Anfang Mai 1945 befanden sich fast 250.000 deutsche Flüchtlinge aus den „Ostgebieten“ in Dänemark, die in das besetzt gehaltene Königreich evakuiert worden waren. Von der Ankunft des ersten Flüchtlings im Februar bis zur deutschen Kapitulation in Dänemark am 5. Mai 1945 verloren 6.580 Flüchtlinge das Leben. Darunter waren mehr als 4.000 Kinder, die vor allem an Unterernährung und Lungenentzündungen starben.
Der vorliegende Beitrag untersucht, wie es zu dieser Sterblichkeit kommen konnte und beleuchtet die Verhandlungen über ärztliche Hilfe für die Flüchtlinge zwischen der dänischen Verwaltung und den deutschen Behörden. Eine „Flüchtlingsregelung“ wurde nicht erreicht, da egoistische und politische Überlegungen auf deutscher wie auf dänischer Seite einer Einigung im Wege standen.
At the beginning of May 1945 almost 250.000 refugees from the eastern parts of Germany were in Denmark, having been evacuated into the occupied kingdom. From the arrival of the first refugee in February until the German capitulation in Denmark on May 5, 1945, 6.580 refugees lost their lives. Among them were more than 4.000 children who mostly died of malnutrition and pneumonia.
This article examines the reasons behind this death toll and sheds light on the negotiations pertaining to medical help for the refugees between the Danish administration and the German authorities. However, due to egoistical and political considerations both on the German and Danish sides, an agreement was never settled upon.
Drei Stunden vor seiner Hinrichtung durch die deutsche Gestapo schrieb der dänische Widerstandskämpfer Christian Ulrik Hansen einen Abschiedsbrief an seine Familie und nannte darin seinen letzten Wunsch: „Wenn der Frieden geschlossen ist, nehmt ein elternloses deutsches Kind anstatt meiner! Denn so verlangt es Gott von uns, daß wir Werkzeuge sein sollen, zuerst für seine Strenge, dann für seine Güte.“1 Der Frieden war zum Zeitpunkt seines gewaltsamen Todes im Juni 1944 fast noch ein ganzes Jahr entfernt, doch bewies Hansen mit seiner Bitte an seine Familie nicht nur einen tiefen religiösen Glauben, sondern auch fast hellseherische Kräfte. Denn wenn eine Gruppe in Dänemark unmittelbar vor und nach der Kapitulation der Hilfe und Barmherzigkeit bedurfte, so waren es die deutschen Kinder in Dänemark.
Als Dänemark am 5. Mai 1945 offiziell befreit wurde und die deutsche Besetzung nach fünf langen Jahren ein Ende nahm, befand sich Dänemark in einem kollektiven Freudentaumel. Die Straßen waren gesäumt von lachenden und singenden Dänen, überall war die dänische Nationalfahne – der Dannebrog – zu sehen, und den englischen Befreiern wurde enthusiastisch zugejubelt. Größer konnte der Kontrast zu den fast 250.000 deutschen Zivilflüchtlingen in Dänemark kaum sein, die voller Angst um Familienangehörige, Freunde und die verlassene Heimat einer unsicheren Zukunft entgegenblickten.2
Diese Viertelmillion Frauen, Kinder und Alte vor allem aus Ost- und Westpreußen, Hinterpommern und Danzig waren ab Anfang Februar in das besetzte Dänemark evakuiert worden. Von vielen Flüchtlingen wurde das Königreich nach Wochen der Angst vor russischen Soldaten, britischen Bombern und den Gefahren der Überfahrt als der sprichwörtliche sichere Hafen empfunden. Doch auch in Dänemark holten Leid und Schrecken viele der Flüchtlinge ein – die vielen Todesfälle unter ihnen sprechen eine deutliche Sprache. Von Anfang Februar 1945 bis zur deutschen Kapitulation am 5. Mai starben 6.580 Flüchtlinge in Dänemark.3 Die hohen Todeszahlen unter den deutschen Flüchtlingskindern stechen besonders ins Auge: 4.132 Tote im Alter von unter 15 Jahren bis zur Kapitulation, weitere 3.614 bis zum Ende des Jahres 1945.4 Je jünger ein Kind, desto geringer die Überlebenschance. So lag 1945 die Sterberate unter Säuglingen bei 80 Prozent. Todesursachen waren in erster Linie Unterernährung, Lungenentzündungen und Magen-Darm-Erkrankungen.5
Trotz dieser Zahlen blieben die Flüchtlinge in der Forschung bislang weitgehend unbeachtet. Neben der Monographie von Karl-Georg Mix, der selbst während seiner Kindheit mehr als drei Jahre als Flüchtling in Dänemark verbrachte, liegen lediglich die übersetzten Werke von zwei dänischen Historikern in deutscher Sprache vor.6 Darüber hinaus gibt es eine sehr überschaubare Anzahl von Aufsätzen zu diesem Thema.7 Eine tiefer gehende Diskussion hat sich aus diesen Beiträgen nie entwickelt. Dementsprechend gilt die Einschätzung von Jens Olesen: Die deutschen Flüchtlinge werden „mit einem gewissen Desinteresse betrachtet und als ‚Episode’ als weniger wichtig erachtet“8.
In Dänemark hat sich erst in den letzten zehn Jahren eine Kontroverse über das Schicksal der deutschen Flüchtlinge entzündet, in der die bis dahin gültige Meistererzählung in Frage gestellt wurde. Kirsten Lylloff vertrat 1999 in einem Aufsatz die These, die Dänen und nicht zuletzt die dänischen Ärzte hätten passiv zugesehen, wie tausende Flüchtlinge und vor allem Kinder starben.9 Dieser Aufsatz hatte eine breite und teilweise heftige Debatte zur Folge, in der allerdings die Todeszahlen unter den Flüchtlingen nicht in Zweifel gezogen wurden. Die bis heute andauernde Diskussion dreht sich um die Frage, ob die vielen Todesfälle hätten verhindert werden können. Sie rührt somit an dem Selbstbild vieler Dänen, wonach sie die Flüchtlinge in einer Art und Weise behandelt hätten, die Dänemark sich selbst und dem Ausland gegenüber verantworten konnte.10
Dieser Aufsatz beleuchtet die Zeit von der Ankunft des ersten Flüchtlings im Februar 1945 bis zur deutschen Kapitulation im Mai und geht der Frage nach, wie es zu dieser hohen Sterblichkeit unter den Flüchtlingen in der vermeintlichen Sicherheit Dänemarks kommen konnte. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Verhalten der drei konkurrierenden Autoritäten in Dänemark – die deutschen Behörden, die dänische Verwaltung sowie die dänische Widerstandsbewegung – sowie deren Verhandlungen über ärztliche Hilfe für die Flüchtlinge, im Rahmen derer diese Frage politisiert wurde und humanitäre Gesichtspunkte größtenteils unter den Tisch fallen gelassen wurden.
Dabei darf der historische Kontext nicht aus den Augen verloren werden. In den drei letzten Kriegsmonaten war Dänemark mit einer beispiellosen Situation konfrontiert. Nie zuvor hatte eine Kriegsmacht hunderttausende eigene Staatsbürger gegen deren Willen in ein besetzt gehaltenes Land evakuiert. Als der Flüchtlingsstrom unüberschaubare Ausmaße annahm, mussten viele Dänen, unter ihnen einfache Bürger ebenso wie Vertreter der dänischen Verwaltung und Widerstandskämpfer, entscheiden, wie sie mit dieser „humanitäre(n) Katastrophe, wie es sie in diesem Umfang in der modernen Zeit in Dänemark nicht gegeben hat“11, umgehen wollten. Es gab keinerlei Präzedenzfälle, Rechtsnormen oder Richtlinien, nach denen sich die dänischen Behörden hätten richten können und die heute problemlos als Maßstab ihres Handelns angewendet werden könnten. Dieser Aufsatz leuchtet auch die Grauzone zwischen moralischer Pflicht, nationaler Verantwortung und individuellem Eigennutz auf deutscher wie auf dänischer Seite aus.
Als Quellengrundlage dienen in erster Linie die Bestände des dänischen Außenministeriums und des Ärzteverbandes, die im Reichsarchiv in Kopenhagen aufbewahrt werden.12 Außerdem werden illegale Zeitschriften der Widerstandsbewegung und dänische Radiosendungen der BBC einbezogen, um die nach außen vertretene Haltung des Widerstandes aufzuzeigen.13 Auf deutscher Seite ist die Quellenlage bedeutend schlechter. In den letzten Wochen vor der Kapitulation setzte bei den deutschen Zivilbehörden in Dänemark eine rege Zerstörungsaktivität ein. Quellen deutscher Provenienz lassen sich fast ausschließlich in den Archivbeständen des Oberkommandos der Wehrmacht und der Reichsmarine in der Militärabteilung des Bundesarchivs in Freiburg finden.14 Dieser Aufsatz schließt insofern eine Lücke, als er dänische Quellen im größeren Ausmaß auch für deutsche Leser zugänglich macht und zugleich unveröffentlichte deutsche Quellen vorstellt, die in der dänischen Debatte bisher unberücksichtigt geblieben sind.
