Mainstreaming Prinzip bei ihrer Politik anzuwenden.“ (Stiegler, 2002, S. 19f.).
Auch hier sollten die Frauenbelange trotz eindeutiger Forderungen im Vorfeld wenig Berücksichtigung erfahren. „Die ‚Europäische Frauenlobby‘ (EFL, ...) blieb zwei Jahre lang mobilisiert und reichte bereits im März 1996 eine 30 Seiten umfassende Stellungnahme zur Regierungskonferenz ein. Außerdem wurde den Ministern eine Petition mit rund 31.000 Unterschriften nach Amsterdam geschickt, und kurz vor der Konferenz, am 15. Juni, übte in Amsterdam ein Forum der NRO (Nichtregierungsorganisationen, Anm. d. A.) Druck auf den Vertragsabschluß aus. Die Forderungen der EFL wurden mit dem EP (Europäisches Parlament, Anm. d. A.) koordiniert, das dem großen Engagement der NRO seine hohe Anerkennung aussprach.
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Der außergewöhnlichen Mobilisierung aller Akteure ist es zu verdanken, daß für Frauen eher positive Ergebnisse im Amsterdamer Vertrag erreicht wurden.“ (Albertini-Roth, 1998, S. 145f.). Die Förderung der Gleichstellung sowie die Beschäftigungsförderung wurden als Aufgaben der Gemeinschaft anerkannt.
In Artikel 2 wird die Gleichstellung von Männern und Frauen als ausdrückliches Ziel formuliert: „Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines gemeinsamen Marktes und einer Wirtschafts- und Währungsunion sowie durch die Durchführung der in den Artikeln 3 und 4 genannten gemeinsamen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Gemeinschaft eine harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Maß an sozialem Schutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen, ein beständiges, nichtinflationäres Wachstum, einen hohen Grad von Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz der Wirtschaftsleistungen, ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität, die Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern.“ (zit. nach Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 58).
„In Artikel 3 wird versichert, dass die EU in allen Politikbereichen darauf hinwirkt, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern, was dem ‚mainstreaming‘ ... des 4. Aktionsprogramms ... gleichkommt.“ (Albertini-Roth, 1998, S. 147).
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Artikel 13 schafft eine Kompetenzgrundlage zur Bekämpfung von Diskriminierung, allerdings fakultativ. „Unbeschadet der sonstigen Bestimmungen dieses Vertrages kann der Rat im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 59).
„Diese Kann-Bestimmung kann kein einklagbares Grundrecht ersetzen, so wie dies von allen Akteuren (außer dem Ministerrat) gefordert wurde. Es ist unbefriedigend, daß in dieser Globalklausel Frauen mit Minderheiten gleichgestellt werden, obwohl sie bekanntlich die Mehrheit stellen.“ (Albertini-Roth, 1998, S. 147).
Mag das Ergebnis gegenüber den Hoffnungen und Forderungen der Frauen unbefriedigend geblieben sein, so verdient der Artikel 141 des Vertrages dennoch besondere Beachtung: „Art 141 EG wurde infolge des Amsterdamer Vertrages durch eine Verknüpfung von Art 119 EGV (Lohngleichheit) und Art 6 des Sozialabkommens geschaffen. Der Grundsatz der Lohngleichheit von Frauen und Männern war bereits in den Gründungsverträgen der EWG, den Römischen Verträgen vom 25.3.1957 enthalten. Dieser Grundsatz wird neben wenigen anderen Grundsätzen als eines der Grundrechte nach den Gemeinschaftsverträgen angesehen. Dieser Grundsatz wurde auf Initiative Frankreichs in die Gründungsverträge aufgenommen, das wegen seiner fortschrittlichen Gesetzgebung Wettbewerbsnachteile befürchtete. ...
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‚Der Rat beschließt ... Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und der Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, einschließlich des Grundsatzes des gleichen Entgelts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit.
Im Hinblick auf die effektive Gewährleistung der vollen Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hindert der Grundsatz der Gleichbehandlung die Mitgliedsstaaten nicht daran, zur Erleichterung der Berufstätigkeit des unterrepräsentierten Geschlechts oder zur Verhinderung bzw. zum Ausgleich von Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn spezifische Vergünstigungen beizubehalten oder zu beschließen.‘
Auf den in Art 141 ... aufgestellten Grundsatz der Gleichheit des Arbeitsentgelts für weibliche und männliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können sich die Betroffenen vor den innerstaatlichen Gerichten unmittelbar berufen.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 59f.).
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Die Gleichstellung von Männern und Frauen insbesondere in der Arbeitswelt sowie das Gebot zum Ausgleich von Benachteiligungen hat durch den Amsterdamer Vertrag Stärkung, Aktualisierung und Differenzierung erfahren.
Die mit diesen Schutzbestimmungen in Zusammenhang stehenden EU-Richtlinien mit dem Gebot der Umsetzung in nationales Recht wurden bekräftigt oder reformiert. Die Ernsthaftigkeit dieser Anliegen lässt die so genannte Beweislastrichtlinie von 1997 besonders deutlich erkennen: „Die Richtlinie des Rates vom 15. Dezember 1997 über die Beweislast bei Diskriminierung aufgrund des Geschlechts regelt die Beweislast bei gerichtlicher Geltendmachung von Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts. Mit der Richtlinie soll eine wirksamere Durchführung der Maßnahmen gesetzt werden, die von den Mitgliedstaaten in Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes getroffen werden. Die mit dieser Richtlinie vorgeschriebene ‚Beweislastumkehr‘ besagt, dass Personen die sich diskriminiert fühlen, die Tatsachen, die zur Diskriminierung führen lediglich glaubhaft machen müssen und es den Beklagten obliegt zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegt.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 62).
Und doch gehen einigen diese vorwiegend arbeitswelt-bezogenen Regelungen nicht weit genug, sie sind vom Gesamtwerk enttäuscht: „Diese erweiterte Rechtsgrundlage sehen manche Experten als Förderung an, die über den Beschäftigungsbereich hinausgeht (wie das Europäische Parlament), die ‚Europäische Frauenlobby‘ ist dagegen enttäuscht, da sie eine Förderung der Frauen in allen Lebensbereichen gefordert hatte.
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Die Lohngleichheit ist gestärkt, aber die Quotenfrage bleibt offen. ...
In der Schlußakte werden die positiven Maßnahmen für Frauen durch die Erklärung eingeschränkt, daß sie in erster Linie der Verbesserung der Lage der Frauen im Arbeitsleben dienen sollen. ...
Das Fazit ist, daß in Amsterdam zwar gewisse Fortschritte erzielt wurden, daß jedoch keine Impulse für eine demokratische Parität Mann/Frau, d. h. für eine ausgewogene Repräsentation der Frauen im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben gegeben wurden.“ (Albertini-Roth, 1998, S. 148).
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Dennoch hat die EU seit Jahrzehnten Maßstäbe gesetzt für Gleichberechtigung und Chancengleichheit und eine Schlüsselrolle eingenommen bei der Durchsetzung des Gender Mainstreaming. „Eine deutsche Gleichstellungsgesetzgebung wäre ohne die EU-Richtlinien zur Chancengleichheit auf schwierige Umsetzungsprozesse gestoßen. Europa war also Schrittmacher. Das gelang auch mit Hilfe des Europäischen Gerichtshofes, der die Grundnormen des Vertrages und die Richtlinien extensiv nutzte, um Diskriminierungen zu beenden. ... Der Grundsatz der Gleichstellung wurde in allen Politikbereichen und allen Strukturprogrammen festgeschrieben.“ (Randzio-Plath, 2004, S. 19).
Diese Rahmenstrategie wird in den Arbeitsprogrammen der Europäischen Kommission umgesetzt. Es gilt die Verpflichtung für alle Ressorts, die Geschlechterperspektive bei politischen Initiativen zu berücksichtigen. „Der Juristische Dienst beispielsweise muss die Texte unter dem Gesichtspunkt der Geschlechterproblematik prüfen. Die Pressestelle steht vor der Aufgabe, den spezifischen Bedürfnissen und Sichtweisen von Frauen Rechnung zu tragen. Die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen ist verpflichtet, die Geschlechterperspektive in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik intensiver zu berücksichtigen.“ (Randzio-Plath, 2004, S. 19). Gleiches gilt für Entscheidungen und Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Regionalentwicklung und Strukturreform, Forschung, Bildung und Kultur, Inneres und Justiz bis hin zu Einwanderung und Asyl.
Weitere Konkretisierung findet diese Intention für die Jahre 2000 bis 2006 im sensiblen Bereich der Finanzen, so zum Beispiel beim Einsatz der so genannten Strukturfondsmittel mit einem Volumen von jährlich etwa 30 Milliarden Euro. Ziel der Mittelvergabe ist die Förderung von Regionen mit Entwicklungsrückstand und Strukturproblemen sowie die Förderung von Anpassung und Modernisierung der Bildungs- und Beschäftigungssysteme.
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„Nicht einmal zehn Prozent der Ausgaben aus dem Strukturfonds waren bisher frauenrelevant. Deshalb entwickelte die Europäische Kommission erstmals Methoden, die einen verbesserten Gender-Ansatz aufweisen und den Mitteleinsatz zugunsten der Chancengleichheit möglich machen bzw. ihn verlangen. ...
Kein Zweifel: Es besteht eine starke Synergie zwischen den Zielen der Strukturfonds und der Chancengleichheit für Frauen und Männer. Unter anderem will man dadurch erreichen, in den Mitgliedsländern der EU die Frauenerwerbsquote um zehn Prozent zu erhöhen.“ (Randzio-Plath, 2004, S. 20f.).
Parallel hierzu wurden auch die spezifischen Aktionsprogramme fortgesetzt. Das fünfte Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend die Strategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern umfasste den Zeitraum 2001 bis 2005. „Es wurde entwickelt als Folgemaßnahme des 4. Aktionsprogramms für die Chancengleichheit von Frauen und Männern (1996 - 2000) und dient gleichzeitig der Ergänzung des Aktionsprogramms zur Bekämpfung von Diskriminierung, das die Gender-Thematik aufgrund dieses spezifischen Aktionsprogramms ausdrücklich ausnimmt ...
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Die geförderten Programme sollten dabei horizontalen und koordinierenden Charakter haben. Beispiele dafür wären die Förderung des Austausches von Informationen und vorbildlichen Lösungen, die Prüfung einschlägiger Politiken und Praktiken sowie die Zusammenarbeit in Netzwerken.
Jährlich wird von der Europäischen Kommission ein Schwerpunktthema vorgegeben, das der Unterstützung europaweiter Kampagnen zum Thema dienen soll:
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Neben dem Aktionsprogramm zur Gleichstellung werden auch offene Ausschreibungen veröffentlicht, die jeweils spezifischen Gleichstellungsthematiken gewidmet sind.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 152f.).
Die stringente Durchsetzung des Gender-Prinzips durch die EU erfolgt also in spezifischen Programmen mit exakt definierter Zielsetzung sowie als Querschnittsaufgabe in allen Ressorts und Projekten, und ist zur Bekräftigung mit finanziellen Anreizmitteln ausgestattet.
Und als Fazit zu den europäischen Maßnahmen: „Anstöße hat Europa genug gegeben. Es hat auch für solide rechtliche Grundlagen gesorgt. Es gibt keinen Grund mehr, es nicht zu tun: die Chancengleichheit in allen Bereichen Wirklichkeit werden zu lassen. Und dazu gehören auch die Zugänge zur Macht. Auf diesem Weg braucht es eine europäische Quote. Es muss deutlich werden, dass ‚Frauenmacht‘ gewollt wird - in Regierungen, Parlamenten, Ministerien, Gerichten, Institutionen, Kammern oder Gewerkschaften. Nun liegt es an der nationalen, regionalen und lokalen Ebene, sich an die Umsetzung zu machen. Gender Mainstreaming bietet dafür eine Steilvorlage.“ (Randzio-Plath, 2004, S. 23f.).
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„Die Strategie des Gender Mainstreaming ist in der Bundesrepublik Deutschland durch die Politik der Europäischen Union bekannt geworden. Ihre Wurzeln liegen jedoch in der weltweiten Frauenbewegung und ihren Erfahrungen mit der Durchsetzung von Forderungen an die Regierungen. ...
Auch in der Bundesrepublik ist der Gedanke nicht neu, Frauenpolitik als Querschnittsaufgabe zu betrachten. Die Umsetzung dieser Idee in die Organisation politischer Entscheidungsprozesse ließ jedoch zu wünschen übrig: In der Regel gab es eine zuständige Stelle (Frauenministerium, Gleichstellungsstelle), die Frauenpolitik formulierte und Forderungen und Konzepte entwickelte. Diese Stelle trug dann diese Konzepte an die ‚anderen‘ Politikfelder heran und erhob den Anspruch, dass dort die gewünschten Konzepte umgesetzt werden. Ein entscheidender Faktor für das Gelingen dieser Art von Frauenpolitik war die Stärke der jeweiligen Frauen in ihren Positionen. Bei dieser Organisation der Entscheidungsprozesse verblieben die Frauen oft in der Rolle der Bittstellerinnen oder derer, die moralische Appelle abgaben. Oft wurden klare Forderungen der Frauen durch mühselige Abstimmungsprozesse und Zuständigkeitsrangeleien verwässert.“ (Stiegler, 2002, S. 19f.).
„Der Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass die Form der frauenpolitischen Verrechtlichung sehr unterschiedlich sein kann und ist. Die Bundesrepublik hat sich bei ihrer Gleichstellungspolitik nicht für einen Anti-Diskriminierungsansatz entschieden, sondern für eine gruppenspezifische Förderpolitik. Ausgangspunkt für diese Politik war die Erkenntnis, dass eine Gruppe von Personen, nämlich Frauen, weniger Rechte, schlechteren Zugang zum Erwerbsarbeitsmarkt oder weniger Gehalt bei gleicher Arbeit hat. Ziel ist dabei, nicht nur diskriminierende Gesetze, Bestimmungen und Verhaltensweisen abzuschaffen, sondern die erlittenen Nachteile seitens der Frauen auszugleichen.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 69).
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Das Grundgesetz von 1949 schreibt in Artikel 3 die uneingeschränkte staatsbürgerliche und privatrechtliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen fest.
Bis zum 15. November 1994 lautete die Formulierung:
Absatz 1: |
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. |
Absatz 2 |
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. |
Absatz 3: |
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. |
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Diese Formulierung traf keine Aussage zu der bestehenden strukturellen Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern. Einem Ausgleich durch staatliche Maßnahmen zur Herstellung gleicher Ausgangssituationen wiederum stand das Diskriminierungsverbot als subjektives Grundrecht im Wege. „Da gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frauen aber, sozusagen in einem ‚Nullsummenspiel‘, nur durch den Abbau von Männerprivilegien zu erreichen ist, kann dies im Einzelfall durchaus die Benachteiligung eines Mannes beinhalten. Genau an diesem Punkt setzte ein Vorschlag zur Neuregelung des Art. 3 GG an, der letztlich allerdings nicht übernommen wurde: kompensatorische Maßnahmen sollten explizit als Ausgleich der Benachteiligung von Frauen und nicht als Bevorzugung i. S. des Art. 3 Abs. 3 festgeschrieben werden (sog. Kompensationsklausel).“ (Cordes, 1996, S. 39).
Die Neuregelung des Grundgesetzes in Folge der Wiederherstellung der deutschen Einheit trug zu einer Präzisierung bei. Seit 1994 enthält der Artikel 3 Absatz 2 zusätzlich eine ausdrückliche Verpflichtung des Staates zur Frauenförderung: ‚Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin‘ (vgl. Hesselberger, 2001, S. 83; S. 392).
„Die Strategien und Instrumente, die im bundesdeutschen Recht maßgeblich angewendet werden, sind Frauenförderpläne, Quotenregelungen bzw. Zielvorgaben und Frauenbeauftragte/Gleichstellungsbeauftragte.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 69).
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Ebenfalls 1994 trat das zweite Gleichberechtigungsgesetz des Bundes in Kraft. „Das 1. Gleichberechtigungsgesetz wurde 1957 als Anpassung des Ehe- und Familienrechts an die im Grundgesetz Art. 3 festgeschriebene Gleichberechtigung von Männern und Frauen erlassen.“ (Cordes, 1996, S. 43).
Das zweite Gleichberechtigungsgesetz „regelt in elf Artikeln verschiedene Gesetzesmaterialien, indem einerseits bereits bestehende Gesetze geändert und andererseits neue Gesetze wie z. B. das Frauenfördergesetz und das Beschäftigtenschutzgesetz begründet werden. Das Gesetz gilt allerdings, mit einigen Ausnahmen, nur für den öffentlichen Dienst des Bundes.“ (Cordes, 1996, S. 43f.).
Die Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung von 1998 plante sogar die Einbindung der Privatwirtschaft durch Verabschiedung eines Gesetzes zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Mangels Unterstützung im eigenen Kabinett „kam es 2001 lediglich zu einer ‚Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft zur Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirtschaft‘.
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Mit dieser Vereinbarung verpflichteten sich die Spitzenverbände der Wirtschaft lediglich darauf, ‚ihren Mitgliedern betriebliche Maßnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit von Frauen und Männern sowie der Familienfreundlichkeit zu empfehlen‘.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 70f.).
Ein partnerschaftlicher Ansatz war hier wohl eher im symbolischen Gehalt zu sehen.
Ende 2003 stand die seinerzeit „vereinbarte Überprüfung der Auswirkungen der ‚Vereinbarung‘ an. Die ersten Zahlen belegen, dass sich in der Privatwirtschaft kaum etwas getan hat.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 71).
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In der Regierungsperiode ab 2002 wurde eher das Prinzip der ‚Allianzen vor Ort‘ präferiert.
Neue Impulse erhält die Debatte um Frauenförderung und Antidiskriminierung seit 2006: „Deutschland ist verpflichtet, vier EU-Richtlinien umzusetzen, die den Schutz vor Diskriminierung regeln. …
Die deutsche Politik stand unter Zugzwang, da die Umsetzungsfristen der Richtlinien zum Teil schon über vier Jahre überschritten waren.“ (Gutmann/Hüsgen, 2006, S. 8).
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Seit 2006 ist das ‚Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz’ AGG als Bundesgesetz in Kraft. „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ (Nollert-Borasio/Perreng, 2006, S. 25), so § 1 im Wortlaut.
Das Gesetz geht über die Basisforderungen der EU hinaus; es gilt zudem - im arbeitsrechtlichen Teil, §§ 6 bis 18 - auch für die Privatwirtschaft sowie in den §§ 19 bis 21 auch für bestimmte Teile des privaten Vertragsrechts. Dieser umfassende Geltungsbereich sowie die Vielzahl der gleichrangig genannten, vor Benachteiligungen zu schützenden Ansprüche hat der Diskussion um Antidiskriminierung erneute Aufmerksamkeit verschafft. Die Debatte erfolgt vielstimmig und kontrovers.
Neben der Gesetzgebung des Bundes einschließlich seiner Bemühungen um Einbindung der privaten Wirtschaft konkretisierten sich auch die legislativen Maßnahmen auf Landesebene. „Seit 1998 existieren in allen Bundesländern in der Bundesrepublik Gesetze zur Gleichstellung, Gleichberechtigung bzw. Frauenförderung. In diesen Gesetzen werden in erster Linie die Frauenförderung im öffentlichen Dienst des Landes durch Frauenförderpläne, die Funktion der Frauenbeauftragten der Verwaltungen, Dienststellen und anderen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes sowie weitere Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern sollen, geregelt. Nur teilweise werden die Aufgaben der Kommune, gleichstellungspolitisch aktiv zu werden und zudem entsprechende Institutionen einzurichten, dort festgeschrieben. Hier kommen vielmehr Bestimmungen in den entsprechenden Gemeinde- bzw. Landkreisordnungen (GO und LKO) zum tragen.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 75).
