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Die Fähigkeit der Peptide in der Natur komplexe biologische Aufgaben und Funktionen zu erfüllen, basiert auf der stabilen Faltung in definierte Sekundär- und komplexe Tertiärstrukturen. Durch diese spezielle räumliche Struktur sind beispielsweise Enzyme im Stande, als Katalysatoren agieren zu können und in zum Teil komplexen Systemen Bindungen hochselektiv und effizient zu spalten oder zu knüpfen. Andere Beispiele für Peptide mit beeindruckenden Fähigkeiten sind mechanisch stark belastbare Kollagenfasern. Ihre hohe Zugfestigkeit basiert auf drei ineinander gewundenen helikalen Peptidketten, die eine rechtsgängige Superhelix ausbilden (Abbildung 2–1).[1,2] Das Bakterium Rhodopseudomonas Acidophila gewinnt seine Energie über die Photosynthese von Licht. Der lichtsammelnde Komplex besteht aus helikalen Peptidsträngen, die die Bakteriochlorophylleinheiten auf eindrucksvolle Art und Weise räumlich anordnen und fixieren. Diese besondere räumliche Anordnung ermöglicht es dem Bakterium, effizient über das Sonnenspektrum zu absorbieren und die Licht-Energie für die anschließende Photosynthese zu bündeln.[3] Gramicidin A ist der bekannteste Vertreter der β-helikalen Konformationen.[4] Das Pentadecapeptid besteht aus einem Rückgrat aus alternierenden d- und l-α-Aminosäuren, die hydrophobe Seitenketten tragen und eine alternierende Stereochemie aufweisen.[5,6] Aufgrund von Wasserstoffbrückenbindungen bilden sich beständige β-helikale Konformationen aus, die sich in Lipid-Doppelmembranen von Zellen einlagern können und den selektiven Ionentransport durch die Membran ermöglichen.
Die Natur wählt für die Darstellung von Peptiden erstaunlicherweise aus einem recht kleinen Pool bestehend aus nur 21 Aminosäuren aus, von denen zudem die 20 chiralen Aminosäuren auf die l-Konfiguration beschränkt sind. Dennoch verfügt sie eine unüberschaubare Anzahl an peptidischen Makromolekülen die auf der Primärstruktur basierend definierte sekundäre, tertiäre oder quartäre Strukturen einnehmen und durch dieses Strukturgerüst komplexe Funktionen elegant erfüllen können.
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Ein weiteres faszinierendes Beispiel für natürliche helikale Architekturen, wenngleich auch nicht peptidischer Natur, stellt die schraubenförmige Doppelstranghelix Desoxyribonukleinsäure, kurz DNS genannt, dar. Seit Jahrtausenden sichert sie die komplizierte Speicherung und Weitergabe genetischer Daten zuverlässig. Über die Art und Abfolge der Basen in der DNS werden Informationen gespeichert und über diesen Memoryeffekt die Vererbung genetischer Informationen ermöglicht.[7]
Fasziniert von dem beeindruckenden Potential hierarchischer Strukturen, versucht der Mensch derartige Architekturen nachzuahmen und künstlich herzustellen, um neue für ihn nützliche funktionale Materialien zu generieren. Die Aktivität eines Proteins hängt gewöhnlich von dem spezifischen Faltungsmuster ab, weshalb sich Studien intensiv mit der Thematik der Struktur-Eigenschaftsbeziehung auseinandersetzen. Für Gellman stellen Peptide, aber auch die RNS und DNS, die Prototypen für Foldamere dar, die er 1998 in seinem Manifest “Foldamers“ als polymere (und auch oligomere) Strukturen definierte, die eine starke Tendenz zeigen, eine spezifische, kompakte Konformation einzunehmen. [8] Währenddessen begrenzen Moore und Mitarbeiter in ihrem Übersichtsartikel von 2001 den Begriff Foldamer auf Oligomere, die durch eine Vielzahl von nicht-kovalenten Wechselwirkungen zwischen nicht-benachbarten Monomer-Einheiten stabilisiert werden.[9] Unterschieden wird zwischen Einzelstrang- und Multistrang-Foldameren.
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Um die komplexen Funktionen der Peptide nachahmen zu können, müssen die Kräfte und Wechselwirkungen, die zu der Ausbildung von stabilen Sekundär- und Tertiärstrukturen führen, verstanden werden. Ein in der Natur vorkommendes wichtiges Strukturelement der Sekundärstrukturen sind helikale Architekturen, die Thema dieser Arbeit sind. Prinzipiell lassen sich die Triebkräfte der helikalen Faltung in attraktive (gerichtete und ungerichtete) sowie repulsive Kräfte bzw. Wechselwirkungen einteilen, häufig liegt jedoch ein Zusammenspiel von diesen vor. Dies soll folgend anhand der helikalen Faltung von Peptiden erläutert werden.
Proteine bestehen aus Peptidsträngen, deren Bausteine, die Aminosäuren, über Amidbindungen aneinander gefügt sind. Die Amidbindungen liegen in einer anti-Konformation vor, was eine gewisse Steifheit des Rückgrats bedingt und die Freiheitsgrade des Peptidstrangs einschränkt. Entscheidend für die Ausbildung natürlicher Konformationen wie α-Helix,[10] β-Faltblattstruktur oder β-Strang[11] ist die Art der im Peptidstrang vorliegenden Aminosäuren (sowie deren Chiralität). Da diese als Wasserstoffbrücken-Donoren und -Akzeptoren agieren, bestimmen sie, welche gerichteten H-Brückenbindungen sich dominierend auf die Sekundärstrukturbildung auswirken. In amphiphilen Systemen hat zudem die Wechselwirkung mit der Umgebung wesentlichen Einfluss auf die ausgebildete Struktur.[12] Die sterischen und elektronischen Wechselwirkungen der Seitenketten der Aminosäuren (repulsive Kräfte) haben einen restriktierenden Einfluss, wobei hier auch die Chiralität der Aminosäuren ausschlaggebend ist. Aus dem Zusammenwirken der H-Brücken, der sterischen und hydrophoben Wechselwirkungen sowie der ingeschränkten Freiheitsgrade bedingt durch die Steifheit der Amidbindungen, ergibt sich die spezifische Sekundärstruktur des Peptidstranges. Diese Wechselwirkungen werden beispielsweise von Gellman [8,13] und Seebach [14,15] gezielt eingesetzt, um die Konformation von artifiziellen β-Peptid-Foldameren zu steuern.
Im Folgenden sollen weitere Beispiele für artifizielle helikale Architekturen sowie zusätzliche Kräfte und Wechselwirkungen, die in diesen wirken können, beschrieben werden.
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Moore und Mitarbeiter stellten 1997 einen artifiziellen Foldamerstrang mit einem Oligo(m-phenylenethinylen)-Rückgrat dar, der aufgrund seiner Amphiphilie durch solvophob wirkende Kräfte eine helikale Konformation einnimmt (Abbildung 2–2, A)).[16] Darauf aufbauend wurden zahlreiche weitere Foldamerstränge geschaffen, die die solvophobe Triebkraft für die helikale Faltung nutzen.[12,17-20] Hierbei ist anzumerken, dass die ausgebildete helikale Struktur zusätzlich durch intramolekulare π,π –Wechselwirkungen der gestapelten (hetero)aromatischen Ringe stabilisiert wird. In modifizierten (m-Phenylenethinylen)en mit Cyanofunktionalitäten nutzen Moore und Mitarbeiter den solvophoben Effekt in Kombination mit der Koordination des Oligomerrückgrats an Silber(I)-Ionen als Triebkraft für die helikale Faltung (Abbildung 2–2, B)).[21]
Abbildung 2–2: Verschiedene helikal faltende Oligomer- und Polymerrückgratstrukturen. | ||
Eine besondere Klasse der helikalen Strukturen stellen die seit den sechziger Jahren bekannten Helicene dar, deren Rückgrat aus ortho-anellierten aromatischen Ringsystemen besteht (Abbildung 2–2, C)).1 , [22] Helicene besitzen ein derart rigides Rückgrat, dass eine helikale Konformation erzwungen wird, wobei die sterische Wechselwirkung der H-Atome der endständigen Ringe (repulsive Wechselwirkungen) die Abweichung von der planaren in die helikale Konformation bewirken. Neuere Arbeiten über helikale [n]Phenylene sind von der Arbeitsgruppe Vollhardt 2002 erschienen.[23]
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Helikale polymere Isocyanate wurden von Chen et al.[24] und Green et al.[25] beschrieben. Sie besitzen ein steifes Rückgrat aufgrund des partiellen (planaren) Doppelbindungscharakters der Amidbindungen (Abbildung 2–2, E)). Die so erzwungene planare Geometrie geht durch die sterische Wechselwirkung des gekrümmten Rückgrats in eine helikale Konformation über.
Als Beispiele in denen primär die repulsiven Wechselwirkungen im Foldamer-Rückgrat zu einer helikalen Faltung führen, lassen sich die Oligomerstränge aufbauend auf 2,2’-Bipyridin und anderen Aza-Aromaten von Lehn und Mitarbeitern nennen, in denen die Abstoßung der einsamen Elektronenpaare der Stickstoffatome die Freiheitsgrade des Oligomerrückgrats so stark einschränken, dass eine stabile helikale Konformation resultiert (Abbildung 2–2, D)).[26] Weiterhin stabilisieren intramolekulare π,π –Wechselwirkungen der gestapelten Heteroaromaten die Sekundärstruktur.
Helikale Strukturen, die auf die Koordination von Oligomersträngen an Metallionen zurückgehen, sogenannte Helikate, wurden 1987 erstmals von der Arbeitsgruppe Lehn beschrieben (Abbildung 2–2, F)).[27] Hierbei koordinieren Bipyridineinheiten des Oligomerenrückgrats an Kupfer(I)ionen, worauf es zu der Ausbildung von Doppel- und Tripel-Helices mit den Metallionen im Inneren der Helices kommt. Zu dieser Thematik sind zahlreiche Arbeiten erschienen, die in der Literatur umfangreich diskutiert werden.[28-30]
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In Analogie kann auch die Koordination an Anionen die Ausbildung von helikalen Strukturen bewirken.[31-34] Lehn und Mitarbeiter beschrieben 2000 Oligopyridinamide deren helikale Konformation primär auf attraktiven Wasserstoffbrückenbindungen und repulsiven Dipol-Dipol-Wechselwirkungen beruht (Abbildung 2–2, G)).[35,36] Die Oligomere bestehen aus alternierenden Pyridin-2,6-diamin- und Pyridin-2,6-dicarbonsäure-Einheiten. Die Vorzugskonformation für die Helixbildung entlang der Amidbindungen wird durch intramolekulare Wechselwirkung der Amidprotonen mit den Pyridin-Stickstoffatomen erreicht. Aufgrund des aromatischen Oligomergerüstes kommt es auch hier zu stabilisierenden intramolekularen π,π –Wechselwirkungen der gestapelten Heteroaromaten. Mit diversen Arylamiden wurden von Huc [37], Gong [38,39] und Li [40]eine Vielzahl weiterer helikal gefalteter Foldamere konstruiert.
