Juristische Rundschau; 2015(2): 81–91 Entscheidung | Straf- und Strafprozessrecht EGMR: Unzulässige Tatprovokation muss entgegen der seitherigen deutschen Rechtsprechung zu einem Verwertungsverbot führen EGMR, Urteil vom 23. 10. 2014 – 54648/09 (Furcht gegen Deutschland) DOI 10.1515/juru-2015-0007 EMRK Art 6 Abs. 1 Liegt ein objektiv begründeter Verdacht gegen den Betroffenen nicht vor oder ist dieser zur Begehung von Straftaten nicht geneigt, ist eine staatlich veranlasste Tatprovokation unzulässig und führt zu einem Beweis- verwertungsverbot für durch die Provokation erlangte Erkenntnisse. Die von der deutschen Rechtsprechung (vgl. insbesondere BGHSt 45, 321; BGH Urteil vom 11. 12. 2013 – 5 StR 240/13-) für solche Fälle vertretene Strafzumessungslösung genügt nicht als Ausgleich für den Verstoß gegen ein faires Verfahren. EGMR, Urteil vom 23. 10. 2014 – 54648/09 (Furcht gegen Deutschland) 82 Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   Zum Sachverhalt 5 Der Beschwerdeführer (Bf.) ist im Jahre 1961 geboren. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung war er im Gefängnis in Hagen inhaftiert. Am 12. Juli 2011 wurde er entlassen. A. Das Ermittlungsverfahren 6 Am 18. Oktober 2007 ordnete das Amtsgericht Aachen Ermittlungen gegen S. und fünf weitere Personen (der Bf. war nicht unter ihnen) durch bis zu fünf verdeckte Ermittler gemäß §§ 110 a Abs. 1 Nr. 1, 110 b Abs. 2 Nr. 1 StPO an. Im Vorfeld war gegen die sechs Verdächtigen ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Drogenhandel eröffnet worden. Vor dem Gerichtsbeschluss war der Verdacht der Ermittler insbesondere durch Informationen, die durch Telefonüberwachung und Observierungen erlangt worden waren, bestätigt worden. 7 Die Ermittlungsbehörden beschlossen, zu versuchen, den Kontakt der verdeckten Ermittler zu S. durch den Bf., der ein guter Freund und Geschäftspartner im Bereich von Immobiliengeschäften des S. war, herzustellen. Der nicht vorbestrafte Bf. stand dabei zu keinem Zeitpunkt unter dem Verdacht an den Drogengeschäften beteiligt zu sein. 8 Ab dem 16. November 2007 stellten zwei verdeckte Ermittler, P. und D., Kontakt zu dem Bf. her. Sie besuchten ihn regelmäßig in dem Restaurant, das er führte und gaben vor, Interesse an dem Kauf einer Immobilie zum Betrieb eines Clubs zu haben. In den folgenden Wochen machte der Bf. den beiden verschiedene Angebote zum Kauf von Immobilien und besuchte diese gemeinsam mit ihnen. 9 Der Bf. vermittelte in der Folge Kontakt zwischen den beiden verdeckten Ermittlern und S. zum Zweck eines internationalen Zigarettenschmuggels, nachdem einer der verdeckten Ermittler vorgab, einen passenden LKW für den Transport der Zigaretten ins Ausland zu besitzen. S. lehnte jedoch ab, mit dem verdeckten Ermittler P. direkt per Telefon zu kommunizieren und schlug vor, über den Bf. Kontakt zu halten. Als der verdeckte Ermittler D. dem Bf. am 23. Januar 2008 mitteilte, dass er das Risiko beim Zigarettenschmuggel erwischt zu werden im Verhältnis zum möglichen Gewinn als zu hoch erachte, teilte ihm der Bf. mit, dass sie (er, S. und die anderen) auch mit Kokain und Amphetaminen handeln würden. Er äußerte, dass er nicht direkt an dem Handel beteiligt sei, sondern lediglich eine Kommission erhalten wolle. Der verdeckte Ermittler äußerte Interesse daran, Drogen einzuführen und zu erwerben.     10 Nachdem er von dem verdeckten Ermittler P. telefonisch kontaktiert worden war, erklärt der Bf. jedoch am 1. Februar 2008, dass er nun kein Interesse mehr an Geschäften außer der Leitung seines Restaurants habe. 11 Am 7. Februar 2008 erweiterte das Amtsgericht Aachen aufgrund der Äußerungen des Bf. am 23. Januar 2008 gegenüber dem verdeckten Ermittler D. den Gerichtsbeschluss vom 18. Oktober 2007, so dass nunmehr auch der Bf. in die verdeckten Ermittlungen miteinbezogen wurde. 12 Am 8. Februar 2008 besuchte der verdeckte Ermittler P. den Bf. in seinem Restaurant und zerstreute den Argwohn des Bf. gegenüber den verdeckten Ermittlern und seine Angst davor, ins Gefängnis zu müssen für den Fall, dass das Drogengeschäft entdeckt würde. Daraufhin setzte der Bf. seine Vorbereitungen hinsichtlich der zwei geplanten Drogenverkäufe von S. an die verdeckten Ermittler (von Kokain und Amphetaminen) am 16. Februar 2008 (10 Kilo Amphetamine Paste und 40 Gramm Kokain) und am 12. März 2008 (ungefähr 250 Kilo Amphetamine Paste) fort. Bei der zweiten Übergabe der Drogen an die verdeckten Ermittler wurden der Bf. und S. verhaftet. Der Bf. hätte für die Vermittlung des zweiten Kaufs zwischen S. und den verdeckten Ermittlern eine Kommission von 50.000 € von S. erhalten sollen.   B. Das Verfahren vor dem Landgericht Aachen 13 Am 22. Oktober 2008 verurteilte das Landgericht Aachen den Bf. wegen Drogenhandels in zwei Fällen und verurteilte ihn zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. 14 Das Landgericht, das den Sachverhalt wie oben beschrieben feststellte (siehe Paragraphen 6–12), stellte fest, dass der Bf. in der Verhandlung geständig gewesen war. Es hatte zudem die schriftlichen Berichte der verdeckten Ermittler D. und P., die sie während der verdeckten Ermittlungen erstellt hatten, mit Zustimmung der Verfahrensbeteiligten verlesen. Es stellte fest, dass der Bf. anerkannt habe, dass die Berichte im Wesentlichen korrekt seien. Es entschied, dass der Vorwurf des Bf., dass nicht er, sondern der verdeckte Ermittler D. am 23. Januar 2008 als erster die Möglichkeit eines Drogengeschäft angesprochen habe und dass er nur auf das Angebot eingegangen sei, nicht bewiesen worden war. Es stellte vor diesem Hintergrund fest, dass die verdeckten Ermittler während der Ermittlungen vorsichtig gewesen waren und darauf geachtet hatten, dass sie nicht als erstes konkrete illegale Geschäfte und bestimmte Mengen an Drogen vorschlugen, sondern ab- Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   warteten, dass ihr Gegenüber den ersten Schritt machen würde, bevor sie selbst konkreter wurden. 15 Bei der Strafzumessung beurteilte das Landgericht die große Menge der gehandelten Drogen als strafschärfenden Faktor. Es führte jedoch auch erhebliche Gründe für eine Strafmilderung an, so dass die Strafe vergleichsweise milde im Hinblick auf die Drogenmenge ausfiel. Der Bf. hatte im Wesentlichen gestanden und war nicht vorbestraft. Er hatte zudem hauptsächlich Amphetamine gehandelt, die keine harten Drogen darstellen. Im Hinblick auf die Beteiligung der verdeckten Ermittler habe keine Gefahr bestanden, dass die Drogen tatsächlich auf den freien Markt gelangen würden. 