Ausgabe 1.2015 / Gegenwart

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Redaktion: Lutz Hengst / Christiane G. Kant

Ausgabedatum: 30.03.2015

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  • Publication
    Vom prozessualen Werden des Materials zur Prozessualität von Wahrnehmung und RaumDas Potential von Skulptur bei Richard Serra
    Reimann, Sandra Beate; Hengst, Lutz; Kant, Christiane G.
    Nach Experimenten mit Formlosigkeit entdeckte Richard Serra Ende der 1960er Jahre COR-TEN-Stahl als seinen Werkstoff und verwirklicht seither Skulpturen, die hinsichtlich Material und Form in Dauerhaftigkeit, Stabilität und Schwere kaum zu überbieten sind. Damit verhalten sie sich antithetisch zur Verflüssigung und Verflüchtigung des Materials in der Skulptur des 20. Jahrhunderts, als deren Kronzeuge Serras frühes postminimalistisches Schaffen fungiert. Trotz der Stabilität des Stahls und der Starrheit der Platten sind Serras Skulpturen dennoch durch ein "prozessuales Werden" gekennzeichnet. Mit der Konzeption von großen, unüberschau- und begehbaren Arbeiten verlagert sich die Prozessualität vom Material in die zeitliche und peripatetische Rezeption. Aus seinem Interesse heraus, das Verhältnis von Subjekt und Objekt zu befragen, findet Serra zu einer skulpturalen Auseinandersetzung mit Fragen der Wahrnehmung und des Raumes. Dabei wird nun der Raum selbst zu Serras plastischem Material. Nach der von ihm selbst exerzierten Dekonstruktion und Auflösung der Skulptur wandelt sich Serras skulpturales Projekt hin zu einer medialen Neudefinition. Dabei liegt das Potential seiner Skulpturen in der Möglichkeit, zeitgenössische Raumkonzeptionen erfahrbar zu machen, anstatt diese nur bildlich zu repräsentieren oder metaphorisch zu vermitteln.
  • Publication
    Der Bronzeguss in der zeitgenössischen Kunst: Tradition einer Herausforderung
    Stoltz, Barbara; Hengst, Lutz; Kant, Christiane G.
    Dieser Artikel fokussiert die Universalität des Materials Bronze und seiner Verwendung in der Skulptur, die in der zeitgenössischen Kunst auf prägnante Weise sich bestätigt. Die Bronze ist ein Material, dessen "natürliche" Eigenschaften seine Ikonologie festlegen: Als korrosionsfreier, beständiger Werkstoff ist die Bronze mit den Bedeutungen der "Ewigkeit" oder "Standhaftigkeit" belegt. Die Verwendung und Produktion der bronzenen Skulpturen wird wiederum bereits seit der Antike als Herrschaftsdemonstration und gleichzeitig als Rückgriff auf eine bestehende oder zurückliegende Autorität verstanden. Die Bronze ist damit Sinnbildträger des Traditionsrekurses. Die Bronze verkörpert als Material der Waffenproduktion adäquat den Herrscher- beziehungsweise Gewaltakt. Diese Konnotation gilt ebenfalls für das Herstellungsverfahren einer Bronze-Skulptur: Der Bronzeguss gilt als komplexes und mit Risiken verbundenes Verfahren, das Benvenuto Cellini nicht nur aufgrund der intellektuellen Konzeptualisierung, die einem Bronze-Werk vorlegen muss, zum Kulmen jeglicher künstlerischen Tätigkeit erklärt, sondern vor allem als Ergebnis von scharfsinnigen Lösungen in der praktischen Umsetzung definiert. Ein weiterer, gewichtiger Aspekt des Bronzegusses, der insbesondere seit der Renaissance wahrgenommen wird, ist schließlich die enorme plastische Vielfältigkeit, die die Bronzeherstellung als Wachsausschmelzverfahren gewährt. Die Entwicklung der Bronze seit der Moderne erlebt zum einen neue technische Verfahren, zum anderen steht die Bronzeherstellung aber in der Dialektik zwischen der Bestrebung nach Innovationen und dem Sog der unabwendbaren Eigenschaften und Konnotationen der Bronze. Eine ambivalente Situation besteht darüber hinaus in der totalen Abkoppelung des Bildhauers von der Bronzeproduktion einerseits – angesichts der zunehmenden Verbreitung von eigenständigen, künstlerischen Bronze-Gießwerkstätten – und der als Reaktion darauf stärkeren Involviereung des Bildhauers in der Produktion seiner Bronze bis hin zur eigenen Übernahmen des Bronzegusses. In der zeitgenössischen Kunst wiederum, hat der Umgang mit der Bronze, im Hinblick auf die unbegrenzte Vielfalt der Werkstoffe, Techniken und Formen, grundsätzlich zwei entgegengesetzte Möglichkeiten inne: Entweder gilt die Bronze als Mittel zur individuellen Stilentwicklung eines Künstlers oder sie wird in die spezifische Ikonographie eines individuellen Werks eingewoben. In der Produktion einer Bronze wiederum, trotz eines professionellen Know-Hows, durchzieht sich unentwegt das Motiv der künstlerischer Herausforderung, die nach wie vor zwischen künstlerischem Entwurf, der absoluten Notwendigkeit des technischen Wissens und den spezifischen Lösungen in der Realisierung des Objekts liegt. Die Dynamik zwischen invenit und fecit ist hierbei stets gegenwärtig aber gewandelt: Die postmoderne Bronze entsteht aus einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und der von ihm gewählten Kunst-Gießerei.