Zusammenfassend lässt sich abschließen, dass die gezielte Nutzung ausgewählter Kräfte und Wechselwirkungen in artifiziellen Foldamerrückgraten zu der Einnahme von lokal kurvenförmigen Konformationen führt, die dann in einer helikalen Sekundärstruktur resultiert.[8] Statt eines ungeordneten Knäuels werden somit kompakte, helikale Konformationen gebildet. Für diese Arbeit in besonderem Maße wichtige Triebkräfte der helikalen Faltung werden in Abschnitt 2.1.3 ausführlich beschrieben.
Bei helikalen Strukturen handelt es sich um Molekülketten, die, anschaulich gesprochen, um eine zentrale Achse gewunden sind. Hierbei kann der Strang entweder rechts- oder links herum gewunden sein, besitzt also einen Drehsinn. Zwei Stränge mit unterschiedlichem Drehsinn lassen sich nicht in Deckung bringen, verhalten sich also wie Enantiomere zueinander. Ohne eine chirale Information liegt ein 1:1-Gemisch aus linkshändigen M- und rechtshändigen P-helikalen Konformationen gleicher Energie vor, d.h. keine bestimmte Händigkeit wird bevorzugt gebildet. Je nachdem wie hoch die Inversionsbarriere zwischen der links- und rechtsdrehenden Helix ist, wie leicht also der helikale Drehsinn invertieren kann, wird zwischen dynamischen (flexiblen) und statischen (starren) Helices unterschieden.[41] Bei hohen Inversionsbarrieren können rechts- und linksdrehende Helices sich schwer oder gar nicht ineinander umwandeln. Sie liegen so beständig vor, dass teilweise eine Isolierung möglich ist. Bei geringer Inversionsbarriere wandeln sich die Helizitäten schnell ineinander um. Wie hoch die Inversionsbarriere ist, hängt von den Faktoren ab, die die Helix stabilisieren oder fixieren. Beispielsweise können stark repulsive Kräfte, wie die Abstoßung von sterisch anspruchsvollen Seitengruppen in Poly(triphenylmethylmetacrylat), Polychloral oder Polyisocyaniden, so stark sein, dass eine Helixinversion nicht beobachtet wird und man von statischen Polymerhelices spricht.[42-45]
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Um eine Helixhändigkeit vermehrt zu populieren, bedarf es einer chiralen Information, häufig spricht man auch von einem chiralen Stimulus. Durch diesen wird der enantiomere Zustand des Helixdrehsinns in einen diastereomeren Zustand überführt, was eine energetische Diskriminierung zur Folge hat. Vermehrt populiert wird der energieärmere helikale Zustand (Abbildung 2–3).[43].
In Abhängigkeit von der Effektivität des Chiralitätstransfers und den genauen strukturellen Gegebenheiten des Strangs, ergibt sich die Höhe der energetischen Diskriminierung der beiden M- und P-Zustände ΔΔG P – M wie in Abbildung 2–3 anhand eines m-Phenylenethinylen-Oligomers gezeigt ist.[20] Je größer der Energieunterschied zwischen beiden Helices ist, desto stärker verschiebt sich das Gleichgewicht hin zu der Population der energieärmeren Helix.2
Abbildung 2–3: Illustration der Ausbildung des Helixdrehsinns anhand des Oligo(m-phenylenethinylen)s. Chirale Stimuli führen zu der Diskriminierung zwischen M- und P-Helix. | ||
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Dieser Überschuss an helikaler Chiralität, also an Helixhändigkeit, kann mit Hilfe des Circulardichroismus gemessen werden (siehe Abschnitt 2.1.2 „Untersuchungsmethoden des helikalen Faltungsverhaltens“).[46,47]
Ein chiraler Stimulus kann entweder dauerhaft an das Polymer- oder Oligomerrückgrat gebunden sein oder als Gastmolekül mit der Helix wechselwirken.[20,48-50] Moore und Mitarbeiter zeigten dies sehr anschaulich anhand von Oligo(m-phenylenethinylen)en. Zum einen integrierten sie den chiralen Informationsträger in Form von chiralen Binaphtholgruppen in die Mitte oder das Ende des Oligomerrückgrats, wobei der Chiralitätstransfer auf das Oligomerrückgrat des mittig eingefügten Stimulus effektiver war (Abbildung 2–4, A) und B)).[51] Zum anderen verwendeten sie chirale Seitenketten, die die chirale Information auf das achirale m-Phenylenethinylen-Oligomerrückgrat übertragen. Letzteres kann den Vorteil haben, die Foldamerstruktur nur geringfügig und nicht das ganze Oligomerrückgrat ändern zu müssen. Es wurden beispielsweise verschiedene Oligo(m-phenylenethinylen)e generiert, die chirale polare Oligo(ethylenglycol)- oder unpolare Alkylketten tragen (Abbildung 2–4, C) und D)).[52,53]
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Moore und Mitarbeiter verwendeten aber auch chirale Gäste wie Monoterpene, um den Helixdrehsinn von Oligo(m-phenylenethinylen)en zu bestimmen (Abbildung 2–5).[54] Die chiralen Monoterpene lagern sich in den inneren Hohlraum der Foldamere ein und bilden 1:1 Einlagerungs-Komplexe mit diesen aus. Aufgrund des Erkennungsprozesses kommt es zum Chiralitätstransfer von dem chiralen Gast auf die vorliegenden Helices. Da sich die nun vorliegenden diastereomeren Zustände energetisch unterscheiden, wird die energieärmere Helixhändigkeit vermehrt populiert. Durch die Wechselwirkung des Oligo(m-phenylenethinylen)s mit (–)-α -Pinen ergibt sich die rote gezeigte CD-Kurve. Wird das andere Enantiomer des chiralen Gastes zur Wechselwirkung mit der Helix gebracht, so kommt es zur Inversion des Helixdrehsinns (hier also (+)-α -Pinen, blaue CD-Kurve). Diese Inversion kann mit Hilfe der CD-Spektroskopie sehr gut verfolgt werden, bei der das jeweilige Spiegelbild erhalten wird. Ohne chirale Information dagegen liegt eine Null-Linie im CD-Spektrum vor (grüne Kurve), da ohne den Überschuss einer Helix-Händigkeit (es liegt ein 1:1-Gemisch der M- und P-Helix vor) kein CD-Signal auftritt.
Für andere bemerkenswerte Beispiele des Chiralitätstransfers durch Einschließen von chiralen Gastmolekülen im Inneren von achiralen Foldamerrückgraten sei auf die Literatur verwiesen.[55-59] Im Folgenden sollen weitere interessante Beispiele der chiralen Induktion bei helikalen Foldameren genannt werden.
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Die Gruppe von Green konnte zeigen, dass der Drehsinn von helikalen Poly(alkylisocyanaten) äußerst sensitiv ist gegenüber schwachen chiralen Einflüssen.[25] Hier reichte es aus, in den Alkylketten jeder Wiederholungseinheit ein Chiralitätszentrum durch den Austausch eines Protons gegen ein Deuteriumatom zu integrieren, um über den Isotopeneffekt einen Überschuss der P-Helix gegenüber der M-Helix von 67 : 33 (in Hexan, 27 °C) zu erzielen (Abbildung 2–6, A) und B)).[60] Erklären lässt sich diese Beobachtung der Verstärkung des schwachen Stimulus über den Effekt der Kooperativität, der in dem Polymer stark ausgeprägt ist.
H uc und Mitarbeiter synthetisierten ein Oligomer bestehend aus 8-Amino-2-quinolincarbonylsäure, an das an das eine Ende das chirale R-Phenethylamin angebunden ist (Abbildung 2–6, C)). Während in Lösung wie mit Hilfe der 1H-NMR-Spektroskopie belegt wurde, ein Diastereomerenüberschuss von 82 % vorliegt, scheint es während des Kristallisationsprozesses zu einer Helixinversion zu kommen, da im Kristall ein 1:1 Diastereomerengemisch vorgefunden wird.[61] Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die im Kristall mit Hilfe der Röntgenkristallstrukturanalyse vorgefundenen Gegebenheiten keinesfalls ohne weiteres auf die in der Lösung vorliegenden Verhältnisse übertragen werden können (und vice versa).
Abbildung 2–6: A), B) Poly(alkylisocyanat)-Stränge mit chiralen Alkylketten (Deuteriumatom-Substituenten);[25] C) Chirales Oligomer mit einem 8-Amino-2-quinolincarbonylsäure-Rückgrat.[61] | ||
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Zum Schluss sei auf ein sehr beeindruckendes Resultat von Feringa und Mitarbeitern hingewiesen. Sie generierten helikale Polymerstränge, deren Drehsinn sich durch Licht oder Wärme invertieren lässt (Abbildung 2–7).[62] Hierzu knüpften sie einen ansteuerbaren chiralen molekularen Schalter an das Ende von Poly-(n)-hexylisocyanat. Über die externen Stimuli Licht bzw. Wärme wird die Konformation des molekularen Schalters, eines sterisch überladenen tetrasubstituierten Olefins, geschaltet, der dann seine chirale Information von der molekularen Ebene auf die makromolekulare Ebene des helikalen Polymers überträgt und dort zu der Helixinversion führt.