16 Das Landgericht Aachen stellt zudem fest, dass es ein erheblicher Strafmilderungsgrund gewesen sei, dass der Bf. von staatlichen Ermittlungsbehörden zur Begehung der Straftaten verleitet worden war. Vor den verdeckten Ermittlungen hatte kein Verdacht wegen Beteiligung an Drogenhandel gegen den nicht vorbestraften Bf. bestanden. Der Polizei war er allein wegen seiner Freundschaft zu S., der selbst unter Verdacht des Drogenhandels stand, bekannt gewesen und aufgrund der Tatsache, dass er gemeinsam mit S. Immobilienverkäufe vermittelt hatte. Das Landgericht befand trotzdem, dass der Bf. nicht angestiftet worden war, die Straftaten zu begehen. Die verdeckten Ermittler hätten gewartet, bis er die Möglichkeit ansprach, einen internationalen Zigarettenschmuggel zu vermitteln, nachdem die Vermittlung von Immobiliengeschäften nicht erfolgreich gewesen war. Die verdeckten Ermittler hätten zudem gewartet, dass der Bf. die Möglichkeit von Drogengeschäften ansprach, nachdem sie ihm zu verstehen gegeben hatten, dass sie die Gefahr beim Zigarettenschmuggel erwischt zu werden für zu groß im Vergleich zum möglichen Gewinn hielten. 17 Zudem betonte das Landgericht, dass der Bf. jedoch am 1. Februar 2008 jegliche weitere Beteiligung an Drogengeschäften abgelehnt hatte aufgrund seiner Angst vor Bestrafung. Dennoch hatten die verdeckten Ermittler ihn erneut am 8. Februar 2008 kontaktiert und seine Zweifel zerstreut, nachdem der Gerichtsbeschluss, der die verdeckten Ermittlungen anordnete, auch auf den Bf. erweitert worden war. Das Landgerichte urteile, dass die Art und Weise, in der die verdeckten Ermittlungen durchgeführt worden waren, namentlich, indem der Kontakt mit dem Bf., einer Person, die unter keinerlei Verdacht gestanden hatte, gesucht wurde, um mit dem Verdächtigen S. in Kontakt zu treten, von Anfang an das Risiko beinhaltete, dass der Bf. mit in den Drogenhandel hingezogen werden würde. 18 Das Landgericht befand zudem, dass der Beitrag des Bf. weniger bedeutend als der Beitrag von S. gewesen sei, 83 da er lediglich den Kontakt zwischen S. und den verdeckten Ermittlern vermittelt hatte und den S. vor ihnen abgeschirmt hatte. Der Bf. habe offensichtlich keinen Kontakt zur Drogenszene außer durch S. gehabt. C. Das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof 19 Der Bf. legte in der Folge Revision gegen die landgerichtliche Entscheidung ein. Er trug insbesondere vor, dass er zu den Straftaten, wegen der er verurteilt worden war, durch die Ermittlungsbeamten angestiftet worden war. Dies stelle eine Verletzung des Rechtsstaatsprinzips dar. Daher bestehe ein Verfahrenshindernis, so dass das Verfahren gegen ihn hätte eingestellt werden müssen. 20 Am 8. April 2009 wies der Bundesgerichtshof die Revision des Angeklagten als unbegründet zurück. Die Entscheidung wurde dem Verteidiger des Bf. am 20. April 2009 zugestellt. D. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 21 Am 12. Mai 2009 erhob der Bf. Verfassungsbeschwerde. Hierbei stützte er sich unter anderem auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und die entsprechende Norm des Grundgesetzes und trug vor, dass er kein faires Verfahren gehabt habe. Er argumentierte, dass er die Straftaten nie begangen hätte, wenn er nicht von den verdeckten Ermittlern dazu angestiftet worden wäre. Die Verwendung der erlangten Beweismittel in dem Verfahren gegen ihn hätte daher das gesamte Verfahren unfair gemacht. 22 Mit Entscheidung vom 28. Mai 2009 lehnte das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde des Bf. gegen die Entscheidungen des Landgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Entscheidung anzunehmen (Az. 2 BvR 1029/09). Die Entscheidung wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 3. Juni 2009 zugestellt. E. Die folgenden Entwicklungen 23 Am 16. Juni 2011 ordnete das Landgericht Aachen die bedingte Entlassung des Bf. zum 12. Juli 2011 an, nachdem er zwei Drittel seiner Strafe erfüllt hatte. Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche) 84   Aus den Gründen I. Behauptete Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 EMRK 32 Der Bf. macht geltend, dass das Verfahren gegen ihn nicht fair gewesen sei, da er für Drogenstraftaten verurteilt wurde, zu denen er durch verdeckte Ermittler angestiftet worden war und hauptsächlich aufgrund der durch die Tatprovokation erlangten Beweise. (…) A. Zulässigkeit 34 Der Gerichtshof stellt fest, dass das Landgericht in dem Urteil, in dem der Bf. wegen Drogenhandels verurteilt wurde, festgestellt hatte, dass der Bf. durch die staatlichen Ermittlungsbehörden dazu verleitet worden war, die Straftaten zu begehen und daher die Strafe gemildert worden war. Daher stellt sich die Frage, ob der Bf. seine Eigenschaft als Verletzter eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK i. S. d. Art. 34 EMRK verloren hat. Nach Ansicht des Gerichtshofs muss die Angemessenheit der staatlichen Reaktion auf das umstrittene polizeiliche Handeln im Lichte des Ausmaßes der möglichen Unfairness des Verfahrens gegen den Bf. aufgrund dieses Handelns beurteilt werden. Die Frage, ob der Bf. seine Stellung als Verletzter verloren hat, soll daher im Rahmen der Begründetheit der vorgetragenen Verletzung von Art. 6 Abs. 1 untersucht werden. 35 Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet gemäß Art. 35 Abs. 3 a) EMRK ist. Er stellt fest, dass sich die Unzulässigkeit auch aus sonst keinem Grund ergibt. Sie muss daher für zulässig erklärt werden.     Judgments und Decisions 1998-IV; und Ramanauskas gegen Litauen [GK], Nr. 74420/01, § 52, ECHR 2008). 47 Der Einsatz von verdeckten Ermittlern ist zulässig, solange er klaren Regeln und Schutzmaßnahmen unterworfen ist (siehe Teixeira de Castro, §§ 35–36; und Ramanauskas, § 54). Während die Zunahme des organisierten Verbrechens es unzweifelhaft notwendig macht, dass angemessene Maßnahmen ergriffen werden, hat das Recht auf eine faire Anwendung des Rechts einen so hohen Stellenwert, dass es der Zweckmäßigkeit nicht geopfert werden darf (siehe Teixeira de Castro, § 36). Das öffentliche Interesse an der Verbrechensbekämpfung kann die Verwendung von Beweismitteln, die durch eine polizeiliche Tatprovokation erlangt worden sind, nicht rechtfertigen, da dies den Angeklagten der Gefahr aussetzen würde, ihm von Beginn an und endgültig ein faires Verfahren zu nehmen (siehe unter anderem Teixeira de Castro, §§ 35– 36; Edwards und Lewis gegen das Vereinte Königreich [GK], Nrn. 39647/98 und 40461/98, §§ 46 und 48, ECHR 2004-X; Vanyan gegen Russland, Nr. 53203/99, § 46, 15. Dezember 2005; Khudobin gegen Russland, Nr. 59696/ 00, § 133, ECHR 2006-XII (Auszüge); Ramanauskas, § 54; und Bannikova gegen Russland, Nr. 18757/06, § 34, 4. November 2010). 