Roland Wagner-Döbler: Umberto Ecos Betrachtung einer benützerfeindlichen Bibliothek – 25 Jahre danach |
|
Umberto Eco, bekanntlich unter anderem Semiotiker…
Umberto Eco, bekanntlich unter anderem Semiotiker und glänzender Essayist, hielt vor 25 Jahren, 1981, einen Festvortrag zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum der Mailänder Stadtbibliothek. Der Vortrag erschien 1987 von Burkhart Kroeber ins Deutsche übersetzt beim Hanser-Verlag in einer mit Radierungen von Jules Chevrier reizvoll bereicherten Broschüre [1], aus der alle folgenden Zitate stammen.
In seinem Vortrag skizzierte Eco die „negative Utopie“ einer nutzerfeindlichen Bibliothek, d. h. das „Idealbild“ einer unzugänglichen, abweisenden, kompliziert organisierten Bibliothek. Hinter diesem „Idealbild“ versteckte er – höflich, wie er als Festredner wohl auftreten wollte – mit feiner Ironie den einen oder anderen Punkt, bei dem ein gewisser Abstand der Realität von einer positiven Utopie, zumindest aus der Sicht Ecos und seiner Bibliothekserfahrungen, unschwer zu erkennen war.
Eco hat seine negative Utopie in einer Zeit verfasst, wo von Digitalisierung der Bibliotheksbestände (außer in Utopien, sowohl positiv als auch manchmal negativ getönten) noch keine Rede war, das Internet ein Fremdwort, die Einführung eines OPAC ein Meilenstein und die Massenverbreitung von PCs, inner- und außerhalb von Bibliotheken, noch bevorstand. Der Blick zurück in eine uns in ihrer Bibliotheks- und Informations-Organisation fast schon fremdartig anmutende Welt wird ein Schlaglicht darauf werfen, welch ungeheuren Änderungen und Fortschritte seitdem eingetreten sind. Anders jedoch als manche Informations- und Bibliotheksfachleute bin ich nicht der Meinung, dass heute im Wesentlichen alle großen Ziele in puncto Informationsversorgung, die sich Bibliotheken und andere Informationseinrichtungen setzen, erreicht wurden oder ihre Erreichung kurz vor dem Abschluss steht – auch wenn man dies letztere bei Betrachtung der genannten immensen Fortschritte vielleicht für völlig unabweisbar hält, und etwaige noch vorhandene Defizite vielleicht für zweitrangig.
Mit anderen Worten: Trotz dieser Fortschritte bleibt meiner Meinung nach viel zu tun. Ein kleiner Ausschnitt davon wird im Folgenden, im Anschluss an Betrachtungen zu Ecos negativer Utopie, angesprochen. Den Umständen des vorliegenden Beitrags entsprechend werde ich mich dabei der Wahl meines Ideengebers anschließen und ebenfalls eine negative Utopie formulieren, sozusagen eine zu unserer digitalen Informationswelt passende aktualisierte Ausgabe – allerdings unter Beschränkung auf einige wenige Punkte.
Zunächst eine Auswahl der Punkte Ecos, die einem Negativ-Ideal einer Bibliothek entsprechen, und ein kurzer Kommentar aus der Sicht des heute Erreichten.
- „Die Kataloge müssen so weit wie möglich aufgeteilt werden ...“. Also Trennung von Büchern und Zeitschriften, von Neuerwerbungen und älterem Bestand, von Sach- und Formalkatalog, von abgedeckten Zeiträumen. Kommentar: Ecos Albtraum ist weitgehend verschwunden. Trennungen dieser Art existieren dank datenbankmäßig geführter Kataloge kaum mehr oder sind durch einfachsten Wechsel der Datenbank unproblematisch. Eine große Ausnahme allerdings existiert, abgesehen von Ausnahmen in einigen Spezialfällen großer Bibliotheken mit besonders komplexen Bestandsnachweisverhältnissen: In erstaunlich großem, vom breiten Publikum oft weit unterschätztem Umfang sind ältere Bestände noch nicht elektronisch nachgewiesen. Dies trifft auf umfangreiche Bestände historischer Bibliotheken zu, auf Universitätsbibliotheken, durchaus manchmal sogar noch neuere Bestandssegmente betreffend. Nicht nur aus Nutzersicht, auch aus Sicht des Bibliotheks- und Bestandsmanagements jedoch sind integrierte elektronische Bestandsnachweise zwingend. Einschränkungen existieren auch beim integrierten Nachweis digitaler Ressourcen, worauf ich hier nicht weiter eingehen kann.