Abbildung 2–7: Ein über Licht und Wärme ansteuerbarer molekularer Motor, der den Helixdrehsinn des angebundenen Polymers kontrolliert.[62] | ||
Eine äußerst nützliche Methode, um das helikale Faltungsverhalten von Foldameren in Lösung zu untersuchen, ist die Circulardichroismus-Spektroskopie (CD-Spektroskopie) auf die auch schon im Abschnitt 2.1.1 eingegangen wurde. In Abbildung 2–5 sind die CD-Kurven von Oligo(m-phenylenethinylen)en abgebildet, denen die chirale Information durch Wechselwirkung mit chiralen Gästen induziert wird. Bei einer vorliegenden Helixstruktur fällt der dem CD-Signal zugrunde liegende Cotton-Effekt umso größer aus, je stärker eine helikale Konformation mit einem Drehsinn populiert wird. Bei der Größe des Cotton-Effekts fließen also die Faktoren ein, wie stark die helikalen Strukturen gegenüber der Knäuel-Struktur bevorzugt gebildet werden und wie groß der Überschuss einer Helixhändigkeit gegenüber der anderen ist, wobei letztere von dem energetischen Unterschied der beiden Händigkeiten abhängt (und der Möglichkeit der Helixinversion). Eine Veränderung der Helixstruktur führt zu stark unterschiedlichen CD-Spektren, da die Excitonenkopplung (Davydov-Splitting) von dem Winkel zwischen den Übergangsdipolmomenten der Monomereinheiten abhängt.
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Weitere häufig (in Kombination) genutzte Methoden, um das Vorliegen einer helikalen Konformation nachzuweisen und zu untersuchen, sind neben der CD-Spektroskopie NMR-Untersuchungen, UV/vis- und Fluoreszenzspektroskopie. Wenn Kristalle geeigneter Qualität gewonnen werden können, stellt die Röntgenkristallstrukturuntersuchung natürlich die Untersuchungsmethode der Wahl dar, um detaillierte Informationen über die Struktur zu erhalten – wenngleich auch nur im kristallinen Festkörper.
Bei dem Übergang von einer ungeordneten Knäuel-Struktur in eine kompakte helikale Struktur kommt es durch die Stapelung von aromatischen Ringen im Rückgrat und der damit verbundenen Abschirmung im Magnetfeld zu einer Hochfeldverschiebung der aromatischen Protonensignale im NMR-Spektrum. Auch 2D-NOE NMR-Untersuchungen, bei der die Kopplung der Protonen über den Raum betrachtet wird, können Aufschluss über die relative räumliche Anordnung von Protonen und damit die 3-dimensionale Struktur geben.[26] Im UV/vis-Spektrum kann mit zunehmender helikaler Faltung der Effekt des Hypochromismus beobachtet werden, also die Reduktion der Absorption. Dieser Effekt wird auch in Biomolekülen wie der DNS oder RNS beobachtet[63,64] und hängt stark von der Distanz (Distanz skaliert mit r – 3)[16] und der relativen Orientierung der Chromophore zueinander ab. Zum anderen erfolgt eine bathochrome oder hypsochrome Verschiebung des Absorptionsmaximums je nach Orientierung der Monomereinheiten (H- bzw. J-Aggregat-artig). In der Fluoreszenz kommt es zu einer (Pseudo-)Excimerenemission die sich in einer Rotverschiebung, Verbreiterung und Abnahme der Fluoreszenz äußert.[17,65,66] Um auszuschließen, dass es sich bei den beobachteten Phänomenen nicht um intermolekulare Interaktionen wie beispielsweise Aggregation handelt, sondern um intramolekulare Wechselwirkung innerhalb der Helix, müssen die beobachteten Effekte stets konzentrationsabhängig gemessen werden, um mit Hilfe von Verdünnungsreihen die Gültigkeit des Lambert-Beerschen Gesetzes zu überprüfen.
Bei vielen in der Natur vorkommenden Polymeren stellt der hydrophobe Effekt eine der zentralen Triebkräfte für den (kooperativen) Übergang von dem ungeordneten Zustand des Knäuels in geordnete Strukturen dar wie beispielsweise in Peptiden die α-Helix[67] oder das β-Faltblatt.[12] Die Natur nutzt den ungerichteten hydrophoben Effekt in Biomakromolekülen, um deren Faltung in eine helikale Konformation zu bewirken und diese zu stabilisieren. Inspiriert von der Natur wird auch in artifiziellen Makromolekülen die Amphiphilie als (unterstützende) Triebkraft in das Rückgrat von Foldameren implementiert, um stabil helikal gefaltete Strukturen unter Ausnutzung des solvophoben Effektes zu generieren. Die Stabilität der solvophob getriebenen helikalen Faltung hängt von der Amphiphilie des Systems und von der Polarität seiner Umgebung (dem Lösungsmittel) ab. In einem stark polaren Lösungsmittel zeigen die polaren Molekülkompartimente des Oligomerenstranges entsprechend der Polarität in die polare Umgebung, während sich die unpolaren Teile möglichst effektiv von dieser Umgebung abschirmen. Diese Ausrichtung und Abschirmung kann bei entsprechender Geometrie des Stranges eine helikale Faltung zur Folge haben. Beispielsweise wird dieser Effekt von Moore und Mitarbeitern beeindruckend an artifiziellen amphiphilen Oligo(m-phenylenethinylen)en demonstriert, bei denen es in Acetonitril (Dielektrizitätskonstante ε =37,5 bei 25 °C) zu der solvophob getriebenen Faltung in eine helikale Konformation kommt (Abbildung 2–8).[20] Dabei zeigen die polaren Triethylenglycol-Seitenketten in die polare Umgebung und interagieren mit dieser maximal, während das unpolare Rückgrat sich effizient abschirmt und durch die Einnahme einer helikalen Konformation die Aromaten-Aromaten-Kontakte maximiert.[16] Da der Effekt grundsätzlich auf der Polarität des Lösungsmittels und der solvophoben Wechselwirkung beruht, wird er als solvophober Effekt bezeichnet.[68]
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Abbildung 2–8: Der solvophobe Effekt als Triebkraft der helikalen Faltung (am Beispiel von m-Phenylenethinylen-Oligomeren). | ||
Bei einer Umkehr der Amphiphilie des Systems durch die Verwendung von unpolaren Alkylseitenketten an dem Oligo(m-phenylenethinylen)-Rückgrat kommt es entsprechend in unpolaren Lösungsmitteln zu einer helikalen Faltung.[53]
Ein innovativer Ansatz, um stabile helikale Strukturen zu generieren, wurde von Lehn und Mitarbeitern entwickelt. Die Autoren setzten die Oligomerrückgrate aus heteroaromatischen Bauelementen zusammen, die bedingt durch elektronische Wechselwirkungen eine vororganisierte Struktur aufweisen. Durch entsprechende Kombinationen der „steifen“ Bausteine konnten so verschiedenste stabile helikale Strukturen generiert werden. Dieser Ansatz wird als „helikale Faltung durch Präorganisation“ bezeichnet. Lehns Arbeiten gehen auf die Eigenschaft von 2,2´-Bipyridin zurück, eine transoide Konformation aufgrund der elektronischen und sterischen Gegebenheiten einzunehmen (Abbildung 2–9).[26] Die transoide Konformation liegt als die bevorzugte Konformation vor, da sie durch Wasserstoffbrücken und die anti-parallele Anordnung der Dipolmomente stabilisiert wird. Währenddessen wird die cisoide Konformation durch die Abstoßung der freien Elektronenpaare an den Stickstoffatomen sowie die sterische Hinderung der ortho-Protonen stark destabilisiert. Die Stabilisierungsenergie der transoiden Konformation wurde 1996 von Howard mit Hilfe von DFT-Rechnungen zu 5.6 kcal/mol bestimmt.[69]
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Lehn nutzte diese stark ausgeprägte Vorzugskonformation des 2,2´-Bipyridins und ähnlicher (heteroaromatischer) Bausteine, um durch deren gezielte Verknüpfung stabile helikale Architekturen zu generieren. 1995 beschrieb Lehn erstmals helikale Oligo(pyridin-alt-pyrimidin)-Stränge, in denen Pyridin- und Pyrimidineinheiten miteinander meta-verknüpft sind (Abbildung 2–9).[26] Aufgrund der elektronischen Gegebenheiten im Rückgrat bilden sie helikale Strukturen aus, wie mit zahlreichen Röntgenkristallstrukturen gezeigt werden konnte.[66,70-72] Das Nonadecamer besitzt im Kristall einen vakanten (mit Lösungsmittelmolekülen gefüllten) Innenraum von 2.5 Å Durchmesser. Zudem zeigt die Röntgenkristallstruktur, dass die helikale Struktur durch π-π-Wechselwirkungen stabilisiert wird, die durch die Stapelung der aromatischen Einheiten in der Helix zustande kommen.
Um das konformationelle Verhalten in Lösung zu untersuchen, wurden verschiedene Untersuchungsmethoden angewendet. NMR-Studien zeigen eine mit der Faltung einhergehende Hochfeldverschiebung der Signale. Die Daten von NOE, ROESY und COSY-NMR-Messungen stimmen ebenfalls mit einer helikalen Struktur in Lösung überein. Im UV/vis-Spektrum ist ein hypochromer Effekt zu beobachten und im Fluoreszenz-Spektrum eine charakteristisch breite Excimeren-Fluoreszenz, herbeiführt durch die Stapelung der Chromophore in der helikalen Konformation.
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Auf den Oligo(pyridin-alt-pyrimidin)-Strängen aufbauend wurden weitere helikal gefaltete Oligomere mit anderen Bauelementen dargestellt, die das Motiv der Präorganisation in eine transoide Konformation unterstützen. Hydrazoneinheiten als strukturelle Analoga der Pyridinringe wurden verwendet oder Pyridazin- oder Naphthyridinringe eingebaut (Abbildung 2–10). [73-76]
Durch die Verwendung der Kondensationreaktion zu Hydrazoneinheiten als kettenverlängernde Reaktion konnten die Ausbeuten erhöht werden (hauptsächlich im Bereich von 30 - 60%). Dennoch unterliegen viele der Kupplungsschritte einer statistischen Verteilung und daher ist die Effizienz der Synthese, gerade die der höheren Oligomeren, eingeschränkt.[73,74] “Bausegmente“ mit Hydrazin- und Carboxaldehydfunktionalitäten wurden schrittweise zu Oligomerenserien unterschiedlicher Länge mit bis zu 10 Hydrazoneinheiten im Strang kondensiert (Abbildung 2–11). NMR-Studien und Röntgenkristallstrukturen belegen die Faltung in eine kompakte helikale Struktur, in der sich π-Wechselwirkungen der aromatischen Einheiten zusätzlich stabilisierend auswirken.