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Bereits 1979 wurde in Hamburg eine Landesgleichstellungsstelle eingerichtet. Auf kommunaler Ebene entstand die erste Frauenbeauftragtenstelle in Köln 1982. Im Jahr 2003 waren rund 1900 Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte in den Kommunen tätig (vgl. Rudolph/Schirmer, 2004, S. 69).
„Die Landesgesetzgebung stellt ... nur einen äußeren Rahmen für die kommunale Frauenpolitik dar, da sich die spezifischen Bestimmungen in erster Linie auf die Landesverwaltung beziehen. Entscheidender sind die Regelungen in den Gemeinde- und Landkreisordnungen, weil sich daraus ergibt, ob Frauen- und Gleichstellungspolitik eine kommunale Pflichtaufgabe oder eine freiwillige Leistung ist. Die Auswirkungen lassen sich zahlenmäßig erfassen: In Baden-Württemberg gibt es lediglich 40 - 50 kommunale Frauenbeauftragte, in Hessen sind es immerhin 84. In Sachsen-Anhalt wären grundsätzlich 236 Kommunen zur Einrichtung von Gleichstellungsbüros verpflichtet, allerdings wurde diese Verpflichtung nur partiell umgesetzt. Für die Frauenbeauftragten in Baden-Württemberg führt die Freiwilligkeit der Leistung zu einer permanenten latenten Bedrohung, da ihre Funktion und damit ihre Stelle jederzeit wieder abgeschafft werden kann.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 83f.).
Konsensual werden als kommunale Mindeststandards angesehen: Informationsrecht und Akteneinsicht, frühzeitige und dauerhafte aktive Beteiligung bei allen frauenrelevanten Themen und Personalangelegenheiten, direktes Zugangs- und Vortragsrecht bei Verwaltungsspitze und Rat, Erstellung von Vorlagen sowie eigenständige Öffentlichkeitsarbeit einschließlich Pressearbeit.
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Das Forschungsprojekt ‚Institutionalisierte Frauenpolitik zwischen Verrechtlichung, Modernisierung und Frauenbewegung. Eine Wirkungsanalyse‘ aus den Jahren 1999 bis 2002 kommt zu dem ernüchternden Ergebnis: „Nachdem die Auswertung der Fragebogen ergeben hat, dass den FGb (Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, Anm. d. A.) durchweg zumindest teilweise ihnen zustehende Rechte verweigert werden, fragten wir nach den Gründen und Ursachen dieses ‚nachlässigen‘ Umgangs mit Gesetzen. Direkt befragt verneinen die Verwaltungsleiter, dass sie Gesetze missachten würden. Quasi im selben Atemzug weisen sie allerdings darauf hin, dass ihrer Ansicht nach die Probleme und Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis (die aber heute ja schon gar nicht mehr so schlimm sind ...) nicht juristisch gelöst werden können. Es lässt sich insgesamt eine Strategie feststellen, die zu einer Individualisierung eines politischen Konfliktes und zu einer Abwehr jeglichen gesetzliches Zwanges führt. Die Verwaltungsleiter wollen die Definitionsmacht über diesen politischen (persönlichen) Konflikt erhalten/bekommen. Zugespitzt könnte man formulieren, dass die Auseinandersetzungen und das Aufbrechen des patriarchalen Systems nur unter der Anleitung und den Vorgaben des Patriarchs geschehen dürfen. Solange dieser die Leitlinien und Grenzen bestimmt, erhält die FGb einen bestimmten Aktionsradius.
Demnach geht es um persönliche Probleme und Dilemmata, die je nach spezifischer Situation individuell gelöst werden müssen. Recht erhält somit durch die Verwaltungen und ihre Leitungen neben seiner formalen eine ausgeprägte personale Dimension, seine Umsetzung soll durch die Herstellung persönlicher Beziehungen erreicht werden. ... Mit dieser Sichtweise wird die Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen legitimiert: Wenn die Umdefinition struktureller Konflikte in persönliche gelingt, dann ist verständlich, dass sie nicht gesetzlich zu lösen sind. ...
Strukturelle Ungleichheiten werden damit zu ‚Frauenproblemen‘, die FGb wird zur Helferin in der Not. Hinzu kommt, dass die Definitionsmacht darüber, welche Probleme wirklich virulent sind und welche Gesetze in diesem Bereich wie umgesetzt werden, nicht bei den FGb liegt, sondern bei ihren Vorgesetzten in der Verwaltung.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 100f.).
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Da die Frauenbeauftragten kaum über Sanktionsmöglichkeiten verfügen, bleibt die Durchsetzung frauenpolitischen Rechts im Atmosphärischen.
Die Finanzkrise der Kommunen in den 1990er Jahren erzwang ein Umdenken in den Verwaltungen. Auch das latente Unbehagen der Bürger an wachsender Bürokratie verlangte eine stärkere Orientierung zum Dienstleistungsgedanken. Einige europäische Länder sahen sich vor die gleichen Probleme gestellt und insbesondere die in den Niederlanden gefundene und dort bereits praktizierte Lösung, das so genannte ‚Tilburger Modell‘, erschien den deutschen Verwaltungen auch zur Problemlösung vor Ort am ehesten geeignet. Diese Verwaltungsreform hatte sich die Strukturen und Methoden der Privatwirtschaft zum Vorbild genommen und schuf unter der Bezeichnung ‚Neues Steuerungsmodell‘, NSM, das ‚Unternehmen Kommunalverwaltung‘. Es erlangte in kürzester Zeit mit jeweils ortsangepassten Modifikationen einen äußerst hohen Verbreitungsgrad und barg in seiner Theorie eine Fülle partizipatorischer Elemente.
Insbesondere die mitarbeiterorientierten Komponenten innerhalb des Personalmanagements, wie flache Hierarchien, Teamarbeit und Arbeitszeitflexibilisierung kamen den langjährigen Intentionen der Frauenbeauftragten sehr entgegen. In vielen Kommunen wurde Frauenförderung zur Querschnittsaufgabe, alternativ Gemeinschaftsaufgabe. Als sich dann ebenso schnell herausstellte, dass sich die verheißenen partizipatorischen und explizit reformerischen Elemente in traditionell hierarchischer Weise der Haushaltskonsolidierung und Rationalisierung unterzuordnen hatten, traten Widersprüche offen zutage. „Nach der ersten Euphorie attestiert der Bericht eine um sich greifende Reformmüdigkeit: Der Sparzwang ist vorherrschend, die Kommunalpolitik scheint ihre Steuerungsmöglichkeiten an die Verwaltung abgegeben zu haben und (überzogene) Erwartungen können ‚auf die Schnelle‘ nicht erfüllt werden.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 121).
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Bislang ist die Verwaltungsreform sichtbare Fortschritte der ‚Gemeinschaftsaufgabe Frauenförderung‘ schuldig geblieben.
Als Zwischenbilanz der Verwaltungsreform für die Arbeitssituation der Frauen ließ sich feststellen: „Es gab noch nie so viele rechtliche Regelungen und Maßnahmen zur Frauenpolitik und Frauenförderung - und trotzdem werden sie weiterhin ignoriert, ohne dass ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein besteht. Oder weitergehender: Das Unrecht besteht in den Köpfen der Verwaltungsleiter eher darin, dass diese rechtlichen Regelungen existieren und ihnen damit Handlungsoptionen aufzwingen, die ihnen persönlich und politisch nicht akzeptabel erscheinen und die deshalb missachtet oder kommunal spezifisch interpretiert werden können. ...
Die Verwaltungsreform hat prinzipiell Möglichkeiten zur Umgestaltung der Bürokratie eröffnet und Hoffnung auf eine organisatorische Neugestaltung der Frauen- und Gleichstellungspolitik geweckt. Der große Einfluss ökonomischer Faktoren hat aber eine konzeptionelle Neuausrichtung weitgehend überlagert. Wenngleich einzelne Elemente durch die Einwirkung der FGb durchaus frauenfreundlich und gleichstellungsfördernd ausgestaltet werden konnten, ist der große Wurf umfassender Veränderungen doch weitgehend stecken geblieben: Die Enttäuschungen sind sowohl bei den Verwaltungsmitarbeiterinnen als auch bei den Bürgerinnen der Kommune durchaus spürbar.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 199).
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Die neuerliche Finanzkrise der Kommunen seit dem Jahr 2002 hat nun in 2005 zu einer erneuten Reform der Gemeindeordnungen geführt. Seitdem müssen hauptamtliche Frauenbeauftragte nur noch in Landkreisen sowie kreisfreien und großen selbstständigen Städten tätig sein. Dies zog bereits den Abbau von etwa 25 Prozent der hauptamtlichen Stellen nach sich.
Während die Kommunen noch mit ihrer eigenen Strukturreform zu kämpfen hatten, verstärkten sich ihre Probleme zwischen Finanznot und Aufgabenzuwachs.
Gleichwohl entstanden der Bundesrepublik Verpflichtungen aus dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages. Er verpflichtete die Mitgliedsstaaten zu einer aktiven Gleichstellungspolitik im Sinne des Gender Mainstreaming. „1998 ratifiziert die Bundesrepublik Deutschland den Amsterdamer Vertrag, er tritt für die Bundesrepublik 1999 in Kraft.“ (Ehrhardt, 2004, S. 15). „Das Bundeskabinett erkennt mit Beschluss vom 23. 6. 1999 die Gleichstellung von Frauen und Männern als durchgängiges Leitprinzip der Bundesregierung an und bestimmt, diese Aufgabe mittels der Strategie des Gender Mainstreaming zu fördern.“ (Bundesregierung, 2003, S. 22).
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Im Jahr 2002 begann das Programm der Bundesregierung ‚Moderner Staat - Moderne Verwaltung‘, das Gender Mainstreaming als einen der Leitgedanken aufgenommen hat.
„In der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung von 1998 ist Gleichstellung als durchgängiges Leitprinzip und Querschnittsaufgabe festgehalten. In der Vereinbarung von 2002 wird GM explizit als Methode zur Umsetzung von Artikel 3 des Grundgesetzes genannt und soll in allen Ministerien der Bundesregierung nachhaltig verankert werden. Außerdem wird Gender Budgeting als Teil des GMs genannt.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 203).
Die Umsetzung des Gender Mainstreaming in der Bundesregierung erfolgt in den Bundesministerien. „Seit dem Jahr 2000 haben die Bundesministerien ein gemeinsames Gremium, die ‚Interministerielle Arbeitsgruppe GM‘ (IMA GM), eingerichtet. Alle Ministerien sind in der IMA, entsprechend dem Top-Down-Ansatz, durch AbteilungsleiterInnen bzw. UnterabteilungsleiterInnen vertreten. Den Vorsitz in den Sitzungen hat der Staatssekretär des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das Referat GM im BMFSFJ hat die Geschäftsführung (Sekretariatsfunktion) der IMA. Der Implementationsprozess wird von einer wissenschaftlichen Begleitung unterstützt.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 203).
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Diese Prozesse vollzogen sich von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Stärkere Aufmerksamkeit erregte die Einschätzung des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der das soeben zitierte Bundesministerium verkürzend ‚Ministerium für Frauen und Gedöns‘ nannte. „So aber entsteht der öffentliche Eindruck, die Regierung nehme das alles selbst nicht so ernst. Das Hartz-Gesetz beispielsweise, die Agenda 2010 oder die Steuerreform haben wenig mit Gender am Hut. Trotz Kabinettsbeschluss. Statt eine Balance der Interessen herbeizuführen, Benachteiligungen bestimmter Gruppen abzubauen und neue Chancen zu eröffnen, passiert das Gegenteil.“ (Pettersson, 2004b, S. 117f.).
Und dennoch: „Das Umsetzungskonzept der IMA GM beinhaltet eine erste Phase, in der Fortbildungen durchgeführt und in Pilotprojekten erste Erfahrungen mit der Integration der Gleichstellungsorientierung in die alltägliche Verwaltungsarbeit gesammelt werden. Jedes Ministerium führt mindestens ein Pilotprojekt durch. Die insgesamt über 30 Pilotprojekte decken die Bandbreite der Arbeitsfelder der Verwaltung ab: Es gibt Projekte zur Personalentwicklung, Öffentlichkeitsarbeit, zur Gesetzgebung, zur Zusammenarbeit mit nachgeordneten Behörden und mit gesellschaftlichen Organisationen. Erste Ergebnisse der Pilotphase sind Arbeitshilfen, die die MitarbeiterInnen bei der Integration der Gleichstellungsorientierung in ihre Facharbeit, zum Beispiel der Forschungsvergabe für Ressortforschung und der Rechtssetzung, unterstützen sollen.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 203f.).
„Ob Gender Mainstreaming in der Gesundheitsvorsorge, im Strafvollzug, der Städtebaupolitik oder im Zusammenhang mit regionalen Entwicklungsprozessen, Neuen Medien in der Bildung oder Nachhaltigkeit - das von den Ministerien eröffnete Spektrum macht deutlich: Gender Mainstreaming kennt keine Grenzen, denn es gibt keine geschlechtsneutralen Wirklichkeiten.“ (Pettersson, 2004b, S. 120).
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Zur Dokumentation und Effizienzprüfung wurde ein Controllingverfahren mit Berichtswesen installiert. Langfristiges Ziel dieser Projekte sind Kriterienkataloge und Checklisten für das politisch-administrative Handeln, einschließlich eines elektronischen Wissensnetzes mit Ergebnisberichten, Arbeitshilfen und Prüfvorlagen zur praktischen Umsetzung von Gender Mainstreaming mit Modellcharakter. „Wie das aussehen könnte, dafür gibt es bereits zwei Beispiele. Arbeitshilfen zur gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien nämlich, in der in Paragraf zwei die Verpflichtung aller Ressorts verankert ist, den Gender-Ansatz zu beachten.
... Konkret geht es um die Arbeitshilfen ‚Gender Mainstreaming bei der Vorbereitung von Rechts-Vorschriften‘ und ‚Gender Mainstreaming in Forschungsvorhaben.‘ Und die lassen in puncto Verbindlichkeit kein Deuteln zu.“ (Pettersson, 2004b, S. 120f.).
Die Koalitionsvereinbarung von 2002 bildete ferner die Basis für die Einrichtung eines Gender-Kompetenz-Zentrums, „das - so der Koalitionsvertrag - ‚die Einführung von Gender Mainstreaming in alle Politikbereiche unterstützt, Forschung initiiert, Wissen bündelt und Expertinnen und Experten ausbilden wird‘.
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Das Ende Oktober 2003 eröffnete Zentrum will weder Monopol sein noch Konkurrenz zu vorhandener Gender-Kompetenz. Vielmehr Drehscheibe, Koordinatorin. Initiativen anstoßen zu Forschung, insbesondere in Kooperationen mit privater und öffentlicher Fachwelt der Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung.
Das Kompetenz-Zentrum, angesiedelt an der Humboldt-Universität in Berlin und finanziell gefördert durch das BMFSFJ, wird vor allem auch einem Defizit zu Leibe rücken, das bei allen Gender-Aktivitäten als ständiger Gast dabei ist: den meist unzureichend vorhandenen gendergerechten Daten.
Und da nationale Politik zunehmend europäisch und auch international geprägt ist, arbeitet auch das Zentrum so: international vernetzt.“ (Pettersson, 2004b, S. 122).
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Die bundesweiten gesetzgeberischen Aktivitäten zum Gender Mainstreaming finden bisher eher zögerlich Berücksichtigung in den Kommunen und Landkreisen. „Auch keine Anzeichen dafür, dass hierzulande Behördenchefs auf dem Feld der Chancengleichheit in einem Wettbewerb stehen.
Aber trotzdem: Die Aktivitäten in den neuen und alten deutschen Bundesländern sind nicht von Pappe. Der Löwenanteil der Länder hat mit klaren Beschlüssen Fakten geschaffen und personelle und finanzielle Ressourcen locker gemacht. Noch allerdings befindet sich das meiste im Modellstadium. Erst die nächsten fünf Jahre werden nach Beobachtung von ExpertInnen zeigen, wie ernst es die Regierungen tatsächlich meinten: Ob also tatsächlich Strukturveränderungen stattfanden.“ (Pettersson, 2004d, S. 125).
Am ehesten bekannt geworden sind die Bemühungen aus Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. „Ob Arbeitsmarktpolitik, Sportförderung oder Mittelvergabe für die Hochschulen - in Sachsen-Anhalt geht es zu wie in dem Märchen vom Hasen und dem Igel. Wann immer ein Thema auftaucht, Gender Mainstreaming ist schon da. Seit die Landesregierung als erstes Bundesland überhaupt 2000 ein Konzept ‚zur Einführung von Gender Mainstreaming in sämtliche Bereiche der Verwaltung‘ beschloss, ging es Schlag auf Schlag: Einziges Gender-Institut in einem Bundesland. Pro Jahr einen Gender-Report. Geschlechtsdifferenzierte Datenerhebungen. Gleichstellungs-Check bei Kabinettsvorlagen.
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Chancengleichheit wird in der offiziellen Programmatik des neuen Bundeslandes als zukunftsentscheidende Aufgabe definiert, von deren Durchsetzung die Stärkung der Wirtschaftskraft ebenso abhängt wie die Entwicklung sozialer Beziehungen oder die Bedingungen von Frauen und Männern in der Arbeitsgesellschaft. Gender Mainstreaming kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu.“ (Pettersson, 2004d, S. 127f.).
Die Landesregierung forcierte eine Bildungs- und Öffentlichkeitsoffensive, um Aufgeschlossenheit für die geschlechterbezogene Perspektive zu erwirken und potenziellen Vorbehalten programmatisch zu begegnen. Eine zweijährige Qualifizierung aller Beschäftigten für den Umgang mit Gender Mainstreaming sowie ein Modellprojekt im Sozialministerium gehörten zu den vorbereitenden Maßnahmen. „Flankierend schuf sich die Landesregierung durch die finanzielle Förderung des privaten Gender-Instituts Sachsen-Anhalt, kurz GISA genannt, eine Einrichtung, die als eine Art ‚Service-Point‘ und ‚think-tank‘ im gesamten Verfahren betrachtet werden kann. ... Und sorgt für etwas, was in deutschen Statistiken oft noch unterbelichtet daherkommt: genderrelevante Daten.
Beispielsweise mit der jährlichen Vorlage eines ‚Gender-Reports Sachsen-Anhalt‘, der 2002 erstmals publiziert wurde. Die darin gesammelten ‚Daten, Fakten und Erkenntnisse‘ sind eine reale Ablichtung der Lebenssituation von Frauen und Männern: Ob Erwerbstätigkeit, Familie, Wohnen, Gesundheit oder Politikbeteiligung. Und eine im wahrsten Sinne des Wortes richtungsweisende Grundlage für die Arbeit der Landesregierung.“ (Pettersson, 2004d, S. 128).
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„Im März 2002 nahm das Kabinett der Landesregierung einen ersten Bericht der Umsetzung des Konzeptes von Mai 2000 bis Dezember 2001 entgegen und legte weitere Schritte für die Umsetzung fest. Diese Maßnahmen umfassen im Wesentlichen drei Punkte, die vor allem auf die Steuerung des Prozesses sowie das Controlling und den weiteren Fortgang der Umsetzung in den Fachministerien abzielen. …
Eine weitergehende Darstellung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen ist in der Broschüre ,Gender Mainstreaming in Sachsen-Anhalt’ veröffentlicht.“ (Wanzek, 2004, S. 80).