48 Wenn der Vorwurf einer konventionswidrigen Tatprovokation erhoben wird, versucht der Gerichtshof festzustellen, ob eine solche Provokation tatsächlich stattgefunden hat (materieller Test; siehe Bannikova, § 37). Eine Anstiftung durch die Ermittlungsbehörde liegt vor, wenn sich die beteiligten Ermittlungsbeamten nicht darauf beschränken, die kriminellen Handlungen in einer im Wesentlichen passiven Art und Weise zu untersuchen, sondern in der Form Einfluss auf den Betroffenen nehmen, dass sie zu der Begehung einer Straftat anstiften, die sonst nicht begangen worden wäre, um so die Straftat nachweisen zu können, d. h. um Beweise zu erlangen und eine Strafverfolgung in Gang zu setzen (siehe Ramanauskas, § 55 mit weiteren Nennungen; und Bannikova, § 37; vergleiche auch Pyrgiotakis gegen Griechenland, Nr. 15100/ 06, § 20, 21. Februar 2008). Der Grund für das Verbot der polizeilichen Tatprovokation liegt dabei darin, dass es Aufgabe der Ermittlungsbehörden ist, Straftaten zu verhindern und zu untersuchen, nicht zu diesen anzustiften. 49 Um eine Tatprovokation unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK von der Anwendung legitimer Methoden verdeckter Ermittlung zu unterscheiden, hat der Gerichtshof die folgenden Kriterien entwickelt. 50 Um zu beurteilen, ob die Ermittlungen »im Wesentlichen passiv« geführt worden sind, untersucht der Gerichtshof das verdeckte Ermittlungsverfahren und das Verhalten der Ermittlungsbehörde während dessen Durch  B. Begründetheit 1. Ob das Verfahren gegen den Bf. gegen Artikel 6 verstieß (…) (b) Beurteilung durch den Gerichtshof (i) Grundsätze 46 Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Zulässigkeit von Beweismitteln hauptsächlich eine Angelegenheit der Regelung durch nationale Gesetze ist und dass es grundsätzlich den nationalen Gerichten zusteht, die ihnen vorgelegten Beweise zu beurteilen. Der Gerichtshof seinerseits muss sicherstellen, dass das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Art und Weise der Beweiserlangung, fair war (siehe unter anderem Teixeira de Castro gegen Portugal, 9. Juni 1998, § 34, Reports of Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   führung. Der Gerichtshof stützt sich bei der Beurteilung darauf, ob der Betroffene bereits im Vorfeld in strafbare Handlungen involviert oder ob er geneigt war, eine strafbare Handlung zu begehen (siehe Bannikova, § 38). 51 Der Gerichtshof hat vor diesem Hintergrund insbesondere festgestellt, dass die nationalen Ermittlungsbehörden keinen guten Grund hatten, eine Person der vorherigen Involvierung in Drogengeschäfte zu verdächtigen, da diese nicht vorbestraft gewesen, im Vorfeld kein Ermittlungsverfahren gegen sie eröffnet worden war und da nichts auf eine Tatgeneigtheit des Betroffenen hingewiesen hatte, bevor er von der Polizei kontaktiert worden war (siehe Teixeira de Castro, § 38; bestätigt in Edwards und Lewis, §§ 46 und 48; Khudobin, § 129; Ramanauskas, § 56; und Bannikova, § 39; siehe auch Pyrgiotakis, § 21). Darüber hinaus kann auch Folgendes, abhängig von den Umständen des Einzelfalls, für bereits existierende strafbare Handlungen oder Absichten sprechen: der Bf. zeigt Kenntnis hinsichtlich der aktuellen Preise von Drogen und die Fähigkeit, Drogen innerhalb kürzester Zeit zu besorgen (vgl. Shannon gegen das Vereinigte Königreich (dec.), Nr. 67537/01, ECHR 2004-IV) sowie der Gewinn, den der Bf. aus dem Handel erlangen würde (siehe Khudobin, § 134; und Bannikova, § 42). 52 Um das zulässige Handeln durch einen verdeckten Ermittler von der Anstiftung zu einer Straftat abzugrenzen, untersucht der Gerichtshof zudem die Frage, ob der Bf. unter Druck gesetzt wurde, die Straftat zu begehen. Er hat festgestellt, dass im Rahmen von Drogenermittlungen die Aufgabe eines passiven Verhaltens oft im Zusammenhang mit Verhaltensweisen wie das Ergreifen der Initiative mit Hinblick auf die Kontaktaufnahme zu dem Bf., das wiederholte Erneuern des Angebots trotz ursprünglicher Ablehnung, beharrliches Auffordern, dem Anheben des Preises über den Durchschnitt oder das Appellieren an das Mitleid des Bf. durch Hinweis auf Entzugserscheinungen steht (siehe, unter anderen, Bannikova, § 47; und Veselov und andere gegen Russland, Nrn. 23200/10, 24009/07 und 556/ 10, § 92, 2. Oktober 2012). 53 Bei der Anwendung der aufgeführten Kriterien trägt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Behörde die Beweislast. Die Anklagebehörde muss beweisen, dass keine Tatprovokation stattgefunden hat, solange der Vorwurf des Angeklagten nicht vollkommen unwahrscheinlich ist. In der Praxis werden die Ermittlungsbehörden so davon abgehalten, ihre Verantwortung zu umgehen durch das Unterlassen einer offiziellen Anordnung und Überwachung von verdeckten Ermittlungen (siehe Bannikova, § 48). Der Gerichtshof betont vor diesem Hintergrund die Bedeutung eines klaren und vorhersehbaren Verfahrens für die Anordnung von Ermittlungshandlungen sowie de- 85 ren Überwachung. Es beurteilte eine richterliche Überwachung als die angemessenste Form im Fall von verdeckten Ermittlung (siehe Bannikova, §§ 49–50; vergleiche auch Edwards und Lewis, §§ 46 und 48). (ii) Anwendung der Grundsätze im vorliegenden Fall 54 Der Gerichtshof hat zu beurteilen, ob der Bf. die Drogenstraftaten, wegen der er verurteilt wurde, aufgrund einer polizeilichen Tatprovokation unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 beging (materieller Test). Dies ist zu bejahen, wenn die verdeckten Ermittler die Ermittlungen nicht in einer im Wesentlichen passiven Form durchgeführt haben, sondern einen solchen Einfluss auf ihn ausgeübt haben, dass sie ihn zu der Begehung der Drogenstraftaten angestiftet haben, die er sonst nicht begangen hätte. 