- „Die Schlagworte müssen vom Bibliothekar [gemeint ist: von der einzelnen Bibliothek – R. W.-D.] bestimmt werden.“ Eco meint damit: Die Bücher dürfen keine Fremddaten enthalten – z. B. bibliographische und sacherschließende Daten, die die Orientierung und Suche etwa. nach ähnlichen Werken erleichtern. Kommentar: s. u.
- „Die Signaturen müssen so beschaffen sein, daß man sie nicht korrekt abschreiben kann ...“ Kommentar: Der Lästigkeiten des Abschreibens manchmal wahrlich kryptischer Signaturen sind wir mittlerweile in aller Regel enthoben.
- „Die Zeit zwischen Bestellung und Aushändigung eines Buches muß sehr lang sein.“ Kommentar: Lang ist ein dehnbarer Begriff. Aber allerorts sind Verhältnisse zu beobachten, wo Magazinbestände doch innerhalb kurzer Fristen zur Verfügung stehen, wobei auch kurz natürlich ein dehnbarer Begriff ist.
- „Es darf immer nur ein Buch auf einmal ausgehändigt werden.“ Kommentar: Amtsmäßige, willkürlich erscheinende Restriktionen dieser Art sind, innerhalb gewisser, von jedermann nachvollziehbarer Grenzen, unbekannt geworden, man kann es kaum glauben, dass sie existiert haben.
- „Die ausgehändigten Bücher dürfen, da mit Leihschein bestellt, nicht in den Lesesaal mitgenommen werden ...“ Kommentar: Sie dürfen, zumindest in aller Regel, nach einer überschaubaren Kontrollprozedur.
- „Es sollte möglichst überhaupt keine Fotokopierer geben; falls doch einer da ist, muß der Zugang weit und beschwerlich sein, der Preis für eine Kopie muß höher sein als im nächsten Papiergeschäft ...“ Kommentar: Jüngere Leser werden vielleicht nicht glauben, dass die Verhältnisse auch in großen wissenschaftlichen Bibliotheken oft genau so waren, aber wir beklagen heute mehr das Phänomen des „Kopieren-statt-Rezipieren“.
- „Die Fernleihe sollte unmöglich sein oder jedenfalls Monate dauern; am besten, man sorgt dafür, daß der Benutzer gar nicht erst erfahren kann, was es in anderen Bibliotheken gibt.“ Kommentar: Noch bis vor wenigen Jahren hatte sich an den Unzulänglichkeiten der Fernleihe wenig geändert. Seitdem sind jedoch enorme Fortschritte zu verzeichnen, sowohl in der Zugänglichkeit und Benützbarkeit ortsfremder Bestände via Fernleihe einerseits oder Direktbestellung durch den Nutzer andererseits, als auch im Tempo der Bereitstellung, das Ganze in der Regel eingehandelt mit insgesamt moderat erscheinenden Gebühren. Die Informationsmöglichkeiten über Bestände außerhalb der eigenen Bibliothek wiederum sind sogar in einem damals unvorstellbaren Ausmaß gewachsen. Zum einen präsentieren Verbundkataloge heute Bestände ganzer Regionen besonders benützerfreundlich. Zum anderen bieten Rechercheinstrumente wie der „Karlsruher Virtuelle Katalog“ bequemen Zugriff auf Verbund- und Nationalbibliothekskataloge, auf National- und Buchhandelsbibliographien auf regionenbezogener wie internationaler Ebene. Damit sind wir aber noch nicht am Ende: So gut wie jede der Öffentlichkeit zugängliche wissenschaftliche Bibliothek in den Industriestaaten auf der ganzen Welt, und desgleichen viele solche Einrichtungen in Schwellenländern, gewähren Einblick in ihre Bestände (allerdings, wie oben bemerkt, gar nicht so selten lediglich in Bestände gegenwartsnaher Erwerbungsjahre) via Internet von jedem Ort der Welt aus.
