Linie, Fläche und Proportion als Formen der zeichnerischen Aneignung: Die Camera Lucida als optisches Zeichenhilfsmittel bei David Hockney
2001 veröffentlichte David Hockney mit der Monographie „Secret Knowledge“ seine theoretischen und praktischen Nachforschungen zur Verwendung optischer Hilfsmittel in der Malerei seit dem 15. Jahrhundert. Hockney experimentierte anschließend selbst mit der Camera Lucida und zeichnete mit ihr mehrere 100 Porträts.
Das 1806 erfundene Instrument ermöglicht den Nutzern, die mit den Augen wahrgenommene Realität auf dem Papier mittels Abpausens zu übertragen, also bereits als eine Abstraktion des Gesehenen festzuhalten. Es entsteht eine neue Bilderfahrung im Sinne eines anderen Sehens, das im 19. Jahrhundert vor allem während des wissenschaftlichen und künstlerischen Instrumentengebrauchs aufgetreten war. Der Gebrauch der Camera Lucida macht dies greifbar und praktisch erfahrbar. Wenn zum Zeichnen von Bildern ein Apparat verwendet wird, der ein Abbild der wahrgenommenen Außenwelt auf der Zeichenfläche erzeugt, wirft dies die Frage nach der künstlerischen Autorschaft auf. Vor allem in dieser Weise wurden Hockneys Thesen von Kunstwissenschaftler_innen, Museumsfachleuten und den Feuilletons immer wieder kritisiert.
Die Camera Lucida lässt es zu, sich als Betrachter_in des Bildes die Blickveränderung durch den praktischen Gebrauch des Instruments zu vergegenwärtigen. Obwohl sich die Veränderung des Blicks im Allgemeinen schwer nachvollziehen und dokumentieren lässt, erlaubt es die Camera Lucida, den Einfluss des Instrumentengebrauchs auf das Sehen exemplarisch zu erfassen.
Innerhalb meines Dissertationsvorhabens dient Hockneys künstlerischer Umgang mit ihr als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Indikatorenkataloges. Dieser gibt zunächst Auskunft darüber, ob die Camera Lucida als Hilfsmittel benutzt wurde. Davon ausgehend lässt sich aber die weitergehende Frage stellen, ob und auf welche Weise sich der Gebrauch eines Hilfsmittels auf die künstlerische Handschrift auswirkt und wie dies im Hinblick auf die Originalität des Künstlers zu bewerten ist.
Notes