NORDEUROPAforum
Zeitschrift für Politik,
Wirtschaft und Kultur
ISSN 1863639X
2/2009
19. Jahrgang (12. der N.F.)
Seiten 129-132

Morten Andersen: Den følte grænse. Slesvigs deling og genopbygning 1918–1933. Aabenraa: Historisk Samfund for Sønderjylland 2008 (= Skrifter udgivet af Historisk Samfund for Sønderjylland; 99). 456 S., mit einer deutschen Zusammenfassung.

„Die gefühlte Grenze. Schleswigs Teilung und Wiederaufbau 1918–1933“ ist der Titel der überarbeiteten Dissertation des jungen dänischen Wirtschaftshistorikers Morten Andersen, die 2008 im Verlag der Historisk Samfund for Sønderjylland erschienen ist. Die Dissertation wurde zuvor im Jahre 2006 an der Universität Süddänemarks unter dem Titel Fra region til grænseregion. Regionaløkonomisk genopbygning og grænsepolitik i Slesvig regionen 1919–1933 angenommen.

In diesem sehr lesenswerten und erkenntnisreichen Buch untersucht Andersen die Teilung Schleswigs infolge der Plebiszite im Jahre 1920 sowie den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Integration der beiden Teilregionen in der nunmehr geteilten historischen Region in die beiden Staaten, wobei die historische Region auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer Grenzregion wurde. Die Darstellung ist überzeugend und detailliert und widmet sich bisher nicht oder kaum beachteten Fragestellungen der Zeitgeschichte des deutsch-dänischen Grenzlandes.

Nach zwei einleitenden Kapiteln, in denen der Forschungsgegenstand sowie die Grundzüge der Regionalgeschichte und Regionalwirtschaft kurz und bündig vorgestellt werden, widmet Andersen die folgenden neun Kapitel der Region Schleswig vor 1914, dem Ersten Weltkrieg und den Volksabstimmungen von 1920, den Wiederaufbaustrategien und grenzpolitischen Themen, dem Grenzverkehr und Grenzhandel sowie dem wirtschaftlichen Wiederaufbau beiderseits der Grenze. Dabei strukturiert er die Untersuchung in zwei chronologische Hauptabschnitte: 1920 bis 1925 und 1925 bis 1933. Im abschließenden Kapitel fasst er die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der Untersuchung zusammen.

Sein Ansatz dabei ist, dass die „Geschichte des wirtschaftlichen Wiederaufbaus und der Grenzpolitik in der Region Schleswig von 1918 bis 1933 […] die Geschichte des Konstruktionsprozesses einer Grenze [ist], die die Region Schleswig für immer ändern sollte. Es ist die Geschichte der ‚fühlbaren‘ Grenze“ (S. 408). Dabei sollte „gefühlt“ durchaus wörtlich verstanden werden, da die neue Staatsgrenze nach 1920 in der Optik der dänischen Politik eindeutig als solche wahrgenommen wurde: als Barriere und Hindernis, das zunächst nur mit Grenzpass oder Visum zu überqueren war. Erst im Mai 1926 wurde der Visumszwang aufgehoben. Diese Abschottung war wichtig für die Integration Nordschleswigs in Dänemark. Es handelte sich um einen Demarkationsprozess (S. 272), wobei die „gefühlte Grenze“ an sich ein Ziel der dänischen Grenzverkehrspolitik war, während auf deutscher Seite hingegen für die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Verbindungen mit Nordschleswig gearbeitet wurde.

Anhand dieser Grundthese werden die Entwicklungen, Zielsetzungen, grenzpolitischen Grundsätze und Strategien sowie wirtschaftspolitischen Maßnahmen umfassend, stringent und kompetent dargestellt und analysiert. Andersen gelangt zu der Schlussfolgerung, dass die Grenze auf ihren beiden Seiten zum primären Identifikationsmerkmal während des Wiederaufbaus wurde. In der etwas holprigen deutschen Zusammenfassung heißt es folglich: „Die Grenze war ein Identifikationsmerkmal der beiden nationalen Identitäten aber auch ein regionales Identifikationsmerkmal, der [sic!] die periphere Lage der Region symbolisierte. […] Es war daher nicht länger die Siedlungsstruktur, die die Region Schleswig 1933 konstituierte, sondern die Grenze, sowohl auf ihrer nördlichen, wie auch ihrer südlichen Seite“ (S. 414). Somit war die Region Schleswig im Laufe von lediglich 15 Jahren durch die Teilung und die nachfolgenden Integrationspolitiken beiderseits der neuen Grenze nunmehr zur Grenzregion Schleswig/Sønderjylland geworden.

Obgleich die wirtschaftlichen Aspekte des Zeitraumes 1918 bis 1933 im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, widmet Andersen sich dennoch in verschiedenen Zusammenhängen der in diesem Zeitraum durchaus wichtigen Minderheitenproblematik, insofern diese Rückschlüsse auf die wirtschaftlichen Strategien zulässt. So zeigt er deutlich, wie das Vorhandensein der deutschen Minderheit in Nordschleswig und der dänischen in Südschleswig von den politischen und wirtschaftlichen Akteuren im Grenzland sehr wohl als strategisches Argument genutzt wurde, um besondere Aufmerksamkeit und Förderprogramme seitens der Regierungen in Kopenhagen und Berlin zu erreichen. So spielte der „Grenzkampf“ immer wieder eine Rolle in den Forderungen, die gestellt wurden, obgleich dies nicht immer die erhofften Reaktionen ergab.