Auch Nordrhein-Westfalen hat sich früh entschlossen, beim „Jahrhundert-Projekt Verwaltungsmodernisierung mit Gender Mainstreaming nicht zu kleckern, sondern zu klotzen“ (Pettersson, 2004d, S. 126). Vorgesehen ist ein ganzheitlicher Ansatz. „Die Strategie der Landesregierung sieht deshalb auch keine zentrale Stelle vor, ‚an die Verantwortung delegiert werden kann‘. Oder Gender-Beauftragte. Die Verantwortung liegt vielmehr ganz klar auf der Führungsebene der Ministerien. Gleichzeitig werden die Verfahren und Instrumente der Verwaltungsmodernisierung genutzt. Wie bei anderen Reformthemen koordiniert eine interministerielle Arbeitsgruppe den Umsetzungsprozess - bei Gender unter Federführung des Ministeriums für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie.“ (Pettersson, 2004d, S. 126). Auch hier gehört neben Fortbildung und Berichtswesen die Prüfung vorhandener Datenbestände auf geschlechterspezifische Tauglichkeit zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine Implementierung.
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Nahezu gleichzeitig mit den Bemühungen in Sachsen-Anhalt hat auch das Nachbarland Niedersachsen beschlossen, Geschlechterpolitik in alle Ressorts der Landesregierung zu integrieren. „Das Land Niedersachsen hat 1998 in Art. 3 Abs. 2 der niedersächsischen Verfassung folgendes verankert: ,Die Achtung der Grundrechte, insbesondere die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist eine ständige Aufgabe des Landes, der Gemeinden und Landkreise.’ Damit werden alle Gebietskörperschaften angesprochen und der Anspruch formuliert, Verfassungsnormen tatsächlich zu verwirklichen. In Niedersachsen wurde das Kabinett 1999 schriftlich über den Ansatz informiert, …“ (Ehrhardt, 2004, S. 23). Das gesamte Kabinett wurde zu Gender Mainstreaming geschult.
Ab dem Jahr 2000 wurden auch die Länder Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und Bremen aktiv (vgl. Bundesregierung, 2003, S. 21ff.).
Neben aller gesetzgeberischen Verbindlichkeit benutzt die Bundesregierung durchaus das Mittel des Werbens für dieses Konzept: „Die Berücksichtigung der Interessen von Frauen und Männern als Beschäftigte der Verwaltung, aber auch als Norm- und Maßnahmenadressatinnen und -adressaten ist eine zentrale Aufgabe einer modernen, bedürfnis- und serviceorientierten Verwaltung und liegt in deren (Eigen-)Interesse, um eine höhere Zufriedenheit der Beschäftigten und passgenauere Antworten auf die Fragen der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.
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Die Umsetzung von Gender Mainstreaming ist sicher keine leichte oder kurzfristige Aufgabe, aber sie bedeutet nicht nur für die Verwaltung, sondern für alle Organisationen im gesellschaftlichen Bereich, sei es im Bereich Politik, Wohlfahrt, Gesundheit, Kultur, Bildung etc., eine faszinierende und zeitgemäße Herausforderung. Gender Mainstreaming macht eines ganz deutlich: Bei den Bemühungen um Gleichstellung zwischen Frauen und Männern, beim Abbau von Diskriminierung handelt es sich nicht um eine so genannte Frauenfrage, sondern um ‚eine grundlegende Aufgabe jeder Gesellschaft‘, die um sozialen Fortschritt und die Einlösung verfassungsrechtlich verbriefter Ansprüche bemüht ist.“ (Bundesregierung, 2003, S. 47).
Beim Quellenstudium zum Thema Gender Mainstreaming ist festzustellen, dass Autoren und Referierende zwar durchaus zunächst auf die Erfolgsgeschichte des Gender-Prinzips, seine Bedeutung für den gesellschaftlichen Reformprozess und die Notwendigkeit der flächendeckenden Implementierung hinweisen, sich gleichzeitig jedoch bemüßigt fühlen, für die sperrige Begrifflichkeit um Verständnis zu werben, ja um Nachsicht zu bitten.
Indes handelt es sich lediglich terminologisch um einen der zahlreichen internationalen Anglizismen, die aus den Bereichen Business oder Informatik im Zuge der Globalisierung längst Akzeptanz gefunden haben, und es handelt sich konzeptionell um eine Verpflichtung auf der Grundlage internationalen und deutschen Rechts.
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„Da sich der Begriff des Gender Mainstreaming bei wörtlicher Übersetzung nicht selbst erklärt, bietet er auch Platz für vielfältige Deutungen und Missverständnisse. Es sind nähere Erläuterungen dazu erforderlich, was unter dem Konzept des GM zu verstehen ist. Für eine erfolgversprechende Anwendung dieser Strategie ist es daher zunächst von elementarem Interesse, sich auf eine Definition zu verständigen, die möglichst unmissverständlich ist und wenige offenen Flanken dafür bietet, GM vor den Karren einer Sparpolitik oder einer Politik des Zurückschraubens frauenpolitischer Errungenschaften zu spannen.“ (Tondorf, 2000, S. 17).
Gender Mainstreaming ist ein Prinzip, um die Entscheidungsprozesse einer Organisation zu verändern.
Die verbindliche Definition aus dem ,Vertrag von Amsterdam’ lautet: „Gender Mainstreaming besteht in der (Re-)Organisation, Verbesserung, Entwicklung und Evaluierung von Entscheidungsprozessen in allen Politikbereichen und Arbeitsbereichen einer Organisation. Das Ziel von Gender Mainstreaming ist es, in alle Entscheidungsprozesse die Perspektive des Geschlechterverhältnisses einzubeziehen und alle Entscheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechter nutzbar zu machen.“ (zit. nach Trommer, 2004, S. 178).
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Hieraus wird deutlich, dass Gender Mainstreaming „eine prozessorientierte Strategie ist, die an Organisationsentwicklung und politischem Organisationslernen ... ansetzt, langfristig angelegt ist und mit Sachverstand und ausreichenden Ressourcen umgesetzt werden muss. GM ist damit eine Strategie, die von der Annahme der Veränderungs- und Lernfähigkeit ausgeht, auch wenn Institutionen Geschlechterverhältnisse ‚orientieren‘ und ‚sozialisieren‘ ... und ‚patriarchal überformt‘ sind ... GM setzt an den Organisationsstrukturen, den Verfahren, den MitarbeiterInnen und der Qualität der Arbeitsergebnisse an. Es geht systemkonform vor und bedient sich der vorhandenen Machtstrukturen wie der Steuerung durch das Top-Down-Prinzip.
Für die Integration der Gleichstellungsorientierung bedarf es des massiven Wissenstransfers in die Organisationen. Erkenntnisse der Frauen- und Geschlechterforschung, auch der kritischen Männerforschung, sollen mit GM Teil des Fachwissens werden. Insgesamt bedeutet GM also auch eine Aufwertung der Frauen- und Geschlechterforschung als professionalisiertes Wissen der Frauenbewegung. Der Transfer ist ein schwieriger Prozess, der angesichts der Wirkungsweisen von Geschlecht eine große Herausforderung für alle Beteiligten darstellt.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 205).
Um die historisch gewachsenen Benachteiligungen von Frauen gegenüber Männern im öffentlichen und privaten Leben auszugleichen, bedurfte es umfassender Rechtsreformen und darauf aufbauend einer multidimensionalen Frauenförderpolitik. Diese und das Gender Mainstreaming-Prinzip haben ihre Gemeinsamkeiten im grundlegenden Gedankengut, in einzelnen Entwicklungsschritten, vor allem in ihrer übereinstimmenden Zielsetzung. In Handlungsansatz und Vorgehensweise zeigen sich jedoch elementare Unterschiede.
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Zur Profilierung des Gender Mainstreaming-Ansatzes ist es daher erforderlich, zunächst die Unterschiede zwischen Frauenpolitik und Gender Mainstreaming zu verdeutlichen.
In einer Publikation der Bundesregierung werden diese in drei Kernkriterien komprimiert:
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(Im Druck des Originaltextes ist das Numerale ‚alle, aller, allen‘ farblich rot hervorgehoben.)
Trotz ihrer Kürze ist diese Gegenüberstellung gut geeignet, das Phänomen ‚Frauenproblem, Frauenförderung, Frauenpolitik‘ als solches zu erkennen: als Individualisierung und Personalisierung von ursächlich strukturell bedingten Problemen. Daher setzt Gender Mainstreaming nun vorrangig bei den Strukturen an.
Gegenüberstellungen dieser Art finden sich in zahlreichen Quellen. Eine weitere sei hier zitiert, da sie den gesellschaftspolitischen Handlungsbedarf besonders lebensnah herausarbeitet.
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Die gängigen Unterstellungen, mit denen sich traditionelle Frauenpolitik oft konfrontieren lassen muss, werden durch die neuen Sichtweisen des Gender Mainstreaming entkräftet:
„Frauenpolitik ist letztlich - so mutig sie an ihrem Beginn auch gewesen ist - eine Defensivstrategie, die zudem die strukturellen Ursachen gesellschaftlicher Ungleichheiten nicht angreift.“ (Schenk, 2004, S. 213).
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Durch Gender Mainstreaming „wird die frauenbezogene Fokussierung abgelöst durch den Blick auf die von Männern ‚und‘ Frauen sowohl aktiv als auch passiv gestalteten Geschlechterverhältnisse und zum anderen wird der Anspruch formuliert, das Thema nicht länger als Sondergruppenthema zu diskutieren, sondern es aus der Frauenecke herauszuholen und in die dominierenden Diskurse zu implementieren“ (Schenk, 2004, S. 214).
In der immer lebhafter geführten Gender-Diskussion bilden sich zunehmend auch unterschiedliche Sichtweisen und Interpretationen heraus.
Zum einen werden Frauenpolitik und Gender Mainstreaming als parallele Wege zu einem Ziel angesehen: „Gender Mainstreaming und Frauenpolitik werden beide eingesetzt, um die Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen. Gender Mainstreaming ist dabei die Strategie, um geschlechtsspezifische Ausgangspositionen und Folgen einer Maßnahme zu bestimmen. Werden hierbei Benachteiligungen von Frauen oder von Männern festgestellt, sind Frauenpolitik bzw. Männerpolitik die einzusetzenden Instrumente, um der jeweiligen Benachteiligung entgegenzuwirken.“ (Bundesregierung, 2003, S. 30).
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„Die Einbeziehung des Ziels der Gleichstellung von Frauen und Männern in alle ‚Fachpolitiken‘ macht die bisherige spezifische Gleichstellungspolitik nicht überflüssig. Vielmehr ist GM Teil einer ‚Doppelstrategie‘: Gleichstellung als Querschnitts- oder Gemeinschaftsaufgabe ergänzt die bisherige spezifische Gleichstellungspolitik, kann sie aber nicht ersetzen. Ganz im Gegenteil: GM braucht eine spezifische Gleichstellungspolitik als Basis. Dies gilt es insbesondere bei der Planung und Verteilung der Ressourcen zu berücksichtigen.“ (Tondorf, 2000, S. 18).
Demgegenüber gibt es Sichtweisen, die das Gender Mainstreaming als das umfassendere Konzept einschätzen und verstanden wissen wollen, das in seinem Maßnahmenkatalog zur Durchsetzung unter anderem das Instrumentarium der Frauenförderung bzw. Männerförderung zählt.
„Wer das Einzigartige genau erfassen will, muss mindestens zweimal hinschauen. Denn einerseits handelt es sich bei Gender Mainstreaming um nicht mehr und um nicht weniger als um ein ganz normales organisationspolitisches Instrument, wie viele andere auch. Gleichzeitig aber beinhaltet Gender Mainstreaming etwas noch nie da Gewesenes: Nämlich die gebündelte Kraft zur im wahrsten Sinne des Wortes ‚nachhaltigen‘ Veränderung unterschiedlichster Strukturen und Politiken.
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Gender Mainstreaming öffnet andere Sichtweisen und führt geradewegs zu gesellschaftlich logischen Herangehensweisen. Ein Beispiel: Wer bessere Arbeits- und Lebensbedingungen für Frauen will, muss die Bedingungen für Frauen und Männer insgesamt im Blick haben, auch deren geschlechterspezifische soziale Prägungen. Nur so kann es zu geschlechtergerechten Regelungen kommen. Es reicht beispielsweise nicht aus, über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur für Frauen nachzudenken. Entsprechende Arbeitszeitmodelle, Teilzeitarbeitsverhältnisse oder Öffnungszeiten von Kindergärten dürfen nicht nur ‚frauenspezifisch‘ geregelt, sondern müssen geschlechtergerecht gestaltet werden. Alles andere wäre nur eine Festschreibung überkommener Geschlechterverhältnisse.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für ‚beide‘ Geschlechter zu ermöglichen und die Voraussetzungen dafür in allen Politikbereichen zu schaffen, das ist das Ziel.
Gender Mainstreaming ist also ein neuer, ein anderer Ansatz, der über herkömmliche Frauenförderung und Gleichstellungspolitik hinausgeht, sie aber nicht überflüssig macht.“ (Lang, 2004, S. 131f.).
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Der Autor setzt in diesem Tenor fort und kommt zu der Überzeugung: „Aber bei Gender Mainstreaming geht es um mehr: Nicht nur Frauen müssen ihre Interessen durchsetzen, sondern Frauen und Männer müssen Organisationen, Verhaltensweisen, Umgangsformen ändern. Insofern ist der Gender Mainstreaming-Ansatz weit radikaler als Frauenemanzipation oder Gleichstellungspolitik. Es geht um einen Organisationsentwicklungs- und Politikveränderungsprozess umfassender Art.“ (Lang, 2004, S. 134).
Und aus weiblicher Sicht: „Der Begriff des Gender Mainstreaming als solcher sagt allerdings noch nichts über die Art und Qualität der angestrebten Geschlechterverhältnisse aus. Erst die Definition von Gender und die Formulierung der gesellschaftspolitischen Zielstellung legen ihn inhaltlich fest. In der Europäischen Gemeinschaft gibt es den Konsens, dass das politische Ziel in der
,Gleichstellung von Frauen und Männern‘ im Sinne von Chancengleichheit, Entgeltgleichheit, Repräsentanz und Diskriminierungsfreiheit besteht. ...
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Gender Mainstreaming im eben genannten Sinne thematisiert die Geschlechterfrage als ein strukturelles Gerechtigkeitsproblem - sowohl für Frauen als auch für Männer. Es geht bei Gender Mainstreaming nicht darum, die Passfähigkeit von Frauen für unverändert bleibende Strukturen in Organisationen oder in der Gesellschaft zu verbessern, wie es bei der Frauenförderung der Fall ist. Gleichstellung im Sinne von Chancengleichheit kann nur durch Veränderung eben jener Strukturen selbst erreicht werden.“ (Schenk, 2004, S. 214).
Die Einschätzung des Gender Mainstreaming als ein weiteres der bereits zahlreich vorhandenen gesellschaftspolitischen Reforminstrumente wird dem umfassenden Ansatz nicht gerecht. „Gender Mainstreaming scheint das neue Patentrezept der Gleichstellungspolitik zu sein. In zahlreichen Nationalstaaten, Bundesländern und Kantonen, Gemeinden und Städten, Verbänden und Vereinen, Unternehmen und Betrieben wird heutzutage ‚gegendert‘. ...
Ein Grund dafür, dass Gender Mainstreaming derart Furore macht, hängt damit zusammen, dass Gender Mainstreaming immer wieder als Strategie präsentiert wird und der Charakter des Gender Mainstreaming als politischer - und damit inhaltlich gebundener - Forderung in den Hintergrund gerät. Im Modernisierungs-Jargon öffentlicher Verwaltungen und gemeinnütziger Verbände erscheint Gender Mainstreaming attraktiv, weil es sich zwanglos in die Rede von Steuerung, Instrumenten, Techniken und Qualitätssicherung - und noch attraktiver, da noch moderner - in die Rede von ‚Tools‘, ‚Assessment‘ oder ‚Controlling‘ einfügt. ... An dieser Stelle setzt aber auch die skeptische Nachfrage ein, was denn Gender Mainstreaming bezwecke, wenn es in diesem Gewand präsentiert wird. Diejenigen, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten um wirksame Gleichstellungsmaßnahmen bemühen, merken auf, wenn plötzlich jene, die ihnen bislang nicht zuhörten, selbst von ‚gender‘ sprechen. Hier wird nicht nur Definitionsmacht bedroht. Ein ‚mainstreaming‘ könnte auch bedeuten, so lautet die Befürchtung, dass Politikfelder nur umetikettiert, aber nicht anders als bisher gestaltet werden. Wer lange mit tauben Ohren und Untätigkeit konfrontiert war, wird vorsichtig, wenn nun ein neues Rezept sofortige Linderung aller bislang so hartnäckigen Beschwerden verspricht. ...
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Ist Gender Mainstreaming ‚nur‘ Form, nur Strategie, und nicht Inhalt? ...
Wer diese Fragen mit ‚ja‘ beantwortet, übersieht Geschichte und Kontext des Konzepts. Gender Mainstreaming ist keine Strategie, die im luftleeren Raum entstanden ist oder die unabhängig von einem rechtlichen Kontext umgesetzt werden könnte.“ (Baer, 2002, S. 41f.).
Und etwas später im Text: „Lautet die Devise nun ‚ab in die Mitte‘, muss es Geschlechterpolitik ermöglichen, sich in dieser Mitte breit zu machen. Da sich im ‚mainstream‘ regelmäßig nicht nur auch, sondern sogar überwiegend Männer aufhalten, muss diese die Sache etwas angehen. Die Problematik traditioneller Frauenpolitik als identitätsbasierter Betroffenheitspolitik, die der Geschlechterforschung in den letzten Jahren Stoff für selbstkritische und innovativ-grenzüberschreitende Fragen gab, erhält so eine neue Wendung: Gender Mainstreaming funktioniert gewissermaßen nur, wenn genügend Inhalte definiert werden, die auch bei Männern identitätsstiftend Betroffenheit erzeugen.“ (Baer, 2002, S. 43).
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Die gleiche Sicht aus weiterer Quelle: „Ein Schattendasein im Nebenstrom fristen i. d. R. die herkömmlichen Maßnahmen zum Abbau von Diskriminierung oder zur ‚Frauenförderung’ ... Mit anderen Worten: Der Hauptstrom wird von ihnen gar nicht oder nur sehr begrenzt beeinflusst. Damit bleibt, um ein aufschlussreiches Wortspiel aufzugreifen, der ‚Mainstream’ ein ‚Malestream’, ein männlich dominierter Strom.
Ziel des Gender Mainstreaming ist dagegen, den Hauptstrom zu verändern.“ (Krell/Mückenberger/Tondorf, 2004, S. 78).
Zusammenfassend: „Gender Mainstreaming ist kein Konzept für reine Frauenpolitik, Frauenförderung ist von der Logik her nur ein Teil von Gender Mainstreaming. Mit Gender Mainstreaming soll vielmehr versucht werden, die Geschlechterverhältnisse im Einflussbereich einer Organisation umfassend zu beeinflussen. Mit Gender Mainstreaming sollen geschlechtsbezogene Benachteiligungen systematisch aufgespürt und aufgehoben werden.“ (Höyng, 2002, S. 216).
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Voraussetzung für die erfolgreiche Herbeiführung von Geschlechtergerechtigkeit ist in jeder Organisation zunächst das Bekenntnis der Führungskräfte und Entscheidungsträger zur Philosophie des Gender Mainstreaming. Es bedarf der Einsicht in die Notwendigkeit und des Willens zur Umsetzung. „Die Durchsetzung von Geschlechtergerechtigkeit ist ein sensibles und sowohl die individuellen als auch die organisatorischen Grundwerte fundamental berührendes Thema, da es letztlich um die Umverteilung von Macht, Verantwortung und Mittel geht.“ (Trommer, 2004, S. 180).