- „Ideal wäre schließlich, wenn der Benutzer die Bibliothek gar nicht erst betreten könnte ...“ Kommentar: Eco bringt seine negative Utopie mit dieser Schlussforderung zu einem ebenso konsequenten wie krönenden Abschluss. Wir würden uns dem heute gar nicht ganz verschließen, können aber einen höchst positiven Vorgang erkennen und sagen: Ideal wäre schließlich, wenn der Benutzer die Bibliothek nicht häufiger als nötig betreten müsste – eine Vision, die Eco offenbar damals wohl noch gar nicht in Betracht zog und ihn als Liebhaber realer Bibliotheksschauplätze vielleicht sogar irritiert hätte. Die digitalen Zugriffsmöglichkeiten auf Kataloge und Teile der Bestände ließen diese Vision wahr und zahlreiche Bibliotheksbesuche überflüssig werden, was manche naive Beobachter allerdings zur Annahme verleitete, Bibliotheken seien mehr oder weniger überflüssig geworden.
Betrachten wir noch einige Postulate der Eco’schen negativen Utopie, etwa dass auf keinen Fall direkter Zugang zum Magazin gewährt werden solle, dass es unmöglich sein müsse zu erfahren, wer ein fehlendes Buch ausgeliehen hat, oder dass die Auskunft unerreichbar zu sein habe, so erkennen wir durchaus noch die eine oder andere Verbesserungsmöglichkeit. Insgesamt aber wird deutlich, in wie vieler Hinsicht Bibliotheken sich von abweisenden Büchergralen zu dem Nutzer zugewandten Serviceeinrichtungen gewandelt haben in den letzten 30 bis 40 Jahren.
Das gesamte Niveau der Informationsversorgung ist offenbar gestiegen, hat qualitative Sprünge, d. h. mehr als nur graduellen Fortschritt erlebt. Zugleich jedoch sind das Anspruchsniveau und die Erwartungen der ‚Kunden’ und Konsumenten gestiegen, eine in der Konsumforschung, aber auch in der Techniksoziologie und -geschichte wohlbekannte Aufwärtsspirale. Stichwörter zu diesen Erwartungen sind beispielsweise vollständige (also wirklich den Gesamtbestand, nicht nur einzelne Segmente nachweisende, wenngleich Teilsichten gestattende) OPACs, deren bibliographische Daten um weitere Metainformationen, etwa Inhaltsverzeichnis und Register, ergänzt werden.
Internetbuchhandlungen und Suchmaschinen weisen die weitere Richtung, die in der zusätzlichen Bereitstellung zumindest von Textauszügen besteht. Die Entwicklung verspricht an dieser Stelle jedoch keine Atempause. Der vollständige digitale Zugriff auf Printmedien jeder Art steht vor der Tür – was übrigens keineswegs bedeutet, dass dieser Zugriff analoge Erscheinungs- und Verbreitungsformen derselben Inhalte zum Verschwinden bringt, wohl aber bisherige Geschäftsmodelle, wenn wir es einmal so nennen wollen, obsolet macht. Die Digitalisierung von Bibliotheksbeständen in Deutschland, also von kompletten Werken, begann (meist) mit urheberrechtsfreien Materialien die für die Forschung von besonderer Bedeutung waren oder für die besonders erschwerte Zugangsbedingungen bestanden.
Nun aber rückt in das Zentrum der Aufmerksamkeit die Massendigitalisierung von Bibliotheksbeständen, weil finanzstarke privatwirtschaftliche Akteure, verbunden mit fortgeschrittener Digitalisierungstechnologie, auf den Plan treten. Bibliothekare beobachten zunehmend die Entwicklung einer Nutzermentalität, bei der nicht elektronisch verfügbare Informationsressourcen und Texte so gut wie inexistent sind – was vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften bei der derzeitiger Lage zu erheblichen Informationsverlusten und -defiziten führt. Jedenfalls expandieren Volltextangebote wissenschaftlicher Literatur, vor allem wissenschaftlicher Zeitschriftenliteratur, zugleich wird die Integration der Volltextangebote in Recherchewerkzeuge gewünscht. Und selbstverständlich ließe sich diese Beschreibung neuer Begehrlichkeiten fortsetzen. Der heutige Bibliotheksbenützer bewegt sich zunehmend in rein elektronischen, virtuellen Informationsräumen und will diese nur verlassen, wenn sich ihm damit ergonomische Vorteile bieten. Und trotz des informationellen Schlaraffenlandes, in dem wir uns befinden, gemessen an dem was Eco erlebte und forderte, existieren Ansätze negativer Utopie auch auf heutigem, weit angehobenem Niveau.
