Aus dem Forschungsprogramm „Olof Palme in sin tid“ sind in den letzten Jahren mehrere Publikationen hervorgegangen, die sich dem schwedischen Politiker aus zeitgenössischen Blickwinkeln nähern, so Gunnela Björks Olof Palme och medierna (vgl. NORDEUROPAforum 2007:2) und Kjell Östbergs I takt med tiden. Olof Palme 1927–1969 (vgl. NORDEUROPAforum 2008:2). Ann-Marie Ekengren legt mit ihrer Monografie Olof Palme och utrikespolitiken eine Fallstudie vor, in der sie die Bedeutung von Ideen im außenpolitischen Handeln Palmes analysiert. Anhand der Europa- und der Dritte-Welt-Politik Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre sucht sie zu erklären, wie Vorstellungswelt, Ideen und Handlungen miteinander korrespondieren. Sie begreift ihre Studie vor allem als einen Beitrag in der Theorieentwicklung zur Bedeutung von Ideen in politischen Entscheidungsprozessen. Die Entscheidung für Palme liegt darin begründet, dass er als einflussreicher Politiker zugleich in Fremd- und Selbstwahrnehmung ein profilierter Ideenpolitiker gewesen sei.
Ekengren beruft sich in ihrer Unterscheidung zwischen Ideen als road maps, welche die Wirklichkeitsauffassung von politischen Akteuren bestimmen, und Ideen als strategische Instrumente auf eine Typologie von Judith Goldstein und Robert Keohane. Entscheidend für die Wirkungsmächtigkeit von Ideen seien Art der Sachfrage und Zeitpunkt, zu dem sie in die Debatte eingeführt werden. In der Definitionsphase von Problemen fungieren Ideen, so Ekengrens Hypothese, in erster Linie als road maps, während sie in der Lösungsphase vor allem von strategischer Bedeutung zum Beispiel für politische Allianzbildungen sind. Zudem folgt sie der Einteilung von Ideen in world views, principled beliefs und causal beliefs, wobei vor allem Prinzipien und Kausalitätsvorstellungen von Interesse seien.
Die Entscheidung für die Europa- und die Dritte-Welt-Politik begründet Ekengren mit Kjell Goldmans Typologie außenpolitischer Fragen. Dieser unterscheidet zwischen rein internationalistischen Politikfeldern und jenen, die die nationale Interessensphäre stärker berühren. In der Europapolitik, die zu letzterer zähle, sei eine geringere Wirkungsmächtigkeit von Ideen zu erwarten und wenn, dann in erster Linie mit strategischen Implikationen. Die Dritte-Welt-Politik mit Fragen der Entkolonialisierung und Demokratisierung als klassisch internationalistisches Politikfeld eigne sich hingegen stärker zur Profilierung von Ideen.
In der Dritte-Welt-Politik erkennt Ekengren vier zentrale Ideen (Recht auf Selbstbestimmung, soziale und ökonomische Gleichheit, Gleichwertigkeit der Menschen sowie Völkerrecht), die allesamt sowohl als Prinzipienideen als auch als Kausalitätsvorstellungen fungieren. So ging Palme davon aus, dass fehlende nationale Selbstbestimmung und soziale sowie ökonomische Ungleichheit gewaltsame Konflikte bedingen und somit zu Instabilität führen können. Alle vier Ideen fungierten in der Problemdefinition, an der Palme in Schweden großen Anteil hatte, als road map; alle Ideen sprachen für eine aktive Unterstützung der Befreiungsbewegungen und eine engagierte Entwicklungspolitik. Die Idee des Selbstbestimmungsrechts sowie der Gleichwertigkeit der Menschen wurden zudem zu strategischen Zwecken instrumentalisiert, um die Gemeinsamkeiten mit der liberalen folkpartiet zu überspielen und sich parteipolitisch besser positionieren zu können. Während Palme als engagierter Dritte-Welt-Politiker bekannt ist, so wurde seiner Haltung in der Europapolitik bisher kaum Beachtung geschenkt. Dabei offenbart Ekengrens Studie gerade hier überraschende Ergebnisse. Ideen fungierten in der Europapolitik nicht, wie nach theoretischen Prämissen zu erwarten wäre, lediglich zur Strategiefindung, sondern halfen als road map bei der Problemdefinition. So hoffte Palme, die sozialdemokratische Idee der Gleichheit nach Europa exportieren und die Entwicklung der EG beeinflussen zu können.
Auffallend auch, dass Palme in der Genese der Europafrage auf identische Ideen rekurrierte, um zu einem jeweils konträren Entschluss zu kommen. So konnte die Idee des Freihandels zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Debatte für oder gegen eine EG-Mitgliedschaft Schwedens sprechen. Der Wendepunkt in Palmes Europapolitik waren der Werner-Plan und der Davignon-Bericht; die darin begründete stufenweise Wirtschafts- und Währungsunion sowie die stärkere politische Integration stellten eine Gefahr für die Gleichheitsidee und die Neutralitätsidee dar. Diese beiden Dokumente bedingten eine erneute Definitionsphase; statt als Lösung eines Problems wurde die EG nun zur möglichen Bedrohung für den schwedischen Wohlfahrtsstaat. Zudem reanimierte Palme die Gleichheitsidee zu strategischen Zwecken, um sich von der bürgerlichen Opposition zu distanzieren und das klassische Rechts-Links-Schema zu aktualisieren. Obgleich Ekengren ihre Monografie im Dienst der Theorieentwicklung verstanden wissen will, lässt sie sich ebenso gut, oder vielleicht sogar besser, primär als ein Buch über Olof Palme und dessen außenpolitische Vorstellungswelt lesen.