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Ende des Sommersemesters 2006 wird Prof. Dr. rer. nat. Walther Umstätter, Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, emeritiert.
Walther Umstätter lehrte und forschte an diesem Institut seit 1994. Von 1994 bis 1997 und wiederum von 2004 bis Frühjahr 2006 war er dessen Geschäftsführender Direktor, gehörte mehrere Amtsperioden lang dem Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität an, deren Teil das Institut ist, war Vorsitzender des Prüfungsausschusses und hatte viele andere Ämter inne.
Umstätters Name ist klar profiliert. Er war einer der ersten ‚Onliner’ in Deutschland überhaupt und richtete 1975 die erste Online-Vermittlungsstelle an einer deutschen Universitätsbibliothek ein (UB Ulm). Mit seiner Kompetenz als promovierter Biologe unterstützte er die Fachwissenschaftler, insbesondere in der Medizin, durch Datenbank-Recherchen (beginnend mit Medlars); etliche seiner Anregungen halfen DIMDI, das System GRIPS zu einer anerkannten Retrievalsprache für biomedizinische Datenbanken zu entwickeln.
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Als Professor an der damaligen Kölner Fachhochschule für Bibliotheks- und Dokumentationswesen (FHBD, heute: Fakultät für Informations- und Kommunikationswissenschaften der Fachhochschule Köln) hat er 1982-1994 viele Jahrgänge von Dokumentaren und Bibliothekaren in Kernfächern wie Online-Retrieval, Fachbibliografie und Dokumentation sowie zu dem entstehenden Thema Neue Medien ausgebildet und darüber hinaus an der Universität zu Köln im damaligen Studiengang Bibliothekswissenschaft gelehrt. An der FHBD war er der erste Hochschullehrer, der mit Konsequenz die (damals noch nicht so genannte) Informationstechnologie vertrat und sich mit großem Nachdruck für die Einführung des Computers in der Lehre einsetzte.
Dies ist der biographische Hintergrund, vor dem Umstätters Leistung als Wissenschaftler hervortritt. Umstätters fachliche Laufbahn begann an den frühen Online-Datenbanken, und zwar in einer Bibliothek. Die ungute deutsche Tradition der Trennung von Bibliothek und Dokumentation, von Bibliothekswissenschaft und Informationswissenschaft hat er sich nie zueigen gemacht. Man kann ihn nicht als Grenzgänger zwischen B (Bibliothek) und D (Dokumentation) bezeichnen, denn diese Grenze hat es für ihn nie gegeben. Sein Focus war immer die Informationslogistik – dabei bezog er Schulbibliotheken und deren besondere Aufgaben ebenso in die Betrachtung ein wie Dokumentationseinrichtungen und Online-Informationsvermittlung. Viel zitiert ist seine Definition von Bibliothek, der er nicht die Institution oder den Raum zugrunde legte, sondern die Funktion und damit maßgeblich zur Begriffsschärfung beitrug: „Die Bibliothek ist eine Einrichtung, die unter archivarischen, ökonomischen und synoptischen Gesichtspunkten publizierte Information für die Benutzer sammelt, ordnet und verfügbar macht.“[1]
Sein „Semiotischer Thesaurus Bibliothekswissenschaft“ [2] soll als Basis für eine Terminologie der modernen Bibliothekswissenschaft dienen. Diese definiert Umstätter als „hochgradig interdisziplinären, aber auch eigenständigen Wissenschaftsbereich, der mit den modernen multimedialen Möglichkeiten Lehre, Forschung und Kulturmanagement rationalisiert, indem überflüssige Doppelarbeiten in der Wissenschaft verhindert, Anstrengungen zur geistigen Zusammenarbeit unterstützt, Begabte gefördert und die allgemeine Aufklärung der Bevölkerung erhöht werden, um den Übergang von der Industriegesellschaft zur Wissenschaftsgesellschaft evolutionär und nicht revolutionär gestalten zu helfen.“[3]
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Insofern konnte die Umbenennung seines Instituts in „Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft“ im Jahre 2005 (bis dahin: „Institut für Bibliothekswissenschaft“) für ihn nur ein Zugeständnis an diejenigen Gremien sein, die drei Semester vorher das Fach auf die Liste der ersatzlos zu streichenden Fächer gesetzt hatten. Die Sparauflagen der Berliner Landesregierung zwangen die Universitäten der Bundeshauptstadt zu einschneidenden Sparmaßnahmen: Die Humboldt-Universität muss bis 2009 ein Drittel ihrer Professuren streichen. Dass im Ergebnis die Bibliothekswissenschaft personell und strukturell gestärkt mit dem Schwerpunkt Digitale Bibliothek – Umstätters genuines Thema – aus diesen Verteilungskämpfen hervorging, daran hat Umstätter einen erheblichen Anteil. Dennoch soll seine Professur ein oder zwei Semester lang vakant bleiben, bis sie wieder besetzt wird.