Ferner bedarf es der Aufgeschlossenheit und des Engagements der Mitarbeiterschaft zur Belebung und Fortentwicklung des Prozesses. In Organisationen mit teils oder überwiegend weiblichen Arbeitskräften wird die Bereitschaft per se und in höherem Maß vorhanden sein als mit überwiegend männlicher Belegschaft. Hier ist zunächst die Methodik des Vorgehens zu entwickeln, ob für die Vorzüge des Gender-Ansatzes geworben wird, ob das Gender-Prinzip analog zu den Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung als Reformbaustein angeordnet wird oder - da keine freiwillige betriebswirtschaftliche Entscheidung - ob bei dieser Innovation auf die Gesetzeslage verwiesen wird.
Seit den 1990er Jahren wurde ein Instrumentarium entwickelt, das zwar noch keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit und Endgültigkeit erheben kann und will, sich jedoch als vorläufiger Maßnahmenkatalog zur Erzielung erster Fortschritte durchaus eignet. Allerdings gibt es noch keinen Konsens im Hinblick auf die exakte Abgrenzung zwischen den einzelnen Methoden, Maßnahmen und Implementierungsphasen, wobei die Gründe hierfür sicherlich in der Komplexität der Aufgabe und deren ganzheitlichem Anspruch liegen.
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Die bisher entwickelten Methoden, die im Gender Mainstreaming-Prozess angewendet werden und die der Verbesserung der Entscheidungsprozesse dienen, können vergröbernd in drei Gruppen eingeteilt werden: analytische, bildende und konsultative oder partizipatorische Techniken. Initiierung, Begleitung und Controlling erfahren diese Techniken in dem ganzheitlichen Anspruch der Gender-Kompetenz. Diese wiederum nutzt das Gender-Instrumentarium, reift während des Implementierungsprozesses und soll sich auf alle Beteiligten übertragen.
Gender-Kompetenz ist ein Sammelbegriff für die Kenntnisse und Fähigkeiten sowie Rahmenbedingungen und Umsetzungsstrategien, die für das erfolgreiche Betreiben von Gender Mainstreaming erforderlich sind. Und gerade an diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr die Ambivalenz der Thematik: zum einen bildet Gender-Kompetenz die Voraussetzung für jedweden Gender-Prozess, andererseits bedient sich bereits der Erwerb von Gender-Kompetenz immer wieder der im Folgenden noch aufzuzeigenden Instrumente und Maßnahmen.
Dessen eingedenk erfolgt der Aufbau von Gender-Kompetenz, indem auf der Personenebene sensibilisiert und Wissen und Handlungskompetenz vermittelt wird und gleichzeitig auf der Organisationsebene Beratung und Begleitung erfolgt.
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Unter Gender-Kompetenz versteht sich nicht lediglich eine zusätzliche Kompetenz, die dem bisherigen Kompetenzprofil nur additiv hinzugefügt werden kann. Gender-Kompetenz definiert sich „als Verknüpfung von Erkennen gleichstellungsrelevanter Aspekte im jeweiligen Tätigkeitsfeld und Umsetzung der Erkenntnisse im praktischen Handeln. Dies verlangt eine neue Kombination von fachlichen, berufsspezifischen mit Gender-Kompetenzen.
Gerade Gender-Bildung kommt nicht ohne einen ganzheitlichen Ansatz von Bildungsverständnis aus. Die Persönlichkeit, also die individuelle Ausgestaltung der eigenen Geschlechtsrolle, ist von großer Bedeutung. Dabei fördert Gender-Bildung nicht nur persönliche und soziale Kompetenzen - es handelt sich um ein umfassendes und komplexes Wissensgebiet, das spezifische Kenntnisse und kognitive Fähigkeit verlangt.“ (Wanzek, 2004, S. 83f.).
So haben sich die klassischen Kompetenzfelder, also Fach-/Sach-, Methoden-, Sozial- und Personale Kompetenz, den Gender-Aspekt zu eigen zu machen.
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Andererseits und gleichzeitig sind die klassischen Kompetenzen einzusetzen, um Gender-Kompetenz als zielgerichtete und bewusste Handlungskompetenz wirksam werden zu lassen.
„Kompetenzentwicklung ist mit dem Mainstreaming selbst unauflöslich verbunden. Kompetenzen sind immer Handlungskompetenzen, deren Entwicklungsgrad nur in der Umsetzung wirksam und sichtbar wird. Die Entwicklung von Kompetenzen ist durch Fortbildungen zu unterstützen, findet aber erst wirklich im Prozess der Umsetzung statt.“ (Wanzek, 2004, S. 85).
Um den Gender Mainstreaming-Prozess zu initiieren, fortzuentwickeln und Erfolge zu erzielen, ist es erforderlich, in analytischer Weise den Ist-Zustand zu recherchieren, zu kennen und öffentlich bewusst zu machen, um Handlungsoptionen daraus abzuleiten, gegebenenfalls auch, um zunächst Überzeugungsarbeit zu leisten.
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„Die Gender-Analyse ist eine Methode, die das Geschlechterverhältnis auf dem Hintergrund sozialer und kultureller Bedingungen untersucht. Die Methode dient dazu, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten von Männern und Frauen in der Projektplanung zu berücksichtigen und Programme auf die geschlechtsspezifischen Belange ihrer Zielgruppen abzustimmen. Mitte der 1980er Jahre am Harvard Institut von Catherine Overholt entwickelt, wurde die Gender-Analyse aufgrund ihrer universalen Anwendbarkeit bald weltweit bekannt und von verschiedenen Entwicklungsinstitutionen aufgegriffen.“ (Berninghausen, 2004, S. 189).
Das derzeit auch in Deutschland bekannteste Analyseverfahren ist die Mitte der 1990er Jahre in Schweden entwickelte 3-R-Methode: Repräsentation, Ressourcen, Realität (in manchen Quellen auch ‚Realisierung’).
Dabei werden Statistiken und Daten systematisch nach Geschlecht aufgeschlüsselt und anhand standardisierter Kriterien geprüft, inwieweit die Chancengleichheit von Frauen und Männern realisiert ist.
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Repräsentation
Wie groß ist der Anteil von Frauen und Männern? (Quantitative Gender-Analyse).
Anforderungen/Überlegungen: Wie ist die geschlechterspezifische Verteilung von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen (auch in Bezug auf Migration, Behinderung, etc.) in Gremien/Ausschüssen, in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, bei den NutzerInnen von Angeboten in Jugendfreizeitheimen, bei der Vergabe von Wirtschaftsfördermitteln oder bei Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation, bei Straftaten und Verkehrsunfällen? Wie hoch ist der Anteil von Maßnahmen/Politikschwerpunkten, die hauptsächlich Frauen oder Männer betreffen? (Justizvollzug, Innere Sicherheit, öffentliche Sportanlagen, Meistergründungsdarlehen, Sozialhilfe, Alleinerziehende, etc.)? Liegen entsprechende Daten/Statistiken vor?
Ressourcen
Wie werden die verschiedenen Ressourcen (Raum, Geld, Zeit) zwischen Frauen und Männern verteilt? (Quantitative Gender-Analyse).
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Anforderungen/Überlegungen: Wie viel Zeit reden Frauen und Männer bei Beratungen, Kommissionen, Konferenzen etc.? Wie viel Geld wird für weibliche und männliche Aktivitäten in den Bereichen Behinderung/Kultur/Sport/Freizeit/Bildung/Wissenschaft zur Verfügung gestellt? Wie verteilen sich die öffentlichen Haushaltsbudgets auf Frauen und Männer? Wer profitiert von den Ausgaben? Welcher und wie viel Raum wird Frauen und Männern bei Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen oder in Einrichtungen der Behindertenhilfe eingeräumt?
Realität
Warum ist die Situation so? (Qualitative Gender-Analyse).
Anforderungen/Überlegungen: Wer was zu welchen Bedingungen bekommt? Warum die Geschlechter unterschiedlich beteiligt und bewertet werden?
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Welche Normen und Normalitäten den verschiedenen Maßnahmen und Entscheidungen zugrunde liegen?
Wird den Interessen beider Geschlechter gerecht entsprochen?
(vgl. Swedish Association of Local Authorities 1999, zit. nach Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 160f.).
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Diese 3-R-Methode wurde entwickelt “vom ‘Svenska Kommunförbundet’, vergleichbar mit dem Städte- und Gemeindetag. In einem von der Regierung gesponserten Projekt zur Entwicklung von Methoden erblickte sie das Licht der Gender-Welt, als ,Hebamme’ fungierte die Wissenschaftlerin Gertrud Aström.“ (Pettersson, 2004a, S. 48).
Die beispielhaft genannten Fragen innerhalb der 3-R-Methodik werden ergänzt, erweitert, modifiziert, je nach Anwendungsbereich innerhalb der Organisationen und Institutionen.
Weitere Untersuchungsfelder könnten sein:
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„Der Witz bei der 3-R-Methode: Alle Punkte müssen beantwortet werden, sonst funktioniert das nicht mit der Integration von Chancengleichheit in den Arbeitsalltag, kommt kein Prozess der Veränderung in Gang.“ (Pettersson, 2004a, S. 48).
Inzwischen hat sich die 3-R-Methode entwickelt zur Methode ‚3-R plus 1’ bzw. ‚4-R-Methode’. „Das vierte R steht für ‚Restriktionen’, zum Beispiel Haushaltssperren oder Auflagen - in manchen Geschäftsbereichen wichtig zu beachten.“ (Pettersson, 2004a, S. 48).
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Eine andere Quelle spricht ebenfalls von der 4-R-Methode, wobei das vierte R hier die Kategorie ‚Recht’ einnimmt:
Dazu auch Tabelle 1 im Anhang.
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Für beide Varianten gilt, dass das Hinterfragen der Rahmenbedingungen ‚Restriktionen’ und ‚Recht’ auch bereits beim dritten R ‚Realität’ Berücksichtigung finden könnte und müsste.
„Im kommunalen Bereich in Schweden hat sich diese Methode als höchst wirksam erwiesen, sie hat z. B. erbracht, dass die kommunale Förderung im Sportbereich von Jungen und Mädchen sehr unterschiedlich ist, dass die Sozialhilfeunterstützungen von Frauen anders aussehen als die von Männern und dass viel mehr kommunale Mittel in die gymnasialen Kurse fließen, die von Jungen frequentiert werden ...“ (Stiegler, 2002, S. 30).
Ein weiteres Verfahren zur Gender-Analyse wurde bereits 1994 in den Niederlanden „im Auftrag des niederländischen Gleichstellungsministeriums von Universitätswissenschaftlern … entwickelt“ (Schweikert, 2002, S. 97), das Gender Impact-Assessment, GIA, „um die Effekte geplanter Gesetzesvorhaben auf das Geschlechterverhältnis ex-ante (im Vorhinein) zu bestimmen. Gesetze, Verordnungen und andere legistische Maßnahmen werden darauf untersucht, ob Gender Aspekte berücksichtigt werden und ob sie dem verfassungsrechtlichen Gleichstellungsgebot entsprechen.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 161).
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Die GIA-Methode umfasst folgende Schritte:
(vgl. TEPGEM-Plattform 2003, zit. nach Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 162).
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„Eine weitere Variante des GIA ist der Gender Impact Test, der vor allem auf kommunaler Ebene angewendet wird, sowie SMART (simple method to assess the relevance of policies to gender), ein selbständiges Instrument zur Bewertung der geschlechterbezogenen Relevanz von politischen Maßnahmen, das von der EU-Kommission übernommen wurde …“ (Schweikert, 2002, S. 98).
Zu den analytischen Techniken zählt auch die Gender Budget-Analyse. Aus gegebenem Anlass der Themenstellung dieser Arbeit erfolgen Definition, Deskription und Wertung in Teil 3, explizit in Kapitel 3.4.2.
Ferner gehört zu den Analyse-Instrumenten „auch die ‚Aufstellung geschlechtsspezifischer Statistiken’. Vorhandene Statistiken können genutzt werden, wenn sie nach Geschlechtern getrennt erhoben sind. Häufig müssen aber neue Erhebungsfragen entwickelt werden. Statistiken ergeben immer das Bild von der Realität, über die man etwas wissen will. Die Kriterien für die Statistiken sind wesentlich für die Darstellung der Realität. Deswegen ist es außerordentlich wichtig, bei den Erhebungsfragen und den Tatbeständen genaue Kenntnisse der Geschlechterverhältnisse anzuwenden. So hat es sich z. B. erwiesen, dass die Differenzierung von Frauen und Männern oft zu grob ist, dass die Differenzen in den Geschlechterrollen sehr viel deutlicher werden, wenn man Väter und Mütter miteinander vergleicht.“ (Stiegler, 2002, S. 30).
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Auch diese Methode wird in Schweden bereits praktiziert.
„Im Gegensatz zur deutschen Politik haben die Schweden diese Notwendigkeit schon früh erkannt: Seit 1994 gehört die geschlechterspezifische Statistik zur Familie der offiziellen Erhebungen. Was sie leisten soll: leicht zugängliche Zahlen, keine Insider-Labyrinthe, in denen sich am Thema interessierte Menschen verirren.
Das ‚Statistiska Centralbyran’, das Statistische Zentralamt, hat diesen Ball professionell aufgenommen. Der ‚lathund om jämställdhet’, die kleine Kladde im Westentaschenformat mit allen Daten von Arbeitsmarkt über Gesundheit bis Einkommen, Alter oder Kindheit avancierte ... inzwischen zum ‚Bestseller’, rund 15.000 Exemplare werden jährlich verkauft. ...
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Der ‚lathund’ im Westentaschenformat hat inzwischen Nachahmer in mehreren anderen Ländern. Und ein Ende der kreativen Aufbereitung von drögem Material ist noch lange nicht in Sicht. Das neueste Kapitel: Der ‚JämIndex’.“ (Pettersson, 2004a, S. 50f.). Hierbei handelt es sich um einen digitalen Index für Gleichberechtigung, ein Messinstrument für die geschlechterpolitischen Fortschritte in den Kommunen und Landkreisen Schwedens.
„Der JämIndex basiert auf 15 statistischen Variablen. Unter der geschlechtsspezifischen Lupe liegen die Qualifikationen in einer Region, die Arbeitsmarktstruktur, die Einkommen, Krankenstände oder Besetzung von Entscheidungsgremien. Wie sieht es mit speziellen Kompetenzen in bestimmten Altersgruppen aus, wie ist die Zusammensetzung der Arbeitsuchenden, wer nimmt Elternurlaub und was ist mit der Infrastruktur? Per Mausklick kommen alle Daten über das Internet kostenfrei auf den Schirm.
Den JämIndex gibt es nach einer Probephase offiziell seit 2002. Es braucht nicht viel Fantasie dafür, sich vorzustellen, wer den JämIndex nutzt: Die Kommunen selbst, die wissen wollen, wie sie dastehen im Vergleich mit anderen Gemeinden und Städten. Oder Unternehmen, die Industrie ansiedeln wollen. Oder vor allem junge Menschen, die frisch von der Ausbildung kommen und sich umgucken, wo sie ihre Zelte aufschlagen. ... Wie auch immer, der JämIndex hat Aktivitäten für mehr Chancengleichheit ordentlich angekurbelt. Und ist wie selbstverständlich auch zum Mittel der Regional- und Industrieansiedlungspolitik geworden.“ (Pettersson, 2004a, S. 51f.).
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Die Auswertung deutscher Statistiken ergibt ein ambivalentes Bild. Das ‚Statistische Jahrbuch’ für die Bundesrepublik verzeichnet zunehmend auch geschlechterbezogene Einzelstatistiken. Ist dies bei den Angaben zu Bevölkerungsstand oder Schulbesuch noch selbstverständlich, so erfolgt nun ebenfalls eine Differenzierung bei Wählerverhalten, Computernutzung oder Haushaltsnettoeinkommen, um nur einige zu nennen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2007).
Das ‚Statistische Jahrbuch Deutscher Gemeinden’ richtet sein Hauptaugenmerk auf wenige ausgewählte Strukturmerkmale, um diese dann jeweils aufzuschlüsseln in über 1.500 Kommunen.
Es gibt geschlechterspezifische Angaben zur Zahl der Einwohner, Ratsmitglieder und Kraftfahrzeughalter; weitere Erkenntnisse sind hier kaum zu erhalten (vgl. Deutscher Städtetag, 2005).
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Da die etablierten Standardwerke eine durchgängig geschlechterdifferenzierte Auswertung in ihre Grundstruktur derzeit kaum einbringen können, erscheinen zunehmend thematische Einzelveröffentlichungen, wie z. B. der ‚Gender-Datenreport’ der Bundesregierung oder das kommentierte Zahlenwerk des Statistischen Bundesamtes zur Situation der ‚Frauen in Deutschland’ (vgl. Statistisches Bundesamt, 2004), das bereits in Kapitel 1.6.1 dieser Arbeit zum Erkenntnisgewinn benutzt wurde.
Ein weiteres Mittel der Gender-Analyse stellen Checklisten dar. „Gewerkschaften in Schweden und Deutschland tun es, auch die eine oder andere Behörde: Sie arbeiten mit Checklisten. Verwenden sie meist als ‚Beilage’ zu einem Vorgang, der von der Leitung entschieden werden muss. Und dokumentieren damit, dass sie drin ist in der Beschluss-Vorlage, die Geschlechterperspektive.
Checklisten sind keine Abnicker, sie verlangen analytische Behandlung. Deshalb sind sie auch meistens mit der 3-R-Methode gekoppelt, betreiben keine Inflation an Fragen, beschränken sich vielmehr auf wenige Kernpunkte. Wie ist die aktuelle Situation? Wie kann eventuelle Ungleichheit aufgehoben werden? Welche Hindernisse gibt es?“ (Pettersson, 2004a, S. 49).
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Für diese Checklisten gibt es keine Standards. Sie können, wie eben zitiert, möglichst kurz und pointiert auf alle Arbeitsvorgänge angewendet werden. Wenn sie die Voraussetzung für eine Gender-Analyse bilden sollen, müssen sie detailliert in Breite und Tiefe gestaltet werden. „Zunächst einmal ist eine genaue Analyse der eigenen Institution notwendig, um Veränderungen vornehmen zu können und Schwerpunkte zu setzen. Im Folgenden werden die zu berücksichtigenden Punkte, die auch als Checkliste betrachtet werden können, aufgelistet: ...“ (Jansen, 2004, S. 230). Es folgen beispielhafte Prüfkriterien über nahezu zwei Druckseiten. „Die aufgelisteten Fragen müssen beantwortet werden, um Aussagen darüber treffen zu können, wie geschlechtsbewusst oder geschlechterblind eine Organisation ist.“ (Jansen, 2004, S. 231).
Auch erfolgt der Einsatz von Checklisten als Begleit- und Controllinginstrument für die unterschiedlichen Phasen des Umsetzungsprozesses von Gender Mainstreaming oder die Stationen von Projektverläufen.
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Die bekanntesten der Bildungstechniken im Gender Mainstreaming sind die Gender-Trainings. Bei diesen spezifischen Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen muss allerdings „betont werden, dass Ansätze des Gender Training älter sind als Gender Mainstreaming und schon alleine deswegen nicht lediglich als ein Instrument dieser politischen Strategie gesehen werden können“ (Frey, 2003, S. 125).
Ende der 1980er Jahre entstand das Gender-Training als Methode der Sensibilisierung zu Geschlechterfragen und zum Erlernen genderbewusster Analyse- und Planungsmethoden auf dem Gebiet der Entwicklungspolitik. Diese internationale Herkunft prägt bis heute die Diskussionen um das Gender-Training.