Am 4. Februar 1945 erließ Adolf Hitler als Reaktion auf die Welle der Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten, die nach dem Beginn der russischen Winteroffensive im Januar 1945 Hals über Kopf die Flucht angetreten hatten, folgenden Befehl: „Aus dem Osten des Reichs vorübergehend rückgeführte Volksgenossen sind außer im Reich auch in Dänemark unterzubringen.“ Dem Reichsbevollmächtigten in Dänemark, Dr. Werner Best,15 wurde die politische Verantwortung übertragen, wobei die Wehrmacht verpflichtet wurde, „jede nur erdenkliche Unterstützung“ zu leisten. Diese sollte sich gemäß eines Zusatzes des Oberkommandos der Wehrmacht vor allem auf Verpflegung, sanitäre Betreuung und Bereitstellung von Zwischenunterkünften erstrecken.16
Die ersten Flüchtlinge erreichten Dänemark am 9. Februar mit Zügen aus deutschen Ostseestädten. Schon wenig später legte das erste Verwundeten- und Flüchtlingsschiff, die Wartheland, im Hafen von Kopenhagen an.17 An Bord des Frachtdampfers waren 2.000 verletzte Soldaten und 200 Flüchtlinge. Sowohl deutsche als auch dänische Quellen berichten von den schlechten Zuständen an Bord. So meldete der dänische Quarantänearzt des Kopenhagener Hafens, der in den Folgemonaten alle angekommenen Flüchtlingsschiffe besichtigten sollte, „dass die Patienten auf dem Boden lagen, eventuell auf Matratzen; sie sahen erbärmlich aus, mager und trist“18. Ein Sanitätsoffizier der Reichsmarine schrieb über die Ankunft der Wartheland eine Erkenntnis nieder, die ebenso für alle folgenden Flüchtlingstransporte galt: „Insbesondere ist der Gesundheitszustand der meisten mitgeführten Kinder recht bedenklich.“19
Die dänische Bevölkerung stand dieser „zweiten Besetzung“, wie der unaufhaltsame Flüchtlingsstrom auch genannt wurde,20 nicht weniger kritisch gegenüber als der ersten. Die dänische Zentralverwaltung, die seit August 1943 die Amtsgeschäfte leitete,21 verweigerte in der Flüchtlingsfrage rundweg jede Form der Kooperation. Der offizielle Protest wurde am 10. Februar dem Reichsbevollmächtigten und einige Tage später auch dem Wehrmachtbefehlshaber in Dänemark, Generaloberst Georg Lindemann, übergeben. In dieser Protestnote argumentierte Nils Svenningsen, der Staatssekretär im dänischen Außenministerium, mit der Haager Landkriegsordnung und bezog sich dabei auf Artikel 52, wonach „Naturalleistungen und Dienstleistungen von Gemeinden oder Einwohnern des besetzten Gebietes nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres gefordert werden können“22. Zivilisten, wie in diesem Fall die Flüchtlinge, würden nicht hierunter fallen.
In den Vermerken der dänischen Verwaltung wird sehr deutlich, dass den Beamten eine objektive Auseinandersetzung mit den Flüchtlingen nicht möglich war. So wurde am 13. Februar aus Apenrade von den „schmutzigen“ Deutschen berichtet: „Die Betreffenden sind im Übrigen in einer fürchterlichen Verfassung, winselnd und mitgenommen, jedoch fehlt dem rechten Arm nichts. Ein kleines, fünfjähriges Mädchen, das zum Krankenhaus gebracht worden war, erhob den Arm zum gewöhnlichen Gruß und sagte zur Krankenschwester: ‚Liebst du den Führer, Schwester?’.“23
Die deutschen Behörden in Dänemark trugen allerdings maßgeblich dazu bei, die Fronten zwischen Deutschen und Dänen weiter zu verhärten und aufkommende Hilfsbereitschaft im Keim zu ersticken. Am 16. und 19. Februar deportierte die deutsche Polizei in Dänemark insgesamt 358 dänische Staatsbürger in deutsche Konzentrationslager und begründete dies mit einem Mangel an Haftraum. Die Entrüstung, die die Deportationen hervorriefen, war groß. Das verdeutlicht das Treffen der Staatssekretäre, bei dem Svenningsen dem Protokoll zufolge ausführte, dass es inakzeptabel sei, „dass zum jetzigen Zeitpunkt des Krieges, wo Evakuierungen aus Deutschland stattfänden, die deutsche Polizei weiterhin dänische Staatsbürger in Gefängnislager in Deutschland transportiere und man gleichzeitig Dänemark mit Flüchtlingen auffülle“24. Die Widerstandspresse schlug in die gleiche Kerbe. Am 4. März erschien ein Artikel über die Flüchtlinge im illegalen Land og Folk, in dem das Absurde der deutschen Argumentation beschrieben wurde: „Und während unsere Landsmänner in steigender Anzahl als Sklaven und Geiseln nach Deutschland, zu den Schrecken des Krieges, deportiert werden – flüchtet das ‚Herrenvolk’ hierher. Panisch strömen sie über unsere Grenzen, um dem Unglück zu entfliehen, das sie selbst verursacht haben.“25
Doch damit nicht genug. Am 20. Februar 1945 stürmte eine von der SS protegierte Gruppe dänischer Handlanger die Dienstwohnungen von vier Ärzten in Odense und tötete diese, teilweise vor den Augen der Ehefrauen und Kinder. Diese brutalen Morde standen in keinem Zusammenhang mit den deutschen Flüchtlingen, verdeutlichen aber, dass die Deutschen den Terror gegen die dänische Zivilbevölkerung unvermindert fortsetzten, obwohl sie auf deren humanitäre Unterstützung in der Flüchtlingsfrage angewiesen waren. Wenig überraschend betonte die dänische Widerstandspresse diesen Widerspruch: „Die Hand, die am einen Tag mordet, kann nicht am nächsten in einer bittenden Geste vorgestreckt werden.“26
Die Deportationen in deutsche Konzentrationslager führten dennoch zu einem Umdenken der Verwaltung. Schon in der Staatssekretärsbesprechung vom 16. Februar gab Svenningsen die Linie dafür vor, indem er sich für die Aufrechterhaltung des grundsätzlichen Protestes aussprach, zugleich aber auch die Notwendigkeit von Verhandlungen mit den Deutschen betonte, um die Nachteile für die dänische Bevölkerung nach Möglichkeit zu begrenzen.27 Am folgenden Tag äußerte er während einer Besprechung mit Dr. Walter28: „Sehr wohl müssten wir von dänischer Seite (…) in jeder Situation dagegen protestieren, dass Dänemark als Evakuierungsquartier für deutsche Flüchtlinge verwendet wird, aber es wäre einfacher, sich damit abzufinden, wenn wir auf einen Schlag alle unsere ca. 4.000 nach Deutschland deportierten Landsleute nach Hause bekommen könnten.“29
In erster Linie waren 2.000 Polizisten gemeint, die am 19. September 1944 auf Betreiben des Höheren SS- und Polizeiführers in Dänemark, Günther Pancke,30 willkürlich verhaftet und tags darauf nach Buchenwald deportiert worden waren.31 Best war durchaus bereit, den Dänen in dieser Frage entgegenzukommen, wie aus einer Aufzeichnung vom 2. März 1945 deutlich wird. Hierin beschreibt der Reichsbevollmächtigte die Erregung, die die deutschen Deportationen und Ermordungen in Dänemark verursacht hatten. Allerdings würde schon eine partielle Einlösung der dänischen Forderungen „das Ansehen und die Wirkungsmöglichkeiten der Zentralverwaltung in der Bevölkerung stärken“, was unbedingt nötig sei, damit sich diese in der Flüchtlingsfrage bewegen könne. Daher schlug Best vier Maßnahmen vor:
1. die unverzügliche Freilassung der mit den Polizisten verhafteten Grenzgendarmen und der kranken Polizeibeamten;
2. die etappenweise Entlassung der im Kriegsgefangenenlager Mühlberg an der Elbe internierten Polizeibeamten;
3. die Zusammenfassung aller im Reich befindlichen dänischen Häftlinge in einem „Germanischen Internierungslager“ und eine solche Behandlung, „dass die schädlichen Rückwirkungen in Dänemark möglichst gering bleiben“;
4. eine gerichtliche Aburteilung dänischer Straftäter und das Ende der willkürlichen Gegenterrormaßnahmen.32
Auf einer Besprechung im Auswärtigen Amt am 5. März, auf der grundlegende Fragen der Flüchtlingsbetreuung erörtert wurden, wandte sich der Höhere SS- und Polizeiführer gegen diesen Vorschlag von Best. Pancke beschwor die Gefahr einer Stärkung des dänischen Widerstandes herauf, falls die Polizisten freigelassen werden würden. In dem von allen Seiten akzeptierten Fazit wurde das Schicksal der Polizisten nicht mehr angesprochen, so dass sich nicht sagen lässt, wie die deutschen Behörden in der konkreten Frage ihrer Rückführung weiter vorgehen wollten.33 Die Besprechung im Auswärtigen Amt zeigt aber auf, wie grundsätzliche Differenzen und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den deutschen Behörden in Dänemark eine klare Linie in der Flüchtlingsbetreuung verhinderten.