  • Publication
    HärteprüfungMaterialität und Körperlichkeit in zeitgenössischen Skulpturen aus ungebranntemTon
    Mohs, Johanne; Hengst, Lutz; Kant, Christiane G.
    Aufgrund seiner Verarbeitungseigenschaften ist Ton in ästhetischen Debatten immer wieder zwischen die Fronten geraten. Der dem Material innewohnende Gegensatz von Formbarkeit und Unterbrechung des Veränderlichen im Brand, von Flüchtigkeit und Festigkeit, scheint prädestiniert für eine Revision skulpturaler Grundbegriffe wie Dauerhaftigkeit, Widerständigkeit oder Verlebendigung. Vor diesem Hintergrund untersucht der Artikel "Härteprüfung – Materialität und Körperlichkeit in zeitgenössischen Skulpturen aus ungebranntem Ton" die aktuelle Aufwertung von Ton als künstlerischem Material. Dafür wird zunächst nachvollzogen, wie Ton im ästhetischen Diskurs um 1900 wegen seiner hohen Plastizität aus dem Kanon bildhauerischer Materialien ausgeschlossen wurde. Die als charakterlos stigmatisierte Eigenschaft von Ton hat durch die Debatten um "Anti-Form" und "Formlosigkeit" im Laufe des 20. Jahrhunderts allerdings einen Wandel erfahren und ist inzwischen positiv konnotiert. Wie die hohe Formbarkeit von Ton aktuellen künstlerischen Prämissen wie Prozessualität und Körperlichkeit zuspielt, wird in der zweiten Hälfte des Artikels anhand der Arbeiten von Karin Lehmann, Phoebe Cummings und Brie Ruais gezeigt. Für ihre zwischen Skulptur und Performance angelegte künstlerische Praxis setzen sie die Veränderlichkeit des Materials gezielt ein.
  • Publication
    Biomorphismus heute?Verkörperungen von Belebtheit in der zeitgenössischen Skulptur
    Bartelsheim, Sabine; Hengst, Lutz; Kant, Christiane G.
    In den letzten Jahren wurde mit Blick auf die zeitgenössische Skulptur ein Begriff reaktiviert, der in der Kunstgeschichte bis dato nie richtig heimisch wurde: der Begriff des "Biomorphen". Die deklarierte "Renaissance biomorpher Gestaltung" (Marc Wellmann) steht im Kontext einer breiteren Tendenz skulpturaler Ansätze, die ein ähnliches, aber vielgestaltiges Interesse verbindet: an der Verkörperung von Leben und Belebtheit, am Wirkzusammenhang von Materialität und Unsichtbarem, am Wandelbaren der Dinge oder an wissenschaftlich-technischen Simulationen von Leben. Dabei zeigen sich Parallelen und Berührungspunkte zwischen künstlerischer Praxis und Kunstgeschichte, insbesondere den Forschungen zum "Biozentrismus" der Moderne (Oliver A.I. Botar), zur "Theorie des Bildakts" von Horst Bredekamp und zur "Kunstgeschichte des Veränderlichen" von Dietmar Rübel. Die Werke der Künstler, die heute mit dem Biomorphen in Verbindung gebracht werden (darunter Tony Cragg, Wilhelm Mundt, Ernesto Neto, Berlinde de Bruyckere und Franz West), zeichnen sich durch eine große Heterogenität aus. Der Text geht der Frage nach, was angesichts dessen "biomorph" in der zeitgenössischen Skulptur eigentlich bedeutet und in welcher Relation die Werke zum "historischen" Biomorphismus der 1930er und 1940er Jahre (der sich mit Namen wie Hans Arp und Henry Moore verbindet) stehen. Eine Grundthese ist, dass während jene von vitalistischen Denkweisen geprägt wurden, sich der aktuelle Biomorphismus als "materialistisch" charakterisieren lässt: Seine Identität beruht weniger auf einer idealistischen Vorstellung von Leben als vielmehr auf den evokativen Eigenschaften von Materialien und der Durchdringung von verschiedenen Ebenen des Begriffs "Leben" - als Merkmal von Lebewesen und als Alltagsleben, zu dem auch die – nie vollständig fassbare - Welt der Dinge gehört.