55 Im Anbetracht der dargelegten und durch die Rechtsprechung des Gerichtshof entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von polizeilicher Tatprovokation und zulässigen verdeckten Ermittlungsmethoden (siehe oben Paragraphen 49–53), stellt der Gerichtshof fest, dass gegen den Bf. kein objektiver Verdacht im Hinblick auf eine Beteiligung an Drogengeschäften vorlag. Durch den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 18. Oktober 2007 waren verdeckte Ermittlungen nur hinsichtlich S. und fünf anderen Personen und nicht gegen den Bf. angeordnet worden. Der nicht vorbestrafte Bf. war durch die verdeckten Ermittler nicht wegen Verdachts der Beteiligung an Drogengeschäften kontaktiert worden, sondern nur weil er ein guter Freund von S. war und daher als Mittel zum Zweck der Kontaktaufnahme zu S. gesehen worden war. 56 Hinsichtlich des Arguments der Regierung, dass der Bf. dennoch tatgeneigt gewesen sei, da er selbst die Möglichkeit einer Drogenlieferung angesprochen, die Menge der zu liefernden Drogen vorgeschlagen, sich als Teil der Bande des S. bezeichnet habe und in der Lage gewesen sei, den Drogenverkauf durch seine Verbindung zu S. schnell durchzuführen, stellt der Gerichtshof Folgendes fest. Der entscheidende Zeitpunkt für die Frage der Tatgeneigtheit ist der Moment, in dem der Betroffene (erstmals) durch die Polizei kontaktiert wird (siehe oben Paragraph 51). Wie oben festgestellt, gingen die Ermittlungsbehörden zu Beginn der verdeckten Ermittler als sie den Bf. im November 2007 kontaktierten und zu treffen begannen nicht davon aus, dass der Bf. geneigt war, Drogen zu handeln, was sich ausdrücklich aus den Feststellungen des Landgerichts Aachen ergibt. Es ist daher unerheblich, dass im Rahmen der späteren Erweiterung des Ermittlungsbeschluss auf den Bf. das Amtsgericht von seiner Tatgeneigtheit ausging, insbesondere da der Bf. zu diesem Zeitpunkt bereits ausdrücklich erklärt hatte, nunmehr an keinem anderen Geschäft als der Leitung seines Restaurants interessiert zu sein (siehe oben Paragraph 10). Dem 86 Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche) Bf. zufolge war diese wichtige Information dem Aachener Amtsgericht durch die Anklagebehörde nicht mitgeteilt worden (siehe oben Paragraph 39). Unter diesen Umständen können die Argumente, die von der Regierung vorgetragen wurden, nicht dazu dienen, zu beweisen, dass es begründet war, davon auszugehen, dass der Bf. tatgeneigt war. 57 Der Gerichtshof untersucht zudem die Frage, ob der Bf. von den verdeckten Ermittlern unter Druck gesetzt worden war, um ihn zu der Begehung der Straftaten zu verleiten. Er stellt vor diesem Hintergrund fest, dass das Landgericht unter Verweis auf die schriftlichen Berichte der verdeckten Ermittler sowie die Einlassungen des Angeklagten festgestellt hatte, dass die Ermittler vorsichtig gewesen waren, nicht konkrete illegale Geschäfte vorzuschlagen sowie bestimmte Arten oder Mengen von Drogen, bevor nicht ihr jeweiliges Gegenüber, der Bf. oder S., den ersten Schritt gemacht hatten. Vor diesem Hintergrund ist es wie von der Regierung betont relevant, dass der Bf. die Möglichkeit eines Drogenverkaufs durch S. zu vermitteln, angesprochen hatte, wenn auch in einer Situation, die allein durch die verdeckten Ermittler geschaffen worden war zum Zweck des Abschlusses eines Drogenhandels mit S. 58 Jedoch hat der Gerichtshof anzumerken, dass der Bf. am 1. Februar 2008 gegenüber dem verdeckten Ermittler P., von dem er angerufen worden war, erklärte, dass er kein Interesse mehr an der Beteiligung an einem Drogenhandel habe. Ungeachtet dessen kontaktierte der verdeckte Ermittler den Bf. erneut am 8. Februar 2008 und überzeugte ihn, die Vermittlung des Verkaufs der Drogen durch S. weiterzuführen. Durch dieses Verhalten gegenüber dem Bf. haben die Ermittlungsbehörden deutlich ihr passives Verhalten aufgegeben und den Bf. dazu angestiftet, die Straftaten zu begehen. Trotz dieser bekannten Tatsache kontaktierten die Ermittlungsbehörden den Bf. erneut, um den Drogenkauf durchzuführen und die Strafverfolgung gegen den Bf., gegen den der Gerichtsbeschluss, der die verdeckte Ermittlung gegen ihn genehmigte, am 7. Februar 2008 erging, und gegen S., mit dem die Ermittlungsbehörde nur durch den Bf. kommunizieren konnte, durchführen zu können. 59 Im Lichte der vorherigen Feststellungen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die beschriebenen verdeckten Ermittlungen über die rein passive Ermittlung von bereits existierenden strafbaren Handlungen hinausging und eine polizeiliche Tatprovokation darstellten, wie sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs von Art. 6 EMRK erfasst ist. Zudem waren die Beweismittel, die durch die Tatprovokation erlangt worden waren, in den Verfahren gegen den Bf. verwendet worden.   2. Ob der Bf. seine Verletzteneigenschaft verlor (…) (b) Beurteilung durch den Gerichtshof (i) Grundsätze 62 Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass es vor allem Aufgabe der nationalen Behörden ist, eine Konventionsverletzung wiedergutzumachen (siehe, unter anderem Siliadin gegen Frankreich, Nr. 73316/01, § 61, ECHR 2005VII, und Scordino gegen Italien (Nr. 1) [GK], Nr. 36813/97, § 179, ECHR 2006-V). Eine dem Bf. günstige Entscheidung oder Maßnahme ist grundsätzlich nicht ausreichend, um ihm die Eigenschaft als Verletzter nach Art. 34 EMRK zu entziehen, es sei denn die nationalen Behörden haben entweder ausdrücklich oder im Wesentlichen die Verletzung der Konvention anerkannt und eine Kompensation gewährt (siehe unter anderem, Eckle gegen Deutschland, 15. Juli 1982, § 66, Serie A Nr. 51; Dalban gegen Romänien [GK], Nr. 28114/95, § 44, ECHR 1999-VI; Scordino (Nr. 1), § 180; und Gäfgen gegen Deutschland [GK], Nr. 22978/05, § 115, ECHR 2010). 63 Im Hinblick auf eine angemessene und ausreichende Kompensation zum Ausgleich einer Konventionsverletzung auf nationaler Ebene nimmt der Gerichtshof generell an, dass diese von den Umständen des Einzelfalles abhängt und insbesondere die Natur der fraglichen Konventionsverletzung bedeutend ist (siehe Gäfgen, § 116; vergleiche auch Scordino (Nr. 1), § 186). 