Während Best und Pancke in Berlin diskutierten, spitzte sich die Lage in Dänemark zu. Von den Flüchtlingen, die häufig Wochen der Flucht hinter sich hatten, war eine beträchtliche Anzahl in einem schlechten Gesundheitszustand. Die Wehrmachtslazarette hatten in vielen Fällen nicht die richtigen Medikamente und medizinischen Geräte, um z.B. Kinder oder Alte angemessen zu behandeln. Am 12. März erschienen der Vorsitzende des dänischen Ärzteverbandes (Den Almindelige Danske Lægeforening, DADL), Dr. Mogens Fenger, und ein weiterer Kollege der Verbandsspitze zu einem Treffen mit Friedrich Stalmann34 im Amtssitz des Reichsbevollmächtigten. Fenger überreichte Stalmann ein Schreiben, in dem der Verband zwei Bedingungen für eine medizinische Flüchtlingshilfe durch dänische Ärzte nannte. Zum einen forderte der DADL eine bessere Behandlung der in deutschen Lagern internierten Dänen und zum anderen die Rückführung der Polizei- und Grenzbeamten. Als Zeichen des guten Willens seien die Ärzte bereit, „die folgenden 10 – 14 Tage, bis eine Entscheidung in der vorliegenden Frage getroffen werden kann, die entsprechende Hilfe zu leisten“35. Für den 25. März war eine Mitgliederversammlung vorgesehen, wo über die weitere Vorgehensweise entschieden werden sollte. Diese zeitlich begrenzte Nothilfe kam allerdings nicht allen Flüchtlingen zu Gute. So fielen nur folgende Kategorien unter das Angebot der Ärzte: epidemische Krankheiten, Geburten sowie akute Fälle, die sofortiger chirurgischer Behandlung bedurften und nicht in deutschen Wehrmachtslazaretten behandelt werden konnten.36
Die Nothilfe erstreckte sich aber nicht auf Kinderkrankheiten. Die dramatische Situation kranker Flüchtlingskinder und das große moralische Dilemma der dänischen Ärzte spiegeln sich im Bericht der Reserveärztin Esther Ammundsen, der späteren Direktorin des dänischen Gesundheitsamts, wider. Sie hatte am 12. März im Kopenhagener Epidemiekrankenhaus Dienst und führte über die Zeit von 14 bis 21 Uhr minutiös Buch. In diesen sieben Stunden musste sie zu 21 kranken Flüchtlingen Stellung nehmen und über deren Aufnahme ins Krankenhaus entscheiden. Insgesamt akzeptierte sie fünf Flüchtlinge, darunter vier Schwangere. 13 zum Teil sehr kranke Kinder wurden abgelehnt. Am Ende ihres Berichts schrieb Ammundsen: „Es fällt sehr schwer, diese Patienten, die medizinischer Hilfe stark bedürfen, abzuweisen, aber es ist mein entschiedener Eindruck, dass wenn man bloß einmal die vorgegebenen Regeln missachtet hätte, dies sofort weiten Kreisen bekannt geworden wäre und neue Einlieferungen bedeutet hätte.“37 Humanitäre Überlegungen und ärztliche Ethik schienen im Frühling 1945 in Bezug auf die Flüchtlinge größtenteils suspendiert, auch wenn es einzelne Mediziner gab, die die einschränkenden Vorgaben ihres Verbandes missachteten. Ein solcher Arzt war Bent Andersen, der im Krankenhaus in Aarhus deutsche Flüchtlingskinder medizinisch versorgte. Aus seinem Brief an Fenger vom 16. August 1945 ist die Überschrift dieses Aufsatzes entnommen: „Aber ob man wohl an die kleinen Kinder gedacht hat, als man darüber sprach, dass es absolut notwendig sei, dass dänische Ärzte die Behandlung deutscher Flüchtlinge verweigern?“ 38
Seit Anfang März 1945 befand sich der Abteilungsleiter im dänischen Außenministerium, Frants Hvass, in Deutschland, um über die Rückführung der dänischen Polizisten zu verhandeln. Am 6. März traf er in Berlin mit dem dänischen Botschafter, Otto Carl Mohr, und dem Vizepräsidenten des Schwedischen Roten Kreuzes, Graf Folke Bernadotte, zusammen. Bernadotte hatte in den Tagen zuvor die deutsche Zusage für ein nordisches Sammellager erreicht, in dem alle dänischen und norwegischen Gefangenen in Deutschland zusammengeführt und von dem Roten Kreuz versorgt werden sollten. Hierunter sollten explizit auch die dänischen Polizisten fallen.
Am 8. März trafen die Dänen Mohr und Hvass mit dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst Kaltenbrunner, zusammen, um das weitere Schicksal der dänischen Polizisten zu besprechen. Kaltenbrunner zeigte sich im Vergleich zu früher sehr kooperativ. Er erlaubte die sofortige Freilassung der in Deutschland verbliebenen Grenzbeamten. Darüber hinaus stellte er die Rückführung aller Polizisten in ein Lager in Dänemark in Aussicht, wenn Kopenhagen sich einer Wiedererrichtung der dänischen Polizei aufgeschlossen zeige. An Botschafter Mohr gerichtet sagte Kaltenbrunner: „Die ersten 1.000 [Polizisten, Anm. d. Verfassers] können Sie ohne weiteres haben, sogar heute, wenn Sie wollen“39. Die ungefähr 500 restlichen Beamten sollten im Laufe eines Monats nach Dänemark gebracht werden. Bei Eintreffen der zweiten Gruppe könnten die ersten 1.000 Polizisten auf freien Fuß gesetzt werden. „Falls es gut läuft“40, würden auch die letzten dänischen Polizisten freigelassen werden. Auf die prompte Versicherung von Mohr, er könne sofort dänische Busse losschicken, entgegnete Kaltenbrunner, er brauche einige Tage, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Daraufhin kam man überein, die Polizisten zuerst vom Schwedischen Roten Kreuz ins nordische Sammellager nach Neuengamme bringen zu lassen, von wo aus Dänemark den Heimtransport organisieren könne. Bernadotte hatte Hvass und Mohr am Vortag zugesagt, den Transport aller nordischen Häftlinge ins neue Lager bis zum 20. März zu bewerkstelligen.41
Mit einem solchen Erfolg war nach den bisherigen Gesprächen und Erfahrungen kaum zu rechnen gewesen.42 Doch der Haken war die Bedingung, die Kaltenbrunner mit der Rückführung der Polizisten verband. In den dänischen Quellen ist anfangs noch von einer deutschen „Bedingung“, später nur noch von einer „Erwartung“ die Rede.43 Die Wiedererrichtung der dänischen Polizei musste auf dänischer Seite eine politische Unmöglichkeit bleiben, so lange diese auch in der Sabotagebekämpfung aktiv werden und dänische Widerstandsleute bekämpfen sollte.44 Doch genau das forderte Kaltenbrunner. Mohr schrieb handschriftlich an die Seite seines ersten Vermerkes: „Es war mein entschiedener Eindruck, dass jedoch an die Rückführung der ersten Hälfte keinerlei Bedingung geknüpft war“45. Dänische Kooperationsbereitschaft wurde nach seinem und Hvass’ Verständnis erst nach dem Transport der letzten 500 Polizisten in das dänische Lager Frøslev erwartet. Bei einem späteren Gespräch gewann Botschafter Mohr sogar den Eindruck, dass die deutsche Bedingung lediglich mit der Freilassung der letzten 500 Polizisten aus Frøslev verbunden war. Der etappenweise Transport sei nur ein Zugeständnis an Pancke, um diesem den Gesichtsverlust zu ersparen.46 Soweit die dänischen Gesprächsvermerke einen Einblick gewähren, wurden die deutschen Flüchtlinge in Dänemark mit keinem Wort erwähnt.