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Um den Innendurchmesser des Helixhohlraums zu vergrößern, wurden andere heteroaromatische Bausteine wie Naphthyridinringe[76] oder para-verknüpfte Pyridazinringe[75] in Kombination mit Pyridinen in das Oligomerrückgrat eingebaut (Abbildung 2–10, unten; Abbildung 2–12). Die Oligo-(pyridin-alt-pyridazin)-Serie nimmt eine helikale Konformation mit 12 aromatischen Einheiten pro Windung ein, wobei sich ein hohler Innenraum im Kristall von 8 - 9 Å ergibt. Auf Oberflächen ist die Stapelung der einzelnen Helixwindungen zu supramolekularen Helices über hierarchische Selbstorganisation zu beobachten. Gebildete lineare und ineinander gewundene Fasern von Längen im Mikrometerbereich und ungefähr 80 Å Durchmesser konnten mit Hilfe der “Gefrierbruch-Elektronenmikroskopie“ visualisiert werden.
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Der Ansatz von Lehn und Mitarbeitern die Präorganisation von Bauelementen zu nutzen, um helikale Strukturen aufzubauen, hatte großen Einfluss auf das Design von Foldameren. Die Attraktivität dieses Ansatzes lässt sich anhand mehrerer Gegebenheiten festmachen: Zum einen konnte Lehn zeigen, dass das heteroaromatische Rückgrat mit verschiedensten Bausteinen, die in das heteroaromatische Rückgrat integriert werden, modifizierbar ist, um stabile helikale Strukturen zu generieren. Die Rückgrate können durchaus weiter verändert und weiterentwickelt werden. Das Vorliegen einer helikalen Konformation konnte mit einer Vielzahl von Techniken nachgewiesen und untersucht werden. Zudem wurden von nahezu jeder Foldamerserie Röntgenkristallstrukturen erhalten, da die helikale Faltung (nahezu) unabhängig von der Art und Polarität der Umgebung eintritt, ein Argument das den Nutzen dieses Ansatzes unterstreicht. Daher erklären sich die große Bedeutung und der Einfluss der Arbeiten von Lehn bei der Konstruktion von helikalen Strukturen.
Aromatische Oligoamide stellen ein wichtige Klasse innerhalb der Foldamere dar, die sich sehr gut eignen, um sekundäre Strukturen von Biopolymeren nachzuahmen und zu studieren.[37,40] Sie sind einfach und effizient darstellbar, modifizierbar und zeigen eine hohe Tendenz zur Kristallisation. Die Ausbildung von stabilen helikalen Konformationen ist vor allem das Resultat der Rigidität des Rückgrats, welche aus den starken Wasserstoffbrückenbindungen der Aryl-Amidbindungen der benachbarten Bauelemente des Rückgrats resultieren. Die H-Brücken (attraktive Wechselwirkungen) in Kombination mit der Abstoßung der freien Elektronenpaare der Heteroatome (repulsive Wechselwirkungen) schränken die Freiheitsgrade des Oligomerrückgrats so stark ein, dass sich lokal eine kurvenförmige Konformation ergibt, die nach entsprechender Verknüpfung der Monomere in der Ausbildung einer helikalen Gesamtkonformation resultiert.
Häufig gewählte Motive, um die Drehbarkeit im Foldamerrückgrat zu restriktieren, basieren auf den zwei Aryl-Amidbindungs-Einheiten Ar-CONH sowie Ar-NHCO (Abbildung 2–13). Über Wasserstoffbrücken kommt es zur Anordnung in energetisch günstige 5- oder 6-gliedrige Ringe, während denkbare alternative Konformationen durch die elektronische Abstoßung des Protonenakzeptors und des Amidsauerstoffatoms destablilisiert werden.
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Abbildung 2–13: Häufig verwendete aromatische Amidfunktionalitäten auf Ar-CONH (links) und Ar-NHCO-Basis (rechts), die die Rotation entlang der Aryl-Amidbindung restriktieren. | ||
Um hohle helikale Strukturen zu generieren verwenden Gong und Mitarbeiter über Amidbindungen verbrückte Phenylringe, die bedingt durch intramolekulare 3-Zentren-Wasserstoffbrücken eine eingefrorene Struktur zeigen.[38,39] Der Innendurchmesser der helikalen Oligoamide kann über die Art der Verknüpfung der Phenylringe gesteuert werden, wobei zwischen meta- und para-Konnektivität gewählt werden kann (Abbildung 2–14). Je größer der Anteil der para-verknüpften Bausteine, desto größer der Helixdurchmesser. Ohne die zugrunde liegende Topologie zu ändern kann der Innendurchmesser der Helix von 10 Å bei alleiniger meta-Verknüpfung (m, m, m), über 25 Å bei meta-para-meta-Verknüpfung auf die beachtliche Größe von 50 Å (m, p, p-Verknüpfung, nicht abgebildet) erweitert werden.[77]
Abbildung 2–14: Über die Wahl der Konnektivitäten können Gong und Mitarbeiter den Helixdurchmesser und damit die Größe des Hohlraums steuern und bis auf über 50 Å vergrößern.[77] | ||
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Weitere Faktoren, die Einfluss auf den Helixdurchmesser haben, sind zum einen die Größe der eingebauten Monomereinheiten.[37] Je größer die verwendeten Bauelemente, desto größer der Durchmesser und vice versa. Zum anderen hat die relative Lage der H-Brücken einen entsprechenden Einfluss: H-Brücken am äußeren Rand der Helices führen zu einer Aufweitung des Durchmessers, H-Brücken im inneren Rand der Helix zu einer stärkeren Einschnürung. Die Wasserstoffbrücken in Verbindung mit den π-Stapelwechselwirkungen in einer aus Quinolin-Aminosäuren aufgebauten Helix sind zum Teil so stark stabilisierend, dass die in Abbildung 2–15 dargestellte helikale Struktur in DMSO sogar bei einer Temperatur von 120 °C erhalten bleibt.[78,79]
Mit einem relativ geringen synthetischen Aufwand lassen sich lange helikale Stränge darstellen, in denen die Helix nur wenige Einheiten pro Windung besitzt. Helices mit einem großen hohlen Innenraum können aufgrund der zylindrischen Kanalform beispielsweise als Transporter, Katalysator oder Erkennungssystem Verwendung finden.[54,55] Die Kondensation von 2,6-Diaminopyridin mit 2,6-Pyridindicarbonsäure führt zu der Bildung eines helikalen Oligoamids, das über einen polaren Innenraum verfügt, in dem Gastmoleküle wie Wasser beherbergt werden können, veranschaulicht anhand der Kristallstruktur in Abbildung 2–16.[80]
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Der Begriff der Klick-Reaktion wurde 2001 von Kolb, Finn und Sharpless eingeführt und bezeichnet eine Klasse von Reaktionen, die leistungsfähig, verlässlich und selektiv ablaufen. Mit ihrer Hilfe sollen auf effiziente Art und Weise neuartige, nützliche Verbindungen sowie kombinatorische Bibliotheken dargestellt werden können.[81,82] Eine Reaktion fällt unter die Definition einer Klick-Reaktion, wenn sie modular und breit anwendbar ist, die Zielverbindung ohne störende Nebenproduktbildung in sehr hohen Ausbeuten liefert und eine Aufreinigung einfach durch nicht-chromatographische Verfahren wie Umkristallisieren oder Destillieren erfolgen kann. Weiterhin sollen Klick-Reaktionen unter einfachen Bedingungen durchführbar sein, Wasser- und idealerweise Sauerstoff-unempfindlich sein und das stereospezifisch erhaltene Produkt sollte unter physiologischen Bedingungen stabil sein. Die Reaktion sollte chemo- und regioselektiv ablaufen und eine Vielzahl von funktionellen Gruppen sowie Reaktionsbedingungen tolerieren. Damit viele der oben genannten Kriterien erfüllt werden können, muss eine hohe thermodynamische Triebkraft vorhanden sein, die das geradlinige Ablaufen der Reaktion selektiv zum Produkt ermöglicht. In Anlehnung an die in der Natur stattfindenden Reaktionen sind dies vor allem Kohlenstoff-Heteroatom-Verknüpfungsreaktionen wie beispielsweise:
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Cycloadditionen wie die Diels-Alder oder 1,3-dipolare Cycloaddition |
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Additionen an C-C-Mehrfachbindungen wie Epoxidierungen oder Dihydroxylierungen |
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Nucleophile Substitution, insbesondere die stereospezifische Ringöffnung von beispielsweise Epoxidringen oder Aziridinen |
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Die Bildung von Harnstoffen, Thioharnstoffen, aromatischen Heterocyclen |
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Bereits in den 60er Jahren wurde die 1,3-dipolare Cycloaddition diverser 1,3-Dipole mit zahlreichen Dienophilen für die Darstellung einer Vielzahl von 5-gliedrigen Heterocyclen im Detail von Huisgen und Mitarbeitern untersucht und beschrieben.[83,84] Es handelt sich hierbei um eine konzertiert ablaufende pericyclische Cycloaddition, die mit den Regeln von Woodward und Hoffmann unter Betrachtung der Grenzorbitale beschrieben werden kann.[85-87] 1963 erläuterte Huisgen den Begriff der 1,3-dipolaren Cycloaddition und führte zahlreiche verwendbare Substrate auf, die die Cycloaddition eingehen, wobei zwischen 1,3-Dipolen und Dipolarophilen unterschieden werden muss. [88] Als 1,3-Dipole wurden beispielsweise Nitrilylide, Nitriloxide, Nitroverbindungen oder Ozon verwendet, als Dipolarophile Alkine, Alkene, Carbonyle oder Nitrile eingesetzt. Der Wert der Cycloaddition liegt in der Möglichkeit der Darstellung einer Vielzahl von verschiedenen heteroaromatischen Fünfringen begründet, die eine besondere Rolle in der Naturstoffsynthese spielen.
Da organische Azide jedoch einen schwachen Dipol darstellen und die freie Aktivierungsenthalpie der unkatalysierten thermischen 1,3-dipolaren Cycloaddition recht groß ist, sind hohe Temperaturen von meist weit über 100 °C für ein erfolgreiches Ablaufen der Cycloaddition erforderlich, wobei die Größe der Aktivierungsbarriere und somit die benötigte Reaktionstemperatur von der elektronischen und sterischen Struktur der Substrate abhängt. Diese beiden letztgenannten Faktoren haben maßgebend Einfluss auf die Regioselektivität der Cycloaddition. Es zeigt sich, dass die meisten Reaktionen aufgrund der Substrateigenschaften mit geringer Regioselektivität ablaufen und (in den meisten Fällen) nur etwa 1:1-Gemische der 1,4- und 1,5-substituierten Regioisomeren liefern (Abbildung 2–17, oben). Diese beiden Charakteristika der recht harschen Reaktionsbedingungen und der mangelnden Regioselektivität stellen wesentliche Nachteile der Cycloaddition nach Huisgen dar, was eine Limitierung in der praktischen Anwendung zur Folge hat.