64 In Fällen von polizeilicher Tatprovokation unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, hat der Gerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass auch das öffentliche Interesse an der Bekämpfung schwerer Straftaten wie Drogenhandel, die Verwendung von Beweismitteln, die aus einer Tatprovokation stammen, nicht rechtfertigen kann (siehe die in Paragraph 47 zitierten Entscheidungen). Damit das Verfahren fair i. S. d. Art. 6 Abs. 1 EMRK ist, dürfen alle Beweismittel, die durch die polizeiliche Tatprovokation erlangt worden sind, nicht verwendet werden oder es muss ein Verfahren mit einem vergleichbaren Ergebnis angewendet werden (siehe Lagutin und andere gegen Russland, Nrn. 6228/09, 19123/09, 19678/07, 52340/08 und 7451/09, § 117, 24. April 2014 mit weiteren Nennungen). (ii) Anwendung der Grundsätze im vorliegenden Fall 65 Bei der Beurteilung, ob die nationalen Gerichte entweder ausdrücklich oder im Wesentlichen die Verletzung des Art. 6 Absatz 1 EMRK anerkannt haben, stellt der Gerichtshof fest, dass das Landgericht Aachen in seinem Urteil, unter Berücksichtigung der Umstände der verdeckten Ermittlungen, festgestellt hat, dass der Bf. durch die staatlichen Ermittlungsbehörden zur Begehung der Straftaten verleitet, jedoch nicht angestiftet worden war. Das Land    Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   gericht begründete dies grundsätzlich mit denselben Erwägungen, aufgrund derer der Gerichtshof eine unzulässige Tatprovokation nach der Rechtsprechung des Gerichtshof zu Art. 6 angenommen hat. Das Landgericht betonte insbesondere das Fehlen eines Verdachts gegen den Bf. wegen Beteiligung an Drogengeschäften vor Beginn der verdeckten Ermittlungen gegen ihn und die Tatsache, dass die Ermittlungsbehörden trotz ihrer vorsichtigen Herangehensweise den Bf. erneut kontaktierten und seinen Argwohn und seine Angst zerstreuten, nachdem er jegliche weitere Teilnahme an Drogengeschäften abgelehnt hatte (siehe oben Paragraphen 16–18). 66 Der Gerichtshof merkt an, dass nach den Einlassungen der Regierung das Landgericht damit nicht habe anerkennen wollen, dass eine Tatprovokation im Sinne der Rechtsprechung des EGMR vorliege. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Landgericht weder ausdrücklich Bezug auf Art. 6 Abs. 1 EMRK noch auf die entsprechende Norm des Grundgesetzes oder die ständige Rechtsprechung des Bundgerichtshofs zum Thema der konventionswidrigen Tatprovokation, mit dessen Argumentation es jedoch übereinstimmte, genommen hat. Nichtdestotrotz erachtet es der Gerichtshof für zulässig die Frage, ob das Landgericht durch seine Feststellungen eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK im Wesentlichen anerkannt hat, im Hinblick auf die folgenden Erwägungen offen zu lassen. 67 Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass das Landgericht eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK anerkannt hat, muss der Gerichtshof zudem beurteilen, ob das Gericht eine ausreichende Kompensation für die Verletzung gewährt hat. Er hält fest, dass das Landgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass es einen erheblichen Strafmilderungsgrund darstellte, dass der Bf. von den staatlichen Ermittlungsbehörden zu seiner Tat verleitet worden war. 68 Bei der Entscheidung, ob eine erhebliche Strafmilderung eine ausreichende Kompensation der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 darstellt, merkt der Gerichtshof Folgendes an. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs erlaubt Art. 6 Abs. 1 die Verwendung von Beweismitteln, die durch eine Tatprovokation erlangt wurde, nicht. Damit ein Verfahren fair im Sinne der Norm ist, dürfen alle Beweismittel, die durch eine Tatprovokation erlangt wurde, nicht verwendet werden oder ein Verfahren mit einem vergleichbaren Ergebnis muss angewendet werden (siehe oben Paragraphen 47 und 64). In Anbetracht dieser Rechtsprechung muss man zu dem Ergebnis kommen, dass jede Maßnahme außer der Nichtverwertung der Beweise oder einer Maßnahme, die zu einem vergleichbaren Ergebnis führt, eine nicht ausreichende Kompensation für eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK darstellt. 87 69 Der Gerichtshof stellt fest, dass in dem vorliegenden Fall die Beweise, die durch die polizeiliche Tatprovokation erlangt worden sind, in dem Verfahren gegen den Bf. verwendet wurden und dass seine Verurteilung auf sie gestützt wurde. Überdies ist der Gerichtshof davon überzeugt, und dies nicht nur wegen der Bedeutung der Beweismittel für den Nachweis der Schuld des Bf., dass selbst eine erhebliche Strafmilderung nicht als eine Maßnahme angesehen werden kann, die zu einem vergleichbaren Ergebnis wie die Nichtverwertung der betroffenen Beweismittel führt. Daraus ergibt sich, dass der Bf. nicht ausreichend für die Verletzung von Art. 6 Abs. 1 kompensiert worden ist. 70 Der Gerichtshof fügt hinzu, dass obwohl es scheint, dass die Strafe des Bf. wegen der Tatprovokation erheblich gemildert worden ist, die genaue Höhe der Strafmilderung in dem Urteil nicht festgestellt wurde und daher auch nicht eindeutig messbar ist. 71 In Anbetracht der vorherigen Feststellungen besitzt der Bf. noch immer die Verletzteneigenschaft nach Art. 6 Abs. 1 EMRK. 3. Ergebnis 72 Demnach liegt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK vor. II. Anwendung von Artikel 41 EMRK 73 (…) A. Schaden 74 Der Bf. verlangt eine Summe von 85.525,67 € als Ausgleich für seinen Vermögensschaden. Diese Summe setzt sich aus 68.799,99 € (2.000 € im Monat) für entgangenes Einkommen aufgrund der Schließung seines Restaurant im September 2008 wegen seiner Haft bis zu seiner Entlassung am 12. Juli 2011 zusammen. Zudem macht er weitere 2.090,71 € im Monat für die Beschäftigung von zwei ihn in seinem Restaurant ersetzenden Köchen von Mai bis August 2008 geltend. (…) 75 Zudem beantragt er einen Betrag von mindestens 11.749,99 € als immateriellen Schaden. Diese Summe setzte sich aus 8.249,99 € als Ausgleich für seine Untersuchungshaft sowie seine Gefängnishaft von 3,3 Jahren (für die Berechnung nahm er Bezug auf nicht spezifizierte Entscheidungen) und mindestens 3.500 € für die Verfahrensdauer zusammen. (…) 79 Der Gerichtshof stellt zudem fest, dass der Bf. Schaden erlitten hat, da er bei seiner Verurteilung wegen Drogen              88 Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   handels kein faires Verfahren aufgrund der polizeilichen Tatprovokation gehabt hatte. Der Gerichtshof findet, dass die Feststellung einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 keine ausreichende Kompensation für den immateriellen Schaden darstellt, den der Bf. erlitten hat. Der Gerichtshof, dessen Berechnung nach billigem Ermessen erfolgt, spricht dem Bf. 8.000 € zuzüglich jeglicher Steuern, die für diesen Betrag anfallen, zum Ausgleich seines immateriellen Schadens zu. Der Antrag wegen überlanger Verfahrensdauer wird abgelehnt, da die Beschwerde diesbezüglich nicht zulässig ist.   B. Kosten und Auslagen 80 Der Bf. macht zudem eine Summe von 10.685,03 zuzüglich Steuern für die Kosten und Auslagen für die Verfahren vor den nationalen Gerichten geltend. (…) 83 In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs hat der Bf. Anspruch auf Erstattung der Kosten und Auslagen, wenn er dargelegt hat, dass diese tatsächlich und notwendigerweise und in angemessene Höhe entstanden sind. Im vorliegenden Fall, mit Bezug auf die ihm zur Verfügung stehenden Dokumente und die oben genannten Kriterien, findet es der Gerichtshof angemessen, eine Summe von 8.500 € zur Deckung der entstandenen Kosten zuzusprechen, zuzüglich jeglicher Steuern, die für diesen Betrag anfallen.   