  • Publication
    "Everything is connected".Zum Plastikbegriff des frühen 21. Jahrhunderts - am Beispiel von Matthew Barney und Pierre Huyghe
    Scorzin, Pamela C.; Hengst, Lutz; Kant, Christiane G.
    Mit methodischem Bezug auf Bruno Latours ANT (Akteur-Netzwerk-Theorie - Anm.: 19) werden Begriff und Funktion des Plastischen in der Gegenwart exemplarisch an ausgewählten Werken von Matthew Barney (Djed, 2009-2011) und Pierre Huyghe (Untilled, 2011-2012) diskutiert und neu bestimmt. Nach der postmodernen Entgrenzung der Bildenden Künste, die mit einer Ausweitung der Materialien, Techniken, Gattungen und Genres, Kategorien und Hierarchien sowie der Themen und Zweckbestimmungen der modernen Kunst einherging, lässt sich heute nicht nur eine Hinwendung zum Performativen, zum Zusammengehen von Darstellungs- mit Aufführungskünsten, sondern auch eine neue Konvergenzkultur ausmachen, in der Verbindungen, Verknüpfungen, Vernetzungen und Vermittlungen von Heterogenem in inszenatorischen Konzepten und intermedialen Praktiken dominieren: Plastisches Entwerfen, Konzipieren, Realisieren und Präsentieren stellt dabei jeweils als Transformationsakt von Materiellem und Immateriellem multi-sensusale Knotenpunkte und temporäre Schnittstellen zu weiteren Dispositiven in einer Gesamtszenografie her. Die Skulptur/ Plastik, wie sie die westliche Moderne als Gattungskategorie hervorgebracht hat, zeichnet sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch Auflösung in intermediale Hybride aus, die sich einer klaren gattungstheoretischen Einordnung verweigern, wie auch gleichzeitig durch Verdichtung zu komplexen Knotenpunkten in einem weiten Netzwerk künstlerisch-gestalterischen Schaffens und symbolischen Erzählens. Die Installationskunst des 20. Jahrhunderts hatte bereits die Purifizierungstendenzen der Moderne mit einer Hinorientierung zu immersiven, multisensorischen Gesamtkunstwerken, die als ganzheitliche Wahrnehmungs- und Erfahrungsräume fungieren, durchgestrichen. Zunehmend partizipatorische Komponenten perforierten ebenfalls die hermetische Geschlossenheit des autonomen modernen Kunstobjekts. Eine neuartige Inszenierungs- und Ausstellungspraxis, die Szenografie, versteht sich als Aktualisierung der bisherigen modernistischen Installationskunst für ein Zeitalter, das im Wesentlichen durch eine technologisch vernetzte und global kommunizierende Gesellschaft verfasst ist. Durch das Überschreiten von physisch-räumlichen und zeitlichen Grenzen öffnet sie die totalitäre Geschlossenheit des modernen Gesamtkunstwerkes in ein prozessuales, sich stetig transformierendes, variables und heterogenes Feld, in dem unterschiedliche Akteure immer wieder neue Bezüge herstellen und daraus synoptische wie mythopoetische Narrative entwickeln. Die praktische Ausführung und vorläufige Vollendung eines plastischen Werkes gehen dabei heute oft auch mit seiner temporären Ausstellung respektive ephemeren Aufführung in eins. Zugleich drückt sich darin auch eine neue Rolle des Künstlers / der Künstlerin in der Gegenwart aus: Vom modernen Formgestalter, Zeichenarrangeur und Diskursmanager avanciert er/sie in einem konsumistischen Kapitalismus und in einer Ära der umfassenden Event- und Aufmerksamkeitsökonomie durch szenografische Praktiken, in der plastisches Gestalten heute ein- und aufgeht, vorrangig zum Atmosphärenproduzent und Kommunikationsgestalter, zum Ereignisinitiator, Story-Teller und Erlebnisformer.