Am 10. März 1945 gab Abteilungsleiter Hvass dem dänischen Außenministerium telefonisch die erzielten Verhandlungsergebnisse durch. 74 Grenzbeamten und mehr als 110 kranke Polizisten könnten schon am 14. bzw. 16. März von dänischen Bussen abgeholt werden. Außerdem würden alle Polizisten, die älter als 50 Jahre seien, kurz nach ihrer Ankunft im skandinavischen Lager in Neuengamme bereits nach Hause geschickt. Zwei dänische Ärzte dürften die dänischen Gefangenen im Lager behandeln. Die telefonische Mitteilung bestand ausschließlich aus guten Nachrichten. Nur wurde der größte Erfolg, die Rückführung der Polizisten, mit keinem Wort erwähnt.47 Über die Motive von Hvass und Mohr, diesen zentralen Bestandteil zu verschweigen, kann nur spekuliert werden. Es ist möglich, dass sie den deutschen Zusagen keinen Glauben schenkten und Hvass die heikle Polizeifrage nach seiner Rückkehr am 18. März persönlich mit Svenningsen diskutieren wollte. Auf jeden Fall brachten Mohr und Hvass ihren Vorgesetzten in große Schwierigkeiten, denn der verhandelte in Kopenhagen nun mit einem entscheidenden Wissensrückstand.
Am 15. März suchte der deutsche Verhandlungsführer Walter das dänische Außenministerium auf, um die Möglichkeiten einer Flüchtlingsregelung zu erörtern. Aber auch ihm war Kaltenbrunners Versprechen bezüglich der dänischen Polizisten nicht bekannt, denn Walter nannte nur die gleichen Konzessionen, die schon Hvass in seiner Telefonmitteilung aus Berlin erwähnt hatte. Seine Hoffnung auf eine größere Kooperationsbereitschaft der Dänen erfüllte sich indes nicht. Staatssekretär Svenningsen machte deutlich, dass die Rückführungen aus Deutschland bisher nur tropfenweise geschehen seien, und die bevorstehenden könnten noch immer nur als Tropfen betrachtet werden, obwohl man vielleicht sagen könnte, dass es einige große Tropfen seien48. Svenningsen äußerte daraufhin einen „Gedanken“, der ihm während des Gesprächs gekommen sei und keinen bindenden Charakter haben sollte: Sollten die Deutschen die Hälfte aller in Deutschland inhaftierten Polizeibeamten sofort zurückführen, „wäre ich, was mich betrifft, zugeneigt, dass man von der dänischen Seite den Standpunkt in der Flüchtlingsfrage revidiert und – ‚unter Vorbehalt der Rechtslage’ – tatsächlich eine Regelung trifft“49. Walter entgegnete, dass dieser Weg wohl kaum gangbar sei.
Es ist kaum zu glauben, dass Svenningsen rein zufällig die Forderung stellte, der in Berlin schon vor einer Woche stattgegeben worden war. Vielmehr bewegte sich der „Gedanke“ von Svenningsen noch unterhalb der Zugeständnisse von Kaltenbrunner, da er keinen Zeitplan für die zweite Hälfte der Polizisten vorsah. Und Walter, der Chefunterhändler der Deutschen in der Flüchtlingsfrage, wehrte diesen Gedanken vorerst ab, da er mit starkem Widerstand in Berlin rechnete. Nils Svenningsen, der begnadete Diplomat und Verhandlungsführer, hatte unwissentlich einen Fehler begangen, den er selbst sicherlich nicht für möglich gehalten hatte.
Diesen Fehler realisierte er schon am folgenden Tag, auch wenn die gesamte Spannbreite seines spontan geäußerten „Gedankens“ erst mit der Rückkehr von Hvass deutlich wurde. Am 16. März hatte Svenningsen eine Verabredung mit Best und Walter. Dieses Mal war der Reichsbevollmächtigte besser informiert. Von den deutschen Polizeibehörden in Dänemark habe er erfahren, dass Kaltenbrunner die dänischen Polizisten in zwei Etappen nach Dänemark bringen lassen würde. Best zeigte sich von dieser Entwicklung überrascht, deutete es allerdings als gutes Zeichen, dass die Zusage von der Behörde gemacht worden war, die sich bisher am stärksten gegen die Rückführung der Polizisten gewehrt hatte. „Gänzlich unerwartet, behauptete Dr. Walter, liege nun die Situation vor, die wir am Vortag besprochen hatten.“50 Walter verlangte keine offiziellen Abmachungen in der Flüchtlingsfrage, aber zumindest mehr Entgegenkommen von der dänischen Verwaltung. Eine Fortsetzung der dänischen Verweigerungshaltung könne den Heimtransport der Polizisten zunichte machen. Svenningsen antwortete, „dass wir von dänischer Seite keine Abmachungen über die Flüchtlinge treffen, aber vielleicht darüber reden könnten, was gemacht werden könne, um die Nachteile zu begrenzen, die die Anwesenheit der Flüchtlinge für die Bevölkerung mit sich bringt“51.
Am folgenden Tag gab Walter im dänischen Außenministerium eine Liste der Bereiche ab, in denen er eine Flüchtlingsregelung für notwendig hielt. Walter wollte gegenüber Svenningsen zwar kein Junktim zwischen der Flüchtlingsfrage und den deutschen Zusagen herstellen, aber seines Erachtens konnte kein Zweifel darüber herrschen, dass die Flüchtlingssituation der Hintergrund der deutschen Entscheidung war. Es folgte das alte Spiel, in dem Walter mit Blick auf die Rückführung der Polizisten vor einer dänischen Totalverweigerung warnte. Er erhoffte sich daher eine Einigung in folgenden Bereichen: Finanzierung der Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge, Bereitstellung von Lebensmittelkarten, Ankauf von Gebrauchsgegenständen und ärztliche Betreuung der Flüchtlinge.52
Die Reihenfolge der Wünsche belegt, dass die deutschen Behörden in Dänemark der ärztlichen Betreuung der Flüchtlinge keine große Bedeutung beimaßen. Zwar waren bis Mitte März noch keine 60.000 Flüchtlinge nach Dänemark gekommen und ihr Gesundheitszustand war vergleichsweise gut, so dass der Bedarf an ärztlicher Hilfe noch nicht so groß war wie später. Nichtsdestotrotz war die Vernachlässigung der ärztlichen Versorgung ein bewusstes Ignorieren der schwierigen Lage der Flüchtlinge. Schließlich wurde das Büro des Reichsbevollmächtigten tagtäglich mit den Nöten der Evakuierten konfrontiert und Best selbst wusste schon seit Mitte Februar, dass 150.000 Deutsche aus den „Ostgebieten“ in dem besetzten Land zu erwarten waren!53 Darüber hinaus steht zu vermuten, dass den dänischen Behörden die Ablehnung der deutschen Forderungen viel schwerer gefallen wäre, hätten Best und Walter die ärztliche Versorgung der kranken Flüchtlingskinder ins Zentrum ihrer Bemühungen gestellt.
Am 18. März traf schließlich Abteilungsleiter Frants Hvass in Kopenhagen ein und setzte seinen Vorgesetzten davon in Kenntnis, wie die Verhandlungen in Berlin im Einzelnen verlaufen waren.54 Er und Svenningsen erkannten in diesem Moment, dass sie die Rückführung der Grenzbeamten und Polizisten mit zwei separaten Zusagen erkauft hatten: Hvass hatte Kooperationsbereitschaft bei der Errichtung einer neuen dänischen Polizei signalisiert und Svenningsen eine Flüchtlingsregelung in Aussicht gestellt. Sowohl Svenningsen als auch Hvass standen nun mit ihrem Wort in der Pflicht, Svenningsen sogar als höchster Vertreter der dänischen „Staatssekretärsregierung“.
Doch war eine Kooperation mit den Deutschen politisch nicht durchsetzbar. Schon am 17. März – also bereits vor der Rückkehr von Hvass – beschlossen die Staatssekretäre trotz vorsichtiger Einwände von Svenningsen, eine Flüchtlingsregelung nicht mitzutragen.55 Am 19. März fand im Außenministerium ein weiteres Treffen statt, bei dem neben einigen Staatssekretären auch der frühere Staatsminister Buhl teilnahm. Svenningsen rekapitulierte die bisherigen Verhandlungen mit den Deutschen. Nach dem Bericht von Hvass müsse man nun keine Angst mehr davor haben, dass die Polizisten in Deutschland zurückgehalten würden. Daher unterstütze auch das dänische Außenministerium eine Ablehnung der deutschen Wünsche. Buhl stimmte mit diesen Überlegungen überein und bestätigte sie am folgenden Tag, nachdem er sich mit einigen weiteren Politikern beraten hatte.56 Svenningsen erwähnte seine implizite Abmachung mit den Deutschen mit keinem Wort.
