Mit dem vorliegenden sechsten Band sollte die von Gyldendal und der Carlsberg-Stiftung herausgegebene große Serie über die Geschichte der dänischen Außenpolitik eigentlich abgeschlossen werden. Es ist ein durchaus ambitiöses Projekt gewesen, die Entwicklung der Außenpolitik Dänemarks in sechs Bänden vom Jahr 700 bis zu den heutigen Tagen zu beschreiben. Das Projekt ist ein Teil der großen nationalen Enzyklopädie. Die Herausgeber und Autoren sind führende dänische Historiker und Staatsrechtler. Umso unverständlicher ist es, dass es nicht gelungen ist, dieses Projekt rechtzeitig zu Ende zu führen. Immer noch fehlt der fünfte Band der Serie, der den Zeitraum von 1945 bis 1973 behandelt. Dieser Band wird wohl erst zur selben Zeit herauskommen wie der bereits angekündigte erste Ergänzungsband der Serie über die dänische Entwicklungspolitik, der als Supplement erscheinen wird.
Das vorliegende Buch, das die Zeit von 1973 bis 2003 erfasst, wurde von dem Politikwissenschaftler Nikolaj Petersen geschrieben, der vor kurzem zum Forscher des Jahres der Aarhus Universität ernannt worden ist. Dass gerade Petersen diesen Band geschrieben hat, ist kaum ein Zufall. Petersen ist nicht nur einer der absolut führenden Beobachter und Kenner der Außenpolitik dieser Zeit, er ist auch ein zuverlässiger und umsichtig agierender Forscher. Das ist nicht zuletzt deswegen von Vorteil, da gerade dieser Zeitraum als ein “politisches Minenfeld” zu betrachten ist. Denn noch immer sind die politischen Diskussionen, die diesen Zeitraum betreffen, sehr lebendig, und auch die Akteure sind oft heute noch politisch aktiv.
Die Debatte ist besonders in der Frage der so genannten Fußnotenpolitik während der bürgerlichen Minderheitsregierung der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts hitzig geführt worden. In dieser Zeit wurde die dänische Sicherheitspolitik sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik heftig diskutiert. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen die Atomwaffenpolitik der NATO, der Doppelbeschluss und die Strategic Defence Initiative. Die Mehrheit der dänischen Parteien nahm in diesen Fragen eine skeptische bis abweisende Haltung gegenüber der Hauptlinie der westlichen Allianz ein. Deshalb bildeten die Sozialdemokraten, die Sozialistische Volkspartei SF und die sozialliberale Radikale Venstre die so genannte “alternative Mehrheit” im dänischen Parlament, dem Folketing. Durch eine Reihe von Beschlüssen gelang es der Mehrheit des Folketings, in den Jahren 1982 bis 1988 den Handlungsspielraum der Regierung einzuengen. Diese Vorgehensweise führte nicht nur zu einer andauernden Konfrontation besonders zwischen den Sozialdemokraten und dem damals amtierenden Außenminister der liberalen Venstre-Partei Uffe Ellemann-Jensen, sondern auch zu Unmut unter den Alliierten, besonders den USA, die ohnedies vom dänischen Unwillen, die Rüstungsausgaben zu erhöhen, nicht gerade begeistert waren.
Innenpolitisch tobt die Diskussion bis heute weiter – vor allem mit dem Vorwurf, dass die dänischen Oppositionspolitiker mit der Glaubwürdigkeit und den Einflussmöglichkeiten Dänemarks in der NATO gespielt hätten. Was aber oft in Vergessenheit gerät, ist die Tatsache, dass die Regierungsparteien für einige Beschlussvorlagen der Opposition stimmten und diese auf jeden Fall bis hin zu der so genannten “Atomwahl” 1988 akzeptierten. Letzten Endes herrschte auch innerhalb der Regierung nicht vollkommene Einigkeit. So war der konservative Ministerpräsident Poul Schlüter mehr an der Innenpolitik und der wirtschaftlichen Lage Dänemarks als an der Außenpolitik interessiert. Nikolaj Petersen gelingt es, sich aus den politischen Reibereien herauszuhalten. Seine Beschreibung ist ein guter Überblick, in dem er darstellt, worum es eigentlich bei den einzelnen politischen Auseinandersetzungen in der damaligen Zeit ging. Das ist eine besondere Qualität, weil der tatsächliche Lauf der Dinge in der heutigen Diskussion oft in Vergessenheit gerät.
Der Zeitraum, den Petersen beschreibt, ist eine sehr dynamische Periode der dänischen Außenpolitik gewesen. Die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft im Januar 1973 markierte die Bereitschaft Dänemarks zu einer intensiveren Teilnahme am internationalen Geschehen. Hierauf folgten die nicht unwesentlichen Beiträge Dänemarks im Entspannungs-Prozess – vor allem durch das Engagement bei der Gestaltung des so genannten “dritten Korbes” der Helsinkier KSZE-Schlussakte. Die Reibereien in der Sicherheitspolitik in den achtziger Jahren (die letztlich kein isoliert dänisches Phänomen waren, obwohl dies in Dänemark gern so gesehen wird) drängten Dänemark außenpolitisch in die Defensive, bis die internationale Entwicklung durch die Auflösung des Sowjetimperiums überrollt wurde. Die dänische Politik hat sich seither wesentlich verändert; sowohl sozialdemokratische als auch bürgerliche Regierungen nach 1990 versuchten, eine aktive Rolle auf dem internationalen Parkett zu spielen. Dänemark engagierte sich aktiv für die Transformationsprozesse in Osteuropa, insbesondere im Baltikum. Hier agierte man teils durch wirtschaftliche und ökologische Unterstützung, teils durch die Befürwortung der Aufnahme der baltischen Länder in die Europäische Union und in die NATO. Im Rahmen der NATO bildete Dänemark mit Deutschland die ehemalige COMBALTAP in ein Nordost-Kommando um.