C. Verzugszinsen deutlicht er hier, was in seiner Rechtsprechung schon seit dem ersten grundlegenden Fall zum Thema Tatprovokation mitschwang2 und dennoch von den deutschen Gerichten bislang missinterpretiert wurde.3 Ausdrücklich stellt das Straßburger Gericht fest: »Das öffentliche Interesse an der Verbrechensbekämpfung kann die Verwendung von Beweismitteln, die durch eine unzulässige Tatprovokation erlangt worden sind, nicht rechtfertigen, da dies den Angeklagten der Gefahr aussetzen würde, ihm von Beginn an und endgültig das Recht auf ein faires Verfahren zu nehmen«4. Somit wird die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu diesem Thema, der bisher als Kompensation einen schuldunabhängigen Strafmilderungsgrund annimmt,5 zurückgewiesen und für nicht ausreichend befunden.6 Unterstrichen wird diese Feststellung auch dadurch, dass neben der Annahme der Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK trotz Strafmilderung, dem Beschwerdeführer gem. Art. 41 EMRK eine Entschädigung von immerhin 8.000 € zugesprochen wurde.7 Im vorliegenden Fall war eine unzulässige Tatprovokation durch das erstinstanzliche Gericht festgestellt worden, welches daher entsprechend der Strafzumessungslösung die Strafe erheblich milderte. Daher wurde neben der Überprüfung der Annahme einer unzulässigen Tatprovokation, die der EGMR unabhängig von der Beurteilung der nationalen Gerichte vornimmt, die Frage nach der »richtigen« Behandlung einer solchen Tatprovokation zunächst unter dem Punkt der Verletzteneigenschaft des Beschwerdeführers angesprochen. Nach Art. 34 EMRK ist   2 Texeira de Castro gegen Portugal, NStZ 1999, 47, Rn. 36; in der Folge u. a. bestätigt durch Edwards and Lewis gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 39647/98 und 40461/98, Rn. 46, 48; Vanyan gegen Russland, Nr. 53203/99, Rn. 46; Khudobin gegen Russland, Nr. 59696/00, Rn. 133; Ramanauskas gegen Litauen, NJW 2009, 3565 ff, Rn. 54 und Bannikova gegen Russland, Nr. 18757/06, Rn. 34; so auch in der deutschen Kommentarliteratur durchaus verstanden, vgl. Esser, in: LR Rn. 259, der jedoch der Meinung ist, dass ein solches den Vorgaben des EGMR nur unzureichend gerecht wird, Rn. 264; MeyerLadewig, EMRK-Kommentar, Art. 6 Rn. 159; Karpenstein/Meyer, Art. 6 Rn. 155. 3 So formuliert der BGH in BGHSt 41, 321 (335), dass die Ausführungen des EGMR »nicht zwingend als Hinweis auf ein Beweisverwertungsverbot zu verstehen« sind, was Esser, in: LR Rn. 267 mit »die vom BGH vertretene Strafzumessungslösung entspricht evident nicht den Vorgaben des EGMR« kommentiert. 4 Rn. 47 unter Verweis auf die langjährige eigene Rechtsprechung. 5 BGHSt 45, 321 (325). 6 Neben der Rechtsprechung des BGH, wurde bisher auch in Österreich und der Schweiz eine Tatprovokation unter Strafzumessungsgesichtspunkten berücksichtigt. Auch in diesen Ländern dürfte sich mit dieser Entscheidung die gerichtliche Praxis ändern, um zukünftige Verurteilungen vor dem EGMR zu vermeiden. 7 Rn. 78 f.   84 Der Gerichtshof setzt für Verzugszinsen den Zinssatz für Spitzenrefinanzierungsfaszilitäten der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkte an. Anmerkung Mit dieser Entscheidung erteilt der EGMR der Strafzumessungslösung des BGH1 eine deutliche Absage und stellt nunmehr ausdrücklich fest, dass als Kompensation für den Einsatz eines »agent provocateur« unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK – dem fair-trial-Grundsatz – nur eine rechtliche Reaktion der nationalen Gerichte in Betracht kommt: Ein Beweisverwertungsverbot. Damit ver1 BGHSt 32, 345; 45, 321 = NStZ 2000, 269 mit Anm Lesch JR 2000, 432; Sinner/Kreuzer StV 2000, 114; aktuell BGH NStZ 2014, 277 ff. Zu der Anwendung in der Praxis siehe Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. 2012, Rn. 849 ff.         Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   eine Individualbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer noch immer die Verletzteneigenschaft besitzt. Diese entfällt aber, wenn zwar ursprünglich eine Konventionsverletzung durch den Vertragsstaat gegeben war, dieser die Verletzung jedoch ausdrücklich festgestellt und ausreichend kompensiert hat.8 Die vorliegende Entscheidung dreht sich daher um die Frage: Was ist eine ausreichende Kompensation für eine unzulässige Tatprovokation durch die staatlichen Ermittlungsbehörden? In dieser begrüßenswerten Entscheidung macht der EGMR deutlich, dass allein eine Berücksichtigung auf der Ebene der Strafzumessung gerade nicht ausreicht, sondern es eines Ausschlusses der betroffenen Beweise bedarf, um die Verletzung von Art. 6 ausreichend zu kompensieren. Dabei formuliert der Gerichtshof zwar etwas offen, dass »jede Maßnahme außer die Beweismittel nicht zu verwerten oder etwas, was zu einem vergleichbaren Ergebnis führt, nicht als ausreichend anzusehen ist«.9 Zu einem vergleichbaren Ergebnis führt die Strafzumessungslösung aber gerade nicht. So betont auch der EGMR, dass er nicht überzeugt sei, dass selbst eine erhebliche Strafmilderung als eine vergleichbare Maßnahme wie die Nichtverwertbarkeit der Beweise angesehen werden könne. Dazu stellt er fest, dass eine Berücksichtigung auf Ebene der Strafzumessung der eigenen Rechtsprechung, die stets eine Nichtverwertung der Beweise forderte, nicht gerecht werde.10 Dieses Ergebnis liegt auch nah, da ohne diese Beweise der Angeklagte nämlich zumeist aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden müsste. Hingegen würde auch ein Verfahrenshindernis, wie vielfach in der deutschen Literatur gefordert,11 diese Anforderung erfüllen, denn ohne die Durchführung eines Prozesses käme es nicht zu einer Verwertung der Beweise. Damit könnten die nationalen Gerichte unproblematisch 8 Siehe u. a. Eckle gegen Deutschland, 15 Juli 1982, Rn. 66; Siliadin gegen Frankreich, Nr. 73316/01, § 62; Gäfgen gegen Deutschland (GK), Nr. 22978/05, Rn. 115. 9 Rn. 68 (»any measure short of excluding such evicence at trial or leading to similar consequences must also be considered as insufficient to afford adequat redress for a breach of Article 6 § 1«), wobei der EGMR sich in den älteren Entscheidungen meist allein die Unzulässigkeit der Beweisverwertung nennt und erst in der Entscheidung Lagutin und andere gegen Russland, Nr. 6228/09, 19123/09, 19678/07, 52340/ 08 und 7451/09, Enscheidung vom 24. April 2014, Rn. 117 klarstellt, dass eben auch andere Maßnahmen mit dem gleichen Ergebnis (»a procedure with similar consequences«) zulässig seien. 