Am 20. März gab Svenningsen Dr. Walter die unveränderte dänische Haltung bekannt. Er und seine Kollegen spielten hier ein riskantes Spiel. Zwar beharrte Svenningsen darauf, dass die Freilassung der Polizisten und Grenzgendarmen in keinem Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage stand, aber die Polizisten waren noch nicht in Dänemark angekommen, als er jede Mitarbeit mit den deutschen Behörden verweigerte.57 So nahm er einen möglichen Protest von Best nach Berlin in Kauf, dessen Folgen nicht abzusehen waren. Die Staatssekretäre riskierten die Rückführung der dänischen Polizeibeamten, indem sie die bitter benötigte Hilfe für deutsche Zivilflüchtlinge ablehnten.
Noch aber lief die Nothilfe der dänischen Ärzte, so dass den deutschen Flüchtlingen in Einzelfällen medizinische Hilfe zuteil wurde. Für den 25. März, den Tag des Auslaufens der Nothilfe, war eine Versammlung des Vorstandes und der Kreisvorsitzenden des Ärzteverbandes einberufen, um das weitere Vorgehen festzulegen. Das Ergebnis der Diskussionen, in denen Fenger für seine Verhandlungsbereitschaft mit den Deutschen massiver Kritik ausgesetzt wurde, war ein Ende der medizinischen Hilfe für die Flüchtlinge. Zwar hatte Fenger am Tag zuvor noch eine Unterhaltung bei Stalmann vom Büro des Reichsbevollmächtigten, bei der dieser die deutschen Zugeständnisse bezüglich der dänischen Gefangenen und Polizisten auflistete und um eine Fortsetzung des ärztlichen Einsatzes bat, doch konnte er sich im Verband damit nicht durchsetzen.
Der Brief, der am folgenden Tag schließlich an die dänischen Ärzte verschickt wurde, war scharf formuliert und kam implizit einer Aufforderung zum Bruch des Hippokratischen Eides gleich. So hieß es darin: „In Anbetracht der hier im Land herrschenden Verhältnisse meint der Ärzteverband nicht, bei der Organisation jeglicher Form der ärztlichen Hilfe für die deutschen Zivilflüchtlinge mitwirken zu können (…). Angesichts dessen, dass den Ärzten keinerlei völkerrechtliche Pflicht obliegt, Zivilflüchtlinge zu behandeln, hält der Ärzteverband es für am richtigsten, dass die Mitglieder den Zivilflüchtlingen nur dann ärztliche Hilfe leisten, wenn sie sich im Einzelfall dazu gezwungen fühlen.“58 Bewusst wurde nicht spezifiziert, wann ein Arzt sich gezwungen fühlen könnte, da man sowohl deutschen Druck wie auch persönliche Gewissensnot darunter verstanden wissen wollte.
Ende März 1945 waren die Würfel gefallen. Die dänische Verwaltung und Ärzteschaft verweigerten trotz gemachter Versprechen und Andeutungen im Zusammenhang mit der Rückführung der Polizisten jede Form der Kooperation in der Flüchtlingsfrage. Die deutschen Behörden hatten mit ihren Verhandlungen keinen Erfolg gehabt, wobei auch deutlich betont werden muss, dass sie schwerwiegende Fehler begingen. In den Verhandlungen mit der dänischen Verwaltung wurden finanzielle Belange in den Vordergrund gerückt. Das Büro des Reichsbevollmächtigten in Kopenhagen, das sich über den schlechten Gesundheitszustand gerade der Kinder völlig im Klaren war, vernachlässigte sträflich die Frage der ärztlichen Betreuung. Darüber hinaus wütete der deutsche Terror weiterhin und beeinflusste somit unmittelbar die Haltung derjenigen, auf deren Hilfe die Flüchtlinge angewiesen waren.
Mit dem Ende der Nothilfe am 25. März nahmen die Dinge ihren Lauf. Dem Kriegstagebuch des Wehrmachtbefehlshabers zufolge waren bis zum 29. März 83.800 Flüchtlinge in Dänemark eingetroffen.59 Diese Zahl an Evakuierten stellte die Wehrmacht bereits jetzt vor große Schwierigkeiten, weswegen sie über die bereitgestellte Nothilfe der dänischen Ärzte froh gewesen war. In den folgenden fünf Wochen bis zur deutschen Kapitulation in Dänemark wurden noch einmal rund 160.000 Flüchtlinge ins Königreich gebracht, also fast doppelt so viele wie in den sieben Wochen zuvor. Doch die Dänen hielten an ihrer Verweigerungshaltung fest. Dementsprechend überrascht es nicht, dass der April 1945 der tödlichste Monat für die deutschen Flüchtlinge in Dänemark war und allein 2.200 Kinder im Alter von bis vier Jahren starben.60
Die Entscheidung der dänischen Verwaltung und des Ärzteverbandes, keine humanitäre Hilfe zu leisten, war nicht zuletzt das Ergebnis einer „Anti-Mitleids-Kampagne“ in der illegalen Presse der Widerstandsbewegung. So wurde der Flüchtlingsansturm als Teil einer von Joseph Goebbels inszenierten Kampagne dargestellt, auf die man nicht hereinfallen dürfe. Jede Hilfe für die Flüchtlinge bedeute eine Verlängerung des Krieges und sei somit Landesverrat.61 „Aus Rücksicht auf alle, die in den besetzten Gebieten oder an der Front leiden und gepeinigt werden, darf diesen Flüchtlingen kein Mitleid gezeigt werde. Es ist falsches Mitleid, das der Verlängerung der Leiden der Menschheit dient.“62 Die „Anti-Mitleids-Kampagne“ wurde bis auf ganz wenige Ausnahmen von allen Widerstandszeitschriften mitgetragen.63
Doch das Leid der Flüchtlinge war nicht inszeniert, sondern echt. Darüber konnte auch in den dänischen Wohnstuben kein Zweifel herrschen. In den skandinavischen Sendungen der englischen BBC, die durch die gesamte Dauer des Krieges hindurch empfangbar war, wurde von den Todesfällen berichtet. Auch die hohe Sterblichkeit unter den Flüchtlingskindern wurde regelmäßig in der illegalen Presse erwähnt: „So wurden im Laufe des Mittwochs nicht weniger als 70 Särge zur südlichen Kapelle des Westfriedhofs gebracht […] und in mehreren der Särge befanden sich vier bis sechs Kinderleichen.“64 Die Verwaltung war darüber hinaus auch durch den Quarantänearzt des Kopenhagener Hafens über die immer schlechter werdenden Verhältnisse an Bord der Flüchtlingsschiffe informiert.
Die Reaktion der deutschen Behörden auf die Totalverweigerung der dänischen Autoritäten war von Machtlosigkeit geprägt. Der Direktor des Dänischen Roten Kreuzes, Helmer Rosting, lehnte ein Hilfsgesuch von Best mit der Begründung ab, dass das dänische Radio der BBC Ärzten, die Flüchtlinge behandelten, mit dem Tode drohe.65 Allerdings setzten sich die deutschen Behörden nicht konsequent für die Flüchtlinge ein. In den letzten Monaten des Krieges war das Verhalten der deutschen Verantwortungsträger in Dänemark primär von egoistischen Motiven geprägt. Nur wenige Tage nach der dänischen Ablehnung einer Flüchtlingsregelung schwärmte Best in den monatlichen Politischen Informationen für die deutschen Dienststellen in Dänemark von einer Vielzahl deutscher Krankenhäuser, die alle für die Flüchtlinge eingerichtet worden seien. Das Bild, das Best zeichnete, konnte kaum irreführender und unverantwortlicher sein. Die dänische Verweigerungshaltung und die Gefahren, welche diese gerade für die jüngsten Flüchtlinge mit sich führte, wurden von Best mit keinem Wort erwähnt.66
Der Wehrmachtbefehlshaber in Dänemark, Georg Lindemann, der die Flüchtlinge von Anfang an als Belastung gesehen hatte,67 sprach sogar trotz einer Viertelmillion Flüchtlinge von der „letzten anständigen Schlacht dieses Krieges“68, die er in Dänemark anführen wolle. Am 24. April, keine zwei Wochen vor dem Ende des Krieges in Dänemark, versammelte Lindemann den Kommandierenden General, seine Divisionskommandeure und die Kommandeure der Wehrmachtsschulen um sich. Er wollte sich der Treue seiner Soldaten versichern, nicht zuletzt der Wehrmachtschulen, wo deutsche Jugendliche auf den „Endkampf“ vorbereitet wurden. Lindemann sprach davon, dass die Armee in Dänemark als eine der wenigen noch intakt sei. Außerdem würden die Dänen mit allen Mitteln zu verhindern suchen, dass ihr Land Kriegsschauplatz würde. „Damit habe ich die Trümpfe in der Hand und werde sie auszuspielen wissen, unter der Voraussetzung, dass Sie, meine Herren mir blindlings vertrauen, dass Sie ihre Truppen fest in der Hand behalten, und dass wir gegebenenfalls zum Kampf auf Leben und Tod entschlossen sind.“69 Es ist die Rede eines Unverbesserlichen, der eine aussichtslose Schlacht kämpfen wollte, als es das Leben abertausender ziviler Flüchtlinge zu retten galt.