In Deutschland wurde das Gender-Training seit den 1990er Jahren auch als Methode in anderen Bereichen als der Entwicklungspolitik eingeführt und dabei methodisch weiterentwickelt. „Heute besteht ein Gender Training-Markt, auf dem verschiedenste Institutionen und Akteur/innen mit unterschiedlichen Ansätzen für verschiedene Zwecke und Zielgruppen konkurrieren.“ (Frey, 2003, S. 126).
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„Gender Trainings verfolgen in der Regel das doppelte Ziel der Sensibilisierung in Gender-Fragen (reflexive Komponente) und der Befähigung, Gender als Analysekategorie anzuwenden (instrumentelle Komponente). Gender kommt also auch im Rahmen von Gender Trainings in einem doppelten (und ambivalenten) erkenntnistheoretischen Sinn vor, als Strukturkategorie und als Analysekategorie. Innerhalb der reflexiven Komponente wird Gender als Struktur eher problematisiert, bei der instrumentellen Komponente wird Gender als Instrument gebraucht.“ (Frey, 2003, S. 126).
Bereits bei vordergründiger Betrachtung der Gender-Trainings als Instrumentarium wird die Diversität deutlich. Folgende Unterscheidungskriterien können der Klassifizierung dienen:
Dauer
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Zielgruppen
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Ziele
Methode
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Ebenen
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Einbettung
Zur Implementierung des Gender Mainstreaming sind Methodik und Instrumentarium erforderlich und sinnvoll. Explizite Maßnahmenkataloge dieser Art dürfen jedoch nicht zu der Annahme verleiten, gendergerechte Fortschritte in Betrieben und Verwaltungen seien durch diese weitere Managementtechnik wohlstrukturiert und zügig zu realisieren, man müsse lediglich das Handwerkszeug zielgerichtet einsetzen.
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Gerade im Zusammenhang mit Gender-Trainings wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sie sich jenseits von Dichotomien und Zuschreibungen bewegen müssen, um geschlechterpolitische Handlungsräume zu eröffnen und den komplexen gesellschaftlichen Realitäten gerecht zu werden. Es darf daher nicht vorrangig um einen instrumentellen Zugang zu Gender als Konzept oder isolierter Kategorie gehen.
„Was jedoch könnte unter den Prämissen neuerer Gender-Theorien in Gender Trainings vermittelt werden und auf welche Weise könnte dies geschehen? Zunächst ist festzuhalten, dass Gender Training keine klassische Schulungsmaßnahme ist, in deren Rahmen dozierend Wissen vermittelt wird. Vielmehr sollten Gender Trainings einer partizipativen Methodik folgen und auf drei aufeinander aufbauenden und ineinander greifenden Säulen stehen:
Es geht erstens um die Vermittlung von Definitionen und Konzepten (z. B. Was ist Gender? Was ist Gender Mainstreaming?), zweitens um die Umsetzung von Gender-Ansätzen (Anwendung von Instrumenten wie z. B. Gender-Analysen). Darüber hinaus geht es drittens immer auch um Sensibilisierung und Reflexion (eigene Werte- und Wahrnehmungsmuster, Befassung mit Konstruktionsprozessen von Gender).
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Diese dritte Säule stellt die größte Herausforderung dar, da es hier nicht um reine Wissensvermittlung geht, sondern darum, Bewusstsein zu schärfen und dazu beizutragen, (in der Regel recht eingefahrene) Denk- und Verhaltensmuster zu verändern.“ (Frey, 2004, S. 42).
Neben der Distanzierung von technokratischen Ansätzen und unter kontinuierlicher Betonung gesellschaftspolitischer Zusammenhänge weisen die Gender-Trainings gegenüber herkömmlichen Schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen eine weitere Besonderheit auf: „Heute knüpfen Konzepte von Gender Trainings - bewusst oder unbewusst - bezogen auf Inhalte, Methoden, Leitungsverhalten und Rahmenbedingungen an Prinzipien einer ‚frauengerechten’ Didaktik an.“ (Kaschuba, 2004a, S. 65).
Auf folgende Grundprinzipien der Frauenbildung wie TeilnehmerInnenorientierung, Kompetenzansatz und ganzheitliches Lernen mit Berücksichtigung der Geschlechterperspektiven bauen Gender-Trainings auf:
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TeilnehmerInnenorientierung
Gelang der Frauenbildung mit der Einbeziehung der Lebenswelten von Frauen ein Riesenschritt in Richtung Auflösung scheinbar geschlechtsneutraler Bildungsinhalte und Veränderung von frontalen Lehr-Lern-Setting etwa durch verstärkte Kleingruppenarbeit, so stellt dies für Gender-Trainings heute eine Selbstverständlichkeit, einen zentralen Bestandteil dar: Hier findet ebenfalls eine Orientierung an den Subjekten statt, werden zum Beispiel ihre Interessen und Feedbacks erhoben, werden Lebenswelten, Handeln und Wahrnehmung von Frauen und Männern benannt, analysiert und Ansatzpunkte zur Veränderung - meist auf der Mikro- und Meso-Ebene - entwickelt. Zur TeilnehmerInnenorientierung gehören des Weiteren sowohl eine frauen- bzw. geschlechtergerechte Sprache als auch partizipatorische Methoden.
Ansetzen an Kompetenzen
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In der Frauen- und Mädchenbildung entwickelte sich seit Mitte der 1980er Jahre die Orientierung an Stärken und Kompetenzen von Frauen und Mädchen, nachdem zuvor in den Angeboten meist eine Defizitperspektive im Sinne eines Nachholens und Aufholens von Frauen vorherrschte. Das Ansetzen an den Potenzialen und Kompetenzen ist auch in Gender-Trainings ein wichtiges Prinzip, wenn es darum geht, zwar strukturelle Geschlechterhierarchien und die jeweilige Beteiligung von Frauen und Männern an Zuschreibungen und Dominanzverhältnissen aufzudecken, aber auch an Erfahrungen und Kompetenzen von Frauen und Männern in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse anzusetzen und diese zu erweitern. Das kann heißen, ihre Perspektiven, Interessen und Auseinandersetzungen mit der Gender-Thematik ernst zu nehmen - wie etwa ihre alltäglichen Versuche, Begrenzungen aufgrund von Geschlechtszuschreibungen aufzulösen oder zu verschieben, oder ihr Erweitern von Handlungsmöglichkeiten als Frauen und Männer - und diesen Lernprozess zu begleiten. Die Arbeit in geschlechtshomogenen Gruppen, biografische Ansätze bieten hier gute Möglichkeiten.
Ganzheitliches Lernen
Die Bedeutung einer lernfördernden Atmosphäre durch die Beachtung der kognitiven wie der emotionalen Ebene und durch den Einsatz aktivierender Methoden wie etwa Rollenspiele, Zukunftswerkstätten, körper- und gestaltbezogene sowie biografische Ansätze, die inhaltliche und methodische Verknüpfung des ‚Politischen’ mit dem ‚Privaten’, aber auch die Rahmenbedingungen von Bildung selbst - vor allem Zeit und Raum von Bildungsveranstaltungen - gerieten durch die Frauenbildung (und forschung) in den Blick und wurden ständig weiterentwickelt.
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Selbstreflexivität
Die geschlechterbezogene Selbstreflexivität und Vorbildfunktion der Leitung stellen weitere wichtige Anknüpfungspunkte aus der Frauenbildung für die Gender Trainings dar. Das beinhaltet den Einbezug von Ergebnissen der Frauen-, Männer- und Geschlechterforschung als Folie, die Anhaltspunkte für die Selbstreflexion liefert (vgl. Kaschuba, 2004a, S. 65f.).
Auch die Gender-Trainings als moderne Methode des Managements haben tiefe historische Wurzeln und verdanken ihre Besonderheit dem Einfluss frauenspezifischer Fähigkeiten.
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Zu den prozessorientierten Konzepten der Gender-Trainings gehören selbstverständlich auch ergebnisorientierte Erwartungen, also Zieldefinitionen und Qualitätskriterien zur Zielerreichung. „Die Formulierung von Qualitätskriterien für Gender Trainings erscheint ... komplex und brisant zugleich. Sie ist aber notwendig ... zur Ausgestaltung der Rahmenbedingungen und Klärung der realistisch zu erreichenden Ziele sowie zur besseren Transparenz von Leistungen. Das bedeutet, sie bieten Handlungssicherheit, indem sie zur Überprüfung und Verbesserung der Qualität von Trainings beitragen. Eine weitere wichtige Begründung für die Offenlegung von Qualitätskriterien liegt ... in der Reflexion der politischen und theoretischen Bezugspunkte des Trainings.“ (Kaschuba, 2004b, S. 117f.).
Grundsätzlich geht es um drei zentrale Bestandteile: Geschlechterbezogene Sensibilisierung, Qualifizierung sowie Transfer auf das eigene Handlungsfeld.
Die hier zitierte Autorin hat einen Beitrag geleistet „zur Entwicklung von Qualitätskriterien für Gender Trainings ..., damit nicht nur rhetorische Modernisierung stattfindet“ (Kaschuba, 2004b, S. 128). Sie stellt Qualitätskriterien als Reflexionskriterien anhand der Dimensionen ‚Ziele, Gruppe, Inhalte, Methoden, Leitung, strukturelle und organisatorische Rahmenbedingungen’ auf.
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Zur Veranschaulichung sei hier beispielhaft die Dimension ‚Ziele’ nach Kategorie und Qualitätskriterien wiedergegeben:
Kategorie
Sensibilisierung, Qualifizierung, Transfer
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Qualitätskriterien
Unabhängig von Messbarkeit und Controlling liegt der Erfolg hier zunächst bei der Transparenz von Prozess und Ergebnis, bei Prozessakzeptanz und Lerngewinn.
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Entsprechend ihrer Bedeutung für den Umsetzungsprozess des Gender Mainstreaming wurde den Gender-Trainings hier breiter Raum gewidmet.
Zu den Bildungsinstrumenten zählt ferner selbstverständlich eine Reihe von Broschüren und Handbüchern. „Das Material, das Gender Trainings zugrunde liegt, wird in der Regel von den Trainer/innen für den jeweiligen thematischen und institutionellen Kontext zusammengestellt. Größere Organisationen ... haben eigene Trainingshandbücher herausgegeben, ... andere Handbücher entstanden für einen regionalen oder auch nationalen Kontext ..., wiederum andere wurden für einen thematischen Fokus, wie zum Beispiel Gender und Ökologie ausgearbeitet ... Daneben gibt es Handbücher, die in einem speziellen Projektekontext verfasst wurden und sowohl Handbuch als auch Dokumentation eines bestimmten Trainings sind ...“ (Frey, 2003, S. 128f.).
In Unterscheidung zu den Bildungsinstrumenten wie Gender-Trainings und -Schulungen einschließlich Begleitmaterial und Dokumentation erfolgt der Erwerb von Gender-Kenntnissen und -Kompetenz bei den konsultativen Methoden und Instrumenten in partizipativer Weise durch Beratung und Beteiligung.
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„GleichstellungsexpertInnen sollen mit Fachleuten ‚über Ideenwerkstätten, Arbeits- oder Lenkungsgruppen’ zusammengeführt werden, ebenso gemeint sind Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit wie Seminare, Konferenzen.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 42). Hierzu gehören weitere Verfahren wie Befragungen und Anhörungen oder die Hinzuziehung externer Experten.
Es ist bereits deutlich geworden, dass es sich bei der Durchsetzung von Gender Mainstreaming um einen Prozess der Bewusstseinsbildung und der Modernisierung gesellschaftlicher Normen handelt, der zunächst als Top-down-Prozess angelegt ist, und dessen Akzeptanzgewinn beim Durchdringen der einzelnen gesellschaftlichen wie betrieblichen Hierarchieebenen steigt.
Dieser Prozess ist einerseits vergleichbar mit den laufenden Bestrebungen der Verwaltungsreformen, andererseits steht bei Gender Mainstreaming nicht das Instrumentarium im Vordergrund, sondern der ganzheitliche Anspruch schrittweiser gesellschaftlicher Veränderung. „Ein häufig vorgebrachtes Argument gegen Gender Mainstreaming ist, dass Führungskräfte heute vor großen Herausforderungen durch den Umbau in den Organisationen stehen, der Druck durch neue Wege in der Organisations- und Personalentwicklung so enorm sei, dass für weitere neue Konzepte und veränderte Strategien kein Spielraum mehr da sei. Dieser Sichtweise liegt ein Verständnis von Gender Mainstreaming zugrunde, das diesem nicht gerecht wird. Gender Mainstreaming ist nämlich kein zusätzliches Instrument der Organisationsinnovation, sondern zentraler Teil der Veränderung der gesamten Unternehmens- und Behördenkultur.“ (Ehrhardt, 2004, S. 17).
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Da die Verwaltungsreformen gerade im Hinblick auf Mitarbeiterorientierung bereits partizipatorische Elemente in ihrer Theorie enthalten, kommen sie dem Gender-Ansatz entgegen und können gemeinsam verfolgt werden. Da jedoch „die männlich geprägte Dominanzkultur in Organisationen“ (Ehrhardt, 2004, S. 17) dabei in Frage gestellt wird zugunsten einer geschlechterdemokratischen Sichtweise, müssen deren Notwendigkeit und Vorzüge im Prozess deutlich werden.
Trotz des immer wieder zu betonenden ganzheitlichen Ansatzes bei Gender Mainstreaming und seiner Umsetzung kommt auch dieser Prozess ohne die klassischen Organisationsmittel nicht aus. Dies wurde bereits bei dem ‚Instrumentarium’ in Kapitel 2.3 deutlich und setzt sich im Bereich der Projektorganisation fort.
In Kapitel 2.1.3 wurde darauf hingewiesen, dass die Gender-Thematik nicht auf eine für zuständig erklärte Stelle - eine Person, eine Abteilung - delegiert werden soll, dass der Prozess vielmehr die aktive Beteiligung aller Verwaltungs- oder Betriebsmitarbeiter erfordert. Und doch wird die Bildung einer Steuerungs- und Lenkungsgruppe empfohlen, „in der relevante Akteurinnen und Akteure, Gender-Expertinnen und -Experten sowie Personen aus Entscheidungspositionen vertreten sind. Die Steuerungsgruppe legt die strategischen Ziele der Arbeit fest und ist gegenüber dem Auftraggeber verantwortlich.
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Im Gegensatz dazu hat eine zu etablierende ‚Projektgruppe Gender Mainstreaming’ die Verantwortlichkeit für die Projektdurchführung, also das operative Tagesgeschäft. Hier ist es notwendig, die für das Gender Mainstreaming-Projekt notwendige Fach- und Methoden-Kompetenz zusammen zu führen, eine Teamkultur zu etablieren, den konkreten Projektablauf zu planen und die Umsetzung zu steuern. In der Regel existiert eine Projektleiterin oder ein Projektleiter.“ (Ehrhardt, 2004, S. 19).
Obwohl die Autorin betont, „zuständig darf nicht ein Ressort (z. B. das klassische Frauenressort) sein, sondern alle gemeinsam sind verantwortlich und direkt oder indirekt beteiligt“ (Ehrhardt, 2004, S. 19), sind auch Steuerungs- und Projektgruppen noch kein Garant für einen ganzheitlichen Durchdringungsprozess. Es bedarf der Perpetuierung durch alle Führungsebenen.
Dazu eine andere Quelle: „Wobei der Begriff ‚Gender Mainstreaming Projekt’ keine sehr gelungene Wortschöpfung darstellt:
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In der Bezeichnung ‚Gender Mainstreaming-Projekt’ für den Gender-Prozess in seiner Gesamtheit sieht der Autor einen ‚etwas verunglückten Terminus technicus’.
Als ebenso unzulänglich, jedoch gegenwärtig nicht zu vermeiden, muss die genannte Arbeitsorganisation mit einer ‚Projektgruppe Gender Mainstreaming’ angesehen werden sowie auch die aus der Praxis bekannte Vorgehensweise mit Pilotabteilungen und einzelnen Modellprojekten.
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Der Implementierungsprozess des Gender Mainstreaming ist kein Routineprozess, der in standardisierten Phasen verläuft. Der Zugang zu den unterschiedlichen Problemstellungen und Ausgangssituationen kann jedoch schematisiert und modellhaft dargestellt werden.
Inzwischen durchgesetzt hat sich das ‚6-Phasen-Modell’ (alternativ: ‚6-Schritte-Modell’, ‚6-Schritte-Prüfung’) nach Krell/Mückenberger/Tondorf zur ‚Gestaltung politischer Prozesse nach dem Prinzip des Gender Mainstreaming’ aus dem Jahr 2000.
„Speziell zur Implementierung von Gender Mainstreaming enthält der Bericht der vom Europarat eingesetzten ExpertInnenkommission nützliche Hinweise, unter anderem die Leitsätze für eine Gender Analyse, die im Jahr 1995 vom neuseeländischen Ministerium für Frauenangelegenheiten entwickelt und veröffentlicht wurden ... Diesen Leitsätzen entspricht das nachfolgend vorgestellte 6-Schritte-Modell ...“ (Krell/Mückenberger/Tondorf, 2004, S. 85).
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1. Definition der gleichstellungspolitischen Ziele auf Basis einer Ist-Analyse
Voraussetzungen:
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2. Analyse der Probleme und der Betroffenen
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Voraussetzungen:
3. Entwicklung von Optionen
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Voraussetzungen:
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4. Analyse der Optionen im Hinblick auf die voraussichtlichen Auswirkungen auf die Gleichstellung und Entwicklung eines Lösungsvorschlags
Voraussetzungen:
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5. Umsetzung der getroffenen Entscheidung
6. Erfolgskontrolle und Evaluation
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Voraussetzungen:
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Erforderliche Ressourcen und Fachkenntnisse werden durchgängig vorausgesetzt (vgl. Krell/Mückenberger/Tondorf, 2004, S. 85). Dazu auch Tabellen 2 und 3 im Anhang.
Aus der internationalen Diskussion über relevante Prüf- und Bewertungskriterien haben sich insbesondere drei Kriteriengruppen herauskristallisiert, „die Aufschluss darüber geben, inwieweit die erarbeiteten Optionen einen positiven Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter liefern können: Rechtliche Gleichstellung, Gleichstellung hinsichtlich verschiedener Ressourcen und Gleichstellung hinsichtlich der Beteiligung an Entscheidungen“ (Krell/Mückenberger/Tondorf, 2004, S. 87).
Insbesondere bei der Prüfung der Verteilung von Ressourcen geht es um Einkommen, Vermögenswerte, Bildung und Ausbildung, Berufsausübung, berufliche Weiterbildung und Aufstieg, Zeitressourcen, Information, technische Ressourcen, Gesundheitsversorgung, Erholung, Mobilität und nicht zuletzt im ganzheitlichen Sinne um Persönlichkeitsentwicklung.
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Die genannten drei Kriteriengruppen entsprechen in ihrem Kern der schwedischen 3-R-Methode, die in Kapitel 2.3.2.1 bereits untersucht wurde.
Besondere Aufmerksamkeit im Rahmen dieses Phasenmodells verdient das Stadium der Erfolgskontrolle und der Evaluation. Es bildet einerseits den Abschluss von Implementierungsprozessen, Projektarbeiten und Kriterienkatalogen, ebenso ist es Teil des prozessbegleitenden Controllings.
Das Gleichstellungs-Controlling wird „als Verknüpfung von Planung, Vorgabe, Kontrolle und Informationsversorgung“ (Krell, 2004a, S. 22) gesehen:
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Dieses 4-Phasen-Schema, das sich auch als Regelkreis mit Rückkopplungsschleifen darstellen lässt, „bietet eine Orientierungshilfe sowohl für den Implementierungsprozess gleichstellungspolitischer Programme insgesamt als auch für Einzelmaßnahmen ...“ (Krell, 2004a, S. 22).