Andersen zeigt u. a., wie der nationale Gegensatz regelrecht beschworen wurde, als 1922 seitens der Berliner Regierung ein Grenzlandfond aufgelegt wurde. So wurde in allen Förderanträgen der Umfang der dänischen Bedrohung unterstrichen – und folglich wurde der nationale Gegensatz gar durch wirtschaftspolitische Anreize befördert (S. 173 ff.). Dies führte wiederum im Mai 1922 zu einer Denkschrift des Oberpräsidenten der preußischen Provinz Schleswig-Holstein, Heinrich Kürbis, mit dem Titel „Die dänische Gefahr und ihre Abwehr“, in der in beinahe theatralischer Manier erhebliche finanzielle Zuwendungen seitens Preußens für die deutsche kulturelle und soziale Arbeit angemahnt wurden, um der so genannten ‚dänischen Gefahr‘ entgegenzutreten. Dieses wiederholte sich mehrfach, so dass 1923 Beamte in Berlin skeptisch die Frage stellten, ob eine Bevölkerung, die sich dem Dänentum zuwenden würde, falls sie seitens des Reiches keine finanzielle Förderung erhalte, diese finanzielle Unterstützung wirklich verdient habe (S. 186).

Dennoch wurden im Oktober 1923 weitere 30 Milliarden Reichsmark für den Aufbau der Grenzprovinz bewilligt. Das preußische Finanzministerium stellte dem Schleswigfond zusätzliche 60 Milliarden Reichsmark zur Verfügung (wobei jedoch daran zu erinnern ist, dass angesichts der damaligen Hyperinflation 60 Milliarden Reichsmark im Oktober 1923 lediglich den Gegenwert von 11 US-Dollar hatten). Insgesamt umfasste der deutsche Schleswigfond im Jahre 1923 Mittel in der Schwindel erregenden Höhe von 1.619.298.171.469.400 Reichsmark seitens Preußens sowie weitere 900 Millionen Reichsmark seitens des Reichs. Allerdings entsprachen die 1,6 Trillionen Reichsmark nur einem Valutawert von 736 US-Dollar (S. 189). Im Vergleich dazu kostete ein Kilo Schwarzbrot Ende September 1923 ganze drei Millionen Reichsmark.

Ein bei aller Wertschätzung der Arbeit zu erwähnender Kritikpunkt ist, dass die europäische Perspektive und der Vergleich mit anderen Grenzregionen und deren Integration in die jeweiligen Staaten nach dem Ersten Weltkrieg nur kursorisch und ansatzweise mit einbezogen werden (S. 403–406). Dieser Aspekt wird leider nur kurz und anhand ausgewählter Beiträge eines (!) Sammelbandes aus dem Jahre 2002 dargestellt, wobei tiefer gehende relevante Fragestellungen und übergreifende Vergleiche nur ansatzweise angesprochen werden. Hier gäbe es weitaus mehr komparative Ansatzmöglichkeiten, die zu einer differenzierten Diskussion und Einschätzung der Entwicklungen in der deutsch-dänischen Grenzregion beitragen könnten.

Ebenso wirkt der Epilog, in dem die Perspektive zur deutsch-dänischen Grenzregion in der Gegenwart gezogen wird, künstlich „angeheftet“ und ohne zwingenden Zusammenhang zur eigentlichen Arbeit. Dabei scheint es sich allerdings um einen Schwachpunkt in der gesamten Forschung zu Fragen des deutsch-dänischen Grenzlandes zu handeln. Obwohl in den letzten Jahren in den wissenschaftlichen Arbeiten zu Fragen der Geschichte und Gegenwart Schleswigs zunehmend und lobenswerter Weise der Versuch unternommen wird, weiter ausgreifende, europäische Perspektiven in die Analyse mit einzubeziehen, und theoretische Ansätze verstärkt zu berücksichtigen, zeigt sich immer wieder, dass komparative Geschichtsschreibung ein schwieriges Unterfangen ist. Andersens Arbeit reiht sich somit – bei allen Verdiensten – durchaus in eine Tradition der Geschichtsschreibung ein.

Als Anhang finden sich Tabellen (S. 415 f.), ein konziser Überblick zum Stand der Forschung und eine Darstellung der genutzten Quellen (S. 437–444). Der Text wird ferner durchweg mit zahlreichen Tabellen, Grafiken und aussagekräftigen Abbildungen unterstützt. Insgesamt ist festzustellen, dass Morten Andersen eine ausgezeichnete und überzeugende Dissertation vorgelegt hat, in der wichtige Aspekte der geschichtlichen Entwicklung zwischen den Weltkriegen im deutsch-dänischen Grenzland erstmalig gründlich untersucht und analysiert werden. Die wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen sind wichtig. Es wäre wünschenswert, dass dieser Aspekt der Zeitgeschichte auch für die Entwicklung nach 1933 und zumindest bis 1955 ebenso kompetent untersucht wird.

Jørgen Kühl (Schleswig)