Redaktion: Lutz Hengst / Kristina Hoge / Nadine Soell / Christiane Kant

Ausgabedatum: 20.11.2011

Raum und Natur bilden Grundbedingungen menschlicher Daseinsentfaltung, die künstlerische eingeschlossen. Die je konkrete Behandlung dieser Konstituenten in der Kunst taugt mithin zur Epochenmarke. So kann die These zum kunsthistorischen common sense gerechnet werden, dass neuzeitliche Kunst ihren Ausgang in raumillusionistischen Konzeptionen der nachgotischen Fresken nimmt. In enger Verbindung mit dem programmatischen Wiederaufgriff mimetischer Ideale von einer natürlichen Körper- und Lebensweltdarstellung in der Renaissance zeichnet sich mit der Verknüpfung von Raum(-Illusion) und Natur(-Ideal) eine Basis ab für epochemachende Kunstentwicklungen. Heute abermals eine derartig tiefe Zäsur zu erkennen, erscheint überpointiert. Physisch raumgreifende Kunstformen aber werfen seit dem 20. Jahrhundert grundlegende Fragen auf, indem sie sowohl im offenen und öffentlichen Gelände (jenseits von Park- und Skulpturenensembles) als auch innerhalb von Galerien neue Raumverhältnisse etablieren. Darüber werden nicht nur die Rezipient(inn)en zu anderen Perspektiven bewegt, sondern auch zusätzliche, oft organische Materialien - gewissermaßen vom Beuysschen Coyoten bis zum Mohnfeld Sanja Ivecovics - in den Kunstzusammenhang translociert. Durch dergestalte Natur-Kunst-Hybride wird, so ein möglicher nsatz, nicht zuletzt der traditionsreiche Natur-Kultur-Diskurs zwischen Kontrastierung und Ineinssetzung um weitere, sichtbare Pendelpositionen ergänzt. Vor dem Hintergrund solcher Formationen kommen auch theoretische Entwürfe beispielsweise einer 'Ästhetik der Installation' (Juliane Rebentisch, FaM 2003) nicht ohne Erörterungen zum Verhältnis von (Installations- Kunst und Raum aus. Weitere Theorieansätze (z.B. von Gérard Raulet) bemühen sich indessen, mit Herder verfestigte Dichotomien von Raum- und Zeitkünsten im Lichte der Performativität aufzulösen. Materialkulturwissenschaftliche Perspektiven wiederum wenden Raum und (Kunst-)Gegenstand auf die materielle Basis zurück(, die ja nach Heidegger gerade in der Kunst am Ort aufscheint). Mit der Hinwendung zum konkreten Gegenstand ist schließlich auch die Ebene der aktuellen Werke an sich erneut adressiert. Produktionen von 2010 etwa, wie Carsten Höllers Einhegung von Rentieren im Hamburger Bahnhof unter dem Titel Soma, scheinen recht unmittelbar Fragen zu verarbeiten oder zuwenigst herausfordern; Fragen danach, wie darin Natur zum Material rauminstallativer Kunst (gemacht) wird.