Das Ende und gleichzeitig den Neubeginn dieses Regelkreises bildet die Erfolgskontrolle. „Je nachdem, wie das Ergebnis der Erfolgskontrolle ausfällt,
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Diese Einschätzung des Gleichstellungsprozesses und -Controllings als Kreis - im Gegensatz zu einer linearen Entwicklung - spricht für Realitätssinn und Pragmatismus, da sich Unternehmen und Verwaltungen nicht steuern lassen „wie Maschinen. Sie sind vielmehr politische Gebilde, d. h. interessenpluralistische und Herrschaftsgebilde ... Bei der Realisierung gleichstellungspolitischer Programme und Maßnahmen spielen deshalb Widerstände, Verständigungs- und Aushandlungsprozesse eine wichtige Rolle ...“ (Krell, 2004a, S. 25).
Durchaus zielführend sind daher auch Zwischenbilanzen, gegebenenfalls Kurskorrektur oder Modifikation der eingesetzten Mittel und Instrumente sowie die Option eines jeweiligen schrittweisen Neubeginns.
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Evaluation, Ergebnis- und Erfolgskontrolle im Rahmen des Controllings erfassen und bewerten den laufenden Gender-Prozess zur kontinuierlichen Verbesserung (formative Evaluation) wie auch die Prozessergebnisse hinsichtlich ihrer Wirkung auf die ursprünglich gesetzten Ziele (summative Evaluation).
Die Vorgehensweise kann in Form von Selbstevaluation oder Fremdevaluation erfolgen. Bei Fremdevaluation werden externe Experten und Berater beigezogen. „Die Vorteile der externen Evaluierung sind die Fremdsicht, hohe Glaubwürdigkeit und Objektivität, die Nachteile bestehen im größeren Arbeits-, Zeit- und Kostenaufwand.
Selbstevaluation gewährleistet eine direkte, praxisrelevante Umsetzung der Evaluierungsergebnisse, die Beteiligten werden zur Selbstreflexion angeregt und dazu veranlasst, ihre Arbeit unter neuen Gesichtspunkten zu analysieren.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 170).
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Selbstevaluation setzt Gender-Kompetenz und Erfahrung im Personalmanagement voraus. Als Nachteile der Selbstevaluation können mangelnde Objektivität und vorrangige Eigeninteressen gesehen werden, die die Rechenschaft Dritten gegenüber erschweren und so das Ergebnis einschränken.
Größtmöglichen Erfolg verspricht der kombinierte Einsatz beider Evaluationsformen.
Auch in zeitlicher Hinsicht kann die Evaluation in verschiedenen Stadien des Prozesses eingesetzt werden:
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Ex-ante Evaluation „kann auch als Voraussetzungs- oder Planungsevaluation bezeichnet werden und dient dazu, Handlungsalternativen auszuwählen. Die begleitende Evaluation wird als Prozessevaluation während der Projektumsetzung durchgeführt und dient zur integrierten Optimierung der Zielerreichung. Die Ex-post Evaluation erfolgt nach Projektende. Mit dieser Ergebnisevaluation werden Ist- und Soll-Zustand verglichen.
Jede Art der Evaluation sollte genutzt werden, um über die eigene Arbeit zu reflektieren und um Lernprozesse in Gang zu setzen.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 171).
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Das in diesem Kapitel behandelte Thema Evaluation, Erfolgskontrolle und Nachhaltigkeit findet in der Literatur bisher selten und eher vage Erwähnung, und auch der öffentliche Diskurs erfolgt in stärkerem Maß prozess als ergebnisorientiert. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen über messbare Kriterien für Gleichstellungserfolg und gesellschaftspolitische Nachhaltigkeit. Es wird daher meist auf das allgemeine Instrumentarium der Erfolgsmessung aus Reformprojekten und -prozessen zurückgegriffen:
Auch hierbei muss stets die Lebenswirklichkeit und Sozialisation dessen Berücksichtigung finden, der die Erfolgsmessung vorbereitet, durchführt, auswertet und interpretiert, um ein Höchstmaß an Objektivität zu erreichen.
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„Nur wenn es gelingt, neue Methoden und Instrumente zur Bekämpfung von Ungleichheiten in die Systeme der arbeitsmarktpolitischen Regelförderung und der Praxis des betrieblichen Alltags überzuführen, kann von erfolgreichen Projekten gesprochen werden.
Um hierfür eine gute Ausgangsvoraussetzung zu schaffen, muss diese Thematik während allen anderen Projektphasen präsent sein und mitgedacht werden. Eine Möglichkeit dafür ist, bereits in der Projektkonzeption eine eigene ‚Nachhaltigkeits-Strategie’ zu formulieren.“ (Baur/Fleischer/Schober, 2005, S. 173f.).
Die anfangs als lästig empfundene und bestenfalls milde belächelte Frauenförderpolitik hat mittlerweile nicht nur ihren „Appendix-Status“ (Döge, 2004, S. 34) überwunden, sondern längst den Beweis angetreten, dass in keinem Lebensbereich auf die Fähigkeiten der Frauen verzichtet werden kann.
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„Chancengleichheitsforderungen sind früher von den frauenpolitischen Aktivistinnen erhoben worden, heute wird die Forderung nach der Gleichstellung von Frauen und Männern auf höchster politischer Ebene verankert.“ (Ehrhardt, 2004, S. 27).
Gleichstellungspolitik basiert auf internationalem und deutschem Recht. Allein aus diesem Grund ist sie Verpflichtung für Gesellschaft und Arbeitswelt.
Sie verwirklicht die grundlegenden Menschenrechte, dient der Demokratisierung und vergrößert die Gerechtigkeit innerhalb der Gesellschaft. Hierzu hat sich die vorliegende Arbeit bereits detailliert geäußert, insbesondere in den Kapiteln 1.5 und 2.1.
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Zunehmend setzt sich jedoch auch die Einsicht durch, dass der Einfluss weiblicher Eigenschaften und Fähigkeiten im öffentlichen Leben, in Politik und Arbeitswelt, eine Fülle von Fortschritten bewirkt, vom Wettbewerbsvorteil bis zur Sozialkompetenz.
In „modernen Unternehmen ist die Förderung von Frauen seit den 90er Jahren ein wichtiger Eckpfeiler in der betrieblichen Personalpolitik. Haben die Unternehmen ihr Herz für die Frauen entdeckt?
Eher der Not gehorchend und nicht als oberste Priorität: Zentraler ist die Erkenntnis, dass das Potential weiblicher Beschäftigter genutzt werden muss, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben. Trotz bestehender Arbeitslosigkeit existiert ein hoher Mangel an qualifiziertem Führungsnachwuchs. Unternehmen sind aufgrund des immer schärfer werdenden Wettbewerbs gezwungen, alle erreichbaren menschlichen Ressourcen und Potentiale zu erschließen und voll zu entfalten. Das gilt unabhängig von der ethischen und sozialen Herkunft, und es gilt insbesondere unabhängig vom Geschlecht. Der Wettbewerb der Zukunft - da sind sich alle Unternehmensberater einig - wird auf dem Personalmarkt entschieden, und das Humankapital wird zum strategischen Erfolgsfaktor für Unternehmen.“ (Ehrhardt, 2004, S. 27).
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Dieser Prognose stellt auch die Bundesregierung die einfache Feststellung zur Seite: „Die gleiche Einbeziehung von Frauen und Männern in die Politik führt zu einer ‚anderen, ausgewogeneren Politik und gesellschaftlichen Entwicklung’.
Arbeit, Kreativität und Entscheidungsmacht auch von Frauen sind für die ‚Wettbewerbsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft’ unverzichtbar.“ (Bundesregierung, 2003, S. 33).
Als weitere ‚Vorteile und Effekte’ des Gender Mainstreaming für Gesellschaft und Wirtschaft sieht die Regierung:
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Der Staat hat hier zweifellos eine Vorreiterrolle aufgrund der rechtlichen Verpflichtungen. Dass sich dieser Prozess nicht widerspruchslos auf die Wirtschaft übertragen lässt, zeigt das zunächst „2001 gescheiterte Gleichstellungsgesetz für die deutsche Wirtschaft“ (Ehrhardt, 2004, S. 29). Hierzu Kapitel 2.1.3.
„Das US-amerikanische Konzept Managing Diversity lehrt uns dagegen, dass Chancengleichheit nicht nur rechtlich - und moralisch - geboten ist, sondern auch ökonomische Vorteile verspricht.“ (Krell/Mückenberger/Tondorf, 2004, S. 82).
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Diversity bezieht sich auf die Vielfalt der Mitglieder einer Organisation im Hinblick auf Merkmale wie Geschlecht, Alter, Nationalität, Ausbildung, Werte, Lebenssituation etc.
Die Strategie des Managing Diversity findet sich auch in Deutschland, meist als Diversity Management. „Diversity im Sinne von Vielfalt steht für das Phänomen einer vielfältig zusammengesetzten Belegschaft. Diversity im Sinne von Diversity Management steht für eine ganz bestimmte Art und Weise des Umgangs damit.“ (Krell, 2004b, S. 43).
Dass Vielfalt in Unternehmen existiert, ist keine neue Erkenntnis. Sie fand jedoch bisher wenig Beachtung, da sie sich der dominanten Gruppe, dem homogenen Ideal zu beugen hatte, dem Normalarbeitnehmer mit männlicher Vollerwerbsbiografie. Diese Gruppe besetzt die Entscheidungspositionen und prägt die Organisationskultur mit ihren Werten, Normen und Regeln zu einer monolithischen Unternehmensstruktur. „Durch Managing Diversity soll dagegen die Kraft bzw. Energie aller Beschäftigten ‚entfesselt’ werden ... , indem Bedingungen geschaffen werden, die für alle passen.“ (Krell, 2004b, S. 44).
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Zur Umsetzung von Chancengleichheit hat sich in der Privatwirtschaft eher die Strategie des Diversity Management durchgesetzt, im öffentlichen Dienst die des Gender Mainstreaming. „Daraus sollte aber keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass die Konzepte nicht jeweils auch für den anderen Sektor geeignet sind - und dort auch umgesetzt werden. In den USA ist Managing Diversity auch in öffentlichen Organisationen verbreitet. In Deutschland nehmen z. B. an dem europäischen Modellprojekt ‚Berlin - Stadt der Vielfalt’ auch zwei Senatsverwaltungen teil ...“ (Krell, 2004b, S. 45).
Produktivitätssteigerung, Marktchancen und Kostensenkung werden durch das Gender- und Diversity-Prinzip wie folgt erzielt:
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„Dass es sich bei diesen Argumenten nicht um leere Versprechungen handelt, zeigen empirische Studien. Zunächst zu den USA: In einem von einer Bostoner Rating-Agentur jährlich durchgeführten Vergleich zwischen 400 nach sozialen Kriterien ausgewählten Aktiengesellschaften (Domini 400 Index) und dem ‚Standard & Poors 500’ Index schnitten die erstgenannten zumeist besser ab ... Auch Befragungen von Führungskräften bestätigten, dass Managing Diversity nicht nur die Lohnkosten gesenkt und die Beziehungen zu den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verbessert, sondern auch geholfen hat, die Bedürfnisse der KundInnen besser zu verstehen und entsprechende neue Produkte zu entwickeln sowie schließlich das Image zu verbessern ...“ (Krell, 2004b, S. 47).
Und eine weitere Quelle: „Innerhalb der Privatwirtschaft kann nicht mehr ignoriert werden, dass durch die Förderung von Gleichstellung und Chancengleichheit für Frauen Wettbewerbsvorteile genutzt werden können. In den USA werden Unternehmen Wettbewerbsvorteile unter dem Begriff von ‚Affirmative Action’ auf der Basis von Management Diversity gewährt. Zu den wichtigsten Instrumenten der Management-Diversity-Expertise gehören:
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Und in Europa: „Ein im Jahr 2003 für die europäische Kommission erarbeiteter Bericht kommt auf Basis einer Befragung von 200 Unternehmen in vier EU-Mitgliedstaaten zu folgendem Ergebnis ...: Durch die Umsetzung von Diversity-Strategien wurden
Diesen explizit marktwirtschaftlichen und wettbewerbsorientierten Fortschritten durch die Realisierung von Chancengleichheit und Berücksichtigung des Gender-Prinzips amerikanischer und europäischer Prägung entsprechen die Reformbemühungen deutscher Verwaltungen und Politik.
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Hier liegt der „Schwerpunkt auf Verwaltung und Politik und die in diesem Kontext auf die Vorteilhaftigkeit von Gender Mainstreaming verweisenden Argumente:
All das spricht dafür, Gender Mainstreaming zu einem fundamentalen Bestandteil einer professionellen, zeitgemäßen und erfolgreichen Politik, Verwaltungs- oder auch Unternehmensführung zu machen.“ (Krell/Mückenberger/Tondorf, 2004, S. 82f.).
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Laut Bundesregierung bedeutet Gleichstellung „in vielfacher Hinsicht für Frauen und Männer eine ‚höhere Lebensqualität’ und ‚mehr Entscheidungsfreiheit’ für die eigene Lebensgestaltung und zeigt für ‚nachfolgende Generationen neue Lebensperspektiven’ auf“ (Bundesregierung, 2003, S. 33). Und durch Gender Mainstreaming sind die „Beschäftigten ... zufriedener und stärker ‚motiviert’“ (Bundesregierung, 2003, S. 34).
Auch aus Gewerkschaftssicht gibt es „Gründe, von denen ... klar ist, dass aufgeklärte Unternehmerinnen und Unternehmer deren Wirksamkeit und Nachhaltigkeit nicht bestreiten. Als Stichworte seien nur Qualitätsverbesserung, passgenauere Produktentwicklung und Serviceorientierung oder höhere Arbeitszufriedenheit genannt.
Auch wenn die Betriebe, die es Frauen und Männern ermöglichen, Familie, sonstige Formen des privaten Lebens und Beruf wirklich gut und angemessen unter einen Hut zu bringen, noch eine verschwindende Minderheit in der deutschen Unternehmenslandschaft sind, gibt es dennoch eine Reihe guter Beispiele. Genannt seien hier nur die vom Bundesfamilienministerium als ‚Familienfreundlicher Betrieb’ ausgezeichneten Betriebe, oder die Betriebe, die sich am Audit ‚Familie und Beruf’ der Hertie-Stiftung beteiligen.
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Wie so oft sorgen auch in diesem Arbeitsfeld Betriebs- und Personalräte für neuen Schwung in Betrieben und Verwaltungen.“ (Klett, 2004, S. 194f.).
„Wohin man blickt: Männer bestimmen die Sitzungs- und die Beteiligungs-, die Beziehungs- und Organisationskultur - oder besser gesagt ‚Un-Kultur’. Erfahrungen vor allem aus den skandinavischen Ländern zeigen, dass es auch anders geht. Dass in den Führungsgremien beispielsweise ein anderes Entscheidungsklima herrscht. Dass sich Grundlegendes ändert in den Umgangsformen und Verhaltensweisen, bei Sitzungsterminierungen und -abläufen ebenso wie bei den zu behandelnden Themen. Und zwar immer dann, wenn Geschlechterdemokratie Platz greift. Also Frauen quantitativ über den ‚Quotenanteil’ hinaus vertreten sind. Und Gender Mainstreaming als Selbstverständnis in allen Abläufen vorkommt.
Der Gewinn besteht dann nicht nur in einem anderen Klima. Vielmehr auch in Ergebnissen und Entscheidungen, die näher dran sind an den Arbeits- und Lebenssituationen der Männer und Frauen. Es wird immer wichtiger, genau diese Erfahrungen transparent darzustellen, in die öffentliche Diskussion zu bringen, um Gender Mainstreaming auf stabilere Füße zu stellen.
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Durch Gender Mainstreaming können sich auch Wert- und Bedeutungsmaßstäbe verändern. Work-Life-Balance zum Beispiel ist ohne Gender Mainstreaming nicht möglich! Andere Maßstäbe für das, was wichtig ist, könnten Platz greifen. Ein ausgeglichenes und emotional befriedigendes Verhältnis von Leben und Arbeit wird es in der Gesellschaft niemals isoliert für nur ein Geschlecht geben können. Von daher verlangt die neue Balance zwischen Erwerbsarbeit und dem Leben davor und danach die geschlechterdemokratischen Veränderungen in der Gesellschaft.
Gender Mainstreaming steht erst am Anfang. Trotz des Vorlaufs von einigen Jahren auf internationaler und europäischer Ebene. Mehr Zeit mit unverbindlichem Geplänkel darf nicht vertan werden. Die Tritte auf dem neuen Terrain müssen fester werden. Das, was Organisationen, Unternehmen und Politik eher zaghaft an Umsetzung begonnen haben, muss auf eine Ebene der verbindlichen Konsequenz.“ (Lang, 2004, S. 144f.).
Management-Termini wie ‚Work-Life-Balance’, ‚Redesigning Work’, ‚Design of Work’ oder einfach ‘New Work’ bestimmen die Debatten über Arbeitskultur und motivation.
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„Was als Ausgleich für die Benachteiligung der Frauen (vor allem mit Kindern) im Erwerbsleben begonnen hat, hat sich längst zu einer Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf (zunächst für Frauen) und schließlich zu einem breiten Debattenstrom über die Work-Life-Balance für Frauen ‚und’ Männer und überhaupt ‚alle’ Mitarbeiter in einem Betrieb ausgeweitet.“ (Dettling, 2004, S. 106).
„Eine neue Balance zwischen Arbeit und Leben erfordert eine Restrukturierung der Arbeitswelt, eine Reformdebatte, die gegenwärtig auch unter dem Stichwort ‚Redesigning Work’ geführt wird. Dabei geht es darum, Arbeitsprozesse neu zu gestalten mit dem Ziel, mehr Rücksicht zu nehmen auf das Familien- und Privatleben von Beschäftigten und einer Dauerüberlastung vorzubeugen. ... Wenn überflüssige Sitzungen abgeschafft werden, stille Zeiten für ungestörtes Arbeiten eingerichtet werden, ‚freiwillige’ Überstunden und Wochenendarbeit nicht als Ausweis eines besonderen Engagements, sondern als defizitäre Organisation des Betriebs angesehen und abgestellt werden, wenn MitarbeiterInnen dazu ermutigt werden, wichtige persönliche Termine (zum Beispiel Geburtstage oder Schulbeginn der Kinder) in Terminkalender einzutragen und darauf Rücksicht genommen wird, wenn Manager danach beurteilt werden, ob sie aktiv zu einem solchen Klima und zu einer solchen Arbeitsorganisation beitragen, dann haben nicht nur Mütter und Väter etwas von diesem vernünftigen ‚Design of Work’.
Es lässt sich zeigen, dass auch hier die ‚Gewinne’ auf mehreren Seiten liegen: auf der Ebene der MitarbeiterInnen wie beim Unternehmen. Das Unternehmen gewinnt durch die höhere Motivation und Identifikation und durch eine geringere Abwesenheit der MitarbeiterInnen. Diese gewinnen, weil ihre Eigeninteressen und ihre private Lebenswelt stärker berücksichtigt werden. Frauen und Männer gewinnen, wenn private Verantwortung (für Kinder oder Eltern) kein Karrierehemmnis mehr ist und dadurch auch der Aufstieg in Führungspositionen leichter wird. ...
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In den USA und in England wurde mit solchen Strategien der Frauenanteil im Top-Management und auf der zweiten Ebene deutlich erhöht im Vergleich etwa zu Deutschland. Was unter dem Stichwort New Work debattiert und vorgeschlagen wird, ist im Übrigen anschlussfähig an die in den 1970er Jahren geführten Debatten über die Humanisierung der Arbeitswelt.“ (Dettling, 2004, S. 107f.).