10 Rn. 69. 11 U. a. Esser, Auf dem Weg zu einem europäischen Strafverfahren, 2002, S. 177; Kempf StV 1999, 128, 130; Sinner/Kreuzer StV 2000, 114, 116 f.; Gaede/Buermeyer HRRS 2008, 279, 286; bei einem schwerwiegenden Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip ein solches für denkbar haltend Küpper JR 2000, 257, 259.       89 auch zukünftig – unter Einhaltung der Rechtsprechung des EGMR – mit der Annahme eines Verfahrenshindernisses über ein Beweisverwertungsverbot hinausgehen. Diese deutliche Positionierung des EGMR ist zu befürworten, handelt es sich bei der konventionswidrigen Tatprovokation doch um Fälle, in denen sich der Staat anmaßt, eine Straftat zu verurteilen, die er selbst erst durch seine Organe unmittelbar oder mittelbar »geschaffen« hat; ohne das Handeln der staatlichen Organe hätte sie jedenfalls in dieser konkreten Form nie stattgefunden. Damit stellt sich der Staat in eklatanten Widerspruch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Es ist schließlich grundsätzlich dessen Pflicht, durch präventives Tätigwerden, Straftaten zu verhindern, nicht aber selbst Straftaten herbei zu führen. Dieser Gedanke, der zentral für die Bewertung der Unzulässigkeit eines Lockspitzel-Einsatzes ist, wird in der Rechtsprechung des EGMR dadurch deutlich, dass er für die Annahme des Handelns eines agent provocateur und damit einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK verlangt, dass die Polizei (oder Personen, die in ihrem Auftrag tätig werden), sich nicht darauf beschränkt, strafbares Verhalten nur zu verfolgen, sondern diejenigen, auf die sie angesetzt sind, derart beeinflusst, dass sie sie anstiftet, eine Straftat zu begehen, die sie sonst nicht begangen hätten.12 Ein klares Beispiel ist der vorliegende Fall, in dem der Beschwerdeführer keine Vorstrafen hatte und kein Verdacht einer Beteiligung an Drogenstraftaten gegen ihn bestand als er allein aufgrund seiner persönlichen Verbindung zu einer Person, gegen die ein Verdacht auf Drogenhandel bestand, in das Visier der Strafverfolgungsbehörde geriet.13 Die Entscheidung ist auch vor dem Hintergrund zu begrüßen, dass sie zu einer stärkeren Disziplinierung der Strafverfolgungsbehörden führen könnte. Denn nunmehr ist Folge eines Überschreitens des zulässigen Rahmens polizeilichen Handelns de facto die Hinfälligkeit der gesamten Ermittlung, da aufgrund des Beweisverwertungsverbots eine Verurteilung äußerst unwahrscheinlich sein dürfte. Dies gilt ebenfalls für den Einsatz eines V-Manns, da auch sein Handeln, wenn er bewusst von der Strafverfolgungsbehörde eingesetzt wird, dieser grundsätzlich voll zurechenbar ist.14 Auch hierbei handelt es sich um ein folgerichtiges Ergebnis der Provokation, da in diesem Fall der Staat ebenfalls – wenn auch nur mittelbar – die Ursa- 12 Texeira de Castro gegen Portugal, NStZ 1999, 47, Nr. 38 13 Rn. 55. 14 Vgl. Ramanauskas, Rn. 55. Zu der möglichen Ausnahme eines Exzesses des V-Manns siehe Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. 2012, Rn. 854.   90 Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche) che für eine strafrechtliche Handlung schafft, die er dann verfolgt. Damit dürfte sich der zukünftige Fokus der nationalen Gerichte wieder mehr der Frage zuwenden, ob überhaupt eine unzulässige Tatprovokation gegeben ist, denn nicht jeder Einsatz eines verdeckten Ermittlers bzw. eines VManns führt zu einer Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Im Gegenteil betont der EGMR in diesem Fall doch erneut, dass der Einsatz von verdeckten Ermittlern an sich kein Verstoß gegen das fair trial-Prinzip darstellt, solange das Verfahren klare Beschränkungen, Schutzmaßnahmen und Absicherungen vorsieht.15 Er erkennt sogar die Notwendigkeit klandestiner Methoden gerade im Kampf gegen das organisierte Verbrechen an, hebt jedoch hervor, dass die Grenze eines solchen Einsatzes die unzulässige Tatprovokation darstellt. Zu der Frage der Tatprovokation hat der EGMR eine umfassende und ausdifferenzierte Rechtsprechung, die im Folgenden näher beleuchtet werden soll, wird sie doch zukünftig eine bedeutendere Rolle spielen. Bejaht man nämlich eine unzulässige Tatprovokation, wird eine Verurteilung künftig zumeist nicht möglich sein, da alle aus ihr stammenden Beweise unverwertbar sind. Hierbei wird insbesondere die Aussage des verdeckt ermittelnden Polizeibeamten oder des eingesetzten V-Manns ebenso erfasst sein wie gegebenenfalls bei einem Scheinkauf beschlagnahmtes Rauschgift im Bereich von Drogendelikten, wo es typischerweise häufig zum Einsatz von verdeckten Ermittlern oder V-Männern kommt. Ohne diese dürften aber zumeist nicht ausreichend Beweise vorhanden sein, um die nach § 261 StPO für die Verurteilung notwendige richterliche Überzeugung zu begründen. Der EGMR überprüft hierbei unabhängig von der Bewertung der nationalen Gerichte das Vorliegen eines solchen Verstoßes, und stützt sich dabei auf zwei zentrale Elemente: Einen materiellen und einen prozessualen Test. Im Rahmen des materiellen Tests (» substantive test of incitement«) geht er wie folgt vor: Nach seiner Rechtsprechung liegt eine Tatprovokation (» entrapment«) vor, wenn die Polizei sich nicht darauf beschränkt, strafbares Verhalten auf eine im Wesentlichen passive Art nur zu untersuchen, sondern den Betroffenen derart beeinflusst, dass sie ihn dazu anstiftet, eine Straftat zu begehen, die sonst nie begangen worden wäre.16 Für die Frage des »im Wesentlichen passiven« Verhaltens untersucht das Ge15 Rn. 47. 16 Rn. 48 mit Verweis auf Ramanauskas, Rn. 55 mit weiteren Nachweisen; Bannikova, Rn. 37; vgl. auch Pyrgiotakis v. Greece, Nr. 15100/06, Rn. 20, 21 Februar 2008.   