Zu einem blutigen „Endkampf“ kam es in Dänemark allerdings nicht. Am 4. Mai erbaten Best und Lindemann gemeinsam, Kopenhagen zur offenen Stadt zu erklären. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel ermächtigte den Wehrmachtbefehlshaber zu diesem Schritt, vorausgesetzt es finde kein dänischer Aufstandsversuch statt. Am selben Tag, um 20.30 Uhr, verkündete der dänische Sprecher der BBC die deutsche Kapitulation, die um 8 Uhr des 5. Mai 1945 in Kraft treten sollte. Und die Flüchtlinge? Die sahen sich chaotischen Zuständen ausgesetzt. Neuankömmlinge wurden nicht mehr abtransportiert, sondern an Bord der überfüllten Schiffe ihrem Schicksal überlassen. So lagen am 5. Mai ungefähr 35.000 Flüchtlinge unter fürchterlichen Verhältnissen im Kopenhagener Hafen auf Reede.70
In den drei Monaten vom 9. Februar bis zum 5. Mai 1945 verloren 6.580 deutsche Flüchtlinge in Dänemark ihr Leben. Ein Großteil davon waren kleine Kinder, die an Unterernährung und prinzipiell heilbaren Krankheiten verstarben. Der schlechte Gesundheitszustand der Flüchtlinge war allen in Dänemark – Dänen wie Deutschen – bewusst. Doch keiner trat für sie ein. „Ein funktionierendes ziviles Betreuungssystem für die Flüchtlinge war […] von dänischer Seite gar nicht aufgebaut worden und von deutscher Seite nur widerwillig, spät und unzureichend.“71 Mitleid und humanitäre Rücksicht wurden bis auf wenige Ausnahmen zugunsten von persönlichen, ideologischen, politischen und nationalen Überlegungen verdrängt. Dabei steht zu vermuten, dass viele Flüchtlinge mit einer grundlegenden medizinischen Versorgung hätten gerettet werden können.
Die dänische Widerstandsbewegung hatte mit ihrer „Anti-Mitleids-Kampagne“ großen Anteil daran, dass die deutschen Zivilisten als „Parasiten“72 und eben nicht als die humanitären Flüchtlinge gesehen wurden, die sie waren. Der Ärzteverband unter dem Vorsitz von Dr. Mogens Fenger politisierte die Flüchtlinge, indem er sie als Verhandlungsmasse einsetzte, und entfernte sich somit trotz aller guten Vorsätze von der ärztlichen Ethik. Auch die dänische Verwaltung strebte einen Handel mit Deutschland an. Staatssekretär Nils Svenningsen war letztendlich auch erfolgreich, indem er die Freilassung der dänischen Polizisten erreichte. Der Preis dafür war jedoch hoch. Svenningsen erkannte, dass eine Flüchtlingshilfe unter den herrschenden Umständen politisch nicht durchsetzbar war und nahm den Tod der deutschen Flüchtlinge in Kauf.
In erster Linie allerdings trugen die deutschen Behörden die Verantwortung für ihre geflohenen Landsleute. Dieser Verantwortung wurden sie zu keinem Zeitpunkt gerecht. Der deutsche Terror wurde trotz der Ankunft der Flüchtlinge nicht reduziert und trug somit maßgeblich zur verhärteten Haltung der Dänen bei. Symptomatisch für das Ignorieren der Nöte ihrer Schutzbefohlenen waren die Verhandlungen mit der dänischen Verwaltung, die auf der deutschen Seite von taktischen Fehlern, internen Kompetenzstreitigkeiten, egoistischen Motiven und fehlendem Mitleid geprägt waren. Die körperliche Unversehrtheit der Flüchtlinge spielte hier nur eine untergeordnete Rolle. Best, Lindemann und Pancke verfolgten jeweils eine eigene Agenda, auf der für die Flüchtlinge kein Platz war.
1 Zit. nach Gammelgaard, Arne: Ungeladene Gäste. Ostdeutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945–1949. Leer 1985 (= Stunde Null und danach; 7), 38; dän. Mennesker i malstrøm. Tyske flygtninge i Danmark 1945–1949. Herning 1981.
2 Insgesamt befanden sich am 5. Mai 1945 ungefähr 550.000 Deutsche in Dänemark, die somit annähernd 14 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachten. Hierunter fallen ca. 300.000 Soldaten, von denen 50.000 verwundet waren. Die Zahl der Versehrten wird in der Sekundärliteratur teilweise auch höher angesetzt. Vgl. Flygtningeadministrationen (Hg.): Flygtninge i Danmark 1945–1949. København 1950, 26; sowie Olesen, Jens E.: „Flucht, Internierung und Isolation. Aspekte dänischer Flüchtlingspolitik 1945–1949“. In: Robert Bohn u.a. (Hgg.): Østersøområdet fra Anden Verdenskrig til den Kolde Krig. Middelfart 2007, 243–269, hier 252.
3 Vgl. Lylloff, Kirsten: „Kan lægeløftet gradbøjes? Dødsfald blandt og lægehjælp til de tyske flygtninge i Danmark 1945“. In: Historisk Tidsskrift 99 (1999), 33–68, hier 63.
4 Flygtningeadministrationen 1950, wie Fußnote 2, 164.
5 Vgl. Lylloff, Kirsten: „Dødsårsager for tyske flygtningebørn i 1945“. In: Ugeskrift for læger 162 (2000), 1227–1230; Dies.: „Lægeforeningens dilemma. Lægeforeningens forhandlinger om lægehjælp til tyske flygtninge i 1945“. In: Bibliotek for læger 195 (2003), 203–223.
6 Vgl. Mix, Karl-Georg: Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945–1949. Stuttgart 2005; Havrehed, Henrik: De tyske flygtninge i Danmark 1945–1949. 2. Aufl., Odense 1987 (dt.: Die deutschen Flüchtlinge in Dänemark, Heide 1989); Gammelgaard 1985, wie Fußnote 1; ders.: Drivtømmer. Tyske flygtninge i Danmark 1945–1949. Varde 1993 (dt.: Treibholz. Deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945–1949. Varde 1993); ders.: På Hitlers befaling. Tyske flygtninge i Danmark 1945–1949. Varde 2005 (dt.: Auf Führerbefehl in Dänemark. Deutsche Flüchtlinge 1945–1949. Varde 2005).
7 Vgl. Krannhals, Hanns: „Die Evakuierung deutscher Flüchtlinge nach Dänemark (Januar – Mai 1945)“. In: Deutsche Studien. Vierteljahreshefte für vergleichende Gegenwartskunde 6 (1968), 373–384; Petrick, Fritz: „Deutsche ‚Flüchtlinge‘ in Dänemark Februar 1945 – Februar 1949“. In: Ders. (Hg.): Kapitulation und Befreiung. Das Ende des II. Weltkriegs in Europa. Münster 1997, 51–61; Olesen 2007, wie Fußnote 2, 243–269. Außerdem ist eine Reihe von Memoiren veröffentlicht worden, unter anderem die von Werner Best: Best, Werner: Dänemark in Hitlers Hand. Der Bericht des Reichsbevollmächtigten Werner Best über seine Besatzungspolitik in Dänemark mit Studien über Hitler, Göring, Himmler, Heydrich, Ribbentrop, Canaris u.a.. Husum 1988.
8 Olesen 2007, wie Fußnote 2, 244.
9 Vgl. Lylloff 1999, wie Fußnote 3, 33–68.
10 Vgl. u.a. Frederiksen, Thorkild: „Om lægeløftet“. In: Historisk Tidsskrift 100 (2000), 229–232; Lylloff, Kirsten: „Inter arma caritas. Røde Kors og forvaltningen af de tyske flygtninge i Danmark 1945–1949“. In: Historisk Tidsskrift 102 (2002), 97–125; Buhl, Hans: „Lægeforeningen og de tyske flygtninge“. In: Ugeskrift for læger 165 (2003), 767–770; Larsen, Klaus: „Lægeforening på en knivsæg“. In: Ugeskrift for læger 165 (2003), 826–830; Jensen, John V.: „Barn og/eller fjende. Debat om tyske flygtninge i Danmark efter 2. verdenskrig“. In: 1066. Tidsskrift for Historie 37 (2007), 37–40; und die Antwort von Kirsten Lylloff: „Besættelsestidshistoriens mantra“. In: 1066. Tidsskrift for Historie 37 (2007), 40–42.