Je aktueller die Quelle, desto häufiger liegen bereits Untersuchungsergebnisse vor, die darauf verweisen, dass Chancengleichheitspolitik und Gender Mainstreaming ein positives Betriebsklima unterstützen: „Eine Studie über Kosten und Nutzen von Chancengleichheitspolitik in Unternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass alle befragten Unternehmen die investierten Kosten bei weitem durch den Nutzen eines langfristigen Personaleinsatzes und -erhaltes aufgewogen sehen. Darüber hinaus wurden Effekte wie eine verstärkte Identifikation mit dem Unternehmen und eine Erhöhung der Arbeitszufriedenheit genannt. Neben diesen innerbetrieblichen Auswirkungen wurde in der Studie auch von externen Effekten berichtet. ...
Unternehmen, die auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hinblick auf Arbeitszeit und Karriereunterstützung eingingen, konnten eine ‚Senkung der Krankheits- und Fluktuationsrate’ feststellen.“ (Ehrhardt, 2004, S. 30).
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Die bisherige Darlegung und Erörterung des Gender Mainstreaming-Prozesses in der vorliegenden Arbeit konzentrierte sich auf Ziele und Konzepte, Rechtslage, Durchsetzungsschritte und instrumentarium sowie bereits erkennbare Vorteile und Chancen in Wirtschaft und Verwaltung für Betrieb, Kunden und Mitarbeiter.
Zur ganzheitlichen Betrachtung der Thematik darf das wichtige Kapitel der Kritik nicht fehlen.
Die Untersuchung erfolgt in Anlehnung an die im Management probate SWOT-Analyse, Akronym für Strength/Weakness, Opportunities/Threats, in der deutschen Unternehmensführung geläufig als Stärken/Schwächen, Chancen/Risiken (vgl. Pepels, 2000, S. 52; Ziegenbein, 2004, S. 118).
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In Kapitel 2.5 ging es um Vorteile, Stärken und Chancen, hier nun um Kritik, Schwächen und Risiken.
„Man könnte also sagen, dass sich Gleichstellungsprogramme im Prinzip in derselben Situation wie viele andere Innovationsvorhaben befinden. Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass ihre Wirksamkeit nicht zu verbessern wäre. Die vorliegenden Erfahrungen weisen auch auf Schwachstellen der bisher erfolgten Ansätze hin:
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Viele dieser Schwächen sind mittlerweile erkannt und werden in neuen Ansätzen von Gleichstellungspolitik zu beheben versucht ... Darüber hinaus ist es notwendig, die Umsetzungsstrategien von Gleichstellungsprogrammen nach dem Wissensstand der Organisationsforschung zu optimieren.“ (Jüngling, 2004, S. 108).
Ursache dieser betrieblichen wie politischen Hemmnisse sind häufig Theoriedefizite und damit verbunden mangelnde kritische Distanz zur eigenen Praxis.
Zur Überwindung der wichtigsten Kritikansätze seien diese hier zunächst differenzierter herausgearbeitet.
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Wie in den Kapiteln 2.2.2 und 2.2.3 erläutert, besteht Gender Mainstreaming aus einer Doppel- bzw. mehrdimensionalen Strategie. „Gender Mainstreaming ersetzt nicht die parteiliche Frauenförderung. Dann aber wird es schon streitig. Die einen sagen, Gender Mainstreaming sei ein Instrument unter mehreren, um das Ziel Chancengleichheit zu erreichen. Andere gehen von einem grundlegenden Paradigmenwechsel aus. Wieder andere sehen eine Intensivierung des bisherigen Ansatzes der Frauenpolitik zum Umbau von Strukturen als Methode für beide Geschlechter.“ (Dittrich, 2004, S. 209).
Trotz der konsensualen Vorgabe, dass Gender Mainstreaming geschlechtergerechtes Handeln, Gleichberechtigung und Chancengleichheit verpflichtend festschreibt, bleibt die Frage der Konsequenzen bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung weitgehend offen. „Zudem ist die Einbeziehung der Gleichstellungsstellen ‚weich’ beschrieben: die Gleichstellungsstellen beraten, unterstützen und wirken am Steuerungsprozess mit. Diffus ist, welche Kompetenz damit verbunden sein soll - ist die Stellungnahme der Gleichstellungsstelle mit Veto ausgestattet oder schmückendes Accessoire der Einwandvorwegnahme?
Skepsis scheint angebracht, wenn die Anwendung von Gender Mainstreaming gerade die Ressourcen minimiert, die bislang das parteiliche Eintreten für Frauen ermöglicht haben und gewährleisten (Geld für Frauenprojekte, Strukturen der Beratung und Unterstützung für Frauenbeauftragte). Zwar soll Gender Mainstreaming nicht Frauenförderung ersetzen, sondern auch Männer in die Verantwortung für Geschlechterpolitik mit aufnehmen. Das ist begrüßenswert. Wer aber übernimmt die Kärrnerarbeit hierfür? Wo kommen die Ressourcen dafür her? Werden sie woanders weggenommen?“ (Dittrich, 2004, S. 212f.).
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Während die ‘Förderung der Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern’ grundgesetzlich festgeschrieben ist, gilt dies für die Strategie des Gender Mainstreaming terminologisch explizit bisher nicht.
„Während Frauenpolitik im Streiten um frauenfördernde Maßnahmen sich an den Staat als Gesetzgeber richtet (z. B. durch Quote, Gleichstellungsgesetze), verändert Gender Mainstreaming die Prozessorganisation innerhalb von Institutionen. Während im Positionieren und Streiten um Regelungsinhalte zumindest eine hohe öffentliche Argumentationstransparenz entstehen konnte, sind Gender Mainstreaming-Prozesse ... gerade nicht transparent. Controllingberichte ... sind typischerweise vertraulich zu behandelnde Betriebsunterlagen, die nicht der Veröffentlichung dienen. Die mit Gender Mainstreaming häufig verbundene Hoffnung, eine allgemeine Transparenz für die Bevölkerung über die geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Entscheidungen aus den Institutionen und Verwaltungen herstellen zu können, werden sich daher kaum erfüllen.“ (Dittrich, 2004, S. 213).
Frauenförderpolitik ist gegen zahlreiche Widerstände mittlerweile fester Bestandteil der Arbeitsorganisation und Personalpolitik in Betrieben und Verwaltungen. „Die Ausformung der Frauenförderung zur Behebung der Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt hatte bislang einen gewichtigen Vorteil. Sie bescherte den darauf ausgelegten Projekten - und nur ihnen - eine Finanzierung, die für Frauen eigens reserviert war. Dadurch bedingt konnte die projektmäßig installierte Frauenförderung einen hohen Grad an Autonomie und Selbstbewusstsein entwickeln. Allerdings waren die reservierten Mittel in dieser Förderform meist mit besonders spezifizierten Fördervoraussetzungen, z. B. hinsichtlich der Ausformung der Zielgruppe bedacht und sparsam ausgestattet. Durch die Ausformung ‚Frausein = Anderssein’ konnte gegenüber Geldgebern durch vehemente Lobbyarbeit schnell klargemacht werden, dass sich hier etwas abspielt, was wichtig, aber der herkömmlichen (‚männlichen’) Behördenlogik verstellt ist. Damit wurde eine Demarkationslinie um Frauenprojekte gezogen, die zwar belächelt, aber achselzuckend gewährt wurde.
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Dieser Schutzzaun wird durch Gender Mainstreaming eingerissen. Hinsichtlich der seither bearbeiteten Inhalte besteht die Gefahr, dass nun nicht diskutiert wird, ob diese ziel- und sachgerecht umgesetzt wurden. Vielmehr gibt Gender Mainstreaming den Raum zu postulieren: ‚Dafür sind wir zuständig, Frauenförderung hat sich überlebt.’ D. h., mit Gender Mainstreaming werden alle in die Lage versetzt, Gender-Kompetenz zu entwickeln. Die Qualitätsstandards aber, was ‚gute’ Gender-Kompetenz ist, existieren nicht. Gender Mainstreaming ist keine Ethik, die bestimmte Inhalte, Aussagen oder Rollen besonders wertvoll macht. Von daher können die weiteren Säulen von Geschlechterpolitik wieder unter besonderen Begründungsdruck gestellt werden. Es besteht die Gefahr des Ausspielens der unterschiedlichen Formen von Geschlechterpolitik, wenn die Kompetenzen und unterschiedlichen Sichtweisen der Fraueninitiativen und -projekte vor Ort nicht als Gewinn erlebt, sondern als Form fehlgeleiteter Frauenpolitik verstanden werden.“ (Dittrich, 2004, S. 214f.).
In zahlreichen weiteren Quellen ist diese Skepsis anzutreffen. Ein Aufsatz titelt: „Wenn Frauenpolitik salonfähig wird, verblasst die lila Farbe. Erfahrungen mit Gender Mainstreaming ...“ (Callenius, 2002, S. 63), der summarische Ausdruck durchaus begründeter Befürchtungen.
„Insgesamt bleibt festzuhalten, dass mit dem Verständnis und mit der Umsetzung des Gender-Konzeptes eine Gratwanderung verbunden ist. Einerseits soll die Komplexität sozialen Lebens anerkannt und ... berücksichtigt werden und andererseits darf angesichts von so viel ‚Diversity’ nicht das klare politische Ziel aus den Augen verloren werden. ...
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In der Diskussion um Gender Mainstreaming ist eine der Hauptfragen, an welcher Stelle der Organisationen angesetzt werden soll. Geht es lediglich darum, dass Frauen ein größeres/gleich großes Stück vom Kuchen erhalten? Oder wollen sie grundsätzlich einen ganz anderen Kuchen?“ (Callenius, 2002, S. 72f.).
Ihr Blick in die Zukunft fordert Wachsamkeit: „Während viele Frauen in den Organisationen die Akzeptanz von Gender Mainstreaming schon als Erfolg feiern, weil die Strategie Entscheidungsträger in die Verantwortung nimmt und Frauen-Forderungen mehr institutionellen Nachdruck verleiht, sind andere Frauen skeptisch. Der entscheidende und zumeist umstrittene Aspekt des Gender-Konzeptes ist die Annahme, die Veränderung des Geschlechterverhältnisses sei als integrierte gemeinsame Aufgabe von Frauen und Männern möglich. Die Tatsache, dass Männer über die Macht verfügen und sie vermutlich nicht konfliktfrei abgeben, so die Kritikerinnen, würde in der Gender-Diskussion meist ignoriert. Dafür würde in Kauf genommen, dass das Thema entpolitisiert würde. Sie befürchten, dass sich trotz proklamatorischer Erfolge wenig für Frauen verbessert, während sie jedoch die autonomen Räume, die speziellen Fördermaßnahmen für Frauen und letztendlich das anwaltschaftliche Element für Frauenbelange verlieren.“ (Callenius, 2002, S. 79).
Eine weitere Quelle: „Viele sehen in GM ein Erfolg versprechendes Reformkonzept, in dem strategische Schwachpunkte der traditionellen Frauenpolitik beseitigt werden. Dabei werden die beiden Ansätze oft als komplementär gegenübergestellt. Für andere ist GM hingegen ein Reformkonzept, das sich in der immanenten Logik von (patriarchalen) Institutionen bewegt und diese nicht transformieren kann. Sie geben dem geschlechterpolitischen Engagement in Institutionen von vornherein kaum eine Chance, sondern halten die Konzentrierung auf den ‚Mainstream’ für vergebene Liebesmüh.
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Wer sich stark mit Grundannahmen der zweiten Frauenbewegung wie dem Konzept des Patriarchats identifiziert, tut sich schwer mit einer Strategie, die davon ausgeht, dass Frauen mit Männern im gleichen Boot sitzen. Die Zuweisung von Verantwortung für Gleichstellung an (mächtige) Männer wird aus dieser Haltung als Abkehr von der feministischen Grunderkenntnis kritisiert, dass (persönliche) Erfahrung unabdingbar für politische Parteilichkeit ist.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 199).
Auch aus männlicher Sicht könnte es sich bei Gender Mainstreaming um eine ‚neoliberale Attacke gegen Frauenförderung’ handeln: „Last but not least - Gender Mainstreaming reflektiert auch auf einen nachhaltigen ‚wirtschaftlichen’ und ‚demografischen’ Wandel. Das ist heute der vielleicht wichtigste Punkt, um Gender Mainstreaming zum Erfolg zu bringen. Aber auch Ansatz zu massiver Kritik an diesem Konzept. Diese Kritik bringt zum Ausdruck, dass angesichts der demografischen Entwicklung Gender Mainstreaming nur ein geschickter Weg ist, Frauen für den kapitalistischen Verwertungsprozess in Anspruch zu nehmen, ohne die Strukturen kapitalistischer Wirtschaft und Gesellschaft im Geringsten zu verändern. In dieser Perspektive ist Gender Mainstreaming eine neoliberale Attacke gegen Frauenförderung und Gleichstellungspolitik.“ (Lang, 2004, S. 139).
Die Sorge, dass die bisherige Frauenförderung mit ihren politischen Alleinstellungsmerkmalen, mit Rechtsanspruch, Wertschätzung und Mittelbewilligung durch Gender Mainstreaming Einzug hält und damit ihr Profil verliert in allgemeinen Reformbestrebungen, allgemeinen Managementmethoden und im politischen Alltag, ist nicht unbegründet. „Wichtige Faktoren, die eine Rolle für die Haltung zu GM und die Einschätzung der zu erwartenden Folgen spielen, sind die Abhängigkeit von Geldern aus Institutionen, die nun GM umsetzen und der Zugang zu EntscheidungsträgerInnen: VertreterInnen von Projekten, die von staatlichen Geldern abhängig und damit von den gegenwärtigen und weiterhin zu erwartenden Kürzungen bedroht bzw. betroffen sind, beobachten selbstverständlich alle Veränderungen in den Vorgaben zur Zuwendungsverteilung sehr skeptisch. Das Konzept GM sieht die Vorgabe von Gleichstellungskriterien für die ‚Mainstream-Töpfe’ vor. Doch der neoliberale Wind und kursierende Beispiele erfolgreichen Missbrauchs von GM, bei dem Mainstream-Kriterien für Frauentöpfe festgesetzt wurden, lassen viele ZuwendungsempfängerInnen mit GM Schlimmes assoziieren.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 200).
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Das enthusiastisch erwachte und auch anhaltende öffentliche Interesse am Gender-Diskurs lässt allerdings hoffen, dass archaisch bedingte Fehlentwicklungen als solche erkannt und durch prozessuale Kurskorrekturen marginalisiert werden können.
Ein zweiter Aspekt der Kritik konzentriert sich auf die potenzielle Instrumentalisierung von Gender Mainstreaming zu einer neuen Form von Biologismus.
„Eine dekonstruktivistische Position kann allerdings auch die Praxistauglichkeit von GM als Methode zur Überwindung von Geschlechterverhältnissen in Frage stellen: Wer die Wirkungsmacht von Geschlecht in diskursiven und performativen Methoden erkannt hat, wird sich von einem Konzept, das immerzu von ‚Männern und Frauen’ spricht, nicht überzeugen lassen. Vielmehr erwarten KritikerInnen eine Stereotypisierung und Perpetuierung anachronistischer Geschlechterordnungen. ... So ist es sehr problematisch, dass eine Reihe von Instrumenten zur Gender-Analyse, die im Zuge von GM entstanden sind (und auch eingesetzt werden), lediglich nach Männern und Frauen fragt. Verfügen AnwenderInnen der Instrumente über wenig Genderkompetenz, kann dies dazu führen, dass zwei vermeintlich homogene Gruppen konstruiert werden.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 199f.).
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Aus derselben Quelle etwas später: „Auch gendertheoretisch inspirierte Einwände wie die Gefahr der ‚Dramatisierung des Geschlechterunterschieds’ durch GM erfordern eine fortwährende Reflexion der eigenen Annahmen und Grundkonzepte vor allem durch diejenigen, die GM in die Institutionen hineintragen möchten.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 205).
Und „Frauenpolitik setzt Gewissheiten über das Frausein und - komplementär - über das Mannsein voraus. Gender Mainstreaming ist nicht gegen die Gefahr gefeit, diesen essentialistischen Ansatz zu perpetuieren und die Geschlechternormierungen und Geschlechterkonstruktionen zu reproduzieren.“ (Schenk, 2004, S. 216).
Dieser vereinfachende Dualismus wird von vielen Autorinnen als Problem gesehen. „Aber selbst innerhalb der konzeptionellen Auseinandersetzung um Gender und Entwicklung erfolgt eine starke Vereinfachung. In der entwicklungspolitischen Diskussion werden selten die vielfältigen Identitäten von Frauen und Männern differenziert, die eigentlich in der Gender-Theorie aufgehoben sind. Es wird ein Dualismus Mann-Frau konstruiert, der keine Abweichungen zulässt - und das weltweit. Das ist insofern problematisch, als es bei einem sozial konstruierten Geschlecht potenziell für jede/n eine Bandbreite an Rollen und nicht nur ‚zwei Genders’ geben kann ... Leicht wird von ‚den’ Interessen der Frauen gesprochen und selten werden die divergierenden Interessen von Männern beschrieben.“ (Callenius, 2002, S. 72).
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Die gleiche Ansicht aus männlicher Perspektive: „Andererseits hat das Konzept Gender Mainstreaming auch Grenzen: Der Analysebegriff Gender basiert auf der Vorstellung von kultureller Hegemonie. Das beinhaltet, dass die Vorherrschaft einer Gruppe durch die beherrschten Gruppen mitgetragen wird. Diese kulturelle Hegemonie, diese Unterstützung der bestehenden Geschlechterhierarchie durch fast alle wird aber im Handlungskonzept Gender Mainstreaming nicht grundlegend thematisiert und kritisiert. Gender Mainstreaming setzt nur positiv auf die Überzeugungskraft logischer Argumente. Man geht davon aus, dass alle interessiert sind, gerecht zu allen MitarbeiterInnen zu sein und nebenbei noch ein besseres Arbeitsergebnis zu erreichen. Das ist pragmatisch sicherlich geschickt und spricht auch Männer an. Doch nur durch dieses Interesse wird sich die brüderliche und schwesterliche Vielfalt der Kulturen noch nicht herstellen.
Gender Mainstreaming nimmt zudem seinen grundlegenden Begriff Gender nicht ernst genug, wenn nur zwei Geschlechter gegeneinander gesetzt werden. Diese Polarisierung von Geschlechterverhältnissen wollen Queer-Aktivisten als konstruiert entlarven, z. B. indem sie sich der Zuordnung zu einem Geschlecht entziehen und ihre Umwelt so in ihren Wahrnehmungsgewohnheiten irritieren.“ (Höyng, 2002, S. 217).
In diesem Zusammenhang der neuen Geschlechterpolarisierung läuft auch der gelegentlich hoch gelobte weibliche Führungsstil Gefahr, in historisierender Weise instrumentalisiert zu werden: „Ein Beispiel für eine solche differenztheoretisch gestützte Argumentation ist die Begründung der Forderung nach der Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen mit Verweis auf einen typisch weiblichen Führungsstil, der für modernes Management besonders gut geeignet sei ...
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Einwände gegen derartige ‚Differenz’-Positionen heben in der Regel zwei Kritikpunkte hervor: Zum einen würden diese die häusliche Arbeitsteilung und geschlechtstypische Kompetenzverteilungen nicht antasten, sondern im Gegenteil zementieren; zum anderen würden sie mit der Betonung weiblich-mütterlicher Eigenschaften Gefahr laufen, Weiblichkeit zu ‚ikonisieren’. Damit würden klischeehafte Vorstellungen der Kompetenzen von Frauen tradiert, die historisch immer dazu hergehalten haben, Frauen von gesellschaftlichen Machtpositionen fernzuhalten und die ihre gleichberechtigte Integration in die Berufswelt behinderten.“ (Knapp, 2004, S. 153f.).