Abbildung 2–17: 1,3-dipolare Cycloaddition nach Huisgen; oben: unkatalysiert verläuft sie nicht-regioselektiv, unten: Cu(I)-katalysiert wird regioselektiv das 1,4-Produkt erhalten. | ||
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Die 1,3-dipolare Cycloaddition wurde im Jahre 2002 von den zwei Forschungsgruppen um Sharpless und Meldal unabhängig voneinander wiederentdeckt und zu einer Kupfer(I)-Ionen katalysierten Variante der Huisgen-Cycloaddition weiterentwickelt.[89,90] Die verwendeten Kupfer(I)-Ionen katalysieren die 1,3-dipolare Cycloaddition so wirksam, dass diese bereits bei Raumtemperatur abläuft und das Produkt in sehr guten bis quantitativen Ausbeuten liefert. Aufgrund der hohen Effizienz der Kupfer(I)-katalysierten 1,3-dipolaren Cycloaddition, da sie praktisch alle oben genannten positiven Eigenschaften der idealen Reaktion in sich vereint und zudem ausschließlich regioselektiv das 1,4-disubstituierte 1-H-1,2,3-Triazol-Produkt bildet, stellt die Kupfer(I)-katalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition, kurz CuAAC, das Paradebeispiel einer Klick-Reaktion dar. Obwohl der Begriff der Klick-Reaktion eigentlich eine Reaktionsklasse und damit mehrere Reaktionen bezeichnet, versteht man mittlerweile unter der Klick-Reaktion die Kupfer(I)-katalysierte 1,3-dipolare Cycloaddition (CuAAC).
Die Bedeutung der noch relativ jungen Klick-Reaktion wird schon anhand der stark anwachsenden Anzahl an Veröffentlichungen sowie der Übersichtsartikel, [91-109] die seit 2002 erschienen sind, reflektiert. Wird in dem Suchprogramm Sci-Finder Scholar nach dem Begriff “click reaction“ gesucht, so ergeben sich allein für das Jahr 2008 bereits 416 erschienene Einträge, während es 2002 nur sechs waren (Abbildung 2–18).
Abbildung 2–18: Die zunehmende Popularität der Klick-Reaktion spiegelt sich in der wachsenden Anzahl an Publikationen wider. | ||
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Nicht nur aufgrund der positiven Eigenschaften der Klick-Reaktion, sondern auch weil der Begriff der Klick-Reaktion gleichgesetzt wird mit hoher Effizienz, wird die CuAAC in allen Bereichen der Chemie, Materialwissenschaften, Physik, Biochemie und medizinischen Chemie genutzt. Mitunter kann man derzeit schon von einer Modereaktion reden. In Zusammenhang der Vielfalt der Bereiche in der die Klick-Reaktion Anwendung findet, sind eine enorme Anzahl an Publikationen erschienen und daher ist es unmöglich, in dieser Arbeit alle Anwendungen zu beschreiben. Vielmehr soll auf einige in Verbindung mit dieser Forschungsarbeit stehende interessante Aspekte näher eingegangen werden.
Die CuAAC läuft bei moderaten Reaktionstemperaturen sehr effektiv unter großer Toleranz gegenüber funktionellen Gruppen und Lösungsmitteln ab. Meist kann daher auf Schutzgruppen verzichtet werden, da die Klick-Reaktion sehr selektiv ist. Die besonderen Merkmale der CuAAC lassen sich mit den folgenden Punkten charakterisieren:
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durchweg 1,4-regioselektiv |
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sehr hohe bis quantitative Ausbeuten (auch in komplexen Systemen) |
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kurze Reaktionszeiten |
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einfacher Zugang zu den Startmaterialien: Organische Azide & Acetylene |
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einfache und schnelle Aufarbeitung |
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sehr milde Reaktionsbedingungen |
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Tolerierung einer Vielzahl funktioneller Gruppen ermöglicht Verzicht auf Schutzgruppen |
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Tolerierung aller gängigen Lösungsmittel, Lösungsmittelgemische und Wasser |
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günstiger und nicht-toxischer Katalysator: Kupfer(I)-Ionen |
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Anwendung in einem breiten pH-Bereich möglich |
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toleriert Anwesenheit von O2 |
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Anwendung in biologischen Systemen möglich |
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Die in der CuAAC verwendbaren Lösungsmittel erstrecken sich über eine ganze Bandbreite von unpolaren Alkanen, über chlorierte Lösungsmittel wie CH2Cl2 zu polarerem THF und stark polarem DMSO oder Wasser-Alkohol-Gemischen.[102]
Obwohl es sich bei der Klick-Reaktion um eine sehr schnell verlaufende und einfach durchzuführende Reaktion handelt, ist der genaue Ablauf der Reaktion noch nicht vollständig aufgeklärt. Finn et al. nehmen zudem an, dass sich der Reaktionsmechanismus mit den Substraten und Reaktionsbedingungen ändert.[110] Aufgrund von isolierten Intermediaten,[111] Modellreaktionen, der Bestimmung der Reaktionsordnung in Abhängigkeit von der relativen Konzentration der Reaktionspartner[110,112] sowie unterstützenden quantenmechanischen Rechnungen[113] ist der folgend beschriebene Mechanismus am wahrscheinlichsten.
Durch die Kupfer(I)-Katalyse handelt es sich nicht mehr um eine konzertiert, sondern schrittweise ablaufende Cycloaddition. Die freie Aktivierungsenergie ΔG
wird gegenüber der thermischen Huisgen-Cycloaddition erheblich verringert, was die CuAAC um bis zu zwei Größenordnungen schneller ablaufen lässt als die unkatalysierte Cycloaddition.[91,93] Die hohe Triebkraft der Reaktion bleibt erhalten, da nach wie vor die gleiche Anzahl von 2 π–Bindungen in 2 σ–Bindungen umgewandelt wird.
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Zunächst kommt es durch Wechselwirkung des Kupferkatalysators I mit den π-Elektronen der Acetylenkomponente II zu der Bildung des π -Komplexes III (Abbildung 2–19). Durch diese Wechselwirkung wird die Acetylenspezies II für die Weiterreaktion aktiviert, wobei der pKa-Wert des π-Cu-Acetylen-Komplexes um Größenordnungen bis zu 9.8 verringert wird.[114] Die Base bzw. der Aminligand IV deprotoniert den π-Komplex I I I, der in das Cu-Acetylid V übergeht.
Sehr wahrscheinlich koordiniert daraufhin nicht nur ein einzelnes Kupferatom wie früher angenommen “end on“ an das Acetylen im Komplex V, sondern vielmehr ein Kupfercluster[115] bestehend aus 3 Kupferatomen mit stabilisierenden Liganden. Wenigstens aber sind zwei Kupferspezies in die CuAAC involviert wie die Reaktionskinetik zweiter Ordnung zeigt.[112] Für das Vorliegen von Kupferclustern in Lösung, in den Intermediaten sowie in den Übergangszuständen sprechen diverse in der Literatur beschriebene Kristallstrukturen von Kupfer(I)-Verbindungen.[91,116] So liegt beispielsweise bereits katalytisch zugesetztes Kupfer(I)iodid in Acetonitril-Lösung als ein solvatisierter Kupfercluster vor.[91]
Abbildung 2–19: Der postulierte Mechanismus der CuAAC basierend auf isolierten Intermediaten, kinetischen Untersuchungen sowie Kristallstrukturen. | ||
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Den Liganden kommt die wichtige Rolle zu, die in Lösung vorliegenden Kupfercluster für die effektive Wechselwirkung mit dem Acetylen umzuorganisieren. In über 90% aller gefundenden Cu(I)-Alkin-Komplexe koordinieren drei Kupfer(I)atome an die Dreifachbindung des Acetylens. Durch die Wechselwirkung liegt das Acetylen nun stark polarisiert vor und kann (nach erneuter Umorganisation des Acetylenclusters) über Kupferatome des Clusters mit der Azidkomponente VI effektiv wechselwirken (VII). Mechanistische Untersuchungen[93,110,112,113] und DFT-Rechnungen[114,117] in Verbindung mit den am häufigsten gefundenen Kristallstrukturen von Kupfer(I)-Komplexen und Clustern sprechen stark für den in Abbildung 2–19 dargestellten Verlauf über einen 6-gliedrigen Übergangszustand V II I. Hierbei kommt es neben der “end-on“-Koordination des Kupferclusters ans Acetylen auch zu der Koordination an das terminale und iminartige N-Atom des Azids.[91] Dieser Übergangzustand erklärt die hohe Regioselektivität der CuAAC. Es folgt Ringkontraktion zu einem 5-gliedrigen Kupfer(I)-Triazolkomplex IX. Als Beleg für dessen Auftreten ist es Straub und Mitarbeitern gelungen, aus einer CuAAC heraus einen molekularen Kupfer(I)-triazolid-Komplex zu isolieren (Abbildung 2–20).[111]
Abbildung 2–20: Synthese und Isolierung eines Kupfer(I)-triazolid-Komplexes. | ||
Der 5-gliedrige Kupfer(I)-Triazol-Komplex IX wird unter Bildung des in Position 1,4-disubstituierten Triazolproduktes X hydrolysiert bzw. von der Base B-H+ protoniert und der Kupfercluster I wieder freigesetzt.
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Durch die Anwendung der Klick-Reaktion in immer spezielleren Bereichen, angefangen von der Biologie bis zu den Materialwissenschaften, werden und wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl von Katalysatorsystemen, die den jeweiligen Bedürfnissen entsprechen, entwickelt.[91] Da es sich bei der CuAAC um eine robuste Reaktion handelt, kann sie in allen gängigen Lösungsmittel und deren Gemischen durchgeführt werden und erlaubt somit auch die Verwendung unterschiedlicher Katalysatorsysteme. Die am häufigsten verwendete Kupferionen-Quelle stellt CuSO4 dar, das in situ mit Natrium-Ascorbat (Na Asc)[118] zu dem katalytisch aktiven Kupfer(I) reduziert wird. Auf diese Weise wird sehr reines und reaktives Cu(I) gebildet und das im Überschuss eingesetzte Na Asc agiert zudem als reaktionsbeschleunigender Ligand. Weiterhin wird in zahlreichen Veröffentlichungen als Kupfer(II)-Quelle Cu(II)-Acetat gebraucht, das durch Zusatz eines Reduktionsmittels zu Kupfer(I) reduziert wird. Als direkte Kupfer(I)-Quelle dienen CuI, CuBr, CuBr(PPh3)4 oder Cu(CH3CN)4PF6. Da sich die Kupfer(I)-Quellen in einigen organischen Lösungsmitteln (teilweise) lösen, ist die Möglichkeit gegeben, die Reaktion auch unter wasserfreien Bedingungen durchzuführen –wenn denn erforderlich. Nachteilig bei Kuper(I)-Quellen kann aber, vor allem bedingt durch die Instabilität von Kupfer(I), eine verringerte katalytische Aktivität durch Passivierung der Oberfläche (Bildung von Kupferoxiden) oder Bildung anderer Verunreinigungen sein.