Zu Umstätters herausragenden Leistungen an der Humboldt-Universität gehört speziell der Aufbau des postgradualen Fernstudiums Bibliothekswissenschaft, den er seit der ersten Hälfte der 1990er-Jahre gemeinsam mit PD Dr. Wolfgang Jänsch als Projektleiter in Gang setzte. In dieses postgraduale Fernstudium (vier Semester; Abschluss: „Master of Arts – Library and Information Science“) ist seit einigen Jahren auch die Referendar-Ausbildung für den Höheren Bibliotheksdienst integriert.
Umstätters Veröffentlichungen – die Liste umfasst 130 Positionen, darunter drei Lehrbücher sowie zahlreiche Sammelbände und Kongressschriften, die er herausgab, besonders die Jahrbücher Wissenschaftsforschung – spiegeln ein außerordentlich breites thematisches Spektrum. Umstätter hat über Bibliotheksbau und Bibliothekskataloge gearbeitet, über Bradford’s Law of Scattering und Thesauri, über Digitale Bibliotheken und Dokumentationssysteme. Seine Veröffentlichungen sind oft an prominenten Orten erschienen (z. B. in der 5. Auflage des Standardwerks „Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation“ im Saur-Verlag). Umstätter hat immer den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis sowie Wissenschaft und Gesellschaft gesucht und deshalb auch in Zeitschriften wie „Spektrum der Wissenschaft“ und in Tageszeitungen publiziert.
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Zu seinen wichtigsten Ämtern und zusätzlichen Aufgaben gehören die Mitgliedschaft im Herausgebergremium der IWP (Information – Wissenschaft und Praxis), damals noch „Nachrichten für Dokumentation“, seine Tätigkeit als Vizepräsident der 1991 gegründeten „Gesellschaft für Wissenschaftsforschung“, die vor allem internationale Tagungen zur Scientometrie sowie zur Wissenschaftssoziologie und -ökonomie durchführt, auf denen Umstätter wiederholt viel beachtete Vorträge gehalten hat, und sein Engagement im Vorstand der deutschen Sektion der ISKO (International Society for Knowledge Organization), ebenso wie im „Deutschen Bibliotheksverband“, in der DGI (Deutsche Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis) und in zahlreichen Fachbeiräten und -gremien.
Wer Walther Umstätter kennen gelernt hat – als Kollegen, als Dozenten, als fachlichen Partner – hat seine unkomplizierte Art, seine Offenheit und seine engagierte Nüchternheit schätzen gelernt. Fair und konstruktiv in allen Gremiensitzungen zu bleiben – diese Disziplin und Gabe zeichnet Umstätter aus. Er war – und ist noch – ein scharfsinniger und Präzision verlangender Doktorvater zahlreicher Promovenden, darunter Kandidaten aus China und Iran.
Bei all diesen zahlreichen Projekten und Publikationen, Kommissionen und Kollegien, die seine Energie in Anspruch nahmen, ließ sein Engagement in der Lehre niemals nach und forderte Generationen von Studierenden heraus.
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Mit der Emeritierung ist Umstätters Berufsleben keineswegs beendet. Umstätter wird am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft noch eine Reihe begonnener Dissertationsprojekte weiter betreuen – und man darf gespannt sein auf seine nächsten Veröffentlichungen.
Aus Anlass seines 65. Geburtstags widmet das Institut Walther Umstätter diese Festschrift. Sie erscheint im Oktober 2006 zeitgleich als frei zugängliche Online-Version auf dem edoc-Server der Humboldt-Universität nach OAI-Standards.
Konrad Umlauf
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Berlin, im Juni 2006
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