NORDEUROPAforum
Zeitschrift für Politik,
Wirtschaft und Kultur
ISSN 1863639X
2/2008
18. Jahrgang (11. der N.F.)
Seiten 166-167

Thomas Lundén und Torbjörn Nilsson (red.): Sverige och Baltikums frigörelse. Två vittnesseminarier om storpolitik kring Östersjön 1989–1994. Samtidshistoriska institutet / Centre for Baltic and East Europaean Studies, Södertörns högskola 2008 (= Samtidshistoriska frågor; 16 / Baltic and East European Studies; 11), 164 S.

Das Schicksal der baltischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Schweden bis in die 1980er Jahre hinein allgemein beschwiegen. Ende der 1980er Jahre allerdings kam es zu einem relativ schnellen Umschwung in der öffentlichen Meinung, und auch die Politik folgte dieser Spur, zunächst zögerlich, später deutlich entschiedener. Das Institut für Zeitgeschichte (Samtidshistoriska institutet) und das Centre for Baltic and East European Studies der Hochschule Södertörn haben in den vergangenen Jahren gemeinsam zwei so genannte Zeitzeugenseminare veranstaltet, die den Geschehnissen im Baltikum und der Rolle Schwedens bei der Wiedererlangung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten nachspürten. Die Protokolle der beiden Veranstaltungen sind jetzt im Druck erschienen.

Im November 2006 diskutierte Thomas Lundén unter dem Titel „War die Sache des Baltikums unsere?“ („Var Baltikums sak vår?“) die Rolle Schwedens im Prozess der Wiedererlangung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten zwischen 1989 und 1991. Die diskutierenden Zeitzeugen waren Birgitta Dahl, Umweltministerin von 1986 bis 1991 und Präsidentin des schwedischen Reichstags von 1994 bis 2002, Hans Lepp, Diplomat für Kulturfragen in Estland, Peeter Luksep, Reichstagsabgeordneter der konservativen Moderata samlingspartiet und Aktivist der Solidaritätsbewegung für das Baltikum (Norrmalmsrörelsen), Hans Olsson, damals Sachbearbeiter für den Bereich Sowjetunion im Außenministerium, Krister Wahlbäck, Professor für Politikwissenschaft und damals Minister in der schwedischen Botschaft in Helsinki, sowie Enn Kokk, Funktionär in der Führung der sozialdemokratischen Partei.

Im Rahmen des zweiten Seminars im April 2007 diskutierte Torbjörn Nilsson unter dem Titel „Als Russland das Baltikum verließ. Schwedische Sicherheitspolitik im Osten 1991–1994“ („När Ryssland lämnade Baltikum. Svensk säkerhetspolitik i österled 1991–1994“) die diplomatischen Bemühungen Schwedens, nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit den sowjetischen Truppenabzug zu beschleunigen. Zeitzeugen waren Lars Peter Fredén, Botschafter und damals Berater von Ministerpräsident Carl Bildt in Baltikumfragen, Oberst Jan Blomqvist, von 1990 bis 1996 Chef der Analyseabteilung des militärischen Nachrichten- und Sicherheitsdienstes, Laila Freivalds, sozialdemokratische Justizministerin von 1988 bis 1991 und von 1994 bis 2000 sowie Außenministerin von 2003 bis 2006, und Håkan Holmberg, Reichstagsabgeordneter der liberalen folkpartiet und Chefredakteur von Upsala Nya Tidning.

Ziel der Zeitzeugenseminare ist es einerseits, neue Forschungsfelder zu erschließen, und andererseits – so eigenartig dies klingen mag –, neues, zugängliches Quellenmaterial zu produzieren. Denn auch wenn in Schweden das Öffentlichkeitsprinzip besteht, nach dem es grundsätzlich keine Sperrfristen für Akten gibt – in Deutschland sind dies immerhin dreißig Jahre, was eine zeitnahe Aufarbeitung politischer Entscheidungsprozesse deutlich erschwert (vgl. den Beitrag zur deutschen Baltikumpolitik von Helge Dauchert in diesem Heft) –, so werden viele Entscheidungen informell vorbereitet und getroffen, so dass ihr Zustandekommen aufgrund mangelnder Dokumentation nicht im Einzelnen nachvollzogen werden kann. Bei aller Vorsicht, die aus quellenkritischer Sicht angebracht ist, können die gewonnenen Informationen jedenfalls wichtige Anhaltspunkte für weitere Recherchen liefern. Die Seminare sind öffentlich, die Redebeiträge werden aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Vor der Veröffentlichung haben die beteiligten Zeitzeugen Gelegenheit, Korrekturen vorzunehmen.

Der Band wird abgerundet durch eine Zeittafel zu den Ereignissen in den baltischen Ländern von der Gründung der Volksfront in Estland im April 1988 bis zur Anerkennung der baltischen Staaten durch die Sowjetunion im September 1991 sowie ein Personenregister.

Krister Hanne (Berlin)