Neben verschiedenen Kupfer(I)-Quellen haben sich diverse Reduktionsmittel, Liganden sowie (Amin)-Basen oder Puffersysteme etabliert.
In biologischen Systemen wird statt Na Asc oder Hydrazin[119] häufig ein Phosphor-basiertes Reduktionsmittel, das mildere Tris(2-carboxyethyl)phosphin (TCEP), verwendet (Abbildung 2–21).[120,121] Auch werden Kupferspäne zugesetzt, die mit dem Kupfer(II) zu Kupfer(I) komproportionieren.
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Abbildung 2–21: L-Ascorbinsäure und TCEP als milde Reduktionsmittel. | ||
Um die Reaktionsrate zu beschleunigen und/oder das unbeständige Kupfer(I) vor der Oxidation mit Luftsauerstoff zu schützen sowie die Disproportionierung zu elementarem Kupfer und Kupfer(II)-Ionen zu verhindern [122] (siehe Diskussion Reaktions-Mechanismus), wurden mittlerweile eine Vielzahl von Liganden entwickelt. Genannt seien die bekanntesten Liganden wie Na Asc,[93] Histidin,[123] TBTA,[124] Oligobenzimidazol-Liganden,[110,125] aminbasierte Basen wie PMDETA (Pentamethyldiethylentriamine)[119] und deren Abkömmlinge, DIPEA und (das wasserlösliche) Dinatrium-Bathophenantrolindisulfonat[126,127] (Abbildung 2–22). Eine detaillierte Übersicht über häufig verwendete Kupferquellen, Lösungsmittel, Liganden, Basen sowie der Reaktionstemperatur ist in dem Übersichtsartikel von Meldal und Tornøe zu finden.[91]
Abbildung 2–22: In der Klick-Reaktion eingesetzte reaktionsbeschleunigende Liganden. | ||
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Primär werden Liganden der Klick-Reaktion hinzugesetzt, um die Reaktionsrate zu beschleunigen. Sie unterstützen die Umorganisation der Kupfercluster und Komplexe zu reaktiven Strukturen und stabilisieren die Übergangszustände, was zu der Verringerung der Aktivierungsenergie und daher Beschleunigung der Reaktion führt. Meist handelt es sich um Aminliganden, die eine gewisse Basizität aufweisen und daher die Bildung des Kupferacetylids durch Deprotonierung des Acetylens beschleunigen. Außerdem können Liganden die Disproportionierung oder Oxidation des Kupfer(I) verhindern, indem sie über die Koordination Elektronendichte in das elektronenarme Kupfer(I)-Ion donieren und es vor äußeren Einflüssen (nicht jedoch vor der Reaktion) abschirmen.
In einer zunehmenden Anzahl von Forschungsarbeiten wird die CuAAC nicht nur wegen ihrer hohen Effizienz und der leichten Durchführbarkeit (sowie der z. Z. herrschenden großen Popularität) verwendet. Der entstehende Triazolring wird nicht mehr nur als rein verknüpfende Einheit verstanden, sondern immer häufiger werden die besonderen Eigenschaften des Triazolrings gezielt genutzt und dieser als zentrales strukturgebendes Bauelement eingesetzt.[128]
Zum einen handelt es sich bei dem 1,2,3-Triazolring um einen planaren, aromatischen Ring der gegenüber Oxidation, Reduktion und basischer und säurekatalysierter Hydrolyse äußerst inert ist.[92,95] Er ist der Amidbindung in Länge (5.1 Å vs. 3.9 Å), Planarität und Dipolmoment (5 D vs. 3 D) ähnlich und kann sowohl als Wasserstoffbrückendonor als auch Akzeptor agieren (Abbildung 2–23).[94] Daher wird die CuAAC immer häufiger bei der Darstellung von Peptidmimetika in der medizinischen Chemie eingesetzt, bei denen die Triazolverknüpfung bewusst als hydrolyse- und enzymstabile Einheit verwendet wird.[90,94,95,129,130] Dabei ergeben sich neu entwickelte (z. T. aktivere) triazolylbasierte Strukturen wie Enzyminhibitoren oder Rezeptorliganden.
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Abbildung 2–23: Der Triazolring als Amidbindungsisoster. | ||
Auch kann die CuAAC als Schlüsselreaktion gerade bei schwierigen Reaktionsschritten eingesetzt werden, die das Produkt über eine normale Amidbindungsknüpfung sonst nicht oder nur in sehr schlechten Ausbeuten liefert. Als ein beeindruckendes Beispiel sei die effektive Synthese eines makrocyclischen Tetrapeptid-Mimetikums genannt (Abbildung 2–24).[131,132] Bei dem Cyclo-[(l)-Pro-(l)-Tyr-(l)-Pro-(l)-Val] handelt es ich um einen potenten Tyrosin-Inhibitor dessen Synthese bislang unter Verwendung verschiedener Amidbindungsknüpfungs-Protokolle in vielen Versuchen fehlgeschlagen war. Mit Hilfe der CuAAC konnte das cyclische Tetrapeptid-Triazolanalogon mit einer Ausbeute von 70% erhalten werden, ohne die Bildung von dimerem Material zu beobachten.
Abbildung 2–24: Verwendung der CuAAC für die effektive Makrocyclisierung. | ||
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Die Synthese von 1,2,3-Triazolen wurde bereits 1888 von Pechmann beschrieben und auch die entsprechenden Triazol-Metallionen-Komplexe sind schon länger bekannt. Deren Darstellung und Eigenschaften werden in einem Übersichtsartikel von 1988 von Moore und Robinson geschildert.[133]
Komplexe von Triazolen und Benzotriazolen mit Übergangsmetallionen werden normalerweise durch direkte Reaktion der Metallionensalze mit der Triazolkomponente hergestellt und die Addukte kristallisieren oder fallen meist direkt aus der Reaktionslösung aus. Auch die Komplexe des Triazolat-Anions können durch Reaktion mit dem Übergangsmetallhalogenid, Carboxylat, Nitrat und Perchlorat erhalten werden. Alle drei Stickstoffatome des Triazolrings besitzen durch ihre Basizität das Potential an Metal-Ligand-Wechselwirkungen teilzunehmen, meist jedoch erfolgt die Koordination in monodentater Form über das N-3-Stickstoffatom, seltener über das N-2-Stickstoffatom. Eine Übersicht über die Triazolat-Bindungs-Modi ist in Abbildung 2–25 dargestellt, für weitere Informationen sei auf den Übersichtsartikel von Moore und Robinson verwiesen.
Abbildung 2–25: Schema der Bindungsmodi verschiedener Triazolat-Metall-Komplexe. | ||
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Durch die CuAAC sind 1,2,3-Triazole mit verschiedensten Substituenten in Position 1 und 4 leicht und effizient darstellbar. Daher erklärt sich auch neben der Stabilität des Triazolrings gegenüber stark reduzierenden oder oxidierenden Reaktionsbedingungen die neu gewonnene Bedeutung des leicht modifizierbaren 1,2,3-Triazolgerüstes in der Verwendung als Ligand.
Als erster tridentater Ligand wurde 2004 von Sharpless das TBTA beschrieben, ein Ligand der selbst über die Klick-Reaktion aufgebaut wird und breite Verwendung als reaktionsbeschleunigender Ligand in Kupfer(I)-katalysierten Cycloadditionen gefunden hat (siehe Kapitel 2.2.3 und Abbildung 2–22).[124]
Palladium und Platin-Komplexe mit monodentaten Triazolligandensystemen deren Sterik und elektronische Struktur leicht veränderbar sind, wurden von Gebbink et al. beschrieben (Abbildung 2–26, A)).[134] In Abhängigkeit von den Substituenten zeigen die Triazolringe der Ligandensysteme eine veränderbare Koordinationsstärke bis hin zu der Koordinationsfähigkeit von Pyridin. Diese einstellbare Ligandenstärke in Kombination mit der Vielzahl der darstellbaren Ligandenstrukturen macht die CuAAC zu einem wertvollen Werkzeug für die Synthese von neuen Triazol-basierten Übergangsmetallkomplexen.
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Strukturell ähnliche Liganden mit nur einem Phosphinsubstituenten an dem Triazolring, werden von Maarseveen et al. beschrieben und als „Clickphine“ bezeichnet (Abbildung 2–26, B)).[135] Erste Versuche zeigen deren hohen Nutzen in Pd-katalysierten allylischen Alkylierungsreaktionen.
Eine Vielzahl von P-chirogenen Triazol-Phosphin-Liganden mit verschiedensten Substituenten am Phosphoratom oder Triazolring wurden von Kann und Mitarbeitern dargestellt (Abbildung 2–26, C)).[136] Ihr Potential in der asymmetrischen Katalyse wird zur Zeit getestet. Chirale Phosphin-Triazol-Gerüste mit diversen Substituenten, so genannte „ChiraClick“-Liganden, konnten in hohen Ausbeuten dargestellt werden und könnten in Palladium-katalysierten asymmetrischen Michael-Additionen Verwendung finden.[136] Erste Tests in der asymmetrischen Michael-Addition unter Verwendung von chiralen Organokatalysatoren mit Pyrrolidin-Triazol-Ligandengerüst zeigen hohe Ausbeuten bei exzellenter Stereoselektivität (Abbildung 2–26, D)).[137]
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Ein beeindruckendes Beispiel der Verwendung der Klick-Reaktion um tridentate Pincer Liganden äußerst effizient darzustellen, wird von Gandelman und Mitarbeitern beschrieben (Abbildung 2–27).[138,139] Innerhalb der Pincer-Ligandenstruktur spielt der Triazolring eine zentrale Rolle, indem er über das C-5-Kohlenstoffatom an ein Pd-Atom koordiniert. Die unter basischen Bedingungen geformten Komplexe stellen einige der potentesten Katalysatoren für die Heck-Reaktion dar und sind zudem luftstabil.