richt dabei den Anlass zur Aufnahme von Ermittlungen und das Verhalten der Behörde während der Ermittlungen selbst. Insbesondere prüft der EGMR dabei, ob ein objektiv begründeter Verdacht gegen den Betroffenen vorlag oder ob er der Begehung von Straftaten bereits zugeneigt war. Für die Beurteilung dieser Frage werden sodann verschiedene Umstände berücksichtigt wie beispielsweise die Tatsache, dass der Betroffene nicht vorbestraft ist, dass bisher keine Ermittlungen gegen ihn liefen, dass er der Polizei nicht bekannt war, sowie die Kenntnis aktueller Drogenpreise oder die Fähigkeit, Drogen in kürzester Zeit zu beschaffen. Dabei stellt der Gerichtshof im vorliegenden Fall klar, dass für die Beurteilung der Tatgeneigtheit der Moment entscheidend ist, in dem der Täter erstmals von der Polizei kontaktiert wurde.17 Dies liegt in der besonderen Konstellation des Falles begründet, da die ursprünglichen Ermittlungen der Polizei sich lediglich gegen einen Freund des Beschwerdeführers und fünf weitere Personen richteten (und erst später auch den Beschwerdeführer miteinbezogen) und im Moment der Kontaktaufnahme kein auch nur irgendwie gearteten Verdachtsmomente gegen ihn vorlagen.18 Gemäß der Entscheidung des EGMR – und entgegen des Vortrags der Regierung – kann das spätere Verhalten demnach nicht mehr herangezogen werden, um eine Tatgeneigtheit zu begründen.19 Dem ist zuzustimmen, wurde hier doch ein anfangs vollkommen Unverdächtiger durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane mit in eine Straftat hineingezogen. Es ist daher nur richtig, dass an die Ermittlungsbehörden in Fällen, in den sich die Strafverfolgungsbehörden Unverdächtiger bedienen, um an verdächtige Personen heranzukommen, höhere Anforderungen zu stellen sind, um zu belegen, dass der Betroffenen gerade nicht durch eine unzulässige Tatprovokation zu seinem späteren Handeln verleitet wurde. Im Rahmen des prozessualen Tests (» procedural test«) ist es entscheidend, dass der Betroffene vor Gericht die Möglichkeit hat, wirksam zu der Frage einer etwaigen Tatprovokation vorzutragen.20 Daher ist generell zu beachten, dass sich die nationalen Gerichte immer wenn eine Tatprovokation möglich erscheint, mit dieser Frage zu befassen haben. Ist das Vorbringen nicht vollkommen unwahrscheinlich, so obliegt es nämlich – wie der EGMR ausdrücklich entschieden hat – der Anklagebehörde, nachzuweisen, dass kein Fall der Tatprovokation gegeben 17 Rn. 56. 18 Rn. 55. 19 Rn. 56. 20 Bannikova gegen Russland, Rn. 66–79; Ramanauskas gegen Litauen, Rn. 69. Entscheidung – Straf- und Strafprozessrecht – EGMR: Unzulässige Tatprovokation (Anm. A. Petzsche)   ist.21 Damit erkennt der EGMR die tatsächlichen Schwierigkeiten für die Beweisführung durch den Angeklagten an. Sind die dem Gericht vorliegenden Informationen aber nicht ausreichend, um abschließend über das Vorliegen einer Tatprovokation entscheiden zu können, so ist die durchgeführte gerichtliche Überprüfung für den EGMR entscheidend. Folglich ist von den deutschen Gerichten zu erwarten, dass sie sich, wenn ein solcher Vorwurf von dem Angeklagten erhoben wird und dies nicht vollkommen unwahrscheinlich ist, mit dieser Frage ausdrücklich auch in den Urteilsgründen auseinandersetzen, um so eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK mit dem nunmehr daraus resultierenden Beweisverwertungsverbot allein aufgrund einer mangelnden gerichtlichen Auseinandersetzung mit einem solchen Vorwurf zu vermeiden. Obwohl die grundsätzliche Behandlung der aus einer Tatprovokation resultierenden Beweise durch diese Entscheidung nunmehr geklärt ist, stellt sich dennoch die Frage nach den weiteren Folgen der Entscheidung für die deutsche Gerichtspraxis. Die Frage nach einer Fernwirkung dieses Beweisverwertungsverbots wird durch die Entscheidung neue Bedeutung erlangen, spricht das Urteil doch allgemein von den »Beweisen, die durch eine unzulässige Tatprovokation erlangt worden sind«22, ohne dies näher zu präzisieren. Damit scheint der Wortlaut ein weites Verständnis zugrunde zu legen und neben den direkt mit der strafrechtlichen Handlung in Zusammenhang stehenden Beweisen wie der Aussage des verdeckten Ermittlers oder des V-Manns, beschlagnahmten Drogen o.ä., auch mittelbar daraus stammende Beweismittel zu erfassen wie beispielsweise den Zeugen, der dem Täter die Drogen verschafft hat und der nur aufgrund des Geständnisses des Täters zur Kenntnis der Strafverfolgungsbehörden gelangt ist. Da die Entscheidung dies jedoch nicht ausdrücklich verlangt, sollten die nationalen Gerichte insofern der bestehenden Rechtsprechung der deutschen oberen Gerichte zu der Frage folgen. Danach ist strafprozessualer Grundsatz, dass trotz eines Beweisverwertungsverbots eine Fernwirkung anders als bei der im anglo-amerikanischen Raum vorherrschenden »fruit of the poisonous tree-doctrine« grundsätzlich nicht anzunehmen ist, sondern es einer Abwägung bedarf zwi- 21 Ramanauskas gegen Litauen, Rn. 70. 22 »Evidence obtained as a result of police incitement«, Rn. 68. 91 schen der Schwere der begangenen Rechtsverletzung einerseits und der Bedeutung des Tatvorwurfs andererseits.23 Dafür spricht auch die konsequente Behandlung solcher Fragen, da selbst bei einem Verstoß gegen § 136 a StPO die Rechtsprechung nicht generell von einer Fernwirkung ausgeht.24 Somit schließt sich die Frage an, ob eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK auch dann gegeben ist, wenn eine Verurteilung nach unzulässiger Tatprovokation aufgrund anderer als durch die Provokation erlangte Beweismittel erfolgt.25 Dies dürfte die Diskussion um die Bedeutung der Aussage des EGMR im Fall Texeira de Castro, wo er davon sprach, dass dem Beschwerdeführer von Beginn an und endgültig das Recht auf ein faires Verfahren genommen worden sei,26 und um die Notwendigkeit eines Verfolgungshindernisses wieder neu beleben. Zusammenfassend kann man spätestens jetzt hinsichtlich der Beweisverwertung nicht mehr von einem »noch nicht endgültig geklärten Bereich«27 sprechen. Es obliegt nunmehr den deutschen Gerichten, im Falle einer Tatprovokation unter Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK ein umfassendes Beweisverwertungsverbot für alle Beweise, die aus der Provokation resultieren, anzunehmen, wollen sie eine fortlaufende Verurteilung Deutschlands in Straßburg vermeiden.   Hinweis: Die Übersetzung dieser Entscheidung erfolgte durch die Autorin, da das Original lediglich auf Englisch erschienen ist.28 Wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Anneke Petzsche: HumboldtUniversität zu Berlin 23 A. A. Gaede/Burmeyer, HRRS 2008, 279, 285, die für ein strenges Verwertungsverbot mit Fernwirkung eintreten. 24 BGHSt 32, 362; Hamburg MDR 1976, 601; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 136 a Rn. 31. 25 So Esser, in: LR, Rn. 258, 260. 26 »That intervention and its use in the impugned criminal proceedings meant that, right from the outset, the applicant was definitively deprived of a fair trial«, Rn. 39. 27 So Walter, in: Grote/Marauhn, GG/EMRK, Art. 6 Rn. 33, der diese Ungeklärtheit heranzieht, um die deutsche Rechtsprechung als konventionsrechtlich nicht zu beanstanden zu bewerten. 28 http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/pages/search.aspx?i= 001-147329#{itemid:[001-147329]}