11 „En humanitær katastrofe, som ikke er set af tilsvarende omfang i moderne tid i Danmark.“ Lylloff, Kirsten: Barn eller fjende? Uledsagede tyske flygtningebørn i Danmark 1945–1949. København 2006, 40. Alle Übersetzungen dänischer Zitate im Folgenden, soweit nicht anders angegeben, vom Verfasser.
12 Rigsarkivet Kopenhagen (im Folgenden RA) 0002 Udenrigsministeriet; 10558 Den almindelige danske lægeforening.
13 Hierfür wurden wichtige Zeitungen der illegalen Presse ausgewertet, u.a. Land og Folk, Frit Danmark und Information. Vgl. zur politischen Ausrichtung der Zeitungen gerade im Hinblick auf die Ankunft der deutschen Flüchtlinge Lundtofte, Henrik: „‚Selv børnene optræder som små Hitler’e‛. Om tyskerne og nazi-regimet i besættelsestidens illegale presse“. In: Lauridsen, John T. u. Olaf Olsen (Hgg.): Umisteligt. Festskrift til Erland Kolding Nielsen. København 2007, 405–429.
14 Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg im Breisgau (im Folgenden BArch-MA) RM 45 III Dienst- und Kommandostellen im Bereich Norwegen und Dänemark; RW 4 OKW Wehrmachtsführungsstab; RW 38 Wehrmachtbefehlshaber in Dänemark. Vgl. dazu Lauridsen, John T.: „Telegram fra Best“. In: Ders. u. Olaf Olsen (Hgg.): Umisteligt. Festschrift for Erland Kolding Nielsen. København 2007, 431–451.
15 Seit November 1942 vertrat der SS-Obergruppenführer Best das Deutsche Reich in Dänemark. Vor seiner Verwendung in Kopenhagen arbeitete Best bei der Gestapo, war Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt und leitete schließlich die Abteilung Verwaltung beim Militärbefehlshaber in Frankreich. Vgl. die ausgezeichnete Biographie von Herbert, Ulrich: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903–1989. Bonn 2001.
16 Befehl vom 4. Februar 1945, BArch-MA RW 4/647.
17 Es war nicht das erste Mal, dass die Wartheland in Dänemark anlegte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass das Schiff, das im Februar 1945 tausende verletzte Soldaten und Flüchtlinge nach Dänemark brachte, 16 Monate zuvor dänische Juden nach Deutschland deportiert hatte.
18 „At Patienterne laa paa Gulvet, evt. paa Madrasser; de saa ynkelige ud, magre og triste.“ Bericht des Quarantänearztes auf einer Sitzung des dänischen Innenministeriums am 12. Februar 1945, RA 0002/84.A.33c.
19 Ärztliches Kriegstagebuch des Leitenden Sanitätsoffiziers beim Admiral Skagerrak vom 10. Februar 1945, BArch-MA RM 45 III/6.
20 Olesen 2007, wie Fußnote 2, 253.
21 Am 29. August 1943 musste die dänische Regierung zurücktreten, das dänische Parlament wurde aufgelöst und der König seiner Funktionen enthoben. Die Verwaltung war allerdings weiterhin in dänischer Hand und agierte als schützender Puffer zwischen der Okkupationsmacht und der dänischen Bevölkerung. Direkter Verhandlungspartner des Reichsbevollmächtigten Best wurde der Staatssekretär im dänischen Außenministerium, Nils Svenningsen, dem dadurch eine Schlüsselrolle in dem sich herausbildenden unpolitischen Regime der Staatssekretäre zukam. Vgl. Hæstrup, Jørgen: …til landets bedste. Hovedtræk af departementschefsstyrets virke 1943–1945. 2 Bde., København 1966/1971.
22 Brief von Svenningsen an Best vom 10. Februar 1945, RA 0002/84.A.33a.
23 „De paagældende er i øvrigt i forfærdelig Forfatning, klynkende og medtagne, dog fejler højre Arm ikke noget. En lille Pige paa 5 Aar, der var blevet bragt paa Sygehuset, strakte Haanden ud til sædvanlig Hilsen og sagde til Sygeplejersken: ‚Liebst du den Führer, Schwester?’“ RA 1259 Centraladministrationens Midlertidige Ekstraordinære Repræsentant i Jylland, Stiftamtmand Herschends Dagbog, Bd. 4.
24 „Det var utaaleligt, at det tyske Politi paa det nuværende Stadium af Krigen, da Evakutioner finder Sted fra Tyskland, stadig blev ved at transportere danske Statsborgere til Fangelejre i Tyskland samtidig med, at man fyldte op med tyske Flygtninge her i Landet.“ Protokoll der Sitzung der Staatssekretäre am 16. Februar 1945, RA 0002/84.A.23a.
25 „Og mens vore Landsmænd i stigende Antal deporteres til Tyskland som Slaver og Gidsler, ned til Krigens Rædsler – saa flygter ‚Herrefolket‘ hertil. Panikslagne vælter de ind over vore Grænser for at søge Redning for de Ulykker, de selv har foraarsaget.“. Land og Folk, 04.03.1945; vgl. ebenfalls Frit Danmark, 11.03.1945.
26 „Den Haand, der myrder den ene Dag, kan ikke den næste strækkes frem i en bedende Gestus.“ Dänische Sendung der BBC vom 26. Februar 1945; vgl. RA 1259/A.97.
27 Protokoll der Sitzung der Staatssekretäre am 16. Februar 1945, RA 0002/84.A.23a.
28 Ministerialdirektor Dr. Alex Walter war Mitarbeiter des Reichsernährungsministeriums und zugleich Vorsitzender des Regierungsausschusses für die Wirtschaftsverhandlungen mit Dänemark. Er hielt sich im Zuge der Verhandlungen über eine Flüchtlingsregelung in den letzten drei Kriegsmonaten häufig in Kopenhagen auf und wurde von den Dänen als Verhandlungspartner geschätzt.
29 „Ganske vist maatte vi fra dansk Side […] i enhver Situation protestere imod, at Danmark blev benyttet som Evakueringskvarter for tyske Flygtninge, men det ville være lettere at affinde sig med, at dette skete, dersom vi paa een Gang kunne faa alle vore til Tyskland deporterede ca. 4.000 Landsmænd hjem igen.“ Svenningsens Gesprächsvermerk vom Treffen mit Walter am 17. Februar 1945, RA 0002/84.A.33a. Diesen Gedankengang führte er in einem Brief an Best weiter aus; vgl. Brief vom 20. Februar 1945, RA 0002/84.A.33a.
30 Neben dem Reichsbevollmächtigten und dem Wehrmachtbefehlshaber gab es ab November 1943 noch diese weitere um Einfluss ringende deutsche Behörde in Dänemark unter SS-Obergruppenführer Günther Pancke. Er war „nun ‚der dritte Mann im Skat’, wie Himmler es nannte, und die internen Widerstände nahmen eher zu als ab“. Herbert 2001, wie Fußnote 15, 377.
31 Wenige Monate später wurde ein Großteil der Polizisten ins Kriegsgefangenenlager Mühlberg an der Elbe gebracht, wo die Haftbedingungen besser waren als in Buchenwald; vgl. RA 0002/84.G.5.390a.
32 Aufzeichnung über die politischen, verwaltungsmässigen und wirtschaftlichen Probleme Dänemarks Anfang März 1945, BArch-MA RW 38/185. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um das bisher unveröffentlichte Redemanuskript von Best für das Treffen im Berliner Außenministerium Anfang März 1945.
33 Vgl. die Besprechungsnotizen vom 5. Februar 1945, Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (im Folgenden BArch) R 55/616 und BArch-MA RW 4/705.
34 Regierungsdirektor Dr. Friedrich Stalmann war Chef der politischen Abteilung beim Reichsbevollmächtigten. Stalmann leitete außerdem die „Flüchtlingszentralstelle“, die im Februar 1945 von Werner Best als zentrale Beratung- und Koordinierungsstelle eingerichtet worden war.
35 Schreiben vom 12. März 1945 vom Vorsitzenden des DADL an Stalmann, RA 0002/84.A.33e.
36 Vgl. zu den Verhandlungen des dänischen Ärzteverbandes Lylloff 1999, wie Fußnote 3.
37 „Det er meget vanskeligt at afvise disse patienter, der trænger haardt til indlæggelse, men det er mit bestemte indtryk, at havde man blot een gang gaaet uden for de givne regler, var dette øjeblikkelig kendt i vide kredse og medførte nye indlæggelser.“ Bericht der Reserveärztin Ammundsen, RA 0002/84.A.33e.