Auch die klassische Frauenförderung war bereits Querschnittsaufgabe. Die Verwaltungsreformen versahen diesen allseits verbindlichen Ansatz mit der Bekräftigung ‚Gemeinschaftsaufgabe’. Die Praxis zeigte hier jedoch von Beginn an ein ambivalentes Bild. Durch die Gründung von Frauenbüros und Gleichstellungsstellen erhielt die Aufgabe zwar geregelte Zuständigkeit, punktuelle Professionalisierung und vor allem die öffentlichkeitswirksame Definition des politischen Willens, gleichfalls barg diese Organisationsform die Gefahr, den Arbeitsauftrag im Status eines Projektes unter vielen verharren zu lassen und die Aufgabe für erledigt zu erklären. „Dies steht aber deutlich im Gegensatz dazu, dass Frauenpolitik als ein Querschnittsthema gilt, das aufgrund seiner Bedeutung eigentlich zu einem übergreifenden Thema und Bereich für die gesamte Verwaltung werden sollte, z. B. in Form einer Gemeinschaftsaufgabe oder einer Leitlinie.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 132). So blieb Gleichstellungspolitik auch im Prozess der Verwaltungsreformen vielerorts Fremdkörper, Einzelprojekt und von nachrangigem Interesse.
Es ist nicht auszuschließen, dass auch die Gemeinschaftsaufgabe Gender Mainstreaming zunächst mit diesem Mechanismus angegangen wird. Dazu auch Kapitel 2.4.1. „Ebenfalls auf kommunaler Ebene zeigt sich, dass die Wahrnehmung der Aufgabe ‚Gender Mainstreaming’ durch alle Verantwortlichen in der Kommune noch nicht erfolgreich umgesetzt wird.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 214).
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In den Berichten von Gleichstellungsbeauftragten zum Fortschritt von Gender Mainstreaming in Kommunen und Hochschulen wird die Fokussierung auf die frauenpolitischen Akteurinnen bedauert. Diese werden wieder in die Rolle der Bittstellerinnen gedrängt, die das wichtige Verwaltungshandeln durch Drängen auf Umsetzung ihrer randständigen Interessen behindern. „Auch die Entwicklungen in der als kommunale Vorreiterin bekannten Stadt Stuttgart stimmen eher nachdenklich: Im Zuge der Implementierung des Gender Mainstreaming wurde das Frauenbüro umbenannt in ‚Stabsstelle für die individuelle Chancengleichheit von Frauen und Männern’ - ein Name, der sicherlich nicht unbedingt zur Sichtbarmachung struktureller Diskriminierungen beiträgt. Die Umsetzung des Gender Mainstreaming erfolgt dort im Rahmen der Gesamtsteuerung über die Stabsstelle Verwaltungsreform. 2001, nach einem Jahr Laufzeit, hatten 60 % aller Ämter das Gender Mainstreaming als Querschnittsziel in ihre Jahresprogramme aufgenommen, 20 % aller Ämter hatten konkrete Maßnahmen eingeleitet. Inhaltliche Ergebnisse liegen bisher nicht vor.“ (Rudolph/Schirmer, 2004, S. 215).
Gerade die systemkonforme Vorgehensweise und mangelnde Information sehen viele Autorinnen als Gefahr: „Für die Integration der Gleichstellungsorientierung bedarf es des massiven Wissenstransfers in die Organisationen. ... Der Transfer ist ein schwieriger Prozess, der angesichts der Wirkungsweisen von Geschlecht eine große Herausforderung für alle Beteiligten darstellt. Somit ist auch evident, dass GM Gefahr läuft, wie bereits andere geschlechterpolitische Strategien, ghettoisiert zu werden, z. B. in Pilotprojekten und gesondert geschaffenen Strukturen. Ein zentraler Knackpunkt der Umsetzung wird deshalb unter anderem der Übergang von Pilotprojekten in die Breitenanwendung und die sinnvolle Anwendung neuer Verfahren und erstellter Instrumente in den Arbeitsroutinen sein.“ (Frey/Kuhl, 2004, S. 205).
Männlicher Selbsteinschätzung ist zu entnehmen: „Männer wurden bislang recht pauschal als die Verhinderer der beruflichen Gleichstellung der Frauen angeführt. Ihre Haltungen und Verhaltensweisen wurden dabei selten genauer analysiert. Jetzt aber, im Zuge der Begeisterung für Gender Mainstreaming, soll Gleichstellung von der Führungsebene top-down in alle Ressorts gebracht werden - überwiegend also von denselben männlichen Führungskräften, die bislang nur als Verhinderer galten. An den Führungsmännern hat sich nicht viel gewandelt. Warum sollten diese Männer jetzt an Gleichstellung interessiert sein?“ (Höyng, 2002, S. 199).
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Gender Mainstreaming als Durchsetzungsauftrag kann nicht verweigert werden. Bei mangelndem Umsetzungswillen kann jedoch die Strategie verfolgt werden, Geschlechterdifferenzen zu marginalisieren, Verantwortlichkeit auf Projektebene zu delegieren und bei der Ressourcenbewilligung auf den Status quo zu verweisen.
Dem entsprechend ergeben sich aus der Zusammenfassung von Praxisberichten „folgende Konfliktpunkte bei der Umsetzung des Gender Mainstreaming:
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Gender Mainstreaming ist ein Prozess der Kulturveränderung, der eine win-win-Situation anstrebt, jedoch gleichzeitig das Teilen von Ressourcen impliziert. Es ist daher notwendig, spätestens in diesem Kontext der Kritikpunkte die Haltung der Ressourcenbesitzer aus ihrer eigenen Sicht darzulegen. „Individuelle deutlich frauenfeindliche Aktionen von Männern treten zu selten auf, um klare Geschlechterhierarchie in Organisationen zu erklären. Die Ausgrenzung von Frauen ist deshalb vor allem im informellen Bereich zu suchen. Geschlechterhierarchie kann als eine kulturelle Hegemonie des männlichen Geschlechts verstanden werden, die im Berufsleben von Männern, aber auch von Frauen fortwährend reproduziert wird. Gemeinsam wird eine Arbeitskultur geschaffen, die auf immer neue Weise eine Vorherrschaft von Männern sichert. Diese sind die Hauptgewinner einer solchen Kultur. Den Preis zahlen vor allem Frauen, in unterschiedlichem Maße aber auch Männer.“ (Höyng, 2002, S. 200).
„Bei der Untersuchung von individuellen Reaktionen auf Gleichstellung zeigt sich, das lässt sich hier verallgemeinern, bei allen Männern eine ungeheure Diskrepanz zwischen egalitärem Bewusstsein und konkretem Verhalten.
In ihrer Haltung zu Gleichstellung zeigen sie große Aufgeschlossenheit. Durchgängig bejahen Männer das Prinzip, dass Frauen und Männer gleiche Rechte, Chancen und Stellungen haben sollen und erkennen auch die Notwendigkeit von Gleichstellungsmaßnahmen an. Trotz dieser durchgängig egalitären Einstellung verharren Männer aber in Untätigkeit. Viele beurteilen Gleichstellungsmaßnahmen skeptisch, manche lehnen jeden Schritt und jede Maßnahme zur Schaffung von Gleichstellung ab.
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Geschlechterdifferenzen und Diskriminierungen können auch kaum in Abstraktion vom eigenen Geschlecht wahrgenommen werden, eigene Interessen werden als allgemeine wahrgenommen. Den Widerspruch zwischen ihrer positiven Einstellung zur Gleichstellung und ihrer Untätigkeit bei der Herstellung von Gleichheit können Männer dadurch aushalten, dass sie geschlechtsspezifische Diskriminierung und Differenz nur selektiv wahrnehmen. Die Betrachtung durch die Brille der eigenen Interessen heißt für Männer, die Diskriminierungen von Frauen zwar grundsätzlich, gesamtgesellschaftlich anzuerkennen. In ihrem eigenen Arbeitsumfeld aber überschätzen sie den bereits erreichten Stand der Gleichstellung erheblich.“ (Höyng, 2002, S. 201).
Der Autor identifiziert die Wahrnehmung von Geschlechterdifferenzen durch Männer in einer ‚männerbündischen Arbeitskultur’ als ‚interessengeleitete Nichtwahrnehmung’, und stellt die These auf, „dass die aktuellen Gleichstellungsmaßnahmen die Arbeitskultur kaum, die soziale Praxis von Männern gar nicht thematisieren - und damit zu kurz greifen“ (Höyng, 2002, S. 210).
Der Autor schätzt das Konzept Gender Mainstreaming als umfassenderen Ansatz ein: „Die in der Analyse angeführten Hindernisse für Gleichstellung, die Wahrnehmung von Männern, die männerbündische Arbeitskultur, aber auch die Organisationsstruktur werden durch das Konzept des Gender Mainstreaming eher thematisiert als durch andere Gleichstellungskonzepte.“ (Höyng, 2002, S. 217).
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Allerdings ist Grender Mainstreaming per se noch „kein Konzept zur Veränderung und Kultur unserer Gesellschaft. Es kann darauf nur zusammen mit anderen geschlechterbewussten Ansätzen einwirken: Grundlegende Kritik und Aktionen, Geschlechterforschung und eine breite gesellschaftliche Debatte von Zielen und Utopien sind ebenso notwendig. Denn Gender Mainstreaming soll die Frauenbewegung nicht ablösen. Ein Gleichstellungskonzept für Organisationen kann gesellschaftspolitisches Engagement in keiner Weise ersetzen. Es steht nicht für eine neue soziale Bewegung und kann eine solche auch nicht auslösen“ (Höyng, 2002, S. 217f.).
Auch im Ausblick bleibt der Autor zurückhaltend: „Eine Veränderung auf der Ebene der Arbeitskultur scheitert bislang an der männerbündischen Kontinuität im Wechsel der vorherrschenden Protagonisten. Immer wieder neue informelle Gruppierungen gelangen im Kampf um die Vorherrschaft an die Spitze. Doch sie zeigen (fast) die gleichen Dominanzmuster wie die alten Gruppen, sondern sich ab, grenzen nach den selben Prinzipien aus. Dabei könnte dieser Wandel auch eine Öffnung und den Abbau alter Ausschlussmechanismen beinhalten. ...
Auf die kulturelle Hegemonie von Männern, auf dieses Konglomerat von je nach Situation verschiedenen kleinen Gewinnen, die jeder und jede aus den Geschlechterhierarchien herausziehen kann, brauchen wir im Beruf Vielfalt und Durchlässigkeit, eine lebensvolle Arbeitskultur als Antwort. Die gegenwärtige Auflösung von klassischen (männlichen) Erwerbsstrukturen bietet dazu eine Chance, auch wenn Vieles dagegen steht.“ (Höyng, 2002, S. 228).
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Um dem Autor nicht Unrecht zu tun, muss gesagt werden, dass aus zielführenden Gründen dieses Kapitels vorrangig die Kritikpunkte exzerpiert wurden. Seine Gesamtdarstellung ist durchgängig aufklärerisch, abwägend und von Neugier auf das Gender-Prinzip geprägt.
Skepsis wie Aufgeschlossenheit und nunmehr auch Ungeduld aus Sicht eines ebenfalls in den Prozess Involvierten: „Aber aller richtigen Analysen und Einschätzungen zum Trotz: Gender Mainstreaming ist so richtig noch nirgendwo angekommen. Es ist deshalb höchste Zeit, dass sich alle Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wesentlich intensiver und verbindlicher als bisher das Prinzip des Gender Mainstreaming zu eigen machen und in alltägliche Praxis umsetzen. Wer sind die Haupt-Akteure? ... Unternehmen mit Gender-Ambitionen sind nicht die Regel, aber dennoch über den Exoten-Status hinaus. Vor allem international agierende Konzerne haben zum Beispiel über Betriebs- oder spezifische Zielvereinbarungen Fakten geschaffen. ...
Für die Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände in Deutschland selbst ist Gender Mainstreaming allerdings weitestgehend noch ein Buch mit sieben Siegeln. Ein Fremdwort, nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinn. Für so manche Verbandsvertreter tut sich hier eine gefährliche Entwicklung auf, mit drohenden neuen Belastungen für die Unternehmen.“ (Lang, 2004, S. 141).
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Den Gewerkschaften wird hier zum Thema Frauenpolitik traditionelle Reformkraft und Fortschrittlichkeit attestiert, aber im Bereich Politik Handlungsbedarf gesehen: „Um die Zukunft des Wirtschafts- und Lebensstandortes Deutschland zu sichern, muss für die Politik Gender Mainstreaming das wichtigste Projekt überhaupt werden. Denn: Gender Mainstreaming ist ‚das’ zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierungsprojekt des nächsten Jahrzehnts. Vor allem angesichts der demografischen Entwicklung.
Kurzfristig geht es um eine frauenfreundlichere, mittel- und langfristig auch um eine familien- und kinderfreundlichere Gesellschaft. Wer dieses Ziel erreichen will, muss ‚alle’ politischen Projekte von Anfang an ‚gendern’.
Davon scheint die Bundesregierung noch meilenweit entfernt. Oder gibt es irgendwelche Analysen und Aussagen über die geschlechterspezifischen Auswirkungen der geplanten Rentenreform, der beschlossenen Gesundheitsreform, der weitreichenden Arbeitsmarktreformen, der Steuerreform - um nur die wichtigsten Politikfelder zu nennen? Oder werden die bildungs- und qualifizierungspolitischen Reformprojekte ‚gegendert’?“ (Lang, 2004, S. 143).
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Mehr Druck für Geschlechtergerechtigkeit wird gefordert, denn „es geht nicht nur um emanzipatorische Interessen. Es geht um die Wettbewerbsfähigkeit und Konkurrenzkraft des Wirtschafts- und Lebensstandortes.“ (Lang, 2004, S. 144).
Tomas Wetterberg, Soziologe und im Schwedischen Wirtschaftsministerium zuständig für Gleichberechtigungsfragen aus der Warte der Männer, beschäftigt sich mit der ‚männlichen Strategie der Unterordnung’: „Wenn es so aussieht, als würden Männer das gesamte gesellschaftliche System steuern - was sollte sie dazu bringen, im eigenen Heim mit einer nur unterbelichteten Position zufrieden zu sein? Sind da vielleicht die gleichen Mechanismen im Spiel, die ihnen beispielsweise beim Elternurlaub Enthaltsamkeit auferlegen? Oder den Biss vermissen lassen, einen traditionell von Frauen belegten Arbeitsplatz erobern zu wollen? Natürlich kann es so sein, dass die Frauen ganz gezielt auf bestimmte Verantwortlichkeiten festgenagelt werden, damit der Mann unbehelligt seinem Macht- und Karrierehunger frönen kann. Auf der anderen Seite: Wer kann ausschließen, dass es nicht um etwas ganz anderes geht? Nämlich um die Angst des Mannes, dominiert zu werden. Und das speziell von Frauen. ...
In dem Kampf gegen die Dominanz anderer eignet sich der Mann eine Sprache und Kultur an, die sich widerspiegelt in weiten Teilen der männlichen Geschichte.“ (Wetterberg, 2004, S. 92f.).
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Die Analyse männlicher Haltung zu Beruf und Familie mündet in die Vermutung: „Vielleicht ist ja was dran an der Beobachtung, der Mann sei das eigentliche Hindernis auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit. Oder gibt es überzeugende Argumente, dass auch die Männer von Gleichberechtigung profitieren?“ (Wetterberg, 2004, S. 97).
Nach Überzeugung des Autors „gibt es drei Hauptursachen dafür, dass es so enorm schwer ist, die Männer für die Gleichberechtigungs-Arbeit zu gewinnen:
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Vollends aus der Theorie herausgeholt wird der Konflikt durch die persönliche Betroffenheit als Ehemann und vor allem als Vater von Töchtern: „Wenn es um Kinder geht und darum, dass die etwas mit beiden Elternteilen zu tun haben sollten, dann sind wir dabei. Kommt das Recht der Frauen auf gleichwertigen Lohn bei gleichwertiger Arbeit aufs Tapet, werden wir schon ein bisschen zögerlicher. Auch wenn wir der Meinung sind, dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Oder eine Frau oder Tochter haben, die eindeutig nicht gleichwertig entlohnt ist. Wenn die Gleichberechtigungsfrage dann den Punkt männliche Gewalt gegen Frauen erreicht, wollen wir eigentlich nur noch abhauen. Selbst dann, wenn wir uns vorstellen, die eigene Tochter könnte dieser Gewalt ausgesetzt sein.“ (Wetterberg, 2004, S. 98).
„Gleichberechtigung ist eine Voraussetzung für das Funktionieren der Demokratie. Wir sind alle Hähne und Hennen und die Erziehung leistet gute Arbeit, damit die negativen Muster dieser Rollen auch aufrechterhalten bleiben. Wir nennen das dann männlich und weiblich.“ (Wetterberg, 2004, S. 100).
Bei aller Kritik und Selbstkritik schließt auch dieser Autor versöhnlich: „Ich glaube nicht, dass Männer generell egoistischer sind als Frauen. Aber Männer haben es doch als etwas fast Selbstverständliches gelernt, sich im Verhältnis zu Frauen und deren Aufgaben in einer übergeordneten Position zu fühlen. Genau das muss geändert werden. Und meine Überzeugung ist, dass Männer das auch ändern wollen.“ (Wetterberg, 2004, S. 101).
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Eine weitere männliche Position zum patriarchalen Widerstand gegen den Gender-Ansatz: „Es ist wahr: Frauen sind noch immer benachteiligt in Wirtschaft und Gesellschaft. Eine gläserne Decke scheint sie zu trennen von Führungspositionen, wo immer man auch hinschaut. An den Universitäten sind sie deutlich unterrepräsentiert, nicht bei den Studenten, wohl aber bei den Professoren. Es gilt hier wie andernorts die soziologische Regel: Je weiter es nach oben geht, umso weniger Frauen wird man finden. ... Nur wenn man nach unten schaut auf der sozialen Leiter, sind sie überrepräsentiert, so etwa in den vielen frauentypischen Berufen.
Das ist die eine Geschichte. Sie erzählt von Defiziten und Benachteiligungen, von Ungleichheiten und von Ungerechtigkeiten, die Frauen immer wieder und aller Orten erfahren.“ (Dettling, 2004, S. 102).
Und natürlich wendet sich der Autor in seinen nachfolgenden Ausführungen dem Gender-Ansatz zu, sonst wären sie in dieser Quelle nicht enthalten.
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In diesem Kapitel über Risiken und Kritik des Gender-Prinzips sind zwei Kerngedanken immer noch und nun wieder bemerkenswert:
Dem Gender Mainstreaming wurde in dieser Arbeit breiter Raum gewidmet, weil
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Ebenfalls aus Gründen der Zielführung wurde bei dieser Analyse der Spezialaspekt des Gender Budgeting zwar im Kontext, z. B. als Kapitel 2.3.2.3 erwähnt, in allen weiteren tangentialen Bereichen jedoch zunächst umgangen und ausgespart, zugunsten der nachfolgend konzentrierten und differenzierten Betrachtung.
In der Praxis werden konzeptionelle Verflechtung und Interdependenz von Gender Mainstreaming und Gender Budgeting spätestens in der Phase der Realisierungsprozesse verstärkt zutage treten. „Die Veränderung des Geschlechterverhältnisses von einem ungleichen zu einem gleichberechtigten Verhältnis zwischen Frauen und Männern kann nur über die Umverteilung von Ressourcen und die Unterstützung des Gender-Mainstreaming-Prozesses durch ausreichende finanzielle Mittel erfolgreich umgesetzt werden. Ein konsequenter Gender-Mainstreaming-Prozess wird also immer auch auf die Frage nach der Verteilung der finanziellen Ressourcen stoßen und damit auf Gender Budgeting.“ (Erbe, 2004, S. 291).
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