Ich weiß nicht, was soll es bedeuten?
Schützenhilfe für Schlicks Verifikationsprinzip
Philosophische Fakultät I
Kein Hahn kräht mehr nach dem Verifikationsprinzip, das Moritz Schlick zusammen mit seinen Mitstreitern des Wiener Kreises verfochten hat. Seit einem halben Jahrhundert gilt das Prinzip als philosophisch erledigt; doch Totgesagte leben länger. Ich formuliere eine Fassung des Prinzips, die auch unter den Bedingungen der Nachkriegs-Philosophie verteidigt werden kann: Jeder sinnvolle Satz muss im Prinzip empirisch überprüft werden können. Je nach Situation verlangt das Prinzip die unterschiedlichsten Formulierungen; es wäre verfehlt, es ein für allemal zu fixieren. Anhand einer Serie von Beispielen (die z.T. aus Schlicks Schriften stammen) demonstriere ich, welche guten Dienste das Prinzip leistet. Erstens dient es dazu, intellektuelle Hochstapelei aus dem Spiel zu werfen und von sinnvollen Aussagen zu unterscheiden. Nun gibt es Sätze, an deren Sinn wir nicht gern rütteln lassen wollen, selbst wenn zunächst nicht klar ist, wie sie sich überprüfen lassen sollen. Das legt einen zweiten Einsatz des Prinzips nahe: Wir sind in diesem Fall aufgerufen, mehr Mühe in den scheinbar unüberprüfbaren Satz zu investieren, ihn besser zu explizieren und dabei doch noch einen Weg zu seiner Überprüfung freizuschaufeln. Bei dieser Übung kann sich sogar unser Überprüfungsbegriff verändern (und damit auch der Gehalt des Verifikationsprinzips selbst). Insgesamt sollten wir den Überprüfungsbegriff so fassen, dass laut Prinzip nicht zuviele wichtige Sätze sinnlos erscheinen. In einer aufklärerischen Ethik des klaren Redens, Meinens und Fragens kommt es darauf an, die gegenläufigen Denkbewegungen auszutarieren, in die wir beim verifikationalistischen Philosophieren gezogen werden. Was das heißt, führe ich anhand vermeintlich sinnloser Sätze aus der Raum/Zeit-Philosophie vor. Am Ende des Aufsatzes bringe ich einige Beispiele ausgemachten Unsinns. Moritz Schlick's principle of verification may seem outdated, but it is not. I try to formulate a version of the principle which can be defended nowadays. Any meaningful sentence must be open to empirical investigation, at least in certain idealized conditions. The exact formulation of the principle should not be fixed once and forever; rather, it ought to be adjusted to the sentence we are interested in. The principle serves two different goals. First, it helps us defend ourselves against intellectual dishonesty; unverifiability is a sign of nonsense. However, there are – important – sentences whose meaningfulness we do not wish to cast into doubt, even though we might not yet see a way towards their verification or falsification. This leads to the second goal which the principle helps us achieve: We have to work with the sentence in question until we find a way to determine its truth value. In the course of this exercise we enhance our understanding of the sentence; in the same vein, we may even enhance our understanding of what verification and falsification really is. I illustrate this with a number of examples drawn from Schlick's writings.
Notes
Dieser elektronische Text wird hier nicht exakt in der Form wiedergeben, in der er auf Papier erschienen ist. Obwohl er sich in Layout und Paginierung von der Druckfassung unterscheidet, hat sich am Wortlaut des Aufsatzes nichts geändert.