Abbildung 2–27: Schema der Darstellung von CuAAC-basierten Pincer-Liganden sowie Kristallstruktur eines Pd-Komplexes (H-Atome nicht dargestellt).[138,139] | ||
1,3-Butadiin kann mit verschiedenen Aziden effektiv zu bidentaten Bis-1,2,3-triazolbasierten Liganden umgesetzt werden, bei denen zwei Triazolringe in der 4,4´-Position direkt miteinander verknüpft sind. Mit Ruthenium(II) oder Rhenium(I) bilden diese Metallkomplexe aus, wovon in Abbildung 2–28 exemplarisch ein 1:3 –Ruthenium(II)-Komplex und ein 1:1-Rhenium(I )-Komplex abgebildet sind.[140,141] Kohlenmonoxid und ein Chloridion sättigen die Koordinationsphäre des Re(I) als weitere Liganden ab.
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Abbildung 2–28: Kristallstrukturen von Komplexen mit bidentaten 4,4´-Bi-1,2,3-Triazol-Liganden. [140,141] | ||
Triazolbasierte Monophosphinliganden die mit Palladium(0) äußerst potente Katalysatorkomplexe für die Suzuki-Miyaura-Kupplung und Aminierungsreaktionen von Arylchloriden bilden, wurden in einer Cycloaddition von Bromomagnesiumacetylenen und Arylaziden erhalten (Abbildung 2–29).[142] Die gebildeten 1,5-disubstituierten 4-Halomagnesiumtriazole[143] wurden von Chlorphosphin abgefangen und setzten die 1,4,5-trisubstituierten Triazolliganden frei. Diese Reaktion erfüllt zwar nicht die Kriterien einer Klick-Reaktion, jedoch zeigen die gewonnenen Triazol-Liganden bzw. deren Palladiumkomplexe eine äußerst hohe Aktivität in Kreuzkupplungsreaktionen mit diversen Substraten und den Nutzen des Triazolrings als koordinierendes Element.
Abbildung 2–29: Darstellung von 1,4,5-trisubstituierten Triazolen ausgehend von Bromomagnesiumacetylenen. | ||
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Albrecht und Mitarbeiter nutzen die Klick-Reaktion um Triazolringe mit verschiedensten Substituenten zu generieren und diese mit Methyliodid regioselektiv in das entsprechende Triazoliumsalz zu überführen (Abbildung 2–30). Die C-H-Bindung des Triazolrings konnte direkt mit Pd(OAc)2 unter Bildung des dargestellten binuklearen Triazol-Carbenkomplexes metalliert werden.[144] Mit anderen Übergangsmetallionen wie Ru(II), Rh(I) und Ir(I) konnten mononukleare 1,3,4-trisubstituierte 1,2,3-Triazoliumkomplexe durch Ummetallierung erhalten werden. Der Ansatz der Darstellung der NHC-Komplexe ist von besonderem Interesse für die Anwendung in der Katalyse bedingt durch die Möglichkeit, diverse Triazolsubstrate einzusetzen und potentiell mit diversen Übergangsmetallionen zu katalytisch aktiven NHC-Komplexen umsetzen zu können.
Abbildung 2–30: Synthese von triazol-basierten Carbenen und Kristallstruktur eines binuklearen Triazolyliden-Palladium-Komplexes.[144] | ||
In bifunktionalen chiralen Liganden stellt zum einen der Triazolring den integralen Bestandteil des metallchelatisierenden Systems dar, zum anderen können diese Ligandensysteme leicht unter Verwendung der Klick-Reaktion über den Triazolring in (Bio)moleküle integriert werden (Abbildung 2–31). Das Ligandengerüst besteht aus Triazolringen und Glycin- oder Alaninresten und bildet mit Technetium(III) und Rhenium(I) sehr stabile Komplexe die in vitro und in vivo beständig sind. Daher eignen sie sich sehr gut als radioaktive Marker von Biomolekülen.[145]
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Abbildung 2–31: Technetium und Rhenium-Komplexe für die Radiomarkierung. | ||
Aufgrund ihrer hohen Effizienz hat die Klick-Reaktion auch in den Polymer- und Materialwissenschaften Einzug gehalten und sich dort als ein wichtiges Synthesewerkzeug bewiesen (ausgewählte Übersichtsartikel[91,92,96-109]). 2004 wurde zum ersten Mal die Verwendung der Klick-Reaktion für die effiziente Synthese von Dendrimeren bis zur vierten Generation beschrieben.[146] In einem konvergenten Wachstum konnten Hawker, Fr é chet, Sharpless, Fokin und Mitarbeiter Dendrimere verschiedener Generationen in exzellenten Ausbeuten und hoher Reinheit durch einfache Aufarbeitungsschritte wie Extraktion oder Ausfällen erhalten, ohne eine Kupplungskomponente im Überschuss einsetzen zu müssen (Abbildung 2–32).
Abbildung 2–32: Unter Verwendung der CuAAC wird das Dendrimer der 3. Generation im letzten Kupplungsschritt in 92% Ausbeute erhalten. | ||
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Beeindruckend bei diesem Ansatz ist die Möglichkeit der Wahl einer ganzen Reihe von B3-Kern-, AB2-Monomer- sowie Endketten-Bausteinen nach einem Baukastenprinzip, welches den Zugang zu einer großen Vielfalt an strukturell verschiedenartigen Dendrimeren eröffnet (Abbildung 2–33).
Nachdem der große Nutzen der Klick-Reaktion für den Aufbau von dendrimeren Strukturen gezeigt worden war, wurde die CuAAC zunehmend auch für die Synthese von anderen makromolekularen Strukturen verwendet.
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Ghadiri und Mitarbeiter generierten Peptid-analoge Oligomerstrukturen anhand derer sie zeigten, dass Triazolringe sehr gute Amidbindungs-Mimetika darstellen. Es wurden Makrocyclen mit Triazolringen im Rückgrat generiert, die sich zu offenen, hohlen Nanoröhren selbstorganisieren (Abbildung 2–34 a), b)).4 [147] Strukturelle Details konnten mit Hilfe einer Kristallstruktur ermittelt werden. Außerdem konnten in α–helikal faltenden Peptidsträngen Amidbindungen gegen Triazolbindungen ausgetauscht werden, ohne die helikale Konformation zu destabilisieren.[148] Die Röntgenkristallstrukturuntersuchung zeigt eine Aufweitung des Innendurchmessers der α-Helix um 1.8 Å. Im Kristall sind vier α-Helices zu einem Bündel angeordnet in denen Wasserstoffbrücken die Strukturen inter- und intramolekular stabilisieren (Abbildung 2–34 c), d)). An diesen Wasserstoffbrückenbindungen partizipieren auch die Triazole wie Abbildung 2–34 d) zeigt.
Die Synthese von oligomeren Peptidmimetika, bei denen anstelle von Amidbindungen Triazolverknüpfungen vorliegen, sind 2005 von Angelo und Mitarbeitern beschrieben worden.[149] Aufgrund der Triazolverknüpfungen besitzen sie wahrscheinlich eine höhere Resistenz gegenüber enzymatischer Spaltung und daher eine erhöhte Stabilität in vivo. Die Dipolmomente der Triazolringe richten sich in entgegengesetzter Orientierung zueinander aus, was eine Zick-Zack-Anordnung der Triazole zur Folge hat. Die Sekundärstruktur ähnelt einem β-Faltblatt wie mit Hilfe von NMR-Untersuchungen nachgewiesen wurde.
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Abbildung 2–35: Peptidmimetika aufgebaut über Triazolverknüpfungen. Die Dipolwechselwirkungen der Triazole resultieren in einer Zick-Zack-Struktur.[149] | ||
Die Klick-Reaktion hat sich mittlerweile als komplementäre Methode zu den meisten der modernen präparativen Polymerisationstechniken erwiesen, wie beispielsweise kationische und anionische ringöffnende Polymerisationen (ROP), ringöffnende Metathesepolymerisation (ROMP), und kontrollierte radikalische Polymerisationen wie Reversible-Addition-Fragmentation-Chain-Transfer-Polymerisation (RAFT-Polymerisation) und Atomtransferpolymerisation (ATRP).[98] Gerade aber die Kombination der CuAAC mit den bereits bekannten Polymerisationstechniken ermöglicht die Darstellung zahlreicher neuartiger polymerer Architekturen mit zum Teil beeindruckenden Eigenschaften. Insbesondere die Kombination der CuAAC mit der ATRP wird sehr häufig verwendet und eröffnet den effektiven Zugang zu einer Vielzahl neuer Polymere mit maßgeschneiderten Eigenschaften (Abbildung 2–36). Durch die Kombinationen von etablierten Polymerisationstechniken mit der Klick-Reaktion sind dendronisierte Polymere effizient darstellbar, aber auch nichtlineare Polymere wie Makrocyclen, sternförmige Polymere, Blockcopolymere, Propfcopolymere oder Polymernetzwerke. Die CuAAC läuft häufig so effektiv ab, dass die Seitenkettenfunktionalisierung von Polymersträngen quantitativ erfolgt.
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Grundsätzlich kann man zwei Arten der Darstellung von neuartigen makromolekularen Materialien unterscheiden: die eben angesprochene Modifizierung –also Postfunktionalisierung bereits bestehender makromolekularer Strukturen– und die Nutzung der Klick-Reaktion als eigentliche Polymerisationsreaktion von geeigneten Monomerbausteinen. Da das Thema dieser Dissertation die Nutzung der CuAAC zum Aufbau linearer Foldamerstränge ist, soll folgend nur auf die Beispiele eingegangen werden, bei denen die Poly-CuAAC direkt als Polymerisationsreaktion für die Darstellung von linearen Polymerstrukturen ausgehend von Azid- und Alkin-funktionalisierten Monomeren verwendet wurde.
Lineare oligomere und polymere Strukturen können über die AB-Polymerisation (A), Abbildung 2–37), die A2B2-Polymerisation (B), oder iterativ über abwechselnd CuAAC, Endgruppenaustausch und weitere CuAAC dargestellt werden (C). Polymernetzwerke ergeben sich durch Verwendung von polyvalenten Azid- und Acetylenbausteinen (D).
