NORDEUROPAforum
Zeitschrift für Politik,
Wirtschaft und Kultur
ISSN 1863639X
1-2/2010
20. Jahrgang (13. der N.F.)
Seiten 233-234

Monica Quirico: Il socialismo davanti alla realtà. Il modello svedese (1990–2006). Rom: Editori Riuniti University Press 2007, 274 S.

Monica Quirico hat unlängst eine Veröffentlichung vorgelegt, deren Titel einem Buch des sozialdemokratischen Theoretikers Nils Karleby von 1926 entlehnt ist. Abweichend von Karlebys programmatischem Anspruch versucht sich die Autorin jedoch an einer Bestandsaufnahme sozialdemokratischer Politik in Schweden, wobei sie den Schwerpunkt auf die Zeit nach 1990 legt. Vorangestellt ist eine kurze Einleitung, in der die Verfasserin Versuche Revue passieren lässt, das „schwedische Modell“ zu definieren. Die drei folgenden Hauptkapitel sind chronologisch angeordnet. Kapitel 1 enthält einen historischen Überblick über das erste Jahrhundert der schwedischen Sozialdemokratie seit der Gründung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SAP) 1889. Monica Quirico betont vor allem die Bedeutung der Verknüpfung von Wachstum mit dem Ziel der erwerbs-, aber nicht unbedingt arbeitsplatzbezogenen Sicherheit durch die SAP und sieht darin, dass es der Partei gelang, dies in eine win-win-Situation umzusetzen, den wichtigsten Grund für die bis in die Mitte der siebziger Jahre dauernde Hegemonie der Sozialdemokratie. Als die Partei 1982 wieder die Regierung übernahm, war die Verbindung zwischen Wachstum und Sicherheit jedoch durchtrennt. Sozialstaatliche Arrangements galten stattdessen zunehmend als Kostenfaktor und nicht länger als „produktive Sozialpolitik“.

Im Zentrum des zweiten Kapitels stehen die frühen neunziger Jahre und damit die „europäische Wende“ der SAP, die ungeachtet einer starken innerparteilichen Opposition letztlich zum EU-Beitritt Schwedens führte. Darüber hinaus wird auf die Neuausrichtung der Wirtschafts- und Sozialpolitik eingegangen, die in der Ablösung des Ziels der Vollbeschäftigung zugunsten einer niedrigen Inflationsrate als oberster Priorität zum Ausdruck kam und sich außerdem in der vollständigen Unabhängigkeit der Reichsbank und einer Rentenreform niederschlug. In diesem Zusammenhang weist die Autorin darauf hin, dass keiner dieser Entscheidungen eine umfassende Diskussion innerhalb der SAP vorausgegangen war. Sie beschreibt ferner die Aufkündigung des schwedischen Korporatismus durch den Unternehmerverband, die Diskussion über die Zukunftsfähigkeit des schwedischen Wohlfahrtsstaates und die zunehmend private Erbringung von Leistungen als Reaktion auf den Rückzug des Staates. Das dadurch gezeichnete Gesamtbild ist das einer SAP in der Defensive.

Im Mittelpunkt des dritten und letzten Kapitels steht die Regierungszeit von Göran Persson. In diese Zeit fielen ein z. T. erfolgreicher Versuch, die Arbeitslosigkeit zu verringern, der SAP wie auch Schwedens Politik ein „grünes“ Profil zu verpassen sowie verschiedene Bemühungen, die Zahl der aus Krankheitsgründen dem Arbeitsmarkt längerfristig nicht zur Verfügung stehenden Personen zu verringern. Abschließend gibt die Verfasserin einen Überblick über die Ergebnisse der Parlamentswahlen des Jahres 2006 und referiert die innerhalb der Linken geführte Diskussion über die Gründe für ihre Niederlage und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen. Dabei spielt die erfolgreiche Neuausrichtung der „Moderaten“ unter der Führung eines jugendlichen Parteivorsitzenden, der einen starken Kontrast zum patriarchalisch anmutenden SAP-Spitzenkandidaten Göran Persson gebildet habe, eine wichtige Rolle.

Eine Besonderheit des Buchs ist die Berücksichtigung feministischer Themen im jeweils letzten Abschnitt der drei Hauptkapitel. Dort werden feministische Theoretikerinnen vor- und von ihnen angestoßene Diskussionen dargestellt. In diesem Rahmen kommen u. a. die Ersetzung des Begriffs der „Gleichberechtigung“ durch den der „Gleichstellung“ und die Einführung des Begriffs der Intersektionalität zur Sprache. Letzterer hebt darauf ab, dass asymmetrische Machtverteilungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen nicht analytisch getrennt werden sollten.

Monica Quirico hat mit diesem Buch einen wertvollen Beitrag zum Verständnis der jüngeren schwedischen Geschichte und Politik vorgelegt – vor allem, was die Verdienste, die zu bewältigenden Herausforderungen und die derzeitige Lage der SAP angeht. Das umfangreiche Literaturverzeichnis ist, wie die im gesamten Buch durchweg präzise verwendeten Zitate verdeutlichen, Ausdruck einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Thematik. Abgerundet wird das Werk durch ein Personenverzeichnis und eine englische Zusammenfassung.

Raimund Feld (Kraainem)