38 „Men har man mon tænkt paa de spæde Børn, naar man har talt om, at det vil være absolut nødvendigt, at danske Læger afslaar at behandle tyske Flygtninge?“ RA 10558/1221.
39 Gesprächsnotiz vom 12. März 1945 von Mohr, RA 0002/84.G.5.390a.
40 „Hvis det gik godt.“ Gesprächsvermerk von Mohr vom 23. August 1945, RA 0002/84.G.5.390a.
41 Vgl. den Bericht von Mohr und die Gesprächsnotiz von Hvass vom 7. März, RA 0002/84.G.5.390a.
42 Aus den dänischen Quellen lässt sich nicht entnehmen, was den plötzlichen Stimmungsumschwung ausgelöst hat. Hier wird das Fehlen von Quellen deutscher Provenienz besonders schmerzlich bemerkbar.
43 Vgl. Mohrs Gesprächsvermerke vom 12. März 1945, vom 23. August 1945 und vom 14. Januar 1947, RA 0002/84.G.5.390a.
44 Vgl. zu den Verhandlungen über die Wiedererrichtung der Polizei Hæstrup 1971, wie Fußnote 21, Bd. 2, 113–141.
45 „Det var min bestemte Opfattelse, at der dog ikke var knyttet nogen som helst Betingelse til Hjemsendelsen af første Halvdel.“ Gesprächsnotiz von Mohr vom 12. März 1945, RA 0002/84.G.5.390a.
46 Vgl. Mohrs Vermerk zum Gespräch im Auswärtigen Amt am 19. März 1945, RA 0002/84.G.5.390a.
47 Vgl. die Telefonmitteilung von Hvass aus Berlin, RA 0002/84.G.5.390a.
48 „Hjemsendelserne fra Tyskland var hidtil kun sket draabevis, og det, der nu forstod, kunde stadig kun betragtes som Draaber, selvom man maaske kunde sige, at det var et Par store Draaber.“ Gesprächsvermerk von Svenningsen, datiert auf den 16. März 1945, RA 0002/84.A.33a.
49 „Vilde jeg for mit eget Vedkommende være stemt for, at man fra dansk Side reviderede sit Standpunkt i Flygtninge-Sagen og – ‚unter Vorbehalt der Rechtslage’ – rent faktisk traf en Ordning.“ Ebd.
50 „Ganske uventet var der nu, hævdede Dr. Walter, kommet til at foreligge den Situation, vi havde talt om Dagen i Forvejen.“ Ebd.
51 „..., at vi fra dansk Side ikke kunde træffe Aftaler om Flygtningene, men at vi maaske kunde tale om, hvad der kunde gøres for at begrænse de Ulemper, Flygtningenes Tilstedeværelse medfører for Befolkningen.“ Ebd.
52 Vgl. die von Svenningsen angefertigte Notiz von dem Treffen am 17. März 1945, RA 0002/84.A.33a.
53 Vgl. Vermerk von Baron von Behr vom Treffen im Auswärtigen Amt am 12. und 13. Februar 1945, BArch-MA RW 4/754.
54 Vgl. Gesprächsnotiz von Svenningsen vom 20. März 1945, RA 0002/84.A.33a.
55 Vgl. ebd.
56 Vgl. ebd.
57 Die Rückführung der ersten 1.000 Polizisten hätte von deutscher Seite zwar bedeutend früher stattfinden können, verschob sich allerdings bis in den April hinein, da das Schwedische Rote Kreuz den Transport der Polizeibeamten vom Kriegsgefangenenlager Mühlberg an der Elbe nach Neuengamme nicht so schnell bewerkstelligen konnte; vgl. dazu den Bericht von Botschafter Mohr über den Beitrag von Bernadotte bei der Rückführung der dänischen Gefangenen, datiert auf Juli 1946, RA 0002/84.G.5.390a.
58 „I Betragtning af de her i Landet herskende Forhold mener Lægeforeningen ikke at kunne medvirke ved Organisation af nogen Form for Lægehjælp til tyske Civilflygtninge […]. Under Hensyn til at der ikke paahviler Lægerne en folkeretlig Pligt til at behandle Civilflygtninge, vil Lægeforeningen anse det for rigtigst, at Medlemmerne kun yder Lægehjælp til Civilflygtninge, naar de af Forholdene i hvert enkelt Tilfælde føler sig nødsaget hertil.“ Brief vom 26. März 1945 an alle Mitglieder des Ärzteverbandes, RA 10558/1221. Dieser Beschluss wurde vom dänischen Innenministerium bestätigt. Ansteckende Krankheiten, die der dänischen Bevölkerung hätten gefährlich werden können, sollten allerdings weiterhin behandelt werden; vgl. Rundschreiben des Innenministeriums vom 28. März 1945, RA 0003/9047-1945.
59 Vgl. Kriegstagebuch des Wehrmachtbefehlshabers Dänemark, BArch-MA RW 38/184.
60 Lylloff 2000, wie Fußnote 5.
61 Solch ein Vorwurf konnte zu einer Zeit, in der Kollaborateure von der Widerstandsbewegung ermordet wurden, lebensgefährlich sein. So darf nicht übersehen werden, welch starker Druck auf Fenger ausgeübt wurde, indem er namentlich in der illegalen Presse erwähnt und für seine Verhandlungsbereitschaft kritisiert wurde. Vgl. die illegalen Zeitschriften Ringen Orientering, 24.03.1945, Information, 28.03.1945, sowie Frit Danmark, 06.04.1945.
62 „Af Hensyn til alle, der i de besatte Omraader og ved Frontern lider og pines, kan der ikke vises disse Flygtninge Barmhjertighed. Det er falsk Medlidenhed, der tjener til at forlænge Menneskehedens Lidelser.“ Land og Folk, 25.03.1945.
63 Auf die Spitze getrieben wurde die Flüchtlingshetze in den dänischen Sendungen der englischen BBC. Die Flüchtlinge wurden dort mit Ratten gleichgesetzt, jedoch gelte „der Vergleich zwischen Ratten und den Deutschen nur bis zu einem gewissen Punkt, denn im letzten Moment werden die Deutschen auf die Knie fallen und um Mitleid betteln, das haben meines Wissens Ratten nie getan“. („Sammenligningen mellem Rotterne og Tyskerne gælder kun til et vist Punkt, for i sidste Øjeblik vil Tyskerne falde paa Knæ og bede om Medlidenhed, det har saa vidt vides Rotterne aldrig gjort.“) Dänische Sendung der BBC vom 30. März 1945, RA 1259/A.97. Eine der sehr wenigen Zeitschriften, die sich der Flüchtlingshetze entzog und moderate Töne anschlug, war die christliche Kirkens Front; vgl. Lundtofte 2007, wie Fußnote 13.
64 „Saaledes blev der i Løbet af Onsdagen bragt ikke mindre end 70 Kister ud til Vestre Kirkegaards Søndre Kapel (…), og i flere af disse Kister fandtes der fire til seks Børnelig.“ Information, 19.03.1945.
65 Vgl. Gesprächsvermerk von Rosting vom 4. April 1945, RA 10001 Dansk Røde Kors/113. Darüber hinaus gab es noch mehrere bittere Beschwerden gegenüber dem dänischen Außenministerium; vgl. RA 0002/84.A.33a und RA 0002/84.A.33e.
66 Die Politischen Informationen gingen nicht nur an die Dienststellen in Dänemark, sondern auch an die Ministerien nach Berlin. Sie waren daher ein Forum für Best, in dem er seine Politik beschönigte und seine internen Gegner – u.a. Pancke – desavouierte. Politische Informationen für die deutschen Dienststellen in Dänemark, 01.04.1945, BArch R 83/1.
67 Lindemann richtete von Februar bis Mai 1945 eine wahre Flut von Telegrammen an das Oberkommando der Wehrmacht, in denen er eine Übertragung der Flüchtlingsaufgaben auf den zivilen Bereich forderte; vgl. die Telegramme und Anrufe vom 23. Februar, 4. März, 8. März, 29. März, 4. April, 5. April und 1. Mai 1945, BArch-MA RW 4/754, BArch-MA RW 38/184, BArch-MA RW 44I/9.
68 So geschehen am 2. Mai 1945 in Flensburg-Mürwik. Zit. nach Steinert, Marlis G.: Die 23 Tage der Regierung Dönitz, Düsseldorf/Wien 1967, 179.
69 Anlagen zum Kriegstagebuch vom 24. April 1945, BArch-MA RW 38/185.
70 Vgl. Flygtningeadministrationen 1950, wie Fußnote 2, 26.
71 Krannhals 1968, wie Fußnote 7, 384.
72 Artikelüberschrift in der Aprilausgabe der illegalen Zeitschrift Frit Danmark.