- Nachweisinstrumente für Informationsressourcen verschiedener Typen (etwa für Ressourcen konventioneller und solche digitaler Medien) sollen so weit wie möglich getrennt geführt werden, und dies unter möglichst unterschiedlichen und inkompatiblen Rechercheoberflächen. Welche Informationsressourcen jeweils bei Recherchen einbezogen werden, sollte undurchsichtig und schwer vorhersehbar bleiben. Sollte man überhaupt Einblick darin bekommen, darf der jeweilige Ansatz der Aufteilung jedenfalls nicht so plausibel sein, dass er in das Rechercheverhalten des Informationssuchenden sinnvollerweise Eingang finden kann.
- Lasse den Nutzer möglichst lange im Unklaren, ob ihn ein Hinweis auf ein Werk oder eine Ressource (in Form einer Verlinkung) zum Inhalt dieser Ressource führen wird oder nur zu (mehr oder weniger angereicherten) Metainformationen, oder gar nur zu Erklärungen der Zugangskonditionen. Erhöhe die Spannung durch Einführung mehrer Zwischenschritte. Kröne deine Dramaturgie durch schwer überwindbare, aber jedenfalls juristisch lupenreine, d. h. unverständlich formulierte Zulassungsbeschränkungen am Schluss. Höchst wirkungsvoll sind stets lokale und regionale Beschränkungen oder Gebührenpflicht.
- Nenne dein Informationsangebot im Zweifelsfall ‚Portal’. Biete umfassende Navigationsmöglichkeiten, aber lasse die jeweils aufgerufene Seite nicht zu erkennen geben, ob sie noch von dir oder von anderen Institutionen stammt oder verantwortet wird. Sorge für Abwechslung und lasse den Nutzer die Kreativität deiner Institution spüren, indem du das Informationsdesign kleinteilig und abrupt wechselst. Verbaue deinem Besucher den direkten Rückweg zurück zur Startseite, er liebt den ‚kreativen Umweg’. Überhaupt, gestalte deine Website eher wie eine individuelle mind map. Lass keine geordneten Strukturen erkennen, die Übergänge zwischen einzelnen Seiten und Angeboten (außer für dich) plausibel oder nachvollziehbar machen. Hältst du Strukturen für unabweisbar, dann bemühe dich um tiefe, monohierarchische, von dir entworfene Sachbezüge, von denen man weiß, dass die wenigsten sie nachvollziehen können, auch retrospektiv und nach Einübung nicht.
- Wissenschaftler sind weniger an der informationellen Gesamtlandschaft ihres Fachgebiets als am Portfolio spezieller Verlage brennend interessiert. Gestalte dein Angebot deshalb so, dass dank der ‚Gesamtpakete’ der Verlage, die du favorisierst und den Gesamtetat beanspruchen, Konkurrenzprodukte anderer, kleinerer Verlage und wissenschaftlicher Gesellschaften oder andere thematisch relevante Angebote nur unter stark erschwerten Bedingungen oder gar nicht nutzbar sind.
- Die Zulassungsprozedur (bei gebührenpflichtigen Angeboten) sollte den Vorgang der Informationssuche hinreichend lange unterbrechen, den Suchenden aber jedenfalls nicht über Dauer und den Stand des Zulassungsverfahrens informieren. Die freudige Überraschung ist groß, wenn nach Tagen unbekannte, international tätige Gebühreneinzugsunternehmen mit kryptischen Abkürzungen E-Mails senden, deren Herkunft zunächst dubios scheint, weil weder das Unternehmen noch der Name des E-Mail-Verfassers dem Nutzer etwas sagen, also die Chance auf sofortige Löschung als mutmaßliches ‚Spam’ groß ist. Gestalte den Vorgang so, dass der Nutzer zu einem angemessenen Aktivitätsniveau stimuliert wird. Überrasche ihn damit, dass du z. B. das Abholen oder Ausdrucken von Bankkontoauszügen verlangst, auf denen sich Ziffernfolgen befinden, die er abzuschreiben hat. Fördere im Zweifelsfall die Medienkompetenz deines Klienten, indem du Faxzusendungen verlangst.
- Gebührenpflicht als solche sollte nur nach tiefen, umfangreichen Recherchen in möglichst unterschiedlichen Datenbanken zum Vorschein kommen. Die Vielfalt von Gebührenmodellen sollte der Vielfalt und Kreativität wissenschaftlicher Publikationen um nichts nachstehen und auch einzelne Informationsressourcen derselben Institution differenzieren.