Abbildung 2–37: Schema der Darstellungsmöglichkeiten von linearen Polymeren (A-C) und Polymernetzwerken (D). | ||
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Finn und Mitarbeiter verwendeten 2004 zum ersten Mal die Klick-Reaktion als Polymerisationsreaktion für die Darstellung von linearen Polymeren.[150] Eine A2B2-Polymerisation der bifunktionalen Azid- und Acetylenbausteine lieferte lineare, jedoch schwer lösliche Polymerstränge (Abbildung 2–38).
Abbildung 2–38: A2B2-Polymerisation für die Darstellung linearer Polymerstränge. | ||
Mit den entsprechenden Polyaziden und Polyacetylenen wurden in A3B3-Polymerisationen Polymernetzwerke erhalten, die eine bemerkenswerte Adhäsion an Metalloberflächen aufweisen (Abbildung 2–39). Kupferplatten konnten über die polymere Netzstruktur miteinander verklebt werden, wobei die Adhäsionskraft vergleichbar mit der von Industrieklebern ist (Abbildung 2–39, 1, 2). Das Polymernetzwerk ist aufgebaut aus kovalent verbrückenden Triazolringen und koordinativ kreuzverlinkenden Kupferionen, die auch die starke Wechselwirkung mit der Metalloberfläche bewirken.
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Reek, Maarseveen und Mitarbeiter verwendeten die CuAAC, um lineare fluoreszierende Polymere auf Fluorenbasis mit heteroaromatischem Rückgrat darzustellen.[151] Dabei stellte sich die CuAAC als äußerst robuste Reaktion heraus, die auch nach 170 h noch Aktivität zeigte, dessen Reaktionsergebnis aber empfindlich von den Reaktionsbedingungen abhing. UV-vis, Fluoreszenz und Cyclovoltametrie deuten auf einen eher schwach konjugierten Charakter des Polymerrückgrats hin.
Abbildung 2–40: A2B2-CuAAC-Polymerisation für die Darstellung von linearen Polymeren. | ||
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Bunz und Mitarbeiter verwendeten diese Triazolverknüpften Fluoren- und Biphenyl-basierten Polymere, um kleine lithographische Markierungen (Quadrate von 1 μm Abmessung) auf Oberflächen zu generieren.[152] Dabei wurde mit einer erhitzten AFM-Spitze die Polymerisationsreaktion in einem organischen Film bestehend aus Diaziden und Di(ethynyl)enen thermisch (nicht Cu-katalytisch) induziert und dadurch (potentiell konjugierte) Polymere lokal sehr präzise „positioniert“.
Qing und Mitarbeiter generierten Polymere, die Perfluorcyclobutylgruppen im Polymerstrang besitzen.[153] Diese Polymere weisen aufgrund der verschieden langen Polyethylenoxidstränge eine gute Löslichkeit bei gleichzeitig hoher thermischer Stabilität auf (TGA: Zersetzung oberhalb 400 °C).
Abbildung 2–41: Gut lösliches, thermisch stabiles Polymer mit Perfluorcyclobutyl- und PEG-Bausteinen im Polymerrückgrat. | ||
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Ein bemerkenswertes Beispiel der Verwendung der Klick-Reaktion, um in einer AB-Polymerisation optisch aktive Polymere mit einem Poly-(triazol-phenyl)-Rückgrat darzustellen, wurde von Yashima und Mitarbeitern beschrieben.[154] Ausgehend von ein und demselben Monomerbaustein kann durch Wahl des Katalysators entweder eine Poly-CuAAC zu Poly-(1,4-triazol-alt-m-phenylen)en initiiert oder bei Verwendung eines Rhodium-Katalysators eine Kettenpolymerisation der Acetyleneinheiten zu Poly(phenylacetylen)en initiiert werden. Da letztere Polymere am Polymerrückgrat Azidfunktionalitäten aufweisen, können sie mit der CuAAC mit verschiedenen optisch aktiven Acetylenbausteinen nachträglich funktionalisiert werden. Die Wahl des Acetylenbausteins bezüglich Chiralität oder Polarität erlaubt dabei interessante Einblicke in die Auswirkungen auf die helikale Faltung sowie die Helixhändigkeit.
Abbildung 2–42: Das Monomer kann wahlweise über die Poly-CuAAC oder die Rhodium-katalysierte Kettenpolymerisation zu zwei unterschiedlichen Polymeren umgesetzt werden. | ||
Die Klick-Polymerisation wurde bei 130 °C unter Mikrowellenbestrahlung in Gegenwart von CuSO4 und Natriumascorbat durchgeführt. Das isolierte Klick-Polymer zeigt ein helikales Faltungsverhalten, das stark von der Art des Lösungsmittels abhängig ist.
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Während der Durchführung und Publikation von Teilen der hier folgend vorgestellten Forschungsarbeiten erschienen zeitgleich in ihrem Inhalt nahe stehende Veröffentlichungen von zwei Forschungsgruppen. Es sind thematisch durchaus parallele Aspekte in diesen Arbeiten zu erkennen, jedoch auch (wesentliche) Unterschiede zu den hier folgend vorgestellten Ergebnissen.
Jahr |
Gruppe |
Titel |
2007 |
Flood [155] |
Can terdentate 2,6-bis/(1,2,3-triazol-4-yl)pyridines form stable coordination compounds? |
2008 |
Flood [156] |
Pure C-H Hydrogen Bonding to Chloride Ions: |
2008 |
Craig [33] |
1,2,3-Triazole CH···Cl- Contacts Guide Anion Binding and Concomitant Folding in 1,4-Diaryl Triazole Oligomers |
2008 |
Flood [157] |
Strong, Size-Selective, and Electronically Tunable C-H···Halide Binding with Steric Control over Aggregation from Synthetically Modular, Shape-Persistent [3 4 ]Triazolophanes |
2008 |
Flood [158] |
Dipole-Promoted and Size-Dependent Cooperativity between Pyridyl-Containing Triazophanes and Halides to Persistent Sandwich Complexes with Iodide |
Li et al. synthetisierten in hohen Ausbeuten pyridinzentrierte 2,6-Bis(1,2,3-triazol-4-yl)pyridin-Liganden, die an den Triazolringen Alkylketten tragen.[155] Mit Fe(II), Ru(II) sowie Eu(III)-Ionen konnten Übergangsmetallkomplexe und einige Kristallstrukturen erhalten werden (Abbildung 2–43, a)). Die Charakterisierung der Komplexe erfolgte mit UV/vis-Spektroskopie und Cyclovoltametrie sowie die Vermessung der Kristalle mit der Röntgenkristallstrukturanalyse. Im Gegensatz zu den in dieser Arbeit vorgestellten unterschiedlich substituierten und anspruchsvollen BTP-Strukturen besitzen die von Li et al. vorgestellten BTP-Liganden Alkylketten an den Triazolringen und keine Substituenten an dem zentralen Pyridinring, so dass eine weitere Modifizierung nicht möglich ist. Zudem ist dieses BTP-Design auf die Konstruktion von einfachen BTP-Liganden beschränkt. Im Gegensatz dazu konnte in dieser Arbeit bereits während der BTP-Ligandensynthese und Vermessung veranschaulicht werden, dass BTP-Strukturen mit verschiedensten Substituenten effizient darstellbar und weiter modifizierbar sind. Außerdem wird im Folgenden gezeigt, dass BTP-Gerüste aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften für den (sequentiellen) Aufbau von helikal gefalteten oligomeren und polymeren Strängen genutzt werden können.
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Auf den Ergebnissen der BTP-Strukturen aufbauend generierten Flood und Mitarbeiter unter Verwendung der Klick-Reaktion Makrocyclen mit einem alternierenden Phenyl-Triazol-Rückgrat.[156] Mit Hilfe von UV/vis- und NMR-Untersuchungen konnte eine hohe Affinität der Macrocyclen zu Chloridionen festgestellt werden. Es zeigte sich, dass die polarisiert vorliegenden Triazol-Protonen der Makrocyclen gut mit den Chloridionen unter Ausbildung von C-H…X – Wasserstoffbrückenbindungen wechselwirken (Abbildung 2–43; b)). Weiterhin wurden in die Macrocyclen auch Pyridinringe[158] integriert sowie die elektronischen Eigenschaften der Substituenten[157] verändert. Es zeigte sich, dass neben den Triazol-C-H auch die Phenyl-C-H-Gruppen (wenn auch begrenzt) mit zugesetzten Halogenidionen wechselwirken. Die Makrocyclen zeigen eine selektiv höhere Wechselwirkung mit Br – und Cl – -Ionen, da diese sehr gut in den Hohlraum der Makrocyclen passen, währenddessen die I –-Ionen zu groß und die F –-Ionen zu klein sind für eine effektive Wechselwirkung. Die Interaction eines offenkettigen Oligomers mit Bromidionen ist zwar kleiner als die des entsprechenden Makrocyclus, jedoch führt sie zu einer Anionen-induzierten helikalen Faltung. Die hohe Affinität der Macrocyclen zu Chloridionen könnte von großem Interesse für die Darstellung von Anionenrezeptoren sein.
Craig und Mitarbeiter konnten bei verschiedenen Molekülen mit Phenyl-Triazol-Gerüsten deren Affinität zu Chloridionen durch die Ausbildung von C-H…X – Wasserstoffbrückenbindungen in Lösung mit 2D-NOESY-NMR-Spektroskopie und im kristallinen Festkörper mit Röntgenkristallstrukturanalyse nachweisen.[33] Sie nutzten die Wechselwirkung der Triazol-Protonen zu den Chloridionen, um kurze Phenyl-alt-Triazol-Oligomerenstränge mit Hilfe von Anionengästen in eine helikale Konformation zu falten (Abbildung 2–42; c)). Der wesentlichste Unterschied zu unseren Systemen ist neben der wesentlich kürzeren Kettenlänge die Abwesenheit von Pyridin- oder anderen Heteroaromatenringen, die in Kombination mit den Triazolen die Präorganisation von Strangsegmenten in eine stabile helikale Konformation bewirken können.
1 Wenngleich Moore die Helicene nicht zu den Foldameren zählt,[9] werden sie in der Literatur trotzdem häufig als Foldamere bezeichnet und sollen hier genannt werden.
2 Vorrausgesetzt es liegt eine dynamisch helikale Struktur vor, die eine Umorganisation der Helix zulässt.
4 Der Ringschluss erfolgte allerdings nicht mit Hilfe der Klick-Reaktion sondern über Amidbindungbildung mit HOAT und PyBOP.
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