Natürliche Körper?
Zwischen Befreiung und disziplinierender Norm ; Diskurse der Lebensreformbewegung (in Deutschland, etwa 1890 bis 1930) und das Aufkommen des Wunsches nach Geschlechtsumwandlung (etwa 1910 bis 1925)
Philosophische Fakultät III
In dieser Magisterarbeit wird der Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Diskursen in einem bestimmten historischen und geographischen Raum, der Lebensreformbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland, und der Hervorbringung von Geschlecht, in die-sem Fall von Transsexualität, dargestellt. Diskurse und Praktiken der Transsexualität sind in Deutschland bis etwa 1910 nicht nachzuweisen. Erst von diesem Zeitpunkt an kommt es zu Ereignissen und Entwicklungen, die auf ein problematisches Verhältnis bei einigen Transves-titen zu ihrem Körper hinweisen: ihnen reicht die Übernahme von Kleidungs- und Verhaltens-formen des anderen Geschlechts nicht mehr aus; sie möchten auch ihren Körper dem des an-deren Geschlechts angleichen und sind bereit, selbst schwierige körperliche Eingriffe zu ertragen, um dieses Ziel zu erreichen. Nachgezeichnet wird in dieser Arbeit die Genealogie, die historischen und sozialen Bedingungen, die zum Phänomen dieses massiven Unbehagens im eigenen Körper verbunden mit dem Wunsch der Körperkorrektur führen. Diese Bedingun-gen verändern sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (auch) durch Diskurse der Lebensreformbewegung, die dem in der wilhelminischen Zeit verdrängten und verhüllten Körper ein neues Gewicht geben. In der zur Lebensreformbewegung gehörenden Nacktkultur wird der Körper ent-deckt, (wieder) wahrgenommen und er erfährt eine neue, teilweise mys-tisch überhöhte Bedeutung. Gleichzeitig führen die lebensreformerischen Diskurse aber auch zu seiner massiven Disziplinierung innerhalb eines Ideals, das traditionelle (bürgerliche) Vor-stellungen von Schönheit, aber auch von Zweigeschlechtlichkeit und geschlechtlicher Diffe-renz, die als natürlich beschrieben werden, nicht antastet sondern sogar verstärkt. So wird in dieser Arbeit deutlich, dass der Körper zwar sichtbar aber nicht befreit wird. Er ist gerade in Diskursen der Lebensreformbewegung massiven Normierungen und Regulierungen unterwor-fen. Ein Teil der Transvestiten erträgt das Nichtübereinstimmen ihres nun ent-deckten Ge-burtskörpers mit dem von ihnen empfunden Geschlecht nicht und ersehnt die (gewaltsame) Anpassung seines Körpers an die geltenden Normen und Ideale. The master’s thesis investigates the relationship between social discourse in a specific and geographical sphere, the Lebensreform (life reform) movement at the beginning of the 20th century in Germany and the emphasis placed upon gender, in this case transsexuality. Neither discourse on nor the practise of transsexuality are attested in Germany until c. 1910. Only from that time on do events and developments occur, which are indicative of the problematic relationship experienced by some transvestites with their body: their adoption of the clothing and behaviour of the opposite sex no longer suffices. They wish instead to adjust their own body to the physical features of the other sex as well and are even prepared to endure difficult physical measures in order to achieve their goal. This study traces the genealogy, the historical and the social conditions, which lead to the phenomenon of a person’s intense feeling of discomfort in his/her own body connected with the wish to alter the body. These conditions change around the turn of the 19th to 20th century, (also) through the discourse conducted during the Lebensreform movement. This discourse lends a new importance to the body that was repressed and concealed during Wilhelminian times, that is, more matter to the body. Through the nudism-culture associated with the Le-bensreform movement, the body is rediscovered and appreciated (once again); it is bestowed a new, sometimes exaggerated mystic meaning. Yet at the same time, discourse on Lebensreform leads to its becoming extremely disciplinary within an ideal, which not only addresses but even reinforces traditional (bourgeois) concepts of beauty as well as even bisexuality and sexual differences that are described as natural. In the course of this study it becomes apparent that the body becomes visible, but not liber-ated. Indeed, the body is further submitted to massive normalising and regulating measures, precisely through the discourse conducted during the Lebensreform movement. Some trans-vestites cannot endure the incongruity between their newly discovered original body and the gender that they perceive in themselves; they yearn for a (violent) adaption of their body to the accepted norms and ideals.
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