Strafrechtliche Schuld und gesellschaftliche Wirklichkeit
das Schuldprinzip im Licht sozialwissenschaftlicher Deutungen jugendlicher Gewaltdelinquenz ; am Beispiel des Straßenraubs
Juristische Fakultät
Der mit Verfassungsrang ausgestattete Schuldgrundsatz als Voraussetzung der Bestrafung ist eine der zentralen Systemkategorien des Strafrechts. Anders als ein Erfolgsstrafrecht verlangt das Schuldstrafrecht nach einem "Andershandelnkönnen" des Täters als Vorbedingung der Zuschreibung von Verantwortlichkeit. Die dabei vorausgesetzte Anlage des Menschen zu Selbstbestimmung und ethischer Einsicht gehört elementar zum Menschenbild, das der Rechtsordnung des Grundgesetzes mit seiner Betonung von Wert und Würde des Einzelnen zu Grunde liegt. Als Ausgangspunkt der Betrachtung werden in der vorliegenden Arbeit Befunde über von Jugendlichen und Heranwachsenden begangene Straßenraubdelikte zusammengetragen, wobei diese Perspektive innerhalb eines wissenssoziologischen Bezugsrahmens auf die Lebenssituation junger Menschen in den aktuellen gesellschaftlichen Zusammenhängen, die Deutungen von abweichendem Verhalten, Gewalt und Kriminalität und schließlich die Wirkungsweise des Strafrechts erweitert wird. Vor diesem Hintergrund wird zu den rechtsdogmatischen Schuldkonzepten Stellung bezogen. Dabei wird die Abhängigkeit des Rechts von gesellschaftlichen Werten herausgearbeitet und eine aktive Rolle der Strafrechtswissenschaft im Prozess der gesellschaftlichen Verständigung über Werte eingefordert. In diesem Verständnis von Schuld im Sinne eines "Wertkonzepts" wird auf eine gegenüber Strafzweckerwägungen und kriminalpolitischen Überlegungen eigenständige Fundierung des Schuldprinzips bestanden, und es werden generalisierende Betrachtungen zur Vorwerfbarkeit abgelehnt. Ausgehend von den Überlegungen zum Schuldgrundsatz wird schließlich kritisch auf moderne kriminalpolitische Konzepte eingegangen, die sich zunehmend in den Bereich des Ordnungsrechts verlagern und auf diese Weise die spezifisch strafrechtlichen Verfassungsgewährleistungen umgehen. The requirement of guilt as a prerequisite for punishment is both a constitutional principle and one of the central categories of penal law. Contrary to criminal law systems that focus on the outcome of a criminal wrongdoing, a criminal law system that requires the personal guilt of the offender before imposing criminal liability considers whether the offender has the capability and possibility to act legally in a certain situation. Based on this premise, the ability to self-determine one's actions and to conform them to ethical standards is a fundamental component of the image of human kind, which constitutes the basis of the German Basic Law that emphasizes the value and dignity of every single human being. The thesis begins with a report on street robberies committed by young offenders. It then expands to an analysis of the living situation of young people in modern society and interpretations of delinquent behavior, specifically violence and crime and the effect of legislative reactions to crime within a theoretical frame of the sociology of knowledge. Proceeding from this, the author next discusses the different dogmatic concepts of guilt. He shows that law depends on social values and contends that criminology plays an active role in the process of forming an understanding of values within society. Understanding guilt as an ethical concept, the author claims a foundation of the principle of guilt independent from the purpose of punishment and criminological policies. He rejects generalized approaches to the concept of guilt. Finally, he analytically discusses modern concepts of criminological policy that are increasingly shifting into regulatory law, thereby circumventing constitutional guarantees that are specifically related to criminal proceedings.
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