- Der Nutzer liebt das Spiel mit der Maus. Versuche daher, auch bei typischerweise wiederholt und massenhaft genutzten Angeboten, mehrere zwingende Zwischenschritte, Mausklicke also, einzuschalten, seien sie auch noch so nichtssagend und sinnlos, zumindest aus der Sicht des nichtsahnenden Nutzers.
- Jede Website weist zweifellos Highlights auf. Diese sollten vom Nutzer keineswegs durch Zurückgehen oder Rückgängigmachen wieder verlassen werden können. Schon der Versuch sollte möglichst mit Absturz seines Computersystems beantwortet werden, dies sollte aber möglichst eine nicht reproduzierbare Überraschung bleiben.
Was sollen diese Hinweise auf das eine oder andere wenig nutzerfreundliche Phänomen sagen? Ich bin der Meinung, dass der Zugang zu wissenschaftlichen Quellen, vor allem zu hochwertigen Quellen, d. h. - wenn wir nicht ihr Zustandekommen betrachten (was uns auf die Abwege einer wissenschaftstheoretischen Betrachtung von Qualitätskriterien wissenschaftlicher Arbeit führen würde), sondern eher das Endprodukt der wissenschaftlichen Wertschöpfungskette – d. h. also, wenn wir das Endstadium und die formale Seite betrachten, sorgfältig evaluierte und editierte Quellen in einem professionellen Informationsdesign, dass der Zugang zu diesen Informationsressourcen auch heute noch keinesfalls komplikationsfrei verläuft.
Konventionelle und digitale Fachinformationswelten sind keineswegs ‚nahtlos’ integriert, die Fronten verlaufen oft quer durch Spezialgebiete und Fachdisziplinen, ungeachtet der Unterschiede von Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften. Es sind solche Komplikationen und in ihrer Größenordnung und ihren Folgen schwer einschätzbare mediale Grenzen und Verwerfungen, die zu einem der – zumindest aus meiner Sicht – hervorstechendsten Ergebnisse des Klatt-Reports [2] geführt haben, demzufolge ein hoher Anteil fachlich Höchstqualifizierter (also z. B. wissenschaftliche Mitarbeiter von Hochschulen und Hochschullehrer) ebenso wie Studierender Unsicherheit darüber äußerte, ob die tatsächlich vorhandenen Fachinformationen jeweils adäquat ermittelt und ausgeschöpft werden.
Dies ist einerseits vor dem Hintergrund intensiver und zunehmend ausschließlicher Suchmaschinennutzung zu sehen, andererseits vor dem Hintergrund der jedem Information Professional geläufigen und empirisch belegbaren Tatsache, dass bisher keine Suchmaschine (auch etwa Google Scholar nicht) alle Fachinformationsräume auch nur halbwegs verlässlich und umfassend abbildet. Dass sich auch beim Nicht-Information-Professional offenkundiges Unbehagen einstellt, ist somit als gutes Zeichen zu werten.
Nutzer- und Kundenfreundlichkeit steht auf den Fahnen heutiger Informationsfachleute, und wir können froh darüber sein. Angebote nutzergerecht und benützungsfreundlich zu gestalten, gilt vielen als das Ziel auch jedweder wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema Information und Bibliothek, auch jeder bibliotheks- und informationswissenschaftlichen. Es ist ein Verdienst des Jubilars dieser Festschrift, immer wieder darauf hingewiesen zu haben, dass bibliotheks- und informationswissenschaftliche Grundlagenforschung die Bahnen der Nutzer- und Kundenzentrierung scheinbar weit verlässt; dass aber gerade diese Distanz, wie die Geschichte hier und auf anderen Gebieten immer wieder zeigt, zu unerwarteten Erkenntnissen und zu Instrumenten führt, die weit über das hinausgehen, was Nutzer zu äußern oder sich vorzustellen in der Lage sind oder was ihre professionellen Fürsprecher daraus ableiten. Und in diesem Sinne ist die wissenschaftliche Grundlagenforschung über das Phänomen Information auch Ausgangspunkt für Utopien.
© Die inhaltliche Zusammenstellung und Aufmachung dieser Publikation sowie die
elektronische
Verarbeitung sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich
vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung. Das gilt insbesondere für
die Vervielfältigung, die Bearbeitung und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme.
|
DiML DTD Version 4.0 | Zertifizierter Dokumentenserver der Humboldt-Universität zu Berlin | HTML-Version erstellt am: 22.03.2007 |