Der verstärkte Aktivismus in der Außenpolitik kam auch in der Bereitschaft zu bewaffneten Einsätzen im Ausland zum Ausdruck. Die dänischen Streitkräfte waren früher schon im Rahmen von Friedensmissionen der UNO zum Beispiel auf Zypern (1964–1992) oder auf der Sinai-Halbinsel (1956–1967) tätig gewesen. Seit 1990 änderte sich jedoch dieses Bild. Dänische Truppen wurden zunehmend im Ausland eingesetzt – mit oder ohne Zustimmung der UNO, der früher durch Dänemark eine gewichtigere Rolle als politische Instanz zur Weltfriedensordnung eingeräumt wurde. In der veränderten Welt zeigte sich die dänische Regierung bereit, von diesem übergeordneten Prinzip abzuweichen. Am zweiten Golfkrieg 1990/91 beteiligte sich Dänemark mit einer Fregatte an der UNO-Blockade, die jedoch bei Kriegsbeginn abgezogen wurde. Im ehemaligen Jugoslawien zeigte Dänemark mit der Stationierung von Panzereinheiten aus der Dänischen Internationalen Brigade in Bosnien und im Kosovo Flagge. Dänische Flugzeuge flogen in den beiden Kriegen gegen Serbien sowie gegen die Taliban in Afghanistan Luftangriffe. Die Vollendung dieses Prozesses war die zwar umstrittene Teilnahme in der “coalition of the willing” im Irakkrieg und bei der anschließenden Besetzung Iraks.
Im Verhältnis zur EU zeigte sich eine wesentliche Spaltung zwischen den Parteien und der Bevölkerung. Die Sozialdemokraten und die Radikale Venstre waren lange Zeit zwar europäische Befürworter, dieses jedoch zögernd. Dies änderte sich nach dem Ende des Kalten Krieges. Nicht nur die beiden Parteien stellten sich hinter das Europäische Projekt, auch die Volkssozialisten begaben sich nach dem so genannten “nationalen Kompromiss” nach der Abweisung des Maastricht-Vertrages auf eine skeptische Pro-EU-Linie. Damit standen alle Parteien außer der rot-grünen Einheitsliste und der nationalistischen Dänischen Volkspartei hinter der EU, jedoch nur etwa die Hälfte der Bevölkerung. Dieser Problematik widmet Petersen leider wenig Platz, dafür liefert er eine umfassende Darstellung der geführten Politik. Seine Fähigkeit, den Überblick über die vielen verschiedenen Entwicklungsstränge zu behalten, ist alles in allem eines der großen Verdienste dieses Werkes. Damit schafft er ein sicheres Fundament für die weitere Forschung auf dem Gebiet. Mit Sicherheit ist hiermit nicht das letzte Buch über dieses sehr umfassende Thema geschrieben worden. Deshalb ist es als sehr positiv zu werten, dass das Werk quellenmäßig gut fundiert ist. Petersen hat einen großzügigen Zugang zu unterschiedlichsten Quellen genossen. Obwohl die dänischen Archive bei weitem nicht zu den liberalsten zählen, ist es Petersen gelungen, Zugang zu den Akten des Außenministeriums, des außenpolitischen Ausschusses des Folketings und der Parteien bis Anfang der neunziger Jahre zu bekommen. Zu hoffen bleibt nur, dass dies keine Ausnahme darstellt, die auf seine Person beschränkt ist, sondern ein Präzedenzfall auch für andere Forscher sowohl aus Dänemark wie aus dem Ausland bilden wird. Mit dem 2003 von Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen gegebenen Versprechen über erweiterten Zugang für Forscher zu den Akten aus dem Kalten Krieg scheint es auf diesem Gebiet wirklich Hoffnung auf eine Art “Glasnost-Ära” in der Verwaltung der dänischen Archive zu geben.
Ein perspektivreiches Thema, das beispielsweise weiter erforscht werden könnte, wäre die ideelle oder ideologische Außenpolitik. Bei der Präsentation von Petersens Buch sprach der jetzige dänische Außenminister Per Stig Møller. Er unterstrich zwei Elemente als die entscheidenden für die Außenpolitik eines Staates, nämlich die äußere Sicherung des Staates und die Erweiterung seines außenpolitischen Spielraums. Was Møller aber außen vor ließ, waren die Fragen des “Warum” oder “Wohin” in der Außenpolitik. Schließlich sind Spielräume weniger wert, wenn der Staat weder Weg noch Ziel in seiner Außenpolitik kennt. Dieser Aspekt wird von Petersen in einer Diskussion über Demokratisierung angedeutet. Diese Fragen spielen aber auch eine kleine Rolle bei der Beschreibung des Entspannungsprozesses, der “Alternativen Mehrheit” und der neuen Weltordnung. Im Buch werden sie jedoch im Wesentlichen von der umfassenden und beachtenswerten Darstellung des Ablaufs der Außenpolitik überschattet.